Kampf um China - Bernhard Glocker - E-Book

Kampf um China E-Book

Bernhard Glocker

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Beschreibung

Politkrimi, Mysterythriller, Historienroman – Kampf um China verbindet Elemente aller dieser Kategorien. Ein Roman mit Lokalkolorit, in dessen Fokus China steht: Eine deutsche Schriftstellerin gerät auf eine Zeitreise, dringt vor in das Shanghai des Jahres 1927 zusammen mit einem Offizier aus einer verlorenen Armee, der die Geschichte Chinas umschreiben will. Ein zweites Mal muss die Protagonistin in die chinesische Vergangenheit reisen, um ihren Begleiter vor dem sicheren Tod zu bewahren. Am Ende trifft sie dann noch auf den Sohn des Offiziers, der auf der Suche nach seiner wahren Identität ist. Kann sie ihm helfen? Im Hintergrund operieren die Dongba, Schamanen einer chinesischen Minderheit mit erstaunlichen Fähigkeiten. Der Autor verwendet fiktive, aber auch historische Personen, um den Handlungsstrang zu entwickeln. Viele bekannte Namen tauchen auf. Manche Größen der chinesischen Politik erscheinen in neuem Licht.

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 174

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Bernhard Glocker

Kampf um China

Zum Autor

Bernhard Glocker ist im November 1953 geboren, verheiratet, war beruflich als Jurist tätig und lebt heute als freier Autor in München. Ort der Handlung seines Romans ist Ostasien und hier im Wesentlichen China, das der Autor 2015 bereist hat. Erfahrungen und Beobachtungen des Autors auf dieser und anderen Reisen im asiatischen Raum fließen in den Roman ein. Als Mystery-Fan und geschichtlich wie politisch interessierter Weltbürger spielt der Autor mit Möglichkeiten, wie sich die Geschichte Chinas auch hätte entwickeln können.

Bisherige Veröffentlichung:

Mit dem Auto durch die USA - Ein Ratgeber für Reisende, die auf eigene Faust unterwegs sein wollen

Verlag und Druck: tredition GmbH Hamburg 2018 ISBN 978-3-7469-6090-6

Kampf um China

Roman

von

Bernhard Glocker

© 2020 Bernhard Glocker

Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-347-15641-8

Hardcover:

978-3-347-15736-1

e-Book:

978-3-347-15642-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

Titelbild:

Der Höllenfürst, Ming Shan bei Fengdu, Volksrepublik China

 

© Bernhard Glocker München

Prolog

China, die Naxi und die Dongba

China gehört zu den ältesten Hochkulturen der Menschheit. Viele Völkerschaften haben dieses riesige Land im Laufe der Zeit bewohnt, oft nebeneinander, und so ist es auch heute noch. Dominierende Volksgruppe sind die Han, die 92 % der Gesamtbevölkerung ausmachen, allein deshalb schon das Land prägen und nach außen den Eindruck vermitteln, sie seien „die Chinesen“. Tatsächlich aber leben auch in unseren Tagen noch viele andere Volksgruppen in China. Die anderen, die Nicht-Han-Chinesen, werden von den Han gerne als Minderheiten bezeichnet, oft in abfälligem Ton, der zum Ausdruck bringen soll, dass diese Leute ihnen, den Han, weder kulturell noch in sonstiger Weise das Wasser reichen und sich glücklich schätzen können, von den Han in eine goldene Zukunft geführt zu werden. Gleichzeitig schwingt aber auch stets der Gedanke mit, dass die Art und Weise, wie die Han die Minderheiten fordern und fördern, letztendlich zeigt, wie human, wie zivilisiert China heute organisiert ist. Ausnahmen sind nicht abzuleugnen, sollen aber wohl die Regel bestätigen.

Eine von fünfundfünfzig offiziell anerkannten ethnischen Minderheiten in China sind die Naxi. Sie leben im Südwesten des Landes in der Provinz Yunnan. Ihr Gebiet reicht von den Ausläufern des Himalayas bis zur Grenze nach Myanmar und Laos. Das Zentrum der Naxi-Kultur ist die Stadt Lijiang, deren Altstadt mittlerweile zum Weltkulturerbe erklärt worden ist. Eine wichtige Rolle im Leben der Naxi spielt auch heute noch die Religion und hier vor allem die reformierte Bön-Religion, die der Legende nach auf den mythischen Meister und Buddha Shenrab Miwoche aus dem Land Tagzig zurückgeht, eine Gegend, die wohl am ehesten in Tibet zu verorten ist. Die Priester oder besser Schamanen der Naxi, die Dongba, sind bestrebt, einen harmonischen Gleichklang zwischen Mensch und Natur herzustellen. Um dies zu bewerkstelligen, führen sie religiöse Rituale durch, die die Geister besänftigen sollen. Die Dongba nehmen nämlich an, dass Geister in jedem Teil der natürlichen Welt leben. Deswegen halten sie eine Verbindung mit ihnen für äußerst nützlich, ja sogar für dringend erforderlich.

Die Dongba verwenden heute noch eine eigene Bilderschrift, die auf das 13. Jahrhundert zurückgeht. Sie besteht aus etwa 1400 Zeichen, von denen 90 % echte Piktogramme darstellen, also Symbole, die Informationen unmittelbar durch vereinfachte bildhafte Darstellungen vermitteln sollen. Die Dongba-Schrift ist damit den altägyptischen Hieroglyphen verwandt. Derzeit leben noch etwa 60 Dongba-Priester, die diese Schrift lesen können.

Teil 1

Kapitel 1: Der Traum des Schamanen

September 2019 – Am Fuß des Jadedrachen-Schneeberges bei Lijang, Provinz Yunnan, Volksrepublik China

Müde vom langen Anmarsch aus der Stadt stapfte der alte Schamane aus dem Volk der Naxi durch das Unterholz. Er war wie ein Landarbeiter gekleidet; kein äußeres Kennzeichen wies darauf hin, dass er ein Meister des Rates war, einer der höchsten Würdenträger der Dongba, der geistigreligiösen Elite seines Volkes. Hier irgendwo musste es sein, wo der Saumpfad begann, der in den Wald am Fuß des fast 5600 Meter hohen Yulong Xueshan, des Jadedrachen-Schneeberges, hinaufführte. Und in der Tat – kaum hatte er zu suchen begonnen, schon tat sich neben einem dichten Gebüsch der Pfad auf, dem der Schamane jetzt folgte. Eine halbe Stunde später hatte er eine Lichtung erreicht, umgeben von hohen Bäumen, die den örtlichen Behörden eine elektronische Überwachung seiner Person zumindest stark erschweren sollten. Natürlich hatte der Naxi selbst keinerlei elektronisches Gerät bei sich, das eine Ortung ermöglichen würde. Aber wenn die Behörden wirklich entschlossen sein sollten, ihm auf die Finger zu sehen, standen ihnen auch Aufklärungsdrohnen zur Verfügung. Ihnen wollte der Naxi kein Bild bieten.

Wenig später hatte der Schamane genügend Holz zusammengetragen, um nach alter Väter Sitte durch Stein und Zunder ein kleines Feuer zu entfachen. Mit untergeschlagenen Beinen setzte er sich vor die Feuerstelle, warf aus mitgeführten Beuteln eine Reihe von Kräutern in die Flammen, die einen süßlichen, weihrauchähnlichen Geruch verbreiteten, und wiegte sich unter halblautem Absingen uralter Lieder in Trance.

Der Schamane suchte die Hilfe der Geister, die hier aus dem Wald, dem Berg, den Bächen zu ihm sprechen sollten. Zu sehr geschockt war er noch von dem Besuch des örtlichen Parteisekretärs, der ihn zwei Tage zuvor im Dongba-Zentrum von Lijang aufgesucht hatte. Natürlich war er es gewohnt, als ein wesentlicher Repräsentant seines Volkes der Partei als Ansprechpartner zu dienen und dabei auch die Sticheleien und kleinen Bosheiten hinnehmen zu müssen, mit denen die Parteivertreter die Minderheit der Naxi gerne bedachten. Aber diesmal war es anders gewesen, unfreundlicher und wesentlich direkter in der Ansage. Man werde, hatte der örtliche Parteisekretär ausgeführt, nicht länger hinnehmen, dass die Dongba ihr Volk mit ihren mittelalterlichen Religionsritualen der Neuzeit und damit dem Sozialismus entfremdeten. Sie könnten schon noch weiter in ihren Gewändern herumtanzen, zur Freude der Touristen von der Ostküste und aus dem Ausland, aber es müsse klar sein, das es sich dabei um Folklore handele und um nichts anderes Man erwarte eine entsprechende offizielle Erklärung bei passender Gelegenheit, jedenfalls aber vor Jahresende.

Was tun, flüsterte der Schamane. Doch ein Zeichen der Geister wollte sich nicht einstellen. Auf einmal jedoch schoss es ihm durch den Kopf: Wir müssen heraus aus der Sackgasse! Die ganze Entwicklung, die China in den letzten Jahren genommen hatte, war einfach nur noch verhängnisvoll. Man war abgegangen vom Weg des Pragmatismus, der noch unter Deng Xiaoping eingeschlagen worden war. Die Ideologen hatten wieder das Sagen in Staat und Partei – und die Minderheiten konnten immer weniger darauf hoffen, als gleichwertige Partner akzeptiert und toleriert zu werden. Wir müssen der Geschichte Chinas einen grundlegend anderen Verlauf geben! Und jetzt weiß ich auch, wie das geschehen kann. Wir aktivieren unseren Gast in Kunming! Er sollte mittlerweile darauf brennen, der Geschichte seinen Stempel aufzudrücken. Und der Prinz wird uns dabei helfen. Kein Stein wird auf dem anderen bleiben!

Befriedigt und befreit von aller Müdigkeit erwachte der Schamane aus der Trance. Er trat die Reste des Feuers aus, löschte die Spuren seines Aufenthalts auf der Lichtung und begab sich voller Tatendrang zurück nach Lijang.

Kapitel 2: Eine abenteuerliche Reise beginnt

November 2019 – Flug PG 941 Bangkok – Luang Prabang, Volksrepublik Laos

Laut heulten die Motoren der alten Turboprop-Maschine vom Typ Aerospatiale ATR 72 auf. „Cabin crew prepare for landing“ krächzte es aus dem Kabinenlautsprecher. Brav setzte sich die Crew in Person der einzigen Stewardess, die die wenigen Passagiere zu betreuen hatte, auf ihren Sitz am Eingang zum Cockpit. Auch Tony Thompson, die bekannte Schriftstellerin und Weltenbummlerin, hatte sich angeschnallt und sah mit einigem Bangen der Landung des Flugzeugs auf dem Internationalen Flughafen von Luang Prabang, Volksrepublik Laos, entgegen. Noch ein kurzes Wackeln und ein gehöriger „Rumms“ – dann waren Maschine, Besatzung und Passagiere am Ziel. „Wir sind soeben in Luang Prabang gelandet. Bleiben Sie bitte angeschnallt, bis das Flugzeug seine endgültige Parkposition erreicht hat“, tönte es aus dem Lautsprecher. Schon kurze Zeit später war es soweit. Die Motoren der Maschine wurden abgeschaltet. Hinten am Rumpf des Flugzeugs öffnete sich die Kabinentüre. Man hatte eine kleine Treppe herangeschoben, über die die Passagiere aussteigen konnten.

Neugierig blickte Thompson nach draußen. Es war heiß, wie erwartet, aber nicht so schwül wie befürchtet. Die umliegenden, grün bewaldeten Berge schienen sich wohltuend auf das Klima auszuwirken. Einen Bus allerdings suchte Thompson vergebens. So etwas brauchte man hier offenbar nicht. Seufzend folgte Thompson den anderen Passagieren zu Fuß über das Rollfeld zum Terminal. Mehrere streng blickende braun uniformierte Soldatinnen und Soldaten warteten hier auf die Reisenden, die um Einlass in die Lao PDR, wie das Land sich offiziell nannte, ersuchen wollten. Gleichwohl war das Prozedere nicht so streng, wie es zunächst aussah. Einen schriftlichen Antrag auf ein vor Ort zu erteilendes Visum musste Thompson abgeben nebst einem zusätzlichen Passbild neuesten Datums. Was um Himmels willen war ihre Rasse, nach der im Formular gefragt wurde? Entschlossen trug Thompson ein: „kaukasisch“. Die Soldatin am Schalter nahm es mit Gleichmut entgegen. Wichtig war: Dreißig US-Dollar in bar hatte Thompson als Deutsche für das Visum zu entrichten, zuzüglich einem Dollar Bearbeitungsgebühr, worauf ein handgeschriebenes Pappschild hinwies. Kreditkarten wurden nicht akzeptiert. Thompson zuckte mit den Schultern und zahlte. Belustigt stellte sie fest, dass Österreicher mehr bezahlen mussten. Mochte man in Laos keine Österreicher? Oder waren die irgendwie aufwendiger in der Bearbeitung? Diese Fragen blieben ungelöst, und Thompson hütete sich nachzuforschen.

Auch die anschließende Grenzkontrolle konnte Thompson hinter sich bringen. Dann nahm sie ihr Gepäck vom Band, besorgte sich eine Autorikscha, in ganz Südostasien als Tuk Tuk verbreitet, und ließ sich in ihr Hotel fahren, wo man sie bereits erwartete.

Zwei Wochen zuvor – Ein vietnamesisches Restaurant im Süden von München, Bundesrepublik Deutschland

Satt und zufrieden blickte Tony Thompson um sich. Die letzte ihrer Freundinnen war gerade gegangen. Von ihnen hatte sie sich mit einem echt vietnamesischen Essen verabschiedet, bevor sie sich auf ihre lange geplante Reise quer durch Indochina machen wollte. Und es war ein rundum gelungener Abend geworden. Die Freundinnen hatten das Essen gelobt, hatten auf ihr Wohl und ihre glückliche Rückkehr angestoßen – und hatten sie dann mit der Rechnung zurückgelassen. Gerade wollte Thompson nach dem Kellner winken, als sich ein älterer Herr, offensichtlich Asiate, von einem Nebentisch erhob, auf sie zutrat und sie mit leiser Stimme in einwandfreiem Deutsch fragte, ob er sie kurz sprechen könne. Überrascht bedeutete Thompson dem Fremden, sich zu ihr zu setzen.

„Mein Name, Frau Thompson, ist Vong, Vong Savang. Ich stamme aus Laos und habe gehört, dass Sie demnächst nach Indochina und dabei auch in mein altes Heimatland reisen wollen.“

„Das ist richtig“, bestätigte Thompson.

„Nun, wenn dem so ist, würde ich gerne eine Bitte an Sie richten, oder vielmehr: an Sie weitergeben“, fuhr der Laote fort.

„Wenn es sich dabei um den Transport von Drogen irgendwelcher Art handeln sollte, dann sprechen Sie bitte nicht weiter. Ich bin nicht lebensmüde“, wehrte Thompson ab.

„Nein, keine Angst, um so etwas geht es mir nicht“, versuchte sie der alte Herr zu beruhigen. „Meine Bitte, mein Angebot, ist bei weitem nicht so gefährlich, aber trotzdem – nun spannend, gerade für eine abenteuerlustige Frau, wie Sie es offenbar sind. Ich möchte Ihnen vor Ort einen Gesprächspartner vermitteln, einen Mann, der sich brennend dafür interessiert, wie Sie – nun wie Sie als Frau von Welt aus dem Westen die Situation auf unserem Planeten heute beurteilen, speziell die Lage in und um China. Der Mann ist ein hoher Offizier, gehört allerdings nicht dem laotischen Militär an. Mehr zu seiner Person will und darf ich Ihnen im Moment nicht sagen. Wären Sie trotzdem bereit, ein solches Gespräch zu führen? Ich bin sicher, Sie könnten auf diese Weise durchaus auch Material für ein Buch gewinnen.“

Thompson überlegte kurz. „Wie viel Zeit würde denn ein solches Gespräch in Anspruch nehmen?“

„Oh, Zeit ist überhaupt kein Problem.“ Der alte Herr lächelte hintergründig, was Thompson aber unbeachtet ließ.

„Nun, wenn es nur darum geht, kurz mit dem besagten Herrn zu sprechen – warum nicht? Wie kann ich ihn treffen?“ fragte Thompson.

„Ich habe gehofft, dass Sie sich meiner Bitte nicht verschließen werden“, meinte der Laote, nun wieder ganz ernst. „Ich gebe ihnen dieses kleine Holztäfelchen mit.“

Er reichte Thompson eine kleine Tafel mit drei gezeichneten Strichmännchen-Bildern: Das erste Männchen machte eine Armbewegung, die auf das eigene Gesicht wies, bestehend allerdings nur aus einem in die Breite gezogenen Oval ohne Mund oder Nase. Das zweite Bild bestand aus zwei Strichmännchen, die auf einer sich schlängelnden Linie standen. Das dritte Bild zeigte wieder nur ein Strichmännchen, das allerdings eine Art Mütze trug und in seiner linken Hand einen Stab hielt, der etwa in der Mitte zwei Querstriche aufwies und im oberen Bereich von einem kleinen Oval umgeben war.

„Sie fliegen, wie ich gehört habe, ohnehin nach Luang Prabang. Besuchen Sie dort den berühmten Nachtmarkt. Kommen Sie aber nicht zu spät, vielleicht eher zu Beginn, etwa gegen 19.00 Uhr Ortszeit. An der Straße, in der der Nachtmarkt abgehalten wird, der Thanon Sisavangvong, steht Wat May, ein Tempel, der über und über mit Goldreliefs bedeckt ist. Sie können ihn gar nicht verfehlen. Direkt dort, wo die Marktstraße vor dem Tempel vorbeiführt, in der mittleren Reihe der Verkaufsstände, bietet eine Familie aus dem Volk der Hmong Textilien feil, vor allem Schals aus Seide. Im Vordergrund stehen junge Frauen und Männer am Stand. Im Hintergrund sitzt, in einer Art Schaukelstuhl, eine alte Frau. Geben Sie einem der jungen Leute Ihr Holztäfelchen und bedeuten Sie, man möge es der alten Frau bringen. Alles weitere wird sich fügen.“

„Und das soll klappen?“ fragte Thompson zweifelnd.

„Mit Sicherheit“, erwiderte der alte Herr.

„Na gut, lassen wir es darauf ankommen. Ich werde hingehen“, sagte Thompson ihrem Gesprächspartner nach kurzem Zögern zu.

Der Laote dankte Thompson und zog sich rasch zurück. Thompson bezahlte und ging nach Hause, wo sie sich noch einmal das Holztäfelchen besah, das sie bekommen hatte. Eine komische Geschichte, dachte sie. Was dieser Offizier nur von mir wollen mag? Aber vieles spricht ohnehin dafür, dass ich ihn gar nicht zu sehen bekommen werde.

Kapitel 3: Auf der Suche nach einem Phantom

November 2019 – Luang Prabang, Volksrepublik Laos

Gähnend stieg Tony Thompson aus ihrem breiten, bequemen Hotelbett. Das Handy zeigte 8.00 Uhr morgens an. Eigentlich, dachte Thompson, ist es ja erst 2 Uhr nachts. Dann schalt sie sich selbst für diesen unsinnigen Gedanken. Den Jetlag bekämpft man am besten dadurch, dass man sich so schnell wie möglich der Ortszeit anpasst. Gedanken darüber, wieviel Uhr es jetzt in Mitteleuropa war, konnten dabei nicht hilfreich sein. Thompson öffnete die Stoffrollos an den Fenstern ihres Zimmers und blickte hinunter auf die sonnendurchflutete Stadt. Einfach schön hier, dachte sie unwillkürlich. Hier sollte ich ein paar Tage bleiben.

Frisch geduscht und nach einem üppigen Frühstück begab sich Thompson mit dem Hotelshuttle in die Altstadt, gelegen auf einer Halbinsel, die vom Mekong und einem einmündenden Nebenfluss, dem Nam Khan gebildet wird. Mitten in der Altstadt erhebt sich der Phousi Hill mit seinen heiligen Stätten. Am Fuß des Hügels liegt der Thanon Sisavangvong, die Straße des Nachtmarktes. Vormittags war von dem Markt natürlich noch nichts zu sehen. Tony Thompson schlenderte mit anderen Touristen die Straße entlang und besuchte die Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt, den alten Königspalast zunächst, der heute das Nationalmuseum beherbergt, und natürlich den Wat May mit seiner goldglänzenden Fassade. Hinter dem Wat Visoun, einem weiteren must-see, stieß Thompson auf einen der unbedeutenderen Tempel der Stadt, den Wat Aham, vor dessen Türe zwei steinerne Löwen – Thompson nannte sie im Stillen Schweinehunde, weil sie Ihres Erachtens genauso aussahen – und zwei buddhistische Wächterfiguren, Dämonen wohl, mit schrecklichen Grimassen Wache hielten. Die Wächter gefielen Thompson. Sie hatte Figuren dieser Art, weit größer noch als hier und schrecklicher anzuschauen, vor Jahren beim Besuch eines buddhistischen Klosters in China gesehen. Man hatte ihr allerdings versichert, dass die Wächter trotz ihres Aussehens sympathische Wesen verkörperten. In China hatten sie einen Stab in der Hand gehalten. Thompson war erklärt worden: Hielt der Wächter den Stab senkrecht, waren Wanderer im Kloster willkommen und konnten untergebracht werden. Ein waagrecht gehaltener Stab bedeutete: Das Kloster war voll, die Wanderer mussten weiterziehen. Ein solcher Stab fehlte den Wächtern des Wat Aham. Vielleicht, weil es hier kein Kloster gab, und deswegen ohnehin niemand untergebracht werden konnte? Thompson zuckte mit den Schultern. Diese Kultur war ihr nach wie vor ziemlich fremd.

Den Nachmittag verbrachte Thompson am Fluss, am Mekong. Geschäftiges Treiben herrschte hier. Ausflugsboote mit Touristen legten ab und wieder an. Unmittelbar in Ufernäher stieß Thompson auf das Parteibüro der Regierungspartei. Vor dem Büro wehte die Parteifahne, ein rotes Tuch, in dessen Mitte goldfarbig Hammer und Sichel glänzten. Sieht man in Europa auch nicht mehr oft, dachte Thompson.

Müde vom Jetlag begab sich Thompson per Tuk Tuk schließlich wieder in ihr Hotel. Hinter dem zentralen Gebäude mit dem Empfang und den Restaurants lag, am höchsten Punkt des Hügels, auf dem die Hotelanlage errichtet worden war, ein riesiger Swimmingpool mit grandioser Aussicht auf die Stadt. Hier ließ es sich Thompson gutgehen.

 

1 Tag später – Luang Prabang, Volksrepublik Laos

Ein neuer Tag, neues Glück, dachte Thompson am nächsten Morgen. Diesmal blieb sie zunächst im Hotel, um dann am späten Nachmittag erneut das Hotelshuttle zu bemühen und in die Stadt zu fahren. Ziellos ließ sie sich zuerst treiben, versuchte, die Atmosphäre dieser Stadt in sich aufzunehmen. Gegen 19.00 Uhr begab sie sich schließlich zum Nachtmarkt, neugierig, was beziehungsweise wer hier wohl auf sie warten würde. Das Marktgeschehen war bereits in vollem Gange. Zahlreiche Händler boten Waren aller Art, insbesondere aber Textilien feil. Wohltuend war für Thompson, dass die Verkäufer hier bei weitem nicht so aggressiv auftraten wie auf anderen orientalischen Märkten. Niemand versuchte, sie am Arm zu ziehen oder sie in anderer Weise an einen der Stände zu locken. Das war angenehm aus Sicht einer Europäerin.

Schon bald hatte Thompson, wie der alte Laote in München vorhergesagt hatte, am Wat May, in der mittleren Reihe der Verkaufsstände, den Stand entdeckt, den sie suchte. Die jungen Männer und Frauen des Clans, der den Stand betrieb, verkauften hübsche Schals und andere Textilien. Im Hintergrund saß eine alte Frau in einem Schaukelstuhl. Thompson sprach eine der jungen Frauen auf Englisch an, gab ihr das Holztäfelchen, das sie von ihrem Gesprächspartner in München erhalten hatte, und bedeutete der jungen Dame, sie möge die Tafel der verehrten Großmutter im Schaukelstuhl überbringen. Die junge Frau tat dies wie erbeten. Die alte Dame im Schaukelstuhl blickte streng zu Thompson herüber, dann befahl sie einen der jungen Männer zu sich und tuschelte ihm etwas zu, was Thompson nicht verstand. Der junge Mann wandte sich jetzt Thompson zu, sagte aber nur zwei Worte: „Follow me.“ Dann schritt er zügig voran, bog von der Marktstraße bei nächster Gelegenheit nach links in eine Seitenstraße ab und eilte dann weiter, dem Mekong zu. Thompson folgte ihm.

Am Fluss angekommen, bestieg der junge Mann eines der dort vertäuten kleinen Ausflugsboote. Erstmals sah er sich um und stellte fest, dass Thompson dicht hinter ihm geblieben war. Auch sie stieg in das Boot. Ihr Begleiter warf den Motor an, löste die Halteseile, und ehe sich Thompson noch Gedanken über das Ziel der Fahrt machen konnte, nahm das Boot Geschwindigkeit auf. Es ging stromaufwärts, nach Norden. Die Lichter von Luang Prabang blieben zurück. Es wurde schnell dunkel. Das Ausflugsboot verfügte jedoch über starke Scheinwerfer, deren Licht über den Fluss hin und her huschte. Der Bootsführer jedenfalls sah sich durch die immer stärker werdende Dunkelheit nicht entscheidend behindert. Er wird schon wissen, was er da macht, dachte Thompson ein wenig unbehaglich.

Eine gute halbe Stunde später fuhr das Boot immer noch mit voller Kraft stromaufwärts. Thompson räusperte sich. „Wo geht es eigentlich hin?“ fragte sie. Ihr schweigsamer Begleiter antwortete knapp: „Pak Ou“. Thompson war überrascht. Dieses Ziel kannte sie! Die berühmten Höhlentempel von Pak Ou lagen zirka 25 Kilometer, also etwa eineinhalb Stunden Fahrzeit mit dem Boot nördlich von Luang Prabang. Sie waren nur über den Fluss erreichbar. Thompson hatte vorgehabt, die Tempel an einem der nächsten Tage zu besichtigen. Wie sie aus einschlägigen Berichten wusste, waren hier von der Bevölkerung während des Indochina-Krieges Buddha-Statuen aller Größen und aus allen denkbaren Materialien vor Plünderungen in Sicherheit gebracht worden. Zeitweise sollten bis zu 5.000 Statuen in den Tempeln aufbewahrt worden sein. Noch heute waren hier hunderte Statuen aufgestellt. In der dunklen oberen Höhle, Tham Theung, sollten darüber hinaus zeitweise auch Einsiedlermönche gelebt haben. Das also war das Ziel der Reise. Nur von einem Offizier, den Thompson hier treffen sollte, war nicht die Rede gewesen. Nun – vielleicht hatte sich der Offizier die Höhle ja als Treffpunkt ausgedacht. Eigenartig, vor allem wenn man sich überlegte, dass ein heimlicher Rückzug aus der Höhle kaum möglich war. Ein Offizier sollte sich freiwillig in eine solche Falle begeben?