Kasimir und Karoline - Ödön von Horváth - E-Book

Kasimir und Karoline E-Book

Ödön von Horváth

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Beschreibung

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit den Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Alkohol im Überfluss, hemmungslose Fressgelage und sexuelle Ausschweifungen – auf dem Münchner Oktoberfest geht es lasterhaft zu. Und mittendrin: Das junge Paar Kasimir und Karoline. Nach einem Streit erkunden sie getrennt voneinander die vielen Attraktionen und verlieren sich im Rausch des pulsierenden Volksfestes. Eindrucksvoll gelingt es Ödön von Horváth in seinem 1932 uraufgeführten Stück die feucht-fröhliche, aber auch gleichzeitig aggressive Stimmung auf der ›Wiesn‹ einzufangen.

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Seitenzahl: 70

Veröffentlichungsjahr: 2012

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Ödön von Horváth

Kasimir und Karoline

Volksstück

Fischer e-books

Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.

Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.

Mit den Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.

Motto:

Und die Liebe höret nimmer auf.

Personen

KASIMIR

KAROLINE

RAUCH

SPEER

DER AUSRUFER

DER LILIPUTANER

SCHÜRZINGER

DER MERKL FRANZ

DEM MERKL FRANZ SEINE ERNA

ELLI

MARIA

DER MANN MIT DEM BULLDOGGKOPF

JUANITA

DIE DICKE DAME

DIE KELLNERIN

DER SANITÄTER

DER ARZT

ABNORMITÄTEN UND OKTOBERFESTLEUTE

 

Dieses Volksstück spielt auf dem Münchener Oktoberfest und zwar in unserer Zeit.

1. Szene

Es wird dunkel im Zuschauerraum und das Orchester spielt die Münchener Hymne »Solang der alte Peter«. Hierauf hebt sich der Vorhang.

2. Szene

Schauplatz:

Gleich hinter dem Dorf der Lippennegerinnen. Links ein EISMANN mit türkischem Honig und Luftballons. Rechts ein Haut-den-Lukas – (das ist so ein althergebrachter Kraftmesser, wo Du unten mit einem Holzbeil auf einen Bolzen draufhaust, und dann saust ein anderer Bolzen an einer Stange in die Höhe, und wenn dann dieser andere Bolzen die Spitze der Stange erreicht, dann knallt es und dann wirst Du dekoriert, und zwar für jeden Knall mit einem Orden).

Es ist bereits spät am Nachmittag und jetzt fliegt gerade der Zeppelin in einer ganz geringen Höhe über die Oktoberfestwiese – in der Ferne Geheul mit allgemeinem Musiktusch und Trommelwirbel.

3. Szene

RAUCH

Bravo Zeppelin! Bravo Eckener! Bravo!

EIN AUSRUFER

Heil!

SPEER

Majestätisch. Hipp hipp hurrah!

(Pause.)

EIN LILIPUTANER

Wenn man bedenkt, wie weit es wir Menschen schon gebracht haben – (er winkt mit seinem Taschentuch).

(Pause.)

KAROLINE

Jetzt ist er gleich verschwunden, der Zeppelin –

DER LILIPUTANER

Am Horizont.

KAROLINE

Ich kann ihn kaum mehr sehen –

DER LILIPUTANER

Ich seh ihn noch ganz scharf.

KAROLINE

Jetzt seh ich nichts mehr. (Sie erblickt KASIMIR; lächelt.) Du Kasimir. Jetzt werden wir bald alle fliegen.

KASIMIR

Geh so lasse mich doch aus. (Er wendet sich dem Lukas zu und haut ihn vor einem stumm interessierten Publikum – aber erst beim dritten Mal knallt es und dann zahlt der KASIMIR und wird mit einem Orden dekoriert.)

KAROLINE

Ich gratuliere.

KASIMIR

Zu was denn?

KAROLINE

Zu Deiner Auszeichnung da.

KASIMIR

Danke.

(Stille.)

KAROLINE

Der Zeppelin, der fliegt jetzt nach Oberammergau, aber dann kommt er wieder zurück und wird einige Schleifen über uns beschreiben.

KASIMIR

Das ist mir wurscht! Da fliegen droben zwanzig Wirtschaftskapitäne und herunten verhungern derweil einige Millionen! Ich scheiß Dir was auf den Zeppelin, ich kenne diesen Schwindel und hab mich damit auseinandergesetzt – der Zeppelin, verstehst Du mich, das ist ein Luftschiff und wenn einer von uns dieses Luftschiff sieht, dann hat er so ein Gefühl, als tät er auch mitfliegen – derweil haben wir bloß die schiefen Absätz und das Maul können wir uns an das Tischeck hinhaun!

KAROLINE

Wenn Du so traurig bist, dann werd ich auch traurig.

KASIMIR

Ich bin kein trauriger Mensch.

KAROLINE

Doch. Du bist ein Pessimist.

KASIMIR

Das schon. Ein jeder intelligente Mensch ist ein Pessimist. (Er lässt sie wieder stehen und haut abermals den Lukas; jetzt knallt es dreimal, er zahlt und bekommt drei Orden; dann nähert er sich wieder KAROLINE.) Du kannst natürlich leicht lachen. Ich habe es Dir doch gleich gesagt, dass ich heut unter gar keinen Umständen auf Dein Oktoberfest geh. Gestern abgebaut und morgen stempeln, aber heut sich amüsieren, vielleicht gar noch mit lachendem Gesicht!

KAROLINE

Ich habe ja gar nicht gelacht.

KASIMIR

Natürlich hast Du gelacht. Und das darfst Du ja auch – Du verdienst ja noch was und lebst bei Deinen Eltern, die wo pensionsberechtigt sind. Aber ich habe keine Eltern mehr und steh allein in der Welt, ganz und gar allein.

(Stille.)

KAROLINE

Vielleicht sind wir zu schwer füreinander –

KASIMIR

Wie meinst Du das jetzt?

KAROLINE

Weil Du halt ein Pessimist bist und ich neige auch zur Melancholie – schau, zum Beispiel zuvor – beim Zeppelin –

KASIMIR

Geh halt doch Dein Maul mit dem Zeppelin!

KAROLINE

Du sollst mich nicht immer so anschreien, das hab ich mir nicht verdient um Dich!

KASIMIR

Habe mich gerne! (Ab.)

4. Szene

KAROLINE

(sieht ihm nach; wendet sich dann langsam dem EISMANN zu, kauft sich eine Portion und schleckt daran gedankenvoll).

SCHÜRZINGER

(schleckt bereits die zweite Portion).

KAROLINE

Was schauns mich denn so blöd an?

SCHÜRZINGER

Pardon! Ich habe an etwas ganz anderes gedacht.

KAROLINE

Drum.

(Stille.)

SCHÜRZINGER

Ich habe gerade an den Zeppelin gedacht.

(Stille.)

KAROLINE

Der Zeppelin, der fliegt jetzt nach Oberammergau.

SCHÜRZINGER

Waren das Fräulein schon einmal in Oberammergau?

KAROLINE

Schon dreimal.

SCHÜRZINGER

Respekt!

(Stille.)

KAROLINE

Aber die Oberammergauer sind auch keine Heiligen. Die Menschen sind halt überall schlechte Menschen.

SCHÜRZINGER

Das darf man nicht sagen, Fräulein! Die Menschen sind weder gut noch böse. Allerdings werden sie durch unser heutiges wirtschaftliches System gezwungen, egoistischer zu sein, als sie es eigentlich wären, da sie doch schließlich vegetieren müssen. Verstehens mich?

KAROLINE

Nein.

SCHÜRZINGER

Sie werden mich schon gleich verstehen. Nehmen wir an, Sie lieben einen Mann. Und nehmen wir weiter an, dieser Mann wird nun arbeitslos. Dann lässt die Liebe nach, und zwar automatisch.

KAROLINE

Also das glaub ich nicht!

SCHÜRZINGER

Bestimmt!

KAROLINE

Oh nein! Wenn es dem Manne schlecht geht, dann hängt das wertvolle Weib nur noch intensiver an ihm – könnt ich mir schon vorstellen.

SCHÜRZINGER

Ich nicht.

(Stille.)

KAROLINE

Können Sie handlesen?

SCHÜRZINGER

Nein.

KAROLINE

Was sind denn der Herr eigentlich von Beruf?*

SCHÜRZINGER

Raten Sie doch mal.

KAROLINE

Feinmechaniker?

SCHÜRZINGER

Nein. Zuschneider.

KAROLINE

Also das hätt ich jetzt nicht gedacht!

SCHÜRZINGER

Und warum denn nicht?

KAROLINE

Weil ich die Zuschneider nicht mag. Alle Zuschneider bilden sich gleich so viel ein.

(Stille.)

SCHÜRZINGER

Bei mir ist das eine Ausnahme. Ich hab mich mal mit dem Schicksalsproblem beschäftigt.

KAROLINE

Essen Sie auch gern Eis?

SCHÜRZINGER

Meine einzige Leidenschaft, wie man so zu sagen pflegt.

KAROLINE

Die einzige?

SCHÜRZINGER

Ja.

KAROLINE

Schad!

SCHÜRZINGER

Wieso?

KAROLINE

Ich meine, da fehlt Ihnen doch dann was.

5. Szene

KASIMIR

(erscheint wieder und winkt KAROLINE zu sich heran).

KAROLINE

(folgt ihm).

KASIMIR

Wer ist denn das, mit dem Du dort sprichst?

KAROLINE

Ein Bekannter von mir.

KASIMIR

Seit wann denn?

KAROLINE

Schon seit lang. Wir haben uns gerade ausnahmsweise getroffen. Glaubst Du mir denn das nicht?

KASIMIR

Warum soll ich Dir das nicht glauben?

(Stille.)

KAROLINE

Was willst Du?

(Stille.)

KASIMIR

Wie hast Du das zuvor gemeint, dass wir zwei zu schwer füreinander sind?

KAROLINE

(schweigt boshaft).

KASIMIR

Soll das eventuell heißen, dass wir zwei eventuell nicht zueinander passen?

KAROLINE

Eventuell.

KASIMIR

Also das soll dann eventuell heißen, dass wir uns eventuell trennen sollen – und dass Du mit solchen Gedanken spielst?

KAROLINE

So frag mich doch jetzt nicht!

KASIMIR

Und warum nicht, wenn man fragen darf?

KAROLINE

Weil ich jetzt verärgert bin. Und in einer solchen Stimmung kann ich Dir doch nichts Gescheites sagen!

(Stille.)

KASIMIR

So. Hm. Also das wird dann schon so sein. So und nicht anders. Da gibt es keine Ausnahmen. Lächerlich.

KAROLINE

Was redest Du denn da?

KASIMIR

Es ist schon so.

KAROLINE (fixiert ihn)

Wie?

(Stille.)

KASIMIR

Oder ist das vielleicht nicht eigenartig, dass es Dir gerade an jenem Tage auffällt, dass wir zwei eventuell nicht zueinander passen – an jenem Tage, an welchem ich abgebaut worden bin?

(Stille.)

KAROLINE

Ich versteh Dich nicht, Kasimir.

KASIMIR

Denk nur nach. Denk nur nach, Fräulein!

(Stille.)

KAROLINE (plötzlich)

Oh Du undankbarer Mensch! Hab ich nicht immer zu Dir gehalten? Weißt es denn nicht, was das für Schwierigkeiten gegeben hat mit meinen Eltern, weil ich keinen Beamten genommen hab und nicht von Dir gelassen hab und immer Deine Partei ergriffen hab?!

KASIMIR

Reg Dich nur ab, Fräulein! Überleg es Dir lieber, was Du mir angetan hast.

KAROLINE

Und was tust Du mir an?

KASIMIR

Ich konstatiere eine Wahrheit. So. Und jetzt lass ich Dich stehn – (ab).

6. Szene

KAROLINE

(sieht ihm nach; wendet sich dann wieder dem SCHÜRZINGER zu; jetzt dämmert es bereits).

SCHÜRZINGER

Wer war denn dieser Herr?

KAROLINE

Mein Bräutigam.

SCHÜRZINGER

Sie haben einen Bräutigam?

KAROLINE

Er hat mich gerade sehr gekränkt. Nämlich gestern ist er abgebaut worden und da hat er jetzt behauptet, ich würde mich von ihm trennen wollen, weil er abgebaut worden ist.

SCHÜRZINGER

Das alte Lied.

KAROLINE

Geh reden wir von etwas anderem!

(Stille.)

SCHÜRZINGER

Er steht dort drüben und beobachtet uns.

KAROLINE

Ich möcht jetzt mal mit der Achterbahn fahren.

SCHÜRZINGER

Das ist ein teurer Spaß.

KAROLINE

Aber jetzt bin ich auf dem Oktoberfest und ich hab es mir vorgenommen. Geh fahrens halt mit!

SCHÜRZINGER