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Morde geschehen aus ganz verschiedenen Motiven. Dabei kann die mörderische Gefahr an ungewöhnlichen und schaurigen Orten lauern. Doch auch an ganz alltäglichen Plätzen werden dramatische oder blutige Verbrechen verübt, die oft mit einer unerwarteten Wendung ans Tageslicht kommen. Diese Geschichten werden Ihnen eine Gänsehaut bescheren, Sie vielleicht gruseln lassen oder Ihnen ein Schmunzeln entlocken.
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Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Morde geschehen aus ganz verschiedenen Motiven. Dabei kann die mörderische Gefahr an ungewöhnlichen und schaurigen Orten lauern. Doch auch an ganz alltäglichen Plätzen werden dramatische oder blutige Verbrechen verübt, die oft mit einer unerwarteten Wendung ans Tageslicht kommen.
Diese Geschichten werden Ihnen eine Gänsehaut bescheren, Sie vielleicht gruseln lassen oder Ihnen ein Schmunzeln entlocken.
Ethel Scheffler
Schreibt Krimikurzgeschichten, über
wahre Fälle und Regionalliteratur.
www.scheffler-stories.de
Tödliches Fieber
Mörderische Totengräber
Zwei linke Schuhe
Verkehrte Welt
Zwielichtig
Das Kind unterm Weihnachtsbaum
Auf dem Weg nach oben
Waldesruh
Triumphierend blickte Corinna auf Ingolf. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Jetzt hatte sie es geschafft!
Bequem im Sessel sitzend, griff sie nach dem Heide Kurier auf dem Couchtisch, überflog die Schlagzeilen und schaute immer wieder zu ihrem Mann.
»Ja mein Guter«, sprach Corinna kaum hörbar. »Das hättest du wohl nicht gedacht.« Passend, dass ihn gerade jetzt die Grippe erwischt hatte. Er gab schon eine jämmerliche Figur ab. Die Augen wirkten eingefallen, die Haare klebten an seiner Stirn und die fahle Blässe ließ die schwarzen Bartstoppeln überdeutlich sichtbar werden. Wie sehr hatte sie damals seine athletische Figur bewundert. Von seinen Bewegungen waren die Kraft und Geschmeidigkeit eines Panthers ausgegangen. Selbst nachdem er das Fußballspielen aufgegeben hatte, zog sein wohlgeformter Oberkörper so manchen Frauenblick auf sich. Ingolf war groß, stark und sein schwarzes, leicht welliges Haar täuschte viele über sein wahres Alter hinweg.
Er genoss dies sichtlich. Jedem Rockzipfel gierte er hinterher. Gut darüber konnte sie hinwegsehen. Aber oft löste ein zurückgworfener Blick sein Jagdfieber aus.
Corinna erinnerte sich gern an den Beginn ihrer Beziehung, als er nur Augen für sie hatte und sie im Mittelpunkt stand.
Er hatte sie damals während eines Forums an der Leipziger Universität angesprochen. Da sie das Projekt leitete, stellte er eine Frage nach der anderen zu den Vorsorgeprogrammen für gesunde Menschen. Dabei überhörte er, dass sie eigentlich nur die Werbefirma vertrat, die solche Events ausgestaltete und deren reibungslosen Ablauf überwachte.
Corinna hatte Ingolfs beharrliche Art gefallen. Er schien so anders zu sein, als ihre bisherigen Freunde und ließ sich schnell von seinem Charme einfangen. Er hatte sie Tag und Nacht umgarnt und bekniet, mit ihm nach Bad Düben zu ziehen.
‘Lass uns das ganze Jahr da wohnen und arbeiten, wo andere hinfahren, um die Kur oder den Urlaub zu verbringen. ’
Corinna hob den Kopf und sah durch das Fenster. Sie liebte diesen Blick über die gelb strahlenden Rapsfelder bis hin zum Roten Ufer. Ihre Dübener Rocky Mountains nannte sie stolz die zerklüfteten Uferfelsen an der Mulde.
Es hätte alles so schön sein können. Im Freundeskreis galten sie als das Traumpaar. Sie führten sehr erfolgreich seine Arztpraxis nahe dem Paradeplatz. Ingolf war als Allgemeinmediziner sehr beliebt und Corinna arbeite als Organisationstalent an der Rezeption. Aber sie kümmerte sich auch sonst um alles andere, was die Praxis betraf.
Nur Corinnas Mutter hatte Ingolf von Anfang an nicht gemocht. Seine übertriebene charmante Art empfand sie als aufgesetzt und unehrlich. Sie riet ihrer gut betuchten Tochter zur Vorsicht. Ingolf hatte Corinna schon recht kurz nach ihrem Kennenlernen um finanzielle Unterstützung für den Kauf von Geräten für die Praxis gebeten. Wie aber hätte sie ihrem Traummann diesen Wunsch abschlagen können? Sie schlug auch die Bedenken ihrer Freundin Birgit in den Wind, die den großen Altersunterschied der beiden kritisch sah.
Corinna war zehn Jahre älter. Spielte das heutzutage wirklich noch eine Rolle, wenn man sich liebte? Und er tat ihr gut. Selbst ihre Asthmaanfälle gingen stark zurück.
Störrisch wie Corinna sein konnte, nahm sie Ingolfs Heiratsantrag schon ein halbes Jahr später an. Trotzig präsentierte sie allen voller Stolz den goldenen Ring an ihrer Hand. Alles schien in bester Ordnung zu sein.
Doch kurz nach der Hochzeit zogen erste Gewitterwolken am gelobten Ehehimmel auf. Eine Annett Walther verursachte Blitz und Donner. Ingolf musste sie bei einer der ärztlichen Weiterbildungen kennengelernt heben. Sie tauchte erstaunlich oft in der Praxis auf. Aufmerksam wurde Corinna erst, als Ingolf dieser Annett Walther bei den kleinsten Wehwehchen, entgegen seiner Gewohnheit, lange Krankschreibungen verordnete. Merkwürdigerweise stieg auch in dieser Zeit die Anzahl seiner Hausbesuche drastisch an.
Corinna sehr froh, dass Annett Walther diesen Seitensprung selbst beendet hatte. Na gut, Corinnas Anruf bei Annetts Ehemann hatte bestimmt etwas dazu beigetragen. Sie nannte dem Gehörnten die Zeit eines dringend anstehenden Hausbesuches ihres Mannes bei dessen Frau. Als Ingolf dann mit einem blauen Auge nach Hause kam, gab sie ihm »mitfühlend« einen Eisbeutel gegen sein immer größer werdendes Hämatom. Als Ausrede war ihm nichts Besseres eingefallen, als dass er in einem Café gegen einen Kleiderständer gelaufen sei.
Corinna faltete für einen Moment die Zeitung zusammen und stand auf. Scheinbar fürsorglich legte sie die heruntergerutschte Wolldecke über Ingolfs geschwächten Körper und fragte sich dabei, warum er damals aus der Sache mit Annett Walther nicht klug geworden war.
Corinna erinnerte sich, dass schon kurz nach jener Affäre eine Ulrike Schnapper seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Als die junge Blondine in der Praxis um einen Termin gebeten hatte, war sie wirklich krank gewesen: Sie hatte Herzrhythmusstörungen. Nach der Untersuchung begleitete Ingolf die Patientin an die Rezeption. Da beobachtete Corinna, wie Frau Schnapper Ingolf mit ihren braunen Augen an klimperte.
Es folgten nervige Anrufe, in denen sie bat, direkt zu Ingolf durchgestellt zu werden, weil es ihr angeblich wieder einmal so schlecht ging. Corinna ahnte, wohin das alles führen würde. Einmal hatte sie kurzerhand die rote Mithörtaste gedrückt. In der Annahme, sie hätte an der Anmeldung mit Patienten zu tun, verabredeten sich beide für den Nachmittag.
Kaum war das Gespräch beendet, erschien Ingolf an der Rezeption. Corinna tat so, als käme sie gerade aus dem Labor. Nach der Sprechstunde bedauerte Ingolf scheinheilig, dass er noch außerplanmäßige Hausbesuche zu erledigen habe. Nun war ihr alles klar. Diese Masche kannte sie von Ingolf schon.
Wieso wusste Frau Schnapper eigentlich nicht, dass bei verliebten Menschen ganz besonders Herzrhythmusstörungen auftreten konnten? Und sollten diese bei einer solchen Vorbelastung, wie sie Frau Schnapper hatte, nicht ganz vermieden werden?
Als wenige Tage später ein Pharmaberater ein neues Herzmedikament vorstellte, erhielt Ingolfs Geliebte natürlich als eine der ersten Patientinnen diese Medizin aus dem Bestand unverkäuflicher Muster.
Dass Ingolf bei dem intensiven Blickkontakt bei der Verabschiedung ganz vergessen hatte, ihr die genaue Medikation zu erklären, war schließlich nicht Corinnas Versäumnis. Als Ulrike Schnapper mit seidigem Glanz in den Augen und den neuen Herztropfen in der Hand an der Rezeption nach der genauen Dosierung fragte, empfahl Corinna ihr 20 Tropfen dreimal täglich. Fünf Tropfen zu viel pro Einnahme. Corinna musste in ihrer Eifersucht völlig ausgeblendet haben, dass die unpräzise Mengenangabe für ein so krankes Herz mörderisch sein konnte. Die Rivalin hatte dies gleich nach der ersten Einnahme gespürt.
Corinna sah wieder zu Ingolf. Jetzt lag er da, wie ein Bündel Elend in der Wolldecke. Die Beine leicht angewinkelt, war er mit seinen 1,95 m dennoch viel zu groß für das kleine Sofa. Ständig musste sie damit rechnen, dass er bei der kleinsten Bewegung herunterrollen könnte. Obwohl: Welche Bewegung? Seit Stunden lag er regungslos da.
Nur einmal hob Ingolf leicht den Arm. Wahrscheinlich wollte ihr »Liebling« etwas trinken. Doch sie reagierte nicht.
In Gedanken versunken, schlürfte Corinna genüsslich den vor ihren stehenden Apfelsaft. Ihre Augen formten sich zu schmalen Schlitzen, als sie an den Streit mit Ingolf vor wenigen Wochen zurückdachte. Den Anlass für ihren Wutausbruch hatte sie längst vergessen. Ganz energisch hatte sie ihm jedoch klargemacht, dass sie seine ständigen Affären nicht mehr dulden würde.
Es stünde schließlich einiges auf dem Spiel, hatte sie ihm zu guter Letzt mit viel Kraft an den Kopf geworfen, denn ein Asthmaanfall ließ sie nach Luft ringen.
Es war seine samtweiche Stimme, die sie erneut beruhigte und die Beteuerung, dass er nur sie liebe.
Verblendet vor Liebe hoffte sie tatsächlich, dass es Ingolf von jetzt an ehrlich mit ihr meinen würde.
Wie sehr freute sich Corinna, als er zu ihrer Entlastung noch eine Arzthelferin einstellte, denn die Abrechnungen zum Monatsende wurden immer umfangreicher. Endlich wieder mehr Zeit füreinander? Das Glücksgefühl währte nicht lange.
Nun musste sie mit ansehen, wie Ingolf ständig die Nähe der um Jahre jüngeren Arzthelferin Nora suchte. Wann immer es möglich war, berührte er wie zufällig ihre Hand oder blickte ihr bei der Übergabe von Patientenakten tief in die Augen. Oft stand Ingolf ganz nah hinter ihr, wenn sie ein Röntgenbild zur Auswertung an den Lichtkasten klemmte.
Doch nicht genug damit. Zudem nörgelte er ständig an ihr herum. Nichts konnte sie ihm mehr recht machen. Und wann hatte er das letzte Mal mit ihr geschlafen?
Ständig zog er sich in seine Werkstatt neben der Garage zurück und schweißte zu seinem Vergnügen aus Schrott und Blechteilen abstrakte Figuren zusammen, die schon das ganze Haus bevölkerten. Wollte sie mit ihm etwas unternehmen, hatte er keine Lust.
Das Maß war voll. Das wollte sie sich nicht mehr bieten lassen. Wie oft hatte sie ihm Seitensprünge verziehen. Für diese erneute Demütigung würde er einen hohen Preis bezahlen müssen.
Corinna ging ins Bad und blickte in den Spiegel. Ihre großen braunen Augen und ihr dunkler Teint gaben ihr etwas Geheimnisvolles. Sie strich die bunte Bluse glatt. Corinna verstand einfach nicht, was es an ihr auszusetzen gab. Schlank und mit schönen Kurven an den richtigen Stellen, sah sie toll aus.
Dass manche Männer nie zufrieden sein konnten. Kaum bot sich eine Gelegenheit auf ein pikantes Abenteuer, rutschte ihr Gehirn in die Hose. Corinna atmete tief durch und ging ins Wohnzimmer zurück.
Ingolf lag, wie sie ihn verlassen hatte. Erleichtert trank sie wieder einen Schluck Saft. Schade drum, dachte die noch Ehefrau sich, während sie auf Ingolfs Brustkorb sah. Er hob und senkte sich nicht. Ob er schon ...?
Nur ja nicht zu zeitig Alarm schlagen. Sie wollte sicher sein, dass der Schlaftablettenmix seine ganze Wirkung entfalten konnte.
Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass gleich ihre Lieblingsserie im Fernsehen begann. Sie trank ihr Glas leer und schaltete den Apparat an.
Plötzlich drehte Ingolf seinen Kopf zur Seite und öffnete die Augen.
Corinna erstarrte vor Schreck. Das konnte doch nicht wahr sein. Bis vor wenigen Sekunden hatte sie noch geglaubt, Ingolf schliefe sich ins Jenseits. Sie drückte sich tief in den Sessel und spürte, wie der Schreck ihr die Kehle zuschnürte.
»Hast du etwa gedacht, du wirst mich so einfach los?«, fauchte Ingolf sie an.
Corinnas Atemzüge wurden kürzer. Sie bekam einen Asthmaanfall und fasste sich an den Hals, als könne ihr dies Erleichterung bringen.
Ingolf schien das nicht zu bemerken. Er richtete sich zu seiner ganzen Größe auf.
Corinna war entsetzt, bekam noch weniger Luft. Sie hechelte und versuchte, die Anzahl der Atemzüge zu erhöhen. Corinnas Angst und die Heftigkeit des Anfalls lähmten ihre ganze Handlungsfähigkeit. Hochrot kämpfte sie um mehr Luft. Vergeblich versuchte sie, aufzustehen, um das Notfallspray für solche Situationen zu holen. Ihre Beine, scheinbar in Zementblöcke gegossen, hielten sie unbarmherzig fest. Angstschweiß breitete sich auf Corinnas Stirn aus. Sie war wie gelähmt.
Ingolf ging einen Schritt auf Corinna zu. Ein grausames Lächeln lag auf seinem Gesicht.
»Ingolf, hilf mir, ich sterbe«, flehte sie ihn in Todesangst an. Sie röchelte nur noch.
»Wieso sollte ich?«, hörte Corinna ihn ohne jede Regung in der Stimme sagen.
Ein, zwei Sekunden vergingen. Stille.
Ihr Kopf fiel kraftlos auf ihre rechte Schulter.
Nun musste Ingolf nur noch glaubwürdig sein Alibi in Szene setzen. Sein Hobbyraum lag ja neben der Garage. Die ganze Zeit würde er hier gearbeitet haben, wenn die Polizei ihn befragen würde. Für diesen Zweck lag seit dem frühen Morgen schon alles bereit.
Wenn Ingolf mit dem Schweißbrenner hantierte, dann konnte er natürlich keine Hilferufe von Corinna hören, wenn sie einen Asthmaanfall hatte.
Schade Corinna, dachte er mit einem letzten aber ungerührten Blick auf sie. Die ganze Zeit hatte ihn das Gefühl verfolgt, dass Corinna etwas im Schilde führte. Aber was? Als er, ganz gegen seine Art, ihre Handtasche durchwühlt und die Schlaftabletten gefunden hatte, wusste er, dass sie nur auf eine Gelegenheit wartete, um sie ihm zu verabreichen. Kurzerhand hatte er sie gegen Placebos ausgetauscht. Trotzdem hoffte er, dass seine Vermutungen falsch waren. Deshalb nutzte er die Gelegenheit, seine Grippe schlimmer darzustellen. Er gab sich besonders schlapp, und legte sich stundenlang auf das Sofa, in der Hoffnung, Corinna würde nicht bis zum Äußersten gehen. Ingolf legte sorgfältig die Decke zusammen, ohne nochmal auf seine tote Frau zu schauen.
Gewissenhaft schaute er umher, denn es sollten keine verräterischen Spuren zurückbleiben. Dann schloss er beruhigt die Zimmertür hinter sich.
In etwa zwei Stunden würde Birgit wie jeden Freitag ihre Freundin besuchen kommen. Ganz erstaunt würde Ingolf aus der Werkstatt treten und fragen, warum Corinna ihr nicht selbst öffnete. Er würde die Freundin hereinbitten und sie die Leiche entdecken lassen.
Ingolf lächelte. Er hatte es geschafft. Die Praxis lief wie am Schnürchen, das geliehene Geld brauchte er nicht mehr zurückzuzahlen, und obendrein würde er ihr ganzes Vermögen erben.
Herrlich! Wie einfach konnte das Leben sein. Endlich brauchte er keine Ausreden mehr, wenn er mit seiner neuen Arzthelferin, zusammen sein wollte. Schon die Vorstellung, ihren aufreizenden Körper in endlosen Nächten berühren und lieben zu können, wärmte seine Lenden.
Herrlich, dachte Ingolf, während er nach der fast leeren Zigarettenschachtel in seiner rechten Hosentasche griff. Er lächelte.
Nora hatte ihm das Versprechen abgenommen, nicht mehr zu rauchen. Doch eine letzte Zigarette hier in seiner Werkstatt würde er sich noch genehmigen und dann, dann würde für ihn das neue Leben beginnen.
Ingolf steckte sich die Zigarette an. Tief und mit viel Genuss zog er den Rauch ein. Er öffnete die Tür zu seinem Hobbyraum und registrierte das zischende Geräusch. Bei den eiligen Vorbereitungen am Morgen musste er vergessen haben, das Ventil der Acetylenflasche seines Schweißgerätes zu schließen.
In Bruchteilen von Sekunden begriff er, dass es für ihn kein neues Leben geben würde. Nicht in dieser Welt. Ein Knall löschte Ingolfs Pläne aus. Die Explosion verteilte seinen Körper in tausend Fetzen in der Hobbywerkstatt.
Zum Ende des Mittelalters gab es sowohl in den Städten als auch auf dem Lande Totengräber. So auch in Großzschocher. Speziell von diesen ist bekannt, dass sie ihre Stellung ausnutzten, um ihre Gewinnsucht und Mordgier zu befriedigen. Unterstützt wurden sie dabei von ihren Weibern, Schwiegertöchternund söhnen. Sehr oft wurden die Frauen zu Beginn der Erkrankungen gerufen, um zu heilen. Diese gaben dann den Kranken ein besonderes Pulver zur Besserung ihrer Beschwerden. Es bestand aus allerlei Getier, so aus gedörrten und klein gestoßenen Kröten, Schlangen und Molchen. Am Anfang ihrer mörderischen Tätigkeit warteten die Frauen noch, bis die kranke Person gestorben war. Doch die Mörderinnen wurden später immer dreister und begruben die Kranken schon, wenn diese nur in einer Ohnmacht lagen.
Dass in der Zwischenzeit die Wohnungen schon ausgeraubt werden konnten, hatten die Frauen ganz geschickt eingerichtet. Sie verbreiteten falsche Gerüchte. Sie gaben an, dass es sich bei den Betroffenen um ansteckende Krankheiten handelte. Aus Angst vor einer Ansteckung hielten sich Neugierige von den Behausungen fern.
Dem Spuk wurde im Jahr 1582 ein Ende gesetzt. Die Totengräber wurden mit glühenden Zangen gerissen, gerädert und aufs Rad geflochten, ihre Frauen wurden als Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
von den Totengräbern von Großzschocher erzählt nun, dass ein junger Handwerksbursche von der Wanderschaft zurück nach Hause kam und zu seiner Liebsten wollte, als die Totengräber gerade einen Sarg vorbei trugen.
Auf seine Frage, wer wohl darin läge, wurde ihm seine Liebste beschrieben. Groß war die Trauer, dass er zu spät nach Hause gekommen war. Nun wollte er die Geliebte noch einmal sehen. Die Totengräber schlugen ihm jedoch die Bitte ab.
In der Nacht jedoch brach der Zurückgekehrte mit einigen Burschen den Sarg auf und fand seine Maid geknebelt und gefesselt, aber noch lebend vor. So ward sie befreit und heiratete glücklich ihren Lebensretter. Die Totengräber hingegen wurden in Haft genommen und gerichtet.
»Was ist denn da los?« Ruth wandte den Kopf in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war. Doch in dem weitläufigen Spielgarten konnte die Kindergärtnerin nicht sofort ausmachen, welches von den vielen spielenden Kindern geschrien hatte. Ihr suchender Blick stoppte vor der Buchenhecke am Zaun. Lara hatte dort etwas abseits von den anderen Kindern, gespielt. Wo war sie? Ruth rannte zum Zaun und hielt sich vor Entsetzen die Hände vors Gesicht. Ein Wiesenstück mit einem Durchmesser von etwa drei Metern war mehrere Meter tief eingesunken.
»Meine Glasmurmeln sind weg«, rief Lara von unten weinerlich herauf.
Ruth war erst einmal froh, sie unverletzt zu sehen. Das Mädchen musste unter Schock stehen, denn sie dachte nur an ihre geliebten bunten Murmeln. Ruth beugte sich über das riesige Loch. Ihr war es nicht möglich, Lara zu greifen. Auch konnte sie nicht erkennen, warum die Erde so weiträumig eingefallen war. Vielleicht hatte es Unterspülungen gegeben. In diesem Fall könnte die Erde auch noch weiter abrutschen.
Ruth zwang sich, die aufkommende Panik zu unterdrücken, griff nach ihrem Handy in Jackentasche und wählte die Notrufnummer. Die freundliche Stimme am anderen Ende versprach schnelle Hilfe.
Ruth hatte große Mühe, nicht zu weinen. Sie schaute auf Lara, die in ihrem gelben Sommerkleid wie ein gefangener Schmetterling aussah.