Jungs müssen draußen bleiben! (Band 1) ... und trotzdem zieht das Chaos ein - Patricia Schröder - E-Book

Jungs müssen draußen bleiben! (Band 1) ... und trotzdem zieht das Chaos ein E-Book

Patricia Schröder

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Beschreibung

Eigentlich ist die 13-jährige Hannah mit ihrem Leben ganz zufrieden: Mit ihren zwei besten Freundinnen Elif und Sophie wird es in der Schule nie langweilig und auch ihre kleine Schwester nervt bloß ein bisschen. Wären nur die Jungs in ihrer Klasse nicht so furchtbar doof! Als dann auch noch ein fremder Junge in Hannahs Kleiderschrank auftaucht und behauptet, ihr Zimmer wäre seines, ist es mit ihrer Geduld vorbei. Sie gibt sich alle Mühe, Elias zu vertreiben, doch der erweist sich als ziemlich hartnäckig - und bringt damit reichlich Chaos in Hannahs Leben.   Aber was steckt denn überhaupt hinter Elias' mysteriöse Reisen durch den Kleiderschrank? Um dieses Rätsel zu lösen, muss Hannah sich auf ihn einlassen und mit ihm zusammenarbeiten. Je länger die beiden jedoch versuchen, ihr gemeinsames Problem zu lösen, desto weniger kommt es ihnen wirklich wie ein Problem vor  ...

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Erstes Kapitel,

in dem es um einen großen Tumult, ungewaschene Haare und ein unangenehmes Fundstück geht

Es ist Dienstag, achtzehn Minuten nach acht.

Wie immer kommt Mr Jennings drei Minuten zu spät. Wir – das sind Elif, Sophie und ich – vermuten, dass dies seine Glückszahl ist und er auf keinen Fall pünktlich kommen darf, wenn er eine reibungslos verlaufende Englischstunde bestreiten will.

Mr Jennings heißt eigentlich Rüdiger Jennings und stammt aus Castrop-Rauxel. Genau wissen wir – und damit meine ich nicht nur Elif, Sophie und mich, sondern alle Schüler und Schülerinnen der Albert-Einstein-Gemeinschaftsschule – das natürlich nicht, aber wahrscheinlich findet Herr Jennings es total cool, dass man seinen Nachnamen auch Englisch aussprechen kann.

Jedenfalls müssen wir ihn alle Mister Dschennings nennen.

Und während der inzwischen an seinem Pult angekommen ist und seine Schultertasche darauf abgestellt hat, ist Sophie immer noch unter dem Tisch abgetaucht und kramt in ihrem Rucksack nach ihren Unterlagen.

»So ein verdammter Mist, ich weiß genau, dass ich sie eingepackt habe«, murmelt sie.

Sophie sitzt links neben mir am gleichen Tisch und Elif auf meiner rechten Seite neben Jil. Auch sie scheint sich nicht sonderlich dafür zu interessieren, dass Mr Jennings mit dem Unterricht beginnen will. Stattdessen starrt sie mich an, als wäre ich eine Kuh mit sieben Eutern.

Oder eine Klobürste im Zahnputzbecher.

Oder eine motorisierte Bleistiftmine.

Oder ein verschimmelter Hundehaufen.

Ach, ich liebe einfach solche Vergleiche!

»Mensch, Hannah«, presst Elif plötzlich hervor. »Was hast du mit deinen Haaren gemacht?«

»Nix«, sage ich, was leider der Wahrheit entspricht.

»Das kann nicht sein«, beharrt Elif. »Mensch, Sophie, guck du doch auch mal!«

»Sie kann gerade nicht«, antworte ich an Sophies Stelle.

»Hat sie etwa schon wieder ihre Hausis nicht erledigt?«, will Elif wissen.

»Hm«, überlege ich. »Sieht eher so aus, als hätte sie ihren Hefter gar nicht eingepackt.«

»Das stimmt überhaupt nicht!«, protestiert Sophie unter unserem Tisch. »Ich weiß genau …«

Sie bricht ab und stößt eine Kanonade leiser Flüche aus.

»Wir wollen uns heute mit dem Unterschied zwischen if und when beschäftigen«, erläutert Mr Jennings uns derweil den nächsten Unterrichtsstoff. »But first we’ll have a look at our homeworks.«

Er wirft einen erwartungsfreudigen Blick in die Runde und strahlt dabei mit seinem knallblauen Oberhemd um die Wette. Schließlich bleibt sein Blick an dem leeren Platz links neben mir hängen.

»Miss Sophie?«

»Mr Winterbottom?«, kontert Elif und grinst ihn mit schief gelegtem Kopf an.

OMG! Wieder einmal staune ich über ihre Schlagfertigkeit.

Die englische Episode »Dinner for One«, die jedes Jahr an Silvester im Fernsehen ausgestrahlt wird, wäre mir jedenfalls so schnell nicht eingefallen! Elif ist manchmal echt zum Niederknien. Und diesmal war ihr Kommentar nicht nur witzig, sondern hat darüber hinaus auch noch Sophie gerettet.

Denn ehe Mr Jennings etwas darauf erwidern kann, bricht in der Klasse ein regelrechter Tumult aus.

»Mr Pommeroy?«

»Same procedure as last year?«

»Admiral von Schneider!«

»Sir Toby!«, erschallt es, unterbrochen von johlendem Gelächter, aus allen Ecken.

Innerhalb weniger Sekunden ist die halbe Klasse betrunken.

Lukas, Deniz und Mats schwanken lallend auf ihren Stühlen hin und her, Leo stolpert mehrmals über den unsichtbaren Kopf eines imaginären Tigerfells, und Konny und Mika hören gar nicht mehr auf damit, »The same procedure as every year, James!« zu rufen.

»Quiet!«, brüllt Mr Jennings. »I beg you all: Be quiet, please!«

In dieser Sekunde taucht Sophie mit hochrotem Kopf unter dem Tisch hervor.

»Das ist echt nicht zu fassen!«, schimpft sie.

»Was?«, raune ich. »Dass du deine Englischsachen nicht finden kannst?«

»Nee!«

»Sondern?«

»Na ja«, murmelt Elif. »Ich finde auch, dass die Jungs mal wieder übertreiben.«

»Das meine ich nicht«, knurrt Sophie.

»Sondern?«, frage ich noch einmal.

»Zeig ich euch in der Pause«, erwidert Sophie, verschränkt die Arme vor der Brust und gibt keinen Pieps mehr von sich, sondern starrt den ganzen langen Rest der Stunde nur noch finster vor sich hin.

»Mr Jennings hat dich komplett vergessen«, jubele ich, als meine beiden weltbesten Freundinnen und ich anderthalb Stunden später über den Pausenhof spazieren. »Zum Glück!« Ich stupse Elif in die Seite. »Dein Kommentar war echt genial! Mr Winterbottom! Ich lach mich jetzt noch tot!«

»Hahaha, ich überhaupt nicht!«, brummt Sophie, deren Miene sich auch nach dem Ende der Englischstunde um kein My verbessert hat. »Ich wünschte, ich WÄRE tot!«

»Vergiss diese Idioten!«, empfiehlt Elif ihr. »Miss Sophie, same procedure as last year?«, äfft sie Grimassen schneidend das Gefeixe der Jungs nach, das sie unserer Freundin noch bis in den Gang hinaus hinterhergerufen haben. »Und Mr Jennings ist sowieso ’n Schlaffi. Der hat ja nicht mal mehr einen vernünftigen Unterricht hinbekommen.«

»Ihr wisst aber schon, um was es da geht?«, faucht Sophie uns an. »In Dinner for One?«

»Klar«, sage ich schulterzuckend. »Um eine alte Lady, deren vier Freunde alle gestorben sind, weshalb sie mit ihnen nicht mehr auf das neue Jahr anstoßen kann.«

»Genau.« Elif pustet sich eine der blau gefärbten Ponysträhnen ihres ansonsten pechscharzen Pixie-Cuts aus dem Gesicht. »Den Job muss dann ihr Butler James übernehmen und trinkt für Sir Toby, Mr Pommeroy, Admiral von Schneider und Mr Winterbottom zusammen. Kein Wunder also, dass er ratzfatz betrunken ist und ständig über diesen Tigerkopf stolpert.«

»Ja, total witzig«, sage ich. »Ich finde, das hat Leo echt gut hingekriegt. Aber leider nicht nur das«, setze ich hastig hinzu, als ich Sophies grimmigen Blick bemerke. »Alles andere war natürlich total daneben.«

Denn schließlich wissen wir alle – und nicht nur wir, sondern vermutlich ein großer Teil der Menschen auf dieser Welt –, worum es in Dinner for One letztendlich wirklich geht.

Sophie schüttelt unwillig den Kopf. »Ich kapier absolut nicht, was die Leute an dieser Geschichte so toll finden. Meine Eltern gucken das gar nicht.«

»Meine schon. Jedes Jahr«, meint Elif schulterzuckend. »Dieser Butler-James-Schauspieler ist einfach ziemlich witzig.«

»Ich finde auch, dass er das gut macht«, pflichte ich ihr bei. »Und das andere, also das Peinliche, kommt ja sowieso erst zum Schluss.«

»Ach so!«, regt Sophie sich auf. »Vielleicht sollte ich dann lieber gleich …«

Ich knuffe sie gegen die Schulter.

»… deinen Namen ändern?«

»Mhm, oder die Schule wechseln«, schlägt Elif vor.

»Ach, ihr seid blöd«, brummt Sophie. »Außerdem habt ihr keine Ahnung.«

»Wovon?«, frage ich und tue so, als ob ich abgrundtief beleidigt wäre.

»Von dem hier«, sagt Sophie und zieht einen zusammengeknüllten Zettel aus ihrer Hosentasche hervor.

»Was ist das?«, will Elif wissen und zupft ihn unserer Freundin aus der Hand.

Ruckzuck hat sie ihn auseinandergefaltet. »O mein Gott! Wo hast du den denn her?«

»Lag unter unserem Tisch«, antwortet Sophie.

»Was ist es denn?«, frage ich. »Eine Einladung zum Dinner for One?«

»Quatsch!«, sagt Sophie, und Elif platzt heraus: »Eine Liste!«

Ihr Blick schnellt von Sophie zu mir. »Könnte es sein, dass du die eventuell schon kennst?«, fragt sie argwöhnisch.

»Nein!«, stoße ich hervor. »Wie kommst du darauf?«

»Na ja, weil du dir neuerdings was in die Haare schmierst«, erwidert Elif. »Vielleicht willst du ja einen neuen Look ausprobieren. Zum Beispiel, um vom Eigentlichen abzulenken.«

»Hä?«, wundere ich mich. »Was soll ich mir denn bitte schön in die Haare geschmiert haben?«

Und was überhaupt meint sie mit vom Eigentlichen?

»Na, irgend so ein glibschiges Styling-Zeug.« Elif streicht mit der Fingerspitze über meinen Pony. »Fühlt sich jedenfalls so an.«

»Ja, vielen Dank auch!«, knurre ich.

Inzwischen hätte ich allen Grund, tatsächlich beleidigt zu sein.

»Hast du, oder hast du nicht?«, bohrt Elif unbeirrt weiter.

»Was denn jetzt?«, gebe ich genervt zurück. »Die Liste gelesen oder mir Gel in die Haare geschmiert?«

Ohnehin ist mir völlig schleierhaft, was das eine mit dem anderen zu tun haben soll.

»Beides«, sagt Elif. »Aber zuerst die Haare.«

Okay. Okay. Okay!

Manchmal kommt man um die unangenehmen Dinge eben nicht herum. Selbst unter besten Freundinnen nicht.

»Das ist kein Gel«, presse ich hervor, » sondern Fett.«

»Wie? Fett?« Sophie kriegt ganz große Augen. »Margarine, oder was?«

»Nee«, sage ich knapp. »Natürliches.«

»Ach so!« Elif verdreht die Augen. »Und wieso hast du sie dir nicht einfach gewaschen?«

»Wollte ich ja«, verteidige ich mich.

Sophie zupft sich den lässig gebundenen hellblonden Knoten auf ihrem Hinterkopf zurecht.

»Aber?«, hilft sie mir auf die Sprünge.

»Ich stand schon klatschnass unter der Dusche, als ich gemerkt habe, dass mein Shampoo weg ist.«

»Lilly«, schlussfolgert Elif messerscharf. »Hab ich recht? Deine raffgierige kleine Schwester war’s!«

Ich antworte mit einem Achselzucken.

Wenn bei uns zu Hause etwas aus dem Ruder läuft, geht es tatsächlich zu neunundneunzig Prozent auf Lillys Kappe. Aber ich denke gar nicht daran, sie deswegen in die Pfanne zu hauen. Ich finde nämlich nicht, dass sie raffgierig ist, sondern eben einfach bloß … Lilly.

»Wieso hast du nicht das Duschgel genommen?«, fragt Sophie. Sie mustert mich kritisch. »Oder war das etwa auch weg?«

»Nein …«, sage ich zögernd.

»Lass mich raten!«, ruft Elif triumphierend aus. »Du bist durchaus selber auf diese grandiose Idee gekommen. Allerdings erst, als du fix und fertig trocken gerubbelt und eingecremt warst! True?«

O Mann, es ist wirklich niederschmetternd, wie gut sie mich kennt! »Right«, sage ich kleinlaut. »Ich hatte gehofft, es fällt nicht auf.«

Sophie zieht die Mundwinkel ein und gleichzeitig ihre Schultern entschuldigend bis zu den Ohren hoch.

Schon klar: Sie hat es natürlich auch bemerkt. Vielleicht nicht gleich in der U-Bahn, weil ich da noch meine geliebte senfgelbe Beanie aufhatte, aber spätestens im Klassenraum.

»Okay«, sage ich und deute auf den Zettel in ihrer Hand. »Und was ist das da jetzt für eine Liste?«

»Unser Todesurteil«, stöhnt Sophie.

»Soll heißen?«

»Rangfolge«, sagt Elif nur.

Aha …?

»Mein Name steht ganz oben«, ergänzt Sophie. »Sozusagen die Nummer eins.«

»Die abgemurkst wird?«, frage ich.

»Oder sich am besten selbst die Kugel gibt«, meint Elif.

»Himmel noch mal!«, sage ich. »Könntet ihr bitte endlich Klartext reden!«

Eigentlich bringt mich so schnell nichts aus der Ruhe, aber jetzt reißt mir allmählich doch die Hutschnur.

»Also gut«, sagt Elif. »Auf diesem Wisch hier sind alle Mädchen aus unserer Klasse aufgelistet. Sophie ist die Nummer eins. Das weißt du ja schon. Ich stehe an fünfter Stelle und du auf Platz 17.«

Aha …?

Vielleicht habe ich ja einen Blutstau in meinem rechten großen Zeh, weshalb mein Gehirn gerade etwas unterversorgt ist, aber mir leuchtet partout nicht ein, was so schrecklich daran sein soll, dass man gleich über Selbstmord nachdenken muss.

»Die Auflistung allein und auch die Rangfolge sind allerdings nicht das Problem«, fährt Elif fort.

»Sondern?«

»Willst du es wirklich wissen?«, spannt sie mich auf die Folter.

»Ja, Mann!«, brumme ich.

»Jetzt zeig es ihr schon!«, fordert Sophie unsere Freundin auf. »Besser, sie weiß Bescheid.«

Ganz meine Meinung!

Zumindest, bis ich ES mit eigenen Augen gesehen habe.

Danach hoffe ich nur noch, dass außer Elif, Sophie und mir und ein paar bescheuerten Jungs aus unserer Klasse niemand diese Liste kennt. Alles andere ist mir egal.

Immerhin weiß ich jetzt, was Elif mit dem Eigentlichen gemeint hat.

Zweites Kapitel,

in dem jede Menge Argumente hin- und herfliegen und am Ende die Würstchen kalt werden

Als ich nach Hause komme, steht meine Mutter am Herd und bewacht sechs Würstchen, die in einer Grillpfanne geräuschvoll vor sich hin brutzeln.

»Hallo, Käferchen!«, begrüßt sie mich. »Hunger?«

»Ja, aber … Wieso bist du schon hier?«, frage ich, während ich meine Sneaker abstreife.

»Ich hab mir ein paar Tage freigenommen«, erwidert sie fröhlich.

»Einfach so?«, wundere ich mich.

Die kleine Buchhandlung, in der sie arbeitet, ist nämlich der zweitliebste ihrer beiden Lieblingsorte. Unser Zuhause kommt eigentlich erst an dritter Stelle. Was nichts mit uns, also ihrer Familie, zu tun hat, sondern einfach damit, dass Moms nicht so der Wohnungstyp ist. Am glücklichsten ist sie, glaube ich, in diesem winzigen Haus in Schweden mit dem wilden Garten und dem Wald drum herum und dem See davor, in dem wir, seit ich denken kann, jedes Jahr unseren Sommerurlaub verbringen.

»Nein, natürlich nicht einfach so«, erklärt sie mir jetzt. »Dorit hat mich dazu verdonnert. Sie möchte, dass ich ein paar der Neuerscheinungen ganz in Ruhe lese.«

»Aha«, sage ich. »Also doch nicht so ganz frei.«

Dorit ist Moms’ Chefin und gleichzeitig ihre beste Freundin.

Ich haste zur Garderobe, werfe meine Jacke über das pinkfarbene Steppteil meiner kleinen Schwester und stelle die Sneaker neben ihren Zottelstiefeln ab. Wieder in der Küche lasse ich mich auf die weiche Polsterbank fallen und ziehe den Tisch zu mir heran.

»Wo ist Lilly?«, frage ich.

»In ihrem Zimmer«, sagt Moms. »Wieso?«

»Ich glaube, sie hat mein Shampoo gemopst. Jedenfalls musste ich mit fettigen Haaren in die Schule.«

»Ach herrje!« Meine Mutter dreht sich zu mir um und betrachtet mich mitfühlend. »Deshalb siehst du so niedergeschmettert aus.«

Nicht nur deshalb, denke ich. Eigentlich kann ich mit Moms supergut über alles reden. Aber nicht, wenn ich damit rechnen muss, dass meine Schwester jede Sekunde aufkreuzt und ihren superschlauen Senf dazu abgibt.

»Kann ich nachher deins nehmen?«, bettele ich.

»Also«, sagt Moms, »erst mal gibt Lilly dir deins zurück, und dann sehen wir weiter.«

»Und wenn sie es aufgebraucht hat?«

Meine Mutter schüttelt stirnrunzelnd den Kopf.

»Wenn ich mich recht erinnere, habe ich es Ende letzter Woche gekauft«, erwidert sie. »Es müsste also noch fast voll sein.«

Ich gebe ein unbestimmtes »Hm« zurück.

Bei Lilly weiß man nämlich nie.

»Es war total peinlich heute!«, platzt es dann aus mir heraus.

Dabei haben meine fettigen Haare überhaupt nichts mit dem Listenzettel zu tun. Auch wenn das zuerst Elifs Vermutung war. Wer auch immer den nämlich geschrieben hat, hat es getan, BEVOR ich heute morgen in die Klasse gekommen bin.

»Elif ist es sofort aufgefallen!«

Moms stellt den Herd aus und gibt einen leisen Seufzer von sich.

»Na ja … Solange es nur Elif war.«

»Und Sophie natürlich auch«, beeile ich mich zu ergänzen.

»Ach, Käferchen«, sagt sie. »Da steckt doch bestimmt noch mehr dahinter als nur ein paar ungewaschene Haare. Oder?«

Unsere Blicke treffen sich, und anstatt eine Antwort zu formulieren – weil ich in diesem Augenblick ja eigentlich auch noch gar nicht weiß, was ich überhaupt sagen soll –, übernehmen meine Augen das Kommando und fangen an zu brennen.

Klar, dass genau in diesem Moment meine Schwester die Küche stürmt.

»Was gibt’s zu essen?«, will sie wissen. »Hott Docks?«

»So, wie du es dir gewünscht hast«, sagt Moms lächelnd.

»Boah, die sind aber dick!«, tönt Lilly und katapultiert die Pfanne mit einem lauten Wumms auf den Tisch.

Meine Mutter stöhnt.

»Lilly, Schätzchen«, sagt sie, »stell die Pfanne bitte sofort auf den Herd zurück.«

»Nö! Wieso denn?«

»Weil ich die Hotdogs dort fertig mache«, entgegnet Moms. »Du kannst inzwischen schon mal die Teller aufdecken.«

»Echt jetzt?«, nöhlt Lilly und tanzt um uns herum. »Wieso denn ich?«

»Wir reden später, ja?«, raunt Moms mir leise zu.

Ich gebe mir alle Mühe, mich in den Griff zu bekommen, aber Lilly ist – wie immer! – schneller.

»Heulst du etwa?«, fragt sie, schmeißt sich neben mich auf die Bank und tätschelt mir den Oberschenkel.

»Nein«, sage ich, obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist.

»Hast du dich mit Sophie gekracht?«

»Nein.«

»Mit Elif?«

»Nein.«

»Was denn sonst?«

»Nix.«

Lilly schweigt. Allerdings nur für einen Atemzug.

»Du schwindelst, deine Haare sind total schmierig.«

»Stimmt«, sage ich. »Weil du dir mein Shampoo unter den Nagel gerissen hast … und Sophie und Elif mich wegen meiner fettigen Haare aufgezogen haben«, schwindele ich tatsächlich.

»Pah, wie blöd!«, tönt Lilly. »Voll gemein! Da hätte ich mich auch gekracht.«

»Das heißt verkracht«, sagt Moms. »Oder gestritten.«

»Ist doch egal«, findet Lilly. »Hannah weiß auch so, was ich gemeint hab. Stimmt’s dibimst’s?«

Meine Schwester sieht mich treuherzig an. Und ich kann nicht anders, als »dibims« zu antworten und ihr einen freundschaftlichen Knuff zu verpassen.

Lilly ist eben Lilly. Auf beneidenswert wundersame Weise kriegt sie es immer wieder hin, dass der Grund für die ganze Aufregung vergessen und am Ende sie das arme Würstchen ist.

Trotzdem kann ich ihr nicht böse sein.

Denn auch wenn sie sehr viel lauter, voluminöser und sogar ein paar Zentimeter größer ist als ich, ist sie für mich immer noch die Kleine. Die, die ich mit sechs Jahren stolz wie Oskarine in ihrem Buggy herumgeschoben und mit der ich unzählige Nächte in einem Bett verbracht habe, weil sie nicht gut einschlafen konnte und ständig fiese Träume hatte.

Das alles ist natürlich längst vorbei. Aber kleine Schwester bleibt nun mal kleine Schwester.

»Dein Shampoo kriegst du nachher sofort zurück«, verspricht sie mir. »Da ist sogar noch was drin.«

»Wow!«, sage ich.

»Dann kannst du dir die Haare waschen, und morgen renkt sich das Gekrache mit Sophie und Elif wieder ein«, setzt sie zuversichtlich hinzu.

»Wofür hast du es überhaupt gebraucht?«, frage ich.

»Das würde mich allerdings auch interessieren«, sagt Moms, die die Pfanne mit den Würstchen inzwischen selbst vom Tisch genommen und auf den Herd zurückgestellt hat.

Gerade schneidet sie Brötchen auf.

»Ich musste eine Eisbahn bauen«, erklärt Lilly. »Für einen Schlitterwettbewerb.«

»Was für ein Schlitterwettbewerb?«, fragt Moms mit einem Gesichtsausdruck, aus dem sich ihre böse Vorahnung mühelos ablesen lässt.

Meine Schwester beeindruckt das allerdings wenig.

»Für meine Barbies«, raunt sie und presst sich den Zeigefinger auf die Lippen.

Oha! DAS darf außer Moms, Pops und mir natürlich keiner wissen!

Lilly ist fast zehn. Sie geht in die vierte Klasse. Dort sind Computerspiele extrem angesagt, außerdem Chillen, Klamotten und Schminken. Puppen, geschweige denn Barbies, hat dort seit Ewigkeiten niemand mehr angerührt. Und deshalb dürfen ihre Freundinnen von ihrer heimlichen Leidenschaft auch niemals etwas erfahren.

»Aha«, sagt Moms. »Und wie darf ich mir das mit der Schlitterbahn in etwa vorstellen?«

Sie legt die Holzzange, mit der sie gerade die Würstchen aus der Pfanne angeln wollte, beiseite und wischt sich die Hände an ihrer Küchenschürze ab.

»Ach, nein«, meint sie dann, schüttelt den Kopf und wendet sich wieder den Hotdogs zu. »Ich glaube, ich möchte das lieber doch nicht so genau wissen.«

»Kannst du ruhig«, erwidert meine Schwester mit leuchtenden Augen. »Ich hab im Wohnzimmerschrank so ein großes rundes Tablett gefunden, und das ist voll gut für …«

Moms wirbelt so schnell herum, dass ihr fast das Würstchen aus der Zange fällt.

»Du hast WAS?«, fährt sie dazwischen. »Ein Tablett GEFUNDEN? In unserem WOHNZIMMERSCHRANK?«

Lilly setzt eine Unschuldsmiene auf. Auch das beherrscht sie geradezu perfekt.

»Ja, wieso?«

»Weil es Paps’ und mein Tablett ist, das Onkel Rainer uns zur Hochzeit geschenkt hat«, erwidert Moms aufgebracht.

Lilly zieht einen Flunsch.

»Aber ihr benutzt es doch nie«, argumentiert sie. »Und ich konnte es jetzt wirklich supergut gebrauchen.«

»Klar«, brumme ich. »So wie mein Shampoo.«

»Du kriegst es ja wieder!«, knurrt Lilly. »Hab ich doch gesagt. Außerdem sind wir eine Familie und da …«

»Tja«, unterbricht Moms meine kleine Schwester, »wenn das so ist, werde ich demnächst wohl auch etwas finden. … In deinem Zimmer.«

Entsetzen breitet sich auf Lillys Gesicht aus, und ihre grauen Augen wirken gleich einen Tick dunkler.

»Das darfst du nicht«, haucht sie. »Die Sachen gehören doch alle mir.«

»Ja«, sagt Moms nickend. »Allerdings befinden sie sich in unserer Wohnung. Und wenn du etwas von Paps und mir in unserem Wohnzimmerschrank findest, dann darf ich das doch wohl umgekehrt in deinem Zimmer auch. Oder meinst du nicht?«

Lilly senkt den Blick, lässt sich die glatten braunen Haare ins Gesicht fallen und schüttelt kaum merklich den Kopf. Eine Träne tropft auf ihre Ringelleggings.

»Das Wohnzimmer und das Bad gehört uns allen«, schluchzt sie. »Aber mein Zimmer gehört nur mir.«

Ich kann nicht anders, ich muss ihr einfach recht geben. Wenn man das Ganze durch ihre Lilly-Augen betrachtet, liegt sie mit ihrem Einwand vollkommen richtig.

Gut möglich, dass sie später mal Rechtsanwältin oder Kriminalkommissarin wird. Garantiert wäre Lilly ganz groß darin, jedes noch so kleine Schlupfloch zu finden.

»Brummerchen«, sage ich und schlinge ihr meinen Arm um den Hals, »Moms meint das doch gar nicht so«, versuche ich sie zu trösten.

»Ach, nein?« Stirnrunzelnd schaut meine Mutter zwischen mir und meiner Schwester hin und her.

»Also gut«, sagt sie schließlich. »Dann werden Pops und ich wohl oder übel all unsere Sachen ins Schlafzimmer räumen müssen. Das wird zwar ein bisschen eng werden, aber wenn wir den Wohnzimmerschrank unters Bett schieben, könnte es gehen. Dann müssten wir nur noch die Kommode ganz in die Ecke rücken, damit das Sideboard mit der HiFi-Anlage danebenpasst. Den Fernseher würden wir vermutlich an einer der Kleiderschranktüren befestigen, und den Teppich hängen wir einfach als zusätzlichen Vorhang ans Fenster. Problematisch könnte es allerdings werden, wenn wir die Küchensachen auch noch alle …«

»Mohoms!«, fällt Lilly ihr halb schniefend, halb kichernd ins Wort. »Du bist …«

Sie bricht ab, wirft mir einen kurzen Blick zu und bläht die Backen.

»Sprich dich ruhig aus«, ermuntert Moms sie. »Ich weiß selber, dass an mir ein wahres Einrichtungsgenie verloren gegangen ist.«

»Das wollte ich gar nicht sagen«, erwidert Lilly.

Sie zieht meinen Arm von ihrer Schuler herunter und schiebt trotzig die Unterlippe vor.

Schon klar. DOOF war wahrscheinlich der Begriff, der meiner Schwester auf der Zunge lag. Ich hoffe wirklich sehr, dass sie ihn bis tief in die letzte Darmschlinge hinuntergeschluckt hat!

Für Moms scheint die Diskussion und auch jeglicher Spaß daran inzwischen ohnehin vorbei zu sein.

»Das nächste Mal fragst du bitte, BEVOR du dir etwas nimmst, das nicht EINDEUTIG dir gehört«, sagt sie in einem Tonfall, der sogar meiner vorlauten Schwester signalisieren dürfte, dass sie ab sofort keinen Widerspruch mehr zulässt.

»Außerdem möchte ich nicht den leisesten Ton einer Beschwerde bezüglich der Würstchen hören«, setzt sie hinzu. »Die dürften inzwischen nämlich kalt geworden sein.«

»Ich möchte sowieso nur eins, bitte«, sage ich. »So viel Fleisch ist gar nicht gut für ’s Klima.«

Moms kennt meine Einstellung dazu, deshalb verstehe ich eh nicht, warum sie SECHS Würstchen gebraten hat.

»Die sind doch gar nicht echt«, erwidert meine Mutter schmunzelnd.

»Was denn?«, fragt Lilly alarmiert. »Etwa Tofu?« Den kann sie nicht ausstehen. Und zwar nur, weil sie findet, dass er eklig aussieht. Probiert hat sie ihn nämlich noch nie.

»Keine Sorge«, beruhigt Moms sie. »Es sind Karotten.«

»Iiih!«, quiekt Lilly. »Die esse ich nicht!«

»Umso besser für Hannah und mich.« Moms zwinkert mir zu. »Denn die sind echt lecker. Und etwas anderes gibt es nicht!«, sagt sie streng, als Lilly aufspringt und auf den Vorratsschrank zusteuert.

Murrend setzt meine Schwester sich auf ihren Platz zurück, wo sie eine Weile mit vor der Brust gekreuzten Armen sitzen bleibt. Am Ende verdrückt sie laut schmatzend ganze DREI Karotten-Hotdogs, während Moms und ich uns mit jeweils anderthalb begnügen (müssen).

Drittes Kapitel,

in dem ein kleines bisschen Trost von einem Rumpeln im Schrank übertönt wird

»Bist du auch wirklich satt geworden?«, fragt Moms, nachdem Lilly ihren Teller auf die Anrichte gestellt hat und in ihr Zimmer abgedackelt ist.

»Ja«, sage ich und schnappe mir das restliche Geschirr, um alles zusammen in die Spülmaschine einzuräumen. »Pappsatt.«

Moms hält mich am Arm zurück.

»Jetzt warte mal«, sagt sie. »Du wolltest mir doch noch etwas erzählen.«

Erstaunt sehe ich sie an. Aber dann scheppert es natürlich in meinem Oberstübchen. Die Liste! Wie gut, dass ich sie bereits vergessen hatte.

Und deshalb sage ich: »Neee …«

Dummerweise zittert meine Stimme so sehr, dass die drei eee wie Pingpongbälle auf und ab hüpfen.

»Käferchen!«

Moms sieht mich an. Ihr Blick ist allwissend und mitfühlend – eine ganz gefährliche Mischung!

Sie nimmt mir Teller und Gläser aus der Hand und stellt alles auf den Tisch zurück.

»Was ist los mit dir?«, will sie wissen.

»Nix.«

Das ist meine Standardantwort in solchen Fällen.

Genauer gesagt in den absolut seltenen Fällen, in denen eigentlich besonders viel los ist, ich aber nicht darüber reden will. Genau das durchschaut aber leider so gut wie jeder. Ich werde mir also dringend etwas Besseres einfallen lassen müssen.

»Komm schon, Süße, es ging doch nicht nur um deine Haare«, sagt Moms. »Du hättest einfach deine Mütze auflassen können, und kein Mensch hätte etwas bemerkt.«

Ja, hätte. Hab ich aber nicht. Weil meine Hände, wie so oft, auch in diesem Fall wieder einmal schneller waren als mein Kopf.

»Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst.«

»Ja, Moms, aber …«

Weil ich mir darüber, ob ich ihr die verfluchte Liste wirklich zeigen soll, beinahe das Gehirn verknote, gerate ich ins Stocken.

Wieso habe ich sie überhaupt eingesteckt und nicht umgehend klein geschnippelt und im nächsten Müllkorb versenkt?

»Hat dich jemand beleidigt?«, bohrt meine Mutter unterdessen weiter.

»Nein … Doch … Na ja«, haspele ich. »Nicht direkt.«

»Wie soll ich denn das verstehen?«, entgegnet Moms. »Heißt das etwa, du wirst gemoppt und weißt nicht, wer dahintersteckt? Weil es übers Internet läuft? Oder …«

»Nein, nein, nein!«, unterbreche ich sie. »Ganz so schlimm ist es nicht.«

Oder vielleicht doch? Ich meine, immerhin könnte die Liste fotografiert worden und längst auf allen möglichen Handys in Umlauf geraten sein.

»Na ja …«, sage ich deshalb noch mal und senke ein wenig verschämt den Kopf.

Vielleicht hat Elif recht, und wir sollten tatsächlich die Schule wechseln.

»Jetzt reicht es mir aber, Käferchen!« Moms rüttelt mich sanft, aber bestimmt an der Schulter. »Das ist ja nicht zum Aushalten! Du sagst mir bitte sofort, was heute in der Schule passiert ist! Möglicherweise wäre es ein Thema für die Elternversammlung nächste Woche. Am besten, ich spreche vorher noch mit Frau Hirsebrinck. Oder gleich mit dem Mittelstufenleiter. Wie war noch mal sein Name?«

»Moms!«, rufe ich.

»Ist nicht wahr!«, erwidert meine Mutter und lacht leise auf.

Irritiert sehe ich sie an. Es dauert ein paar Sekunden, bis es Klick! macht.

»Er heißt Kunze«, erwidere ich grinsend. »Aber du musst echt nicht mit ihm sprechen. Und auch mit sonst niemandem.«