Kämpfen wie ein Physiker: - Jason Thalken - E-Book

Kämpfen wie ein Physiker: E-Book

Jason Thalken

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  • Herausgeber: MobiWell
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Eine eingehende Betrachtung der Physik hinter den Kampfkünsten Dieses Buch bietet erfahrenen Kampfkünstlern und wissbegierigen Enthusiasten gleichermaßen die Möglichkeit, sich einen „unlauteren Vorteil“ zu verschaffen, indem es die komplexe Wissenschaft dahinter enthüllt. Wussten Sie, dass • es vom Impuls abhängt, ob man seinen Gegner umwerfen kann; • aber allein die Energie bestimmt, ob Knochen brechen oder Schmerzen zugefügt werden; • die zurückgelegte Strecke bei einem Schwinger mehr als dreimal größer ist als bei einer Geraden; • man nur dann ein „Objekt“ ist, wenn man seinen Körper versteift? Mit wissenschaftlicher Analyse, skeptischer Grundhaltung und einer Prise respektlosen Humors bringt „Kämpfen wie ein Physiker“ Licht ins Dunkel alter Kampfsportmythen. Höhepunkte des Buches: • Das Verständnis der Physik verschaff Ihnen einen „unfairen Vorteil“ – egal, ob im Ring oder auf der Straße. • Massenschwerpunkt, Pi, Hebel, Keil, linearer und Drehimpuls werden speziell mit Hinblick auf die Kampfkünste erläutert. • Reduzierung der Gefahr eines Schädel-Hirn-Traumas bei Kontaktsportarten • entlarvt das trügerische Sicherheitsgefühl, das Handschuhe und Helme vermitteln, und … • … bricht mit dem gängigen Rat zu Folgsamkeit während eines Überfalls. • räumt mit einigen Klischees des Hollywood-Actionkinos auf. „Kämpfen wie ein Physiker“ liest sich wie das Manifest für eine Kampfkunst, die sich ganz auf Rationalität gründet. Das Buch bietet eine klug geschriebene Lektüre, die Spaß macht, gefährlich ist – und dabei nicht allzu viel Respekt für althergebrachte Betrachtungsweisen zeigt.

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Seitenzahl: 280

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„‚Kämpfen wie ein Physiker‘ ist ein tolles Konzept, das die Physik für Fans des Kampfsports greifbar werden lässt.“

– Jeff Fleischer, Foreword Reviews

„Obwohl ich auf über fünf Jahrzehnte Erfahrungen im Bereich der Kampfkünste zurückblicken kann, habe ich mich, während ich dieses faszinierende Buch verschlang, immer wieder bei Gedanken wie ‚Wirklich?‘, ‚Toll!‘ oder ‚Das wusste ich noch nicht‘ ertappt.

Thalken ist eine erfrischende Stimme in der Welt der Martial Arts, die auf leicht verständliche Art und Weise faszinierende Einsichten vermittelt und Informationen präsentiert, die man unmittelbar nutzen kann.“

– Loren W. Christensen, Autor, Kampfsportler seit 1965, 2011 in die Masters Hall of Fame aufgenommen

„In einer Zeit, da sich allzu viele Martial-Arts-Autoren den Anschein geben, der Quell aller Weisheit zu sein, ermutigt Thalken seine Leser in wohltuender Weise dazu, alles zu hinterfragen, selbst auszuprobieren und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Er fordert uns sogar unverblümt dazu auf, ‚mit allem zu brechen’ – Annahmen und Grenzen solle man seinen eigenen Vorstellungen gemäß überprüfen. Zudem führt uns Thalken auch gleich vor, wie man das bewerkstelligt. Ausführlich beleuchtet er biomechanische Zusammenhänge, Verletzungen, Mythen und pseudowissenschaftliche Erklärungen auf dem Gebiet der Martial Arts. Dieses Buch, das fesselnd und unterhaltend geschrieben ist, hält eine Fülle unschätzbarer Informationen bereit. Jedem, der sich ernsthaft für die Kampfkünste interessiert, möchte ich dieses Buch aufs Wärmste empfehlen.“

– Lawrence A. Kane, Kampfsportler, Autor des Bestsellers „Surviving Armed Assaults“

„Kampfkunst ist eine tolle Sache. Noch spannender als die Kampfkunst selbst ist jedoch die Wissenschaft dahinter. In ‚Kämpfen wie ein Physiker‘ stellt Jason Thalken ausgewählte Aspekte der wissenschaftlichen Zusammenhänge vor, die jenem komplexen, Furcht einflößenden, schönen, Spaß bereitenden und gefährlichen Geschehen zugrunde liegen, das wir ‚Kämpfen‘ nennen. Gleichermaßen amüsant wie informativ, spricht das Buch sowohl den Wissenschaftler als auch den Kampfkunstenthusiasten in uns allen an.“

– Rory Miller, Autor von „Meditations on Violence“

„Das Buch beantwortet die Frage nach dem Warum. Als Kampfsportler versuchen wir oftmals zu verstehen, warum wir bestimmte Dinge eigentlich genau so tun, wie wir sie tun. Hat ein Kämpfer die Physik hinter einer Technik erst einmal verstanden, kann er dieses Wissen dazu benutzen, die von ihm gewünschten Ergebnisse gezielt hervorzubringen.“

– Michelle Waterson, amerikanische MMA-Kampfsportlerin, ehemalige Gewinnerin der Invicta Fighting Championships in der Atomgewichtsklasse, bekannt unter ihrem Spitznamen „Karate Hottie“

„‚Kämpfen wie ein Physiker‘ räumt mit Mythen auf und setzt unanfechtbare Rationalität an ihre Stelle. Einstige Kampfkunstlegenden lässt der Leser während der Lektüre überwiegend in der Vergangenheit ruhen – dort, wo sie auch hingehören, mitsamt ihren altmodischen Wundertinkturen. Absolut brillant. Verstehen Sie mehr, trainieren Sie schlauer und werden Sie mit jedem Tag etwas klüger. Holen Sie sich dieses Buch.“

– Kris Wilder, Kampfsportler, Autor des Bestsellers „The Way of Kata“

Jason Thalken

Kämpfen wie ein Physiker:Die faszinierende Wissenschaft hinter der Kunst des Kämpfens

Titel der Originalausgabe: „Fight Like a Physicist: The Incredible Science Behind Martial Arts“

Erste Auflage, 2017

Deutsche Übersetzung: Daniel Loose

Korrektur: Dorothee Kremer

Umschlaggestaltung: Axie Breen

Bilder: Jason Thalken

Layout: Inna Kralovyetts

www.mobiwell.com

© Mobiwell Verlag, Immenstadt 2017

Nachdrucke oder Kopien dieses Buchs, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

ISBN: 978-3-944887-37-1

Wichtiger Hinweis: Selbstverteidigung ist zwar legal, Kämpfen jedoch nicht. Dem Leser wird nahegelegt, sich mit den lokalen und nationalen Gesetzen auseinanderzusetzen, die Fragen der Selbstverteidigung, der Verhältnismäßigkeit der Mittel und des Einsatzes von Waffen betreffen, und stets in Übereinstimmung mit diesen Bestimmungen zu handeln.

Autor und Herausgeber übernehmen keine Verantwortung für den Gebrauch bzw. Missbrauch der im vorliegenden Buch präsentierten Informationen.

Die vom Autor in diesem Buch getätigten Ausführungen stellen keine Rechtsauffassung dar und sollten in keinem Fall als solche behandelt werden. Wenngleich der Autor von der Richtigkeit aller Inhalte überzeugt ist, sollten etwaige Anfragen bezüglich bestimmter Selbstverteidigungssituationen, juristischer Haftbarkeit und / oder zur Interpretation nationalen, bundesstaatlichen oder regionalen Rechts durch einen Rechtsanwalt vorgebracht werden.

Für den Bereich der Kampfkünste, der Selbstverteidigung und ähnlicher Thematiken gilt, dass kein Text – ganz gleich, wie gut er geschrieben sein mag – die praktischen Unterweisungen durch einen Profi ersetzen kann. Dementsprechend sollte dieses Buch ausschließlich zu Studienzwecken verwendet werden.

Einleitung

Was ist eigentlich Physik?

„Ein schwarzer Gürtel bedeckt nur etwa fünf Zentimeter Ihres Körpers. Den Rest müssen Sie selbst absichern.“1

− Royce Gracie

Was ist eigentlich Physik?

Wenn mich jemand während meines letzten Jahres auf der Highschool aufgefordert hätte, den Begriff Physik zu definieren, dann hätte ich voller Selbstbewusstsein geantwortet: „Physik ist die Erforschung der Mechanik und der Elektrizität.“ Hätte man mir dieselbe Aufgabe in den ersten Semestern meines Studiums gestellt, so hätte ich die Liste noch um einige Themengebiete erweitert, wie etwa Optik oder Quantenmechanik; das Selbstbewusstsein allerdings wäre mittlerweile verflogen gewesen. Später, als ich bereits mit eigenen Forschungen begonnen hatte und an meiner Dissertation arbeitete, hätte ich nur etwas verwirrt und eher kleinlaut entgegnet: „Das weiß ich selbst nicht mehr so genau.“

Der Punkt ist, dass man die physikalische Wissenschaft besser über die Herangehensweise erklären sollte, statt sie über den von ihr untersuchten Gegenstand zu definieren. Der Physiker benutzt die Mittel der Beobachtung und der Mathematik, um das Gefüge zu entschleiern, das unserem komplexen Universum zugrunde liegt; des Weiteren trifft er, ausgehend von den so gewonnenen Einsichten, Voraussagen über das zukünftige Verhalten des Universums. Physiker scheuen sich nicht, mutig neue Gebiete zu erkunden, die außerhalb ihres eigentlichen Fachgebietes liegen (wie beispielsweise die Welt der Kampfkünste) – doch Sie werden sie stets daran erkennen, dass sie nach der verborgenen Struktur hinter den Phänomenen suchen, die Mathematik lieben und sich dem Unbekannten mit einem Gemisch aus Neugier und Skepsis stellen.

In der Physik gilt: Das Universum interessiert sich nicht für akademische Grade

Der mit Abstand schönste Aspekt beim Studium der Physik und der Mathematik ist die Tatsache, dass die Wahrheit nicht durch Lehrbücher oder von Gelehrten verkündet wird, sondern aus­schließlich in der wirklichen Welt zu finden ist. Ob die Thesen, die ein Physiker vertritt, den Tatsachen entsprechen, macht sich nicht daran fest, wie berühmt er ist oder welchen Ruf er genießt; einzig die Überprüfung seiner Thesen in der Realität entscheidet darüber. Jeder kann eine große Entdeckung machen, selbst ein Amateur; umgekehrt sind auch die berühmtesten Wissenschaftler nicht davor gefeit, einmal einem Irrtum aufzusitzen und widerlegt zu werden. Der springende Punkt ist, dass ein Forscher niemals aufgrund seines Titels, seiner Autorität oder seiner sozialen Stellung in den Stand gehoben werden kann, „recht zu haben“. Vielmehr müssen seine Ergebnisse draußen in der Wirklichkeit nachprüfbar und reproduzierbar sein – dies ist das einzige Kriterium zur Beurteilung seiner Arbeit.

Ein gutes Beispiel für einen Amateur, der sich erfolgreich in den Wissenschaften betätigte, haben wir in Michael Faraday. 1791 in London geboren, hatte der aus ärmsten Verhältnissen stammende Faraday nur eine sehr rudimentäre Bildung genossen. Doch er ergriff die Initiative und nahm es selbst in die Hand, sein Denken zu schulen. Im Alter von 14 Jahren begann er eine Lehre bei einem Buchbinder und nutzte diese günstige Konstellation, indem er sich in jeder freien Minute in die Bücher vertiefte. Als sich Faraday die Möglichkeit eröffnete, an den Vorlesungen eines renommierten Chemikers namens Humphry Davy teilzuneh­men, machte er sich während der Vorträge ausführliche Notizen und stellte daraus ein Buch zusammen, das insgesamt 300 Seiten umfasste. Diese Sammlung schickte er dann an Davy – zusammen mit einem Ersuchen um Anstellung. Davy war beeindruckt und stellte Faraday einige Zeit später tatsächlich ein, damit er ihm bei seinen Laborarbeiten zur Hand ginge. Was Faraday nun im Laufe der darauf folgenden Jahre vollbrachte, stellte Davys Leistungen bald weit in den Schatten. Faraday war der erste Wissenschaftler überhaupt, der darauf verfiel, zur Veranschaulichung elektrischer Felder Kraftlinien zu zeichnen. Auf sein Konto geht auch der Bau des ersten Motors, des ersten Transformators und des ersten Generators. Er war einer der einflussreichsten Wissenschaftler seiner Generation – dabei hatte er nie eine reguläre Schulbildung genossen und verfügte noch nicht einmal über mathematische Kenntnisse mittleren Niveaus.

Eine ähnlich bemerkenswerte Geschichte – nur mit umgekehrten Vorzeichen – ereignete sich in den späten Schaffensjahren Albert Einsteins. Zu jenem Zeitpunkt hatte er längst die Reputation erlangt, einer der größten Physiker aller Zeiten zu sein. Auch heute noch, knapp 60 Jahre nach seinem Ableben, ist sein Name jedermann ein Begriff. Er war so außerordentlich hoch angesehen, dass er den amerikanischen Präsidenten Franklin Roosevelt im Jahre 1939 mit einer spontan verfassten Warnung vor einer möglichen nuklearen Bedrohung durch die Deutschen dazu bewog, eine bedeutsame Entscheidung zu treffen. Einstein hatte in seinem Brief die Befürchtung geäußert, die Nazis könnten in naher Zukunft eine Atombombe entwickeln. Roosevelt folgte den Bedenken Einsteins und brachte das Manhattan-Projekt auf den Weg, mit dem sichergestellt werden sollte, dass die USA die Fähigkeit zum Bau einer Atomwaffe vor den Deutschen erlangen würden. In der Physik trat zu jener Zeit das neue Gebiet der Quantenmechanik in Erscheinung. Einstein, dessen akademisches Renommee wohl in der gesamten Geschichte der Wissenschaft ohne Beispiel ist, lehnte einige der grundlegenden Konzepte dieser Theorie entschieden ab. Sein berühmter Ausspruch „Gott würfelt nicht“ zeugt von seiner Abneigung gegenüber der Idee der Zufälligkeit, die einen immanenten Be­standteil der Quantenmechanik bildet. Dieser Position blieb Einstein bis zu seinem Tod treu. Doch letzten Endes kam es nicht darauf an, was Einstein von der Sache hielt. Die Ergebnisse, die uns die Quantenmechanik liefert, können in der realen Welt überprüft werden. Letzten Endes ermöglichten diese Resultate die Entwicklung neuer Technologien; dazu zählen beispielsweise jene winzigen Transistoren, die in den CPUs moderner Computer und Smartphones Verwendung finden, das Rastertunnelmikroskop und der Kernspintomograf. Das Universum interessierte sich nicht für Einsteins Ruf. Er hatte sich geirrt.

In der Kampfkunst gilt: Der Ring interessiert sich nicht dafür, welche Farbe dein Gürtel hat

Zwischen Kampfsportarten und Methoden der physischen Selbst­verteidigung einerseits sowie physikalischen und mathematischen Theorien auf der anderen Seite besteht eine interessante Gemeinsamkeit: Ihre Leistungsfähigkeit zeigt sich nämlich in beiden Fällen ausschließlich draußen in der wirklichen Welt. Eine neue Technik kann sich jeder zusammenbasteln; selbst der Lieblingskampfstil des größten Großmeisters kann sich letztlich doch als untauglich herausstellen. In der Kampfkunst verhält es sich nicht anders als in der Physik: Kein Gürtel, kein Expertenstatus und kein gesellschaftlicher Stand vermögen einer Technik Wirksamkeit zu verleihen. Überprüfbare Resultate, die sich jederzeit wiederholen lassen – diese Kriterien stellen auch in den Martial Arts die einzige Autorität dar.

Vor annähernd einem Jahrhundert entstand in Brasilien eine Form des Kampfsports, die unter der Bezeichnung Vale Tudo – „alles geht“ – bekannt geworden ist. Bei diesen Kämpfen, bei denen Vertreter verschiedener Kampfstile gegeneinander antreten, gibt es so gut wie keine Regeln. Bei einem Turnier, das im Jahre 1993 unter der Bezeichnung Ultimate Fighting Championship stattfand (später wurde es in UFC 1 umbenannt), geschah etwas sehr Bedeutsames. Die Organisatoren beschlossen, die Veranstaltung nicht nur aus dem Verkauf der Eintrittskarten zu finanzieren, sondern zusätzlich auch die Übertragung im bezahlten Kabelfernsehen anzubieten sowie – besonders wichtig – im Nachhinein die Videoaufzeichnungen der Kämpfe zu veröffentlichen. Ohne es zu ahnen, hatten sie damit eine neue Kultur ins Leben gerufen, die das Kampfsportmetier für immer verändern sollte: die Dokumentation von Sportkämpfen durch Videoaufnahmen.

Es liegt in der Natur der Sache, dass der Verlauf eines Zweikampfes hinterher von jedem der Beteiligten – Kämpfer, Schiedsrichter, Reporter oder Zuschauer – verschieden dargestellt wird. Ob es sich nun um einen Kampf im privaten Rahmen, einen Schaukampf oder ein Turnier gehandelt hat – in den Schilderungen der Augenzeugen wird stets ausgeschmückt, übertrieben oder sogar dreist gelogen. Dies mag vielleicht dem Wunsch entspringen, der Erzählung etwas mehr Pep zu verleihen; möglicherweise gilt es auch, ein Ego zu schützen. Wie dem auch sei – jedenfalls war es bis zu diesem Wendepunkt aufgrund des hohen Anteils an Verfälschungen in den Schilderungen nahezu unmöglich, genau zu sagen, was den Kämpfenden nun real zum Vorteil gereicht hat und was nicht.

Aufgrund des großen Erfolgs des UFC 1 wurde die Meisterschaft fortan regelmäßig veranstaltet. Bald hatten sich in den Vereinigten Staaten, Brasilien und Japan mehrere Vale-Tudo-Ligen etabliert, die über das Fernsehen ausgestrahlt und auch aufgezeichnet wurden. Nachdem die Sportart der Mixed Martial Arts (zu deutsch: gemischte Kampfkünste, abgekürzt MMA) über viele Jahre hinweg um Anerkennung gekämpft hatte, begann sie zu Beginn unseres Jahrhunderts endlich durchzustarten. Die Popularität der UFC (und die Einkünfte der Organisation) wuchsen in einem solchen Maße, dass sie nicht nur einige der besten Kämpfer aus der ganzen Welt anlockte, sondern darüber hinaus eine völlig neue Generation von Athleten hervorbrachte, die speziell für die MMA trainierte. Zu diesem Zeitpunkt konnte man bereits auf eine mehr als zehnjährige Geschichte zurückblicken, in deren Verlauf unzählige Kämpfe quer durch verschiedene Vale-Tudo-Kreise aufgezeichnet und dokumentiert worden waren. Die UFC hatte mittlerweile eine solche Bedeutung erlangt, dass man jemandem, der von sich behauptete, über außergewöhnliche Fähigkeiten oder großartige Techniken zu verfügen, gerne folgende Frage stellte: „Wenn du wirklich so gut bist, warum kämpfst du dann nicht in der UFC oder trainierst einen ihrer Spitzenkämpfer?“

Trainiere wie ein Wissenschaftler

Vielleicht ist es ja grundsätzlich möglich, dass auch ein Niemand einmal eine außerordentliche wissenschaftliche Entdeckung macht oder dass ein gänzlich unbekannter Laienkämpfer gegen einen Profi gewinnt. Doch die Wahrheit ist – wenn Sie so jemand sind, haben Sie ziemlich schlechte Karten. Wenn Sie nicht effizient trainieren und sich selbst an die äußersten Grenzen dessen bringen, was der Mensch physisch und psychisch auszuhalten vermag, sind Ihre Chancen auf einen Sieg im besten Falle gering. Nun ist der Gedanke, hart zu trainieren und sich das Äußerste abzuverlangen, im Kampfsport freilich nichts Neues. Moderne Kämpfer, die heutzutage erfolgreich sind, zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihr Training zunehmend mit einer kritischen Einstellung angehen.

Ich werde nie den ersten Tag eines Physikkurses vergessen, den ich während meines Grundstudiums an der Universität belegte. Der Dozent eröffnete die Vorlesung mit den Worten: „Sie sollten mir nicht vertrauen. Wenn Sie nicht alles in Frage stellen, was ich im Rahmen dieses Kurses sagen werde; wenn Sie nicht kritisch sind und meine Aussagen daheim nicht eigenhändig überprüfen; wenn Sie sich stets auf mein Wort verlassen, dann sind Sie hier falsch und werden es in der Welt der Physik sehr schwer haben.“ Ich erinnere mich deshalb so gut an diese Worte, weil es mir im ersten Moment das genaue Gegenteil von dem zu sein schien, was ein Professor eigentlich sagen sollte. Doch nachdem mir seine Aussage ins Bewusstsein gedrungen war, begriff ich, dass er Recht hatte. In der Physik gelangt man nicht durch Auswendiglernen und Wiederholen zur wahren Meisterschaft. Wirkliches Verständnis der physikalischen Gesetze rührt daher, dass man sie mit aller Kraft auszutricksen versucht und dann erlebt, wie unglaublich solide sie sind.

Beim Kampfsport ist das nicht anders. Einen Schwitzkasten werden Sie erst dann meistern, wenn Sie einmal versucht haben, jemandem durch diesen Griff die Luft zu nehmen, der dies nicht gewillt ist zuzulassen. Die Situation in einem echten Kampf – sei es auf der Straße oder im Ring – ist für die Beteiligten viel zu chaotisch, als dass man daraus allein durch fleißiges Zuhören im Kampfsportunterricht und endloses Wiederholen der Techniken als Sieger hervorgehen könnte. Jeder Kämpfer braucht ein paar derbe Misserfolge, aus denen er lernen kann. Man sollte einmal das peinliche Gefühl erlebt haben, das einen erfasst, wenn das Gegenüber auf den versuchten Polizeigriff lediglich mit einer ausdruckslosen Miene reagiert. Ein oder zwei Mal muss man auch von einem Gegner umgehauen worden sein, der sich nicht darum gekümmert hat, dass man doch gerade den perfekten Block hingelegt hatte.

Natürlich gibt es Techniken, bei denen wir uns den Luxus des vorherigen Testens nicht leisten können, da sie entweder zu gefährlich sind oder weil sie so speziell sind, dass sich im Rahmen des Sparrings nur sehr selten die Gelegenheit bietet, sie anzuwenden. Nicht alles kann man auf die harte Tour lernen; eine skeptische Grundhaltung kann man sich jedoch in jedem Fall bewahren. Wollen Sie wissen, ob der Spinning Hook Kick wirklich so tödlich ist, wie Ihr Ausbilder es behauptet hat? Dann recherchieren Sie einmal kurz im Internet, ob ihn jemals irgendein Fighter in einem Profikampf eingesetzt hat. Wenn Sie eine neue Technik erlernt haben, brauchen Sie vielleicht keine fünf Minuten, um ein Video aufzustöbern, wo man sie in Aktion erleben kann. Wenn Sie Glück haben, lernen Sie dabei obendrein noch ein oder zwei Dinge, die Ihnen Ihr Trainer niemals hätte vermitteln können.

Die beste Methode, um die klügsten Köpfe zu überlisten, war schon immer – zu mogeln

Wenn ein Physiker in seinem Spezialgebiet einen bedeutsamen Fortschritt macht, tritt er nicht nur gegen seine Kollegen aus aller Welt an. Oftmals nimmt er auch Korrekturen oder Verfeinerungen an den Arbeiten einiger der klügsten Köpfe aller Zeiten vor. Wie bringt es also ein Wissenschaftler unserer Tage fertig, sich vor sein Publikum zu stellen und zu verkünden, dass die Theorien eines angesehenen, genialen Denkers falsch oder unvollständig gewesen sind? Nun, er wird in diesem Fall von jedem noch so kleinen, unlauteren Vorteil Gebrauch machen, dessen er habhaft werden kann.

Vor einhundert Jahren standen den Physikern noch keine Computer zur Verfügung, mit denen sie ihre komplizierten mathematischen Gleichungen hätten lösen können. Sie mussten die gesamte nervtötende Berechnungsarbeit manuell durchführen und die Ergebnisse dann auch noch gegenprüfen. Zu jener Zeit verbrachten die Physiker mehr als die Hälfte ihrer Ausbildungszeit mit dem Einüben mathematischer Tricks und dem Erlernen von Näherungsverfahren. Ist es denn fair, wenn ein computerbewehrter Physiker unserer Tage mit einer Armada aus tausenden parallel arbeitenden Rechnern gegen seine genialen Altvorderen antritt, denen nur Stift und Papier zur Verfügung standen? Sicherlich nicht. Aber so funktioniert Fortschritt.

Wenn Sie ein großer Fighter werden wollen, trainieren Sie nicht in derselben Weise, wie sich Ihr Großmeister einst geübt hat. Nutzen Sie vielmehr jeden unfairen Vorteil, der sich Ihnen bietet, und lassen Sie ihn für sich arbeiten. Lernen Sie das Internet zu gebrauchen und nutzen Sie insbesondere die Aufzeichnungen zurückliegender Kämpfe, um sich eine Art von Ausbildung zu verschaffen, von der frühere Generationen von Martial-Arts-Sportlern nur träumen konnten. Legen Sie sich einen Sandsack in Form einer menschlichen Person zu, damit Sie Ihre Zieltechnik in Ihrer heimischen Umgebung perfektionieren können. Beziehen Sie bei Ihrem Selbstverteidigungstraining auch die moderne Technik mit ein, wie beispielsweise superhelle LED-Strahler. Die jüngsten Fortschritte in der Halbleitertechnik haben uns Leuchten beschert, die so stark sind, dass sie einen Angreifer zu blenden vermögen oder ihm die Orientierung rauben können, während man sie aufgrund ihrer geringen Größe und ihres geringen Gewichtes leicht in der Tasche oder in der Hand mitführen kann. Ein großer Kämpfer sollte bei seinem Training mit der Zeit gehen und technologische Elemente wie dieses integrieren, statt nur die tradierten Werkzeuge und Methoden zu übernehmen, mit denen sich die Kämpfer vor langer Zeit in Selbstverteidigung geübt haben.

Als ich begann, Hapkido zu lernen, brachten unser Großmeister und einige seiner Schüler, die den schwarzen Gürtel trugen, gerade eine Reihe von DVDs heraus. Darin wurden die Feinheiten jeder einzelnen Technik en détail erklärt. Jedes dieser Videos war einem bestimmten Gürtel zugeordnet. Den Schülern bot sich damit eine völlig neue Art des Lernens. Da wir uns das Material schon im Vorfeld anschauten, konnten wir während des Unterrichts mehr Zeit darauf verwenden, die Techniken in Partnerübungen zu trainieren und zu perfektionieren. Darüber hinaus konnten die Schüler, wenn ihre Fragen im Unterricht nicht vollständig beantwortet werden konnten, zu Hause noch einmal die DVD anschauen. Hatte der Schüler eine bestimmte Technik bereits einige Male im Rahmen des Trainings geübt, nahm das Betrachten der dazugehörigen Videos mehr den Charakter eines geistigen Durchspielens der einzelnen Bewegungen an. Das Ergebnis war, dass der Großmeister nicht nur eine kampfstarke, aus jungen Schülern bestehende Truppe bekam, sondern viele von ihnen die einzelnen Ränge obendrein in der Hälfte der üblichen Zeit durchliefen.

In meiner Zeit als Judoka an der University of Texas hielt uns unser Trainer an, ein „Sparring-Tagebuch“ zu all unseren Wettkämpfen mitzunehmen. Nach jedem Kampf machten wir uns Notizen. Darin fassten wir das Geschehene kurz zusammen und analysierten, was wir gut gemacht hatten und was wir verbessern könnten. Der Sinn dieses Tagebuches bestand darin, dass wir über unsere Kämpfe reflektierten und daraus so viel wie möglich lernten. Die individuellen Erfahrungen eines Kämpfers stellen für ihn ein sehr kostbares Gut dar; es ist daher klug zu versuchen, aus jeder Minute der eigenen Praxis so viel wie möglich herauszuholen. Heute, da wir über mobile HD-Kameras in handlicher Größe verfügen, habe ich mein Sparringbuch natürlich durch ein Online-Notizbuch ersetzt, das unter anderem Links zu Videoaufnahmen all meiner Kämpfe enthält. Dieses Filmmaterial zwingt mich, ehrlich zu bleiben und lehrt mich darüber hinaus bei jedem Anschauen wieder etwas Neues.

Die Absicht dieses Buches besteht darin, Ihnen einen weiteren unfairen Vorteil zu verschaffen. Lesen Sie es wie ein echter Skeptiker und überprüfen Sie alles, was in diesem Buch gesagt wird, selbst. Behalten Sie beim Training die physikalischen Zusammenhänge, die in den folgenden Kapiteln dargelegt werden, stets im Hinterkopf. Im Chaos eines Kampfes denken Sie daran: Mehr als jedes Auswendiglernen ist es das Begreifen, das einen voranbringt.

Ein Hinweis für alle Physiker

Dem Buch liegt eine Reihe von Annahmen zugrunde und etliche technische Details wurden außer Acht gelassen, um das Material für den Leser – der in der Regel nicht vom Fach ist – leichter zugänglich zu machen. Vektoren wurden auf Zahlenwerte reduziert, Rotationssymmetrien habe ich frei postuliert und nicht triviale Berechnungen – wie beispielsweise die Ableitung der Geschwindigkeit eines Schlages aus der Frequenz – mögen auf nur wenig mehr als einer etwas groben Diskussion beruhen. Auf die Begriffe Energie und Moment beziehe ich mich angesichts der Natur menschlicher Bewegungsabläufe lediglich in einem verkürzten, makroskopischen Sinne. Ungeachtet dieser Vereinfachungen in der Präsentation des Materials sind die hier vorgestellten physikalischen Betrachtungen jedoch alles andere als trivial und lassen noch zahlreiche interessante Fragen offen. Ich möchte Sie einladen, während Ihrer Lektüre mit mir zusammen über die Fragestellungen nachzusinnen, und ich ermutige Sie, mit eigenen Nachforschungen zur Diskussion beizutragen.

Endnoten

1 Gracie benutzt bei seinem Ausspruch ein kaum übersetzbares Wortspiel. Im englischen Original sagt er: „A black belt only covers two inches of your ass. You have to cover the rest.“ Die Redewendung „to cover one’s ass“ bedeutet etwa so viel wie „sich den Rücken freihalten“ oder „sich absichern“. (Anm. d. Übers.)

Kapitel 1

Ihr Massenschwerpunkt

Wo befindet sich mein Schwerpunkt – und warum ist das für mich von Bedeutung?

Der Massenschwerpunkt Ihres Körpers befindet sich üblicherweise etwa zwei bis drei Zentimeter unterhalb Ihres Bauchnabels, in der Mitte zwischen Vorder- und Rückseite Ihres Körpers. Dieser Punkt bildet den Angriffspunkt für äußere Kräfte jeder Art, wie etwa die Schwerkraft oder Tritte. Ein großer Busen (sei er nun echt oder nicht) ist übrigens nicht schwer genug, um eine Person „kopflastig“ zu machen. Selbst eine große Brust wiegt normalerweise weniger als ein Kilogramm – das reicht nicht aus, um den Massenschwerpunkt des Körpers merklich zu verschieben. Muskeln hingegen können in der Tat sehr schwer werden. Bei professionellen Bodybuildern, die über eine ausufernde Muskelmasse im oberen Bereich ihres Körpers verfügen, liegt der Schwerpunkt mitunter einige Zentimeter höher.

Eine der interessanten Eigenschaften des Massenmittelpunktes besteht darin, dass wir an ihm unseren Balancepunkt ablesen können. Wenn Sie auf einer waagerecht angebrachten Stange balancieren wollen – etwa auf einem Geländer oder einer Schaukel –, müssen Sie Ihren Schwerpunkt exakt darüber positionieren. Für unbelebte Gegenstände gilt dasselbe. Will ein Kellner ein Tablett voll Essen mit nur einer Hand tragen, so muss sich seine Hand unter dem Schwerpunkt der gesamten Last befinden.

Abb. 1-1. Der Massenmittelpunkt einiger alltäglicher Haushaltsgegenstände. Der Schwerpunkt neugeborener Babys liegt aufgrund ihrer vergleichsweise riesigen Köpfe in ihrem Brustkorb. Wenn die Kleinen zu laufen beginnen, hat sich ihr Massezentrum jedoch bereits zum Bauchnabel hin verschoben (wo sich auch Ihr Schwerpunkt befindet).

Weniger bekannt ist die Tatsache, dass die Lage des Massenmittelpunktes eines Körpers auch bestimmt, ob er durch eine gegen ihn aufgebrachte Kraft weggestoßen oder in Rotation versetzt wird. Stößt oder schiebt man ein Objekt an einem Punkt, der weit von seinem Schwerpunkt entfernt liegt, beginnt es sich zu drehen. Setzt man hingegen unmittelbar am Schwerpunkt an, entsteht keine Rotation; stattdessen bewegt sich der Körper in Richtung der Kraftwirkung.

Um das Gesagte zu verdeutlichen, stellen Sie sich einmal vor, Sie würden, ohne sich umzusehen, wie ein Irrer in der Gegend herumrennen und plötzlich in einen Zaun laufen. Wenn dieser Zaun nun so hoch ist, dass sich seine Oberkante mindestens auf gleicher Höhe mit Ihrem Schwerpunkt oder darüber befindet, wird er Sie zum Halten bringen. Handelt es sich statt eines Zaunes um eine waagerecht ausgerichtete Stange, wird ein Teil der Wucht des Aufpralls Ihren Körper in Rotation versetzen – so, wie wir das aus Slapstickfilmen oder schlechten Actionstreifen kennen. Liegt der obere Rand des Zauns (bzw. die waagerechte Stange) jedoch niedriger als Ihr Massenschwerpunkt, würde Ihr Körper dagegen eine Drehbewegung in der entgegengesetzten Richtung vollführen und Sie würden sich überschlagen. Dieses Szenario – wenn also ein Geländer nicht bis an unseren Schwerpunkt heranreicht – hilft uns übrigens auch zu verstehen, warum wir uns in großen Höhen unsicher fühlen, wenn es dort nur niedrige Brüstungen gibt. Solche Barrieren taugen nämlich wenig, wenn es darum geht, uns auf der sicheren Seite zu halten.

Abb. 1-2. Den Schwerpunkt eines Messers finden Sie, indem Sie es mit dem ausgestreckten Finger ausbalancieren. Bei den meisten Messern befindet sich dieser Punkt genau an der Stelle, an der die Klinge auf den Griff trifft.

Abb. 1-3. Bestimmung des Massenschwerpunktes eines Schuhs, indem man ihn an verschiedenen Punkten seiner Verschnürung aufhängt. Der Schnittpunkt der roten und blauen Linien markiert den Schwerpunkt.

Finden Sie den Schwerpunkt eines Objektes, indem Sie es balancieren, aufhängen oder drehen

Eine der besten Möglichkeiten, den Schwerpunkt einer Person zu bestimmen, besteht darin, sie lang ausgestreckt auf einer brett­ähnlichen Unterlage zu platzieren und dann diese Unterlage auf einem Stab oder einer zylinderförmigen Rolle auszubalancieren. Den Schwerpunkt des Brettes müssen Sie dann entweder subtrahieren, oder aber Sie verschieben die einzelnen Elemente der Anordnung so lange, bis sich sowohl der Schwerpunkt der Person als auch der Schwerpunkt des Brettes genau oberhalb der Rolle befinden. Um kleinere Objekte wie etwa ein Telefon, einen Stift oder eine Banane auszutarieren, kann man einfach den Finger anstelle eines Stabes benutzen.

Wenn sich ein Gegenstand nur schwer balancieren lässt, kann man ihn alternativ auch an einer Schnur aufhängen. Das Objekt wird dann stets so fallen, dass sein Schwerpunkt direkt unterhalb der Schnur zu liegen kommt – ganz gleich, an welchem Punkt man den Gegenstand aufgehängt hat. Üblicherweise wird man mindestens zwei Versuche benötigen, um auf diese Weise den Massenmittelpunkt zu bestimmen.

Können Sie ein Objekt weder ausbalancieren noch aufhängen, bleibt Ihnen eine dritte Option, um den Schwerpunkt zu bestimmen. Werfen Sie den Gegenstand in der Weise aus einem Fenster, dass Sie ihn dabei gleichzeitig in eine Drehbewegung versetzen. Solange er sich in der Luft befindet, wird er exakt um seinen Massenschwerpunkt rotieren.

Wenn Sie sich bewegen, verlagert sich auch Ihr Schwerpunkt

Eine der wunderbaren Eigenschaften des Menschseins besteht in der Fähigkeit, dass wir unseren Körper nach Belieben bewegen und somit unsere Form willentlich verändern können. Wenn Sie Ihre Arme über Ihren Kopf heben, verschiebt sich auch Ihr Schwerpunkt ein paar Zentimeter nach oben. Beugen Sie sich auf Höhe Ihrer Taille vornüber, bewegt sich Ihr Massenmittelpunkt nach vorne und etwas abwärts, bis er sich gerade außerhalb Ihres Körpers befindet.

Beim Rodeo streckt der Cowboy (bzw. der angetrunkene Kneipengänger, der sich in einer Bar auf einen Stier aus Metall geschwungen hat) stets seinen kräftigen Arm in die Höhe. Er tut dies nicht, um eine Show abzuziehen, sondern weil er sich nur so auf dem Rücken des tobenden Stieres bzw. der Stierattrappe halten kann. Um nicht herunterzufallen, muss der Reiter seinen Schwerpunkt unmittelbar oberhalb des Sattels halten. Indem er seinen Arm entsprechend schwingt, behält er genügend Kontrolle über seinen Massenmittelpunkt, um im Sattel zu bleiben; und dies, obwohl ein Arm nur etwa sechs bis sieben Prozent des gesamten Körpergewichts ausmacht. Der Cowboyhut allerdings – nun, dieser dient tatsächlich nur der Show.

Ähnlich wie der Cowboy seinen Schwerpunkt kontrollieren muss, um nicht abgeworfen zu werden, müssen auch Sie Ihren Schwerpunkt balancieren, um sich auf den Füßen zu halten. Sobald sich Ihre Füße nicht mehr direkt unterhalb Ihres Massenmittelpunktes befinden (oder unter ihm gegrätscht sind), werden Sie straucheln. Wenn Sie jemand anrempelt oder wegstößt, können Sie Ihr Gleichgewicht in der Regel nach einer Schrecksekunde durch ein paar schnelle Schritte wiedergewinnen. Ihr Gehirn gerät möglicherweise für einen Moment in Panik, da Sie nur wenige Augenblicke Zeit haben, Ihre Füße so zu positionieren, dass Sie nicht fallen. Die Panik bleibt allerdings aus, wenn Sie Ihren Schwerpunkt absichtlich von der Position über Ihren Füßen wegbewegen. In der Tat tun Sie das in dieser kontrollierten Art und Weise fortwährend: Man nennt das „Laufen“.

Zwar muss sich Ihr Massenmittelpunkt oberhalb Ihrer Füße befinden, damit Sie in der Senkrechten bleiben; doch ob er sich nun exakt in der Mitte Ihres Körpers befindet oder näher bei dem einen oder dem anderen Fuß liegt, spielt dabei keine Rolle. Lediglich die Last, die jeder Fuß tragen muss, ändert sich je nachdem, ob der Schwerpunkt dem einen oder dem anderen Fuß näher ist. Befindet sich der Massenmittelpunkt exakt in der Mitte zwischen beiden Füßen, entfällt auf jedes Bein die Hälfte des Körpergewichts. Verlagert die Person ihren Schwerpunkt so, dass er genau über einem seiner Füße ruht, dann trägt dieser Fuß das gesamte Körpergewicht. Jedes Mal, wenn ein Kampfsportler Sie zu treten beabsichtigt, muss er zunächst diese Schwerpunktverlagerung vollführen. Diese vorbereitende Bewegung kann bei fortgeschrittenen Kämpfern sehr plötzlich erfolgen und möglicherweise kaum wahrzunehmen sein. Wenn Sie aber wissen, wie diese subtilen Bewegungen aussehen, sind Sie im Vorteil.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt, wie es überhaupt möglich ist, dass wir uns vornüberbeugen, ohne nach vorne zu fallen – wo wir doch gerade gesagt haben, dass sich die Füße stets unmittelbar unterhalb des Schwerpunktes befinden müssen. Nun, die Antwort darauf ist ganz einfach, nur nehmen wir für gewöhnlich nicht wahr, was bei dieser Bewegung geschieht. Wenn wir uns nach vorne beugen, strecken wir nämlich gleichzeitig unseren Popo etwas nach hinten, so dass er die Gewichtsverlagerung ausgleicht und unseren Massenmittelpunkt über unseren Füßen hält. Sie können dies auf zwei verschiedene Arten nachprüfen; die zweite dieser beiden Varianten ist allerdings ein bisschen schaurig. Betrachten wir zunächst die erste Möglichkeit. Beugen Sie sich einmal vornüber, bis Sie Ihre Zehen berühren können. Nun versuchen Sie, dieselbe Bewegung noch einmal auszuführen – diesmal aber unter der Voraussetzung, dass Ihre Hacken und Ihr Popo rücklings eine Wand berühren. Die Wand hindert Sie daran, sich nach hinten zu bewegen und Ihren Massenschwerpunkt auszugleichen. Die zweite Option besteht darin, einen Freund zu bitten, sich einmal an seine Zehen zu fassen, während Sie von der Seite zusehen. Wie gesagt, diese Variante ist ein bisschen unheimlich – selbst wenn Sie Ihrem Freund sagen, dass es nur der Wissenschaft dient.

Der Bereich um Ihren Bauchnabel ist wichtig beim Fegen

Bei jeder Art von Wurftechnik [engl. „Takedown“ oder „Throw“] oder beim Beinfeger [engl. „Sweep“] können Sie beobachten, dass der Kampfkünstler eine der folgenden Methoden anwendet: Entweder versucht er, ein stützendes Bein des Gegners wegzufegen (so dass sich dessen Schwerpunkt weit von seiner einzigen verbleibenden Stütze entfernt befindet); oder aber er verlagert den Schwerpunkt des Gegners in einer Weise, dass es diesem schwerfällt oder gar unmöglich gemacht wird, seine Füße wieder unter seinen Schwerpunkt zu bekommen.

Wenn wir die Essenz sämtlicher Wurftechniken so prägnant auf den Punkt bringen können, dann ist es auch möglich, sie in all ihrer Komplexität auf einfache Konzepte zurückzuführen. Wann immer Sie einen Sweep, Throw oder Takedown vollführen, stellen Sie sich folgende zwei Fragen:

F1: Wie wird bei dieser Technik der Schwerpunkt Ihres Gegners in eine Position gebracht, in der er keine Stütze mehr findet?

F2: Wodurch wird es dem Gegner unmöglich gemacht, seine Füße rechtzeitig wieder so zu stellen, dass die Gefahr für ihn abgewendet wäre?

Wenn Sie diese beiden Fragen beantworten können, sind Sie auf dem besten Wege, ein tiefgründiges Verständnis dieser Technik zu entwickeln und sie beherrschen zu lernen. Auch im umgekehrten Fall – wenn jemand gerade eine Wurftechnik bei Ihnen anwendet – ist es zu Ihrem Vorteil, die Antworten auf diese Fragen zu kennen; denn dies erlaubt es Ihnen, gezielt gegen die Versuche Ihres Gegners vorzugehen, Sie zu Fall zu bringen.

Betrachten wir einmal ein einfaches Beispiel. Dieses Szenario liefert Ihnen einen Ansatzpunkt, um diese Fragen später in Bezug auf andere Situationen selbst beantworten zu können. Die einfachste und vielleicht wirkungsvollste Wurftechnik, die wir heutzutage im Ring beobachten können, ist die Lieblingsmethode aller Wrestler: Dabei duckt man sich und reißt dem Gegner mit Schwung die Beine weg. Natürlich gibt es eine Menge verschiedener Varianten dieser Technik, mit einer Vielzahl von Feinheiten und Raffinessen; doch für den Augenblick wollen wir uns auf die Betrachtung der einfachen Grundlagen beschränken.

F1: