Kanonen auf hoher See - Patrick O'Brian - E-Book

Kanonen auf hoher See E-Book

Patrick O'Brian

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Beschreibung

Kapitän Jack Aubrey wird in Malaysia überraschend das Kommando über die größte Fregatte der britischen Marine übertragen. Da die Acasta in einem englischen Hafen ankert, machen sich Aubrey und sein Freund und Schiffsarzt Stephen Maturin mit der ersten Reisemöglichkeit auf in Richtung Heimat. Doch während sie noch auf hoher See sind, bricht 1812 der Zweite Unabhängigkeitskrieg zwischen England und Amerika aus und macht die ohnehin nicht ungefährliche Überfahrt zu einer schier odysseischen Irrfahrt. Das Schicksal scheint es wirklich nicht gut mit Aubreys Depeschenboot zu meinen: Als die La Flèche eines Nachts in Brand gerät, kann sich die Besatzung in einem Beiboot in Sicherheit bringen und wird vor der brasilianischen Küste von einem amerikanischen Schiff aufgegriffen und als Kriegsgefangene nach Boston gebracht. Doch auch wenn die Zeiten düster sind, streicht ein echter Seemann nicht die Segel.

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Seitenzahl: 555

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Patrick O’Brian

Kanonem auf hoher See

Das sechste Abenteuer für Aubrey und Maturin.

Roman

Aus dem Englischen von Jutta Wannenmacher

Kampa

Für Mary, in Liebe

Vorwort des Autors

Wenn Geschichte und Fiktion verschmelzen, möchteder Leser wahrscheinlich gern wissen, bis zu welchem Grad die historischen Fakten unter der Umarmung gelitten haben. In diesem Buch gebe ich zwei authentische Fregattengefechte wieder, und bei ihrer Beschreibung halte ich mich strikt an die zeitgenössischen Berichte, an die offiziellen Depeschen, an die Kriegsgerichtsverhandlungen über Offiziere, die ihre Schiffe verloren, an damalige Zeitungs- und Zeitschriftenartikel und natürlich an James, den besten Marinehistoriker der Zeit, sowie an die Biographien und Memoiren der Beteiligten. Überall da, wo es um die Royal Navy und auch um die junge Marine der Vereinigten Staaten geht, scheint es mir wenig sinnvoll, die Berichte phantasievoll auszuschmücken, denn die ungeschminkten Tatsachen sprechen für sich, und zwar mit dem Gewicht einer Breitseite. Ich habe mir lediglich die Freiheit genommen, meine Helden an Bord der beteiligten Schiffe zu versetzen. Dennoch spielen sie – obwohl keineswegs solche Randfiguren wie Fabrice auf dem Schlachtfeld von Waterloo – weder eine entscheidende Rolle, noch verfälschen sie im Geringsten den Gang der Geschichte.

Jenen Lesern, die das zweite Gefecht in allen Einzelheiten studieren möchten, empfehle ich die Memoiren von Admiral Sir P.B.V. Broke, Bart., KCB, etc. (London 1866), verfasst von Reverend Dr. Brighton, M.D. Zwar hat das Werk etwas von einer Heiligengeschichte und ist mitunter weder aufrichtig noch großmütig gegenüber dem Feind; aber der Autor hatte Kontakt mit vielen Überlebenden auf britischer Seite (darunter auch mit jenem Mr Wallis, der in diesem Roman als Jüngling auftritt und hundert Jahre alt wurde, immer noch auf der Liste der Aktiven stehend: Flottenadmiral Sir Provo Wallis). Mit einer Detailbesessenheit, die eher dem Arzt als dem Geistlichen zukommt, registriert Dr. Brighton jeden einzelnen Schuss, ob mit Voll-, Stangen- oder Kartätschenkugeln, der die kämpfenden Schiffe trifft.

So wenig wie meine Phantasie die tatsächlichen Vorgänge bei diesen Gefechten übertreffen könnte, so wenig war sie fähig, eines Franzosen derart köstliches Englisch zu erfinden, wie es Anthèlme Brillat-Savarin schrieb, der zur Zeit der Französischen Revolution Zuflucht in den Vereinigten Staaten suchte (und dort Eichhörnchen in Madeira kochte). Kenner seiner Physiologie des Geschmacks werden sofort seinen Zornausbruch daraus wiedererkennen, obwohl ich ihn einer meiner Figuren in den Mund legte.

Schließlich möchte ich dem Public Record Office und dem National Maritime Museum für ihre Hilfe und die Freundlichkeit danken, mit der sie mir Kopien der Original-Logbücher und der Konstruktionszeichnungen von Schiffen übersandten: Diese sind per se authentisch, und ich hoffe, dass zumindest etwas davon in meiner Geschichte durchscheint.

1

Der warme Monsun wehte sanft aus östlicher Richtungund schob die HMS Leopard langsam in die Bucht von Pulo Batang. Sie hatte alles verfügbare Tuch gesetzt, um ihren Ankerplatz noch vor Beginn der Ebbe zu erreichen und um sich beim Einlaufen nicht zu blamieren. Aber ihre Segel boten einen jämmerlichen Anblick – flickenbesetztes, verfärbtes Schlechtwettertuch neben so dünner Leinwand, dass sie das grelle Licht kaum filtern konnte –, und ihr Rumpf wirkte noch mitgenommener. Ein professionelles Auge konnte erkennen, dass sie einst im Nelson’schen Würfelmuster gestrichen war, ein Kriegsschiff vierter Klasse und für fünfzig Kanonen in zwei durchgehenden Decks gebaut. Doch für einen Landbewohner sah sie trotz ihres Kriegswimpels und der schmuddeligen Nationale im Besantopp eher wie ein ungewöhnlich schäbiger Kauffahrer aus. Und obwohl beide Wachen an Deck standen, ernst der Küste entgegenblickten, der ungewohnt grünen Küste, und begierig den berauschenden Duft der Gewürzinseln einsogen, zählte ihre Crew doch so wenige Köpfe, dass der Eindruck eines Handelsschiffes scheinbar noch bestätigt wurde. Außerdem ließ sich auf den ersten Blick keine einzige Kanone erkennen, und die zerlumpten, hemdsärmeligen Figuren auf ihrem Hüttendeck hätte kaum jemand für bestallte Marineoffiziere gehalten.

All diese Gestalten starrten mit gleicher Intensität wie die Mannschaft in die grün gesäumte Bucht mit dem Flaggschiff und auf das weitläufige weiße Haus dahinter, das während der Regensaison die bevorzugte Residenz des holländischen Gouverneurs gewesen war. Zurzeit jedoch wehte darüber die britische Flagge. Und während sie noch hinüberstarrten, stieg an einem zweiten Mast weiter rechts ein Flaggensignal empor.

»Mit Verlaub, Sir«, sagte der Signalfähnrich, das Teleskop am Auge, »sie verlangen von uns, dass wir das Geheimsignal setzen.«

»Tun Sie das, Mr Wetherby, zusammen mit unserer Erkennungsnummer«, sagte der Kommandant, und zu seinem Ersten: »Mr Babbington, wenn wir die Landspitze querab haben, drehen Sie auf und beginnen mit dem Salut.«

Die Leopard glitt weiter, während der Wind leise in ihrem Rigg sang und das warme, glatte Wasser flüsternd an ihrer Bordwand ablief. Ansonsten herrschte Schweigen. Ohne ein Wort wurden die Rahen angebrasst, als der Wind mehr von vorn einfiel. Ebenfalls schweigend nahm man an der Küste die Dienstnummer der Leopard zur Kenntnis.

Nun hatte sie die Landspitze querab; geschmeidig drehte die Fregatte in den Wind, und ihre einzige Karronade begann zu sprechen: Siebzehn magere Rauchwölkchen verpufften, siebzehn Mal hallte ein dünnes Krachen wie von Knallerbsen über die Meilen dunkelblauer See. Als das letzte schwächliche Bellen verstummt war, begann das Flaggschiff mit seiner tiefen, volltönenden Bassstimme zu antworten, und gleichzeitig stieg an Land ein weiteres Flaggensignal empor: »Kommandant an Bord Flaggschiff melden, wenn’s beliebt, Sir«, entzifferte der Fähnrich.

»Setzen Sie meine Barkasse aus, Mr Babbington«, befahl der Kommandant und ging in seine Kajüte. Weder der Landfall noch die Anwesenheit eines Admirals waren unerwartet gekommen, deshalb lag seine beste Uniform schon auf der Koje bereit: so gebürstet und geschrubbt im Kampf gegen die Salzwasserflecken, die gefrorenen Algen, die antarktischen Flechten und den tropischen Schimmel, dass der Stoff an manchen Stellen fadenscheinig und an anderen verfilzt war. Trotzdem bestand der ausgeblichene, eingelaufene, goldbetresste Rock immer noch aus schwerem Uniformtuch, und als der Kommandant hineinschlüpfte, brach er sofort in Schweiß aus. Er setzte sich und lockerte sein Halstuch. »Na ja, mit der Zeit werde ich mich wieder daran gewöhnen«, murmelte er und rief, als er draußen seines Stewards Stimme in gotteslästerlicher Wut aufkreischen hörte: »Killick, he, Killick! Was ist denn los?«

»Ihr Deckel, Sir, Ihr bester Deckel! Der Wombat hat ihn geschnappt!«

»Herrgott, dann nimm ihm doch den Hut wieder ab, Killick.«

»Ich trau mich nicht, Sir«, kam die Antwort. »Hab Angst, dass die Goldlitze zerreißt.«

»Nun aber, Sir!« Brüllend stürmte der Kommandant, eine hochgewachsene, imponierende Gestalt, in die Tageskajüte. »Nun aber, Sir …« Das war an den Wombat gerichtet, eines der zahllosen Beuteltiere, die der naturwissenschaftlich interessierte Schiffsarzt an Bord gebracht hatte. »Nun geben Sie den Hut aber sofort wieder heraus, verstanden?«

Der Wombat starrte ihm frech in die Augen, zog ein Stück Goldlitze zwischen seinen Lippen hervor und sog es genüsslich lutschend wieder ein.

»Dr. Maturin sofort zu mir!«, befahl der Kommandant mit Zornesblick und sagte einen Augenblick später: »Hör mal, Stephen, das geht wirklich zu weit: Dein Untier frisst meinen Hut auf.«

»Tatsächlich, das tut er«, meinte Dr. Maturin. »Aber darüber brauchst du dich nicht so aufzuregen, Jack. Der Hut wird ihm nicht schaden, wirklich nicht. Seine Verdauungsorgane …«

In diesem Moment ließ der Wombat den Zweispitz fallen, wieselte quer übers Deck, sprang mit einem Satz in Dr. Maturins Arme, und starrte ihm mit einem Ausdruck tiefer Zuneigung aus nächster Nähe ins Gesicht.

»Tja, ich kann ihn mir ja unter den Arm klemmen, zusammen mit meinen Berichten«, sagte der Kommandant, nahm einen Stoß Papiere auf und faltete sie so sorgsam um seinen goldbetressten Hut, dass sie den Schaden verdeckten. »Was gibt’s, Mr Holles?«

»Mit Verlaub, Sir, die Barkasse liegt längsseits.«

In Wahrheit besaß die Leopard schon lange keine Barkasse mehr, sondern nur eine geklinkerte kleine Jolle, so vielfach geflickt, dass kaum noch eine Originalplanke zu sehen war. Aus gegebenem Anlass wurde sie nun zur Kommandantenbarkasse befördert, war aber so winzig, dass die Bootscrew (vormals zehn der kräftigsten »Leopards«, alle in gleichen Guernseyhemden und lackierten Hüten uniformiert) aus nicht mehr als zwei Mann bestand: seinem Bootssteurer Barrett Bonden und einem Vollmatrosen namens Plaice. Trotzdem blieb dies immer noch die Royal Navy, und die Jolle war, genau wie das ganze Deck der Leopard, fast überirdisch blank gescheuert worden, während sich die Bootsgasten mit ihren letzten ungeflickten Leinenhosen und weißen Plattingshüten so schmuck ausstaffiert hatten, wie das nautischem Einfallsreichtum in der Not nur möglich war. Tatsächlich nahm sogar die Leopard selbst für einen Moment, als ihr Kommandant an Deck erschien, ein ausgesprochen marinemäßiges Aussehen an: Der Offizier der Seesoldaten und seine wenigen überlebenden Leute hatten ihre mattrosa oder violetten Uniformröcke angelegt, die einst in einheitlichem Hummerrot geleuchtet hatten, und standen nun so starr und schnurgerade wie ihre eigenen Ladestöcke Spalier, während der Kommandant unter dem bisschen Zeremoniell, das die Leopards zustande bringen konnten, von Bord ging.

»Aubrey!«, rief der Admiral, der beim Eintritt des Kommandanten aufsprang, und schüttelte ihm die Hand. »Aubrey! Herrgott, was für eine Freude, Sie zu sehen! Wir hatten Sie längst für tot gehalten.« Der Admiral war ein fülliger, untersetzter Seemann mit dem Gesicht eines römischen Imperators, das sehr abweisend blicken konnte und dies auch oft tat. Aber jetzt strahlte es vergnügt, während er wiederholte: »Mein Gott, was für eine Freude! Als der Ausguck zunächst ein Schiff meldete, hielt ich Sie für die Active, etwas vor der angekündigten Zeit eintreffend. Aber sowie Ihr Rumpf über der Kimm stand, erkannte ich gleich die scheußliche alte Leopard – ich bin ’93 auf ihr gesegelt –, die von den Toten auferstandene Leopard. Ziemlich mitgenommen, wie man sieht. Was haben Sie bloß getrieben?«

»Hier sind meine Briefe, Berichte, Quittungen und Zustandsprotokolle, Sir.« Jack legte die Papiere auf den Tisch. »Von dem Tag, an dem wir die Downs verließen, bis heute. Ich bedaure sehr, dass sie so umfangreich sind, und noch mehr, dass ich so lange gebraucht habe, um Ihnen die Leopard zu bringen. Und dann in solchem Zustand.«

»Schon gut, schon gut.« Der Admiral setzte seine Brille auf, warf einen Blick auf den Stapel Papiere und setzte sie wieder ab. »Besser spät als gar nicht. Fassen Sie nur kurz zusammen, was sich ereignet hat, dann sehe ich mir Ihre Berichte später an.«

»Tja, Sir«, begann Jack langsam und konzentriert, »wie Sie wissen, war ich in die Botany Bay beordert, um mich dort der Zwangslage von Mr Bligh anzunehmen. Im letzten Augenblick hielt man es in England für richtig, mir eine Ladung Sträflinge für Australien mitzugeben. Aber diese Sträflinge schleppten bei uns Typhus ein, und als wir auf zwölf Grad Nord endlose Wochen lang in der Flaute lagen, brach er mit erschreckender Gewalt aus. Wir verloren über hundert Leute. Der Typhus wütete so lange, dass ich gezwungen war, Brasilien für Proviant anzulaufen und dort die Kranken an Land zu geben. Ihre Namen stehen alle hier drin.« Damit klopfte er auf den Papierstapel. »Und dann, wenige Tage nach Recife, als wir Kurs aufs Kap nahmen, gerieten wir mit einem holländischen Vierundsiebziger aneinander, der Waakzaamheid.«

»Richtig«, sagte der Admiral mit grimmiger Befriedigung. »Sie hat auch uns hier bedroht – ein vermaledeiter Albtraum.«

»Jawohl, Sir. Bei ihrer überlegenen Bewaffnung und meiner dezimierten Besatzung vermied ich ein Gefecht und ging bis auf einundvierzig Grad Süd hinunter. Es war eine lange, hartnäckige Verfolgungsjagd. Schließlich konnten wir sie abschütteln, aber sie kannte offenbar unseren Bestimmungshafen, und als wir wenig später mit Nordwestkurs wieder aufs Kap zuhielten, tauchte sie erneut auf, und zwar in Luv. Gleichzeitig kam starker Sturm auf. Kurz gesagt, Sir, sie jagte uns bei schwerem Wetter und grober, nachlaufender See bis auf dreiundvierzig Grad Süd hinunter. Aber indem wir die Maststengen mit Zusatzstagen sicherten und unseren Wasservorrat über Bord gaben, konnten wir unseren Vorsprung halten. Schließlich schafften wir es, mit einem Schuss aus unseren achteren Kanonen ihren Fockmast zu kappen, worauf sie querschlug, kenterte und sank.«

»Tatsächlich? Mein Gott!«, rief der Admiral. »Gut gemacht, Aubrey, wirklich sehr gut. Ich hörte, dass Sie sie versenkt hätten, konnte es aber kaum glauben – erfuhr kein Wort über die Einzelheiten.« Nun aber stand ihm die Szene lebhaft vor Augen, denn er kannte nur zu gut die hohen südlichen Breiten mit ihren riesigen Seen und kreischenden Weststürmen; sie bedeuteten den sofortigen Tod für jedes Schiff, das hier querschlug. »Sehr gut gemacht. Das nimmt mir eine große Last von der Seele. Ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen zu diesem Sieg, Aubrey.« Wieder schüttelte er Jack die Hand. Dann hob er die Stimme und rief in Richtung einer halb offenen Tür: »Chloe, Chloe – komm her!«

Eine schlanke junge Frau mit honigfarbenem Teint erschien, in einen Sarong gehüllt; ihr kurzes offenes Jäckchen verbarg kaum ihren Busen. Kapitän Aubreys Augen blieben sofort daran hängen, und er musste schmerzhaft schlucken. Seit langer, langer Zeit hatte er keinen Busen mehr zu Gesicht bekommen. Nicht so der Admiral, der Chloe nur beiläufig einen wohlwollenden Blick zuwarf und nach Champagner und Koekjes rief. Sofort wurde das Verlangte von drei weiteren jungen Frauen des gleichen Zuschnitts aufgetragen, alle geschmeidig und heiter lächelnd. Während sie ihn bedienten, umfächelte Kapitän Aubrey ein Duft nach Amber und Moschus, vielleicht mit einem Hauch Nelken und Muskat gewürzt.

»An Land sind dies meine Köchinnen«, bemerkte der Admiral. »Sie sind mir eine große Hilfe, vor allem für einheimische Gerichte. Na, dann also auf Ihr Wohl, Aubrey, und auf Ihren Sieg: Es kommt nicht jeden Tag vor, dass ein Fünfzig-Kanonen-Schiff einen Vierundsiebziger versenkt.«

»Sehr freundlich, Sir«, antwortete Jack. »Aber ich fürchte, was ich Ihnen im Folgenden berichten muss, ist weniger erfreulich. Nachdem wir unseren ganzen Trinkwasservorrat bis auf ein Fass über Bord gegeben hatten, segelte ich auf der Suche nach Treibeis mit Südostkurs weiter. Es wäre sinnlos gewesen, die tausend Meilen gegen den Wind zum Kap zurück zu kreuzen, und da er stetig aus West kam, stand zu hoffen, dass wir gleich nach der Wasseraufnahme direkt Richtung Botany Bay weiterlaufen konnten. Schon früher als erwartet stießen wir auf Eis, auf eine ganze Insel davon. Doch unglücklicherweise wurde das Wetter, kaum dass wir einige Fässer gefüllt hatten, so schlecht, dass ich die Boote zurückrufen musste. Im aufkommenden Nebel rammten wir mit dem Heck einen Eisberg und beschädigten dabei unser Ruder sowie unseren Backbordrumpf knapp unterhalb der Wasserlinie. Der starke Wassereinbruch ließ sich auch mit Lecksegeln nicht stoppen, und das war dann der Zeitpunkt, an dem wir unsere Kanonen über Bord werfen mussten, zusammen mit allem, was irgend entbehrlich war.«

Der Admiral nickte mit ernstem Gesicht.

»Die Besatzung verhielt sich besser, als ich erwartet hatte: Die Männer pumpten, bis sie umfielen. Aber als das Wasser schon über dem Orlopdeck stand, gab man mir zu verstehen, dass das Schiff verloren sei und dass viele meiner Leute ihr Glück in den Booten versuchen wollten. Ich sagte ihnen, wir müssten es mit einem weiteren Lecksegel versuchen, ich würde aber in der Zwischenzeit die Boote aussetzen und verproviantieren lassen. Zu meinem großen Bedauern muss ich berichten, dass einige Männer kurz darauf in die Rumlast einbrachen – und das war das Ende aller Disziplin. Die Boote stießen in beklagenswertem Zustand ab. Darf ich fragen, Sir, ob eines davon durchgekommen ist?«

»Die Barkasse erreichte das Kap – dadurch habe ich von dem Holländer erfahren –, aber Genaueres weiß ich nicht. Sagen Sie, gingen auch Offiziere oder Offiziersanwärter mit in die Boote?«

Nachdenklich drehte Jack sein Glas zwischen den Fingern. Die Mädchen hatten die Tür offen gelassen, sodass er fünf zahme Kasuare wie auf Zehenspitzen über den Innenhof tänzeln sah. Die Vögel waren eifrig wie Hühner und im Aussehen ihnen ähnlich, allerdings anderthalb Meter groß. Trotzdem nahm er sie kaum bewusst wahr. Schließlich antwortete er: »Jawohl, Sir. Ich hatte meinem Ersten Offizier ausdrücklich gestattet, von Bord zu gehen. Und meine Formulierung der Besatzung gegenüber ließ sich eindeutig als Erlaubnis interpretieren.« Er merkte, dass der Admiral ihn unter der beschattenden Rechten hervor beobachtete, und fügte hinzu: »Dazu muss ich Folgendes sagen, Sir: Mein Erster benahm sich während der ganzen Zeit höchst ehrenhaft und seemännisch, sodass mich sein Verhalten vollauf zufriedenstellte. Und das Wasser stand immerhin schon kniehoch über dem Orlopdeck.«

»Hm«, machte der Admiral. »Trotzdem ist das für ihn kein Ruhmesblatt. Gingen noch andere Offiziere mit ihm?«

»Nur der Zahlmeister und der Kaplan, Sir. Alle anderen Offiziere und Offiziersanwärter blieben an Bord und verhielten sich ausgesprochen vorbildlich.«

»Freut mich zu hören«, sagte der Admiral. »Fahren Sie fort, Aubrey.«

»Na ja, Sir, wir bekamen den Wassereinbruch irgendwie unter Kontrolle, montierten ein Notruder und nahmen Kurs auf die Crozet-Inseln. Unglücklicherweise konnten wir sie nicht ganz erreichen, deshalb hielten wir auf eine Insel zu, von der mir ein Walfänger erzählte, dass ein Franzose sie auf 49°44’ Süd entdeckt hätte: Desolation Island. Dort ließen wir das Schiff trockenfallen, um an das Leck heranzukommen, ergänzten unseren Wasservorrat und unseren Frischproviant – mit Robben, Pinguinen und dem sehr gesunden Kerguelenkohl – und bauten aus einer Maststenge ein Ersatzruder. Da uns aber eine Schmiede-Esse fehlte, konnten wir keine Ruderbeschläge dafür anfertigen. Zum Glück lief ein amerikanischer Walfänger die Insel an, und der lieh uns die nötigen Werkzeuge. Leider muss ich jedoch berichten, Sir, dass bei dieser Gelegenheit ein weiblicher Sträfling auf den Walfänger flüchten konnte, zusammen mit einem Amerikaner, den ich zum Fähnrich befördert hatte. Beide entkamen.«

»Ein Amerikaner?«, rief der Admiral. »Da sieht man’s wieder, die taugen alle nichts. Fast alle dieser verdammten Schurken sind selber Sträflinge, und der Rest ist ’ne buntgescheckte Affenbrut. Verräter – man sollte sie alle hängen, den ganzen schießwütigen Haufen. Also ist dieser Bursche, den Sie zum Fähnrich ernannt hatten, feige desertiert und hat obendrein noch eine Engländerin verführt. Da sehen Sie, was amerikanische Dankbarkeit wert ist! Alle gleich, diese Banditen – bis ’63 haben wir sie vor den Franzosen beschützt, und wie haben sie’s uns gedankt? Ich sage Ihnen wie, Aubrey: Sie bissen die Hand, die sie fütterte. Schurken. Und jetzt hat Ihr amerikanischer Fähnrich auch noch eine Ihrer Strafgefangenen zur Flucht verlockt. Zweifellos verurteilt wegen Landesverrats oder anderer schwerer Verbrechen. Alles Galgenvögel vom gleichen Schrot und Korn, Aubrey, alles Galgenvögel.«

»Richtig, Sir, sehr richtig. Und wer Pech anfasst, kriegt es nur schwer wieder ab.«

»Mit Terpentin kriegt man Pech ab, Aubrey, mit venezianischem Terpentin.«

»Jawohl, Sir. Aber um dem Burschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen – er hat uns während der Typhusepidemie als Sanitäter treu gedient –, muss ich anmerken, dass es sich um eine amerikanische Gefangene handelte, eine privilegierte Gefangene in einer Einzelzelle. Sie war eine ungewöhnlich schöne junge Frau, diese Mrs Wogan.«

»Wogan? Louisa Wogan? Schwarzes Haar, blaue Augen?«

»Die Farbe ihrer Augen ist mir entgangen, Sir. Aber sie war wirklich auffallend hübsch. Und ich glaube, ihr Vorname lautete tatsächlich Louisa. Kannten Sie sie denn, Sir?«

Admiral Drury lief dunkelrot an – ganz zufällig hatte er früher mal eine Louisa Wogan getroffen – eine Bekannte seines Vetters Vowles, eines Junior-Lords der Admiralität – auch bekannt mit Mrs Drury – aber ohne jeden Zusammenhang mit Botany Bay, beileibe nicht – eben ein häufiger Name, ein bloßer Zufall – keinesfalls dieselbe Frau … Außerdem fiel dem Admiral jetzt wieder ein, dass die Augen dieser Mrs Wogan gelbbraun gewesen waren. Aber das tat jetzt nichts zur Sache: Aubrey möge mit seinem Bericht fortfahren.

»Jawohl, Sir. Sobald wir also das neue Ruder montiert hatten, segelten wir nach Port Jackson und in die Botany Bay weiter. Zwei Tage vor unserem Einlaufen sichteten wir den Walfänger weit in Luv. Aber ich hielt es für richtig – will sagen, für meine Pflicht –, ihn nicht zu verfolgen, angesichts des Umstands, dass Mrs Wogan amerikanische Staatsbürgerin war und es bei dem augenblicklichen Spannungszustand zu politischen Komplikationen hätte führen können, wenn ich sie gewaltsam von einem amerikanischen Schiff geholt hätte. Ich gehe davon aus, Sir, dass sie uns noch nicht den Krieg erklärt haben?«

»Nein, nicht dass ich wüsste. Mir wär’s nur recht: Sie besitzen kein einziges Linienschiff, und drei ihrer fetten Kauffahrer haben letzte Woche Amboyna passiert – was für prächtige Prisen das gewesen wären!«

»Gewiss, Sir, eine Prise ist immer willkommen. Jedenfalls liefen wir Port Jackson an, wo wir feststellten, dass Kapitän Blighs Probleme inzwischen bereinigt waren und dass die Obrigkeit dort keine einzige Kanone, keinen Fetzen Segeltuch und nur jämmerlich wenig Leinen für uns erübrigen konnte. Auch keine Farbe. Ich musste jede Hoffnung auf Unterstützung durch die örtlichen Militärbehörden aufgeben – seit Mr Blighs Kommandierung scheinen sie eine Abneigung gegen die Marine gefasst zu haben –, setzte meine restlichen Sträflinge an Land und segelte in höchster Eile zu diesem Treffpunkt hier. Will sagen, mit aller Eile, die der Zustand des mir anvertrauten Schiffes erlaubte.«

»Gewiss taten Sie das, Aubrey, gewiss. Eine sehr beachtliche Leistung, bei Gott, und hoch willkommen dazu. Du lieber Himmel, ich dachte, Sie hätten längst den Löffel abgegeben – lägen irgendwo in tausend Faden Tiefe, während Mrs Aubrey sich die Augen ausweinte. Nicht dass sie Sie abgeschrieben hätte, beileibe nicht: Die Thalia brachte mir vor knapp zwei Monaten einen Brief von ihr, in dem sie mich bat, Ihnen einige Dinge zu senden – Bücher und Strümpfe, falls ich mich recht erinnere –, nach Neuholland nachzusenden, weil Sie dort bestimmt aufgehalten worden seien. Arme Frau, ich dachte schon, sie hätte für einen Leichnam gestrickt. Aber es war ein sehr netter Brief. Ich wette, dass ich ihn aufgehoben habe.« Er wühlte in seinen Papieren. »Richtig, da ist er ja.«

Der Anblick der vertrauten Handschrift überwältigte Jack, und er hätte schwören können, Sophies Stimme zu hören. Einen Augenblick kam es ihm so vor, als wäre er im Frühstückszimmer von Ashgrove Cottage in Hampshire, auf der anderen Seite der Welt, und als säße sie ihm gegenüber am Tisch, groß, schlank, liebevoll und hübsch, durch und durch ein Teil seiner selbst. Aber die Gestalt auf der anderen Tischseite war in Wahrheit nur ein ziemlich raubeiniger Konteradmiral der weißen Territorien, der sich gerade darüber ausließ, dass alle Ehefrauen einander glichen, sogar die Frauen von Marineoffizieren: Alle nahmen sie an, dass es in jeder Weltgegend und wo ein Schiff nur schwimmen konnte, eine Poststation gab, die ihre Briefe umgehend weiterbeförderte. Deshalb würden Seeleute daheim oft so übellaunig empfangen und dafür gescholten, dass sie nicht häufiger geschrieben hätten; darin seien alle Frauen gleich.

Meine nicht, sagte Jack, aber nur zu sich selbst, und der Admiral fuhr fort: »Auch die Admiralität hat Sie noch nicht aufgegeben. Man hat Ihnen die Acasta zugedacht und schon vor vielen Monaten Burrel hergeschickt, der Sie auf der Leopard ablösen sollte. Aber er ist mit der Hälfte seiner Leute an dem vermaledeiten Fieber gestorben, wie so viele hier. Was ich jetzt mit der Leopard machen soll, ist mir schleierhaft. Ich besitze nur die Kanonen, die ich den Holländern abgenommen habe, und wie Sie wissen, passen unsere Kugeln nicht in die holländischen Kaliber … Aber ohne Kanonen taugt sie nur noch als Transporter. Eigentlich hätte sie schon vor zehn Jahren in einen Transporter verwandelt werden sollen, besser vor fünfzehn. Aber das ist im Augenblick ohne Belang. Sie werden Ihre ganze Habe so schnell wie möglich an Land schaffen müssen, Aubrey, denn wir erwarten täglich die Flèche aus Bombay, unter Kapitän Yorke. Sie bleibt nur kurz hier, gerade lange genug, um meine Depeschen an Bord zu nehmen, dann fliegt sie schnurstracks nach Hause, so schnell wie ein Pfeil. Schnell wie ein Pfeil, Aubrey.«

»Jawohl, Sir.«

»Flèche ist das französische Wort für Pfeil, Aubrey.«

»Oh, tatsächlich? Das wusste ich nicht. Sehr witzig, Sir. Kolossal, mein Wort darauf. Flèche – so schnell wie ein Pfeil, das werde ich mir merken.«

»Darauf wette ich – und es als Ihr eigenes Bonmot ausgeben. Also, falls Yorke sich nirgendwo aufhält, falls er sich nicht in der Sundastraße herumtreibt und nach Prisen stöbert, sollten Sie für die Passage gerade noch den Monsun zu fassen kriegen – für eine fabelhaft schnelle Passage. Und jetzt geben Sie mir eine kurze Zusammenfassung des Zustands Ihrer Leopard. Natürlich muss sie noch offiziell begutachtet werden, aber ein erster Überblick wäre mir wichtig. Und sagen Sie mir auch, wie viele Mann Sie noch an Bord haben – Sie glauben gar nicht, wie ausgehungert ich nach Leuten bin. Menschenfresser sind satt gegen mich.«

Nun folgte eine hochtechnische Diskussion, bei der die Mängel der armen Leopard schonungslos ans Licht kamen – die Schwäche ihrer Spanten, ihre jämmerlichen Knie –, eine Diskussion mit dem Ergebnis, dass die Fregatte, selbst wenn der Admiral die nötigen Kanonen auftrieb, das Gewicht dieser Batterie gar nicht mehr tragen konnte, weil ihre Planken so geschwächt waren und die Fäulnis sich in erschreckendem Ausmaß vom Heck nach vorn durchgefressen hatte. Obwohl deprimierend, verlief diese Diskussion doch durchaus freundschaftlich, und kein scharfes Wort fiel, bis sie auf Kapitän Aubreys Gefolgschaft zu sprechen kamen: auf die Offiziere, Kadetten und Matrosen, die einen Kommandanten, wie es Marinebrauch war, auf sein neues Schiff begleiten durften. Mit geheuchelter Beiläufigkeit bemerkte der Admiral, dass er angesichts der außergewöhnlichen Umstände alle zu behalten gedachte.

»Immerhin können Sie Ihren Arzt mitnehmen«, schloss er. »Tatsächlich erreichten mich schon mehrmals Anweisungen, ihn mit dem ersten Schiff zurückzuschicken, und er soll sich hier sofort bei Mr Wallis melden, meinem politischen Berater. Jawohl: Den Arzt können Sie auf jeden Fall mitnehmen, Aubrey, und das ist ein großes Zugeständnis meinerseits. Vielleicht überwinde ich mich auch, Ihnen einen Diener zuzugestehen, obwohl man Ihnen auf der Flèche bestimmt so viel Personal zur Verfügung stellen kann, wie Sie brauchen.«

»Aber nicht doch, Sir!«, rief Jack. »Meine Offiziere – Babbington zum Beispiel begleitet mich seit meinem ersten Schiff –, meine Kadetten, meine Bootscrew, alle auf einen Streich? Nennen Sie das Gerechtigkeit, Sir? Von Alters her ist es Brauch bei der Marine …«

»Verstehe ich Sie richtig, dass Sie meine Befehle infrage stellen, Mr Aubrey?«

»Nie im Leben, Sir, da sei Gott vor. Natürlich werde ich jeden schriftlichen Befehl, mit dem Sie mich beehren, sofort buchstabengetreu ausführen. Aber wie Sie wissen, vielleicht besser als ich, ist es ein altehrwürdiger Brauch bei der Marine, dass …«

Jack und der Admiral kannten sich seit rund zwanzig Jahren, sie hatten viele Abende miteinander verbracht, einige davon ziemlich betrunken. Ihr Zusammenstoß hatte deshalb nichts von der kalten, giftigen Bösartigkeit eines rein offiziellen Wortgefechts. Trotzdem war er nicht weniger heftig, und bald stritten sie mit solcher Lautstärke, dass die Mädchen im Innenhof klar die Worte, die hitzigen persönlichen Anspielungen verstehen konnten, die der Admiral unverblümt und Jack nur wenig verschleiert hervorstießen. Und immer wieder hörten sie den Aufschrei: »Ein altehrwürdiger Brauch der Marine …«

»Sie waren schon immer ein halsstarriger, dickköpfiger Bursche«, stellte der Admiral schließlich fest.

»Das hat meine alte Amme auch gesagt, Sir. Aber gewiss würde selbst ein Mann ohne jeden Respekt vor den altehrwürdigen Bräuchen der Marine, ein Neuerer, ein Reformer ohne Sinn für unsere Traditionen, mich dafür verdammen, wenn ich mich nicht hinter meine Offiziere und Kadetten stellte, die ihrerseits in verdammt kritischen Lagen stets hinter mir standen. Wenn ich meine jungen Leute fremden Kommandanten ausliefern würde, die sich keinen Pfifferling um ihre Familien und um ihre Karrieren scheren. Falls ich einen Ersten Offizier treulos verließe, der mir seit seiner Kindheit gefolgt ist, ihn gerade dann verließe, wenn ich die Chance habe, ihn zu befördern. Nur ein glückhafter Handstreich mit der Acasta, und Babbington wird Kommandant. Ich appelliere an Ihr Gewissen, an Ihre eigenen Gepflogenheiten, Sir. In der ganzen Kriegsmarine weiß man, dass Charles Yorke, Belling und Harry Fisher Ihnen von Schiff zu Schiff gefolgt sind und dass sie es Ihnen verdanken, wenn sie heute Kapitänleutnants oder Vollkapitäne sind. Und ich weiß auch ganz genau, dass Sie sich immer vorbildlich um Ihren Offiziersnachwuchs gekümmert haben. Ein altehrwürdiger Brauch in der Marine …«

»Oh, zur Hölle mit dem altehrwürdigen Brauch in der Marine!«, explodierte der Admiral. Danach verstummte er für eine Weile, selbst erschrocken über seine Worte. Natürlich konnte er Aubrey einen direkten Befehl erteilen. Aber auch schriftlich? Es wäre doch recht peinlich gewesen, wenn so etwas herumgezeigt würde. Überdies war Aubrey nicht nur im Recht, sondern ein Kriegsheld von beachtlichem Ruf, ein Kommandant, der so viel Prisengeld erbeutet hatte, dass er den Beinamen Lucky Jack Aubrey erhalten hatte. Ein Vollkapitän mit einem stattlichen Landgut in Hampshire und einem Vater im Parlament, ein Mann, der vielleicht noch im Direktorium der Admiralität landen würde und zu wichtig war, um wie ein Niemand abgespeist zu werden. Außerdem mochte ihn der Admiral. Und die Versenkung der Waakzaamheid war wirklich eine glorreiche Leistung.

»Ach, was soll’s«, sagte er schließlich. »Aber was sind Sie doch für ein sturer, sauertöpfischer Kerl, Aubrey. Kommen Sie, füllen Sie Ihr Glas nach. Vielleicht macht Sie das umgänglicher. Meinetwegen können Sie Ihr Jungvolk behalten, ist mir egal, und Ihren Ersten ebenfalls. Ich wette, als Ihre Schüler würden die mit ihrem neuen Kommandanten auf seinem eigenen Achterdeck jedes Mal einen Ringkampf beginnen, wenn er ihnen zu halsen befiehlt. Sie erinnern mich an diesen alten Sodomiten.«

»Sodomie, Sir?«, rief Jack empört.

»Jawohl, der aus der Bibel. Der wegen Sodom und Gomorra mit dem Herrn rang. Abraham, ja, so hieß er. Handelte den Herrn von fünfzig auf fünfundzwanzig und dann auf zehn herunter. Gut, Sie sollen sie haben, Ihren Babbington, Ihre Offiziersanwärter, Ihren Schiffsarzt und vielleicht sogar Ihren Bootssteurer. Aber kein Wort mehr über Ihre Bootscrew! Das Ganze ist großer Unsinn und pure Anmaßung Ihrerseits, außerdem hat die Flèche auch nur für einen Passagier mehr garantiert keinen Platz. Also Schluss damit. Aber jetzt sagen Sie, bekommen Sie aus Ihren restlichen Leuten eine anständige Elfermannschaft für ein Kricketmatch zusammen? Das Geschwader veranstaltet ein Turnier Schiff gegen Schiff, bei hundert Pfund Preisgeld pro Siegerpartei.«

»Ich denke, das schaffe ich, Sir«, antwortete Jack lächelnd. Sowie der Admiral das Wort ausgesprochen hatte, wusste er die Antwort auf die bohrende kleine Frage, die schon die ganze Zeit in seinem Hinterkopf herumgespukt hatte: Woher stammte dieses lächerlich vertraute Geräusch, das von dem weitläufigen Rasen hinter dem Haus zu ihnen hereindrang? Jetzt ging ihm ein Licht auf: Es war das Klicken von Kricketkeulen, die den Ball trafen. »Das schaffe ich bestimmt, Sir«, wiederholte er. »Ach ja, Sir: Erwähnten Sie nicht vorhin etwas von Post für die Leopard?«

 

Der politische Berater des Admirals war ein Mann von besonderem Gewicht, denn die britische Regierung trug sich mit der Absicht, ganz Holländisch-Ostindien dem Machtbereich der Krone einzugliedern. Deshalb mussten nicht nur die örtlichen Fürsten dazu überredet werden, König George zu lieben, es mussten auch die fest etablierten holländischen und französischen Einfluss- und Spionagestrukturen zumindest neutralisiert, wenn möglich sogar ausgemerzt werden. Trotzdem wohnte er in einem unauffälligen kleinen Haus und trieb keinen großen Aufwand, nicht halb so viel Aufwand wie der Schreiber des Admirals. Er hatte seine düstere Gestalt in einen tabakbraunen Rock gehüllt, wobei ein Paar ehemals weißer Nanking-Pantalons sein einziges Zugeständnis an das Tropenklima darstellten. Ihm war eine schwierige Aufgabe zugefallen. Weil aber die ehrenwerte Ostindische Handelskompanie stark daran interessiert war, ihre holländische Konkurrenz auszubooten, und weil mehrere Kabinettsmitglieder Aktionäre eben dieser Kompanie waren, verfügte er wenigstens über einen großzügigen Etat. Als ihm ein Besucher gemeldet wurde, saß er gerade auf einer von mehreren Truhen, die bis zum Rand gefüllt waren mit kleinen Silbermünzen, dem beliebtesten Zahlungsmittel in diesem Teil der Welt.

»Maturin!«, rief er aufspringend, riss sich die grüne Brille ab und schüttelte des Doktors Hand. »Maturin! Herrgott, wie froh bin ich über Ihren Anblick! Wir haben Sie schon für tot gehalten. Wie geht es Ihnen?« Er klatschte in die Hände. »Kaffee!«

»Wallis«, nickte Maturin. »Freut mich, Sie wiederzusehen. Wie geht’s Ihrem Penis?« Bei ihrer letzten Begegnung hatte er an diesem Kollegen vom politisch-militärischen Geheimdienst eine Operation vorgenommen, weil er als Jude gelten wollte: eine Operation, die sich bei einem Erwachsenen als weitaus schwieriger erwies, als er selbst oder Wallis angenommen hatten, weshalb Stephen noch lange danach von dem Gedanken an Wundbrand heimgesucht wurde.

Mr Wallis’ entzücktes Lächeln wich düsterem Ernst. Sein Gesicht nahm einen Ausdruck heftigen Selbstmitleids an, als er die Befürchtung äußerte, dass sein Glied, obwohl es recht gut verheilt war, doch nie mehr das Alte sein würde. Während Kaffeearoma das schmuddelige kleine Zimmer füllte, zählte er seine Symptome in aller Ausführlichkeit auf. Doch als dann der Kaffee selbst aufgetragen wurde, in einer Messingkanne auf einem Messingtablett, unterbrach er sich: »Oh, Maturin, was bin ich doch für ein Schwachkopf, dass ich nur über mich rede! Erzählen Sie mir von Ihrer Reise, Ihrer so fürchterlich langwierigen und – wie ich fürchte – sogar lebensgefährlichen Reise. Wir hatten schon jede Hoffnung aufgegeben. Auch Sir Josephs Briefe, zuerst so begeistert, wurden allmählich besorgt und schließlich ausgesprochen melancholisch.«

»Demnach sitzt Sir Joseph wieder im Sattel, nehme ich an?«

»Fester als je zuvor. Und sogar mit erweiterter Machtbefugnis.« Sie tauschten ein Lächeln des Einverständnisses. Sir Joseph Blaine war ein sehr tüchtiger Geheimdienstchef gewesen. Beide kannten die raffinierten Winkelzüge, die seinen vorzeitigen Rücktritt erzwungen, und die noch raffinierteren, viel intelligenteren Manöver, die seine Rückkehr bewirkt hatten.

Während er nachdachte, schlürfte Stephen Maturin genüsslich seinen kochend heißen Kaffee, ein Gebräu aus echten Mokkabohnen, von den Daus der Pilger aus Arabia Felix mitgebracht. Er war von Natur ein zurückhaltender, sogar verschlossener Charakter. Dies lag zu einem Teil an seiner unehelichen Geburt (sein Vater war ein irischer Offizier im Dienste Seiner Allerkatholischsten Majestät gewesen, seine Mutter eine Adlige aus Katalonien), zum anderen Teil an seinem früheren Einsatz für die Befreiung Irlands vom englischen Joch. Vor allem aber lag es an seiner freiwilligen, unentgeltlichen Arbeit für den britischen Marinegeheimdienst, wobei es sein einziges Ziel war, zu Bonapartes Vernichtung beizutragen, den er aus tiefster Seele als bösartigen Tyrannen hasste, als verderbten, grausamen, vulgären Mann, als Feind aller Freiheit und Völker und als Verräter an allem, was an der Französischen Revolution positiv gewesen war. Der Drang, den Mund zu halten, war ihm praktisch angeboren. Angeboren war ihm vielleicht auch die Integrität, die ihn zu einem der wertvollsten Geheimagenten der Admiralität machte, besonders in Katalonien – eine Tätigkeit, die sich durch seine Rolle als aktiver Marinearzt hervorragend tarnen ließ, zumal er auch ein Naturwissenschaftler von internationalem Renommee war, ein hochgeschätzter Name bei allen, denen der ausgestorbene Solitär von Rodrigues (ein naher Verwandter der Dronte), die Riesen-Landschildkröte Testudo aubreii des Indischen Ozeans und die Gewohnheiten des afrikanischen Erdferkels etwas bedeuteten.

Hervorragender Agent, der er war, litt er aber auch an der Bürde eines Herzens, eines liebenden Herzens, das eine Frau namens Diana Villiers fast gebrochen hätte. Sie hatte statt seiner einen Amerikaner erwählt – eine ganz natürliche Wahl, da Mr Johnson ein stattlicher, geistreicher Mann war und vor allem reich, Stephen dagegen bestenfalls ein gewöhnlicher Armleuchter, bleich, mit seltsam farblosen Augen, schütterem Haar, dürren Gliedern und vergleichsweise arm. In seiner Not hatte Maturin in beiden Berufen Fehler begangen – Fehler, die sich vielleicht dem übermäßigen Gebrauch von Opiumtinktur zuschreiben ließen, der er damals verfallen war –, und als zufälligerweise Louisa Wogan, eine amerikanische Bekannte von Diana Villiers, wegen Spionage verhaftet und zur Verbannung nach Australien verurteilt worden war, hatte man Stephen Maturin nahegelegt, sie als Schiffsarzt auf der Leopard zu begleiten. Diese Mission schien ihm im Vergleich zu anderen, mit denen er betraut worden war, zunächst nicht sonderlich wichtig, und damals war er überzeugt gewesen, dass Sir Joseph ihn nur aus der Schusslinie entfernen wollte. Aber sein Kontakt mit Mrs Wogan hatte eine seltsame Wendung genommen … Wie viel davon sollte er Wallis berichten? Und wie viel wusste dieser bereits?

»Erinnere ich mich recht, dass Sie das Adjektiv ›begeistert‹ benutzten, als Sie von Sir Josephs Briefen sprachen?«, fragte er. »Ein starkes Wort.«

Dies war für Wallis ein Signal, seine Karten aufzudecken, falls er das Gespräch auf relativ offener Ebene fortsetzen wollte, und er sprach sofort darauf an. »Keinesfalls zu stark, Maturin, das kann ich Ihnen versichern«, sagte er und griff nach einem Aktenordner.

»Sowie er Ihre Nachricht aus Brasilien, aus Recife, erhalten hatte, schrieb er mir, dass Sie einen großartigen Coup gelandet und der Dame in weit kürzerer Zeit als erwartet alle Informationen entlockt hätten, die sie besaß, und dass er sich jetzt ein recht gutes Bild von der amerikanischen Organisation machen könne. Er wollte sich bemühen, Sie mit einer Depesche vom Kap zurückzurufen, die er dem ersten dorthin bestimmten Schiff mitgab, dass er aber auch, falls dies nicht gelänge, die Zeit Ihrer Abwesenheit als gut genutzt betrachte. Für Sir Joseph waren schon dies starke Worte, aber nichts im Vergleich zu seiner Lobeshymne, als ihn Ihr Bericht vom Kap erreichte.«

»Demnach sind die Boote durchgekommen?«

»Eines davon, und zwar die Barkasse, geführt von einem Mr Grant, der Ihren Bericht dem kommandierenden Marineoffizier am Kap übergab.«

»War der Bericht beschädigt? Als ich ihn schrieb, stand ich bis zu den Knien im Wasser.«

»Er wies Wasser- und Blutflecken auf – Mr Grant hatte Ärger mit seinen Leuten –, war aber bis auf zwei Blätter gut lesbar. Sir Joseph gab mir eine Zusammenfassung davon, mit allem, was für die Lage hier relevant war. Mit gleicher Post schickte er mir diesen Brief für Sie«, er reichte ihn an Maturin weiter, »und trug mir auf, Sie als Vorbild in der Kunst der Täuschung und Aufspaltung des Feindes zu betrachten. Er schrieb, ich solle Ihrem Beispiel nacheifern, soweit mir das in meinem Bereich möglich sei. Danach folgten noch weitere Depeschen, jede mit einem Begleitbrief an Sie. Aber wie ich schon sagte, bekamen sie allmählich einen besorgten Unterton, und mit der Zeit sprach sogar Verzweiflung aus ihnen. Ihr Inhalt blieb sich jedoch immer gleich: Sie sollten sofort zurückkehren, um das im französischen Geheimdienst angerichtete Chaos bis zum Äußersten zu nutzen und Ihre Aktivitäten in Katalonien wieder aufzunehmen. Hier habe ich für Sie eine kondensierte Fassung meines Berichts über die gegenwärtige Lage in meinem Gebiet.«

Wallis war ein alter, bewährter Kollege und besaß keine Laster außer dem Geiz, der Heimtücke und der kalten Wollust, die so vielen Geheimagenten eigen waren. Nun stand fest, dass er mit fast allen wichtigen Tatsachen vertraut war. Ebenso fest stand außerdem, dass Stephen Maturin, der schon auf der Ausreise nur mit knapper Not überlebt hatte, auf der Heimreise sehr leicht endgültig umkommen konnte. Die See war unberechenbar und so ein Schiff ein zerbrechliches Ding – fragilis ratis –, das die launischen Elemente vernichten und die Winde zu ihrem Spielball machen konnten. Da war es nur vernünftig, Wallis vorbehaltlos ins Bild zu setzen.

»Hören Sie zu«, sagte er deshalb, und Wallis beugte sich mit gespitzten Ohren höchst gespannt vor. »Den Anfang kennen Sie ja: die Verhaftung von Mrs Wogan, in deren Besitz sich Papiere der Admiralität befanden.« Wallis nickte. »Sie war eine Agentin von minderer Bedeutung, aber eine loyale und geschickt ausgewählte, durch nichts käuflich. Und natürlich tat sie ihr Bestes, um ihren Chef wissen zu lassen, wie die Lage nach ihrer Enttarnung aussah – wer kompromittiert war und wer nicht. Wie es sich fügte, hatte sie einen Liebhaber an Bord der Leopard, ebenfalls Amerikaner, einen immens gelehrten jungen Mann namens Herapath, der sich als blinder Passagier eingeschlichen hatte, um ihr nahe zu sein. Ihn benutzte sie, um ihre Informationen weiterzuleiten. Die fing ich dann in Recife ab, und das war meine erste Kontaktaufnahme mit Sir Joseph.

Zu Beginn der Reise hatte ich einen Assistenten namens Martin, der von den Kanalinseln stammte und in Frankreich aufgewachsen war. Er starb, und mir kam die Idee, dass er mit seiner Herkunft einen sehr überzeugenden Geheimagenten abgeben würde. Also fabrizierte ich einen allgemeinen Lagebericht, scheinbar aus seiner Feder stammend, der sich mit unserer Geheimdiensttätigkeit in Europa befasste, hier und da Bezug auf die Vereinigten Staaten nahm und auf ein angeblich gesondertes Dokument zum Thema Ostindien. Ich besaß nicht genug Informationen, um einen für Experten glaubwürdigen Bericht über Ostindien abzufassen, deshalb versuchte ich es gar nicht erst. Aber ich schmeichle mir, dass meine Analyse der europäischen Situation und meine beiläufigen Bemerkungen über die Vereinigten Staaten sogar einen solchen Skeptiker wie Durand-Ruel überzeugen mussten. Ich brauche Ihnen kaum zu sagen, mein lieber Wallis, dass mein Bericht Details über Doppelagenten, Bestechungssummen oder Informanten in den verschiedenen französischen Ministerien und in denen ihrer Verbündeten enthielt. Tatsächlich war er so berechnet, dass er ihre Politik vernichtend desorientieren, ihre besten Leute neutralisieren und ihr gegenseitiges Vertrauen untergraben musste.

Dieses Dokument wurde bei den Habseligkeiten des toten Martin gefunden und erregte sofort Verdacht. Kopien davon sollten an die Behörden am Kap geschickt werden, zur Weiterleitung nach England. Herapath und ich waren die Einzigen an Bord, die das Französische fließend beherrschten. Ich war zu beschäftigt, deshalb fiel das Kopieren Herapath anheim, der mein Assistent geworden war. Ich war überzeugt, dass er seiner Geliebten davon berichten würde und dass Louisa Wogans Macht über ihn so stark war, dass er trotz seines ehrenhaften Widerstrebens und trotz seiner Skrupel heimlich auch eine Kopie für sie anfertigen würde, die sie vom Kap aus nach Amerika schicken wollte. Die Kopie wechselte den Besitzer und wurde von ihr verschlüsselt – übrigens besitze ich jetzt den Schlüssel zu ihrem Code –, aber wir gelangten gar nicht zum Kap, weil wir zu jener Zeit von einem weit stärkeren holländischen Schiff verfolgt wurden. Ich tröstete mich mit der Überlegung, dass Mrs Wogan bestimmt einen Weg finden würde, die Kopie von der Botany Bay nach Amerika zu schicken, und dass dieser mehrmonatige Zeitverlust, obwohl äußerst bedauerlich, überhaupt keine Katastrophe war. Denn solange nicht offener Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und England herrschte, konnten wir nie ganz sicher sein, dass die Amerikaner diese Information an ihre französischen Verbündeten oder zumindest an deren Sympathisanten weiterleiten würden. Allerdings war es recht wahrscheinlich, auch in Friedenszeiten, denn ihr Mr Fox trifft sich oft mit Durand-Ruel. Sagen Sie, wurde dieser Krieg inzwischen erklärt?«

»Nicht nach den neuesten Meldungen, die uns erreichten. Aber ich sehe beim besten Willen nicht, wie er noch länger vermieden werden kann, falls unsere Regierung den augenblicklichen Kurs beibehält. Wir würgen den amerikanischen Handel ab, entführen und missbrauchen ihre Seeleute …«

»Eine absurde, überflüssige, unmoralische und läppische Praxis«, grollte Stephen. »Abgesehen von allem anderen würde dieser Krieg zu einer absolut stupiden Aufsplitterung unserer Kräfte und Anstrengungen führen. Will unsere Regierung wirklich diesem Schuft Bonaparte eine Atempause gönnen, nur um ein paar angebliche Deserteure zu fangen – die uns sowieso nur widerstrebend dienen würden – und um ihre alte, schändliche Rachsucht zu stillen? Das ist doch blanker Irrsinn … Aber ich schweife ab. Mrs Wogan sollte das Dokument also von der Botany Bay absenden: exzellent, hätte sie die Niederlassung nur erreicht. Aber das tat sie nicht. Unser Schiff kollidierte mit einem Eisberg und wäre fast gesunken. Von der Besatzung gingen einige in die Boote, und ihnen vertraute ich an, was ich von meinem Bericht kopieren konnte, damit Sir Joseph, falls die Boote das Kap erreichten, über die Vorgänge informiert sein würde und entsprechende Maßnahmen ergreifen konnte. Das war meine zweite Kontaktaufnahme. Zwar hegte ich kaum Zweifel daran, dass Kapitän Aubrey uns schließlich durchbringen würde, aber ich muss doch gestehen, dass mir die Verzögerung zur Qual wurde. Deshalb können Sie sich vielleicht mein Entzücken vorstellen, als ein amerikanischer Walfänger die Insel anlief, an deren Küste wir Zuflucht gefunden hatten – Desolation Island, das ich Ihnen gar nicht erschöpfend beschreiben kann: herrliche Vögel, Robben, Moose und Flechten, ein Paradies für mich. Wie gesagt, ein amerikanischer Walfänger, und zwar auf der Heimreise nach Nantucket. Mit List und Tücke verleitete ich Herapath und Mrs Wogan dazu, mitsamt ihrer Kopie von der Leopard zu fliehen und mit dem Walfänger nach Hause zu segeln. Sie machen sich keine Vorstellung von meiner Nervenanspannung, als Herapath zwischen seiner Liebe und seinem Ehrgefühl schwankte. Nicht minder schwierig war es für mich, vor seiner Geliebten zu verbergen, wie sehr ich ihn manipulierte.

Und trotzdem hätte der Eifer unseres Kommandanten meine Pläne fast doch noch durchkreuzt: Nach unserem Aufbruch von der Insel erschien dieser Walfänger eines frühen Morgens, noch bevor ich aufgestanden war, deutlich sichtbar am Horizont, und nur durch meine Drohung, dass ich mich an der Rahnockgording oder Ähnlichem aufhängen würde, konnte ich Kapitän Aubrey dazu bringen, weiterhin Neuholland anzusteuern, diesen interessanten Kontinent. Als wir den Walfänger außer Sicht verloren, segelte er unter Vollzeug davon, etwa in die Richtung von Amerika. Und inzwischen, schätze ich, hat Louisa längst ihr vergiftetes Danaergeschenk in bestem Glauben und mit überzeugendem Triumph übergeben.«

»Das hat sie!«, rief Wallis aus. »Das hat sie in der Tat. Und die Wirkung zeigt sich bereits, wie Sie gewiss aus Sir Josephs Briefen ersehen werden. Er berichtet, dass Cavaignac erschossen wurde; und er hat, entsprechend Ihren Hinweisen, relativ leicht zu entdeckende Geschenke auf dem Umweg über Preußen an mehrere Mitarbeiter von Desmoulins geschickt, angeblich als Lohn für geleistete Dienste. Davon verspricht er sich zuversichtlich ein hübsches Köpferollen. Oh ja, die geschätzten Kollegen waren eindeutig bereits tätig. Herrgott, Maturin, was für ein Coup!«

Stephens Augen glitzerten. Er liebte Frankreich und die französische Lebensart, aber er verfolgte Bonapartes Geheimdienst mit verzehrendem Hass. Überdies war er von einigen seiner Agenten unter der Folter verhört worden und würde die Narben davon bis an sein Lebensende tragen. »Es war ein glücklicher Zufall, der mir Louisa Wogan über den Weg führte«, sagte er. »Dabei habe ich Ihnen von der wichtigsten Frucht unseres Kontakts noch gar nicht berichtet. Sie merkte, dass ich ein Anhänger des Freiheitsgedankens war, hat aber meine Worte offenbar falsch interpretiert. Jedenfalls ersuchte sie mich kurz vor ihrem Abschied mit bedeutungsvollem Blick, bei einem ihrer Freunde in London vorzusprechen, einem Mr Pole im Außenministerium.«

»Charles Pole in der Amerika-Abteilung?«, rief Wallis aus und erbleichte.

Stephen nickte. Sie tauschten einen Blick, weitaus bedeutungsvoller als der von Mrs Wogan, und Stephen erhob sich, vollauf zufrieden mit der Wirkung seiner Worte. »Darf ich Sie nun bitten, mir Sir Josephs Briefe an mich auszuhändigen?«, fragte er. »Ich möchte mich in der Abgeschiedenheit meiner Kabine eine Weile an ihnen delektieren.«

»Hier sind sie.« Wallis überreichte sie ihm nach kurzem Schweigen.

»Sir Josephs Briefe. Ihre Privatpost erwartet Sie im Sekretariatsbüro. Das liegt in der Residenz, dem großen weißen Gebäude. Soll ich einen Boten darum schicken?«

»Sehr freundlich, aber ich mache lieber selbst einen Spaziergang. Es verlangt mich danach, einem Kasuar zu begegnen.«

»Davon sehen Sie wahrscheinlich eine ganze Schar oder Herde auf dem Anwesen des Admirals. Sein holländischer Vorgänger war ein Liebhaber dieser Vögel und hat sie aus Ceram holen lassen. Ihm gehört das große weiße Haus mit den Flaggenmasten, Sie können es nicht verfehlen. Mein Gott, Maturin, was für ein Coup!«

Stephen verfehlte es nicht, aber die Kasuare entgingen ihm trotzdem. Sie waren scheue Vögel, und der Anblick einer Matrosenhorde, die vom Kricketplatz zurückkehrte, hatte sie auf ihren plumpen Füßen flüchten und im Schatten einer Sagopalme Schutz suchen lassen. Nominell standen die Matrosen unter dem Kommando eines gehemmten jungen Offiziersanwärters von der Cumberland, aber der demokratische Geist des Spiels beherrschte sie noch, weshalb sie Keulen schwingend ihre Spottrufe brüllten und so laut über ihre eigenen Witze lachten, die schrillen Befehlspfiffe ihres Anführers übertönend, dass die Kasuare (obwohl schon zahm aus dem Ei geschlüpft) noch tiefer in den Schatten zurückwichen und missbilligend die Schnäbel runzelten.

Die Kricketspieler waren kaum außer Sicht, da traf Stephen auf Kapitän Aubrey, der mit einem Päckchen unterm Arm die Stufen herabkam. »Hallo, Stephen«, rief er, »da bist du ja! Ich habe gerade an dich gedacht. Wir haben Befehl, schnellstens nach Hause zu segeln. Man gibt mir Acasta. Hier sind deine Briefe.«

»Was ist Acasta?« Stephen beäugte das dünne Briefbündel ohne sonderliches Interesse.

»Eine Vierzig-Kanonen-Fregatte, so ziemlich die stärkste in der Marine, mit Ausnahme der Egyptienne. Oder natürlich der Endymion und der Indefatigable mit ihren Vierundzwanzigpfündern. Aber der beste Segler von allen, jedenfalls am Wind. Bei zwei Strich am Wind läuft sie sogar der guten alten Surprise davon, auch ohne Fockbramsegel. Eine echte, kupferbeschlagene Schönheit, Stephen. Dabei war ich sicher, als Nächstes würde ich irgendein langweiliges Linienschiff bekommen und Blockadedienst vor Brest oder am Kap Sicié schieben müssen. Meine Dienstzeit auf Fregatten ist fast um.«

»Was soll mit der Leopard geschehen?«

»Sie wird in einen Transporter umgewandelt, wie ich dir schon seit Port Jackson angekündigt habe. Und wenn der Admiral erst den Zustand ihrer Verbände kennt, wird er kaum Wertvolles darauf transportieren. Das Eis hat ihr grausam mitgespielt, ein Wunder, dass sie noch schwimmt. Nein, sie bekommt ihr Gnadenbrot als Transporter, und Gott helfe ihrem Kommandanten, wenn er in einen Sturm gerät.«

»Heißt das, wir müssen sofort nach Hause?«, rief Stephen erbost.

»Ja, sobald die Flèche um Depeschen einläuft. Morgen oder übermorgen wird sie eintreffen und dort unterm Kap mit killenden Segeln warten, um auch nicht eine Minute des Monsuns zu versäumen. Nur gerade so lange, wie Yorke braucht, um die billets doux zu holen und ein paar Invaliden sowie uns an Bord zu nehmen. Danach geht’s sofort wieder auf See, zitternd an allen Gliedern.«

»Mit einem derart fragilen Schiff? Aber meinetwegen – das läuft alles aufs Gleiche hinaus.«

»Vibrierend, wollte ich sagen. Wie ein vibrierender Pfeil. Flèche, verstehst du?«

»Wie kannst du so leichtfertig daherreden und mir im selben Atemzug beibringen, dass wir nach Hause müssen, ohne einen Blick auf die Reichtümer Ostindiens geworfen zu haben? Seine Flora und Fauna in schnöder Gleichgültigkeit ignoriert und völlig ungeprüft zurücklassend? Ohne einen einzigen Blick auf den berüchtigten, Strychnin enthaltenden Upasbaum geworfen zu haben? Kann das denn wahr sein?«

»Ich fürchte, ja. Immerhin konntest du dich in der Flora und Fauna auf Desolation austoben, wie du dich erinnern wirst: ausgestopfte Robben, Pinguine, Albatroseier und diese Vögel mit den seltsamen Schnäbeln … Die Laderäume der Leopard sind voll davon. Auch in Neuholland bist du nicht zu kurz gekommen, mit deinen vermaledeiten Wombats und allem anderen.«

»Das stimmt, Jack: Halte mich nicht für undankbar. Und ganz gewiss werde ich froh sein, meine Sammlung so bald wie möglich nach England zu verfrachten. Der Riesenkrake befindet sich schon im fortgeschrittenen Stadium der Zersetzung, während die Kängurus störrisch werden, aus Mangel an richtigem Futter. Aber ich hab mich so danach gesehnt, einen Kasuar zu sehen.«

»Tut mir wirklich leid für dich. Doch die Erfordernisse unseres Dienstes …«, sagte Jack, der eine neue Invasion von Sumatra-Rhinozerossen, Orang-Utans und Vogel-Rock-Küken befürchtete.

»Stephen, ich nehme nicht an, dass du ein Experte mit Schlagholz und Ball bist?«

»Wie kommst du zu dieser beleidigenden Annahme? Zwischen Malin Head und Skibereen gab es keinen, der mir mit dem Hurlingstock – oder der Keule, wie ihr sie nennt – das Wasser reichen konnte.«

»Oh, ich dachte nur, du stündest hoch über derlei frivolem Zeitvertreib. Aber ich bin sehr froh, das Gegenteil zu hören. Der Admiral fordert uns zu einem Match heraus, und wir haben jämmerlich wenige Leopards, die Kricket spielen können.«

 

Der Kommandant der Leopard, obwohl Frühaufsteher, fand seinen Schiffsarzt nicht am Frühstückstisch vor, auch nicht den Offizier oder den Fähnrich der Wache. Letzteres überraschte ihn nicht, denn er war so mit seiner Post beschäftigt gewesen, dass er weder den einen noch den anderen eingeladen hatte. Aber Dr. Maturin leistete ihm sonst unfehlbar beim Frühstück Gesellschaft, deshalb fragte er Killick nach dem Grund seiner Abwesenheit.

»Der Doktor is’ noch vorm Morgengrauen in ’nem Bumboot an Land«, antwortete sein Steward mit einem lasziven Grinsen. Nach Killicks Überzeugung gab es – außer für ein Besäufnis – nur einen einzigen triftigen Grund, an Land zu gehen. Deshalb wären ihm auch einige Zweideutigkeiten entschlüpft, hätte der Kommandant nicht wie sonst rosig-heiter, sondern an diesem Morgen so graugelb und gealtert ausgesehen wie nach einer schlaflosen Nacht.

»Na ja, meinetwegen«, sagte Jack so niedergeschlagen, dass Killick ihn mit ehrlicher Besorgnis musterte. Er schenkte sich einen großen Henkelbecher Kaffee ein, breitete seine Briefe auf dem Tisch aus und ordnete sie so weit möglich in der richtigen Reihenfolge. Das war eine schwierige Aufgabe, denn trotz seiner flehentlichen Bitten dachte Sophie nur selten daran, sie zu datieren. Zwischen den Briefen lagen Rechnungen, weshalb er von Zeit zu Zeit Summen addierte, überraschte Pfiffe ausstieß und immer niedergeschlagener dreinblickte.

Killick schlich sich mit einer Schüssel Nierenragout an, des Kommandanten Lieblingsgericht, und stellte sie wortlos zwischen die Papiere. »Danke, Killick«, sagte Jack geistesabwesend.

Das Nierenragout stand immer noch da, so kalt, wie die Tropensonne es zuließ, als Dr. Maturin in seiner gewohnt eleganten Manier an Bord kam, mit Fußtritten gegen die Stückpfortendeckel und Flüchen für die freundlichen Helfer, die ihn an der Bordwand hochzogen. So atemlos, als hätte er rennend den Montblanc erklommen, erreichte er das Deck. Er war schwer beladen; seine verzagten Bordkameraden glaubten, in einem der runden Deckelkörbe sogar eine Pythonschlange zu erkennen.

So fanden sich nur wenige Freiwillige, um sein Gepäck nach unten zu tragen; lediglich die Verwundeten unter den Leopards wurden dazu abgestellt, alle anderen waren zu beschäftigt. Fähnriche und Kadetten hatten sich auf dem Backbord-Seitendeck versammelt und warfen mit wütendem Eifer segeltuchumhüllte Bälle nach Faster Doudle, dem Schläger der Leopard, der sie mit der gleichen Geschicklichkeit und verbissenen Konzentration fing wie ein Terrier die Ratte, während die gesamte Freiwache und sämtliche Seesoldaten ihre kritischen Bemerkungen beisteuerten. Denn mochte es der Leopard auch an Farbe, Kanonen und sogar an Leuten fehlen, so war man doch eisern entschlossen, beim Match mit den Flaschen von der Cumberland ehrenhaft abzuschneiden – ihnen vielleicht sogar eine Blamage zu verpassen. Von den Spielern stammten einige aus Kent und Hampshire, wo man praktisch auf dem Kricketrasen groß wurde. Und Mr Babbington, der Erste Offizier, hatte sich seinerzeit damit hervorgetan, dass er gegen den Marylebone Club auf dem berühmten Broad Halfpenny Down siebenundvierzig Läufe erzielte. Eifrig sprang er zwischen seiner Partei herum – die gewohnte Vormittagsarbeit war gestrichen worden – und beschwor sie, »hoch zu ballen, hoch zu ballen« oder »um Himmels willen Abstand zu halten«. Als er Stephen erblickte, rief er: »Sie werden doch das Match nicht vergessen, Doktor?«

»Um keinen Preis.« Stephen schwenkte einen weißen frisch geschnittenen Prügel. »Ich habe mir gerade einen Hurlingstock vom edlen Upasbaum geschnitten.«

Er begab sich zum Zimmermann und danach in die Kajüte, wo er Bericht über den Upasbaum erstattete – völlig harmlos natürlich, keine Spur von einer vergifteten Leiche weit und breit, aber ein hochinteressanter Anblick: wahrscheinlich ein Verwandter des Feigenbaums –, bis er den Gesichtsausdruck seines Freundes gewahrte und sich mitten im Satz unterbrach. »Ich hoffe doch, du hast gute Nachrichten von daheim, Bruderherz?«, fragte er. »Sophie und den Kindern geht es hoffentlich prächtig?«

»Sie blühen und gedeihen, danke, Stephen«, antwortete Jack. »Das heißt, kurz nach unserer Abreise hat im Kinderzimmer der Ziegenpeter gewütet, und George hatte zu Weihnachten die Röteln. Aber inzwischen sind alle wieder gesund.«

»Mumps? Sehr gut, je früher, desto besser. Wären wir länger daheim geblieben, hätte ich angeregt, sie alle in eine befallene Kate zu führen. Ich wünschte nur, die Regierung würde jedes Kleinkind beizeiten infizieren lassen, besonders die Jungen. Eine bösartig verlaufende Hodenentzündung ist ein trauriger Anblick. Und Sophie befindet sich wohl?«

»In ihrem letzten Brief war sie noch wohlauf – sie lässt dich jedes Mal herzlich grüßen, was ich dir längst hätte ausrichten sollen –, aber den hat sie schon vor geraumer Zeit geschrieben. Wie sie seither mit der Angst fertiggeworden ist, weiß der Himmel.«

»Hat sie erfahren, dass Grant das Boot wohlbehalten zum Kap gebracht hat?« Jack nickte. »Sie hat deine Briefe aus Brasilien erhalten, demnach weiß sie, dass du mit Grant unzufrieden warst. Sie weiß auch, dass er die Lage dramatisieren musste, um seine Flucht zu rechtfertigen. In Kenntnis dieser beiden Tatsachen wird sie seine Schilderung richtig einschätzen. Ihr Vertrauen in dich, dass du mit der Situation fertigwirst, dürfte unerschüttert sein. Höchstens könnte sie die Gefahren unterschätzen.«

»Du hast völlig recht, Stephen. Genau das hat sie getan, und deshalb schreibt sie mir auch so, als wüsste sie, dass ich noch am Leben bin. Vielleicht weiß sie es inzwischen wirklich. Jedenfalls lässt sie nie einen Zweifel daran durchblicken, in keinem ihrer Briefe, die gute Seele. Und ich hoffe zu Gott, dass meine Briefe von Port Jackson sie inzwischen erreicht haben. Aber selbst wenn, bleibt immer noch die Bedrohung durch Kimber, diesen gottverdammten Kerl. Das habe ich mit ihrer Angst gemeint.«

Bei diesen Worten wurde Stephen das Herz schwer. Kimber, der »gottverdammte Kerl«, hatte Jack eingeredet, dass sich im Abraum der uralten Bleiminen auf seinem Land Silber nachweisen ließe und dass dieser Abraum durch einen geheimnisvollen Prozess dazu gebracht werden könnte, das Edelmetall abzuscheiden, weshalb bei Investition einer gewissen Summe ein enormer Profit erzielt würde. Nach dem wenigen, was Stephen von Metallurgie verstand, war die Sache physikalisch in etwa plausibel, aber er und Sophie hatten Kimber trotzdem als Betrüger eingeschätzt, als einen der vielen Geldhaie, die Seeleute an Land umlauerten. Stephen wusste, dass Jack Aubrey auf seinem Element, der See, ungeheuer tüchtig und im Kampf so pfiffig und vorausschauend wie Odysseus war, dass er selbst überaus trickreich handelte, aber nur selten ausgetrickst werden konnte. Doch von seiner Klugheit oder auch nur seinem gesunden Menschenverstand an Land hielt er wenig und hatte sein Bestes getan, um ihn vor dem Ränkeschmied zu warnen. »Wenn ich mich erinnere, hast du ihm doch vertraglich enge Fesseln angelegt«, sagte er beschwörend.

»Ja.« Jack mied Stephens Blick. »Ja, ich bin deinem Rat gefolgt, zumindest teilweise. Aber Tatsache ist, Stephen – Tatsache ist, dass ich in der Hektik unseres Aufbruchs und weil ich mich um die Pferde und die neuen Stallungen kümmern musste, einige Papiere, die er mir noch abends brachte, unterzeichnet habe, ohne sie genauer zu lesen. So eigenmächtig, wie er’s treibt – neue Straßen, Kahlschläge, Abraumtransporte, Dampfmaschinen, Neubauten, sogar gewisse Andeutungen über die Ausgabe von Aktien –, könnte man denken, dass auch eine unbeschränkte Vollmacht darunter war.«

»Du hast diese Papiere gar nicht durchgelesen, stimmt’s?«

»Nicht bis zum Schluss, sonst hätte ich natürlich Lunte gerochen. Ganz so blöd bin ich nicht, weißt du?«

»Hör zu, Jack«, sagte Stephen. »Falls du jetzt darüber nachgrübelst, ohne fachkundigen Rat und ohne Unterlagen, nützt du dir kein bisschen, sondern wirst höchstens krank vor Sorge. Ich kenne deine Konstitution besser als jeder andere: Sie ist nicht dazu geschaffen, längeres und vor allem sinnloses Grübeln schadlos zu überstehen. Du musst dir jetzt geistige Disziplin auferlegen, mein Bester. Bedenke, dass du dank dieses günstigen Befehls eher zu Hause eintreffen wirst als der schnellste Kurier – du bist dein eigener Eilbote – und dass es im Augenblick deine vornehmste Pflicht ist, in vernünftigem Rahmen heiter zu sein oder zumindest heiter zu wirken. Beschäftige dich mit Freiluftspielen wie dem Match heute Nachmittag, bis die Flèche eintrifft. Lenke dich mit Arbeit ab, und flüchte dich nicht in die Einsamkeit. Das rate ich dir allen Ernstes als dein Arzt, Bruderherz.«

»Da hast du wohl recht, Stephen. Trübsalblasen und Fluchen wären jetzt bestimmt genau das Falsche. Ich werde mich an Land vergnügen, bis die Flèche gemeldet wird. Eigentlich müsste ich mich jetzt mit den Schiffspapieren einschließen – den Rechnungen, der Musterrolle, dem Krankenstand, den vierteljährlichen Proviantlisten, den Quittungsbüchern von Zimmermann, Stückmeister und Bootsmann, den Orderlisten, dem Postbuch und so weiter. Aber sie sind ja über Bord gegangen, alle außer dem Logbuch, meinem Bericht und einem kleinen Rest, den ich dem Admiral übergeben habe. Also kann ich mich guten Gewissens verlustieren. Trotzdem muss ich dir gestehen, Stephen, dass ich das Eintreffen der Flèche kaum erwarten kann, obwohl ich für mein Leben gern Kricket spiele. Falls wir nicht bereits nach Hause beordert wären, würde ich jetzt um Urlaub ersuchen, oder sogar den Dienst quittieren, nur um heimzukommen.« Mit grimmiger Miene verfiel er ins Grübeln. Doch dann gab er sich einen sichtbaren Ruck.

»Ist das deine Keule, Stephen?«, fragte er.

»Ja. Der Zimmermann hat sie mir gerade aus dem Rohling geschnitzt. Jetzt will ich die distale Extremität mit einer Knochenfeile bearbeiten, um die Ausbuchtung zu vertiefen.«

»Mit ihrer seitlichen Aufkimmung erinnert sie mich an die Keule, die mein Großvater daheim hatte.« Jack wog das Holz in der Hand.

»Aber findest du sie nicht etwas leicht, Stephen?«

»Keineswegs. Das ist der schwerste Hurlingstock, der jemals aus dem tödlichen Upasbaum geschnitzt wurde.«

Das Match begann pünktlich zur vollen Stunde, jedenfalls nach der Uhr des Admirals. Jack gewann das Los und wählte die erste Schlägerpartei. Gewiss war Kricket ein demokratisches Spiel, aber Demokratie war nicht gleich Anarchie, deshalb mussten bestimmte Anstandsregeln eingehalten werden. So führte der Kommandant der Leopard, gemeinsam mit seinem Ersten Offizier, die Schlägerpartei an und der Admiral die angreifende Werferpartei. Dieser ballte bergab gegen Babbington. Dazu nahm er den Ball von seinem Kaplan entgegen, rieb ihn eine Weile glatt und fixierte dabei den Leutnant mit stählernem Blick. Dann tat er einen Satz und warf einen tückischen Lob. Der Ball prallte ziemlich hoch am äußeren Pfosten ab, und Babbington schickte sich an, ihn zurückzuschlagen. Doch der Ball nahm Richtung auf sein Gemächte, weshalb Babbington noch weiter zurücksprang und den Ball sauber dem Admiral in die Hände schaufelte: Brüllender Applaus vonseiten der gegnerischen Cumberlands dankte es ihm.

»Na, wie war das?«, fragte der Admiral seinen Kaplan.

»Sehr schön, Sir«, antwortete der Kaplan. »Will sagen: Das Aus für ihn.«

Niedergeschlagen kehrte Babbington zu seiner Mannschaft zurück.

»Nehmen Sie sich in Acht vor dem Admiral«, sagte er zu Hauptmann Moore von den Seesoldaten der Leopard, dem nächsten Schlagmann. »Das war der gemeinste Twister, den ich je erlebt habe.«

»Die erste Stunde oder so spiele ich auf Nummer sicher und zermürbe ihn«, versprach Moore.

»Sie müssen sich nach vorn werfen und den Ball mitten im Flug abfangen«, riet Doudle. »Nur so können Sie ihn bei seiner Länge kriegen – nur so kann man diese Lobs parieren.«

Einige Leopards pflichteten ihm bei, andere hielten es für besser, sich Zeit zu lassen und erst ein Gefühl für den Dreistab zu entwickeln. Und so marschierte Hauptmann Moore, verfolgt von einer Flut gegensätzlicher Ratschläge, ins Feld.