Kaliber .64: Der verschwundene Gast - Friedrich Ani - E-Book

Kaliber .64: Der verschwundene Gast E-Book

Friedrich Ani

3,8

Beschreibung

Richard Leimer ist eines Tages nicht mehr aufzufinden. Vor Jahren ist er mit seinem Geschäft pleite gegangen und seine Ehe gleicht einem Trümmerfeld. Seine Frau, die ihn als vermisst meldet, verdächtigt ihn, eine Menge Schwarzgeld beiseite geschafft zu haben. Wollte da ein Mann einfach nur abtauchen aus seinem alten Leben? Oder wollte ihn jemand verschwinden lassen? Friedrich Ani lässt den großen Schweiger unter den Kommissaren in der deutschsprachigen Kriminalliteratur, Tabor Süden, hier noch einmal auf Spurensuche gehen.

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Friedrich Ani, 1959 geboren,lebt in München. Er schreibtneben Kriminalromanen undDrehbüchern (»Tatort«) auchKinder- und Jugendbücher.Für seine Bücher mit TaborSüden wurde Ani gleichmehrfach mit dem DeutschenKrimipreis ausgezeichnetund stand wochenlang aufder KrimiWelt-Bestenliste.Zuletzt erschien von ihm derKriminalroman Hinter blindenFenstern (Zsolnay).

Friedrich Ani

DER VERSCHWUNDENE

GAST

Krimi * Nautilus

KALIBER .64

Den ersten 1000 Exemplaren

der Buchausgabe von

DER VERSCHWUNDENE GAST

liegt eine Mini-CD bei, auf der der

Autor den Song »Tabor Süden« mit

der Band Schorsch & de Bagasch

eingespielt hat.

Edition Nautilus

Verlag Lutz Schulenburg

Schützenstraße 49a

D-22761 Hamburg

www.edition-nautilus.de

Alle Rechte vorbehalten

Die Krimireihe

»Kaliber .64« wird

herausgegeben von

Volker Albers

© Edition Nautilus 2007

Umschlaggestaltung:

Maja Bechert, Hamburg

www.majabechert.de

Foto S. 2: Peter von Felbert

Originalveröffentlichung

Erstausgabe Februar 2008

Print · ISBN 978-3-89401-566-4

eBook · ISBN 978-3-86438-000-6 (ePub)

1

»Früher«, sagte die Frau im weißen Kittel, ohne ihre Stimme vor den zwei Kundinnen zu senken, die sich an ihr vorbeizwängten, »hätten Sie mich in so einem Laden nicht angetroffen.«

Unter dem ärmellosen Kittel trug sie eine schwarze Jeans und eine blaue Bluse. Der Kittel, der ihr mindestens eine Nummer zu groß war, hing an ihr herunter und hatte dunkle Flecken am unteren Rand.

»Ich such Haarspangen«, sagte eine Kundin.

»Im Regal um die Ecke, neben den Shampoos«, sagte die Verkäuferin. Sie hieß Karla Leimer, war zweiundvierzig und sehr schlank, mit einem schmalen, fast eingefallenen Gesicht und blonden, von rötlichen Strähnen durchzogenen Haaren, die sie mit einem weißen Seidentuch zusammengebunden hatte. Auf den ersten Blick wirkte sie fahrig, auf den zweiten nervös.

»Ich mach mir wirklich Sorgen«, sagte sie.

»Warum?«

Unabsichtlich – oder absichtlich, das war nicht zu erkennen – versperrte ihr Hauptkommissarin Sonja Feyerabend den Weg in ein Kabuff im hinteren Teil des mit Regalen vollgestellten Drogeriemarktes.

»Warum? Wieso fragen Sie so was? Warum. Weil er mein Mann ist. Weil er nicht nach Hause gekommen ist. Und zwar seit gestern nicht. Und das macht der sonst nie. Das hab ich alles Ihren Kollegen erzählt. Ich versteh gar nicht, was Sie hier suchen. Hier ist er bestimmt nicht.«

»Sind Sie sicher?« Die Hände in den Taschen ihres schwarzen Wollmantels, rührte Sonja sich nicht von der Stelle. Sie war einen Kopf größer als die Verkäuferin. Mit ihrer ledernen Schirmmütze und ihren breiten Schultern, die durch den gepolsterten Mantel noch betont wurden, sah sie aus wie eine Türsteherin, an der niemand ohne richtiges Losungswort vorbeikam.

»Bitte?« Mit flehendem Blick erwartete Karla Leimer Unterstützung von dem Kommissar, der, seit er hier war, noch kein Wort gesprochen hatte.

»Es kommt nicht so selten vor, dass Menschen sich dort verstecken, wo sie sich am besten auskennen«, sagte die einundvierzigjährige Ermittlerin. »Nämlich auf dem eigenen Grundstück oder bei Verwandten.«

»Verstecken.« Nachdem sie noch eine Weile erfolglos auf eine Reaktion des Kommissars gewartet hatte, drehte sie verärgert den Kopf von ihm weg. »Gute Frau: Mein Mann versteckt sich nicht, er ist verschwunden.«

»Ich würd gern irgendwann zahlen«, rief eine Kundin an der Kasse.

»Lassen Sie mich bitte vorbei«, sagte Karla Leimer zum Kommissar. »Ihren Namen hab ich jetzt vergessen.«

»Tabor Süden.«

»Vielleicht können Sie Ihre Kollegin mal fragen, warum sie mir so eigenartige Fragen stellt. Die gefallen mir nämlich nicht.« Sie drängte sich an Süden vorbei, und er roch kalten Zigarettenrauch.

Er sagte: »Sie tragen keinen Ehering.«

Mitten in der Bewegung hielt sie inne. Dann schüttelte sie den Kopf und ging weiter zur Kasse.

Von einem Regal aus beobachtete die zweite Kundin die Szene. Süden machte einen Schritt auf sie zu. »Kennen Sie die Frau Leimer?«

Die Kundin, eine Frau um die sechzig in einem bunten Mantel, der aussah, als hätte sie ihn selbst gestrickt, streckte den Rücken. »Sie sind von der Polizei?«, fragte sie.

»Ja«, sagte Süden.

»Aha.« Sie nickte.

Süden schwieg. Die Frau sah ihm herausfordernd in die Augen. Wenn Süden einmal angefangen hatte zu schweigen, hörte er so schnell nicht wieder damit auf.

Inzwischen hatte die andere Kundin den Drogeriemarkt verlassen. Neue Kunden kamen herein, ausschließlich Frauen, von denen jede dem stumm dastehenden, stämmigen Mann mit der schwarzen, an den Seiten geschnürten Lederhose, der Lederjacke über dem weißen Hemd und den schulterlangen Haaren einen Blick zuwarf, den sie kurz darauf aus einem anderen, besseren Winkel wiederholten.

Karla Leimer saß reglos an der Kasse. Eine Minute lang herrschte Schweigen, während weiter Schlagermusik und Werbeansagen aus dem Lautsprecher dröhnten.

»Dann schlage ich vor, wir gehen nach draußen«, sagte Sonja Feyerabend auf dem Weg zur Tür. Als sie an der Kasse vorüberkam, wies sie Karla mit dem Kopf an, ihr zu folgen.

Wortlos wandte Süden sich von der Frau im Wollmantel ab.

»Ich würde gern Ihren Ausweis sehen«, sagte die Kundin.

»Ein andermal«, sagte Süden.

Kurz darauf standen sie zu dritt auf dem Bürgersteig an der Hohenzollernstraße. Es war später Vormittag an diesem fast 15 Grad warmen 6. März, und auf den Straßen Schwabings blockierten sich Auto-, Lastwagen- und Fahrradfahrer gegenseitig. Die Cafés hatten die Türen weit geöffnet, junge Mütter mit Babys im Schoß tranken Latte macchiato und zogen ihr Handy in dem Moment aus der Tasche, in dem ihre Freundinnen auf die Toilette gingen.

Immer wieder schaute Tabor Süden auf die andere Straßenseite und dachte daran, dass es diese Art Tagesmenschen – Müßiggänger, Kaffeetrinker, Blickeverschwender – in dem Viertel, in dem er wohnte, nicht gab. Als hätte dort die Zeit eine andere Bedeutung, als wäre in Giesing für die Leichtigkeit die Luft zu schwer.

»Wie lange haben Sie Sonntagnacht auf ihn gewartet?« fragte Sonja Feyerabend.

»Bitte?« In tiefen Zügen rauchte Karla ihre Zigarette. »Gewartet? Ja, ich hab gewartet, ich war ja zuhause. Bis Mitternacht. Dann bin ich ins Bett.« Sie warf einen Blick durch die Tür der Drogerie. »Ich darf hier nicht stehen, wir haben strenge Regeln, meine Kollegin kommt gleich, wenn die mich hier sieht, schimpft sie. Die weiß ja, was ich früher gemacht hab, die denkt, sie kann mich schikanieren, weil ich hier gelandet bin. Aber lang bleib ich nicht mehr, mir reicht’s nämlich. Mir reicht’s bis übern Hals.«

»Sie waren Chefsekretärin«, sagte Süden.

»Ich war bei Siemens, bis uns die Koreaner das Wasser abgegraben haben. Ich bin ein Kollateralschaden, wie die anderen dreihundert Kollegen auch. Die haben uns verarscht, die Asiaten, und das haben wir gespürt, aber getan hat keiner was dagegen. Wozu auch? Die Bosse kriegen ihr Gehalt weiter. Und dann ist mein Mann auch noch mit seinem Geschäft pleitegegangen, das war’s dann. Wir mussten umziehen. Raus aus dem Altbau, rein in den Neubau. Hätte schlimmer kommen können, wohnungstechnisch.«

»Sie wohnen in der Ohmstraße«, sagte Süden. »Sie und Ihr Mann.«

»Nah am Englischen Garten. Immerhin.«

»Nachdem er sein Bekleidungsgeschäft schließen musste, nahm Ihr Mann keinen neuen Job an«, sagte Sonja. »Trotzdem geht er jeden Tag ins Gasthaus.«

Karla trat ihre Zigarette aus. »Ich muss jetzt rein. Bitte finden Sie ihn. Womöglich hat er sich was angetan, das hab ich doch Ihren Kollegen in der Türkenstraße schon gesagt.«

»Haben Sie heut schon in dem Gasthaus angerufen, in das er immer geht?«, fragte Sonja.

»Im Weinbauern? Nein. Nein.«

»Warum nicht?«

»Bitte? Hab ich in der Aufregung vergessen. Entschuldigung. Ich ruf gleich an, sofort.«

»Das brauchen Sie nicht«, sagte Süden. »Wir fahren hin.«

»Danke«, sagte Karla Leimer mit dünner Stimme. Sie verschwand im Laden, wo drei Frauen an der Kasse warteten.

Nach längerem Schweigen sagte Süden: »Wir wissen noch nichts.«

Sonja knöpfte ihren Mantel auf. »Ich möcht jetzt einen Cappuccino trinken und dazu ein Tramezzino mit Tomaten und Ruccola essen. Kommst du mit?«

»Unbedingt«, sagte Süden.