Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 24: Auf verweht geglaubten Spuren - Axel J. Halbach - E-Book

Kara Ben Nemsi - Neue Abenteuer 24: Auf verweht geglaubten Spuren E-Book

Axel J. Halbach

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Beschreibung

ls Kara Ben Nemsi und Sir David Lindsay ihren Freund Hadschi Halef Omar und seinen Stamm der Haddedihn besuchen, können sie nicht ahnen, dass dieser Freundschaftsbesuch, sie mit längst vergessenen Ereignissen aus der Vergangenheit konfrontieren und in ein neues Abenteuer verwickeln wird. Indem sich Halefs Sohn in die Schwester eines kurdischen Kaufmanns verliebt, löst er, ohne es zu ahnen, längst verweht geglaubte Blutrachegelüste aus, die ihn, seinen Vater und dessen Freunde in höchste Gefahr bringen.

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Seitenzahl: 319

Veröffentlichungsjahr: 2025

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In dieser Reihe bisher erschienen:

1801 Die Rückkehr des Schut

1802 Die Rache des Schut

1803 Der Fluch des Schut

1804 In der Gewalt des Schut

1805 Das Geheimnis des Schut

1806 Der Krieg des Schut

1807 Die Schatzräuber und die Felsenstadt

1808 Das Königsgrab in der Felsenstadt

1809 Das Vermächtnis aus der Felsenstadt

1810 Die Shejitana

1811 Im Reich der Shejitana

1812 Königin Shejitana

1813 Die Reise zum Toten Meer

1814 Die Stadt am Toten Meer

1815 In der roten Wüste

1816 Die El-Wahabiya-Bande

1817 Karawanentod

1818 Auf dem Weg zu Halef

1819 Im Tal der Herba Juvenilis

1820 Der Blick des Tetrapylon

1821 Schwarzes Elfenbein

1822 Von Leptis Magna in den Dschebel Nefusa

1823 König Salomons Diamanten

1824 Auf verweht geglaubten Spuren

1825 Der Mokkadem

Auf verweht geglaubten Spuren

KARA BEN NEMSI

BUCH VIER­UND­ZWANZIG

AXEL HALBACH

VOLKER KRISCHEL (HRSG.)

Inhalt

1. Endlich ein Wiedersehen

2. Im Duar es Taami

3. Eine Verschwörung in Es Naharak

4. Ein Frühlingsfest mit Zwischenfällen

5. Zur Seribah et Timsah

6. Ein Trunk im Menzil es Lagmi

7. In Mossul

8. Ein Zwischenfall im Chan es Furkan

9. Abrechnung in Nusebin

10. Ausblick

Nachwort

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

In unserem Shop ist dieser Roman auch als E-Book lieferbar.

Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt. Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.

Copyright © 2025 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Andreas-Hofer-Straße 44 • 6020 Innsbruck - Österreich

Redaktion: Danny Winter

Titelbild: Mario Heyer unter Verwendung der KI Software Midjourney

Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Alle Rechte vorbehalten

eBook Satz: Gero Reimer

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-68984-579-7

1824vom 03.10.2025

Eine Reiseerzählung nach den Charakteren

von Karl May

Aufgeschrieben von Axel J. Halbach

aus seinem literarischen Nachlass herausgegeben von Volker Krischel

Kapitel1

Endlich ein Wiedersehen

„Master Nemsi - Sie müssen zugeben: A wonderful trip! Warum anfangs so zögerlich gewesen? Gefallt Ihnen meine Lindsay nicht mehr? Shame! Fast ein Jahr jetzt, seit wir zuletzt…

„Sie haben ja völlig Recht, Sir David! Aber meine Arbeit! Als wir zu dieser geheimnisvollen Insel im Golf von Mexiko unterwegs waren, hatte ich noch nicht einmal meine Erlebnisse im Land der Saguaros zu Papier gebracht! Und was sich dann dort auf der Insel entwickelte ... Sie werden sich erinnern ...“

„Erinnern? Master Nemsi - don’t be silly! War eine absolutely phantastic experience - außerordentlich, unforgettable - aber ... can you imagine? Diese ganzen damned Ignoranten im Travellers Club in London - nicht ein Wort haben sie mir geglaubt!“

„War das nicht immer so? Vielleicht sollten Sie endlich den Club wechseln ...“

„Andere noch viel schlimmer! Diese abgehalfterten Militärs aus Indien, Kapitäne, die alles besser wissen, weil sie angeblich die ganze Welt befahren haben, Forschungsreisende aus dem finstersten Afrika - keiner, absolutely nobody hat mir geglaubt! Hätte nicht nur eine blühende, sondern eher fast schon krankhafte Phantasie! Sollte mich lieber in Hampstead um meinen Rosengarten kümmern, anstatt solche Lügengeschichten zu verbreiten! Ehrenrührig, yes - unbelievable ...“

„Mein guter Lord - Tatsache ist aber doch auch, dass unsere Erlebnisse auf dieser Insel ... nicht gerade ... als besonders glaubwürdig angesehen werden können ...“

„Erlebnisse? Was für ein understatement! The highlight of my life! Remember? Kriechschlingpflanzen, Säbelzahnhasen und dieser phantastic Saugfußdrachen! Have you ever seen anything similar?“

„Natürlich nicht, Sir David! Aber gerade weil es doch so absolut unglaubwürdig erscheint...“

„No excuse, not at all! War das größte Abenteuer meines Lebens!“

„Das für Sie sehr leicht als Sklave auf einer Zuckerrohrplantage auf Trinidad oder in Guayana hätte enden können!“⁠1

„Hätte man mir auch nicht geglaubt, I’m damned sure! Werde den Burschen noch die Leviten lesen! Aber - damn it all - sind ganz vom Thema abgekommen! Warum so zurückhaltend in the beginning, als ich neue Reise vorschlug?“

„Die Arbeit, Sir David! Nichts anderes! Und die ständige Mahnung meines schlechten Gewissens!“

„Schlechtes Gewissen? Why that? Warum? Wem gegenüber?“

„Sie wissen doch - Halef, mein lieber Freund, Gefährte und Beschützer - zumindest sieht er selbst sich so - mehr als drei Jahre sind jetzt vergangen, seitdem wir zuletzt zusammen waren - als Sie als Derwisch Mekka unsicher machten!⁠2 Und dann kam dieser Brief, dieser kürzliche Brief...“

„A letter? You didn’t tell me! Von Halef? Worüber?“

„Ja, von Halef - und er hat mich sehr kleinlaut gemacht!“

„Kleinlaut? Oh yes - seltene Eigenschaft bei Ihnen! Aber umso froher müssten Sie jetzt doch sein, wir sind doch auf dem Weg zu ihm!“

„Endlich, ja. Ich muss die Gedanken an das, was zu Hause auf mich wartet, endlich in die hinterste Ecke meiner Zellen verstecken!“

„No problem - sind doch auch sonst Meister im Verstecken! Hauptsache, man findet’s irgendwann wieder.“

„Da bin ich mir ziemlich sicher! Aber wie dem auch sei - dieser letzte Brief von Halef hat dann den Ausschlag gegeben, dass ich Ihr Angebot nicht mehr zögerlich, sondern mit großer Freude annahm.“

„Well - hope so! Abenteuer, yes! Adventure! Endlich wieder!“

„Nein, Sir David - kein Abenteuer! Es handelt sich um nichts anderes als um einen reinen Freundschaftsbesuch bei den Haddedihn, die ja auch Ihnen nahestehen ...“

„Freundschaftsbesuch?! Ha! Haben Sie schon einmal einen Freundschaftsbesuch gemacht, ohne dass daraus sofort ein phantastic Abenteuer entstand?“

„Nun ... ehrlich gesagt ... es war tatsächlich ... bisher ...meistens ... aber dieses Mal ganz bestimmt nicht!“

„Ha! By Jove! Ich wette, Sie glauben’s selbst nicht! Um wieviel?“

„Was? Wie? Ich verstehe nicht…

„Nun - um was, um wie viel wollen wir wetten?“

„Aber Sir David, das ist doch lächerlich! Außerdem wissen Sie seit langem - ich wette nie!“

„Großer Fehler, yes! Werde trotzdem gewinnen, sure as hell!“

Es ist nicht schwer zu erraten, wo dieses Zwiegespräch zwischen dem guten Lord und mir stattfand - an Bord seiner Yacht Lindsay natürlich, bei herrlichem Sonnenschein, es war Mitte April und wir hatten gerade die Meerenge von Gibraltar in östlicher Richtung passiert.

Es waren tatsächlich drei Jahre vergangen seit meinem, unserem letzten Aufenthalt bei den Haddedihn und die Erinnerung an die damaligen Ereignisse, als Sir David als Derwisch verkleidet in der für Christen verbotenen Stadt Mekka für allerlei Verwicklungen sorgte, waren immer noch recht frisch. Heute aber stand aus meiner Sicht wirklich nur das lange vermisste Wiedersehen mit meinem unverwechselbaren Hadschi Halef Omar auf dem Programm und dabei sollte es - Inschallah! - definitiv auch bleiben! In den vergangenen Jahren war der briefliche Kontakt tatsächlich der einzige zwischen uns gewesen.

Sir David hatte mich in den vergangenen Monaten schon lange bekniet, mit ihm und seiner Yacht wieder auf Fahrt zu gehen - aber, wie gesagt, der volle Schreibtisch zu Hause ... den Ausschlag gab dann schließlich das schon erwähnte letzte Schreiben von Halef - als ich das gelesen hatte, gab es wirklich keine stichhaltige Entschuldigung mehr.

Wir waren seit einer guten Woche unterwegs, in Hamburg war ich an Bord gekommen und jetzt ging es wie gesagt in östlicher Richtung durch das azurblaue, nur leicht gekräuselte Mittelmeer. In zwei, drei Tagen hofften wir, Port Said zu erreichen, um dann durch den erst vor wenigen Jahren eröffneten Suezkanal das Rote Meer zu erreichen. Von Suez aus würden wir dann noch einmal ein, zwei Tage nach Süden schippern bis zu dem kleinen Küstenort Al Wajh am Westufer der Arabischen Halbinsel. Dort würde die Yacht sicher vertäut im kleinen Hafen des Fischerortes verbleiben, während Sir David und ich uns per Wüstenschiff in das Innere Arabiens aufmachen würden. Zu den Weidegründen der Haddedihn waren es dann noch einmal zwei bis drei Tage - das war unser Plan und es sprach auch nichts dagegen, dass er sich mehr oder weniger so realisieren würde.

Natürlich war dabei nicht zu vergessen, dass sich der gute Lord trotz seiner inzwischen mehrfachen Bekanntschaft mit dem Kamel (genauer Dromedar) noch immer mit dem Wüstenschiff auf Kriegsfuß befand - für ihn wurde es deshalb durchaus Zeit, auch seine letzten noch verbliebenen Animositäten zu überwinden - und dazu war der unvermeidliche Kamelritt zu den Haddedihn eine willkommene Übung.

„Hey - Master Nemsi - are you sleeping?“

Ich schreckte auf.

„Nein, keineswegs, Sir David. Nur in Gedanken versunken.“

„Dann lassen Sie mich endlich hören, was der gute Halef so geschrieben hat!“

„Hören? Geschrieben? Was ... was meinen ...“

„Den letzten Brief von ihm, for sure! Ohne ihn wären sie ja jetzt gar nicht hier! Was hat der kleine Kerl auf dem Herzen? Wie geht es ihm?“

„Sie haben recht - also dann ...“

Ich holte das zusammengefaltete Schreiben aus meiner Jackentasche. Es war ein langer Brief - auch ein Zeichen, wie sehr er mich all die Jahre vermisst haben musste. Ich las:

Mein lieber, über alles verehrter, tapferer, unbesiegbarer, aber ... aber ... leider auch treuloser Sihdi!

Die Jahre sind vergangen, der Mond hat viele Dutzend Mal seinen Lauf vollendet - und noch immer warte und warte ich! Warte ich auf Dich, um wieder von Deiner Weisheit zu lernen, um an Deinen Erfolgen im Kampf gegen das Böse auf dieser Welt teilhaben zu können, um Dich zu beschützen, damit Du noch lange der unbezwingbare Schrecken dieser elenden Schafläuse bleibst, die da meinen, unsere wunderbare Erde mit Tränen, Trauer und Tod überziehen zu können!

Ja, Du hast mir geschrieben, geschrieben von den wunderbaren Erlebnissen und Erfolgen, die Du ohne mich gehabt hast - aber Allah weiß es, vielleicht habe ich Dich auch aus der Ferne beschützen können? Und wie wird es weitergehen? Wirst Du weiter ohne mich den Schurken dieser Welt das Fürchten lehren oder denkst Du auch einmal daran, endlich Deinen kleinen Hadschi wiedersehen zu wollen?

Allah weiß es - die Jahre sind nicht ohne Spuren vergangen! Wie viele wird der Allmächtige uns noch schenken? Hast Du nicht vor Jahren schon einmal gesagt, dass wir jetzt wohl die Mitte unseres Lebens erreicht, wenn nicht gar schon überschritten haben? Ich zähle jetzt schon so viele Sonnenläufe, wie der Stamm der Haddedihn prächtige Araberpferde auf der Weide hat - ganze 45! Und das hat Folgen - schreckliche, unaussprechliche Folgen!

Die unvergleichliche Schärfe meiner Adleraugen lässt leider nach - kürzlich dachte ich, ein dämliches Schaf hätte sich aus dem Kraal davon gemacht - und dann war es mein Lieblings-Hedschin, das wir erst nach Tagen in der Weite der nach guten Regenfällen begrünten Wüste wieder einfangen konnten! Allah kherim - wo wird das noch hinführen? Aber nein - nicht nur das! Du weißt, wie stolz ich auf meine zwölf Barthaare bin - nein, war, denn — Esch el Musebedi, welches unfassbare Unglück! Es sind nur noch elf und bald wird man mich Abu el Hadascht scharin — Vater der nur noch elf Haare - nennen! Und wenn noch weitere Jahre kommen und gehen - meine Verzweiflung beginnt schon, die Steine meiner linken Wanderniere zu zerknirschen!

Und, mein lieber Sihdi, dem Allerhöchsten sei es schmerzvoll geklagt - nicht nur ich, auch Hanneh, die herrlichste aller Blumen des Paradieses, ist älter geworden! Auch bei ihr neigt sich die Blüte des Frühlings und der so wohltuende Fruchtstand des Sommers den welkenden Blättern des Herbstes zu! Ihre so sanfte, glatte, geschmeidige Haut beginnt sich zu furchen wie der Dünensand nach einem heftigen Regenguss und Silberfäden beginnen, ihr volles schwarzes Haar zu durchziehen! Was soll ich nur machen? Ich könnte sie ausreißen, eines nach dem anderen - aber wenn es dann zu viele werden, was ist dann? Abgrundtiefes Entsetzen erschüttert meinen Körper in Vorahnung einer beiderseits haarlosen Zukunft! Auch wenn sie natürlich dennoch meine edelste, schönste und beste Blume der Wüste bleibt - die Liebe ist eben der Senf für die Pfeffergurke des Lebens!

Und ich habe noch mehr zu berichten! Kara, unser Sohn, unser Herzstück, Augapfel und unsere Verbindung zur Zukunft, ist ein ansehnlicher junger Mann geworden, auf den sich viele weibliche Blicke richten, nicht nur die von Hanneh, für die er das Ganze - ich hoffe, nur fast das ganze - Glück dieser Erde ist, denn ein bisschen sollte auch für mich noch übrig sein. Er könnte heute sicher mehr als nur 30 Datteln - wie früher - in einem Atemzug verschlingen — aber nein, er verschlingt ganz etwas anderes, nämlich die Damenwelt, mit seinen Augen! Aber - Allah sei’s geklagt - noch immer hat er die Richtige nicht gefunden!

Sihdi - wann höre ich wieder von Dir, nachdem ich Dir meine Nöte geschildert habe? Wann sehe ich Dich wieder? Du wirst kommen, Sihdi, denn Du bist der Brunnen der Barmherzigkeit, Deine Güte ist größer als der Hammelrücken, den ich gerade verspeist habe - und Dein schlechtes Gewissen wird Dich zurück auf die Weidegründe der Haddedihn bringen!

Allah jekun ma’ak - Gott beschütze Dich und schenke Dir noch viele glückliche Jahre!

Dein älter gewordener Freund Hadschi Halef Omar ben Hadschi Abul Abbas ibn Hadschi Dawuhd Al Gossarah

Eine Weile schwiegen wir beide; dann sagte Sir David:

„A very touching letter! Wie konnte man nach diesen Worten noch im Zweifel sein, ob ...“

„Ich war es dann ja nicht mehr, Mylord! Im Gegenteil - mein schlechtes Gewissen verfolgt mich bis jetzt! Nur ein paar Tage noch, dann kann ich wieder ruhig schlafen!“

„Und ich freue mich nicht weniger, den kleinen Hadschi mit seinen jetzt nur noch elf Barthaaren wiederzusehen!“

* * *

„Aisha - das kann nicht wahr sein! Morgen schon will Dein Bruder Ibrahim mit den 20 Kamelen, die er von Nabil al-Hashim gekauft hat, aufbrechen und zurück nach Norden ziehen - und Du mit ihm! Was wird dann aus mir, aus uns? Ich liebe Dich und Du hast gesagt, Du erwiderst dieses Gefühl! Lass uns noch heute zusammen mit Deinem Bruder zu meinem Vater gehen, wo ich dann Deinen Bruder förmlich um Deine Hand bitten werde!“

„Kara - Du sprichst mir aus dem Herzen ... aber ... aber ... es geht nicht!“

„Aber warum denn nicht, Aisha? Ich weiß, ihr Frauen habt es schwer, ihr könnt nicht frei nach Eurem Gefühl und Willen entscheiden. Zudem gilt ja bei den Beduinen, dass Brautleute aus dem gleichen oder zumindest einem befreundeten Stamm kommen müssen. Aber das trifft doch auf Dich und Deinen Bruder gar nicht zu, auf den seit langem alle Pflichten Eures verstorbenen Vaters übergegangen sind! Ihr kommt aus dem Norden, wie Du sagtest, aus Kurdistan, ihr seid keine Beduinen! Mein Vater ist einer, ja - aber er hat sich längst über diese veraltete Tradition hinweggesetzt.“

„Ich weiß nicht, woran es liegt, Kara! Als ich meinem Bruder vor ein paar Tagen gestand, dass wir uns schon öfter während unseres jetzt dreiwöchigen Aufenthalts hier getroffen haben und dass bei uns eine große gegenseitige Zuneigung entstanden ist, da war er zuerst noch ganz ruhig. Dann fragte er nach dem Namen Deines Vaters und als ich den genannt hatte, war er von einem Augenblick auf den anderen rot und bleich im Gesicht vor Wut und Zorn! Nie würde er einer Verbindung von mir mit einem Sohn des Hadschi Halef Omar zustimmen! Er drohte sogar mit Rache - Eddem bi ’ddem - Blut um Blut, sagte er.“

„Aber warum, warum nur, bei Allah und allen seinen Engeln! Dein Bruder Ibrahim al Nirwan, ihr kommt Beide von weit her, ihr habt nie auch nur irgendetwas mit meinem Vater zu tun gehabt!“

„Ich weiß es wirklich nicht! Ursprünglich kommen wir nicht einmal aus Kurdistan, sondern hatten unseren Familiensitz viel weiter westlich. Wir stammen aus Albanien, dem Land der Skipetaren. Dort ist mein Vater, der sogar noch weiter, nämlich in Persien geboren wurde, auch umgekommen, das ist jetzt zehn Jahre her, ich war damals ein kleines Mädchen von sieben Jahren; mein Bruder ist sechs Jahre älter.“

„Umso unverständlicher ist das alles! Was ist nur der Grund für diese Abneigung Deines Bruders meinem Vater gegenüber? Sie kennen sich doch gar nicht, hatten nie irgendwelche Geschäfte miteinander, die immer zu Streitigkeiten führen können!“

„Du weißt, Kara - ich verstehe das ebenso wenig wie Du! Ich weiß nur - Allah sei’s geklagt! - , dass mein Vater leider kein aufrechter Mann gewesen ist. Mein Bruder ist da besser informiert, er war damals ja auch viel älter als ich, als das alles passiert ist. Aber er schweigt darüber. Jedenfalls mussten wir nach dem Unfalltod meines Vaters - er ist damals zusammen mit seinem Pferd in eine tiefe Schlucht gestürzt - unsere Heimat in Albanien verlassen und so sind wir dann, meine Mutter, mein Bruder und ich, nach Kurdistan gekommen.“

„Deine Mutter - lebt sie noch?“

„Nein. Sie ist nur ein Jahr später vor Gram gestorben. Mein Bruder und ich sind dann bei einem entfernten Verwandten aufgewachsen.“

„Ein trauriges Schicksal! Und Dein Vater hieß Kara Nirwan - mit dem gleichen Vornamen wie ich?“

„Ja, Kara. Auch deshalb bist Du mir so lieb, Du erinnerst mich an die schönen Stunden mit meinem Vater auf seinem Schoß, wenn er von seinen Geschäften nach Hause kam und mir unheimlich spannende Geschichten erzählte.“

„Geschäfte? Was waren das für Geschäfte?“

„Ich weiß es nicht, Kara. Ich hätte es damals sowieso nicht verstanden. Warum?“

„Ach, nur so. Vielleicht hatte Dein Vater ja damals mit meinem Geschäfte. Ich muss ihn mal fragen. Aber das alles bringt uns jetzt nicht weiter, liebe Aisha. Es geht um uns - und Du willst morgen für immer verschwinden! Das kann .... das darf nicht sein! Mir bricht das Herz!“

„Mir auch, Kara. Aber ich weiß keinen Ausweg.“

„Ich auch nicht oder vielleicht doch!“

„Was ... was ... woran denkst Du?“

„Ich werde Dir folgen - und Dich irgendwann, irgendwie entführen!“

„Adschab Allah - Wunder Gottes! Aber nein, das ist unmöglich, völlig unmöglich! Es wird Dein Tod sein und mich in die tiefste Verzweiflung stürzen!“

„Siehst Du denn eine andere Möglichkeit? Nein? Ich auch nicht! Reite deshalb morgen mit der Gewissheit im Herzen, dass ich Dir folge, dass ich Dir mal näher, mal weiter entfernt bin - dass ich Dich aber finden und holen werde - so sicher wie ich jetzt hier neben Dir sitze!“ „Kara - schau dort hinten - sie kommen zurück! Ich muss ins Zelt, bevor sie mich entdecken! Leb wohl, leb wohl, mein Liebster!“

Hastig sprang Aisha auf. In der Feme waren im letzten Sonnenlicht zwei schwarze Punkte aufgetaucht, die rasch näher kamen - sie wusste, es konnte sich nur um, ihren Bruder und ihren Gastgeber Nabil al-Hashim handeln, die den Tag über zu Verhandlungen in einem kleinen, etwa drei Reitstunden entfernten Dorf gewesen waren. Ein schneller, letzter Kuss - und schon war sie auf und davon zu dem etwa 200 Meter entfernten, imposanten Zelt des Rennkamel-Züchters Hashim, das sie ungesehen von den näher kommenden Reitern erreichte und in das sie durch einen Seiteneingang hineinschlüpfte.

Das Gespräch zwischen den Beiden hatte, vom Zelt aus unbeobachtet, am Fuß einer kleinen Felsenklippe stattgefunden, hinter der Kara sein Pferd an einem kleinen Klippenvorsprung festgebunden hatte. Auch er war jetzt mit wenigen Schritten dort, löste das Halfter und ritt in Gegenrichtung in die beginnende Dämmerung hinein, zurück, zu dem Zeltdorf der Haddedihn, das etwa zwei Stunden entfernt war.

Ein paar Erläuterungen sind zum Verständnis des Vorangegangenen noch notwendig. Wie dem Brief von Halef schon zu entnehmen gewesen war, befand sich sein Sohn Kara jetzt in dem Alter, in dem ein junger Mann seiner Herkunft beginnt, sich eine Lebensgefährtin zu suchen. Natürlich hatte Halef gehofft, dass eine der vielen Blumen der Haddedihn sein Gefallen und sein Interesse finden würde. Nun war das aber leider - aus Halefs Sicht - nicht so. Kara unternahm - nicht nur, weil er auf Brautsuche war - auf seinem rassigen Araber- Hengst Assil ben Rih immer ausgedehntere Streifzüge in die nur sehr spärlich besiedelte Umgebung und verließ dabei auch immer häufiger das eigentliche Stammesgebiet der Haddedihn, nicht zuletzt von dem Wunsch angetrieben, sich mit dem weiteren Umfeld vertraut zu machen. Schließlich würde er einmal Sheikh der Haddedihn sein - das verpflichtete.

Er hatte von seinem Vater erfahren, dass sich schon vor einiger Zeit ein gewisser Nabil al-Hashim vom Stamm der Beni Khalid, der eigentlich viel weiter südlich im Inneren Arabiens seine Weidegründe hat, an der Grenze zum Siedlungsraum der Haddedihn niedergelassen hatte. Dort war von Hashim mit großem Erfolg eine Rennkamelzucht ins Leben gerufen worden und die war es, der Kara auf einem seiner Streifzüge einen Besuch abstatten wollte. Zu dem eigentlichen geplanten Besuch kam es dann aber gar nicht - schon als er das erste Mal dort auftauchte und an der besagten Klippe Aisha im Schatten eines Sonnenschirms mit einer kleinen Handarbeit sitzen sah, wusste er, die Frau seines Lebens gefunden zu haben. Zu einer näheren Bekanntschaft mit Nabil al Hashim kam es deshalb nicht.

Aisha, die bis dahin nur wenig Kontakt zu jungen Männern gehabt hatte, erwiderte seine Gefühle schon nach kurzer Zeit voll und ganz - aber das Gespräch der Beiden machte deutlich, dass es für sie dennoch offenbar keine Zukunft gab. Warum das so war, das war Beiden ein Rätsel. Nabil al Hashim und Halef hatten sich zwar gegenseitig den obligatorischen Nachbarschaftsbesuch gemacht, dabei war es dann aber geblieben. Es gab keine Feindschaft, aber auch keine besondere Freundschaft zwischen ihnen. Sie waren Nachbarn und sie ließen sich in Ruhe - das war Beiden genug.

Warum dann diese merkwürdige Reaktion des Ibrahim al Nirwan, der doch nur zu Geschäften dort war, um Kamele zu kaufen und ansonsten zu niemandem in der gesamten Umgebung Kontakt hatte oder den einen oder anderen gar näher kannte?

Kara schüttelte auf seinem Heimweg immer wieder den Kopf. Er wusste es nicht. Er musste mit seinem Vater sprechen.

* * *

Bis jetzt war alles nach Plan verlaufen. Wir hatten den Suezkanal passiert und nach weiteren zwei Tagen Al Wajh erreicht, wo die Lindsay mit ihrer Mannschaft vor Anker blieb, während Sir David und ich uns auf dem Kamelmarkt nach zwei geeigneten Wüstenschiffen umsahen. Wir hatten auch bald das Geeignete gefunden, wobei aber beim guten Lord immer noch eine ziemliche Skepsis offenbar wurde: „You mean, Master Nemsi, you mean - wirklich kein Pferd? Nur so ein damned camel?“

„Sir David - uns bleibt nichts anderes übrig! Die Wüste Nefud, in die wir jetzt hineinreiten, besteht nicht immer nur aus steinigen Flächen, Felsen und Geröll! Endlose Sandebenen liegen vor uns und Wanderdünen wälzen sich über die Fläche und treiben langsam nach Süden zur Großen Arabischen Wüste hin. Dieser Teil Arabiens wird deshalb auch Rub Al-Chali, leeres Viertel genannt. Für die Nefud als solche gibt es auch die Bezeichnung Takla Makan - Wüste ohne Wiederkehr. Und wiederkehren wollen wir doch wohl?“

„Selbstredend, for sure. Aber camel...“

„Guter Lord - Sie werden sich doch noch an Ihren Kamelritt erinnern, als wir unterwegs zu König Salomons Diamanten waren?“

„Naturally! Wonderful experience!“

„Nun also - was stört Sie dann heute?“

„Das camel, damn it all! Kann mich noch gut erinnern - war kein sanftes Schaukeln wie auf der Lindsay, sondern bloody Schüttelfrost! Wäre ich aus Milch, dann wäre am Ziel nur noch Butter vom camel heruntergelaufen!“

„Nun übertreiben Sie aber! Mit einem Pferd würden wir zwar die steinigen Flächen schneller hinter uns lassen können, aber nur, um anschließend im Sand stecken zu bleiben! Ein Kamel geht nicht wie das Pferd auf Hufen, sondern auf Schwielensohlen, die groß und breit wie Suppenteller mit weichem Lederpolster sind. Dadurch bewähren sie sich nicht nur im Sand, sondern auch im felsigen Gebirge.“

„Great! Phantastic creature! But nevertheless - schon allein der Gedanke an das Aufsteigen treibt mir die Schweißperlen auf die Stirn!“

„Warum das?“

„Well, you know - das camel liegt am Boden und man sitzt oben drauf, ahnungslos, completely! Dann steigt es plötzlich mit einem solchen Ruck hinten hoch, dass man unversehens über den Kopf fliegt - und mitten im Flug dann geht es vorne in die Höhe, so dass man zurückgeworfen wird und über den Schwanz herunterrutscht! Wenn man vorher noch etwas im Magen hatte, ist der jetzt leer, for sure!“

„Prima, Sir David - Sie wissen also genau, was Sie erwartet und können sich darauf einstellen.“

„By Jove - Sie sind ein harter Brocken! Aber wenn es schon unbedingt und überhaupt ein camel sein muss, dann will ich wenigstens auch einen Tach ... Tach ...“

„Tachtirwan, meinen Sie? Dieses unförmige Gestellt, das vor allem Frauen vor unziemlichen Blicken schützen soll?“

„Yes, das meine ich.“

„Kommt leider auch nicht in Frage, Sir David! Damit wären wir noch langsamer als ohnehin schon und wenn ein Wüstensturm aufzieht, könnte es sein, dass Sie mitsamt dem Ding durch die Lüfte fliegen! Nehmen Sie all‘ Ihren Mut zusammen, steigen Sie auf, halten sich fest - und los geht’s!“

„Wäre ich jetzt Halef, würde ich sagen: Allah Kherim, gnädiger Gott, hab‘ Erbarmen mit mir unwürdiger Kreatur! Aber da Sie kein Erbarmen haben, wird es der Allmächtige wohl auch nicht haben! Dann also: Auf in den Kampf!“

Sir David bestieg mit entschlossener Miene das vor ihm liegende Wüstenschiff, ich tat das gleiche und nach einigen „Aaah ... oooh ... are you crazy? Never again! Inschallah - I’m still living!“ waren wir schließlich unterwegs.

Vor uns lag ein anstrengender Ritt durch menschenleere Ödnis, dazu die Hitze, die jetzt, in der zweiten April-Hälfte, schon ganz beachtlich war. Natürlich hatten wir uns mit allem versorgt, was voraussichtlich notwendig war: Wasser, diverse Nahrungsmittel, warme Decken für die Nacht, denn irgendeine Herberge lag nicht an unserem Weg - und natürlich unsere Waffen: Henrystutzen, Bärentöter, zwei Revolver und ein scharfes Bowiemesser begleiteten mich, während Sir David einen modernen Doppellader bei sich hatte; er war während unserer vergangenen Abenteuer zu einem ganz passablen Schützen geworden, konnte sich aber mit dem Revolver, obwohl er einen im Gürtel stecken hatte, noch nicht so recht anfreunden. Dass auch ein respektables Messer zu seiner Ausrüstung gehörte, war ebenso selbstverständlich wie bei mir eine helle Kufiya mit dunklem Aqal⁠3 und bei Sir David ein breitkrempiger Hut, die bei uns Beiden den Kopf und Nacken vor der Sonne schützten. Auf ein drittes Kamel als Packtier hatten wir verzichtet und unsere verschiedenen Utensilien hinten auf dem Kamelrücken befestigt. Und so ging es dann trotz der gegenwärtig um die Mittagszeit größten Tageshitze in die Wüsten hinein ...

Der Tag verging ohne weitere besondere Ereignisse und die Kühle des Abends brachte uns hitzegeplagten Europäern endlich eine lang ersehnte Abkühlung, bevor die überraschende Kälte der sternklaren Nacht uns trotz zweier Wolldecken ziemlich bibbern ließ. Als uns ein heißer Tee am nächsten Morgen endlich wieder erwärmte, meinte Sir David:

„That’s really British - tea in the morning! Unsere Erfindung, yes! Könnte mir gleich noch eine ganze Kanne zu Gemüte führen, don’t you think so?“

„Lieber nicht, Mylord! Wir haben zwar für alles gesorgt, aber mit dem Wasser müssen wir trotzdem haushalten! Sie haben schon gestern für eine ganz schöne Abnahme unserer Vorräte gesorgt! Nehmen Sie sich ein Beispiel an unseren Kamelen!“

„Heavens! Die haben überhaupt nichts bekommen! Müssen wir denen auch noch ...“

„Zum Glück nicht, Mylord! Dann wären wir schon längst am Ende! Bei Karawanenreisen ist so ein Wüstenschiff bis zu sieben Tage unterwegs ohne zu trinken. Sein Wiederkäuermagen fasst mehr als 150 Liter Wasser, das sich dann rasch im ganzen Gewebe des Körpers verteilt. Der Höcker auf dem Rücken ist nicht etwa ein Wasserreservoir, sondern Fettreserve. Bei guter Weide mit saftigen Kräutern braucht man ein Kamel sogar wochenlang nicht zu tränken!“

„Great Lord! Impossible!“

„Auf jeden Fall aus unserer Sicht. Es gibt kein Tier, das besser an die lebensfeindlichen Verhältnisse der Wüste angepasst ist. Aber damit jetzt genug - wir müssen weiter, etwa anderthalb Tagesreisen liegen noch vor uns!“

Kurz darauf waren wir wieder unterwegs. Allah schenkte uns keinen Schatten - mal ging es über eine baum- und strauchlose, mit Sand und losem Kies bedeckte Ebene, dann wieder folgten mäßig hohe Dünenkämme in scheinbar endloser Folge, nur um uns dann in ein zerklüftetes Felsgewirr hineinzuführen und danach wieder die konturlose Sandfläche fast bis zum Horizont. Ein Vergnügen war dieser Ritt nicht, das musste ich zugeben - und keine Menschenseele weit und breit ... fast keine, denn nur ein einziges Mal kreuzte ein Beduine mit wehendem Burnus unseren Weg, der sein Tier aus welchem Grund auch immer zu schnellster Gangart angetrieben hatte. Ein galoppierendes Kamel - das stellten wir beide fest - verwandelt sich tatsächlich in eine Karikatur seiner selbst. Sir David kommentierte sehr treffend:

„By all means! Habe noch nie so einen davon hüpfenden Riesensack gesehen, der seine Beine nach allen Seiten in die Luft wirft! Funny creature, really!“

Und damit hatte er völlig recht. Sonst aber mangelte es sehr an Abwechslung. Der Nachmittag kam, der Abend und wieder eine erbärmlich kalte Nacht, aber als wir am folgenden Morgen wieder unterwegs waren, konnte ich wenigstens eine tröstliche Bemerkung machen:

„Mylord, jetzt haben wir es bald geschafft! Gegen Mittag müssten wir bei den Zelten der Haddedihn sein.“

„Hopefully, yes! By all devils - werde sonst wirklich noch seekrank auf dieser schwankenden Schaluppe!“

Als wir etwa weitere vier Stunden bei ständig steigender Hitze hinter uns gebracht hatten, begann sich die Hochebene vor uns allmählich sanft zu neigen und auf der bislang vegetationslosen Kies- und Sandfläche zeigten sich vereinzelte Grashalme, dann immer mehr, kleine Kräuter und schließlich sogar windzerzauste Büsche mit kleinen, ledrigen Blättern und - ja, tatsächlich! - in Senken mit besonders hoch stehendem Grundwasser tauchten die ersten Palmengruppen auf - immer deutlicher wurde, dass wir uns dem Siedlungsgebiet der Haddedihn näherten. Nach einer weiteren halben Stunde kreuzten die ersten kleinen Schaf- und Ziegenherden unseren Weg und ich beobachtete, wie einer der sie beaufsichtigenden Jungen sich eilig auf den Weg zurück zum Dorf machte - zweifellos um die baldige Ankunft von zwei fremden Kamelreitern zu melden. Fremde waren ein seltenes Ereignis hier und immer mit der Frage verbunden: Was wollten sie? Kamen sie in guter oder böser Absicht?

Und dann tauchten sie auf, die ersten Zelte, an denen wir vorbeiritten, denn Halefs Heim - ein größeres, auch äußerlich dank verschiedener Verzierungen sehr ansprechendes Zelt, wie es sich für den Häuptling eines Stammes gehörte - befand sich etwa in der Mitte des Dorfes.

Wir waren noch etwa 30 Meter entfernt, als er zufällig heraustrat und wie vom Donner gerührt stehen blieb. Natürlich hatte er uns Beide trotz seiner offenbar weniger scharfen Augen sofort erkannt und auch er war für mich völlig unverändert, unverwechselbar, wobei sein überdimensionierter Turban im Vergleich zu Kopf und Körpergröße jedes andere Merkmal des kleinen Hadschis in den Schatten stellte.

Und dann waren es nur noch zehn Meter ...

„Sihdi ... mein Sihdi ... Adschab Allah ... Wunder Gottes! Du bist es! Du bist es wirklich! Mit Haut und Knochen, mit... mit...“

„Mein guter Halef - es wurde doch wohl Zeit, nicht wahr? Und hier, Sir David, unseren lieben Lord und Derwisch vergangener Zeiten - Du wirst ihn doch nicht übersehen haben?“

„Wie ... wie ... wie könnte ich ... ich bin ... ich bin ... so unter- und überrascht ... so unter- und überwältigt ... ich finde keine Worte ... kommt endlich herunter von diesen langbeinigen Kreaturen der Wüste ... kommt in meine Arme ... jetzt, auf der Stelle, gleich, sofort!“

Auf weitere Einzelheiten unserer Begrüßung kann ich hier verzichten - es war, als hätten wir uns gestern zum letzten Mal gesehen, als wären nicht mehr als drei Jahre seit unserem letzten gemeinsamen Abenteuer in Mekka vergangen. Natürlich war Hanneh, die schönste Blume der Wüste, inzwischen auch aus dem Zelt herausgekommen und unsere Begrüßung war nicht weniger herzlich. Ja - es gab schon etliche Silberfaden, die ihr schwarzes Haar durchzogen und die eine oder andere Falte hatte sich in ihre Gesichtszüge eingegraben - davon aber abgesehen war sie die Hanneh, wie ich sie seit vielen Jahren kannte und schätzte. Und Halef? Von seinen jetzt nur noch elf Barthaaren abgesehen (wer macht sich schon die Mühe, sie nachzuzählen?) war er für mich wirklich völlig unverändert, was mich natürlich ganz besonders freute.

Hanneh war nach unserer Begrüßung sofort wieder im Zelt verschwunden, um mit der Hilfe einiger junger Mädchen aus dem Dorf ein Festmahl für den frühen Abend vorzubereiten - ich sah gerade noch, wie man einen jungen Hammel an die Hörner nahm, der offenbar uns zu Ehren sein Leben lassen musste. Sir David, Halef und ich zogen uns in eine mit gemütlichen Teppichen und Sitzkissen ausgestattete Ecke des Zeltes zurück, damit wir alle endlich die Fragen stellen konnten, die uns natürlich längst auf den Lippen brannten. Halef konnte sich nun wirklich nicht mehr zurückhalten:

„Sihdi ... wie ... wie ... wie kannst Du überhaupt schon hier sein? Das ist unmöglich! Kannst Du fliegen?“

„Wieso soll ich fliegen können? Hier - Dein Brief ...“ Ich holte ihn aus meiner Jackentasche. „Vor fast zwei Monaten hast Du ihn geschrieben, vor vier Wochen hat er mich erreicht und nur wenig später war ich dann mit Sir David auf dem Weg zu Dir! Wieso soll ich dann fliegen können?“

„Sihdi, das ... das ist nicht der Brief, den ich meine! Ich habe Dir noch einen geschrieben, vor wenigen Tagen erst - natürlich, den kannst Du ja noch gar nicht erhalten haben! Wie dumm von mir! Dann weißt Du also noch gar nicht...“

„Was kann ich noch nicht wissen? Hast Du ein neues Problem?“

„Problem, Sihdi? Katera Chodeh - bei Allah, wenn es nur das wäre!

Kara, unser Sohn Kara - er ist weg, weg mit Sack und Pack ...“

„Wie soll ich das verstehen? Du schriebst, dass er immer öfter auch längere, weitere Ausflüge in die Umgebung macht - was ist denn daran so außergewöhnlich?“

„Ach - wenn Du nur wüsstest ... er hat sich verliebt, in eine junge Dame ...“

„Naja - eine alte Oma wird er sich wohl kaum ausgesucht haben! Was ist daran so problematisch? Genau das war doch auch Dein Wunsch? Wer ist es denn? Wahrscheinlich ist er jetzt gerade bei ihr. Ist es eine junge Haddedihn?“

„Nein! Eben nicht! Unser kamelzüchtender Nachbar Nabil al-Hashim, zwei Reitstunden von hier gen Norden - zu dem ich kein besonders enges Verhältnis, aber auch keine Probleme irgendwelcher Art habe - dieser Nachbar hatte einen mehrwöchigen Besuch aus dem Norden, Kurdistan - einen Käufer seiner wertvollen Rennkamele. Dieser Käufer - Ibrahim al Nirwan ist sein Name - war in Begleitung seiner Schwester Aisha dort - und um die handelt es sich!“

„Also keine Haddedihn! Das tut mir wirklich leid für Dich! Aber ansonsten ...“

„Aisha fühlt sich ebenso zu Kara hingezogen wie umgekehrt - aber ihr Bruder - als dieser meinen Namen hörte, wurde er blindwütig vor Zorn und beschwor sogar Blutrache! Er verbot seiner Schwester jeglichen weiteren Kontakt und, wie mir Kara sagte, sind die Beiden jetzt vor ein paar Tagen mit etwa 20 Kamelen wieder nach Norden aufgebrochen.“

„Das ist mehr als ärgerlich und unverständlich! Und Kara ...“

„Kara hat mir das alles erzählt, dann seine Sachen hier gepackt und ist jetzt auf Assil ben Rih mit einem zusätzlichen Lastkamel hinter ihnen her. Er will Aisha entfuhren!“

„Hm. Bei der offenbaren Abneigung des Ibrahim dieser Verbindung gegenüber dürfte das kein ungefährliches Unterfangen sein!“

„Bismillah - in Gottes Namen, das ist ja meine Sorge! Wir müssen ihm nach und vor einer unbedachten Tat zurückhalten!“

„Das sollte trotz der inzwischen verstrichenen Zeit nicht allzu schwierig sein. Eine Karawane mit mehr als 20 Tieren ist nicht besonders schnell und ihre Spuren sind leicht zu verfolgen. Aber ich begreife immer noch nicht, welchen Grund dieser mir unerklärliche Hass des Ibrahim Dir gegenüber hat, weshalb er dann eben auch Kara ablehnt. Was sagtest Du - wie heißt dieser Ibrahim noch genau?“

„Ibrahim al Nirwan und seine sechs Jahre jüngere Schwester Aisha al Nirwan.“

„Und die Beiden kommen aus Kurdistan?“

„Jetzt ja, aber ursprünglich nicht, wie mir Kara erzählte. Eigentlich kommen sie aus Albanien, dem Land der Skipetaren.“

„Hm. Und ihre Eltern ...?“

„Sind beide tot. Der Vater starb bei einem Unglücksfall, wie Aisha meinem Kara berichtete, in Albanien. Er stürzte mit seinem Pferd in eine tiefe Schlucht, vor zehn Jahren. Erst danach zog die Mutter mit ihren beiden Kindern fort, nach Kurdistan, wo sie wenig später ebenfalls starb, wahrscheinlich aus Kummer.“

„Mein Gott! Ich ahne etwas! Sollte das wahr sein? Ich ... ich ... Du sagtest, Nirwan heißen die Beiden mit Nachnamen? Kennst Du vielleicht auch den Vornamen des Vaters, der in die Schlucht stürzte?“

„Ja, Aisha hat ihn genannt. Kara, wie mein Sohn.“

„Allmächtiger! Sagt Dir dieser Name nichts? Kara Nirwan?“

„Allerdings nicht. Sollte er? Ich habe nie etwas mit einem Menschen dieses Namens zu tun gehabt.“

„Doch, Du hast! Denke noch einmal nach! Zehn Jahre zurück!“

„Nichts, Sihdi, nichts! Und Du meinst, ich sollte diesen Namen wirklich kennen?“

„Unbedingt! Allerdings nicht als Kara Nirwan, sondern unter einer anderen Bezeichnung!“

„Sihdi - ich stehe wie ein Kamel vor einem Schlammloch voller Ochsenfrösche! Wen oder was meinst Du?“

„Hinter Kara Nirwan steckt niemand anders als der Schut, der damals, vor zehn Jahren, auf der Flucht vor mir in die Schlucht gestürzt ist. Auch Du warst damals an der Verfolgung des Schut beteiligt, auch Du warst für den Schut zusammen mit mir einer seiner gefürchteten Gegenspieler - und Du wirst Dich erinnern, wie wir nur um Haaresbreite seiner Rachsucht entkommen sind und er den verdienten Tod gefunden hat! “⁠4

„Allah ia sillib - allmächtiger Gott! la nussibe, ia ghumm, la ehlem, ia rezalet - oh Unglück, Kummer, Schmerz und Schande! Ja, ja, ich erinnere mich jetzt! Esch el musebedi - welch ein unfassbar tragisches Zusammentreffen! Dann ist... dann ist... Kara ..

„Ja, leider, dann schwebt Kara in noch viel größerer Gefahr als wir bisher vermuteten! Wenn dieser Ibrahim, der die Ereignisse damals mit 13 Jahren offenbar gut mitbekommen und behalten hat, sich an Dir nicht rächen kann, wird er sich an Kara halten! Oder an Beide, denn die Blutrache geht mindestens vier Generationen zurück - oder vor! Aisha war damals mit sieben Jahren noch zu klein und man wird die näheren Umstände des Todes ihres Vaters von ihr ferngehalten haben. Ist auch mein Name - Kara ben Nemsi - in dem Zusammenhang irgendwie gefallen?“

„Nein, davon hat Aisha nichts gesagt. Aber ... Sihdi ...“

„Nun - auch wenn mein Name nicht gefallen ist, kennen wird dieser Ibrahim ihn trotzdem! Aber ...“

„Sihdi, wie entsetzlich, wie furchtbar! Was machen wir jetzt?“

„... aber da wir ohnehin vorhatten, Kara von seinem Entführungs- Vorhaben abzubringen, wird uns nichts anderes übrigbleiben, als ihm jetzt noch rascher als ursprünglich vorgesehen zu folgen.“

„Allah wallah billah tillah! Und er ist auch noch mit Assil ben Rih davongeritten!“

„Ja, ein weiteres Problem, nicht nur, weil der Weg nach Norden alles andere als für Pferde geeignet ist. Assil gleicht seinem Vater wie ein Ei dem anderen! Allein dadurch wird dieser Ibrahim keine Schwierigkeiten haben, durch ihn Deinen Sohn zu erkennen! Nur gut, dass er weder von Dir noch von mir eine aktuelle Beschreibung hat und natürlich auch nicht weiß, dass wir ihm auf den Fersen sein werden!“

„Diese elende Bakk - diese widerliche Wanze! Ich werde sein Abu Dschejah, sein Engel des Todes sein und ihn zerquetschen wie einen lästigen Barruth, wie einen Wüstenfloh! Allah inhal el Kelb - Allah verderbe den Hund und verbrenne ihn in der siebten Hölle! Mögen seine in der Wüste bleichenden Gebeine El Büdsch, dem Bartgeier, als Nahrung dienen!“

„Nun, mein lieber Halef - viel verändert hast Du Dich anscheinend gegenüber früher nicht! Aber ein kluger Mann fragt nicht seinen Zorn, sondern seinen Verstand um Rat! Wir müssen bedachtsam und planvoll vorgehen, auch wenn, wie ich zugebe, Eile geboten ist.“

„Sihdi - Du verstehst aber, dass ich ein Abu el Chof, ein Vater des Entsetzens bin? Dennoch hast Du leider recht - mit Bedacht und Ruhe erreichen wir mehr. Wir reiten morgen, ja? Dann lass uns jetzt alles Notwendige dazu besprechen, während Hanneh noch unser nun leider sehr getrübtes Festmahl vorbereitet.“