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Lara wächst in einer brandenburgischen Kleinstadt auf. Nach dem Trauma ihre Eltern zu verlieren, gibt es nur noch David und sie. Ihr bester Freund gibt ihr den Halt, den sie braucht. Als eine neue Lehrerin auf die Schule kommt, ist sie hin und weg. Es ist Liebe auf den ersten Blick, aber diese Beziehungen sind verboten. Das weiß Lara. Jahre später hat sie sich ihren Traum vom eigenen Coffeeshop erfüllt, doch die große Liebe hat sie nach ihrer Jugend nie wieder gefunden, bis Katrin in ihr Leben tritt…
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Kaffee mit Lara - Endversion
Titel
Impressum
Prolog
1-Lara
2-Annika
3-Lara
4-Annika
5-Lara
6-Annika
7-Lara
8-Annika
9-Lara
10-Annika
11-Lara
12-Annika
13-Lara
14-Annika
15-Lara
16-Annika
17-Lara
18-Katrin
19-Lara
20-Katrin
21-Lara
22-Katrin
23-Lara
24-Katrin
25-Lara
26-Katrin
27-Lara
28-Katrin
29-Lara
30-Katrin
31-Lara
32-Katrin
Danksagung
NADINE ENGMANN
KAFFEE mit Lara
© 2024 NADINE ENGMANN
Cover: Nadine Engmann
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter:
Nadine Engmann
Reichelstraße 10b
04109 Leipzig
E-mail: [email protected]
Web: nadineengmann.com
Instagram: @nadine_engmann_autorin
PROLOG
»BLEIBEN SIE zu Hause. Der Orkan wütet derzeit durch das brandenburgische Flachland. Es besteht die Gefahr von umgestürzten Bäumen oder Strommasten.«
Das Radio klang blechern gegen den prasselnden Regen, der auf die Windschutzscheibe fiel. Die Scheibenwischer kamen kaum gegen die nicht aufhörende Flut an Regentropfen an.
Martin Mühlmann hatte extreme Probleme die Straße vor sich zu sehen. Es war bereits später Abend an diesem Herbsttag, die Sonne war schon vor Stunden untergegangen. Der Lichtkegel seiner Scheinwerfer reichte nicht, um die Straße vor sich zu erleuchten. Seine Frau Andrea hielt sich am Sitz fest, ihre Fingerknöchel bereits weiß. Ihr Gesicht wirkte sehr angespannt, immer wieder kniff sie ihre Augen zusammen. Angst in ihrem Blick, doch Martin bekam davon nichts mit. Seine Augen waren auf die Scheibe vor sich gerichtet.
»Sollten wir nicht doch rechts ranfahren und abwarten?«, ihre Stimme klang panisch.
Ein Schlagloch erschreckte sie beide, als sie leicht nach oben geschleudert wurden.
»Wir sind doch bald da. Ich glaube da vorn ist schon Jagdberg«, sagte Martin, doch wirklich überzeugt klang er nicht.
Hinter Jagdberg waren es trotzdem noch 10 Kilometer bis nach Hause. Molchwitz war ein kleines Dorf ohne Stadtkern, eine Ansammlung von Häusern und einer Bushaltestelle.
Wieder grollte der Donner neben ihnen übers Feld, Andrea schaute verängstigt in die Dunkelheit. Nur ihr verzerrtes Gesicht war in der Fensterscheibe sichtbar.
»Wir hätten eher gehen sollen. Warum musste die Universitätsveranstaltung auch so weit draußen abgehalten werden?«, Andrea verschränkte die Arme und dachte an ihre Tochter, die sicher bei ihrem besten Freund war. Eigentlich war der Plan, sie an diesem Abend wieder abzuholen. Doch vorher mussten sie in Molchwitz ankommen.
Dann quietschten die Bremsen und die Sicherheitsgurte hatten alle Mühe, die beiden Erwachsenen in ihren Sitzen zu halten. Doch es war zu spät. Ein Baum lag quer über der Fahrbahn und der Kombi fuhr ungebremst in den massiven Stamm.
Andrea hatte die Augen geschlossen und hörte ein Zischen, als sie kurz zu sich kam. Nichts schmerzte, doch war sie nicht in der Lage sich zu bewegen. Der Regen prasselte immer noch über ihr und holte sie zurück in die Dunkelheit. Ihr letzter Gedanke galt ihrer Tochter Lara, bevor sie gedanklich aus dem Leben schied.
1. LARA
DAS Wohnzimmer war dunkel, nur das Flimmern des Fernsehers ließ darauf schließen, dass überhaupt jemand zu Hause war. Draußen regnete es große Tropfen und stürmte. Lara war einfach froh hier bei ihrem besten Freund zu sitzen und mit seinen Eltern einen Familienfilm zu sehen. Lara und David lagen vor der Couch und Davids Eltern hatten es sich mit einem Glas Wein gemütlich gemacht. Tine hatte ihre Beine über Herberts Schoss gelegt und war schon dabei wegzudämmern, als die Türklingel läutete. Sie zuckten alle zusammen. Lara und David hatten sich erschrocken, dachten sich nichts dabei und schauten sich mit einem Schulterzucken an, schließlich kam es nicht selten vor, dass ein Nachbar noch ein Anliegen hatte. In ihrem kleinen Dorf kannte jeder schließlich jeden. Die Gardinen waren vor die Fenster gezogen, doch schimmerte ein flackerndes blaues Licht in das abgedunkelte Zimmer. Niemand dachte sich etwas dabei, Polizei oder auch die Feuerwehr fuhren ab und zu vorbei. Lara griff noch einmal beherzt in die Popcornschüssel. Vielleicht waren ihre Eltern auch schon früher zurück, um sie abzuholen, dann durfte sie den Film hoffentlich noch zu Ende schauen.
Tine nahm ihre Beine von Herbi und er stand recht rasch auf, um die Tür zu öffnen. Er war schon immer ein Typ, der niemanden warten lassen wollte. Sein fragender Blick wurde ebenfalls mit einem Schulterzucken quittiert, Besuch erwartete offensichtlich niemand. Der Blick zur Uhr verriet, dass es schon weit nach 9 war.
»Bestimmt nur deine Eltern, die dich abholen wollen«, beschwichtigend legte Tine ihre Hand auf Laras Schulter.
»Bestimmt«, Lara ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, der Film war viel zu interessant, um jetzt weg zu sehen.
Als Herbert öffnete, stand kein Bekannter vor der Tür, sondern ein blau gekleideter Polizist mit bedrücktem Gesicht. Lara linste dann doch einmal zur Tür, genau wie David. Sie wollten vorbereitet sein, wenn Laras Eltern dann doch das schöne Beisammensein unterbrachen. Unterbewusst hielt sie die Luft an, denn Polizei bedeutete nie etwas Gutes.
»Guten Abend«, begrüßte ihn Herbert Albrecht. Sein Unbehagen war auch aus dem Wohnzimmer sichtbar und Lara bekam einen heißen Knoten im Bauch.
»Guten Abend, Herr Albrecht. Wilhelm mein Name«, er zeigte ihm seinen Dienstausweis. Das flackernde Blaulicht tanzte auf Herberts Gesichtszügen. Lara umklammerte das Kissen, bis ihre Fingerknöchel weiß wurden. Das mulmige Gefühl in ihrem Magen wollte nicht weg gehen. David ergriff ihre Hand und drückte sie.
»Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«, Herberts Stimme klang unsicher, er schaute immer wieder zum Wohnzimmer, aus dem ihn sechs Augenpaare neugierig betrachteten.
Herr Wilhelm räusperte sich und sah sich hilflos nach seiner Kollegin um, die allerdings im Streifenwagen noch mit dem Funkgerät sprach.
»Ehm«, ein weiteres Räuspern, das Sprechen war ihm sichtlich unangenehm, »ist Lara Mühlmann hier? Die direkten Nachbarn meinten, dass das Kind hier öfters den Abend verbringt.«
Nicht nur Herbert wurde blass. Auch Laras Knoten im Magen bereitete ihr Brechreiz. Er nickte nur und trat einen Schritt zurück. Da stand Lara auch schon hinter ihm, sie war aufgesprungen, als der Polizist nach ihr fragte. Neben ihr David, der noch ihre Hand hielt.
»Was habe ich denn angestellt?«, fragte sie kleinlaut, es rauschte in ihren Ohren, so dass sie sich fast gar nicht hörte.
»Gar nichts, Lara«, versuchte Herr Wilhelm sie zu beruhigen und schaute hilfesuchend zu Herbert, »Können wir uns vielleicht drinnen setzen?«
Herbert schob die Kinder ungeschickt Richtung Wohnzimmer, auch Tine erwachte aus ihrer Trance und schmiss mit zitternden Fingern die Kuscheldecken auf die nächstgelegene Sessellehne. Den Blicken der Erwachsenen zufolge, konnte nichts Gutes passiert sein. Lara kämpfte gegen die Tränen. Sie wollte nicht, dass etwas Schlimmes passiert war. Sie wollte sofort zu ihren Eltern. Dieser Auftritt der Polizisten machte ihr mehr Angst, als sie je in ihrem Leben gehabt hatte und sie klammerte sich mit einem eisernen Griff bei David fest.
Dann saßen sie wie die Orgelpfeifen auf dem Sofa, Lara mittendrin. Ihre andere Hand hatte Tine ergriffen. Ohne Umschweife ergriff Herr Wilhelm das Wort. Seine Kollegin war dazu gekommen, sagte nichts und hielt sich im Hintergrund. Als wäre sie der Anker für Herrn Wilhelm. Er redete bedächtig und langsam. Seine Mundwinkel zeigten nach unten, als müsste auch er alle seine Emotionen im Zaum halten.
»Ich muss Ihnen leider eine schlechte Nachricht überbringen«, er schaute Lara an, die seinem Blick nicht standhalten konnte, »Es gab einen Unfall«, Tine drückte Laras Hand fester, »Der Pkw von Laras Eltern ist im Regen gegen einen umgestürzten Baum geprallt.«
Obwohl Lara von zwei Personen gehalten wurde, wollte sie laufen, so weit wie möglich. Doch ihre Beine blieben, wo sie waren. Tine und David starrten sie an. Ihr Mund trocken. Ihre Augen feucht. Nur Herbert krächzte eine Frage heraus.
»Sind sie…?«
Herr Wilhelm nickte.
»Wir müssen noch die genauen Umstände klären, zum Beispiel, ob sie bei dem Regen zu schnell unterwegs waren. Der PKW fing Feuer, welches durch den starken Regen im Zaum gehalten werden konnte. Beide verstarben dennoch an der Unfallstelle an ihren schweren Verletzungen. Es tut mir sehr leid.«
Der Polizist stellte noch einige Fragen, doch Lara bekam nichts mehr mit. Ihr liefen die Tränen über die blassen Wangen, doch sie merkte es nicht. Sie bestand nur noch aus einem Gedanken: Was jetzt?
An diesem Abend erreichte die Freundschaft von Lara und David eine neue Ebene. In Absprache mit der Polizei, konnte Lara vorerst bei den Albrechts bleiben. Am nächsten Tag sollte eine Seelsorgerin vorbei kommen und mit Lara sprechen, die aber schwieg und nur noch mit David sprach. Sie ließ ihn nicht mehr los, so saß also auch er mit bei der Beratung.
Eine Sozialarbeiterin sah nach Lara, die von Tine und Herbert versorgt und behütet wurde. Lara schlief bei David im Bett. Sie krallte sich an ihn und weinte sich in den traumlosen Schlaf. Lara war für zwei Wochen vom Unterricht befreit und Davids Mutter blieb bei ihr zu Hause. In der Zeit recherchierten sie mit Hilfe der Sozialarbeiterin, ob es Verwandtschaft gab, die Lara nehmen konnten, doch dem war nicht so. Alle Familienmitglieder waren zeitig aus dem Leben geschieden und Lara war die Letzte der Familie Mühlmann.
Die Bürokratie wollte Lara nun in einem Heim oder in einer Pflegefamilie unterbringen, doch das ließen Davids Eltern nicht zu. Sie besorgten im Eilverfahren eine Pflegelizenz, damit Lara bei ihnen bleiben konnte, bis sie volljährig war. So wurde sie nicht aus ihrem gewohnten Umfeld genommen, konnte weiter zur Schule gehen und hatte Unterstützung in jeder Lebenslage. Familie Albrecht hatte nun eine Tochter.
Das Dorf erfuhr natürlich von dieser Tragödie und bot die Hilfe an, die nur ein Dorf anbieten konnte. Familie Albrecht bekam vorgekochtes Essen, Blumen und viele Beileidskarten. Ältere Damen kamen zum Tee und beteten für Lara.
Lara wurde in die Vorbereitungen für die Beerdigung einbezogen, die Frau Albrecht organisierte, so gut sie es unter diesen Umständen konnte. Lara wusste, wo die wichtigen Unterlagen im Haus verwahrt wurden und konnte so mit Tine den Papierkram einer Beerdigung bewältigen. Tatsächlich lenkte sie das auch von den vielen traurigen Gedanken ab, die kamen, wenn sie allein im Bett lag und nachdachte.
6 Wochen nach dem Unfall fanden die Mühlmanns ihre letzte Ruhe auf dem Jagdberger Friedhof. Frau Albrecht trauerte, genau wie die ganze Gemeinde, um das Ehepaar, sie waren beliebt und gern gesehene Gäste beim Dorffest. Laras Mutter und Davids Mutter hatten sich regelmäßig zum Kaffee getroffen und so auch die perfekte Voraussetzung für die Freundschaft der beiden Jugendlichen geschaffen. Als Laras Eltern starben, waren sie bereits unzertrennlich.
Ein Testament, welches im Jagdberger Rathaus hinterlegt war, klärte auch sofort die Erbschaft. Lara sollte den Besitz der Mühlmanns bekommen, allerdings erst wenn sie 18 Jahre alt wurde. Bis dahin wurde das Geld verwahrt und der Besitz von einem externen Betreuer verwaltet. Für die Albrechts wurde ein Unterhalt ausgehandelt, der aus dem Erbe gezahlt wurde, bis Lara 18 Jahre erreicht hatte. Letztendlich war Lara einfach nur froh nicht zu einer fremden Familie zu müssen.
Bekannte von Tine halfen Lara das Haus herzurichten, denn nun würde niemand mehr regelmäßig darin leben. Sie deckten die Möbel ab, leerten und säuberten die Küche und sortierten Bettzeug, Kleidung und andere Haushaltsgegenstände. Es war wie ein Auszug, doch Lara nahm sich vor weiter für das Haus zu sorgen und es in Schuss zu halten. Tine half ihr dabei. Regelmäßig entfernten sie Staub, putzten oder verbrachten den Tag im Garten.
Als sie wieder zur Schule ging, wurde es allerdings nicht leichter. Sie wurde zum neuen Mobbingopfer auserkoren, statt Empathie kam ihr Schadenfreude entgegen. Statt Mitgefühl zu bekommen, wurde sie ausgelacht. Davids Eltern schauten sich das nicht lange an, auch David erzählte regelmäßig zuhause, was die beiden erdulden mussten. Lara hörte auf zu essen, oder schwänzte den Unterricht, um aus diesem verdorbenem Umfeld zu entkommen.
Jeglicher Versuch mit der Schulleitung zu reden, verlief im Nichts, bis die Albrechts sogar mit juristischen Schritten drohten. David prügelte sich mehr als einmal mit dem Verursacher dieser Hetze, Tobias Mayer.
Kurzzeitig ließ die Hetze nach, bis Gras darüber gewachsen war. Dann begann es wieder, doch nie wie am Anfang. Lara war einfach nur eine Außenseiterin. Sie gewöhnte sich daran. Andere Schüler zogen Tobias’ Aufmerksamkeit auf sich, doch sie blieb sein Lieblingsopfer. Nur David hielt immer zu ihr. Er war ihr Bruder.
2. ANNIKA
ANNIKA fühlte sich an diesem Morgen nervös und aufgeregt. Sie hatte das Schulgebäude schon gesehen und auch ein paar Kollegen bereits kennengelernt. Der Direktor hatte darauf Wert gelegt, dass Absprachen getroffen wurden, bevor die Ferien vorbei waren. Es gab Regeln und die sollten eingehalten werden. Annika mochte Regeln, denn sie machten es einfach, das Richtige zu tun.
Annika wollte einen guten Eindruck machen. Sie würde nur Englisch unterrichten, dafür aber in allen Klassen der Sekundarstufe 1. Dafür hatte sie einen Klassenraum für sich. Sie hatte sich bereits eine Topfpflanze für den Schreibtisch und diverse Poster für die Wände besorgt. Es waren allerdings keine Poster mit Vokabeln oder Grammatikregeln, sondern Poster aus London und Filmposter von berühmten Klassikern der Filmgeschichte. Sie wollte eine coole Lehrerin sein und mit Hilfe der Popkultur unterrichten. Die Zeit in London, während ihres Auslandssemesters, hatte sie sehr genossen und viele Eindrücke gewonnen, die sie hier in der Schule einsetzen wollte.
Die Klingel holte sie aus den Gedanken an der Kaffeemaschine. Ihren To-Go-Becher mit den UnionJacks verschloss sie schnell und hetzte dann doch noch den Gang hinunter in ihre erste Klasse. Let’s go!
Annika Beller atmete hörbar aus, als der letzte Schüler den Raum verlassen hatte. Die allererste Stunde nach den Ferien war wahrlich noch nicht von Höchstleistungen gekrönt, aber sehr unterhaltsam. Die 7. Klasse hatte bereits Kenntnisse, die halfen sich vorzustellen, auch wenn die englische Sprache bei vielen eingerostet war.
Auf die zweite Stunde war sie gespannt. Die 10. Klasse. Da sollten schon deutliche Kenntnisse vorhanden sein und die Zusammenarbeit sollte einfach von der Hand gehen.
Der Klassenraum füllte sich mit 15 und 16jährigen Jungen und Mädchen, die aufgeregt redeten und sich über ihre Ferien und Erlebnisse austauschten. Zu erzählen haben sie auf jeden Fall genug, grinste Annika in sich hinein, bevor sie doch wieder nervös wurde, denn viele Augenpaare betrachteten sie neugierig. Das sind auf jeden Fall schon Erwachsene, dachte sie zu sich, als sie die Halbstarken mit leichtem Schnurrbart sah und die Mädchen in ihren kurz Röckchen. In dem Alter waren sie bereits so selbstständig, dass es eine Freude sein würde, ihnen etwas beizubringen. Hier konnte auch die Popkultur sehr hilfreich sein.
Es klingelte erneut und sie schielte auf die Namensliste. Kein Name sagte ihr etwas, natürlich nicht, aber es würde helfen sich die Namen später einzuprägen. Der Großteil der Klasse hatte sich in die hinteren Reihen verteilt. Die erste Reihe war komplett leer und in der zweiten saßen nur ein Junge und ein Mädchen nebeneinander.
Der Junge schien gelangweilt und schaute auf sein Handy, doch das Mädchen blätterte bereits im Lehrbuch. Ihr Pferdeschwanz hatte bereits einige Strähnen entlassen, sie war gebräunt und hatte ein Augenbrauenpiercing. Als sich ihre Blicke trafen, errötete das Mädchen und schaute schnell wieder weg. Ab Reihe drei wurden es dann mehr Schüler und Annika versuchte sich bereits Gesichter einzuprägen.
»Good morning, class«, sie drehte sich zur Tafel und schrieb ihren Namen in ihrer besten Schrift, »My name is Annika Beller, I’m your teacher for the next year. I studied the english and german language, but here on this school, I’m only your english teacher. I’m 27 years old and I love watching movies. Now I want to know about you!«
Sie zeigte auf den Jungen und das Mädchen in der zweiten Reihe und einige Schülerinnen kicherten.
Ein Junge, der sogar schon einen Bartansatz hatte, rief: »Ja, ihr Streber, erzählt mal!«
Annika merkte sich den Jungen und strafte ihn mit einem vielsagenden Blick. Beeindrucken ließ er sich davon allerdings nicht. Sie widmete sich wieder den beiden in der vorderen Reihe.
»Please.«
Ein warmes Lächeln, um sie zu ermuntern.
»I’ll start«, sagte das Mädchen, »I’m Lara Mühlmann, I’m sixteen«, sie errötete und ließ den Blick nicht von Annika, »ehm, I love coffee and walks in the woods and this is David«, sie zeigte auf ihren Sitznachbarn.
Lara, also.
Sie schaute kurz zu ihrer Namensliste. Da stand sie und unter ihr David, aber er hatte einen anderen Nachnamen. Ich hätte echt gedacht, die beiden sind Geschwister, aber vielleicht sind sie auch zusammen?
Lara hatte David angebufft und schaute ihn fordernd an.
»Äh, ich«, er wurde rot.
»In englisch«, flüsterte Lara. Annika lächelte. Die beiden sind niedlich.
Er räusperte sich, »I am David Albrecht, sixteen years old. I like cars and sports, Lara is my best friend.«
Aha.
Er atmete hörbar aus und Annika lächelte ihm aufmunternd zu.
»Good«, sie widmete sich der nächsten Reihe. Alle stotterten mehr oder minder mit starkem Akzent, was Annika nicht wunderte.
Der Junge, der vorher schon gestört hatte, stellte sich mit seiner kratzigen Stimme als Tobias Mayer vor. Er war offensichtlich der Klassenclown und sehr beliebt. Er spielte sogar Fussball im Verein. Annika würde ein Auge auf ihn haben. Ihr fiel auch sofort auf, dass die letzte Reihe Lara und David sehr auf dem Kieker hatte.
Sie startete dann mit dem ersten Kapitel im Lehrbuch, ließ vorlesen und übersetzen. Doch die Schulglocke erlöste die Schüler recht bald.
»Please repeat the new words from chapter one. See you on thursday.«
Annika war zufrieden mit sich. Die Schüler hatten zugehört und einige schienen sehr lernwillig. Lara hatte sich, während des Unterrichts, besonders hervorgetan und war ihr besonders im Gedächtnis geblieben. Sie erwischte das Mädchen immer wieder dabei, wie sie sie anstarrte.
Lara und David schienen ein wirklich enges Verhältnis zu haben, aber Annika war sich nicht sicher, ob sie wirklich nur Freunde waren.
Nach der Stunde schloss sie den Raum ab und ging ins Lehrerzimmer für einen frischen Kaffee und einen Snack. Die Pause war ein paar Minuten länger und sie brauchte dringend ein Frühstück. Als sie sich den Kaffee eingoss, dachte sie an Laras Worte und lächelte.
Sie zuckte zusammen, als eine Hand über ihren Hintern streifte und ihr Kollege mit einem dreckigen Grinsen dicht an ihrem Gesicht über ihre Schulter guckte.
»Guten Morgen, Annika. Toll siehst du aus. Wie waren deine ersten Stunden?«, sein saurer Atem ließ Annika schlucken und der Versuch zu flüchten misslang. Sie stieß hinten an die Wand und verschüttete etwas von ihrem Kaffee über ihre Hand.
»Scheiße«, fluchte sie gut hörbar und stellte den heißen Kaffee ab. Ihr Kollege Ludwig Stein reichte ihr ein Küchentuch herüber. Sie ergriff es nur widerwillig, denn sein schmieriges Grinsen wurde noch größer.
»Die Stunden sind gut gelaufen, Ludwig. Danke der Nachfrage. Und bei dir?«, sie versuchte neutral freundlich mit ihm zu reden. Sie wollte sich keine Feinde schaffen, aber sexuell belästigt wollte sie auch nicht werden. Der ältere Mann grinste wieder.
»Die Schüler haben bei mir nur gute Chancen, wenn sie sich für die Fächer interessieren. Wer nicht mitkommt, hat schon verloren.«
Dann drehte er sich um und ging. Annika hatte die ganze Zeit die Luft angehalten und ließ jetzt los. Sie hatte einen Kloß im Hals, ihn wollte sie definitiv nicht als Feind haben. Gruseliger Typ.
Ein paar andere Lehrerinnen winkten ihr, als sie zurück zum Klassenraum ging. Sie sah ihre Unterlagen durch, doch die folgenden 3 Stunden bis zum Mittag hatten alle denselben Ablauf. Vorstellungsrunden und das erste Kapitel des jeweiligen Lehrbuchs.
Die fünfte Klasse war so anders als die Zehntklässler. Annika fasste sich innerlich an den Kopf. Sie musste im englischen Urschleim anfangen, so war dies ein Kontrastprogramm zu der Klasse davor. Die Kinder machten fröhlich mit und vor allem die Versuche der Aussprache brachte alle zum Lachen. Aber da lag wohl auch der Unterschied. Das hier waren noch Kinder.
Erschöpft ließ sie sich im Lehrerzimmer an ihrem Platz nieder und sortierte ihre Unterlagen. Mittagessen und danach Vorbereitung?, fragte sie sich selbst und nickte.
Sie schnappte sich ihre Handtasche und trottete zur Cafeteria. Dutzende Schüler jeden Alters standen bereits an der Essensausgabe und warteten auf ihre warme Mahlzeit. Sie ließ den Blick schweifen. An einem der lauteren Tische sah sie die Clique von Tobias Mayer. Ein Mädchen hing an seinem Arm und himmelte ihn an. Jungs um ihn herum lachten, als er mit ausschweifenden Armen eine Geschichte erzählte. Auch andere Tische riefen Tobias etwas zu, der dann noch lauter wurde und mehr Schüler in seinen Bann zog. Tatsächlich ging dann Ludwig Stein zum Tisch, obwohl er nicht offiziell Aufsicht hatte, und ermahnte alle etwas ruhiger zu sein. Sein strenges Gesicht wirkte sogar einschüchternd auf den aufmüpfigsten Jungen und es wurde etwas gesitteter. Gut so.
Einige Tische weiter am Fenster saßen David und Lara allein und waren genau das Gegenteil von Tobias und seiner Gruppe. David grinste Lara an und redete mit ihr. Sie schüttelte den Kopf und aß weiter. Offenbar war ihr etwas unangenehm, denn ihre rötliche Wangenfarbe konnte Annika durch den ganzen Raum erkennen. Irgendetwas an Lara faszinierte Annika und sie sah schnell weg. Sie durfte sich nicht so auf einen Schüler oder Schülerin einschießen. Sie wartete bis sie ihr Mittagessen hatte und setzte sich an einen der freien Tische. Es konnte nicht schaden sich unters Volk zu mischen. Frau Müller, die Sportlehrerin, stand in einer Ecke und beobachtete das Geschehen. Sie war auch schon über 40, doch hatte sie noch eine ganz passable Figur. Sie hatte erzählt, dass sie immer noch Marathon lief und Wassersport machte. Annika bewunderte diese Disziplin. Sie selbst fühlte sich oft zu dick, obwohl sie normal gebaut war. Sie war ein sehr heller Hauttyp und wurde immer wieder angesprochen, dass sie so blass aussah. Ihre roten Haare leuchteten im Sommer immer, die mochte sie an sich auch am liebsten.
Das Essen haute sie nicht vom Hocker, doch lenkte es sie von ihren Gedanken ab. Im Kopf ging sie schon ihre nächsten Aufgaben durch. Ein großer Milchkaffee in ihrem To-Go-Becher begleitete sie zurück zu ihrem Schreibtisch. Sie hatte Blicke auf sich gespürt, wollte aber nicht nach dem Übeltäter suchen. Sie war neu, also würde sie sicher von vielen Schülern beäugt werden.
Als sie am späten Nachmittag nach Hause kam, schnappte sie sich gleich eine Decke und legte sich in den Garten. Der spätsommerliche Tag war lang und aufregend gewesen. Sie ließ ihre Gedanken schweifen und den Tag Revue passieren. Doch immer wieder kam sie auf das Mädchen zurück, das einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen hatte.
3. LARA
LARA zuckte zusammen, als David sie anstieß. Sie war fasziniert. Fasziniert von der Frau, die dort vorn an der Tafel stand. Außerdem bewunderte sie die Dekoration des Raumes.
»Guck mal da!«, rief David und zeigte auf ein Terminator Filmposter.
Lara lachte.
»Voll cool, da hängt auch Bridget Jones und Stolz und Vorurteil«, sie zeigte in die gegenüberliegende Ecke. Keira Knightley fand sie schon immer ganz süß, vor allem in den Fluch der Karibik-Filmen.
»Viel besser, als diese langweiligen Vokabeln und Grammatikposter. Die neue Lehrerin scheint in Ordnung zu sein«, bei diesen Worten musste Lara gleich wieder zu der rothaarigen Frau am Lehrertisch schauen. Lara packte ihre Federtasche und einen Block aus, außerdem das schon ausgeteilte Englischlehrbuch. Sie hatte es bereits durchgeblättert und war gespannt, wie die Neue es präsentieren würde. Mit einem prüfenden Blick nach hinten, erkannte sie, dass Tobias und seine Clique sich weit weggesetzt hatten. Tobias fing ihren Blick auf und grinste sie bösartig an. Schnell drehte sie sich wieder um, um nichts herauf zu beschwören. Sie hatte zwar keine Angst vor ihm, aber seine ständigen Angriffe waren manchmal einfach nur anstrengend. Typisch, dachte sie nur und widmete sich wieder der süßen Lehrerin.