Julia Best of Band 242 - Jennifer Crusie - E-Book

Julia Best of Band 242 E-Book

Jennifer Crusie

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Beschreibung

ENDLICH SINGLE: SCHON VERLIEBT
Raus aus dem goldenen Käfig – hinein ins pralle Leben! Nina ist froh, dass ihre Ehe vorbei ist. Bevor sie jedoch ihre Freiheit richtig genießen kann, verliebt sie sich in Alex. Gut aussehend, erfolgreich in seinem Beruf – und zehn Jahre jünger als Nina. Bei dieser Affäre zählt nur der Augenblick …

DYNAMIT UND HEISSE KÜSSE
Seit der Scheidung schwebt Lucy in Gefahr – wie es scheint, ist ihr Ex-Mann in kriminelle Machenschaften verstrickt! Trotzdem hat es der Cop Tom Warren schwer, Lucy davon zu überzeugen, dass er bei ihr einziehen muss. Natürlich nur zu ihrem Schutz und alles rein beruflich, oder?

TAG UND NACHT VERRÜCKT NACH DIR
Emily rast vor Wut: Ein Controller soll ihre Arbeit überwachen! Doch bald stellt sie fest, dass der attraktive Richard sie aus ganz anderen Gründen reizt ... Liegen etwa Frühlingsgefühle in der Luft?

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Seitenzahl: 538

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Jennifer Cruise

JULIA BEST OF BAND 242

IMPRESSUM

JULIA BEST OF erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Neuauflage in der Reihe: JULIA BEST OF, Band 242 – 2021 07/2021

© 1996 by Jennifer Crusie Originaltitel: „Anyone But You“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Heike Hellmann-Brown Deutsche Erstausgabe 1996 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe BACCARA, Band 902

© 1994 by Jennifer Crusie Originaltitel: „Getting Rid of Bradley“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Eleni Nikolina Deutsche Erstausgabe 1996 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe TIFFANY, Band 603

© 1994 by Harlequin Enterprises B. V. Originaltitel: „Sizzle“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Heike Warth Deutsche Erstausgabe 1999 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe COLLECTION BACCARA, Band 147

Abbildungen: Deagreez, rclassenlayouts / Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 07/2021 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751502863

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

Endlich Single: schon verliebt

1. KAPITEL

Das Letzte, was Nina Askew brauchte, war Fred.

„Ich möchte einen Welpen“, erklärte sie der pummeligen Frau in brauner Uniform am Empfang von Riverbends Tierheim. „Irgendwas Niedliches.“

„Niedlich.“ Die Frau seufzte und deutete auf die graue Metalltür am Tresenende. „Da durch und dann eine Treppe tiefer.“

Nina schob eine Strähne ihrer schwarzen kinnlangen Locken hinters Ohr, klemmte sich ihre Handtasche unter den Arm und machte sich auf den Weg, sich das netteste Geburtstagsgeschenk auf vier Beinen auszusuchen. Was machte es schon, dass heute ihr vierzigster Geburtstag war? Vierzig war ein gutes Alter. Es bedeutete Freiheit. Ganz besonders Freiheit von ihrem ehrgeizigen Exmann und dem überteuerten Vorstadtschloss, das nach über einem Jahr nicht enden wollender Besichtigungstouren endlich einen neuen Besitzer gefunden hatte. Noch etwas Gutes: Sie war raus aus diesem Marmorpalast!

Und gleich würde sie ihren lang ersehnten Welpen bekommen. Seit Jahren wünschte sie sich einen quirligen kleinen Vierbeiner, wofür Guy überhaupt kein Verständnis aufbrachte. „Hunde haaren“, lautete sein Kommentar, als sie einen Hund als gemeinsames Hochzeitsgeschenk vorschlug. Sie hätte wissen müssen, dass das ein böses Omen war. Aber nein, sie heiratete ihn trotzdem und zog in dieses Designermausoleum von Haus. Als Dank durfte sie fünfzehn Jahre lang die Karriere ihres Mannes mit aufbauen, ohne einen Hund in einem Haus, das sie zunehmend verabscheute. Sechzehn, wenn man dieses letzte Jahr in der Vorhölle frisch geschiedener Hausbesitzerinnen mitzählte. Doch heute besaß sie Freiheit, ein eigenes Apartment und einen wundervollen, wenn leider auch unsicheren Job. Das Einzige, was ihr zu ihrem Glück noch fehlte, war ein liebevolles Wesen, das sie abends zu Hause erwartete.

Am Ende eines langen, schmalen Gangs stieß die Tierpflegerin eine weitere schwere Eisentür auf. Sofort nahm das vorher nur leise Bellen ohrenbetäubende Ausmaße an. Aus einer Reihe trister grauer Metallkäfige, einem Zellenblock ähnlich, forderten Hunde aller Rassen lautstark ihre Aufmerksamkeit. Die stürmische Begrüßung riss Nina aus ihrer Versunkenheit. Das war ja der reinste Horror!

„Sterilisieren Sie Ihre kleinen Lieblinge.“ Vor dem vorletzten Käfig blieb die Frau stehen. „Die ‚niedliche‘ Abteilung.“

Hinreißende Mischlingswelpen rangelten tollpatschig miteinander. Jetzt musste sie sich nur noch einen aussuchen …

Zufällig fiel ihr Blick in den letzten Zwinger. Nina erstarrte.

Eine unattraktive Mischung aus Beagle und Basset – viel zu groß für ihr Apartment und viel zu trübsinnig für ihren angeschlagenen Gemütszustand – starrte sie an, ohne zu bellen, ohne jede Regung.

Aus unerfindlichen Gründen erinnerte sie dieses melancholische Mini-Monster mit seinen riesigen Tränensäcken, den eingesunkenen Schultern und dem braun-weiß gesprenkelten Fell an ihren Großonkel Fred.

„Na, mein Kleiner.“ Der Hund hob kaum merklich den Kopf. Durch die Käfiggitter kraulte Nina ihm die Ohren. „Was ist los mit dir?“

Die Frau überprüfte die Karte an der Zwingertür. „Vielleicht ist er hellseherisch veranlagt. Heute ist sein letzter Tag.“

„Sie meinen …“

„Genau.“ Sie fuhr mit der Handkante ihre Kehle entlang.

Nina sah den Hund an. Der Hund sah Nina an, den Tod in den Augen.

Hilfe!, dachte sie. Sie konnte diesen Hund nicht gebrauchen! Er war zu groß! Er war zu alt! Er war zu depressiv! Selbst an seinem besten Tag sah dieser hässliche Bassetmischling aus wie ein professioneller Trauerkloß. Außerdem war er kein Welpe mehr.

Eine Entscheidung, die der Hund trübsinnig zur Kenntnis nahm. Als Nina einen Schritt zurücktrat, sank sein Kopf herab, bis die langen Ohren den Boden berührten. Resigniert fand er sich ab mit dem kalten, harten Betonboden, der Tatsache, dass niemand ihn liebte, und der sicheren Erwartung des Todes im Morgengrauen.

Keine Frage: Dieser Hund ahnte sein drohendes Schicksal.

Sie ertrug es nicht länger. „Ich nehme ihn.“

Der Frau stand vor Verblüffung der Mund offen. „Das verstehen Sie unter niedlich?“

„Ich könnte nie wieder ruhig schlafen, wenn ich wüsste, dass sein Leben in meinen Händen lag.“ Nina ging in die Knie. „Es ist alles okay, Fred. Mach dir keine Sorgen.“

Fred hob seine schlaffen Augenlider. Sein Interesse hielt sich in Grenzen.

„Du musst nicht gleich übersprudeln vor Freude. Es war mir ein Vergnügen.“ Nina folgte der Frau den Gang hinunter. An der Eisentür drehte sie sich um. Fred tappte nach vorn und schob seine Nase durch die Gitterstäbe. „Nur keine Panik, Fred. Sobald ich die Formalitäten erledigt habe, befreie ich dich aus diesem Kerker.“

Unbeeindruckt trottete Fred zurück in die Tiefen seines Gefängnisses.

„Oh ja, du wirst mich wirklich aufheitern.“ Kopfschüttelnd machte sich Nina an die Unterzeichnung der nötigen Papiere.

Auch als sich rasselnd die Zwingertür öffnete, reagierte Fred eher gelassen auf den Umschwung der Ereignisse. „Du stinkst, Fred.“ Ungeachtet ihres frisch gereinigten Seidenkostüms und trotz seiner unglaublichen Duftwolke drückte Nina ihren ebenso schwermütigen wie schwergewichtigen Vierbeiner an sich. „Und du wiegst eine Tonne.“ Er war unförmig wie ein Sack Kartoffeln. Der Hauptteil seines Gewichts konzentrierte sich auf sein hinteres Ende, was ihm ein enormes Gefälle verlieh. „Ich habe dir das Leben gerettet, Fred“, flüsterte Nina ihm ins Ohr. Leicht zuckte er zusammen, ansonsten ließ seine Begeisterung erheblich zu wünschen übrig.

Wahrscheinlich war er es einfach nicht gewohnt, wie ein sperriges Paket behandelt zu werden. „Eigentlich hatte ich vor, mir einen Welpen anzuschaffen“, keuchte Nina, balancierte ihn unbeholfen auf einer Hüfte und stieß mit der anderen die Tür ihres weißen Kleinwagens auf. „Eine Mischung aus Basset, Beagle und Bleifass war nicht eingeplant.“ Wenig elegant wuchtete sie ihn auf den Sitz, schlug die Tür zu und lehnte sich erschöpft an den Wagen. Drinnen putzte Fred seine feuchte Nase am Seitenfenster ab.

„Sehr schön, Fred! Fühl dich ganz wie zu Hause!“

Kaum saß sie hinter dem Steuer, sprang Fred in Erwartung einer Spazierfahrt am Fenster hoch und verlängerte seine Schmierspur quer über die Scheibe. Nina dachte mit Wehmut an die quirligen Welpen. „Fred, du machst mich krank!“ Ob es half, wenn sie das Beifahrerfenster öffnete? „Spring bloß nicht raus. Dein Leben hat gerade einen drastischen Aufschwung genommen!“

Beim Klang ihrer Stimme drehte Fred den Kopf. Er war wirklich ein süßer Hund. Natürlich überschlug er sich nicht vor Begeisterung. In seiner Situation wäre sie ebenfalls vorsichtig. Womöglich hatte er in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht. Es spielte keine Rolle. Wichtig war, dass er Liebe brauchte. Jeder brauchte Liebe. Selbst sie. Und jetzt hatte sie Fred.

Fred.

Nina schloss die Augen. Sogar ihre beste Freundin würde sie für verrückt erklären. „Du hast was gekauft?“, würde Charity fragen. Bei einem Blick auf Fred – depressiv, altersschwach und müde – würde sie … Nina sah in Freds seelenvolle braune Augen und schämte sich. „Es ist okay, Fred.“ Sie tätschelte seinen Kopf. „Jetzt bist du mein Hund. Sollen die anderen ruhig reden.“

Anscheinend sah Fred das ähnlich. Nach einer eindringlichen Musterung seiner neuen Besitzerin stürzte er sich schwanzwedelnd auf sie und leckte ihr das Gesicht vom Kinn bis zur Stirn ab.

„Oh, Fred!“ Nina brach in Tränen aus. Obwohl er sich nach Kräften wehrte, umarmte sie ihn. Sie war ja so froh, wieder jemanden in ihrem Leben zu haben. Selbst wenn dieser Jemand vier Beine besaß und unaussprechliche Gerüche verströmte. „Wir werden so glücklich zusammen sein, Fred“, schluchzte sie und weinte sich ihren angestauten Frust von der Seele. Fred leckte ihr die Tränen vom Gesicht, was gleich eine neue Tränenflut auslöste. So gut hatte Nina sich seit Wochen nicht gefühlt.

Ein letztes Mal schniefte sie, dann ließ sie Fred los, damit sie ihm sein neues Zuhause zeigen und Tante Charity zu einem Kennenlernbesuch einladen konnte.

„Du hast jetzt Familie, Fred! Komm, fahren wir nach Hause.“

Alex Moore lag auf der schmalen Liege in einem leeren Untersuchungszimmer der Ambulanz des Riverbend General Hospitals und genoss eine wohlverdiente Pause, ehe der nächste Notfall sein Können forderte.

Schwungvoll landete eine braune Papiertüte auf seinem Bauch.

„Hey!“ Wer war das? Max natürlich! Wer sonst? Schmerz in Verbindung mit seiner Chaosfamilie war für Alex nichts Neues. „Ich schlafe. Geh weg. Nimm, was immer du auch anschleppst, wieder mit, bevor dich jemand erwischt.“

„Würdest du nicht die halbe Nacht jedem wippenden Rocksaum hinterherjagen, wärst du tagsüber nicht so griesgrämig.“ Max zog einen Sechserpack Bier aus der Tüte, befreite eine Dose von der Plastikummantelung, stellte die fünf übrigen wieder auf Alex’ Bauch und ließ sich auf einen orangefarbenen Plastikstuhl fallen.

Das Quietschen der Stuhlbeine auf dem Linoleum schreckte Alex auf. Geradewegs blickte er auf Max’ violettes Seidenhemd, dessen Farbton sich heftig mit dem Grasgrün der Wand biss. „Zu deiner Information, Bruderherz: Mein gestriges Vergnügen erschöpfte sich in einem Dinner mit Debbie. Zur Unterhaltung hielt sie einen stundenlangen Vortrag über die Freuden der Vaterschaft. Anschließend brachte ich sie nach Hause.“

„Muss an deinem jungenhaften Sonnyboy-Look liegen. Du hast ‚netter Kerl‘ förmlich auf die Stirn geschrieben. Ich dagegen, ich sehe aus wie eine Ratte.“

„Stimmt. Tust du. Verschwinde, du Ratte.“ Alex schloss die Augen in der vagen Hoffnung, Max würde den zarten Wink verstehen.

Fehlanzeige. „Natürlich ist ein Imagewechsel für dich längst zu spät, da dir dein Ruf meilenweit vorauseilt. Wieso hast du nicht einfach das Thema gewechselt? ‚Da wir gerade von Kindern sprechen, Debbie, wie wär’s mit ein paar Probeläufen?‘“

Flüchtig dachte Alex an drastischere Maßnahmen, um Max und sein pseudointellektuelles Geschwafel endlich loszuwerden, entschloss sich aber dagegen. Er mochte Max. Bei seinen Familienverhältnissen war ein Verwandter, den er gerne sah, eine absolute Rarität. „Weil Debbie wie alle Frauen weit und breit laut und vernehmlich ihre biologische Uhr ticken hört, begleitet vom fernen Geläut der Hochzeitsglocken. Eine Sekunde Unachtsamkeit, und schon sitzt du in der Falle.“

Ungerührt nippte Max an seinem Bier. „Die Macht des Schicksals. Alle Frauen wollen einen Arzt heiraten.“

Alex öffnete ein Auge und übersah geflissentlich das schrille Farbarrangement. „Du bist Arzt. Wieso kommst du ungeschoren davon?“

„Weil ich prinzipiell nie öfter als zweimal mit einer Frau ausgehe. Das verhindert das Aufkommen kritischer Themen.“

„Sehr reif von dir, Max.“ Alex schloss sein Auge wieder. „Jetzt verzieh dich. Ausnahmsweise gibt es da draußen nämlich mal keine Katastrophen.“

Zu früh gefreut. „Heute ist dein letzter Tag als lebenslustiger Twen. Wie fühlt man sich kurz vor Toresschluss?“

„Sag du es mir. Du bist derjenige, der stark auf die vierzig zugeht.“

„Sechsunddreißig, wenn ich bitten darf“, verbesserte Max würdevoll. „Außerdem verlierst du deine Haare vor mir. An deiner Denkerstirn zeigen sich schon die ersten Geheimratsecken. Das sehe ich von hier aus.“ Scheppernd landete die leere Bierdose im Abfalleimer.

„Sag mir, dass du keine Visite mehr machen musst.“

„Vor einer Stunde beendet.“ Max verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lümmelte sich auf dem unbequemen Stuhl. „Alles bereit für morgen?“

„Es ist mein Geburtstag.“ Alex’ Geduld näherte sich rapide ihrem Ende. „Nichts, wofür ich mich besonders vorbereiten müsste. Andere Leute müssen sich darauf vorbereiten. Du zum Beispiel. Geh und kauf mir ein kostspieliges Geschenk! Du scheffelst schließlich hier das große Geld.“

„Weißt du auch, wieso?“

Seelenruhig präsentierte er Max seinen Rücken.

Geistesgegenwärtig fing Max den Fünferpack Bier auf. „Weich der Realität ruhig aus, wenn du das für nötig hältst, aber vergeude nicht dieses kostbare Nass!“

„Ich weiche nicht der Realität aus. Ich weiche dir aus.“

„Ich bin die Realität, Kumpel.“ Erst schrammten vier Stuhlbeine, dann landeten die Dosen mit einem dumpfen Knall auf dem Boden. „Gerade bin ich unserem Dad über den Weg gelaufen. Pflichtdinner morgen Punkt sieben im ‚Levee‘.“

Ein Stöhnen. „Warum hast du nicht gesagt, ich sei tot?“

„Er ist Arzt. Sobald du dich durch die Korridore schleichst, wäre ich der Lüge überführt.“

Alex starrte an die fleckige Decke. „Du hättest ihm sagen können, ich sei krank. Diagnose: irgendwas Hässliches und hochgradig Ansteckendes.“

„Irgendwelche Vorschläge? Vielleicht eine Pilzinfektion in der Scheide?“ Max war Gynäkologe.

„Wäre es ihm aufgefallen?“

„Er hatte Dienst, also war er nüchtern.“

„Großartig! Genau das, was ich mir für meinen Geburtstag wünsche – ich darf meinen volltrunkenen alten Herrn um Mitternacht in ein Taxi verfrachten.“

„Darum habe ich mich gekümmert. Ich sagte ihm, wir hätten Pläne ab neun Uhr. Er verstand.“

„Jetzt muss ich ihn schon um neun in ein Taxi verfrachten. Vielen Dank.“

„Es wird noch schlimmer. Deine Mutter kommt morgen in die Stadt.“

Alex setzte sich auf. „Alice fliegt zu meinem Geburtstag her?“ Hoffentlich wollte sie keine neu entdeckten Muttergefühle an ihm austoben!

„Nein. Sie fliegt her für ein eintägiges Seminar über die neueste Lasertechnologie. Dass du gerade Geburtstag hast, traf sich eher zufällig. Zwölf Uhr im Hilton. Komm rechtzeitig, um eins hält sie ihre Rede.“

„Meine Mutter.“ Alex blickte an Zimmerdecke. „Eine ganze Stunde mit meiner Mutter.“

„Oh, du hast auch eine Stunde mit meiner Mutter“, meinte Max unbekümmert. „Drinks um vier, nach der letzten Operation. Übe dich in Geduld.“

„Eine Stunde mit deiner Mutter ertrage ich gerade noch.“

„Hat Stella schon angerufen?“

„Gemeinsames Frühstück vor ihrer Visite.“

„Glaubst du, sie erledigt alles mit den ersten Sonnenstrahlen, weil sie die Älteste von uns ist?“

„Nein, das macht sie aus purem Sadismus. Obwohl Sheila meine Lieblingsverwandte ist.“

„Hey!“ Max rappelte sich aus seiner liegenden Haltung hoch. „Wer hat dir denn hier einen ganzen Abend in Gesellschaft unseres alten Herrn inklusive einer Rechtfertigung deiner mangelnden Berufsaussichten erspart?“

„Ich habe einen aussichtsreichen Beruf“, erklärte Alex zum millionsten Mal. „Ich bin Arzt.“

„Leider im falschen Fachgebiet, mein Junge. Für den Moore-Clan musst du schon was Hochkarätigeres vorweisen. Sie haben mich geschaffen, jetzt werden sie dich schaffen. Kardiologe, Onkologe, Gynäkologe …“

Eine dunkelhaarige Krankenschwester steckte den Kopf durch den Türspalt. „Alex, wir brauchen dich. Ein Verkehrsunfall.“ Ebenso schnell verschwand sie wieder.

„Heißen Dank, Bruderherz. Hättest du mich nicht mit deiner Anwesenheit beglückt, hätte ich ganze fünfzehn Minuten in Bewusstlosigkeit schwelgen können.“

„Das ist ein weiterer Punkt“, kehrte Max zum Thema zurück. „Wärst du kein Notfallmediziner, hätte sie dich Dr. Moore genannt.“

Wieder öffnete die Schwester die Tür. „Alex, mach endlich! Oh, hi, Max. Hab’ dich vorhin gar nicht gesehen.“ Sie runzelte die Stirn. „Schaff sofort das Bier weg!“

„Hi, Zandy.“ Max hob grüßend die Dose. „Gut schaust du aus.“

Eine bezeichnende Geste, und fort war sie.

„Der Respekt, den sie dir gegenüber aufbringt, ist Ehrfurcht gebietend.“ Alex grinste. „Muss daran liegen, dass du kein Notfallmediziner bist.“

„Ich bin einmal mit ihr ausgegangen.“

„Das erklärt alles.“ Alex schwang die Beine von der Liege. „Aus dem Weg! Die Pflicht ruft!“

„Vergiss morgen nicht“, rief Max ihm nach. „Familientag. Der gesamte Moore-Clan.“

„Richtig“, knurrte Alex leise vor sich hin und überholte Zandy auf dem Weg zum OP. „Dr. Moore und Dr. Moore und Dr. Moore und Dr. Moore und Dr. Moore.“

„Lass mich raten: Dein Vater hackt wieder auf dem schwarzen Schaf der Dynastie herum?“ Zandy hüpfte ein paarmal, um sich seinen langen Beinen anzupassen. Kein leichtes Unterfangen, da Alex sie um Haupteslänge überragte.

Ihr zuliebe verlangsamte er sein Tempo. „Bingo.“

„Tu’s nicht.“

„Nein?“

„Nein. Du brauchst die Ambulanz. Und die Ambulanz braucht dich. Ignorier sie. Es sind alles prestigesüchtige Zombies.“

Alex lachte auf. „Selbst Max?“

„Max ist ein Affe.“

Sirenengeheul unterbrach sie. Sobald sich die automatische Tür öffnete, vergaß Alex Zandy, Max und die gesamte Moore-Familie und machte sich daran, das zu tun, was er am besten konnte: Leben retten.

„Du hast dir was angeschafft?“ Fassungslos besah sich Charity Ninas Neuerwerb.

„Charity, das ist nicht einfach irgendein Hund!“ Wieso hegte sie dann immer noch leise Zweifel, ob die Fahrt zum Tierheim wirklich eine so gute Idee gewesen war? Charity würde sich nie einen Hund zur Seelenmassage anschaffen. Sie würde sich in ihrer Boutique den aufreizendsten roten Ledermini aussuchen, ihre lange rote Lockenmähne mit einem schwarzen Seidenstrumpf hochbinden und sich auf die Jagd nach einem neuen Mann machen. Zumindest hatte sie das das letzte Mal getan, als wieder eine ihrer Beziehungen in die Brüche gegangen war, bevor sie Sean gefunden hatte, ihre erste wahre Liebe. Tatsächlich war Sean ihre zwölfte wahre Liebe, aber wer zählte schon?

Da sich Ninas Chancen auf einen roten Ledermini gegen null bewegten, widmete sie ihre Aufmerksamkeit lieber Fred, der wie ein Koloss auf dem Parkettboden hockte und sie verwirrend ehrfurchtsvoll anhimmelte. Fred war bei Weitem besser als jeder Ledermini! Er mochte ihr zwar nicht zu einem neuen Mann verhelfen, aber er schenkte ihr bedingungslose Liebe!

Für Charity ein schlechter Tausch. „Du verkaufst diese Luxusvilla in Lehigh Terrace und vergräbst dich im zweiten Stock dieser viktorianischen Bruchbude – wo ‚Aufzug‘ ein Fremdwort ist …“

„Würdest du nicht auf halsbrecherisch hohen Absätzen durch die Gegend stöckeln, wären zwei Treppen kein Problem“, murmelte Nina.

„… als sei das nicht schlimm genug, legst du dir auch noch einen Hund zu! Das ist doch ein Hund, oder?“

Fred erhob sich schwerfällig, präsentierte ihr seine wenig attraktive Kehrseite und watschelte mit einem majestätischen Powackeln zu Ninas Birkenfeige, die er neugierig beschnüffelte.

„Charity, ich brauche Fred. Ich fühle mich jetzt schon besser. Er besitzt Charakter.“

Charity nickte. „Genau das rieche ich – seinen Charakter.“

„Sollte ich ihn etwa sofort in die Wanne stecken? Der Ärmste bekäme ja einen Schock fürs Leben. Erst einmal muss er sich in Ruhe in seinem neuen Heim umsehen.“

„Wie lange ist er hier? Eine Stunde? Dann hat er alles gesehen.“ Charitys ausholende Geste umfasste das ganze Apartment. „Wie konntest du nur deine Luxusvilla eintauschen gegen …“

„Es war nicht meine Luxusvilla, es war Guys Luxusvilla.“ Der Sonnenschein fiel durch die hohen Sprossenfenster auf liebevoll restaurierten Parkettboden, dunkle Eichenpaneele, einen kostbaren Orientteppich und die urgemütliche rubinrote Couch vor dem Kamin. Gleich auf Anhieb hatte Nina sich in dieses Haus verliebt. Nach nur einem Monat fühlte sie sich hier heimischer als nach fünfzehn Jahren in Guys protzigem Palast.“ Beim Gedanken an ihren Exmann schüttelte sie den Kopf. „Wir hätten niemals heiraten dürfen. Ich wollte nie dieses Haus in Lehigh Terrace. Er wollte nie einen Hund.“

Ihre neu erstandene Promenadenmischung setzte seinen Erkundungsgang fort und beschnupperte ausgiebig die Couch. Schon seit seiner Ankunft zeigte er daran Interesse. Nun siegte die Neugier. Freds Flanken zitterten vor Anspannung. In einem mächtigen Satz katapultierte er sich auf die Polster. Einen Augenblick hing er an der Sofakante, ein Triumph der Hoffnung über die Anatomie, nur um der Macht der Schwerkraft folgend im Zeitlupentempo wieder auf den Boden zu rutschen, wo er mit einem leisen Plumps landete.

In Anbetracht der Umstände nahm er sein Versagen ziemlich gelassen hin.

„Sehr sportliche Kreatur“, spottete Charity. „Fortan willst du Django also Nacht für Nacht mehrmals zum nächsten Baum tragen, ja? Und was ist tagsüber? Du hast noch eine kleine Nebenbeschäftigung, schon vergessen? Jessica rastet aus, wenn du diesen Ausbund an Hässlichkeit mit ins Büro bringst!“

Nina seufzte. „Wo wir gerade von Jessica sprechen – du solltest das Werk ihres neusten Schützlings lesen. Eine Katastrophe!“

„Will sie diesen Verlag in den Bankrott treiben? Überrede sie zu ein bisschen Pep.“

„Jessica macht nur genau das, was ihr Vater vor ihr gemacht hat.“ Fred trottete auf sie zu. Die Couch-Demütigung war vergessen. „Eine Tradition aufrechterhalten.“

„Aufrecht? Du meinst wohl geradewegs den Bach hinunter!“

Nina verzog das Gesicht. „Danke für den moralischen Beistand. Der Verlag macht dicht, ich kann mir einen neuen Job suchen, und Jessica wird sich umbringen. Wenn ich bloß einen Ausweg wüsste! Kein Wunder, dass ich so deprimiert bin. Hinzu kommt dieses große, leere Apartment. Glaub mir, ich liebe meine neue Freiheit, aber abends komme ich niedergeschlagen nach Hause, und hier erwartet mich nur grenzenlose Einsamkeit. Ich brauche einfach etwas, das mich aufheitert.“ Sie atmete tief durch. „Und das ist Fred. Allein seine bloße Anwesenheit muntert mich auf.“

Wie um ihre Worte zu verspotten, vergrub Fred gähnend die Nasenspitze zwischen den Vorderpfoten.

„Ja, das sehe ich. Putzmunteres kleines Kerlchen, dein Fred“, bemerkte Charity trocken.

Nina ignorierte die Freundin. „Was das Gassigehen betrifft, habe ich bereits einen Plan. Komm her.“ Am großen Fenster neben der Couch blieb sie stehen, schob den schweren, alten Fensterrahmen hoch und deutete nach draußen. „Die Feuerleiter verläuft direkt neben dem Fenster. Der Hinterhof ist eingezäunt, das Tor stets geschlossen. Somit werde ich Fred ein wenig trainieren. Ist das nicht eine grandiose Idee?“

Charity nickte und tätschelte ihr den Arm. „Grandios, Nina. Wirklich grandios.“

„Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.“ Verbissen reckte Nina das Kinn vor. „Verglichen mit meinem oberflächlichen High-Society-Leben als dekoratives Anhängsel von Mr. Staranwalt geht es mir heute blendend. Es ist nur so … heute werde ich vierzig. Angeblich die Blüte meiner Jahre – die Zeit, wo das Leben erst richtig beginnt. Ich kenne all die einschlägigen Artikel, aber ich bin vierzig, Charity, ich bin allein, darum habe ich mir Fred angeschafft …“

„Ich verstehe dich ja.“ Tröstend drückte Charity die Freundin. „Zu welcher Rasse gehört dieses Urviech eigentlich?“

„Teils Basset, teils Beagle, teils manisch-depressiv. Fred, könntest du dich bitte aus deinem Stimmungstief reißen? Sieh doch nur, in was für einer tollen Umgebung du gelandet bist.“

„Ja, und das Beste kommt erst noch.“ Charity verbiss sich ein Grinsen. „Warte, bis du die Feuerleiter siehst, die sie für dich hat.“

Unbeeindruckt trottete Fred durch den Türbogen in die angrenzende Küche. Leise klickten seine Zehen auf dem Parkett.

„Darf ich dich um einen winzigkleinen Gefallen bitten? Könntest du Fred babysitten, während ich eine Leine und Futter besorge? Ich würde ihn ja mitnehmen, aber er steckt mit Vorliebe den Kopf aus dem Autofenster. Dann bläst ihm der Wind in die Nase, er niest, und die ganze Bescherung fliegt durch den Fahrtwind zurück ins Auto.“ Liebevoll sah Nina ihrem vierbeinigen Neuerwerb nach. „Es ist widerwärtig.“

„Kann ich mir lebhaft vorstellen.“ Charity griff nach ihrer violetten Wildlederjacke. „Nein, ich werde diese Kreatur nicht für dich babysitten. So, wie er aussieht, gibt er jeden Moment den Löffel ab. Ich möchte nicht verantwortlich sein, wenn er sich in selbstmörderischer Absicht von der Feuerleiter stürzt. Sag mal, gibt es auch Aufputschmittel für Hunde?“

„Betrachte es philosophisch. Stille Wasser sind tief.“ Nach einigem Suchen machte Nina einen Notizblock ausfindig. „Hinter Freds Denkerstirn verbergen sich die tiefsinnigsten Gedanken.“

Einen Kommentar dazu ersparte sich Charity. „Wo du schon bei deiner Einkaufsliste bist, schreib auch Amaretto und Eiscreme mit auf.“

„Oje! Auch Sean?“, fragte Nina, der nichts Gutes schwante.

„Ja, auch Sean. Wie kann ich nur in einer Stadt voller Männer leben und immer Nieten ziehen?“

Nina zermarterte sich den Kopf nach einer tröstlichen Bemerkung. „Es sind nicht alles Nieten.“

„Ach, tatsächlich?“ Charity verschränkte die Arme vor ihrem beeindruckenden Busen. „Nenn mir einen, der es nicht war.“

Erfolglos durchforstete sie ihr Gedächtnis. „Natürlich kannte ich nicht alle von ihnen …“

„Zwölf von ihnen“, stellte Charity richtig. „Zwölf bedeutsame Männer in zweiundzwanzig Jahren und nicht ein Siegertyp dabei!“

„Bist du sicher, dass es vorbei ist? Vielleicht braucht Sean einfach Abstand, weil es mit euch beiden langsam ernst wurde. Vielleicht …“

„Ich habe ihn mit seiner Sekretärin im Bett erwischt. Ich bezweifle, dass sie ein Diktat aufgenommen hat. Zumindest nicht mit dem, was sie in der Hand hielt.“

„Oh.“ In dem Fall schrieb Charity besser auch gleich Schokoladensirup mit auf ihre Liste. Kalorienhaltige Milchshakes mochten nicht die gesündeste Art zur Bewältigung einer Lebenskrise sein, aber sie waren mit Sicherheit die angenehmste.

Während Charity einkaufen ging, übten Nina und Fred an der Feuerleiter.

„Komm schon, du schaffst es“, spornte Nina ihren Vierbeiner an. Gemeinsam kletterten sie über die niedrige Fensterbank. Fred war nicht sonderlich begeistert von den Metallstiegen, daher sorgte ein Teppichläufer für eine weichere Landung.

Andererseits liebte er den Sprung aus dem Fenster.

„Schieß mir nicht übers Ziel hinaus!“, warnte sie ihn, doch die Feuerleiter war breit, und Fred war nicht besonders aerodynamisch. Nach einer Stunde stieg Ninas Zuversicht. Es wurde Zeit, dass Fred Gras sah. „Zu schade, dass du keine Katze bist. Das würde die Prozedur erheblich vereinfachen.“ Mit einem Stück Schinken lockte sie ihren winselnden Vierbeiner die schmalen Stiegen hinunter.

Mehr schlecht als recht hangelte sich Fred zur ersten Etage.

„Scht.“ Nina deutete auf das geschlossene Apartmentfenster. „Dieser Mensch hat ziemlich ungeregelte Arbeitszeiten, und wir wollen doch, dass die Nachbarn dich lieben.“

Fred verstummte und hoppelte eine Stufe tiefer.

„Ich liebe dich, Fred! So ist es brav! Du bist der Beste!“

Bei Charitys Rückkehr hatte Fred die Feuerleiter zweimal bewältigt und ging sehr abgeklärt mit seinem Erfolg um. „Natürlich machen wir in Zukunft auch lange Spaziergänge“, versprach Nina. „Aber Not macht erfinderisch. Für den Übergang reicht es.“

„Er kann es?“, rief Charity aus der Küche, wo sie die Eiscreme im Gefrierfach verstaute. „So lange war ich gar nicht weg.“

„Fred ist ein Naturtalent“, verkündete dessen frischgebackene Besitzerin stolz. „Pass auf.“ Sie öffnete das Fenster. „Auf geht’s, Fred. Die Freiheit ruft.“

Behäbig kletterte Fred auf den Karton unter der Fensterbank. Über die Schulter warf er Nina einen fragenden Blick zu. Nina nickte.

Dann stürzte er sich aus dem Fenster.

„Ach, du liebes bisschen!“ Vor Schreck ließ Charity fast den Eisbehälter fallen.

Fred saß auf seinem Teppichläufer und sah äußerst selbstgefällig drein.

„Teils Basset, teils Beagle, teils Kamikaze! An seinem Absprung müssen wir noch arbeiten, aber ansonsten ist er ziemlich gut, findest du nicht?“

Außergewöhnliche Leistungen überzeugten auch Charity, besonders, da Fred ihr gleich auch seine Kletterkünste demonstrierte.

Währenddessen kippte Nina den Inhalt der Einkaufstüte auf ihren runden Esstisch. Neugierig öffnete sie eine kleine Juwelierschachtel mit Silberschleife. Auf dem ovalen Namensschild aus Sterlingsilber stand unter dem fein geschwungenen Schriftzug „Fred Askew“ ihre Adresse.

„Ein Geschenk für dein Baby“, erklärte Charity. „Für den Fall, dass Junior verloren geht. Oder gestohlen wird.“ Es sollte ja Diebe mit chronischer Geschmacksverirrung geben. Freds Kopf erschien im Fensterrahmen. Er versuchte, ins Zimmer zu springen, und fiel unsanft zurück auf die Metallstiegen.

„Ich stelle besser auch draußen einen Karton auf.“ Nina hievte ihn herein. „Allem Anschein nach leidet der Gute unter einem Federungsproblem der Hinterachse.“

„Unter anderem.“ Verlegen knabberte Charity an ihrer Unterlippe. „Hör zu, ich muss jetzt gehen.“

„Was ist mit dem Amaretto?“

„Könnten wir die Party verschieben? Wir müssen beide früh aufstehen. Überhaupt brauche ich dich morgen Abend wesentlich nötiger, da Freitag ist und … du weißt schon.“

„Ich weiß.“ Nina setzte Fred auf den Boden. „Freitage sind die schlimmsten. Sicher. Das ist besser. Du kannst hier übernachten.“

„Wäre dir das recht, Fred?“

Fred gähnte.

„Er ist hocherfreut!“

2. KAPITEL

Das Telefon klingelte, als Alex sein stickiges Apartment aufschloss. Er schob den Hörer zwischen Ohr und Schulter und kämpfte mit dem klemmenden Fenster.

„Alex?“ Debbie klang gnadenlos fröhlich. „Ich dachte, wir könnten an deinem morgigen Geburtstag etwas unternehmen. Die Kinder meiner Schwester möchten ins Kino …“

„Bedaure“, log Alex. Nach den Strapazen des Tages wollte er nur noch Schuhe und Socken loswerden, die frische Nachtluft genießen und den bevorstehenden Geburtstagsmarathon vergessen.

„Alex, wenn du nur versuchen würdest …“

„Nein, wirklich.“ Kurz entschlossen kletterte er ins Freie, setzte sich auf die Feuerleiter und befreite sich von allen störenden Kleidungsstücken, die er wohlgezielt in die Wohnung warf. „Ich bin den ganzen Tag mit meiner Familie ausgebucht. Einer nach dem anderen, den ganzen verdammten Tag lang.“

„Warum können sie dich nicht alle gleichzeitig treffen?“

„Weil sie alle mich dazu überreden wollen, mich in ihrem jeweiligen Fachgebiet zu spezialisieren.“ Alex beugte die Zehen in der Brise und fühlte sich gleich besser. Vielleicht sollte er das Schuhetragen vollkommen aufgeben …

„Wenn du mich fragst, haben sie recht“, tat Debbie ihre unmaßgebliche Meinung kund. „In jedem anderen Fachgebiet machst du wesentlich mehr Geld.“

„Ich habe genug Geld.“ Während sie zu einem ihrer üblichen Monologe überging, streifte Alex sein weißes T-Shirt über den Kopf. Daher entgingen ihm ihre nächsten Worte. „Was sagtest du?“

„Du hast ein Studiendarlehen abzubezahlen! Für einen lebenslustigen Junggesellen mögen Schulden ja vertretbar sein, aber für einen Familienvater?“

Das T-Shirt landete auf dem Kleiderstapel neben der Couch. „Debbie, diese Diskussion hatten wir doch bereits. Ich will keine Kinder.“

„Im Augenblick nicht. Eines Tages wünscht sich jeder eine Familie und dann …“

„Ich habe schon eine Familie! Sie treibt mich in den Wahnsinn! Wieso sollte ich noch eine wollen?“

„Eine eigene Familie!“

„Debbie, du hörst nicht zu! Ich will keine Kinder! Niemals!“

Am anderen Ende der Leitung folgte ein langes Schweigen. Anscheinend hörte sie ihm zum ersten Mal wirklich zu.

„Ich mag dich sehr, Debbie. Wir hatten eine schöne Zeit zusammen. Aber ich will keine Kinder. Mir graust schon vor der Ehe.“

„Nun.“ Debbie räusperte sich. „Ich schätze, dann macht es wenig Sinn, wenn wir uns weiterhin treffen, oder?“

„Das kommt ganz auf deine Beweggründe an.“ Falls sie mit einer Panikreaktion auf ihr Ultimatum hin rechnete, täuschte sie sich gewaltig. „Wir könnten uns Videos ansehen. Reden. Einander richtig kennenlernen.“

„Alex.“ Mühsam hielt sie ihre Verärgerung im Zaum. „Wir gehen jetzt seit sechs Wochen miteinander aus. Wir kennen einander. Wir haben uns genug dumme Filme angesehen und genug geredet. Ich will eine Zukunft. Ich will alles.“

„Na dann, viel Glück.“

Debbe knallte den Hörer auf die Gabel.

Alex stellte das Telefon auf den Fensterrahmen, lehnte sich zurück und analysierte seine Gefühle. War er deprimiert? Stürzte ihn die Trennung in tiefe Verzweiflung? Ganz sicher nicht. Er war ein herzloser Schuft. Schlimmer noch, er verwandelte sich in Max.

Dennoch hatte er es sechs Wochen mit Debbie ausgehalten. Eine erstaunliche Leistung. Wenn das Schicksal ihm hold war, fand er eines Tages eine Frau, die keinen Porsche oder Mitgliedschaften in Country Clubs erwartete. Eine Frau, die einfach nur seine Gesellschaft genoss und die vielen Freuden, die das Leben und die Videothek an der Ecke boten. Eine Frau ohne das Bedürfnis, weitere familiäre Verpflichtungen zu produzieren, die ihn noch verrückter machen würden, als er bereits war.

Da war Tricia beispielsweise, die kleine Blondine aus der Buchhaltung. Vielleicht sollte er sie anrufen – sofern er seinen morgigen Tag heil überstand.

Die Feuerleiter schnitt in seine Rückenmuskeln. Alex entschied sich für einen Wechsel zur Couch. Er brauchte dringend Schlaf. Mit etwas Glück verschlief er auch seinen Ehrentag und brauchte niemanden seiner lieben Verwandten vor Dienstantritt am Samstag zu sehen.

Restlos erschöpft nach einem ereignisreichen Tag, lag Fred eingehüllt in eine Duftwolke aus Hundeshampoo und einer großzügigen Dosis Parfüm in Ninas Armen vor dem Fernseher und seufzte glücklich und zufrieden im Schlaf, während Mel Gibson irgendetwas in die Luft jagte.

Nina hatte den Ton abgestellt, damit sie Mel zusehen konnte, ohne ihm zuhören zu müssen. Draußen rauschte schwach der Verkehr in der Mainacht, nur gelegentlich unterbrochen von den Sirenen der Krankenwagen, die zum zwei Blocks entfernt liegenden Riverbend General Hospital fuhren.

Zum ersten Mal an diesem Tag fand Nina Zeit für sich und ihre Probleme. Problem Nr. 1 war ihr gefährdeter Job. Vor einem Dreivierteljahr hatte sie als Sekretärin von Jessica Howard bei Howard Press angefangen, einer Frau, hinter deren beigekostümiertem Äußeren sich ein warmes Herz und ein beneidenswert scharfer Verstand verbargen. Innerhalb von sechs Monaten wurde sie zur Lektorin befördert. Ihre anfängliche Euphorie erhielt schnell einen Dämpfer, denn fortan kämpfte sie sich wahlweise durch die hochgeistigen Ergüsse abgehobener Akademiker oder durfte die Memoiren von Oberklassensnobs bearbeiten, deren einziger origineller Gedanke sich in der chronologischen Anordnung der Kapitel erschöpfte.

„Haben Sie jemals einen Spartenwechsel in Erwägung gezogen?“, hatte sie Jessica gefragt. „Hin zu populärer Literatur? Liebesromane beispielsweise? Wie ich hörte, laufen sie sehr gut.“

„Trivialliteratur?“ Genauso gut hätte sie Prostitution vorschlagen können. „Nur über meine Leiche! Ich gebe Howard Press ebenso ehrwürdig an die nächste Generation weiter, wie Howard Press mir übergeben wurde.“

Bei der prekären finanziellen Lage des Verlags überlebte die altehrwürdige Howard Press kaum den Lunch, geschweige denn bis zur Übernahme durch die nächste Generation. Es war eine solche Schande. Jessica war ein guter Mensch. Sie liebte Bücher. Sie verdiente einen erfolgreichen Verlag. Unglücklicherweise erkannte Jessica auch dann keinen Bestseller, wenn er ihr auf dem Silbertablett serviert wurde.

Nina rieb den Kopf an ihrem duftenden Vierbeiner. „Willst du kein Buch schreiben, Fred? Dieser Kater im Weißen Haus hat ein Vermögen verdient, dabei besitzt er nicht annähernd deine Klasse.“

Fred schnarchte.

Nina küsste ihn auf den süßlich duftenden Kopf. „Ich nehme das als ein Nein.“

Ihr nächstes Problem war die Einsamkeit. Jahrelang war sie einsam in Guys Prunkschloss gewesen. An die Einsamkeit dort war sie gewohnt. Ihre Ehe war eine Aneinanderreihung wichtiger Partys, wichtiger Wohltätigkeitsveranstaltungen und wichtiger Geschäftsdinner. Anfangs hatten sie und Guy viel zusammen gelacht. Dann kam ihnen seine Zukunft in den Weg, und der Spaß endete. So lief das eben mit Erfolgsmännern: Sie hielten sich für die Verkörperung ihrer Karriere und bauten lieber Imperien auf, statt den Augenblick zu genießen. Nina fühlte sich mit jedem Tag nutzloser und leerer, bis sie endlich den Mut zur Trennung aufbrachte.

Guy war fassungslos. „Scheidung? Ich habe dich nie betrogen, und dass bei dir ein anderer Mann im Spiel ist, machst du mir doch hoffentlich nicht weis! Jetzt willst du also den Rest deines Lebens allein verbringen? Du bist fast vierzig, Nina! In deinem Alter findest du keinen neuen Partner! Wieso lässt du dir nicht eine Schönheitsoperation verpassen? Danach fühlst du dich bestimmt besser.“

Sie hatte geglaubt, er täusche sich, hatte geglaubt, nichts sei schlimmer als die Kälte in ihrer Beziehung. Doch schon nach der ersten Woche in ihrem neuen Domizil verstand Nina, was Guy gemeint hatte: Einsam war einsam, gleichgültig, wo man lebte. Guy hatte bloß nicht erkannt, dass das Zusammenleben mit ihm schlimmer gewesen war als das Alleinsein.

Ihre Mutter schlug in dieselbe Kerbe wie der heiß geliebte Schwiegersohn. „Vierzig ist der Anfang vom Ende, Kind!“, kreischte sie entsetzt. „In diesem Alter läuft dir eher ein Terrorist als ein anständiger Mann über den Weg! Wart’s ab, bald lassen deine körperlichen Reize nach, die ersten Krähenfüße zeigen sich, und du entdeckst Fettpölsterchen an den unmöglichsten Stellen. Dieser Bruch ist ein fataler Fehler! Sag Guy, du hättest deine Meinung geändert.“

Als Nina entschieden ablehnte, wurde sie praktisch verstoßen.

Selbst Charity fühlte sich zu einer Warnung genötigt. „Deine Mutter ist ein Eisklotz. Das war sie schon immer. Aber in einem hat sie recht. In der heutigen Dating-Szene herrschen Wildwestmethoden. Sei auf das Schlimmste gefasst.“

Zumindest das war unnötig, denn Nina brauchte keinen neuen Mann. Sie hatte ihren Job, ihr Apartment, und nun hatte sie auch noch Fred. Der würde sie niemals enttäuschen. „Wir werden für immer zusammen sein“, flüsterte sie ihm leise ins Ohr. Untermalt von seinen geräuschvollen Schnarchern schlief sie ein.

Debbie hauchte feuchte Küsse auf sein Gesicht. „Nein“, murmelte Alex schlaftrunken. „Ich will keine Kinder!“ Er schob ihre Nase weg, öffnete die Augen – und stieß einen markerschütternden Schrei aus.

Neben ihm auf der Couch lag ein Tier.

Ruckartig richtete er sich auf. Sein haariger Couchgenosse ging mit einem dumpfen Plumps zu Boden. „Was zum Teufel …“ Sanftes Licht der Stehlampe durchflutete den Raum und zeigte Alex das Monster zu seinen Füßen.

Es war ein Bassetmischling. Alle viere in die Luft gestreckt, ähnelte er allerdings mehr einer Salami mit Beinen.

Ungeschickt rollte sich die merkwürdige Kreatur auf den Bauch und sah ihn vorwurfsvoll an. Der Hund war wirklich sehr gut, was vorwurfsvolle Blicke anging.

„Tut mir leid“, entschuldigte sich Alex. „Du hast mich zu Tode erschreckt.“ Er kraulte den Hund hinter den Ohren. Sein vierbeiniger Besucher schloss die Augen und seufzte genüsslich. „Na, Sportsfreund, wo kommst du her? Noch besser – wie kommst du hierher?“ Er sah zur Apartmenttür: verschlossen. Damit blieb nur das Fenster. „Du bist durchs Fenster gekommen? Wer bist du? Superhund?“

Ein Blick in die sternklare Nacht sorgte für weitere Verwirrung. Das Hintertor war fest geschlossen. „Du musst in einem der Apartments leben.“

Sein Besucher präsentierte ihm sein wenig attraktives Hinterteil und entschied sich zu einem Wechsel in aufregendere Gefilde. Dabei glitzerte etwas Silbernes an seinem Halsband.

„Nicht so schnell, mein Junge.“ An der Tür fing Alex den Bassetmischling ein und entzifferte den Schriftzug auf dem Anhänger. Fred Askew – 2455 River Drive. Apt. 3 „Du gehörst eine Etage höher, Fred, alter Knabe.“ Suchend blickte er sich nach seinem T-Shirt um. „Auf zu einem kleinen Nachbarschaftsbesuch!“

Noch im Halbschlaf räkelte Nina sich wohlig und warf einen Blick zur Uhr auf dem Kaminsims. Elf. Zeit, Fred nach draußen zu setzen und ins Bett zu gehen.

Fred?

Der Hund lag nicht mehr neben ihr. Sie schaute unter Couch und Beistelltisch nach. Keine Spur von ihrem neuen Mitbewohner. Überhaupt erschien ihr das Apartment verdächtig still. Besorgt durchsuchte sie die Wohnung, rief immer wieder leise seinen Namen, doch Fred blieb verschwunden.

Er war fort! Kaum war sie eingeschlafen, suchte dieser treulose Geselle das Weite!

In Windeseile rannte sie die Feuerleiter hinunter und machte sich insgeheim schon auf den Anblick seines zerschmetterten Körpers am Fuß der Treppe gefasst. Im Dunkeln schritt sie systematisch den Hinterhof ab. Hinter und selbst im Müllcontainer schaute sie nach, für den Fall, dass Fred die Inspiration zu einer Klettertour überkommen hatte.

Kein Fred.

Das Tor war verschlossen und der Zaun zu hoch für jeden Hund, ganz zu schweigen von einem aerodynamisch leicht gehandicapten Bassetmischling.

Über die Feuerleiter kehrte Nina in ihr Apartment zurück. Angst und Panik schnürten ihr die Kehle zu. Was sollte sie nur tun? Das Tierheim anrufen? Die Polizei benachrichtigen? „Ich habe meinen Hund verloren. Er ist teils Basset, teils Beagle, teils Darling.“

Niedergeschlagen ließ sie sich in den Sessel fallen und überlegte.

Zu allem Überfluss klopfte es jetzt auch noch an der Tür.

Ihr unerwarteter Besucher war groß, blond, breitschultrig und jungenhaft-attraktiv.

„Ja bitte?“, fragte sie verwirrt.

Lässig lehnte er im Türrahmen. „Sind Sie zufällig Fred Askews Besitzerin?“

Nina sah zu Boden. Zu seinen Füßen hockte ein hochgradig gelangweilter Fred. Sein silbernes Namensschild glitzerte im Flurlicht.

„Fred!“ Nina sank auf die Knie und umarmte ihren untreuen Vierbeiner. „Oh, Fred, ich fürchtete schon, ich hätte dich verloren.“

Zur Begrüßung sabberte Fred ihr das Gesicht nass. „Danke.“ Nina richtete sich auf, strahlte Freds Retter an und wischte sich so gut es ging Freds Liebesbeweise ab. „Haben Sie vielen, vielen Dank. Wo haben Sie meinen abenteuerlustigen Vierbeiner gefunden?“

„Auf meiner Couch. Ich bin übrigens Alex Moore. Ich wohne in dem Apartment unter Ihnen.“

„Auf Ihrer Couch? Was machte er auf Ihrer Couch?“

„Das sollten wir Fred fragen.“ Ein winziges Grübchen bildete sich in seiner Wange.

Sein Lächeln war ein echter Killer, breit und freundlich und ein klein wenig teuflisch. Ninas Puls flatterte. Oh nein! „Ich sagte dir doch, es sind zwei Treppen, Fred Askew! Du kannst nicht einfach aus purer Faulheit ins erstbeste Fenster einsteigen!“

Unbeeindruckt trottete er von dannen.

Alex’ Verblüffung war offensichtlich. „Sie haben ihn an der Feuerleiter trainiert?“

Verlegen biss sie sich auf die Unterlippe. „Eigentlich sollten diese Klettertouren unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Bitte entschuldigen Sie. Ab sofort …“

„Nein, ich finde es toll. Verrückt, aber toll. Überhaupt sollten wir Fred für seinen jugendlichen Überschwang dankbar sein. Ohne ihn hätte ich heute Abend nicht Ihre Bekanntschaft gemacht.“ Bei dem amüsierten Funkeln in seinen braunen Augen spürte Nina ein seltsames Flattern in der Magengrube. „Die Pflege des Nachbarschaftsgeistes halte ich für ausnehmend wichtig.“ Ein verschmitztes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Natürlich habe ich Sie eigentlich noch gar nicht kennengelernt. Versuchen wir es also noch mal.“ Formvollendet reichte er ihr die Hand. „Ich bin Alex Moore.“

„Oh. Ich bin Nina. Nina Askew.“

„Hallo, Nina Askew.“

Dieser jungenhafte Charme hatte sicher schon ganz anderen Frauen weiche Knie verschafft. Er sah wirklich unglaublich gut aus. Nicht auf vornehm-distinguierte Art wie Guy. Dafür strahlte er trotz des zerzausten Haars und des leicht zerknitterten T-Shirts eine faszinierend sanfte Sinnlichkeit aus. Wirklich sehr ansehnlich, ihr neuer Nachbar!

Und er konnte kaum dreißig sein!

Ein sehr schlechtes Zeichen. Auch wenn ihre Reaktion nach einem Jahr der Enthaltsamkeit durchaus verständlich war – dieser Typ war noch ein Kind! Wenn sie so weitermachte, legte sie sich bald einen Porsche zu und klapperte die örtlichen Highschools ab!

Sobald Nina aufging, in welche Richtung ihre Gedanken abdrifteten, ließ sie die Hand fallen und beendete den Kontakt.

„Hey!“

Nina schrak zusammen, bis sie bemerkte, wem sein Protest galt. Sie wirbelte herum, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie Fred sich aus dem Fenster stürzte. „Nein! Fred!“

Alex rannte an ihr vorbei.

Nina folgte. Gemeinsam beobachteten sie, wie Fred die Leiter hinunterwankte, zielstrebig den Hof überquerte und prompt die Mülltonne bewässerte.

„Cleverer Hund.“ Alex hob eine Augenbraue. „Ist das auch Ihr Werk?“

„Ich habe mich auf die Treppen beschränkt. Wie man sein Bein hebt, wusste er bereits.“

„Clevere Frau.“ Sein raues, sehr männliches Lachen ging Nina durch und durch.

„Was halten Sie von einer Cola?“ Kaum waren die Worte heraus, bedauerte Nina sie auch schon wieder. Das letzte, was sie brauchte, war ein sündhaft erotischer, kaum den Turnschuhen entwachsener Junge in ihrer Küche.

Der hässliche Fred hat ein erstaunlich hübsches Frauchen, dachte Alex, während er Nina in die Küche folgte und den aufreizenden Schwung ihrer sanft gerundeten Hüften unter dem zerknitterten braunen Rock bewunderte. Allem Anschein nach war sie eben erst aufgewacht, denn ihre schwarzen Locken waren zerzaust, ihre dunklen Augen wirkten noch ein wenig schläfrig, und auf ihrer leicht geröteten Wange zeichnete sich der Abdruck eines Kissens ab. Kissen ließen ihn an Betten denken, was nur zu einer Sache führte. Besser, er vergaß das schleunigst wieder, oder er endete noch wie Max.

Andererseits war Max ein ziemlich glücklicher Kerl.

„Wohnen Sie schon lange hier?“ Nina stellte zwei Dosen Cola vor ihm auf dem runden Eichentisch ab. „Außer dem Hauswirt im Erdgeschoss habe ich noch keinen der anderen Bewohner kennengelernt.“

Alex riss den Blick von ihren verlockenden Kurven und verlor sich in den Tiefen ihrer wunderschönen dunkelbraunen Augen. Überaus attraktive Frau, Freds Besitzerin! Er schuldete Fred was! Die zarten, ebenmäßigen Gesichtszüge verliehen Nina eine Schönheit, die von innen heraus strahlte. Sie war einfach wundervoll. Das wollte er ihr auch sagen. Rechtzeitig fing er sich. Sie hätte es für einen Anmachversuch halten können.

Was es bei genauerem Nachdenken auch wäre. Eine äußerst schlechte Idee. Sie wohnte unmittelbar über ihm. Sehr schnell könnte ein harmloser Flirt bei jeder zufälligen Begegnung zu unnötigen Spannungen führen. Und falls sie ihm die Bemerkung jetzt nicht verübelte, dann bestimmt später, wenn er ihr erklären musste, dass ein Trauschein nicht in sein Lebenskonzept passte.

Trotz dieser Überlegungen fiel seine nächste Äußerung recht unvorsichtig aus. „Im Großen und Ganzen haben wir hier im Haus ein sehr angenehmes Wohnklima, wozu eine so schöne neue Mieterin wie Sie natürlich erheblich beiträgt.“ Sie errötete. Nicht gewohnt an Komplimente, was?, folgerte Alex und fragte sich, ob es einen Mann in ihrem Leben gab und falls ja, warum dieser Trottel sie nicht mit Komplimenten überschüttete.

„Manchmal höre ich jemanden an meiner Tür vorbeigehen auf dem Weg zum Apartment im dritten Stock, aber ich wollte nicht gleich ganz impulsiv die Tür aufreißen. Es wirkt so aufdringlich.“

Alex lachte. „Im dritten Stock wohnt Norma Lynn. Sie liebt Überraschungen. Tatsächlich glaube ich, Impulsivität ist ihr Lebenselixier. Sie ist fünfundsiebzig …“

„Und sie wohnt im dritten Stock? Wie schrecklich!“

Mitleid und Empörung spiegelten sich in ihren Augen. Wirklich eine nette Frau, diese Nina Askew! „Es war ihre eigene Entscheidung. Nach dem Umbau dieses Hauses hatte Norma die freie Auswahl.“

Nina schien verwirrt. Auch verwirrt sah sie ganz bezaubernd aus. „Sie wollte die dritte Etage?“

„Norma ist in besserer Verfassung als Sie und ich zusammen.“ Alex zögerte. Nein, nicht in besserer Verfassung als Sie, Lady! Aus reinem Selbsterhaltungstrieb verdrängte er jeden Gedanken an sie beide zusammen. Er musste unbedingt den Kontakt zu Max einschränken; er verwandelte sich in eine Ratte. „Sie erklimmt diese Stufen mindestens zweimal täglich auf ihrem Weg zum Yoga und ihrem Selbstverteidigungskurs, was, wie sie mit gewissem Stolz verlauten lässt, der Grund ist, dass sie die Oberschenkel einer Sechzehnjährigen besitzt. Außerdem steht ihr Trainingsrad auf der Feuerleiter, was zwar illegal ist, aber wen kümmert’s? Wenn Sie bei Sonnenaufgang den Kopf aus dem Fenster stecken, sehen Sie Norma in ihrem Tour-de- France-Outfit. Norma überlebt uns alle.“

„Bei Gelegenheit werde ich ihr Tee und Gebäck vorbeibringen. Sicher fühlt sie sich einsam.“

„Norma? Dienstags und donnerstags spielt sie Bridge, montags und mittwochs gibt sie Klavierstunden, und freitagabends findet das allwöchentliche Treffen ihrer Lesegruppe statt. Das weiß ich, denn sie hat mich zu sämtlichen Aktivitäten eingeladen.“

„Sind Sie hingegangen?“

„Beim Bridge beschwerte sie sich über mein mangelndes Pokerface, und beim Klavier konstatierte sie mir irreparable Unmusikalität. Der Lesegruppe bin ich allerdings noch nicht gegenübergetreten. Ich lese nicht viel.“

„Vielleicht besuche ich sie an einem der kommenden Abende.“

Nur ungern zerstörte Alex einen so netten Plan. „Besser nicht. Rich kommt abends zu Besuch. Jeden Abend.“

„Rich?“

„Ihr junger Lover.“ Eine bezaubernde Röte überzog Ninas Wangen. Auch Verlegenheit stand ihr ausnehmend gut. „Rich ist zweiundsechzig und wahrscheinlich der einzige Mann, der Norma das Wasser reichen kann. Natürlich nimmt Rich auch jedes Jahr am Marathonlauf teil und landet unter den ersten fünfzig. Die beiden sind großartig, aber abends würde ich dort nicht uneingeladen aufkreuzen, egal aus welchen Gründen. Junge Liebe braucht ihre Privatsphäre.“

„Glauben Sie, Fred könnte ein Problem werden?“, erkundigte sich Nina besorgt.

„Nur wenn er sich an Normas Trainingsrad erleichtert.“

Nina sah hinab auf den Haufen Fellwülste, in den Fred jedes Mal verschmolz, sobald er sich irgendwo niederließ. „Halt dich ja von Normas Rad fern, Fred!“

Fred schnarchte.

„Ich denke, er hat’s kapiert“, spottete Alex. „Aufgewecktes Kerlchen.“

„Und Alex’ Fenster ist ab sofort auch tabu!“, setzte Nina hinzu.

„Na, na. Wir wollen hier nicht übertreiben“, bremste Alex ihren Überschwang. „Ich kann immer Gesellschaft gebrauchen.“

Nina neigte den Kopf. Glanzlichter fingen sich in ihren schwarzen Locken. Wieso fiel es ihm nur plötzlich so schwer, sich an das Thema ihrer Unterhaltung zu erinnern? Es gab keinen Grund, dass sie ihn derart verwirrte. Schließlich war er kaum hinweg über seine Beziehung mit … mit …

Oh, zur Hölle!

„Geht es Ihnen gut, Alex?“

Mit wem war er noch ausgegangen? Sie war blond gewesen, daran erinnerte er sich. Höchste Zeit, hier zu verschwinden! Diese Nina Askew benebelte seinen Verstand! Von den verheerenden Auswirkungen auf seinen Hormonhaushalt ganz zu schweigen. „Mir geht es bestens, aber ich sollte jetzt gehen. Danke für die Cola.“

Sie brachte ihn zur Tür und dankte ihm für Freds Ablieferung. Währenddessen versuchte Alex verzweifelt, sich den Namen der Frau ins Gedächtnis zurückzurufen, mit der er sechs Wochen lang ausgegangen war. Es musste am Alter liegen. Morgen wurde er dreißig, und schon verabschiedeten sich fluchtartig seine kleinen grauen Zellen. Wie-immer-sie-auch-hieß war haarscharf davongekommen; ihre gemeinsamen Sprösslinge hätten lausig bei den Buchstabierwettbewerben abgeschnitten. Sie war der Typ, den jegliches Versagen in tiefe Depressionen stürzte. Wie, zum Henker, war bloß ihr Name?

„Debbie!“

„Nein, Nina“, wurde er sofort verbessert.

Wieder hatte Alex das Gefühl, sich in ihren dunklen Augen zu verlieren, was der Grund war, warum er überhaupt erst in diesen Schlamassel geraten war. „Ich weiß, dass Sie Nina sind. Ich suchte nur gerade nach dem Namen meiner … äh, Hündin.“

„Sie haben einen Hund?“ Nina strahlte. „Deshalb also ist Fred durch Ihr Fenster gestiegen. Er suchte nach einer Spielkameradin.“

„Nein. Debbie war meine … ist ja auch egal. Wie auch immer, Fred hatte die richtige Idee. Ich könnte selbst gut eine … einen Freund gebrauchen.“

„Jetzt haben Sie zwei davon direkt über sich.“

Zum Abschied schüttelten sie sich die Hand. Wie zart sie sich anfühlte! Ob ihre Haut überall so samtweich war? Vergiss es! befahl er sich und floh in den Flur. „Ich muss los. Bis bald, Fred.“

Auf dem Weg nach unten begegnete ihm Rich, der ekelhaft gesund aussah in Jeans und einem grau gestreiften T-Shirt, das genau mit dem Grauton seines Haars harmonierte. Rich war mit einer Pizza auf dem Weg zu Norma.

„Hallo, Alex.“ Zur Begrüßung gab es einen kraftvollen Boxhieb. „Sie amüsieren sich doch nicht heimlich mit meiner Lady, oder?“

„Rich, Sie wissen doch, Norma gönnt mir keinen zweiten Blick. Ich könnte mit ihrem Tempo niemals Schritt halten.“ Alex rieb seinen schmerzenden Bizeps. Rich hatte einen gemeinen Schlag an sich. „Ich war zu einem Antrittsbesuch bei der neuen Mieterin.“

„Nina Askew? Sehr attraktive Frau.“ Seine Augen verengten sich. „Sie ist älter als Sie.“

„Das sagt der Richtige.“

„Nein, nein, das ist gut!“ Verschwörerisch beugte Rich sich näher. „Ältere Frauen wissen gewisse Dinge.“

Alex hasste es zu fragen, aber er musste einfach. „Was für Dinge?“

„Gewisse Dinge eben. Sie kommen schon noch dahinter.“ Er seufzte. „Natürlich ist sie nicht Norma. Nachdem Norma fertig war, haben sie die Form zerbrochen.“

„Ich dachte immer, Norma hätte die Form mit einem wohlplatzierten Karatehieb zertrümmert, weil sie keine Konkurrenz wollte.“

Rich lachte schallend. „Warten Sie, bis ich das Norma erzähle. Es wird ihr gefallen.“

„Und wenn nicht, kommt sie runter und pulverisiert mich.“

Immer noch lachend joggte Rich mit Normas Pizza die Treppe hinauf.

„Ältere Frauen, hm?“, wiederholte Alex.

Doch Rich war schon zu weit weg, um seine Worte zu verstehen.

3. KAPITEL

„Gestern habe ich einen Artikel über die Wechseljahre gelesen“, meinte Nina unvermittelt inmitten eines wahren Festmahls aus fettfreien Brezeln, fettfreien Kartoffelchips und einer Karaffe randvoll mit Schokoladen-Amaretto-Milchshake.

„Wieso, um Himmels willen, liest du Artikel über die Wechseljahre?“ Da Fred sich als Weltklasseschnorrer entpuppte, gab Charity ihm eine Brezel, die er sofort wieder auf den Boden fallen ließ, mit der Nase anstupste und eingehend untersuchte. Nachdem feststand, dass sie sich in nichts von den vorhergehenden dreien unterschied, verschlang er sie gierig.

„Weil ich jetzt vierzig bin. Angeblich geht’s jetzt langsam los.“

„Nina, du bist erst knapp vierundzwanzig Stunden vierzig! Östrogenmangel setzt bestimmt nicht vor der nächsten Woche ein.“

Charity beugte sich über Ninas Schoß und schnappte sich die Chipstüte. „Wieso folterst du dich bloß dermaßen?“

Die Freundin hatte gut reden. In ihrem schwarzen, seidenen Catsuit wirkte sie elegant und sexy. Du bist, was du trägst, dachte Nina und betrachtete resigniert ihren blau gestreiften Baumwollpyjama. „Es gibt eine ganze Liste von Symptomen – eins grauenvoller als das andere.“

„Hitzewallungen.“ Charity nickte. „Die überkommen mich jedes Mal, wenn ich an Sean denke. Nur dass ich überzeugt bin, es ist Zorn und nicht die Menopause.“

„Eins dieser Warnzeichen ist dünner werdendes Schamhaar“, fuhr Nina ungerührt fort.

Schlagartig verging Charity der Appetit. „Das muss ich wirklich nicht wissen.“

„Also, ich möchte vorbereitet sein. Deswegen habe ich gestern Abend in der Dusche nachgesehen. Das vertrackte Problem ist, vorher habe ich meiner Schamhaardichte nie viel Aufmerksamkeit geschenkt. Woher soll ich da wissen, ob es dünner geworden ist?“

„Frag Guy.“

„Ich soll meinen Exmann um Überprüfung meiner Schamhaarbeschaffenheit bitten? Nein danke.“

Achselzuckend widmete sich Charity wieder den Chips. „Zur Not nimm Haarwuchsmittel.“

Nina sparte sich einen Kommentar und nippte an ihrem Milchshake. „Dann ist da noch diese Schwäche, die ich für jüngere Männer zu entwickeln scheine. Vor einigen Tagen lief ‚Friends‘ im Fernsehen, und ich ertappte mich dabei, dass ich überlegte, wie Matthew Perry im Bett ist.“

„Das habe ich mich selbst schon gefragt. Du weißt schon, ob er lange genug seine vorlauten Bemerkungen einstellt, um …“

„Charity, ich könnte Matthew Perry in die Welt gesetzt haben!“

„Nina, jede Frau träumt von Matthew Perry! Würdest du dich heißen Fantasien über Macauley Culkin hingeben, sähe ich Grund zur Besorgnis. Aber Matthew Perry? Nein!“

„Er zählt!“

„Nina, ich bitte dich! Ich träume von James Dean, und der ist tot. Das bedeutet noch lange nicht, dass ich mich mit einer Schaufel zum Friedhof aufmache. Zwischen Fantasie und Realität besteht nämlich ein himmelweiter Unterschied!“

„Es passiert auch in der Realität“, gestand Nina kleinlaut. „Gestern lernte ich meinen Nachbarn kennen. Ein wirklich netter Mensch – und ich denke nur, wie toll er im Bett ist, wie viel Spaß ich mit ihm haben könnte und was für sensible Hände er besitzt. Dabei kann er kaum älter als fünfundzwanzig sein!“

„Heraus mit der Sprache!“ Charity setzte sich auf. Hauteng umschmiegte die schwarze Seide ihre üppigen Kurven. Es war eine wahre Schande, dass kein Mann in der Nähe war. Der ganze Effekt war verschwendet. „Wer ist er? Was macht er? Ist er verheiratet?“

„Ich sagte dir doch, er ist noch ein Baby!“ Leicht entnervt schubste sie Freds Nase aus der Chipstüte.

„Ich mag Babys. Solange sie nicht mir gehören. Erzähl mir von ihm.“

Mit kaum verhülltem Argwohn musterte Nina die Freundin in ihrer schwarzen Seide, eine Kombination, die Männer jeden Alters um den Verstand bringen konnte. „Du willst dich an meinen minderjährigen Nachbarn heranmachen?“

„Nein. Ich werde dich dazu überreden. Sofern er unverheiratet ist.“

„Ist er. Jedenfalls trug er keinen Ring.“

Charity schnaubte.

„Du wirst mich zu nichts überreden, also vergiss es einfach!“

„Ist er süß? Womit verdient er seinen Lebensunterhalt?“, bohrte Charity.

Das Bild von Alex, lässig an ihrem Küchentisch, schoss Nina durch den Kopf. „Ja, er ist süß. Ich habe keine Ahnung, womit er sich seinen Lebensunterhalt verdient. Wahrscheinlich mit irgendwas, das ein rot-weißes Käppchen und heißes Frittenöl erfordert. Er erscheint mir nicht allzu karriereorientiert.“

„Das ist einfach wundervoll!“ In ihrer Begeisterung fütterte Charity Fred einen Kartoffelchip. Da es keine Brezel war, aß Fred ihn äußerst vorsichtig. „Mach ihn zu deinem Boy Toy! Wenn er bei McJob arbeitet, endest du nicht als Anhängsel eines Karrierebesessenen. Und bei seiner Jugend hat er bestimmt jede Menge Lust auf Sex. Das ist einfach perfekt!“

Eine überaus verlockende Vorstellung. „Es ist nicht perfekt! Ich gehe mit niemandem aus, der fünfzehn Jahre jünger ist! Ich gehe überhaupt mit niemandem mehr aus! Mir gefällt meine Freiheit. Nie wieder muss ich an öden Dinners teilnehmen und mich auftakeln, um die Karriere eines Mannes zu fördern.“ Für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie sich jemals mit Alex verabredete, oder – der Himmel möge es verhüten – mit ihm schlief, würde bestimmt alle Welt behaupten, sie durchlebe ihren zweiten Frühling. Halb Riverbend würde ihnen auf der Straße nachsehen und sich fragen, was er bloß an ihr fand. Guy würde spöttische Bemerkungen fallen lassen. Ihre Mutter würde die Augen rollen, ihre Freunde würden Witze reißen. Sie und Alex besaßen keinerlei Gemeinsamkeiten. Sie wäre besessen von ihrem dünner werdenen Schamhaar, er würde Luftgitarre spielen.

Am allerschlimmsten: Falls sie je mit ihm schlief, musste sie ihre Kleider ausziehen. Leider hatte ihre Mutter recht: Ihr Körper war vierzig Jahre alt. Die ganze Idee war unmöglich.

Außerdem war er sowieso nicht an ihr interessiert. Genau das fehlte ihr noch: erotische Fantasien über einen Mann, der sie als Mutterfigur sah! Allein durch seine Existenz fühlte sie sich gleich zehn Jahre älter.

„Wieso nicht?“, hakte Charity nach. „Alex hat dein Schamhaar noch nie zu Gesicht bekommen. Ihm wird es kaum auffallen, wenn es tatsächlich dünner geworden ist.“

„Und ich hielt dich für meine beste Freundin!“

„Genau deshalb bekommst du auch meinen kostenlosen Rat: Brich dem Jungen das Herz. Leiden fördert den Reifeprozess. Daneben ist eine heiße Affäre das beste Mittel gegen Scheidungsdepressionen. Vertrau Tante Charity. Wenn es um Romanzen geht, kennt sie sich aus. Davon abgesehen wird es Guy verrückt machen.“

Nina entschloss sich zu einem Themenwechsel, bevor diese verhinderte Kummerkastentante sie zu etwas wirklich Dummem überredete. „Vergiss Guy. Meine Depressionen verdanke ich Jessica.“

„Armes Baby! Hat sie dir wieder ein todlangweiliges Buch aufgebrummt?“

„Die Internatserlebnisse eines elitären High-Society-Schnösels. Ich dachte immer, die Superreichen seien lasterhaft. Dieser Knabe hat nie auch nur ein Bettlaken zerknautscht. Das entsetzlichste Gefasel, das ich je durchackern musste.“

Geistesabwesend rührte Charity in ihrem Milchshake. „Ich jedenfalls könnte eine Wahnsinnsautobiografie schreiben. Wenn ich an all die durchlittenen größeren und kleineren Katastrophen denke …“

„Ich sollte dich als Ghostwriter für diesen Langeweiler verpflichten. Misch etwas von deinem Sexleben unter sein Nicht-Leben.“

„Ich sollte mein eigenes Buch schreiben. Es wird langsam Zeit, dass ich eine aussichtsreiche Zukunft habe, statt einer erlebnisreichen Vergangenheit.“

Schmunzelnd fütterte Nina Fred einen Chip. Charitys Leben zwischen Buchdeckeln, eine Aneinanderreihung von Desastern, beschrieben mit Charitys trockenem Humor, das gäbe ein klasse Buch ab.

Ninas Lächeln verblasste. Warum eigentlich nicht? „Kannst du schreiben, Charity?“

„Natürlich kann ich schreiben! Ich kann auch lesen.“

„Ich meine Prosa. Könntest du ein Buch schreiben?“

„Ein Buch?“

„Deine Memoiren.“ Nina rückte näher. „Ich weiß, deine Trennungen müssen zum jeweiligen Zeitpunkt schrecklich gewesen sein, aber wenn du davon erzählst, klingt es wirklich komisch. Könntest du ein unterhaltsames, prickelndes Buch über dein Liebesleben schreiben?“

Eine volle Minute dachte Charity nach. „Mom sagt, ich schreibe tolle Briefe. Sicher. Wieso nicht?“ Sie erwärmte sich immer mehr für das Projekt. „Vielleicht ist eine Autorenkarriere ja meine Bestimmung. Die letzten achtunddreißig Jahre waren nur Recherche.“ Sie schob ihren Milchshake beiseite. „Ich könnte es als Ratgeber anlegen. Ein Kapitel für jeden Verflossenen. Es wäre wie eine Therapie. Zwölf Kapitel. Reicht das?“

Nina nickte begeistert. „Sicher. Mit einer Einführung und einem Schlussresümee, sagen wir zweihundert bis zweihundertfünfzig Seiten. Glaubst du, du könntest das? Glaubst du, du willst das?“

Charity richtete sich auf. „Absolut! Aber wird Jessica es verlegen?“

Solange ich ihr nicht sage, was es ist, dachte Nina. „Jessica unterstützt vehement jede Form von Frauenliteratur. Das wäre doch schließlich eine feministische Autobiografie, richtig?“

„Auf jeden Fall! Springt für mich finanziell was raus?“

Nina überschlug ihren Etat. „Ich brauche einen Entwurf, nichts zu Detailliertes. Nur ein kurzes Exposé und ein Probekapitel, vielleicht auch deine Einleitung. Dann lasse ich den Vertrag aufsetzen und dir einen Vorschuss zukommen. Viel wird es nicht sein. Höchstens tausend Dollar.“

Charitys Augen weiteten sich. „Es ist gebongt!“ Mit einem Satz war sie auf den Beinen, schnappte sich ihre große schwarze Umhängetasche vom Tisch und verärgerte damit Fred, der auf weitere Kartoffelchips spekulierte.

„Wo willst du hin?“

„Nach Hause. Schreiben“, verkündete Charity, als sei das die natürlichste Sache der Welt. „Wenn ich sofort anfange, kannst du den Entwurf Montag auf deinem Schreibtisch liegen haben.“

„Hör mal, Charity, Schreiben ist nicht so einfach. Es braucht Zeit. Es braucht …“

„Dann liegt er eben Mittwoch auf deinem Schreibtisch.“ Charity stand schon an der Tür. „Das ist eine Superidee! Du bist die Beste!“

Sie war verschwunden, noch ehe Nina die weiter reichenden Auswirkungen ihres Vorschlags aufgingen. Was hatte sie da nur wieder angerichtet? Falls Charity kein Buch schreiben konnte, wurde der Vertrag hinfällig, und sie hatte gerade eine zwanzigjährige Freundschaft zerstört. Falls Charity ein Buch schreiben konnte, es jedoch Jessicas Standards unterlief, stand ihr Job auf der Abschussliste. Falls Charity ein Buch schreiben konnte und Jessica veröffentlichte es durch irgendein Wunder, wäre Howard Press in null Komma nichts auf dem Weg zurück in die schwarzen Zahlen, und ihre Karriere wäre gesichert.

Und Schweine können fliegen, dachte Nina.

Fred wischte seine triefende Nase an ihrem Bein ab.

„Keine Sorge, ich habe dich nicht vergessen. Willst du dir ein Video anschauen? Sieh mich nicht so jämmerlich an, deine Memoiren veröffentliche ich auf gar keinen Fall! Nicht genug Sex in deinem Leben, Freundchen.“ Sie dachte an die inakzeptabel junge Versuchung ein Stockwerk unter ihr. „Oder in meinem.“

Fred stützte die Vorderpfoten auf ihr Bein und jaulte mitleiderregend, daher gab sie ihm den Rest von Charitys Milchshake, räumte die Überreste des üppigen Gelages fort und setzte sich, in Ermangelung einer aufregenderen Freitagabendunterhaltung, mit den Memoiren des Möchtegern-Pulitzer-Preisträgers an den Küchentisch.

Das Läuten der Türglocke befreite sie aus einer besonders zähen Passage. Schnell zog sie ihren Morgenrock über und verließ das Manuskript mit unpassender Hast.

Als sie ihren Besucher erkannte, machte ihr Herz einen Satz.

„Hi.“ In einem weißen Hemd und schicken marineblauen Hosen lehnte Alex in der Tür. Seine Krawatte hing schief, sein Blick wirkte leicht glasig. Allzu sicher schien er auch nicht auf den Beinen. „Erinnern Sie sich an mich?“

„Wir haben ein wenig zu tief ins Glas geschaut, nicht wahr?“