Julius und die Ninsnens-Detektive - Christian Däullary - E-Book

Julius und die Ninsnens-Detektive E-Book

Christian Däullary

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Beschreibung

Julius ist mit Leib und Seele Detektiv. Im sonst so friedlichen Zaubertal verschwinden seit Beginn der großen Ferien reihenweise Katzen. Als ausgerechnet mit dem Kater von Julius' Freunden Olli und Carla das erste Todesopfer auftaucht, schwören die drei Freunde, den Mörder zu finden. Und schon bald haben sie eine erste, heiße Spur. Als kurz darauf auch noch ein seltsames Wesen im Zauberwald landet, ahnen die drei Freunde, dass sie diese Sommerferien nie mehr vergessen werden ... Stürz' dich mit Julius, Olli und Carla ins erste Abenteuer der drei Ninsnens-Detektive und entdecke das Geheimnis im Zaubertal.

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Seitenzahl: 196

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Christian Däullary

Julius und die Ninsnens-Detektive

Das Geheimnis im Zaubertal

© 2021 Christian Däullary

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-347-30481-9

Hardcover:

978-3-347-30482-6

e-Book:

978-3-347-30483-3

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für Cédric und Tim

Meine Sterne,

die tausendmal heller leuchten als die Sonne.

Eins

Julius war wirklich ein ganz besonderer Junge. Wer kennt schon jemanden, der unsichtbar werden kann? Julius konnte das! Aber nur nachts in seinem Zimmer. Kurz vor dem Einschlafen klappte es am allerbesten. Und mit der Angst vor seinem Vater im Genick war es für Julius ein Kinderspiel, unsichtbar zu werden.

Einen Tag bevor unser Abenteuer begann, war Julius’ Vater ohne zu frühstücken in seine grüne Latzhose geschlüpft und hatte wortlos das Haus verlassen. Julius hatte geahnt, dass sein Vater nicht in die Werkstatt fahren würde und tatsächlich stand der giftgrüne Lieferwagen vormittags um Zehn an seinem Stammplatz vor dem ‚Ochsenwirt’. Dabei war es ein ganz gewöhnlicher Dienstag im Juli. Es war aber auch der fünfte Tag, seitdem Kater Carlo verschwunden war.

Kurz nach zweiundzwanzig Uhr kroch Julius unter die dünne Sommerdecke in seinem Bett. Von seinem Vater gab es noch keine Spur. Julius blätterte gedankenlos in einem Detektivroman herum und knipste nach ein paar Minuten die Nachttischlampe aus. Er drehte sich auf den Bauch und sagte in die Dunkelheit: „Gute Nacht, Kokoschka. Wo immer du gerade bist.“

Dann zog er sich das Daunenkissen über den Kopf. Mit dem rechten Arm formte er einen Tunnel, durch den er den Sauerstoff gleichmäßig in seine Lungen sog. Er schloss die Augen und kurz darauf setzte die Unsichtbarkeit ein. Seit ein paar Monaten konnte Julius nur noch einschlafen, wenn er unsichtbar war.

Die grünen Leuchtziffern des Weckers zeigten null Uhr einundzwanzig, als Julius mit klebrigen Haaren erwachte und sich das Kissen vom Kopf zog. Er schlug die Augen auf und erschrak: Unter der Fensterbank kauerte ein Monster und streckte die Arme nach ihm aus! Sein Pulsschlag schoss in die Höhe. Als das Licht eines vorbeifahrenden Autos für einen kurzen Augenblick den Raum erhellte, erkannte er das Monster: Eine zerknüllte Jogginghose. Julius atmete tief durch. Vom Schreibtisch her hörte er das leise Ticken seiner Armbanduhr. Dann setzte das seltsame, metallische Kratzen wieder ein, das ihn offenbar geweckt hatte.

„Kokoschka?“, flüsterte Julius in die Dunkelheit. „Bist du das?“

Dumpf gemurmelte Flüche rissen ihn endgültig aus seinem Dämmerzustand. Julius stützte sich auf den Arm und überlegte, ob er sich unsichtbar machen sollte. Er hielt den Atem an. Das Kratzen kam von der Haustür. Ein Einbrecher!, schrie eine Stimme in seinem Kopf. Ein heißer Schauer fuhr Julius bis in die Haarspitzen. Die Angst sprang ihn an wie eine schleimige Kröte. Julius kletterte aus dem Bett, ohne Licht zu machen. Die Dunkelheit legte sich wie ein schwarzer, bleierner Mantel auf seine Schultern. Selbst der Mond schien sein Licht ausgeknipst zu haben. Seine Unterlippe begann zu bibbern. Das Blut schlug pochend gegen seine Schläfen. Mit dem Fuß stieß er gegen einen Legoturm, der scheppernd in sich zusammenstürzte. Julius verwünschte wortlos seine Unordentlichkeit. Draußen wurde es still. Der Einbrecher musste etwas gehört haben! Dennoch schlich Julius weiter, öffnete mit einem schwachen Quietschen seine Zimmertür und trat einen Schritt auf den kalten Fliesenboden im Flur. Die Schlafzimmertür gegenüber war einen Spalt geöffnet. Julius erkannte das gleichmäßige Schlafgeräusch seiner Mutter. Nur die fünf Schritte bis zur Schlafzimmertür, dachte Julius, als das Fluchen vor der Haustür weiterging. Da endlich erkannte Julius die Stimme. Frank Richter war offensichtlich betrunken und nicht in der Lage, den Schlüssel ins Schlüsselloch zu stecken, hilflos kratzte er am Türblech herum. Julius trat lautlos einen Schritt auf die Haustür zu. Im Schein der Straßenlaterne konnte er seinen Vater durch die Glaselemente vor der Haustür knien sehen. Julius griff nach dem alten Bartschlüssel am Schlüsselbrett und nahm ihn vorsichtig vom Haken. Er wagte nicht zu atmen. Mit dem Daumen tastete er nach dem Schlüsselloch und steckte den Schlüssel geräuschlos ins Schloss. Er drehte ihn um und drückte die Türklinke nach unten. Kaum war die Haustür einen Spalt geöffnet, bemerkte Frank Richter seinen Sohn. „Verdammter Nichtsnutz!“, lallte er. „Was treibst du dich hier rum, mitten in der Nacht? Schau zu, dass du ins Bett kommst!“

„Aber Papa, ich wollte dir doch nur die Haustür…“, erwiderte Julius. Da flog die Tür mit einem Ruck auf. Die Türklinke knallte gegen die Wand, ein Stück Putz rieselte auf die Fliesen. Julius war gerade zur Seite gesprungen, als er die feuchten Finger seines Vaters an seiner Wade spürte. Er schrak zusammen und stieß einen kurzen, grellen Schrei aus wie eine Maus in den Klauen eines Uhus. Frank Richter verlor das Gleichgewicht und knallte der Länge nach auf den Fliesenboden. Julius drehte sich um, huschte in sein Zimmer und warf sich auf das Bett. Wie nach einem langen Waldlauf versuchte er, seinen Atem unter Kontrolle zu bringen. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Julius zog sein feuchtes Daunenkissen über den Kopf und begab sich wieder in den Zustand, der ihn so einzigartig machte. Der Schlaf stellte sich in dieser Nacht aber erst ein, als die müde Julisonne schon durch die Rollladenschlitze in sein Zimmer fiel.

Selten zuvor war es so heiß im Zaubertal, wie an diesem Tag. Die aufsteigende Hitze flimmerte über den Wiesen. Ein glühender Sommerwind strich vom Bach herüber und hatte den Geruch von dürrem Gras dabei. Müde schaukelten die Bäume im Wind und erfüllten die Luft mit einem sanften Rascheln. Julius stieg durch das hohe Gras wie ein Watvogel. Immer wieder stellten sich die Bilder der letzten Stunden in seinem Kopfkino ein. Sein betrunkener Vater am Boden, seine Mutter am Morgen, wie sie Blut aus den Fliesenfugen scheuert und das verquollene, vorwurfsvolle Gesicht seines Vaters am Frühstückstisch.

Julius hielt das Werkzeugbündel fest unter dem Arm und sah über das Stoppelfeld hinüber zum Zauberwald. Das kleine, schwarze Fähnchen wehte hoch oben in den Bäumen. Das war das Zeichen, dass seine Freunde schon im Bunker waren. Julius dachte an Carla. Ihr geliebter Kater Carlo war nun schon den sechsten Tag spurlos verschwunden und mit ihm ein halbes Dutzend anderer Katzen im Zaubertal. Niemand konnte sich erklären, was mit den Tieren passiert war. Julius senkte den Blick und suchte den Waldrand nach dem Eingang zum Bunker ab. Die Tarnung war perfekt. Nicht einmal er konnte auf den ersten Blick erkennen, wo der geheime Zugang verborgen lag. Julius pustete sich die blonden Haarsträhnen von den Wimpern. Er beschloss, den direkten Weg über das Stoppelfeld zu nehmen und nicht außen herumzulaufen. Unter seinem linken Arm klemmte ein Stapel Bretter für eine Sitzbank, die er aus der Werkstatt seines Vaters mitgebracht hatte. Keuchend stakste er über die Stoppeln, die ihn in die nackten Waden pieksten. Auf seiner Stirn sammelten sich Schweißtropfen zu einem schmalen Bach, der die Augenbrauen benetzte. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe. Der salzige Geschmack machte ihm Durst. Keine zwanzig Meter waren es noch bis zum Waldrand, als Julius mit der Fußspitze an einem weichen Gegenstand hängen blieb. Er geriet ins Straucheln und hob rudernd den Arm. Mit einem Grollen fielen die Bretter zu Boden. „Scheiße!“, zischte Julius und drehte sich um. Zuerst dachte Julius an einen Feldhasen, aber als er einen Schritt auf das Ding zutrat, über das er gestolpert war, erkannte er den Körper einer toten Katze. Julius ging in die Hocke und fuhr mit den Fingerspitzen über den Tierkadaver. Die Zeichnung des Fells ließ keinen Zweifel, wer da vor ihm lag. Julius ließ das Werkzeug durch die Finger zu Boden gleiten und nahm die letzten Schritte bis zum Eingang des Bunkers im Sprint.

„Olli? Carla? – Olli!“, schrie Julius und tastete hinter der Blätterwand nach der Eingangstür. Zuerst streckte Olli sein verdattertes Gesicht durch den Blättervorhang. Gleich darauf folgte seine Schwester Carla. Olli fuhr durch seine schwarzen Locken am Hinterkopf, zog die Schultern auf und sagte: „Was ist los? Hast du einen aus der Rattenbande erwischt? Warum schreist du so?“

„Viel schlimmer“, entgegnete Julius und suchte nach Carlas Augen. „Ich fürchte, ich hab’ Carlo gefunden!“

Carla sprang auf: „Carlo? Wo?“. Sie sah Julius durchdringend an: „Aber warum fürchtest du? - Julius? Warum fürchtest du, du hast Carlo gefunden?“

Carla starrte Julius fordernd an: „Wo ist er? Wo zum Teufel ist Carlo?“

Julius senkte den Blick zu Boden. Hilflos deutete er mit dem Daumen hinter sich. „Draußen. Er liegt auf dem Feld.“

Olli sah von Carla zu Julius und stammelte: „Er liegt? Was soll das heißen? – Hast du etwa…“. Julius nickte. „Soll das heißen, dass du seine - seine Leiche gefunden hast?“, fuhr ihn Carla an. Ihre Augen waren zu kleinen Schlitzen geschrumpft, die sich langsam mit Tränen füllten. „Bist du sicher, dass es Carlo ist?“

Julius sah Carlas bebende Augenlider und flüsterte: „Kein Zweifel. Tut mir leid!“

Ein paar Minuten danach beugten sich die beiden Jungs über den toten Kater auf dem Stoppelfeld und hielten sich die Nasen zu. Fliegen umschwirrten den Kadaver. Carla stand ein paar Meter dahinter. Ihr Schluchzen wehte mit dem Sommerwind über das Feld. Julius hielt sich angeekelt die Hand vor den Mund. Er nahm das Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. „Wer macht so was? Wer ermordet wehrlose Katzen?“

Olli sah Julius verdutzt an und zog die Nase hoch. „Ermordet? Wie kommst du denn darauf?“

Julius hob ein Brett vom Boden auf und drehte den toten Kater damit ein wenig zur Seite. Deutlich konnte man ein Loch am Rippenbogen erkennen, aus dem Blut ausgetreten war. Julius deutete mit dem Finger auf das Loch und sagte: „Was soll das deiner Meinung nach sein?“.

Olli legte die Stirn in Falten. „Na ja, das könnte doch auch… Ich meine, das könnte doch auch ein großes Tier - ein großer Hund oder was…“

„Oder ein Tiger vielleicht?“, frotzelte Julius. „Das sieht doch ein Blinder, dass das kein Tier war.“

„Ja, ja, Klugscheißer. Geht das schon wieder los! Kaum, dass die Ferien…“, entgegnete Olli, aber Carla fuhr dazwischen. Lautlos hatte sie sich hinter die beiden Jungs gestellt und sagte mit tränenerstickter Stimme: „Könnt ihr nicht wenigstens vor dem toten Carlo mal aufhören mit eurer Streiterei? Das geht mir so auf den Geist!“

„Ist ja schon gut. Ich geb’ s ja zu. Nach einem Tier sieht das nicht gerade aus. Obwohl…“, Olli zögerte und fuhr mit der Hand über die ausgedörrte Erde. „Und was ist das hier?“ Auf dem Lehmboden waren schwache Pfotenabdrücke zu sehen. Carla, die versuchte, ihre Fassung wieder zu finden, ging in die Knie: „Hundespuren. Sieht aus wie von einem großen Hund oder einem kleinen Bären. Aber ich denke, den Bären können wir ausschließen. Also bleibt nur noch ein Hund.“

Julius beugte sich zu Olli und Carla hinüber. „Ja, das mit dem Bären können wir vergessen. Aber ich denke trotzdem nicht, dass das Loch von einem Hundegebiss stammt.“ Julius senkte den Blick wieder auf den toten Carlo. Seine Gedanken kehrten zur letzten Nacht zurück. Als er im Morgengrauen unsichtbar unter seinem Kopfkissen lag, hatte er wieder diese eigenartige Kraft in sich gespürt. So wie schon ein paar Tage zuvor, als er am offenen Fenster Ausschau nach Kokoschka, dem Waschbären, gehalten hatte und in den lauen Sommersternenhimmel sah. Er konnte es sich nicht erklären, aber es war, als ob irgendetwas, irgendjemand mit ihm in Kontakt treten wollte. Julius spürte diese Kraft immer dann, wenn er sich besonders einsam fühlte oder wenn er besonders viel Angst vor seinem betrunkenen Vater hatte. Dann wünschte er sich so sehr jemanden, der ihm zur Seite stand, dass er langsam die seltsame Kraft in sich aufkommen spürte. In der vergangenen Nacht ging die Kraft noch einen Schritt weiter. Ein elektrisches Kribbeln hatte in seinen Fingerspitzen begonnen und schien langsam durch den Körper zu wandern wie ein warmer Schauer. Julius spürte, dass die Zeit für eine Veränderung gekommen war. Nur für welche wusste er noch nicht. Als er zu dem toten Kater hinunterblickte, stellte sich das merkwürdige Gefühl wieder ein. Er starrte auf seine Hände, die zu kribbeln begannen wie nie zuvor. Carla bemerkte die Veränderung an Julius und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Juli? Alles in Ordnung mit dir?“

Doch Julius reagierte nicht. Er starrte an Carla vorbei in den glühenden Sommerhimmel, denn im gleichen Augenblick wurde ihm klar, dass bald etwas sehr Sonderbares geschehen würde.

Zwei

Julius begleitete Carla in den Bunker und bat sie, eine Weile auf Olli und ihn zu warten, bis sie mit der Spurensicherung fertig waren. Dann ging er wieder mit Olli an die Arbeit. Julius beugte sich mit seiner Lupe über die beiden Löcher in Kater Carlos Brust und schrieb etwas in sein Notizbuch. Als er gerade die Hundespuren betrachtete, fiel Julius’ Blick auf den Hals des toten Katers. „Siehst du das?“, fragte er Olli und deutete mit der Fingerspitze auf Kater Carlos Hals. Die Haare waren an ein paar Stellen verklebt. „Das ist kein Wasser. Ich glaube eher, dass der Speichel von einem Hund oder von einem anderen Tier stammt.“

„Na also“, entgegnete Olli triumphierend. „Doch ein Tier! Was sag’ ich denn die ganze Zeit? Du immer mit deinen Detektivgeschichten. Machst aus jedem Ladendiebstahl einen Großraub, nur weil du die Nase immer in deinen Büchern hast.“

„Kann ich was dafür, dass du nicht lesen kannst?“, fuhr ihn Julius an.

„Ich kann was nicht? Dir zeig ich gleich, wer hier nicht lesen kann, du Ratte“, schleuderte ihm Olli entgegen und baute sich vor Julius auf. Gerade als Julius einen Arm schützend vor das Gesicht hob, stellte sich das seltsame Gefühl wieder ein. Das Kribbeln in den Fingerspitzen breitete sich über die Schultern auf den Rücken aus. Er starrte auf seine Hände. Olli bemerkte, dass mit seinem Freund etwas nicht stimmte: „Juli? Was ist los?“

„Ähm, alles okay“, stammelte Julius. „Es ist nur, ich hab’ da seit ein paar Wochen immer wieder so ein komisches Kribbeln in den Händen. Ich weiß nicht, was das ist, aber es ist sehr, sehr seltsam. Als ob…“, Julius zögerte.

„Als ob was?“, fragte Olli.

„Als ob mir jemand seine Kraft schicken wollte“, sagte Julius und schaute seinen Freund durchdringend in die Augen. Zögerlich fügte er hinzu: „Ich weiß, dass sich das jetzt blöd anhört. Aber ich glaube, es wird bald etwas Außergewöhnliches passieren.“

Carla saß noch an der gleichen Stelle im Bunker und starrte auf den kühlen Lehmboden. Ihre langen Wimpern waren verklebt von den vielen Tränen. Julius trat in den Raum. „Na, Carla. Geht’s wieder?“

„Ja, ja, geht bald wieder“, antwortete Carla schniefend und fuhr fort: „Juli, habt ihr schon wieder gestritten?“

Olli steckte den Kopf zur Tür hinein und sagte: „Wer streitet hier, hä?“

Julius ignorierte seinen Kumpel. „Sag mal Carla, was sollen wir mit Carlo machen? Möchtest du ihn zu Hause begraben?“

Carla sah zu Olli hinüber und sagte: „Zu Hause? Nein, das wird nicht gehen. Da wird Papa sicher was dagegen haben, wenn wir ihm den englischen Rasen umgraben. Außerdem hat er Carlo noch nie leiden können.“

Olli fügte hinzu: „Bah, das gäbe Zoff, wenn wir in seinen geliebten Rasen ein Loch machen würden! Der kriegt ja schon einen Anfall, wenn von euch ein paar Pusteblumen herüberwehen.“

Olaf Sauter, der Vater von Carla und Olli, war in Möhrbach bekannt für seinen Rasen, der immer penibel gepflegt war wie der heilige Rasen von Wimbledon. Sobald Herr Sauter am Wochenende von seinen langen Dienstreisen nach Hause kam, sprang er auf den Rasenmähertraktor und fuhr stundenlang damit im Garten herum, bis der Rasen dem Green auf einem Golfplatz glich. Tonnen von sündhaft teurem Rasendünger landeten Jahr für Jahr auf Herrn Sauters Rasen. Spielen war auf dem grünen Teppich strengstens verboten. Bei Carla drückte Herr Sauter manchmal ein Auge zu, aber bei Olli war er gnadenlos.

„Na gut“, sagte Julius. „Was machen wir dann mit Carlo?“

„Wir begraben ihn hier ganz in der Nähe“, beschloss Carla. „Oben auf der Einhornlichtung.“ Die drei Freunde wickelten Kater Carlo in eine Decke und machten sich auf den Weg durch den Zauberwald, hinauf zur Einhornlichtung.

Eine Viertelstunde später waren die drei Freunde dabei, mit bloßen Händen ein Loch in den moosigen Waldboden auf der Einhornlichtung zu graben. Die Sonne fiel durch die hohen Bäume wie in einen Brunnenschacht und sorgte für ein faszinierendes Licht- und Farbenspiel mitten im tiefen Wald. Der Geruch von Walderdbeeren und dürrem Holz drang Julius in die Nase. Die Einhornlichtung war einer der schönsten Orte im Zauberwald und Carlas absolute Lieblingsstelle. Von der Einhornlichtung ging eine besondere Kraft aus. Der Legende nach hatte die junge Tochter des Jägers von Möhrbach vor vielen Jahren beim Pilze sammeln an dieser Stelle des Waldes ein leuchtend weißes, scheues Tier mit einem Horn beobachtet, das schillernd rote Augen hatte. Aufgeregt war das Mädchen zu ihrem Vater nach Hause gelaufen und hatte ihm davon erzählt. Der Vater machte sich noch am gleichen Tag mit ein paar Gehilfen auf in den Zauberwald und legte sich auf die Lauer. Tatsächlich gelang es den Jägern nach zwei Tagen, das Tier aufzuspüren. Es handelte sich um einen schneeweißen Rehbock, dem nur ein Horn gewachsen war. Genau an der Stelle, wo die Einhornlichtung lag, wurde das ‚Einhorn’ erlegt. An der Abschussstelle hatten ihm die Jäger das Horn abgenommen und waren mit dem toten Tier triumphierend durch Möhrbach gezogen. An der Stelle im Wald aber, an der das Tier erlegt wurde, begannen in den nächsten Monaten alle Bäume zu sterben. Fortan wuchs nie wieder ein Baum im Umkreis von fünfzig Metern um die Abschussstelle herum. Die Lichtung hatte im Lauf der Generationen nichts von ihrem geheimnisvollen Zauber verloren. Im Sommer war es hier wunderbar kühl. Das Licht der hochstehenden Sonne fiel fast senkrecht in den Krater aus turmhohen Fichten. Der Waldboden war von einem riesigen Moosteppich bedeckt, auf dem man herrlich barfuß herumtollen konnte. Unter den Sohlen matschte das feuchte Moos. Der Geruch von Kiefernzapfen und wilden Brombeeren stieg einem in die Nase, Frauenfarne nickten müde im Sommerwind.

Nach einer halben Stunde hatten sich die drei Freunde fast einen Meter tief in den lockeren Waldboden gegraben. Keuchend wischten sie sich die lehmigen Hände am feuchten Moosteppich ab. „Ich denke, das wird reichen“, sagte Carla und zog ein Halstuch aus der Hosentasche. Sie breitete es auf dem Boden aus und legte Kater Carlo fürsorglich darauf. Immer wieder streichelte sie über das Fell des toten Katers. Schließlich faltete sie schluchzend den Stoff um das tote Tier und übergab den Leichnam schließlich ihrem Bruder. Mit feuchten Augen bettete Olli den Kater zur letzten Ruhe in das Grab im Waldboden. Der Wald war still und friedlich. Alle Tiere im Wald hielten Carlo zu Ehren eine Schweigeminute ab. Die drei Freunde stellten sich im Kreis um das Grab herum auf und hielten sich bei den Händen. Schließlich nahm Carla eine Handvoll Erde und schüttete sie auf Carlo. „Asche zu Asche, Staub zu Staub“, schluchzte sie. Die Tränen bahnten sich ihren Weg über die Wangen, als sie hinzufügte: „Machs gut da oben im Katzenhimmel, Carlo! Ich werde dich nie vergessen.“

Julius trat neben Carla und suchte zaghaft ihre Hand. Carla erwiderte den Händedruck und begann noch mehr zu schluchzen. Nachdem sie das Grab von Kater Carlo zugeschüttet hatten, bedeckten sie es mit einem Moosteppich. Daneben setzten sie ein paar Farne ein. Aus den Zweigen einer jungen Buche banden Julius und Olli ein Kreuz und steckten es auf das Grab. Dann setzten sie sich auf den Moosteppich und schauten auf den Frauenfarn, der in der leichten Sommerbrise schaukelte. „Okay, Carlo“, sagte Julius feierlich und hob die rechte Hand zum Schwur. „Wir schwören dir hiermit hoch und heilig, dass wir deinen Mörder finden werden. So wahr wir Detektive sind!“

Julius sah in die betretenen Gesichter seiner beiden Freunde. Olli und Carla hoben die rechte Hand und sagten gleichzeitig: „Ich schwöre.“ Carla putzte sich mit dem Ärmel des anderen Arms die triefende Nase und trocknete die letzten Tränen. Olli atmete tief durch:

„Na dann, lasst uns anfangen!“

Julius nickte. „Okay, was haben wir? Sechs oder sieben verschwundene Katzen und eine Leiche. Dazu eine schwache Hundespur, die von jedem dritten Hund im Zaubertal stammen könnte.“

Olli fiel seinem Freund ins Wort: „Also viel ist das ja nicht gerade.“

„Glaubst du etwa, der Mörder legt seine Visitenkarte gleich dazu?“, fauchte ihn Julius genervt an.

„Aufpassen, Klugscheißer! Aufpassen“, entgegnete Olli forsch und hob drohend den Zeigefinger. Julius wischte Ollis Hand weg und als er in Carlas vorwurfsvolles Gesicht sah, sagte er: „Lass jetzt mal deine Drohspielchen. Wir wissen ja, dass du der große, starke Olli bist.“ Julius verschluckte ein Lächeln und fuhr dann fort: „Der große Olli hat aber eine ganz wichtige Sache übersehen: Die beiden Löcher in Carlos Brust.“

Carla sah Julius gespannt in die Augen: „Was meinst du, Julius? Woher könnten die Löcher stammen?“

Olli, der die Blicke seiner Schwester mit Argwohn beobachtet hatte, sagte mürrisch: „Frag nur unseren Klugscheißer hier. Der wird den Fall schon lösen.“

„Was soll das, Olli? Jetzt hör auf mit deiner verdammten Eifersucht. Ich hab’ Julius eine ganz normale Frage gestellt“, zischte Carla.

„Ist schon okay, Carla. Lass gut sein. Ich denke, das ist Ollis Art, mit seiner Trauer umzugehen“, erwiderte Julius und fügte hinzu: „Also ich tippe auf Einschusslöcher, obwohl ich keine Anzeichen von Schmauchspuren am Fell von Carlo entdeckt habe. Jedenfalls nicht mit bloßem Auge. Die Löcher könnten aber genauso gut von einem spitzen Gegenstand…“, Julius fuhr zusammen. Von einer Sekunde auf die andere begannen seine Hände zu kribbeln wie nie zuvor. Eine wohlige Wärme breitete sich über die Oberarme in die Schultern aus. Die feinen Härchen auf seinen Armen standen zu Berge, als ob er in eine Steckdose gefasst hätte. Als die Wärme langsam den Kopf erreicht hatte, befiel Julius ein wundersames Gefühl. Er bildete sich ein, eine Stimme zu hören, die zu ihm sprach: „Wende deine Blicke zu mir empor.“

Julius legte den Kopf in den Nacken und sah in den Himmel über der Einhornlichtung. Die Sonne schickte ihre Strahlen durch schmale Dunststreifen in den Wipfeln. Plötzlich tauchte aus dem Nichts ein orange-roter Strahl am Himmel auf und zischte wie ein Blitz in die Bäume. Äste knackten und fielen zu Boden.

„Was war das denn“, schrie Carla und schnellte in die Höhe. „Ein Gewitter? Bei strahlendem Sonnenschein?“, entgegnete Olli.

„Psst, ganz leise“, flüsterte Julius und legte den Zeigefinger auf die Lippen. Olli und Carla wagten kaum zu atmen. Irgendwo war das Knacken eines Astes zu hören. Julius machte ein paar Schritte in Richtung einer riesigen Rotbuche. Er hob den Blick in die Äste hinauf. Da hörte er eine fremdartige Stimme: „Dreimal verflixter Ninsnenskot! Verflixt, verflixt, verflixt!“

Julius starrte seine beiden Freunde an. „Habt ihr das auch gehört?“

„Klar“, erwiderte Olli, „wir sind doch nicht taub!“

Julius schaute nach oben und drehte sich langsam im Kreis. Er zuckte zusammen. Ungläubig staunend sah er am mächtigen Stamm der Rotbuche empor. Sein Blick blieb an einem sonderbaren Zwerg kleben, der an einem dünnen Seil an einem Ast zappelte wie ein Fisch an der Angel.

Die Kreatur sah aus wie eine Mischung aus Staubwedel und Rauhaardackel und fluchte wie ein Bierkutscher. Um seinen silbernen, zotteligen Körper, der nicht einmal einen halben Meter groß war, hatte er eine Art Fallschirmgurt gespannt. Die Seile hatten sich in den Ästen verfangen, so dass er hilflos über dem Abhang baumelte.

Als der Zwerg die drei sprachlosen Freunde erblickte, schimpfte er los: „Was glotzt ihr denn so da unten? Ihr habt wohl noch nie einen Ninsnens gesehen, was?“

Julius konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und erwiderte: „Jedenfalls noch keinen, der so ulkig von einem Baum herunterhängt.“