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Diese werkgetreue Umsetzung als Roman umfasst den kompletten Inhalt aus den Kolibri-Comicheften 1-20 von Hansrudi Wäscher. 1633 wird Jörg Zeuge, wie sein Vater den Gräueltaten schwedischer Soldaten zum Opfer fällt. Zusammen mit seiner Gefährtin Lena macht er sich auf die Suche nach seiner vertriebenen Mutter. In den Kriegswirren sind Jörg und Lena Mord, Verwüstung und Plünderei ausgesetzt, doch sie halten auf Gedeih und Verderb zusammen. Jörgs militärischer Karriere an der Seite des Oberbefehlshabers Waldstein steht nach einem Sieg der kaiserlichen Truppen über die schwedischen Besatzer nichts mehr im Wege.
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Seitenzahl: 362
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Originalausgabe März 2023
Charakter und Zeichnung: Jörg © Hansrudi Wäscher / becker-illustrators
Text © Bernd H. Goetz
Copyright © 2023 der E-Book-Ausgabe Verlag Peter Hopf, Minden
Korrektorat: Andrea Velten, Factor 7
Redaktionelle Betreuung: Ingraban Ewald
Umschlaggestaltung: etageeins, Jörg Jaroschewitz
Hintergrundillustration Umschlag: © welcomia – depositphotos.de
ISBN ePub 978-3-86305-315-4
www.verlag-peter-hopf.com
Hansrudi Wäscher wird vertreten von Becker-Illustrators,
Eduardstraße 48, 20257 Hamburg
www.hansrudi-waescher.de
Alle Rechte vorbehalten
Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.
Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.
VORWORT
EINS
ZWEI
DREI
VIER
FÜNF
SECHS
SIEBEN
ACHT
NEUN
ZEHN
ELF
ZWÖLF
DREIZEHN
VIERZEHN
FÜNFZEHN
SECHZEHN
SIEBZEHN
ACHTZEHN
Kaum ein Land ist in den vergangenen Jahrhunderten so ausgeraubt und verwüstet worden, wie Deutschland während des Dreißigjährigen Krieges. Da sich der eigentliche Feldzug im Laufe der Jahre in kleinere, auf das ganze Reich verstreute militärische Unternehmungen zersplitterte und die Söldner nur ungenügend oder gar nicht entlohnt werden konnten, machten sich abgesprengte Truppenteile oder desertierte Soldatenhorden selbstständig. Raubend und plündernd zogen sie durch das Land. Mit beispielloser Grausamkeit gingen sowohl kaiserliche, als auch schwedische Söldnertrupps gegen die Bevölkerung vor. Wehe dem Bauerngehöft, das von dieser schrecklichen Plage heimgesucht wurde.
Dies ist die Geschichte eines jungen Mannes, der, in unruhige Zeiten hineingeboren, auf dem Hof seines Vaters aufwuchs. Er erlernte das Handwerk eines Bauern und würde wohl dereinst das Gehöft bewirtschaften, um den Lebensabend seiner Eltern und das Auskommen seiner Geschwister zu sichern. Doch das Schicksal wollte es anders. Der schon lange tobende Krieg, von dem fahrende Händler berichteten, wollte kein Ende nehmen. Die Gräuel aber, die er mit sich trug und von denen die beunruhigenden Nachrichten erzählten, geschahen an unbekannten Orten, fernab seiner kleinen Welt.
Unsere Erzählung beginnt im Frühjahr 1633 in dem mecklenburgischen Dorf Krustow. Wie durch ein Wunder ist der kleine, zwischen bewaldeten Hügeln geschützt liegende, Ort bisher von den Schrecken des Krieges verschont geblieben.
Ferner Hufschlag erklang gedämpft aus dem dichten Wald über die Senke hin zu der kleinen Siedlung eng gedrängter Fachwerkhäuser, aus deren Mitte sich stolz ein Kirchturm erhob. Aufgeschreckt von dem lauter werdenden Trommeln, unterbrachen die ersten Bewohner ihre tägliche Arbeit und blickten dem Waldrand entgegen.
Mittelbauer, der mit einigen Feldarbeitern am Ortseingang stand, blickte die schmalen Karrenspuren entlang den sanften Hang bis zum Waldessaum hinauf, wo der einzige Zugang durch den Buchenwald in ihr Dorf führte.
Was hatte das zu bedeuten? Von welchem Unheil kündete der Lärm? Sie wussten alle von dem Schreckgespenst des Krieges in diesen unruhigen Zeiten, doch bislang waren es lediglich Erzählungen oder Flugblätter, die vereinzelt über fahrende Händler den Weg nach Krustow fanden, die von seiner Grausamkeit berichteten.
Und sie bangten, dass an diesem sonnigen Frühjahrsmorgen der schon so lange tobende Krieg nicht doch noch einen Weg in ihre kleine Gemeinschaft finden würde.
Schon sahen sie den Reiter, der in rasendem Galopp seinen Weg aus dem Wäldchen hinaus auf die Dorfstraße fand und eilends den am Dorfrand versammelten Feldarbeitern und ihrem Bauern zustrebte. Wild gestikulierend und rufend näherte sich der Reiter an.
Staub wallte auf, als er das heranpreschende Pferd kurz vor der Gruppe zügelte.
»Bist du vom Teufel besessen, Hinz?«, rief Mittelbauer seinen Knecht an, wobei seine ergrauten nackenlangen Haare flogen, als er ihm entgegentrat und in die Zügel griff. »Du willst wohl das Pferd zu Schanden reiten.«
Noch immer atemlos von seinem wilden Ritt, keuchte der Angesprochene: »Nein, Bauer … Das ist es nicht!«, holte er tief Luft und rief: »Hört mir zu! – Alle! – Und sagt es weiter.« Dann sprang er aus dem Sattel des schnaubenden Pferdes, während er in hastigen Worten von einem wilden Reitertrupp berichtete, der sich in unmittelbarer Nähe befand und sicher sehr bald in das Dorf einfallen würde.
Die einfachen Leute drehten ihre Köpfe unruhig dem dichten Wald zu. Sie murmelten. Stimmen wurden laut. Bestürmten ihn und den grauhaarigen Mittelbauer mit Fragen und redeten wirr durcheinander.
»Eine schreckliche Nachricht!«, bestätigte der blonde Reiter den herandrängenden Dörflern. Sein rotes, von Schweiß getränktes Wams klebte ihm am Leib. Er wirkte müde, doch er berichtete unverwandt weiter. »Soldaten sind es. Und auf dem Wege zu uns. – Es sollen Schweden sein! – Sie plündern und brandschatzen alles, was ihre Wege kreuzt!«
Angst beherrschte schon bald die schlichten Gemüter. »Was sollen wir tun?«, rief einer der Männer. »Noch heute kommen sie gewiss nach hier!«
Ein anderer unterbrach ihn: »Das ist schlimm. Wir sind alle verloren, wenn wir hier bleiben.«
Und eine Frau in der groben Tracht einer Magd übertönte alle mit schriller Stimme: »Flüchten müssen wir! Je eher, desto besser!«
»Ruhe, Leute!«, brachte Mittelbauer die aufgeregte Gemeinschaft lautstark zum Schweigen. »So kommen wir nicht weiter.« Beruhigend legte er einem alten Knecht die Hand auf die Schulter, der von Sorge erfüllt an ihn herangetreten war und ängstlich zu ihm aufblickte. »Natürlich können wir nicht hier bleiben.« In einer unbewussten Geste strich er sich durch den langen Kinnbart. »Diese Räuber würden uns zu Tode quälen.« Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Besorgte, fragende, hoffnungsvolle Blicke waren es. Sie alle wollten wissen, was sie nun tun sollten. Mit einem Mal spürte er die ganze Last seiner Verantwortung, da er sich plötzlich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller wusste. »Wir müssen uns in den Wäldern verbergen, bis die Gefahr vorüber ist«, entschied er. »Schnell, lauft zu den anderen Gehöften und berichtet, was uns bevorsteht.« Mittelbauer überlegte noch weitere Schritte und gab sie seinen Leuten weiter. »Sie sollen alles zur Flucht vorbereiten. Auf der Dorfstraße versammeln wir uns. Gegen Mittag fahren wir los.«
Weiterhin starrten die einfachen Leute ohne Regung aus aufgerissenen Augen und mit offenen Mündern auf ihren Herrn. Sie hatten noch immer nicht erfasst, was da über sie hereinbrach. Mit strenger Stimme rüttelte er sie wach: »Es ist also keine Zeit mehr zu verlieren.«
Eilends huschte das Gesinde davon. Die Mägde verschwanden in den Gebäuden, während seine Knechte Richtung Viehweide unterwegs waren, und ein paar wenige strebten den nahe gelegenen Bauernhöfen zu, diese zu warnen und zur Flucht zu ermahnen, wie ihnen der Mittelbauer geheißen.
Als sich Hinz ebenfalls zum Gehen wandte, hielt ihn der Mittelbauer am Arm zurück. »Und du reitest hinaus zum Arandhof, Hinz«, sagte er und deutete mit ausgestrecktem Finger den bewaldeten Hügel hinauf, hinter dem der Hof von Bertold Arand lag, und gab dem Knecht nachdrücklich zu verstehen: »Sage dem Bauern, wie die Dinge stehen.« Und während er beobachtete, wie Hinz in den Sattel stieg, ergänzte er: »Hoffentlich ist Bertold klug genug, mit uns zu gehen. – Sein Dickschädel ist ja bekannt.« Den letzten Satz murmelte er nur noch – mehr zu sich selbst, als dass er für andere bestimmt gewesen wäre. Aber er war längst allein und Hinz ohnehin schon in die gewiesene Richtung unterwegs.
Noch einen kurzen Moment sah Mittelbauer seinem Knecht hinterher. Tja, nun kommt der Krieg auch zu uns, und wir müssen fort. Nachdenklich verlor sich sein Blick in der Ferne, wohin der Reiter verschwunden war. Aber eine Flucht ist klüger, als nutzloser Widerstand gegen grausames Gesindel, beruhigte er sich und ballte gedankenverloren die Fäuste. Dann wandte er sich abrupt um und strebte seinem Hof zu. Es gab noch viel zu erledigen, und die Zeit drängte.
*
Über weitläufige Wiesen und an frisch bestellten Äckern vorbei, strebte Hinz seinem Ziel zu. Der Arandhof war ein stattliches Anwesen, an einem sanft ansteigenden Hügel gelegen. Sein Weg führte ihn zwischen Baumreihen hindurch, die bald, von dichtem Buschwerk abgelöst, den Blick auf das Gehöft freigaben.
Bertold Arand unterbrach seine Arbeit, als er den Reiter näher kommen sah. Na, das ist doch der Hinz, dachte er, als er den Knecht erkannte. Was mag er wollen?, überlegte er weiter, wobei er, auf seinen Rechen gestützt, den Ankommenden erwartete. Hat’s ja mächtig eilig … Was Gutes wird’s wohl nicht sein.
Hinz hob seinen rechten Arm zum Gruß, während er das Pferd langsam auf den Bauern zutraben ließ. »Bauer Bertold – die Schweden kommen«, erfüllte er sogleich seinen Auftrag. »Wir müssen flüchten«, gab er zu verstehen und hielt sein Pferd vor dem breitschultrigen Mann an. »Der Mittelbauer hat’s gesagt. Es geht in die Wälder, bis die Luft wieder rein ist.«
»So, jetzt kommen die Lumpen auch zu uns!« In seinem kantigen Gesicht arbeitete es. »Na, wir können’s nicht ändern«, fuhr er mit grimmiger Miene fort, »aber ich denke, wenn wir alle zusammenstehen, könnten wir uns wohl wehren.«
»Es sind zu viele, Bauer Bertold«, entgegnete der Knecht, er hatte Mühe, sein Reittier ruhig zu halten, spürte es doch die Spannung, die zwischen den Männern entstand. »Ein halbes Regiment, schwer bewaffnet! Was sollen wir da ausrichten?«
Bertolds Kiefer mahlten, dass sein Oberlippenbart in Bewegung geriet, während er überlegte, was zu tun war. »Gut, Hinz«, sagte er schließlich, »meine Frau, die Kinder und das Gesinde sollen mit euch in die Wälder flüchten«, und fügte entschlossen hinzu: »Aber ich bleibe hier!«
Erstaunt über den heftigen Ausbruch des Bauern starrte der einfache Knecht auf den Mann vor sich herab. Er wusste nicht, wie er die Entscheidung des Bauern wenden konnte, zumal er dessen Beweggründe nicht verstand.
»Überlegt’s Euch, Bertold«, wagte der Knecht einen zaghaften Versuch, »ich tät’s nicht.« Doch als er den harten Ausdruck in den Augen des anderen sah, wurde ihm klar, dass er nicht umzustimmen war.
»Da gibt’s nichts zu überlegen!«, bekräftigte Bertold noch einmal und ballte die Linke zur Faust. »Meinen Hof verlass’ ich nicht wegen einer Horde hergelaufener Strolche!«
Mit einem wortlosen Gruß verabschiedete er den Knecht des Mittelbauern, der sich sogleich in starkem Galopp anschickte, zum Hof seines Herrn zurückzukehren.
Der Hufschlag war kaum verklungen, als der Arandbauer kurz darauf seine Leute zusammenrief und ihnen berichtete. Erschreckt lauschten sie seinen Worten. Dann machten sie sich daran, seine Anweisungen zu befolgen und alles für eine Flucht zu richten. Das Wenige, was sie besaßen, vor allem aber das Vieh und die Vorräte, sollten den Plünderern nicht in die Hände fallen.
*
Gegen Mittag war der Planwagen mit allen Habseligkeiten bepackt und das Vieh von der Weide geholt und zusammengetrieben.
»Also, ihr wisst Bescheid«, richtete Bertold das Wort an seine Familie. »Jörg fährt den Wagen mit Mutter und den Mädels«, dabei sah er seinem Sohn fest in die Augen. Der Junge war fast schon so groß wie sein Vater und, bedingt durch die harte Arbeit auf dem Hof, bereits ebenso breit in den Schultern, um, in Kraft und Ausdauer, einen Vergleich mit dem Bauern nicht scheuen zu müssen. »Karl und Hilde treiben das Vieh nach.« Er machte eine kleine Pause und sah in das sorgenvolle Gesicht seiner Ehefrau. Er sah den Schimmer in ihren Augen, ein stummes Flehen. »Ich bleibe hier!«, reagierte er auf ihre unausgesprochene Hoffnung und unterstrich damit, dass er gewillt war, an seiner Entscheidung festzuhalten.
»Sei vernünftig, Bertold«, setzte sie zu einer Erwiderung an. »Es ist besser, wenn du mit uns gehst.« Dabei legte sie zärtlich ihre Hände auf seine Schultern und zog ihn etwas näher an sich heran. »Gegen die Söldnerhorde kannst du allein nichts machen.«
»Ach was«, sagte er leichthin, doch sie spürte, wie sich die Muskeln unter ihren Händen spannten. »Es bleibt so, wie ich es gesagt habe. Ich kann meinen Hof nicht alleine lassen!« Damit nahm er sie kurz in den Arm und schob sie sanft, aber bestimmt von sich, als er merkte, dass sie ihn nicht loslassen wollte. »Also – macht’s gut. Wir sehen uns ja bald wieder.«
Seufzend drehte sie sich von ihm weg und trat auf die beiden Mädchen zu. Sie nahm beide rechts und links in die Arme und ging langsam auf den vollbepackten Planwagen zu. Nachdem sie den Mädchen auf den Kutschbock geholfen hatte und diese weinend unter die Plane dahinter gekrochen waren, blickte sie kurz zurück.
Mit schwerem Herzen beobachtete die Bäuerin, wie sich Vater und Sohn verabschiedeten. Trotz seiner kaum fünfzehn Lenze war er bereits das junge Ebenbild seines Vaters. Wie die beiden sich doch ähnelten. Bis auf den fehlenden, kurz gestutzten Oberlippenbart glich Jörgs kantiges Gesicht dem ihres Ehemannes. Nur sein kräftiges Blondhaar war nicht in weichen Wellen zurückgekämmt, sondern fiel ihm störrisch vor die glatte Stirne.
Sie schienen miteinander zu ringen, denn die Bäuerin beobachtete, wie der Junge plötzlich niedergeschlagen den Kopf neigte. Dann eilte Jörg dem Wagen zu, wischte sich mit dem Ärmel kurz über das Gesicht, stieg auf den Bock und setzte sich neben seine Mutter, ihr die Zügel aus den Händen nehmend.
Die Peitsche knallte, und der kleine Tross setzte sich in Bewegung. Wenig später war Bertold Arand allein auf seinem Hof.
*
Niedergeschlagen verließen die Bauern mit ihren Familien und dem Gesinde ihr geliebtes Heimatdorf.
Nur die Geräusche der mahlenden Wagenräder in den tiefen Wegfurchen und die Schreie der in dem Treck mitgeführten Tiere durchbrachen die Stille der Wälder, die sie durchquerten. Hin und wieder hallte der Ruf eines der Treiber über weitläufige Wiesenflächen oder Lichtungen hinweg. Doch ansonsten waren die Stimmen der Fliehenden verstummt. Das anfängliche, lautstarke Treiben derer, die sich dem Wagenzug in Kustrow angeschlossen und darin eingereiht hatten, war leisen Unterhaltungen gewichen. Doch auch diese Gespräche verstummten allmählich.
Seit Stunden bahnten sich die Planwagen der Flüchtenden ihren Weg durch die dichten Wälder, die so lange Zeit, wie ein undurchdringlicher Wall, ihre kleine Welt vor den Schrecken des Krieges bewahrt hatten.
Die Sonne stand schon tief, als Mittelbauer, der mit Hinz gemeinsam den Weg voraus erkundet hatte, den Flüchtlingszug zu einer großen Lichtung führte. Sie war von dicht stehenden Laubbäumen umringt und bot Platz genug, alle Wagen und die mitgeführten Tiere zu beherbergen.
»Hier bleiben wir!«, rief er mit lauter Stimme und deutete mit ausladender Geste in das weitläufige Rund. »Ich glaube kaum, dass das Mörderpack uns in diesem Versteck findet.«
Er wies den Kutscher des ersten Planwagens an, zum Ende der Lichtung zu fahren. »Such einen Lagerplatz!«, forderte er ihn auf und begann, die Nachfolgenden einzuweisen, eine Wagenburg zu formen.
Geschäftig packten die Knechte an, sie wussten, was zu tun war. Sie schirrten die Tiere aus oder bauten einfache Begrenzungen, um ein Ausbrechen des Viehs zu verhindern. Die halbwüchsigen Burschen und Mädchen unterstützten sie tatkräftig dabei, während die kleineren Kinder zwischen dicken Stämmen umherstreiften, um Holz zu sammeln für die Lagerfeuer in der Nacht. Bäuerinnen und Mägde schleppten gleichsam, ohne Unterschied, all die Dinge herbei, die für das Richten einer gemeinsamen Mahlzeit notwendig waren.
Der Mittelbauer beobachtete, wie sich die kleine Dorfgemeinschaft organisierte. Sprach hier mit einem Bauern, dort mit einer Magd. Tröstete einen kleinen Jungen, der seine Schwester in dem Gedränge aus den Augen verloren hatte. Er spürte die Sorge der Menschen und ihre Niedergeschlagenheit und versuchte, sie mit zuversichtlichen Worten ein wenig aufzumuntern.
Er hatte die Verantwortung für den Flüchtlingszug übernommen, so musste er sich dieser auch stellen.
Einige der Bauern waren an ihn herangetreten, als das Lager grob gerichtet war, und wollten wissen, wie es denn weitergehen sollte.
»Für ein paar Tage werden wir es hier schon aushalten«, antwortete der Mittelbauer schlicht und erklärte ihnen, wobei sie ihn unterstützen konnten und welche Aufgaben in der Zeit ihres Aufenthalts zu erledigen wären.
Noch kurz lauschte die Arandbäuerin seinen Ausführungen, dann kehrte sie rasch zu ihrem Wagen zurück. Die Sorge um den auf dem Hof verbliebenen Mann trieb sie um. Nachdem sie die Mädchen gerichtet hatte und sich bei Hilde und Karl überzeugte, dass das Vieh versorgt war, trat sie an Jörg heran und nahm ihn beiseite.
»Hör zu, Jörg«, sagte sie leise, »ich mache mir große Sorgen um Vater.« Tränen traten in ihre Augen. »Vielleicht kannst du noch einmal zum Hof laufen und ihn bitten, doch noch nachzukommen.«
Jörgs Gedanken weilten schon während der gesamten Fahrt dort. Auch jetzt, als das notdürftige Lager herzurichten war, was seine ganze Aufmerksamkeit forderte, waren die Gedanken bei seinem Vater. Und er war froh, dass die Bitte der Mutter seinen größten Wunsch angesprochen hatte.
»Sicher, Mutter«, antwortete er, erleichtert darüber, von ihr den Auftrag erhalten zu haben. Er hätte sich sonst nicht einen Schritt von dem Treck entfernt, hatte ihm doch sein Vater die Verantwortung für die Familie übertragen. »Dann ist es das Beste, wenn ich mich beeile, um noch vor Abend dort zu sein.« Das zustimmende Nicken der Mutter sah er schon nicht mehr. Geräuschlos huschte er durch das Dickicht und verschwand sehr schnell zwischen den Bäumen. Als er sicher sein konnte, dass niemand sein Verschwinden bemerkt hatte, begann er zu rennen.
*
Es war später Nachmittag, als das Regiment in das Dorf einfiel. Wie es hieß, war ihnen gleichgültig. Ebenso, wie das Schicksal seiner Bewohner, die sehr bald ihre Macht zu spüren bekämen. Aber damit, dass das ganze Dorf verlassen war, hatten sie nicht gerechnet. Schon bald, nachdem sie in Horden durch die kleinen Gassen gestürmt und alles, was ihnen in die Quere kam, zertrümmert hatten, immer auf der Suche, doch noch jemanden oder irgendetwas zu finden, an dem sie ihre brutale Gier ausleben konnten, brachen sie in wilder Zerstörungswut in die verschlossenen Häuser ein. Sie zerrten heraus, was nur irgend beweglich war und woran sie sich austoben konnten. Und wenn sie genug davon hatten, warfen sie ihre Fackeln in die einst so gemütlich eingerichteten Zimmer. Bald hatten sie fast jedes der Fachwerkhäuser in Brand gesteckt.
In vielen Teilen des Dorfes loderten Feuer aus den Gebäuden. Gänzlich unbeeindruckt von der sinnlosen Zerstörung, verfolgten der Obrist und sein Feldwebel das Treiben ihrer Männer. Ganz in ihrer Nähe war einer der Landsknechte torkelnd vor eine Schenke getreten.
»Kommt, Brüder«, schrie er undeutlich, »hier hab’ ich einen guten Tropfen gefunden.« Schon eilte ein Kamerad herbei und riss ihm die bauchige Flasche aus der Hand.
Der Obrist drehte seinem Untergebenen das Gesicht zu. Er deutete hämisch in Richtung der grölenden und tobenden Söldner. »Seht Ihr, Feldwebel«, sagte er, wobei die nach oben gezwirbelten Spitzen seines dünnen Oberlippenbartes das diabolische Grinsen zusätzlich unterstrichen, »die Kerls sind wieder einmal in ihrem Element.« Noch einmal erfreute er sich an den schrecklichen Szenen. Nichts in seinen Zügen ließ in irgendeiner Form Teilnahme erkennen. Selbst die Schlägereien zwischen den Söldnern um das eine oder andere Beutestück ließen ihn kalt. »Aber ich denke, wir suchen uns lieber eine ruhigere Unterkunft«, gab er dem Feldwebel zu verstehen und schenkte dem Geschehen keine weitere Beachtung.
Vertraulich trat er an die Seite des Feldwebels. Er neigte seinen Kopf in dessen Richtung, bis die breite Krempe seines Schlapphutes den eisernen Morion des anderen fast berührte. »Dort oben liegt noch ein Bauernhof«, er deutete über qualmende Ruinen hinweg, »dem wollen wir einen Besuch abstatten«, und lachte dabei in böser Vorfreude. »Kommt!«
Hinter dem tiefschwarzen Kinnbart verzogen sich die schmalen Lippen des Angesprochenen zu einem hinterhältigen Lächeln.
»Fünf Mann kommen mit!«, befehlsgewohnt verlangte der Obrist eine Eskorte, wobei er seinem Gegenüber erklärend zuraunte: »Man kann nie wissen, ob die Bauernbande nicht irgendwo lauert.«
Wenig später hatte der Feldwebel fünf Raufbolde um sich geschart. Nun ritten sie gemeinsam hinter dem Obristen her, den Hügel hinauf. »Vorwärts, Leute!«, drängte der Obrist seine Gefolgschaft zur Eile.
In schnellem Galopp jagten sie einer weiteren Anhöhe zu. Hinter ihnen bot das brennende Dorf ein Bild der Verwüstung. Es kümmerte sie nicht. Nur ein weiteres Kaff mehr auf ihrem Feldzug nach Süden.
*
Der Hofhund schlug an. Sein feines Gehör hatte schon früh das Donnern der Hufe vernommen.
Bertold Arand trat vor die Türe des stattlichen Haupthauses. »Still, Hasso!« Auf sein kurzes Kommando hin verstummte der alte Hirtenhund und verkroch sich in seine Hütte.
Mit vor der Brust verschränkten Armen blickte der Bauer aufmerksam dem heranreitenden Trupp entgegen. Da kommen sie. Sieben Mann, überlegte er grimmig, sogar ein Obrist ist mit dabei. Suchen wohl was Besonderes hier, die verfluchten Räuber.
Äußerlich wirkte Bertold gelassen, doch in seinem Innern tobte ein bitterer Zorn, sah er doch dicke Rauchwolken hinter dem schützenden Wäldchen in die beginnende Dämmerung steigen. Er wusste, dass in der Senke dahinter das Dorf Krustow lag.
Schon waren die Reiter heran. Während seine Begleiter in eine langsamere Gangart verfielen, kam der Obrist scharf angeritten. Bertold Arand, bereit, zur Seite zu springen, blieb jedoch, ohne sich zu regen, einfach stehen. Der fein gekleidete Anführer der Meute musste das Pferd heftig an die Kandare nehmen, sodass es kurz auf die Hinterhand stieg. Überrascht davon, den Bauern nicht zurückweichen zu sehen, hatte er kurz alle Hände voll zu tun, das Tier wieder zur Ruhe zu bringen.
»Sieh an«, schrie der Obrist wütend, »einer ist wenigstens hier geblieben, um uns zu empfangen.« Verärgert darüber, dass die Demonstration seiner Überlegenheit keine Wirkung zeigte, rief er: »Aus dem Weg, Bauer.« Er hieß seine Söldner, abzusitzen, blieb aber selbst weiter im Sattel.
Scheinbar unbeeindruckt von den Bewaffneten, die nun näher kamen, richtete der Bauer das Wort an den Obristen. »Kommt herein«, und wies mit einer Geste der offen stehenden Türe zu, »ich verwehre es Euch nicht. Aber benehmt Euch wie anständige Menschen.«
Und während die Soldaten hinter dem Feldwebel in das Haus hineinpolterten, beobachtete Bertold Arand mit ruhigem Blick, wie der Obrist langsam aus dem Sattel stieg. Sein Glockenpanzer, der die Arme frei ließ, aber den gesamten Oberköper einschloss, glänzte im abendlichen Licht. Um seine Hüfte trug er einen Gurt, in dem zwei Schusswaffen gekreuzt vor seinem gepanzerten Bauch steckten. An seiner linken Seite hing lose ein Degen, dessen Hülle bei jedem Schritt gegen Bein und Stiefel schlug.
Ungeduldig schob er den Bauern vor sich her. Als Bertold mit ihm in die geräumige Wohnstube eintrat, hatte der Feldwebel bereits das Kommando übernommen. »So, Leute, macht’s euch bequem«, richtete er sich an die Söldner. »Zündet ein Feuer an. Der Obrist ist hungrig und durstig.«
Die Männer begannen, wie ihnen geheißen. Einer schichtete Holz in den Kamin, ein weiterer verschwand, auf einen Wink des Obristen hin, in einem der Nebenräume, während andere ein paar Stühle zurechtrückten. »Und du, Bauer«, gab er Bertold in abfälligem Ton Anweisung, »bringst uns Speise und Trank«, der sogleich eine unmissverständliche Warnung folgte: »Aber sei nicht geizig, sonst geht’s dir schlecht, alter Halunke!«
Bertold Arand wich dem stechenden Blick der kalten Augen des Feldwebels nicht aus. »Ihr bekommt, was Ihr braucht«, entgegnete der Bauer in mühsam unterdrücktem Zorn und hob sogleich den Finger in Richtung des Obristen, um seinen folgenden Worten Nachdruck zu verleihen, »um Euren Hunger zu stillen. Bei mir ist noch jeder satt geworden!«
Er erntete ein höhnisches Lachen als Antwort und einen zornigen Blick des Feldwebels, da er sich nicht hatte einschüchtern lassen, was sein Obrist genüsslich beobachtete.
Das Gelächter, in das die rauen Gesellen eingefallen waren, verklang erst, als der Bauer in Richtung der Küche verschwand.
*
Immer wieder war sein Blick zum Himmel gewandert. Das schwindende Licht im Osten und der dunkle Streif der Dämmerung im Westen trieben Jörg zur Eile. Inzwischen hatte der Junge sich nahe genug an den Arandhof herangeschlichen. Nun lag er auf dem Bauch, verborgen hinter dichtem Gebüsch, und beobachtete durch die Umzäunung hindurch das Treiben auf dem Hof.
Mehrere Pferde waren vor dem Haupthaus angepflockt, und lautes Geschrei trug ihm der Wind zu. Er sah Hasso, den alten Hirtenhund, der bei seinem Herrn zurückgeblieben war, und schöpfte Hoffnung, dass seinem Vater keine Gefahr drohte. Ruhig döste der Hund vor seiner Hütte, nahe des leeren Stalles.
Der Junge war verzweifelt, war er doch zu spät gekommen. Solch ein Unglück, dass ich doch nicht mehr rechtzeitig kam. Er hatte unterschätzt, wie weit sie sich mit dem Flüchtlingstreck bereits von Kustrow entfernt hatten. Traurig darüber, nicht schnell genug gewesen zu sein, lugte Jörg nachdenklich an einem der grob behauenen Holzpfosten vorbei, um besser sehen zu können. Jetzt muss ich eine günstige Gelegenheit abwarten, damit ich Vater allein sprechen kann. Sein störrischer Haarschopf fiel ihm erneut in die Stirne, und zum wiederholten Male wischte er ihn vergeblich zur Seite.
*
Das Poltern, Stampfen und Grölen, mit dem die ungebetenen Gäste sein Haus mit unerträglichem Lärmen erfüllten, wurde für den Bauern unerträglich. Er kehrte aus der Küche zurück in den Wohnraum und war entsetzt von deren Dreistigkeit.
Sie hatten inzwischen seinen Branntweinvorrat entdeckt und ließen ihn sich schmecken. »Auf dein Wohl, Bauer … in unseren Hals«, rief der Feldwebel und hielt ihm lachend einen vollen Krug hin. Ein anderer soff einen Becher leer und hielt sich dabei kaum noch auf den Beinen.
Mein guter Branntwein, bedauerte Bertold und beobachtete einen der Bewaffneten, der eine leere Flasche schwenkte und nach mehr verlangte. Die Lumpen saufen ihn wie Wasser. Sein Blick ging in die Runde und fand seine Vermutung bestätigt. Sie sind schon alle betrunken.
»Und jetzt, meine Freunde, jetzt wollen wir diesem Bauern einmal auf den Zahn fühlen«, vernahm Arand die Worte des Obristen hinter seinem Rücken.
Ahnungsvoll drehte sich der Bauer um.
Der Obrist lümmelte, kaum weniger betrunken als seine Söldner, in dem bequemen Stuhl, in dem er oft und gerne im Kreise seiner Familie gesessen und die Zeit mit ihnen genossen hatte.
»Dein Schnaps ist gut, Bauer«, sagte er mit schwerer Zunge, »aber ich glaube, dein Geld ist bestimmt noch besser.« Dabei leuchteten seine Augen in unverhohlener Gier. »Willst du uns nicht verraten, wo du deine ersparten Gulden vergraben hast?«
Die Selbstverständlichkeit, mit der der Obrist seine unverschämte Forderung gestellt hatte, verschlug Bertold die Sprache. Wie konnte er bloß annehmen, Reichtümer hier auf dem Hof zu finden?
»Sprich! – Wird’s bald?«, schrie der Obrist und richtete sich auf. Schwankend stand er vor dem Bauern, während seine Männer in gewohnter Ordnung den zutiefst verärgerten Mann ganz langsam umstellten.
»Ich dachte, Ihr wärt Soldaten und keine Wegelagerer«, stieß Bertold wütend hervor. »Damit Ihr’s wisst: Mein Geld bekommt ihr nicht!« Schon in dem Moment, als seine harsche Entgegnung in dem Raum verhallte, wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte.
»Was wagst du, du verdammter Bauernhund?«, reagierte der Obrist außer sich vor Zorn über die Beleidigung und trat dicht an Bertold Arand heran. »Ich fackele nicht lange. Entweder gibst du deine Gulden heraus – oder …« Er ließ offen, was geschehen würde.
Erst jetzt wurde dem Bauern die ganze Tragweite seines Fehlers bewusst. Wie hatte er nur so unbesonnen die Vermutung des Obristen bestätigen können? Darüber zu jammern, dazu war es zu spät.
»Ich habe Euch schon einmal gesagt: Ihr bekommt mein Geld nicht«, hielt er an seinem Vorhaben fest. »Meiner Notgroschen lasse ich mich nicht berauben!«
Von einem Moment auf den anderen schienen alle Anwesenden ernüchtert. Ihre Gesichter zeigten einerseits Erstaunen, aber auch Unglauben über die Dummheit des Bauern, sich so dreist zu widersetzen. Wie konnte er nur glauben, dass sie sich damit zufrieden geben würden?
»Habt ihr gehört?« Der Obrist hatte als Erster seine Fassung wiedergefunden. »Notgroschen!«, sagte er laut, mit verstellter Stimme, und lachte höhnisch, als er wiederholte: »Notgroschen! – Die müssen wir uns ansehen.« Und mit einem Mal polterte der Obrist los: »Packt den Kerl, Männer!«, befahl er schneidend und deutete auf den zurückweichenden Mann.
Zu spät hatte Bertold Arand bemerkt, dass die Gier der Männer größer war, als ihr Verstand.
Beutegierig stürzte sich das Gesindel auf ihn.
Der Obrist hielt sich im Hintergrund, während er dem Feldwebel und seinen Mannen dabei zusah, wie sie auf den wehrlosen Bauern eindrangen.
*
Als der Tumult losbrach, war es Jörg noch immer nicht gelungen, einen Weg zu finden, näher an das Haus heranzukommen. Er vernahm die Schreie und dumpfen Schläge. Er hörte, wie Möbel und anderes zu Bruch gingen. Das aufgeregte Bellen und Knurren des Hofhundes, der verzweifelt versuchte, der Fessel seiner Laufkette zu entkommen, mischte sich unter die Geräusche eines heftigen Kampfes im Innern des Hauses.
Die Söldner hatten die Bärenkräfte des Bauern unterschätzt. Trotz ihrer Überzahl war es den Männern bislang nicht gelungen, Bertold Arand festzusetzen. Außer blauen Flecken und blutenden Nasen hatten sie bislang nichts gewonnen.
Auf Befehl des Obristen stürzten sich die Söldner ein ums andere Mal auf Bertold, der sich aus Leibeskräften tapfer ihrer Angriffe erwehrte. Selbst der kampferprobte Feldwebel ging unter einem der heftigen Faustschläge zu Boden und verlor dabei seinen schmucklosen Helm.
»Da – nehmt das!«, brach es keuchend über Bertolds Lippen und er schlug einen weiteren der Widersacher, die ihn zu berauben gedachten, nieder. »Ihr glaubt wohl, ich könnte mich nicht gegen solch hergelaufene Strolche wehren? Hütet euch.« Wütend starrte er auf die am Boden Liegenden hinab. Doch schon drängten von hinten drei weitere Angreifer heran. Bertold griff nach einem abgebrochenen Stuhlbein, das vor ihm lag, wirbelte herum und drosch nach dem in seinem Rücken herandrängenden Gesindel.
»Ha, dieses elende Bauernpack«, mischte sich da der Obrist ein, der bislang den Kämpfenden, ohne einzugreifen, zugesehen hatte. »Du erdreistest dich, meinen Soldaten Widerstand zu leisten?!«, brüllte er über den Lärm der Kämpfenden hinweg, stand auf und zog eine der beiden Pistolen aus seinem Gürtelholster. »Das sollst du büßen, du Hund!«, trat er auf Bertold zu und drohte ihm mit der Waffe. Die Drohung wirkte augenblicklich. Der Arandbauer leistete keinen Widerstand mehr. Er ließ die Hände sinken und gab auf.
Schwer atmend stand er vor dem Obristen, der den Hahn der Schusswaffe spannte und gegen seine Brust richtete. »Seht ihr«, brüstete er sich vor seinen Männern, »vor meiner Pistole hat er Respekt.« Überheblich blickte er in die Runde. »Jetzt zeigt dem Kerl, wer hier die Macht hat.« Mit hämischem Grinsen baute sich ein Söldner vor Bertold auf und packte den Wehrlosen grob an der Verschnürung seines einfachen Wamses. »Bringt ihn vors Haus und zündet ein Feuer an«, ergänzte er unwirsch.
Mit einem Schlag wurde dem Bauern bewusst, was ihm nun von dem ehrlosen Pack drohte. Mit einem letzten verzweifelten Versuch gelang es ihm, sich von seinem Wächter zu lösen. Doch nur für einen kurzen Moment. Denn sowohl der Feldwebel, als auch die anderen Söldner schienen mit einer neuerlichen Gegenwehr gerechnet zu haben. Gemeinsam sprangen sie herbei, packten den Überraschten an den Oberarmen, stießen ihm gleichzeitig die Beine unter dem Körper weg und rissen ihn zu Boden. Schmerzhaft landete Bertold Arand auf dem Rücken. Sein Kopf machte unsanft Bekanntschaft mit dem harten Holzboden, dass er kurzzeitig die Orientierung verlor.
Durch das Rauschen in seinen Ohren vernahm er dumpf die johlende Forderung: »Der Bauernhund soll auf der Tonne reiten. – Das gibt einen Spaß.«
Nur langsam gewahrte Bertold, dass man ihm innerhalb kürzester Zeit die Arme auf den Rücken gebunden hatte. Grobe Hände zogen ihn hoch und führten ihn nach draußen.
»Gleich werden wir wissen, wo er sein Geld versteckt hat«, sagte der Obrist und lachte hässlich in Erwartung des Kommenden. Gemächlich folgte er dem Gefangenen, den seine Männer fest im Griff behielten.
Vor dem Haus loderte bereits ein Feuer. Der Bauer stemmte beide Beine in den Boden. Er lehnte sich mit aller Kraft gegen den Druck seiner Häscher. So schlugen die Söldner auf ihn ein und schleiften ihn einfach dorthin, wo sie ihn haben wollten. »Jetzt haben wir dich«, brüllte einer Bertold laut ins Ohr, wobei er ihn am Kragen packte, um so dem Feldwebel zu helfen, den sich Sträubenden zu bändigen, »und wir bringen dich zum Sprechen, verlass’ dich drauf! Die Engel sollst du im Himmel singen hören!«
»Was wollt ihr tun, ihr Lumpen?«, begehrte Bertold noch einmal auf. »Oh, ihr seid keine Soldaten. Nein, ehrloses Raubzeug – schämen sollt ihr euch!«
Sie lachten nur und zerrten ihn weiter voran.
Gefühlsstumpfe Söldner waren es. Sie hatten Spaß daran, sich an Wehrlosen zu vergreifen. Bertold Arand las es in ihren Gesichtern. Ihr Handwerk war der Tod. Hauen und Stechen war das, was sie beherrschten. In ihrer Abgestumpftheit kannten sie nichts anderes mehr.
»Vorwärts, Leute«, forderte der Obrist. »Bindet ihn auf die Tonne. Und dann … dann soll mein Messer sprechen.«
*
Der Mond stand bereits hoch am Himmel, als Jörg mit Entsetzen aus seinem Versteck heraus das Geschehen um seinen Vater beobachtete. Unfähig, einzugreifen, verfolgte der Junge, wie sein Vater über den Hof gezerrt wurde. Schon begann Hasso, aufgeregt zu bellen. Er wollte seinen Herrn schützen. Er jaulte, knurrte und bellte unablässig, warf sich immer wieder gegen die Kette, die ihn ein ums andere Mal zurückriss und davon abhielt, seinem Herrn zu Hilfe zu eilen. Was dann mit seinem Vater geschah, konnte Jörg nicht mehr sehen. Trotz des Vollmondes und dem flackernden Feuer. Die Männer versperrten ihm die Sicht darauf.
Doch nun konnte er zwischen den Beinen der Soldaten hindurch seinen Vater erkennen, wie er, verkrümmt auf ein Fass gebunden, in direkter Nähe des Feuers lag. Dann drängte sich die johlende Bande wieder um ihn, sodass der verzweifelte Junge nichts mehr sehen konnte, aber zu seiner Bestürzung mit anhören musste, was geschah.
Sein Herz schlug so heftig, als wollte es aus seiner Brust springen. »Diese Teufel«, stöhnte er halblaut vor sich hin, »sie foltern meinen Vater.« Angst um den Vater und Entsetzen, nicht zu wissen, was seinem Vater widerfuhr, zeichneten sein noch junges Gesicht, gruben Spuren der Verzweiflung hinein. »Hätte ich doch bloß eine Pistole, dann würde ich’s dem verfluchten Pack schon zeigen.«
Zum wiederholten Male hörte er die Schmerzensschreie seines Vaters. Und wieder vernahm er ein lang gezogenes Stöhnen, verbunden mit einem gepeinigten Aufschrei: »Das ist nicht auszuhalten!« Erbarmungswürdige Worte, die von unbarmherziger Folter zeugten und in einem weiteren Schrei mündeten, bis dieser, schwächer werdend, in einem Seufzen endete.
Das ist zu viel. Ich kann das nicht mehr mit ansehen, dachte Jörg verzweifelt. Innerlich zerrissen, wandte er sich ab. Er weinte. Verzweiflung, Wut und Ohnmacht trieben ihm die Tränen in die Augen. Was kann ich tun? Was soll ich tun? – Ich muss was tun! Und er fasste einen Entschluss: Besser, ich verrate den Kerlen das Versteck unseres Geldes, als dass sie Vater noch länger quälen.
Schon sprang er über den Zaun und hetzte durch hohes Gras dem Folterplatz zu. »Haltet ein«, rief er schon aus der Ferne, »hört auf mit eurem schändlichen Tun! Ich will euch geben, was ihr wollt.«
Verdutzt blickten die Söldner dem Herannahenden entgegen. »Lasst ab von dem Bauern, Männer«, befahl der Obrist, der schon nicht mehr daran geglaubt hatte, an das Geld des Bauern zu kommen. Trotz all der Schmerzen, die ihr Gefangener hatte erdulden müssen, hatte dieser standhaft geschwiegen.
Er richtete das Wort an den Jungen, der bis auf ein paar Schritte an sie herangetreten war. Nur zu deutlich war dem Jungen anzusehen, was sich in seinem Kopf abspielte. An ihm vorbei und zwischen den Männern hindurch starrte er auf den geschundenen Oberkörper seines Vaters.
»Wer bist du, Junge?«, sprach er den Fassungslosen an und forderte dessen Aufmerksamkeit. »Und wo kommst du so plötzlich her?«
Ganz langsam löste Jörg den Blick von seinem Vater, der ohne Regung keine zehn Schritte hinter den Söldnern lag. Nur ein leichtes Heben und Senken des Brustkorbs zeigte Jörg an, dass noch Leben in ihm war.
Er hob den Kopf und sah dem Obristen lange in die Augen. Sein Blick streifte kurz über die Klinge des Dolches, Werkzeug der Folter seines Vaters, und nun gegen ihn gerichtet. Dann beantwortete er die Frage. »Ich bin Jörg. Der Bauer ist mein Vater«, sagte er stolz erhobenen Hauptes. Er holte tief Luft, und plötzlich zeichnete sein Gesicht eine Härte, die man noch vor einem Tag in den jungenhaften Zügen nie zu finden vermutet hätte. »Ehe ihr ihn noch länger quält, sollt ihr unser erspartes Geld haben. Ich kenne das Versteck.«
Die Lippen des Obristen verzogen sich zu einem überheblichen Grinsen, und er lachte. Eine Regung, die kaum dazu geeignet war, seine Verschlagenheit zu verbergen, als er sagte: »Du bist ein guter Junge, Jörg«, gab er sich großzügig und senkte erst jetzt den immer noch erhobenen Dolch. »Willst also deinem Vater helfen. Gut. – Hol das Geld, dann lassen wir den Bauern gehen.«
Sofort und ohne weiter über das allzu rasche Einverständnis nachzudenken, hetzte Jörg dem Stallgebäude zu.
»Aber beeil’ dich, Junge, bevor ich anderen Sinnes werde!«, brüllte er dem Davoneilenden als Warnung hinterher, deren boshafter Inhalt der Erheiterung seiner Männer diente. Diese verfolgten aufmerksam, wie Jörg an der Stalltüre rüttelte, sie hastig aufriss und in der Scheune verschwand.
Unbeachtet von seinen Peinigern, die nun gespannt ihre Beute erwarteten, erwachte der Gefolterte aus seiner Bewusstlosigkeit. Er regte sich nur schwach unter der brutalen Fessel.
Jörg betrat den Stall. Dunkelheit umfing ihn. Hoffentlich finde ich es gleich, und dachte angsterfüllt, der Obrist könnte schon bald seine Warnung in die Tat umsetzen, sollte er versagen.
Langsam gewöhnten sich seine Augen an das Dämmerlicht. Wohl kannte er jeden Winkel des Gebäudes, doch es herrschte Unordnung hier, ein Durcheinander, das der eiligen Flucht geschuldet war. Achtlos liegen gelassene Gerätschaften behinderten seine Suche. Stroh musste zur Seite geschoben werden. Hier muss doch der Geldtopf sein!, versuchte er die Konturen des Verstecks zu erahnen, denn auch das durch das offene Tor spärlich einfallende, flackernde Licht des niederbrennenden Feuers war nicht hilfreich, die Stelle gleich zu finden. Dann hatte er einen der Anhaltspunkte entdeckt, nach denen er gesucht hatte. Mit hastigen Bewegungen durchwühlte er den Strohhaufen, unter dem er das Versteck vermutete, und tastete mit zitternden Fingern über den festgestampften Boden.
Endlich fand er den kleinen, eisernen Ring. Ja!, jubelte er, hier ist er!, und zog heftig daran, griff in die kleine Ausschachtung und hob den verschlossenen Behälter heraus. Gott sei Dank! Er war erleichtert. Jetzt nur schnell wieder hinaus!
»Hier«, rief er rasch, als er aus der Scheune trat, und hob den Topf in die Höhe, »da habt ihr, was ihr begehrt. Nun lasst meinen Vater in Ruh’!«
Mit langsamen Schritten trat er auf die gierige Meute zu. Die Blicke der Söldner und des Obristen sprachen von einer Eindeutigkeit, die Jörg zweifeln ließ an der Redlichkeit des Versprechens.
Umringt von der rauen Bande, übergab er den versiegelten Topf. Stolz, mit energisch vorgestrecktem Kinn, wartete Jörg stumm auf die Reaktion des Obristen. In die angespannte Stille, die entstanden war, sagte der Anführer der Bande: »Gut, du hast Wort gehalten. Jetzt halte ich auch meins!« Obwohl an jungen Jahren, erkannte Jörg, dass der Obrist andere Ziele verfolgte. »Bindet den Kerl los«, wies er die Söldner an, »und lasst ihn gehen.«
Jörg eilte sogleich zu seinem Vater hin und richtete den geschwächten Mann auf. »Komm, Vater«, sagte er und hob ihn auf die Beine, »ich helfe dir. Stütz’ dich auf meine Schulter.« Sie zwängten sich zwischen den Söldnern hindurch, die das Geschehen ungerührt verfolgten. Es schien Jörg fast, als warteten sie nur auf einen anders lautenden Befehl ihres Obristen, der die Meute auf sie loshetzte. Doch der blieb aus. Stattdessen scharte er die Kerle um sich und hob die Beute triumphierend hoch über seinen Kopf.
Bertold Arands Beine knickten immer wieder unter ihm weg, sodass sein Sohn alle Mühe hatte, ihn aufrecht zu halten. »Wir müssen fort, so schnell es geht«, beschwor Jörg seinen Vater flüsternd. Noch waren sie nicht weit genug von der Bande entfernt. »Im Wald sind wir sicherer.«
Keuchend vor Anstrengung und schwer atmend gelangten sie zu den letzten Gebäuden des Bauernhofes. »Du hast recht, Jörg«, richtete der von Folter gezeichnete Mann das Wort an seinen Sohn. »Diese Teufel sind zu allem fähig – das hätte ich nie geglaubt.« Er hielt an, um zu verschnaufen. »Aber ich muss noch ein wenig ruhen«, sagte er schwerfällig, »ich habe furchtbare Schmerzen.«
Jörg sah es überdeutlich in dem eingefallenen Gesicht seines Vaters geschrieben, und doch durfte er nicht nachgeben. »Nein, Vater«, antwortete er bestimmt und schlang seinen Arm stützend um dessen Hüfte, »Bitte komm’, jetzt gleich. Du musst es versuchen! Jeden Augenblick können diese Banditen wieder über uns herfallen.«
Sein Vater stöhnte gequält auf, als der Junge seinen Arm nahm und über die Schulter legte, während er mit dem anderen die Hüfte weiter fest im Griff behielt.
»Gut, Jörg«, sagte Bertold und tat stöhnend einen weiteren Schritt, »ich versuche es. – Aber meine Schmerzen, sie sind so furchtbar.«
»Trotzdem, wir dürfen keinen Augenblick länger bleiben!«
Nur noch langsam kamen sie voran. Sie wichen von der breiten Zufahrt ab, die zu dem Gehöft führte, und stapften durch hohes Gras den kaum noch erkennbaren Pfad entlang, der in einem Bogen von der Umzäunung des Hofes fortführte, um in dem nahe gelegenen Waldessaum einzutauchen.
Der Vollmond stand inzwischen hoch am Himmel. Jörg hoffte dennoch, dass vermeintliche Verfolger nicht sofort auf ihre Spuren stießen.
»So, hier entlang«, sprach der Junge leise und gönnte seinem Vater einen kurzen Moment der Ruhe. »Hier können sie uns nicht sehen.«
Wenig später setzten sie ihren Weg fort. »Es folgt uns niemand. Sie haben unsere Flucht noch nicht bemerkt.« Es waren Worte, die seinem Vater Kraft und Zuversicht vermitteln sollten. »Wenn wir nur erst im Wald wären.«
Aber die Folter hatte den Arandbauern zu sehr geschwächt. Er sank plötzlich zu Boden. »Oh, Jörg – ich kann nicht mehr«, seufzte der Geschundene. »Lass mich hier liegen und fliehe allein.«
»Nein, Vater. Auf keinem Fall«, entgegnete sein Sohn bestimmt und kniete neben ihm nieder. »Ganz hier in der Nähe ist eine verfallene Hütte. Da können wir uns verbergen, bis du ausgeruht hast.« Jörg wusste um das alte Brunnenhaus, das nicht weit, aber abgelegen genug lag, um sich vor der Räuberbande zu verbergen.
Es war die Bestimmtheit in den Worten, die von einer festen Überzeugung sprachen und dem Bauern neue Hoffnung gaben. Gestützt auf seinen Sohn, rappelte sich Bertold wieder auf.
Doch für Jörg wurde es zunehmend schwerer, seinen Vater zu stützen und zum Weitergehen aufzufordern. Aber der Junge gab nicht nach. Auch ihn hatte die kräftezehrende Flucht ermüdet. Wie musste es dann wohl seinem Vater gehen, ihm weiter zu folgen?
Ein Gedanke, der schmerzvoll in dem Jungen wühlte, bei seinen ständigen Versuchen, den Vater erneut anzutreiben. Aber sie waren weiter gekommen. Hatten den Wald fast hinter sich, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie am alten Brunnenhaus ankamen. Also gönnte er dem Vater die Pause, die er verlangte. Der innerhalb weniger Stunden gealterte Bauer lehnte schwer gegen einen Baum. Dann versagten ihm die Beine ihren Dienst, und er sank an dem Stamm entlang zu Boden.
Hilflos hockte Jörg neben seinem Vater. Es war nicht mehr weit bis zu dem Ziel, das er angedacht hatte, seinem Vater Zeit zu verschaffen, endlich zur Ruhe zu kommen, um sich von den überstandenen Strapazen zu erholen.
Aber sie durften nicht verweilen. Unter größter Anstrengung zerrte Jörg seinen Vater auf. Der war kaum mehr eine Hilfe, zu sehr geschwächt war er von dem Erlittenen und der mühsamen Flucht.
»Versuch’ es noch einmal«, flehte er den Vater an und hielt ihn, an die raue Borke gelehnt, auf den Beinen. Jörg wusste genau, dass es jetzt an ihm alleine lag, das verlassene Gebäude zu erreichen. Große Unterstützung war von dem völlig erschöpften Mann nicht mehr zu erwarten.
Eine gefühlte Ewigkeit später schleppte sich Bertold mit letzter Kraft, von Jörg mehr getragen, als gestützt, der Hütte zu.
*
In der Zwischenzeit war der Obrist dabei, den Deckel des versiegelten Eisentopfes aufzubrechen. Bei jedem vergeblichen Versuch, das Gefäß zu öffnen, schlug der Inhalt verführerisch klimpernd und klappernd gegen die Wandung. Endlich ließ sich die Haube bewegen. »Mal sehen, ob sich unsere Arbeit gelohnt hat.« Einen kurzen Augenblick benötigte er noch, dann hielt er den runden Verschluss in Händen.
Die Söldner, die ihm gespannt und ungeduldig zugesehen hatten, traten neugierig näher. Mit langen Hälsen versuchten sie, einen Blick auf den Inhalt zu erhaschen. Hierin unterschied sich der Obrist in Nichts von den einfachen Söldnern. Er hob den Pott mit beiden Händen vor sein Gesicht. Er allein sollte als Erster den Inhalt begutachten.