Kater Brown und die Adventsmorde - Ralph Sander - E-Book
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Kater Brown und die Adventsmorde E-Book

Ralph Sander

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Beschreibung

Der Kater mit der Spürnase ermittelt wieder!

Die Reisejournalistin Alexandra, ihr Kollege Tobias und Kater Brown fahren kurz vor Weihnachten ins malerische Ruhsleben, das sich jedes Jahr im Advent in ein Weihnachtsdorf verwandelt und Besucher aus aller Welt anzieht. Ein Höhepunkt des Weihnachtsmarktes ist die Aufführung der "Adventsmorde", die Ruhsleben weithin bekannt gemacht haben. Doch dann passiert tatsächlich ein Mord und Alexandra und ihrem Kollegen Tobias wird schnell klar, dass aus dem Schauspiel blutiger Ernst geworden ist. Ihrem Kater mit dem siebten Sinn für Verbrechen ist das natürlich schon gleich zu Beginn aufgefallen, und er tut alles, um den Menschen Hinweise auf den Mörder zu geben. Doch Kater Brown muss auch mit den Tücken seiner zunehmenden Berühmtheit kämpfen - und dann geschieht ein weiterer Mord ...

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Kater Brown – Die Serie

Über diese Folge

Die Hauptfiguren

Über den Autor

Kater Brown und die Adventsmorde

Impressum

Widmung

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

Kater Brown – Die Serie

Kater Brown, der Kater mit der Spürnase, merkt schnell, wenn etwas faul ist – aber die Menschen verstehen seine Hinweise einfach nicht! Bis auf Alexandra Berger. Seit sie gemeinsam ihren ersten Mordfall gelöst haben, weicht Kater Brown der Reisejournalistin nicht mehr von der Seite. Und zusammen können sie Morde aufklären, die auf den ersten Blick gar nicht nach einem Verbrechen aussehen.

Bisher erschienen:

Kater Brown und die Klostermorde

Kater Brown und die tote Weinkönigin

Kater Brown und die Kämpfer des Ostens

Kater Brown und das Testament der Madame Maupu

Über diese Folge

Der Kater mit der Spürnase ermittelt wieder!

Die Reisejournalistin Alexandra, ihr Kollege Tobias und Kater Brown fahren kurz vor Weihnachten ins malerische Ruhsleben, das sich jedes Jahr im Advent in ein Weihnachtsdorf verwandelt und Besucher aus aller Welt anzieht. Ein Höhepunkt des Weihnachtsmarktes ist die Aufführung der „Adventsmorde“, die Ruhsleben weithin bekannt gemacht haben. Doch dann passiert tatsächlich ein Mord und Alexandra und ihrem Kollegen Tobias wird schnell klar, dass aus dem Schauspiel blutiger Ernst geworden ist. Ihrem Kater mit dem siebten Sinn für Verbrechen ist das natürlich schon gleich zu Beginn aufgefallen, und er tut alles, um den Menschen Hinweise auf den Mörder zu geben. Doch Kater Brown muss auch mit den Tücken seiner zunehmenden Berühmtheit kämpfen – und dann geschieht ein weiterer Mord …

Die Hauptfiguren

Kater Brown erinnert mit seinem schwarzen Fell und dem weißen Fleck am Hals an einen Geistlichen – daher, in Anlehnung an Pater Brown, der Name. Er hat einen „siebten Sinn“, wenn es um Verbrechen geht und nimmt mit seiner Spürnase Dinge wahr, die den Menschen entgehen. Seit den Klostermorden in der Eifel hat er entschieden, bei Alexandra zu leben und weicht ihr nicht mehr von der Seite.

Alexandra Berger ist Reisejournalistin und berichtet gerne aus entlegenen, landschaftlich dafür umso schöneren Gegenden. Seit ihrem ersten Mordfall in einem Kloster findet sie großen Gefallen am Ermitteln und am Lösen von Kriminalfällen. Mit ihrer Neugier bringt sie sich allerdings auch öfter mal in Gefahr…

Tobias Rombach ist ein Kollege von Alexandra und stets bereit, sie als Hobby-Detektiv zu unterstützen. Er hat eine Schwäche für Alexandra, aber auch immer eine flapsige Bemerkung auf Lager – und bekommt deshalb regelmäßig einen Korb. Doch Tobias gibt nicht so schnell auf und ist sich ziemlich sicher, dass seine Gefühle irgendwann erwidert werden.

Über den Autor

Ralph Sander arbeitet seit vielen Jahren als Übersetzer und Autor. Unter diversen Pseudonymen sind von ihm etliche erfolgreiche Krimis erschienen. Nachdem er bereits unter dem Pseudonym Catherine Ashley Morgan eine Reihe von fiktiven samtpfotigen Helden für seine Krimis erschaffen hat, entstand mit Kater Brown zum ersten Mal eine Figur nach einem realen Vorbild: dem Sanderschen Familienkater Paulchen Panther.

Ralph Sander

Kater Brown und die Adventsmorde

Kriminalroman

beTHRILLED

Digitale Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dr. Arno Hoven, Düsseldorf

Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de unter Verwendung von Motiven © Thinkstockphoto: Hakan Ertan | IrynaDanyliuk

E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN 978-3-7325-3145-5

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Paulchen P., den wahren Kater Brown

Prolog

Kater Brown presste sich auf den Boden und richtete den Blick auf das rote runde Etwas, das mitten auf dem Teppich lag. Nachdem er den Gegenstand einen Moment lang fixiert hatte, drehte er den Kopf und schaute an ihm vorbei: Das tat er immer, wenn er seinem Jagdinstinkt folgte – um seine Beute zu täuschen, die nicht bemerken sollte, dass sie das Ziel seines nächsten Angriffs war. Ganz plötzlich sprang er auf, war mit einem Satz vor dem roten Etwas, versetzte ihm mit der linken, dann mit der rechten und sofort wieder mit der linken Pfote einen Schlag, sodass das Ding hin und her geworfen wurde, während er sich damit quer durchs Zimmer bewegte.

Wie aus dem Nichts tauchte auf einmal vor ihm ein grünes Etwas auf, und sogleich stürzte er sich darauf. Er traktierte es auf die gleiche Weise wie zuvor das rote, bis er den Spaß an der grünen Farbe verlor. Zum Glück war da noch eine dritte Variante, ein gelbes rundes Etwas, das man genauso jagen konnte.

Es waren mal viel mehr von diesen Dingern im Raum verteilt gewesen, aber er hatte sie alle unter das große, lange Sofa getrieben, auf dem oft die Frau saß, die ihm regelmäßig Futter gab und ihn streichelte. Er selbst lag auch häufig darauf, weil das ein so bequemer Platz war. Jetzt schaute er sich kurz um: Es waren nur noch drei von den runden Dingern übrig.

Wieder ein gezielter Hieb mit der Pfote.

Eine rundes Ding weniger, dann noch eins, und schließlich war auch das dritte Etwas unter dem Sofa verschwunden.

Triumphierend setzte er sich auf die Hinterpfoten und sah sich um.

Was nun?

Die Frau, die ihm regelmäßig Futter gab und ihn streichelte, hatte da doch was Neues hingestellt, bevor sie weggegangen war. Da oben auf dem Ding, das sie Kommode nannte, stand es rum und wartete nur darauf, von ihm erkundet zu werden. Mit einem Satz war er auf der Kommode und betrachtete das rätselhafte Objekt. Ein kleiner Kasten, in dem und vor dem es von kleinen Figuren nur so wimmelte, die alle so groß waren wie Mäuse. Sie rochen aber nicht nach Mäusen und schmeckten auch nicht so. Sie reagierten auch nicht, wenn er sie mit der Pfote anstupste. Auch nicht, wenn er sie stärker anstieß und sie von der Kommode warf. Jedes dieser Dinger schlug mit einem lauten Knall auf dem Boden auf, doch weiter passierte nichts. Keine dieser Nicht-Mäuse ergriff die Flucht, sie lagen einfach nur da.

Nachdem alle kleinen Objekte vor dem seltsamen Kasten weggestoßen waren, schob Kater Brown die Pfote in ihn hinein und holte die Dinger heraus, die sich dort vor ihm versteckten. Aber die waren genauso starr und leblos wie die anderen Nicht-Mäuse.

Schließlich zog er eine Nicht-Maus hervor, die viel kleiner war als die übrigen und die so rosig aussah wie ein Stück Hähnchenfleisch. Die Nicht-Maus roch zwar nicht nach Hähnchen, aber das musste nichts bedeuten. Er würde sie auf jeden Fall probieren; also nahm er das Stück Vielleicht-Hähnchen zwischen die Zähne und biss zu. Das Stück zerbrach beim ersten Druck der Kiefer in zwei Teile, aber Kater Brown spuckte es gleich wieder aus, schüttelte sich und sprang angewidert von der Kommode.

Das war auf keinen Fall Hähnchenfleisch – ja, überhaupt nichts Essbares –, urteilte er und beschloss, davon nicht noch mal zu probieren. Er ging zurück zu dem großen, weichen Sofa, auf dem oft die Frau saß, die ihm regelmäßig Futter gab und ihn streichelte, und rollte sich auf dem dicken Kissen zusammen.

Er war gerade erst eingeschlafen, als er wieder geweckt wurde, weil jemand die Wohnungstür aufschloss. „Komm doch mal kurz mit rein, Betty, dann kann ich dir das Erbstück meiner Oma zeigen“, hörte er die Frau sagen, die ihm regelmäßig Futter gab und ihn streichelte.

„Oh ja, das will ich mir unbedingt ansehen“, antwortete eine andere Frau, deren Stimme er kannte, da er sie manchmal hier in der Wohnung und auch im Treppenhaus vernahm.

Er öffnete die Augen einen Spaltbreit, als die beiden Menschen hereinkamen.

„Auf einen Baum verzichte ich dieses Jahr“, erzählte die Frau, die ihm regelmäßig Futter gab und ihn streichelte. „Kater Brown hat letztes Jahr so oft versucht, sämtliche Kugeln runterzureißen, dass ich das mit dem Weihnachtsbaum jetzt ganz bleiben lasse und ihm die Kugeln gleich zum Spielen gegeben habe. Da spare ich mir eine Menge Stress.“

„Kann ich mir vorstellen“, sagte die andere Frau. „Das ist wie mit meinem Jüngsten; der kommt auch auf Ideen, die würde ich nie für möglich halten.“

„Und hier ist die …“, begann die Frau, die ihm regelmäßig Futter gab und ihn streichelte, und verstummte gleich wieder.

„Wer hat denn deine Krippe verwüstet?“, fragte die andere Frau.

„Dreimal darfst du raten.“

„Und wer … oh Gott … wer hat denn das arme Jesuskind kaputt gemacht?“, rief die andere Frau entsetzt.

„Na, wer wohl?“, kam die finstere Erwiderung.

Kater Brown rührte sich nicht. Wenn er wüsste, was ein Jesuskind war, hätte er vielleicht helfen können bei der Suche nach dem, der es kaputt gemacht hatte. Aber er hatte keine Ahnung, was das überhaupt sein sollte. Also schloss er wieder die Augen, schlief sogleich weiter und träumte von Mäusen und Hähnchen.

1. Kapitel

Rasch legte der Kramer Alfons die letzten zwei Holzscheite in den Kamin, um zu verhindern, dass das Feuer erlosch. Seine Frau, die Heidi, lag bereits im Bett. Vier Decken hatte er über ihr ausgebreitet, damit sie es schön warm hatte. Es war ein bitterer Winter, und das Brennholz reichte nur noch für einige wenige Tage. Alfons musste sich also auf den gefährlichen Weg zum Stallinger-Hof machen, um von dort neues Holz zu holen. Der Schnee lag inzwischen so hoch, dass er bis zu den Hüften darin einsank. Das machte es ihm unmöglich, einen Schlitten mitzunehmen. Der würde nur im Schnee versinken und den Weg noch beschwerlicher machen. Den Wagen konnte er auch nicht mehr nehmen, da sein einziges Pferd beim Erbing Hans im Stall stand, der es als Pfand dabehalten hatte, als Alfons dort beim letzten Besuch nicht genug Geld für das Getreide gehabt hatte. Das war in diesen Mengen nötig gewesen, damit die Heidi den Winter über Brot backen konnte und sie nicht allzu sehr hungern mussten.

Alfons würde die Kiepe nehmen müssen, um so viel Holz wie möglich vom Stallinger-Hof herzuschaffen. Es dämmerte zwar bereits, doch das Feuer würde nicht lange genug brennen, um sie die Nacht hindurch zu wärmen. Ihm selbst wäre das nicht wichtig, aber die Heidi kränkelte seit einer Weile, und er fürchtete, sie könnte eine Lungenentzündung bekommen. Da sie schon nicht mehr so gut bei Kräften war, würde sie so etwas vielleicht nicht überstehen. Und dann würde er nicht nur sie verlieren, sondern auch ihr erstes Kind.

Also war es nötig, sich noch jetzt auf den Weg zum Stallinger-Hof zu machen, auch wenn es bald dunkel sein würde. Aber er konnte die Laterne draußen aufhängen, und wenn er vom Stallinger wieder wegging, würde die Laterne ihm den Weg weisen, war doch der Hof nur einen Katzensprung entfernt.

Er zog sich warm an, trug zwei Hosen übereinander, ebenso zwei Paar Strümpfe, zwei Strickjacken, darüber den dicken Mantel und eine über seine Schultern gelegte Decke. Die gestrickte Mütze zog er tief ins Gesicht, einen Schal legte er um, den er so um den Kopf wickelte, dass nur noch die Augen frei waren. Das Paar dicke Fäustlinge hielt er in der Hand, weil er das erst draußen anziehen konnte, nachdem er sich die Kiepe umgehängt hatte.

An der Tür drehte er sich noch einmal zu seiner Frau um, aber die schlief fest. Er flüsterte ihr ein leises Wort zum Abschied zu, dann nahm er die bereits angezündete Laterne und den Spaten, der neben der Tür stand und den er brauchte, um sich den Weg zum Hof zumindest so weit frei zu schaufeln, dass er durch den hohen Schnee vorankam, ohne sich zu sehr zu verausgaben. Immerhin musste er in umgekehrter Richtung viel Holz nach Hause schleppen, und das konnte er nicht, wenn er zu entkräftet war.

Nachdem er das Haus verlassen hatte, zog er die Tür hinter sich zu; dann hängte er die Laterne am massiven Haken an der Hausecke auf. Doch als er seine Fäustlinge anziehen wollte, erlosch die Flamme.

„Was ist denn das?“, fragte er verwundert, da kein Windhauch ging, der so etwas hätte bewirken können. Er starrte die erloschene Flamme an und fluchte leise, weil er jetzt wieder nach drinnen gehen musste, um den Docht mit einem Fidibus erneut zu entzünden. Dafür musste er aber einen Teil seiner Sachen erst einmal ablegen, wenn er nicht wollte, dass er sich Verbrennungen holte. Vor vielen Jahren war genau das einem Mann in einem Nachbardorf zugestoßen, und Alfons hatten die Berichte der Reisenden von dort genügt, die geschildert hatten, wie der Mann in Flammen aufgegangen war. Obwohl er nicht dabei gewesen war, hatte er die Erzählungen als so eindringlich empfunden, dass er anschließend lange Zeit davon überzeugt gewesen war, die Schreie des Mannes hören zu können, als hätte er danebengestanden und den Todeskampf miterlebt.

Er wollte die Laterne vom Haken nehmen, da bemerkte er ein seltsames grelles Leuchten, das nicht von ihr ausging. Verdutzt drehte er sich um und erschrak, dann bekreuzigte er sich schnell. Ein paar Schritte von ihm entfernt stand ein Mann. Oder besser gesagt: Da stand, was von einem Mann noch übrig geblieben war, dessen Gesicht von irgendeiner Bestie angefressen worden war. Die Gestalt, die in zerlumpte Kleidung gehüllt war, schien von innen heraus zu leuchten, als ob sie in sich eine eigene Sonne trüge, die dieses Licht spendete.

„Wer bist du?“, murmelte Alfons zögerlich.

„Erkennst du mich nicht?“, erwiderte die Gestalt mit einer Stimme, die aus dem Grab zu kommen schien. „Ich bin der Geist vom Huber Franz.“

„Vom Huber Franz?“

„Du erinnerst dich doch bestimmt noch an mich.“

„Ich …“ Alfons erinnerte sich selbstredend an den Huber Franz. Er wusste noch ganz genau, wie der Huber Franz auf dem Hellernsee eingebrochen war, weil das dünne Eis ihn nicht hatte tragen können. „Aber du bist … Das ist schon so lange her … Wie kannst du …?“

„Zwanzig Jahre ist es her, heute auf den Tag“, hauchte der schimmernde Mann. „Und nun bin ich heimgekommen, um jedem von euch zu danken.“

„Zu danken? Wofür?“

„Dafür, dass ihr vier mich in dem eiskalten See habt ertrinken lassen. Du, der Schorsch, der Wastl und der Hans.“

Alfons schüttelte den Kopf. „Wir haben dich nicht ertrinken lassen. Wir konnten dir nur nicht helfen. Das Eis war zu dünn.“

„Ihr habt es ja nicht mal versucht.“

„Wir konnten es nicht versuchen“, widersprach Alfons. „Wir wären alle ertrunken. Verstehst du nicht, dass das Eis zu dünn war?“

„Ich war euer Freund, dennoch habt ihr mich im Stich gelassen!“

Erst jetzt fiel Alfons auf, dass der Geist des Huber Franz überhaupt nicht die halb zerfressenen Lippen bewegte, wenn er redete. Er zuckte hilflos mit den Schultern. „Was willst du von mir? Wo kommst du auf einmal her?“

„Ich bin hier, um das wiedergutzumachen, was damals hätte passieren sollen“, verkündete der Geist und lächelte ihn an.

„Wiedergutmachen? Willst du zum Leben erweckt werden?“ Alfons schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, wie man das anstellen soll.“

„Ich hole das nach, was hätte passieren sollen“, erklärte er erneut.

„Hörst du mir nicht zu?“, flüsterte Alfons bestürzt. „Wir konnten dir nicht helfen. Du warst zu weit draußen, und als das Eis einbrach, entstand ein riesiges Loch. Du warst zudem so schnell untergegangen – wir hätten es nie und nimmer geschafft, vorher noch eine Leiter zum Teich zu bringen. Wir hätten dir nicht mal rechtzeitig ein langes Seil zuwerfen können, wenn wir denn eines zur Hand gehabt hätten. Du warst nur für einen Moment zu sehen und dann sofort weg.“ Er machte eine unbeholfene Geste. „Wir hätten dich sowieso nur tot aus dem Wasser holen können, und nicht mal das hätten wir geschafft, weil wir ebenfalls eingebrochen und umgekommen wären.“ Er legte eine kurze Pause ein, bevor er hinzufügte: „Wir wären jetzt alle tot.“

Der Geist des Huber Franz starrte ihn an.

Alfons fing am ganzen Leib zu zittern an, als er mit einem Mal zu verstehen begann. „Aber … wir leben noch. Obwohl wir tot sein sollten.“ Sein Atem stockte. „Das willst du also wiedergutmachen. Du bist gekommen, um uns … um uns zu dir zu holen, nicht wahr?“

Sein Gegenüber lächelte mit dem, was von seinen Lippen noch übrig war. „Im Tod vereint.“

Im nächsten Augenblick hielt der Geist eine Sense in der Hand.

Alfons schüttelte den Kopf, aber er rührte sich nicht vom Platz, sondern stand wie angewurzelt da. Er schaute zu, wie der Geist mit der Sense ausholte, und wollte noch immer nicht wahrhaben, dass so etwas wirklich geschehen konnte. Die Klinge traf ihn an der linken Schulter, schnitt sich tief ins Fleisch und trat an seiner rechten Hüfte wieder aus.

Der Geist zog die Klinge zurück, während Alfons zu Boden sank, und sah zu, wie sein einstiger Freund seinen letzten Atem aushauchte. Auf einmal …

„… auf einmal stutzte der Geist, da er ein Geräusch gehört hatte“, las Alexandra weiter aus dem Buch vor, das sie auf dem Schoß liegen hatte. „Er drehte sich um und sah, dass sich ihm eine schwarze Katze genähert hatte, die ihn missbilligend musterte. ‚Kater Brown?‘, fragte er verwundert. ‚Was suchst du denn hier?‘ Kater Brown stellte sich auf die Hinterpfoten und baute sich vor dem Geist zu voller Größe auf. ‚Ich bin hier, um deinem Treiben ein Ende zu setzen –‘

„Das steht ganz bestimmt nicht da“, fiel Tobias ihr ins Wort. „Das kannst du mir nicht weismachen, Alex.“

Alexandra nickte anerkennend. „Du bist gut.“

Er winkte ab und sah in den Außenspiegel. „Kommt denn da überhaupt keine Lücke mehr?“

„Warum willst du die Spur wechseln?“, wollte Alexandra wissen.

„Ich will mal etwas schneller von der Stelle kommen, was sonst?“

Sie schüttelte den Kopf. „Da auf der anderen Spur kommt niemand schneller von der Stelle als wir hier. Siehst du den Transporter da? Der ist schon seit einer halben Stunde immer auf unserer Höhe, mal ein Stück vor uns, mal ein Stück hinter uns, aber immer in unserer Nähe.“

„Ach was, es sind alle möglichen Transporter unterwegs“, widersprach Tobias. „Von der Sorte sind bestimmt schon zwei Dutzend an uns vorbeigefahren. Die kann sich kein Mensch merken.“

„Dann bin ich wohl eine Außerirdische“, entgegnete sie und lächelte ihn bissig an. „Ich glaube nicht, dass die letzten zwei Dutzend Transporter alle grau-rot lackiert waren und den Schriftzug ‚Powerflowerpower‘ trugen.“

„Power- … Was?“

„Powerflowerpower“, wiederholte sie. „Einen solchen Namen vergisst man nicht so schnell. Zumal der keinen Sinn ergibt. Jedenfalls kann ich den nicht erkennen.“

„So vieles ergibt keinen Sinn“, grummelte Tobias.

„Zum Beispiel American Football“, meinte Alexandra grinsend.

Er stöhnte genervt auf. „Fang bloß nicht damit an“, sagte er. „Ich werde nie wieder versuchen, dir die Spielregeln zu erklären.“

Alexandra musste lachen, da sie sich an seine völlig frustrierte Miene erinnerte, als er sie ein paar Wochen zuvor in eine Sportsbar eingeladen hatte, um ihr die Football-Regeln anhand einer Live-Übertragung aus den USA zu erklären. Football und die Regeln waren ihr eigentlich völlig egal gewesen; dennoch hatte sie dort lange ausgehalten, weil es da eine fantastische Salatbar gab, bei der man sich so oft etwas nehmen durfte, wie man wollte. Abgesehen davon war sie sich ziemlich sicher gewesen, dass Tobias die Regeln gar nicht so im Detail kannte, wie er behauptete. Sie hatte ihm zwar nicht die ganze Zeit über aufmerksam zugehört, dennoch waren ihr ein paar Ungereimtheiten aufgefallen, die er dann aber abgestritten hatte. Am Ende dieses Besuchs hatte sie sich mit Salat buchstäblich vollgestopft, während Tobias über seinem missionarischen Erklärungseifer ganz vergessen hatte, seinen monströsen Hamburger zu essen. Er hatte ihn sich dann kalt einpacken lassen, um ihn zu Hause zu verzehren.

Als sie am nächsten Tag mit einer Kollegin über den Abend geredet hatte, war die der Meinung gewesen, das müsse ja todlangweilig verlaufen sein. Dabei war es das genaue Gegenteil gewesen, weil sie es eigentlich als ganz süß empfunden hatte, dass Tobias sich die Mühe machte, ihr die Regeln erklären zu wollen. Es gab ihr das Gefühl, dass er – wenn auch ein bisschen unbeholfen – sie für das interessieren wollte, was ihm wichtig war. Was man wiederum so auslegen konnte, dass sie ihm auch wichtig war. Schließlich hätte er sich sonst ja mit einem „Das ist dir sowieso zu hoch“ aus der Affäre ziehen können, oder er hätte sie gar nicht erst in eine Sportsbar eingeladen.

„Aber zurück zum Thema“, sagte er nun. „Wieso ist eben in der Geschichte unser Kater Brown aufgetaucht. Das ist aus diesem Buch von diesem Typ, nach dem die in Dingsda diese Sache machen.“

Alexandra ließ den Kopf gegen die Rückenlehne sinken. „Himmel, hast du eigentlich früher in der Schule so deine Aufsätze geschrieben?“

Tobias zuckte beiläufig mit den Schultern. „Du weißt doch, um was es geht, also weißt du auch, was ich meine.“

„Ja, das stimmt. Aber du weißt nicht, um was es geht.“

„Weiß ich wohl“, beharrte er.

„Wie heißt das Buch?“

„Die … irgendwas.“

„To-bi-as.“

„Die Adventsmorde.“

„Von …?“

„Heiner … Bayermayer.“

Alexandra verdrehte die Augen. „Knapp daneben. Wastl Stellmayr.“

„Na bitte, der ‚Mayer‘ hat ja schon mal gestimmt!“, rief er und grinste breit.

„Wunderbar, wirklich wunderbar“, spottete sie. „Beim nächsten Laden kauf ich dir zur Belohnung einen Lolli. Und wo spielt die Geschichte?“

Tobias fuchtelte mit der rechten Hand. „Jetzt sei nicht so kleinlich. Ich wette, du hast mir auch nur halb zugehört, als ich dir gesagt habe, warum ich dahin fahre.“

Sie verzog nachdenklich den Mund, schließlich antwortete sie: „Jaaa, da könntest du recht haben. Ich kann mich nur daran erinnern, dass du die Zwillinge Hans-Georg und Gerd-Harald Bichlberger interviewen sollst, die einundzwanzig Jahre alt sind und die bei verschiedenen alpinen Wettbewerben ähnlich gute Zeiten geschafft haben.“ Sie legte eine kurze rhetorische Pause ein. „An den Rest kann ich mich nicht erinnern.“

Als Tobias beharrlich schwieg, hakte sie nach: „Sag mir, was ich vergessen habe.“

Er atmete frustriert durch. „Gar nichts hast du vergessen“, gestand er ihr schließlich.

„Siehst du?“, gab sie triumphierend zurück. „Ganz im Gegensatz zu dir.“

Tobias warf ihr einen mürrischen Seitenblick zu. „Muss wohl ein Instinkt sein. Außerdem habe ich dir zugehört und dich gefragt, was Kater Brown in dieser Geschichte verloren hat.“

„Ich wollte nur testen, ob dich diese Geschichte überhaupt interessiert“, antwortete Alexandra, „Damit ich weiß, ob ich weiterreden soll oder nicht. Ich hatte irgendwie den Eindruck, dass du mit deinen Gedanken woanders bist.“

Er zuckte mit den Schultern. „Das liegt nur daran, dass ich dem Klang deiner Stimme stundenlang lauschen könnte. Du solltest dich als Sprecherin für Hörbücher bewerben“, meinte er.

Alexandra sah ihn sekundenlang an und fragte sich, ob er sie damit auf den Arm nehmen wollte oder ob das sein Ernst war. Aber es kam kein „Reingelegt!“ oder „Dir kann man auch alles erzählen“, sondern er blickte konzentriert auf die Straße und schien darauf zu warten, dass sie wieder etwas sagte.

„Danke für das Kompliment“, murmelte sie verdutzt, weil sie mit so etwas nun wirklich nicht gerechnet hatte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals von irgendwem wegen ihrer Stimme gelobt worden zu sein. Am besten war es, wenn sie das für den Augenblick nur zur Kenntnis nahm und sich nicht zu viele Gedanken darüber machte. „Und? Was hältst du von der Geschichte?“

„Ziemlich düster dafür, dass das in der besinnlichen Adventszeit spielt“, urteilte er. „Und für Kinder ist das sicherlich nicht geeignet, jedenfalls nicht, wenn die so um die vier oder fünf Jahre alt sind. Das hört sich alles zu deprimierend an.“

„Hast du mal Charles Dickens gelesen?“, erwiderte sie.

„Als Kind hab ich mal einen Film gesehen, irgendwas mit einem Waisenkind“, antwortete er und verzog den Mund. „Ich gebe das nicht gerne zu, aber meine Mutter hat mich danach drei Tage lang trösten müssen, weil das alles so schrecklich war. Überall nur Tod und Elend und Verderben. Ich habe nie begriffen, warum die Engländer und der halbe Rest der Welt darum so ein Theater machen. Ich weiß, ich komme dir bestimmt wie ein totaler Kulturbanause vor, aber Dickens finde ich genauso überbewertet wie Shakespeare.“

„Ich gebe das jetzt auch nicht gerne zu – aber was du gerade gesagt hast, macht dich so richtig sympathisch“, gestand sie ihm. „Shakespeare lasse ich mir im Original noch gefallen, wenn ein guter Schauspieler die Hauptrolle hat, McKellen zum Beispiel. Dickens finde ich allerdings auch ziemlich düster. Aber genau genommen geht es ja um die Moral aus der Geschichte. Du weißt, Schuld und Sühne und Vergebung und so weiter.“

„Ja, all die wichtigen Themen, die einem einen Literaturpreis einbringen.“

„Na ja, es hat schon einen Sinn, über solche Dinge zu schreiben“, argumentierte sie. „Ich meine, am Ende nehmen die Ereignisse doch noch einen guten Verlauf, und für den Leser heißt das eben, dass er nie die Hoffnung aufgeben soll.“

Tobias grinste sie an. „Klappt aber nur, wenn man auf dem Weg zum Happy End nicht längst an Depressionen gestorben ist.“

„Das ist nicht witzig“, knurrte sie.

„Mag sein; auf jeden Fall halte ich so was Düsteres nicht für Kinder geeignet“, beharrte er.

„Sehe ich auch so“, pflichtete sie ihm bei. „Ich glaube, das sind auch mehr Geschichten für Erwachsene. Schließlich sind diese Morde ziemlich blutrünstig, und es wird außerdem noch detailliert geschildert, wie die Opfer zugerichtet werden.“

„Hat der Titel eigentlich einen tieferen Sinn, außer dass sich die Morde in der Adventszeit ereignen?“, fragte Tobias.

„Die Morde ereignen sich nicht bloß in der Adventszeit“, erklärte sie. „Sie finden auch alle an den vier Adventssonntagen statt.“

„Ah, raffiniert“, murmelte er.

„Der besondere Clou kommt ja noch“, sagte Alexandra. „Am ersten Sonntag bringt der Geist einen Mann um, am zweiten Sonntag ein Ehepaar, am dritten Sonntag drei Brüder und …“

„… und am vierten Sonntag vier Schwestern, richtig?“

„Fast. Am vierten Sonntag vier Bauern, die gemeinsam einen besonders großen Hof bewirtschaften“, erzählte sie. „Der Schrecken des Buchs liegt darin, dass man nach dem zweiten Advent ahnt, was an den beiden folgenden Wochenenden geschehen wird. Aber die Menschen wissen nichts davon, dass die Morde von einem Geist begangen werden. Also können sie auch nichts dagegen unternehmen und sich nicht vor ihm schützen. Ganz abgesehen davon war die Ermittlungsarbeit der Gesetzeshüter zu jener Zeit äußerst rückständig: Selbst wenn es sich bei dem Mörder um einen lebenden Menschen gehandelt hätte, wären die Polizisten ihm nicht schnell genug auf die Spur gekommen, um die Morde am dritten und vierten Advent zu verhindern.“

„Und über die Inszenierung der Handlung eines solchen Gruselromans sollst du einen Reisebericht schreiben?“, wunderte sich Tobias. „Ist das nicht zu schockierend für die Leute, wenn die sich das ansehen?“

Sie winkte ab. „Das ist genau das richtige Maß an Nervenkitzel, würde ich sagen. Vielleicht sogar schon eine Spur zu harmlos, wenn ich überlege, dass manche Leute sich heute ihren Nervenkitzel besorgen, indem sie Unfallopfer filmen.“

Tobias bemerkte, dass sich eine Lücke in der Autoschlange auf der Nebenspur auftat; rasch scherte er aus und überholte den Lastwagen. Während er gleich danach wieder auf die rechte Spur zurückkehrte, fragte sich Alexandra zwar, was er davon hatte, zwanzig oder dreißig Meter gewonnen zu haben, aber sie sprach ihn nicht darauf an. Sie hatte für den Augenblick schon genug an seinem Ego gekratzt.

„Dieses Mörderschauspiel“, sagte sie nach einer Weile, „Steht ja auch weniger im Mittelpunkt meiner geplanten Reportage. In erster Linie geht es um den Wintermarkt von Ruhsleben.“

„Was ist daran so besonders?“, wollte er wissen. „Das Dorf hat keine fünfhundert Einwohner. Da gibt es keinen Supermarkt, keinen Bäcker, nur eine einzige Dorfkneipe, wenn die Angaben im Internet überhaupt noch aktuell sind.“

„Das Besondere ist, dass der Dorfkern ab übermorgen bis zum 23. Dezember in einen Weihnachtsmarkt verwandelt wird“, erklärte sie. „Die ehemaligen Ladenlokale entlang der Hauptstraße, die inzwischen alle als Wohnungen benutzt werden, haben in dieser Zeit die Funktion von Weihnachtsmarktbuden: In ihnen bieten die Hausbesitzer Glühwein, Waffeln und alles andere an, was zu einem Weihnachtsmarkt gehört. Der findet sozusagen bei den Leuten im Wohnzimmer statt! Und das soll wohl sehr gemütlich sein, was ich mir auch gut vorstellen kann.“

„Auf jeden Fall klingt’s originell“, meinte Tobias. „Vor allem aber finde ich gut, dass wir wieder zusammen unterwegs sind. Wir zwei sind ein gutes Team.“

Sie gab einen unbestimmten Laut von sich.

„Oder findest du das nicht?“

„Doch, doch“, versicherte sie ihm. „Es ist nur so, dass bei der Aufklärung von Kriminalfällen eigentlich Kater Brown der Kopf unseres Teams ist – egal, ob wir beide zusammen oder getrennt unterwegs sind. Kater Brown löst den Fall, und wir sind seine Assistenten.“

„Na, ich weiß nicht“, sagte er. „Ich würde es eher so formulieren, dass Kater Brown uns Tipps gibt und wir diejenigen sind, die diese Tipps deuten und herausfinden, was es damit auf sich hat. Ohne uns wäre der Kater völlig aufgeschmissen.“

Ein lautes Knurren ertönte aus der Transportbox, die auf der Rückbank mit dem Gurt gesichert stand.

„Jetzt hat er dir aber die Meinung gesagt“, kommentierte Alexandra. „Von wegen – ohne uns wäre er aufgeschmissen.“

„Purer Zufall. Der Herr schläft tief und fest und hat nur im Traum was gesehen, was ihm nicht gefällt“, entgegnete Tobias.

„Wahrscheinlich hat er dich im Traum gesehen“, witzelte sie und deutete auf ein Hinweisschild. „Da kommt gleich eine Raststätte; lass uns rausfahren. Bis Ruhsleben sind es noch viele Kilometer, und ich könnte jetzt einen schönen starken Kaffee brauchen.“

„Ja, und Kater Brown wird sicher auch was essen wollen“, sagte Tobias. „Und gegen einen Kaffee hätte ich ebenfalls nichts einzuwenden.“

Wenig später hatten sie die Ausfahrt erreicht. Tobias verließ die Autobahn, fuhr um die Tankstelle herum und suchte einen Parkplatz nahe dem Eingang zur Raststätte. Die präsentierte sich als ein kleines Kunstwerk aus Chrom und Glas und wirkte mit ihrer flachen, tellerförmigen Struktur und den an allen Seiten abstehenden metallenen Spitzen so, als ob der Raumkreuzer Orion an der Autobahn eine Notlandung hingelegt hätte.

„Was für eine Architektur! Hoffentlich ist es drinnen nicht genauso extravagant“, sagte Tobias, als er den Motor abstellte. „Sonst müssen wir womöglich auf irgendwelchen rotierenden Ballons sitzen und unseren Kaffee aus glitzernden Schläuchen trinken.“

„Und ich dachte, dir würde die Bauart gefallen.“

Er zuckte mit den Schultern. „Grundsätzlich ja, aber das wirkt alles etwas übertrieben. So als hätte der Architekt nicht gewusst, wann er aufhören muss.“

Alexandra kletterte auf die Rückbank, öffnete die Box und legte Kater Brown die Leine an, die den gleichen dezenten Grauton hatte wie sein Geschirr. Prompt sprang er aus der Box und folgte Alexandra aus dem Wagen. Er schüttelte sich einmal kräftig und wollte schon neben ihr Richtung Raststätte gehen, als er abrupt stehen blieb und nach links sah.

„Was ist?“, fragte Tobias amüsiert. „Hast du noch nie Schnee gesehen, Kumpel?“

Neben dem geräumten Gehweg am Parkplatz erstreckte sich eine Wiese, die ein paar Zentimeter hoch mit Schnee bedeckt war. Kater Brown duckte sich leicht und schlich sich an den Rand der Wiese heran, dann verharrte er in dieser Position und starrte auf das weiße Etwas. Er stellte die Ohren nach vorn, schnupperte intensiv, und schließlich streckte er vorsichtig eine Pfote aus. Sekundenlang wartete er ab, dann schlug er mit der Tatze in den Schnee und zog sie gleich wieder zurück. Er schnupperte an der Pfote, leckte darüber und verharrte einen Moment lang in dieser Haltung, als müsste er erst einmal überlegen, was er von dem weißen Zeug halten sollte.

Alexandra wartete geduldig, was als Nächstes passieren würde.

„Willst du ihn nicht auf den Arm nehmen?“, fragte Tobias. „Es ist ziemlich kalt.“

„Nimm dir ein Beispiel an diesem Kater“, gab sie zurück. „Der steht barfuß in der Kälte rum. Außerdem will ich ihn jetzt nicht stören, sonst denkt er noch, dass Schnee irgendetwas Gefährliches ist, vor dem ich ihn bewahren will. Ich weiß nicht, wie viel Schnee uns in Ruhsleben erwartet, und ich will nicht, dass er all die Tage im Hotelzimmer bleiben muss, nur weil er sich nicht in den Schnee traut.“

Tobias hob abwehrend die Hände. „Schon gut. Trotzdem könnte er sich ja ein klein wenig beeilen. Früher oder später muss ihm auch mal kalt werden.“

Kater Brown belauerte weiter den Schnee, als hätte sich irgendwo darunter ein Tier versteckt, das er fangen wollte. Dann machte er einen Satz und landete mit allen vieren gleichzeitig im Schnee; es folgten ein paar Sprünge, die an ein übermütiges Zicklein erinnerten. Schließlich blieb er stehen, scharrte mal hier und mal da, biss vorsichtig in den Schnee hinein und schüttelte sich sofort, um die kalte Masse loszuwerden. Er sah Alexandra an, als wollte er sagen: „Na und? Ist das etwa alles.“ Dann marschierte er los, und sie konnte ihm nur folgen.

Im Vorbeigehen grinste sie den verdutzten Tobias an. „Siehst du? So muss man das machen.“

„Die Katzen-Super-Nanny hat gesprochen“, erwiderte er und schloss sich ihr an. Um zum Restaurant-Eingang zu gelangen, mussten sie um das futuristische Gebäude herumgehen.

Als sie um die Ecke bogen, blieben Alexandra und Tobias gleichermaßen verdutzt stehen, nur Kater Brown gab sich wie immer völlig unbeeindruckt.

„Lieber Himmel, das sieht ja aus, als … als …“, stammelte Alexandra.

Ihr fehlten bei diesem Anblick die Worte. Vor dem Eingang standen links und rechts Schnee- und Weihnachtsmänner, die bei einem halben Meter Höhe anfingen und dann wie die Orgelpfeifen jeweils etwas größer wurden. Die Letzten in den beiden Reihen waren wohl vier bis fünf Meter hoch. Genau ließ sich das nicht sagen, da alle diese Figuren an ein Gebläse angeschlossen waren, das nicht nur ihre prallen, runden Formen aufrechterhielt, sondern auch ihre Arme wild hin und her zucken ließ. Alle Figuren waren in ständiger Bewegung und wirkten so ein bisschen unheimlich.

Tobias schüttelte zuerst nur den Kopf, schließlich erklärte er fassungslos: „Es verschlägt einem wirklich die Sprache, wenn man diesen Weihnachtsunfug hier sieht.“

Langsam schritten sie weiter, zumal Kater Brown schon einige Meter vorausgegangen war und sich nun ungeduldig nach den beiden umschaute.

Kaum hatten sie das Spalier aus Schneemännern und Weihnachtsmännern passiert, gelangten sie in den Bereich, in dem der Sensor der Schiebetüren auf sie reagierte – aber nicht nur der.

Links und rechts von der Eingangstür standen zwei große Geschenkkartons mit roter Schleife, die genau zur selben Zeit auf das Erscheinen der neuen Kundschaft reagierten. Die Deckel klappten auf, aus jedem Karton erhob sich ein weiterer aufblasbarer Weihnachtsmann, und als Nächstes wurden die drei von beiden Seiten viel zu laut mit einer ziemlich blechernen Version von Jingle Bells beschallt. Das war an sich schon eine kleine Tortur für die Ohren, aber ihre Nerven wurden zusätzlich noch dadurch strapaziert, dass der rechte Karton mit dem Weihnachtslied ein, zwei Sekunden später als der linke begonnen hatte und anschließend hinterherhinkte.

Alexandra packte Tobias am Arm und zog ihn hastig hinter sich her nach drinnen. „Ach, du liebe Güte“, murmelte sie, als sie sah, was sie in den Innenräumen der Raststätte erwartete.

„Wenn ich im Radio höre, dass irgendwo eine Lagerhalle mit Weihnachtsdeko leer geräumt worden ist, werde ich die Polizei anrufen und ihr sagen, dass sie die Beute hier abholen kann“, sagte Tobias, während er die Eindrücke zu verarbeiten versuchte.

„Ich bezweifle, dass all das hier in einer einzigen Lagerhalle untergebracht war“, merkte Alexandra dazu an und schüttelte den Kopf.

Vermutlich war die Hälfte der Tische oder noch mehr aus dem Saal geschafft worden, um Platz zu machen für schätzungsweise jede beleuchtete und bewegliche Weihnachtsfigur, die in den letzten zwanzig oder dreißig Jahren irgendwo auf der Welt in den Handel gekommen war: Rentiere, Schneemänner, Schlitten, Weihnachtsmänner, Elfen, Tannenbäume, Eichhörnchen und undefinierbare Gestalten, die nach irgendwelchen Fehlproduktionen aussahen. Alles leuchtete und blinkte und blitzte. Einige Weihnachtsmänner beschallten ihre Umgebung alle paar Sekunden mit einem kraftvollen „Ho, ho, ho!“, und verschiedene andere Figuren bewegten die Köpfe und Arme im Takt irgendwelcher Weihnachtslieder, die sich zu einem Klangteppich vereinten, der etwas seltsam Einlullendes an sich hatte.

An der Deckenverkleidung hingen Dutzende Sterne in allen Formen, Größen und Farben. Manche leuchteten einfach nur, andere blinkten hektisch und verbreiteten anstelle von Besinnlichkeit bestenfalls Augenschmerzen.

Alle Tische waren um dieses seltsame Sammelsurium herum angeordnet, sodass man sich dem Schauspiel nicht entziehen konnte. Darüber hinaus waren sie mit ausladenden Adventsgestecken und Plüschfiguren dekoriert, wobei „Vollgestellt“ wohl die treffendere Bezeichnung gewesen wäre. Ein paar Tische waren tatsächlich besetzt, und es sah nicht so aus, als hätten die Gäste da allzu viel Platz für ihre Teller und Getränke.

„So stelle ich mir die Hölle für Weihnachtshasser vor“, befand Tobias schließlich, nachdem er alles erfasst hatte, was es von seiner Position gleich hinter der Eingangstür zu sehen gab.

Alexandra nickte. „Ich mag’s ja weihnachtlich und stimmungsvoll, und ich liebe ja auch manches Kitschige“, räumte sie ein. „Aber das hier … ja … das ist …“ Sie zuckte mit den Schultern. „Tut mir leid, aber mir fällt absolut kein passendes Wort ein, um das hier zu beschreiben.“

„Tja, aber wenn wir was essen wollen, werden wir das wohl in Kauf nehmen müssen.“

„Kommt drauf an, was wir essen wollen“, gab sie zurück. „Ich dachte zwar an irgendwas mit Rotkohl und Knödeln, aber …“

„Was ist denn ‚irgendwas‘ mit Rotkohl und Knödeln?“, fragte Tobias verwundert. „Müsste es nicht Schweinebraten dazu geben?“

„Müsste ja, aber erstens verzichte ich gern mal auf Fleisch, wie du weißt, und zweitens habe ich Appetit speziell auf Rotkohl und Knödel. Was noch dabei ist, ist mir ganz egal.“