Katharina von Bora (Biografie) - Albrecht Thoma - E-Book

Katharina von Bora (Biografie) E-Book

Albrecht Thoma

0,0
1,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Für alle, die sich für starke Frauenfiguren und die Geschichte der Reformation interessieren, ist Albrecht Thomas Biografie 'Katharina von Bora' ein absolutes Muss. Durch die meisterhafte Darstellung von Katharinas Leben und Wirken bietet das Buch nicht nur historische Erkenntnisse, sondern auch eine inspirierende Lektüre über Mut, Entschlossenheit und den Wunsch nach Freiheit. Thoma entführt den Leser in eine vergangene Ära, in der Frauen oft im Schatten standen, aber Katharina von Bora beweist, dass sie das Licht der Geschichte verdient hat.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Albrecht Thoma

Katharina von Bora (Biografie)

Die Lebensgeschichte der Lutherin - Biografie der Frau an der Seite von Martin Luther
 
EAN 8596547770404
DigiCat, 2023 Contact: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel

 1. Katharinas Herkunft und Familie.

Sachsen und Meißen Bora Lippendorf Eltern und Brüder „Muhme Lene“ und Maria v. Bora Armut der Familie Der Eltern Tod

2. Im Kloster

„Ehrsame“ Jungfrauen Adelige Stifter Klosterkinder Nimbschen Klosterfrauen Klausur Würden Klostergenossinnen Die Novize Kloster-Regel Erziehung Die Postulantin Einsegnung Tagewerk Reliquien Ablaß Kloster-Erlebnisse Nonnen-Beruf

3. Die Flucht aus dem Kloster

Luthers Schriften über Ablaß, gute Werke, Klostergelübde Vermittelung der Schriften Leonhard Koppe Austrittsgedanken Die Verwandten Klagebrief an Luther Bedenken Flucht-Plan Das Entkommen aus dem Kloster Die Flucht Offener Brief an Koppe, „daß Jungfrauen Kloster göttlich verlassen mögen“ Der Abt von Pforta Neue Entweichungen

4. Eingewöhnung ins weltliche Leben

Versorgung der Klosterjungfrauen Katharina bei Reichenbach Hier. Baumgärtner D. Glatz

5. Katharinas Heirat

Luther drängt zur Ehe Verehelichung von Priestern und Klosterleuten Luther denkt zu heiraten Eine Nonne soll's sein Luthers Werbung Trauung und Hochzeit Gäste Geschenke Das Fest

6. Das erste Jahr von Katharinas Ehestand.

Im „Schwarzen Kloster“ Ausstattung Angewöhnung Unterhaltung Bild „Die erste Liebe“ Verstimmung der Freunde Schmähungen der Feinde Gefahren Stimmungen

7. Katharina als Mutter ihrer Kinder und Hausgenossen.

Johannes Elisabeth Magdalena Martin, Paul Margareta Elternfreuden Muhme Lene Neffen und Nichten Zuchtmeister Gesinde, Gäste Besuche

8. Katharinas Haushalt und Wirtschaft.

Das Regiment in Luthers Haus Haus und Hof Bauereien Geräte Schenkungs-Urkunde Teurer Markt Landwirtschaft Gärten „Haus Bruno“, Gut Booß Zulsdorf Grundbesitz Arbeitsseligkeit

9. „Wunderliche Rechnung zwischen D. Martin und Käthe.“

Armut Einkünfte „Geschenke“ Umsonst Hausrechnung. „Gieb Geld“ Luthers Mildthätigkeit Schulden insidiatrix Ketha „Rätlichkeit“ „Wunderlicher Segen“ „Lob des tugendsamen Weibes“

10. Häusliche Leiden und Freuden.

Schwerer Haushalt Krankheitsanfall Luthers (1527) Die Pest Hochzeit und Tod Flüchtlinge und Hochzeiten Visitationsreisen Briefe von der Koburg Die Großeltern Besuche und Reisen Ein Kardinal in Wittenberg Tischgesellen, Famulus, Käthes Brüder Kinderzucht Rosine Käthes Tagelöhner

11. Hochzeiten und Krankheiten, Pest und Tod.

„Mühmchen Lene“ und Veit Dietrich Lenchens Verlobung (1538) „Des Teufels Fastnacht“ (1535) In den „hessischen Betten“ Luthers tödliche Krankheit in Schmalkalden (1537) Muhme Lene † Pflege der Elisabeth von Brandenburg Wieder Pest (1539) Käthes tödliche Krankheit (1539) Briefe aus Weimar (1540) Allerlei Sorgen Hanna Strauß verlobt und Mühmchen Lene verwitwet Haus in Torgau, Lenchens Krankheit und Tod Hansens Heimweh

12. Tischreden und Tischgenossen.

Eine akademische Hochzeit Allerlei Feste Besuche CordatusStiefelKummer, LauterbachSchlaginhaufen, WellerHennik; Barnes; de BaiDietrichBesoldHolstein; Schiefer; MatthesiusGoldschmidt u.a. Käthes „Tischburse“ Die „Tischgespräche“

13. Hausfreunde.

Humanisten-Freundschaft Der Freundeskreis des Lutherischen Hauses Grüße und Geschenke Amsdorf; AgrikolaProbstBrisger, Biscampius, Zwilling; Mykonius; Capito Die Nürnberger: Link und Friedrich; BaumgärtnerDietrich; Geschwister WellerHausmannSchlaginhaufenLauterbachSpalatin Hans von Taubenheim Amtsgenossen KreuzigerBugenhagenJonasMelanchthon Sabinus und Lemnius Brief der Freunde an Käthe Die Tafelrunde Freundinnen

14. Käthe und Luther.

Die „Erzköchin“ Luthers Enthaltsamkeit und Festfreude Käthe als Krankenpflegerin Käthes Humor Verdächtigungen Käthes Käthes geistige Interessen Was Luther von Käthe hielt „Ihr“ und „Du“ „Herr“ Käthe „Liebe“ Käthe Luthers ungünstige Aeußerungen Lob des Weibes „Häuslicher Zorn“ Lob des Ehestandes und Käthes Käthes „Bildung“ Ebenbürtigkeit Käthes Bild

15. Luthers Tod.

Trübe Zeitlage Hader im eigenen Lager Die „garstigen“ Juristen Abscheiden der Freunde Luthers zunehmende Krankheiten Arbeit und Humor Wegzugsgedanken „Speckstudenten“ und Kleidermoden Abreise Schrecken in Wittenberg Reisen nach Eisleben Briefe von Halle und Eisleben Der letzte Brief Die Todesnachricht Zurüstung zur Bestattung Trostbrief des Kurfürsten Der Leichenzug Katharinas Stimmung

16. Luthers Testament.

1. Kapitel

Katharinas Herkunft und Familie[1].

Inhaltsverzeichnis

Zur Zeit der Reformation umfaßte das Land Sachsen etwa das heutige Königreich, den größten Teil der Provinz Sachsen und die thüringisch-sächsischen Staaten. Diese sächsischen Lande aber waren seit dem Erbvertrag von 1485 zwischen den Ernestinern und Albertinern geteilt in ein Kurfürstentum und ein Herzogtum. Wunderlich genug war diese Teilung, aber ganz nach damaligen Verhältnissen: zum Albertinischen Herzogtum, auch „Meißen“ genannt, gehörte der größte Teil vom heutigen Königreich mit den Städten Meißen, Dresden, Chemnitz; ferner ein schmaler Streifen von Leipzig bis nach Langensalza. Dazwischen dehnte sich das Kurfürstentum mit den Hauptstädten Wittenberg, Torgau, Weimar, Gotha, Eisenach westwärts, und Zwickau und Koburg nach Süden. Die Kursachsen sahen mit einigem Stolz auf ihre Nachbarn herab, welche bloß herzoglich waren, gebrauchten auch wohl den alten Spottreim: „Die Meißner sind Gleisner“. Wenn's auch nicht wahr war, es reimte sich doch gut[2].

Aus dem Herzogtum Meißen stammte nun Katharina von Bora, Luthers Hausfrau[3], während er selbst ein geborener Mansfelder, dann ein Bürger der kursächsischen Residenz Wittenberg und Beamter des Kurfürsten war. Er beklagte sich wohl bei seiner Frau über ihren Landesherrn, Herzog Georg den Bärtigen, welcher, ein heftiger Gegner der Reformation, mit Luther in steter Fehde lag, gehässige Schriften gegen ihn losließ und die Lutheraner im Lande „Meißen“ verfolgte. Daneben neckte Luther seine Käthe auch, als sie in Leipzig bei seinen Lebzeiten die Märe von seinem Tode verbreiteten: „Solches erdichten die Naseweisen, deine Landsleute“[4].

Im Meißenschen nun hinter der Freiberger Mulde, eine Stunde ostwärts von dem „Schloß und Städtchen“ Nossen lagen die beiden Ortschaften Wendisch- und Deutschenbora[5], eine Viertelstunde von einander zwischen Tannengehölzen, denn Tanne heißt auf slavisch „Bor“[6]. Hier hatte das Geschlecht der Bora seinen Stammsitz. Von dort verpflanzte es sich in verschiedenen Zweigen an viele Orte des Sachsenlandes; so auch in die Nähe von Bitterfeld und Borna, je fünf Stunden nördlich und südlich von Leipzig. Sie führten alle im Wappen einen steigenden roten Löwen mit erhobener rechter Pranke in goldenem Feld und den Pfauenschweif als Helmzier[7].

Aus welchem dieser neun oder zehn Zweige aber Frau Katharina, des Reformators Ehegattin, stammte, ist nicht mehr gewiß auszumachen. Mehr als sieben Orte, wie bei dem Vater der griechischen Dichtung, Homer, streiten sich um die Ehre, ihre Geburtsstätte zu sein: das ist fast jeder Ort, wo früher oder später Bora gewohnt und gewaltet haben. Aber man kann eher noch beweisen, daß sie aus acht dieser Orte nicht stammt, als daß sie am neunten Ort wirklich geboren sei[8].

Vielleicht ist Katharinas Geburtsort beim alten Stammsitz des Geschlechts: zu Hirschfeld, einem sehr fruchtbaren Hofgut in der dörferreichen Hochebene, wo man nördlich nach dem nahen Deutsch-Bora und dem etwas ferneren Wendisch-Bora schaut, gen Westen aber, in einer Entfernung von einer Stunde, die burggekrönte Bergnase von Nossen erblickt.

Wahrscheinlicher aber wurde Käthe zu Lippendorf geboren. Westwärts nämlich von Borna an der Pleiße zieht sich als meißnisches Gebiet ein weites Blachfeld, dessen Einförmigkeit nur durch dunkle Gehölze unterbrochen wird. Nur ein paar hundert Schritte von dem Kirchdorf Medewitzsch erhebt sich das Häuflein Häuser des kleinen Dörfchens Lippendorf und etwas abseits gelegen ein größeres Gut, mit einem Teiche dahinter. Das war zwar kein rittermäßiger Hofsitz, aber doch ein stattliches Lehngut, das heutzutage seinen Besitzer zu einem wohlhabenden Bauern macht. Um 1482 saß dort ein Hans von Bora mit seiner Gemahlin Katharina; um 1505 ist's ein Jan von Bora mit seiner Gattin Margarete, einer geborenen von Ende. Wahrscheinlich ist Hans und Jan nicht Vater und Sohn, sondern dieselbe Person und Margarete nur seine zweite Ehefrau.

Hier wäre nun Katharina an dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, 15-1/4 Jahre nach Martin Luther, auf die Welt gekommen. In diesem bauernhofähnlichen Anwesen wäre sie — vielleicht unter einer Stiefmutter — herangewachsen. An diesem Teich hätte sie als Kind gespielt und hinübergeschaut nach dem nahen Rittersitz Kieritzsch mit seinem Schloßpark und kleinen Kirchlein, und weiterhin über die Wiesen und Gehölze der Mark Nixdorf nach der „Wüstung Zollsdorf“ — wo sie später als ehrsame Hausfrau und Doktorin vom fernen Wittenberg herkommend hausen und wirtschaften sollte, wie sie's zu Lippendorf in Hof und Stall, Küche und Keller von der fleißigen Mutter gelernt.[9]

Aber sicher ist diese Annahme nicht. Es kann auch ein anderer Ort Katharinas Geburtsstätte sein.

Ja, sicher weiß man nicht einmal den Namen von Vater und Mutter. Hans konnte der Vater wohl geheißen haben, so hieß damals jeder dritte Mann, auch im Bora'schen Geschlecht. Und nach einer andern, nicht unglaubwürdigen Nachricht wäre die Mutter eine geborene von Haubitz gewesen und hätte nach der Tradition den ebenfalls zu jener Zeit sehr beliebten Namen Anna getragen. Dann wäre freilich Lippendorf nicht Käthes Heimat gewesen. Unzweifelhaft gewiß ist nur ihr Geburtstag, der 29. Januar 1499; denn dieser Tag ist auf einer Schaumünze eingegraben, die heute noch vorhanden ist[10].

Auch ihre nächsten Verwandten sind bekannt.

Katharina hatte wenigstens noch drei Brüder. Der eine, dessen Name nicht genannt ist, verheiratete sich mit einer gewissen Christina und starb ziemlich frühzeitig, vielleicht schon um 1540. Denn sein Sohn Florian, der etwa gleichaltrig mit Luthers Aeltestem d.h. damals vierzehn Jahre alt war, wurde um diese Zeit ins Haus genommen und wollte 1546 die Rechte studieren; damals war „Christina von Bora Witfraw“[11].

Der andere Bruder Katharinas ist Hans von Bora. Er war 1531 in Diensten des Herzogs Albrecht von Preußen, kehrte aber etwa 1534 von dort zurück, um für sich und seine Brüder das Gütlein Zulsdorf als „Erbdächlein“ zu übernehmen. Er bekam in seinen Mannesjahren von seinem Schwager Luther und von Justus Jonas das Lob eines „aufrichtigen, feinen und treuen Menschen“. „Treu und brav ist er, das weiß ich, dazu auch geschickt und fleißig“, bezeugt ihm Luther[12].

Weniger Löbliches ist von dem dritten Bruder Klemens bekannt. Er kam mit Bruder Hans nach Königsberg, geriet aber nach dessen Rückkehr in die Gesellschaft eines adligen Raufboldes, der in seiner Gegenwart einen Zimmergesellen im Rausch erstach, was ihm selbst übeln Ruf zuzog und ihn in Ungnaden bei dem Herzog brachte[13].

Außer den Brüdern Katharinas ist auch eine Muhme (Base) Lene bekannt, welche später in Luthers Haus lebte. Es wird dies niemand anders sein als die Magdalena von Bora, des Vaters Schwester[14], welche freilich zur Zeit von Katharinas Geburt schon lange im Kloster Nimbschen lebte.

Wenn es wahr ist, daß um 1525 eine Maria von Bora auf Zulsdorf sich nach Wittenberg verheiratete[15], so müssen auf diesem Vorwerk in den zwanziger Jahren noch nahe Verwandte gelebt haben. Reich konnten diese aber nicht sein, denn das ganze Gut war nur 600 fl. wert und nährte seinen Mann nicht, wie später Bruder Hans selbst erfuhr. Ein weiterer Verwandter Katharinas war Paul von Rachwitz, welcher zu Bitterfeld wohnte in dessen Nähe auch in Zweig der Bora hauste[16].

Die Familie Katharinas muß recht arm gewesen sein: es heißt sogar: sie war in die äußerste Bedrängnis geraten. Florian, der Sohn des ältesten Bruders, war jedenfalls nach seines Vaters Tod, obwohl dieser wahrscheinlich das Erbgut besaß, doch auf Stipendien angewiesen für seine Studien. Bruder Hans war am preußischen Hof so ärmlich gestellt, daß Luther für ihn dem Herzog Albrecht „beschwerlich sein“ und schreiben mußte: „Nachdem meiner Käthen Bruder Hans von Bora nichts hat und am Hofe Kleid und Futter genug nicht hat, wollten E.F.Gn. verschaffen, daß ihm jedes Vierteljahr ein paar Gulden würden zugeworfen, damit er auch Hemd und andere Notdurft bezahlen möchte.[17]“

Katharina selbst endlich hat, wie es scheint, nicht einmal ein Leibgeding mit ins Kloster bekommen, wie es andere, wohlhabendere adlige Fräulein mit durchschnittlich 3 Schock[18] jährlich erhielten; und auf ihre Einsegnung konnte sie nur 30 Groschen spenden, während neue Nonnen wohl 100 oder wenigstens 40 Groschen opferten. Bei ihrer Heirat konnte sie keine Mitgift in die Ehe bringen[19].

So ist also Katharina von Bora — wo es auch sei — in gar engen Verhältnissen aufgewachsen, und wenn man sich das junge Mädchen etwa als zartes Ritterfräulein am Burgfenster mit dem Stickrahmen oder als Jägerin auf stolzem Zelter vorstellen wollte, so gäbe das ein gar falsches Bild. Wir haben sie uns vielmehr zu denken wie eine junge Bauerntochter auf dem Hofgut schaltend und waltend, der Mutter an die Hand gehend in der Wirtschaft, zugleich als die Aelteste, vielleicht als einziges Töchterlein, auch eine gewisse Selbständigkeit und Herrschergabe entfaltend, wie sie sich später in der reifen Frau entwickelt zeigt.

Freilich ein wirkliches anschauliches Bild ihrer Kindheit zu entwerfen vermögen wir nicht, dazu fehlen alle Anhaltspunkte, alle Formen und Farben. Wir mögen dies bestimmte Bild aus der ersten Jugendzeit, in die wir uns bei einem Menschenleben so gerne versenken, bei Katharina schmerzlich vermissen, da sich die ganze Umgebung, der Hintergrund der Landschaft und selbst die notwendige Staffage von Vater und Mutter und alles, was auf ein junges Menschenkind einwirkt, bis auf die Namen verwischen und verschwinden, während zum Beispiel bei ihrem Gatten, dem Doktor Luther, Elternhaus, Vater, Mutter, Geschwister, Gespielen, Heimat und Schule so deutlich und plastisch sich herausheben, daß sie ein gar lebendiges und farbenreiches Gemälde geben. Aber man kann sich doch auch wieder über diesen Mangel leicht trösten.

Denn wie es scheint, sind die Eltern beide früh gestorben. Sobald Katharina ins Licht der Geschichte tritt mit ihrer Heirat, ja schon bei ihrer Entweichung aus dem Kloster, ist jede Spur von ihnen verschwunden: die Eltern erscheinen nicht bei ihrer Hochzeit, wie die Eltern von Luther; sie werden um ihre Einwilligung nicht gefragt, worauf doch Luther sonst so großes Gewicht legt; ja sie kommen schon nicht in Betracht bei der Flucht aus dem Kloster, als es sich um eine Unterkunft handelt; und auch während der ganzen Klosterzeit kommt Vater und Mutter nicht zum Vorschein, wie es doch oftmals bei Klosterjungfrauen der Fall ist. Vielleicht ist gerade der Eltern früher Tod für Katharina die Veranlassung gewesen, so bald ins Kloster einzutreten.

Wie dem aber auch sei, die geistige Entwicklung des jungen Fräuleins fällt nicht in das Elternhaus. Denn sehr früh kam Katharina von daheim fort und ihre bewußte Jugendzeit verbrachte sie fern von der Heimat im Jungfrauen-Stift.

So fällt Katharinas Eintritt, obwohl sie 15 Jahre jünger war, etwa in dieselbe Zeit, als der Erfurter Magister Martin Luther die Studien verließ und in das Kloster der Augustiner ging.

2. Kapitel

Im Kloster.

Inhaltsverzeichnis

Wenn heutzutage ein armes Mädchen aus besseren Ständen versorgt werden soll, das nicht auf große Mitgift und darum auf Verheiratung rechnen und somit dem natürlichen weiblichen Beruf, dem Familienleben, voraussichtlich entsagen muß, so kommt es in eine Anstalt und bildet sich zur Lehrerin oder dergleichen aus. Im Mittelalter kam so ein armes Fräulein, dessen Ausstattung die schmalen Erbgüter der Stammhalter und Schwestern noch mehr geschmälert hätte, zur Versorgung ins Kloster. Die alten Klöster (der Benediktiner, Cisterzienser, Bernhardiner) wurden so Versorgungsanstalten[20]. Es waren adelige Stifter, fromme Anstalten der Vorfahren, worin „ehrsame“ (d.h. adelige) Jungfrauen Gott dienen und für die Seelen der Lebenden und Verstorbenen beten sollten[21]. Statt des jetzigen „geistigen“ Berufs zum Wirken in der Welt für lebendige Menschen diente damals der „geistliche“ Beruf zur Verehrung Gottes und der Heiligen, zum ewigen Seelenheil der Lebenden, namentlich aber der toten Anverwandten im Fegefeuer. Statt der heutigen freien und doch nicht immer freiwilligen Entschließung zu einem selbstgewählten Beruf, der freilich immer nur bedingungsweise und auf Zeit ergriffen wird, galt es damals die „ewige“ unwiderrufliche „Vergelübdung“ auf Lebenszeit; statt der „Emanzipation“, welche einer außer dem Familienleben stehenden Jungfrau heute mehr oder weniger wartet, harrte ihrer damals die „Klausur“, die Einschließung in die Klostermauern in einem streng geschlossenen Verband, dem „Orden“, unter dem straffen Bande der „Regel“, der Klostersatzungen.

Nach Begabung und Neigung zu diesem geistlichen Beruf wurde da wenig gefragt, und es konnte auch keine Rücksicht darauf genommen werden[22]. Dazu war in diesen Zeiten die elterliche Autorität, namentlich über Töchter, viel zu groß, und der Familiensinn in solchen adeligen Häusern war ein zu stark ausgeprägter, als daß sich ein Glied in individueller Neigung gegen das Herkommen und die Familiensitte wie gegen die Forderungen der Existenzbedingungen seines Geschlechts aufgelehnt hätte. Nach den kirchlichen Bestimmungen galt der Grundsatz: „Einen Mönch macht entweder die elterliche Vergelübdung oder die eigene Einwilligung“[23], also in erster Linie die Bestimmung der Eltern! Diese hielten es eben für eine standesgemäße Versorgung und zugleich für einen „guten seligen Stand“, wie eine Nonne aus dieser Zeit erklärt[24].

Zudem wurden die Töchter in einem Alter in das Stift gethan, wo von einer Willensentscheidung gar keine Rede sein konnte[25]. Die Mädchen waren noch Kinder. Der Eintritt konnte schon im sechsten Lebensjahr geschehen; viele kamen auch später hinein, wenn sich die Familienverhältnisse durch Wachstum der Kinderzahl, Tod der Mutter und dergleichen anders gestalteten. Aber auch in noch früherem Alter wurden „Kostkinder“ aufgenommen, welche dann auch oft Klosterjungfrauen wurden.

„Es ist eine hohe Not und Tyrannei, daß man leider die Kinder, sonderlich das schwache Weibervolk und junge Mädchen in die Klöster stößet, reizet und gehen läßt“ — so äußert sich Luther gerade über das Kloster, worin sich Katharina von Bora befand, und ruft entrüstet aus: „O die unbarmherzigen Eltern und Freunde (Verwandten), die mit den Ihren so schrecklich und greulich verfahren!“[26]

Nicht anders erging es auch der Tochter aus dem verarmten Hause Bora. Katharina ward ins Kloster geschickt — gefragt wurde das Kind natürlich nicht; es geschah „ohne ihren Willen“, wie denn Luther im allgemeinen von ihr und ihren Mitschwestern von Verstoßung ins Kloster redet und von Zwang. Er fragt bei dieser Gelegenheit seine Zeitgenossen: „Wie viel meinst du, daß Nonnen in Klöstern sind, die fröhlich und mit Lust ungezwungen ihren Gottesdienst thun und Orden tragen? Unter tausend kaum eine. Was ist's, daß du solches Kind läßt also sein Leben und alle seine Werke verlieren?“[27]

Katharina kam vielleicht schon mit dem 6. Lebensjahr ins Kloster; denn in ihrem sechsten Lebensjahr verschreibt Jan von Bora auf Lippendorf alle seine Güter allda seiner — vielleicht in diesem Jahr geheirateten zweiten — Ehefrau. Jedenfalls war Katharina im zehnten Lebensjahr (1509) schon Klosterjungfrau; und zwar nicht mehr die jüngste, sondern die zweitjüngste von den Aufgenommenen und blieb noch lange Jahre (bis 1516) die vorletzte in der Reihe der Schwestern[28].

Klöster gab es damals genug im Land: es wurden allein im Meißnischen gegen 30 Nonnenklöster gezählt[29]. In welches Kloster Katharina eintreten sollte, das stand von vornherein fest: es mußte das adelige Cisterzienserinnen-Kloster „Marienthron“ oder „Gottesthron“ Nimbschen bei Borna im Kurfürstentum Sachsen sein[30]. Denn hier war eine Muhme von Vaterseite, vielleicht Vatersschwester Magdalene von Bora schon lange Zeit Klosterjungfrau und bekleidete von 1502-8 das Amt einer Siechenmeisterin, d.h. Krankenwärterin der Nonnen. Außerdem waren, scheint es, noch zwei Verwandte aus der mütterlichen Familie der Haubitz da: eine ältere Margarete und eine jüngere Anna.

Das Kloster Nimbschen hat eine hübsche Lage. Eine Stunde unterhalb, nachdem die beiden Mulden, die Zwickauer von Süden und die Freiberger von Osten her zusammengeflossen sind zu der großen Mulde, erweitert sich das enge Flußthal zu einer viertelstundebreiten ebenen Aue, welche die Form eines länglichen Blattes hat und eine halbe Stunde lang ist. Am Ostufer zieht sich eine schroffe Felswand aus Porphyr hin, an welche das Muldebett sich anschmiegt; im Westen begrenzt eine niedrige, sanfter ansteigende, waldbewachsene Hügelkette den Werder. Ueber der nördlichen Blattspitze, die scharf durch die zusammenrückenden Felswände abschließt, erhob sich eine Burg und jenseits der Thalsperre, ungesehen von der Aue aus, liegt die Stadt Grimma; an dem obern Ende der Aue, unmittelbar am Fuße des westlichen Waldhügels, stand das Kloster. Es war also abgelegen von der Welt, abgeschlossen durch die beiden Hügelreihen, nur mit dem Blick auf die stille ruhige Aue. Drüben floß die Mulde ungesehen tief in ihren Ufern, überragt von der Felswand, hüben erhob sich der hügelige Klosterwald. Nordwärts davon schimmerte ein ziemlich großer Teich, welcher die leckere Fastenspeise barg.

Aus dem Hügel unmittelbar neben dem Kloster waren die schmutzig braunen Porphyrsteine gebrochen, mit welchen die Mauern und Klostergebäude aufgebaut waren; ein Graben an diesem Hügel hin verhinderte noch mehr den unbefugten Zutritt.

Das Klostergebäude war sehr umfangreich, denn so eine alte Cisterzienser-Abtei bildete eine Welt für sich: nach alter Regel mußte das Kloster alle seine Bedürfnisse selber durch eigene Wirtschaft befriedigen[31]. Daher gab es neben dem eigentlichen „Gotteshaus“, wie ein geistliches Stift genannt wurde, noch allerlei Wirtschaftsgebäude: Ställe für Pferde, Rinder, Schweine, Geflügel mit den nötigen Knechten und Mägden, Hirten und Hirtinnen für Füllen, Kühe, Schafe (das Kloster hatte deren 1800!), Schweine und Gänse; ferner Mäher, Drescher, Holzhauer, eine „Käsemutter“. Das Kloster selbst zerfiel in zwei Gebäudekomplexe: „die Propstei“ und die „Klausur“. Die Propstei schloß sich um den äußeren Klosterhof und umfaßte die Wohnung des Vorstehers oder Propstes, eines „Halbgeistlichen“, welcher mit „Ehren“ („Ehr“) angeredet wurde, dann die Behausung des Verwalters oder Vogts (Voit) samt dem Schreiber; ferner das „Predigerhaus“, in welchem die zwei „Herren an der Pforte“, d.i. Mönche aus dem Kloster Pforta, als Beichtväter wohnten, denn Pforta hatte die Oberaufsicht über Nimbschen. Ein Brauhaus, Backhaus, Schlachthaus, Schmiede, Mühle, Küche und Keller waren noch da, worin die verschiedenen Klosterhandwerker hausten und hantierten; auf dem Thorhaus saß der Thorwärter Thalheym. Ein „Hellenheyszer“ hatte die Oefen zu besorgen.

Es war eine gar umfangreiche Wirtschaft und ein großes Personal: 40-50 Leute waren in der Klosterzeit Katharinas von Bora täglich „über den Hof“ zu speisen; und dazu mußten Löhne gezahlt werden, vom Oberknecht mit 4 Schock 16 Groschen und Vorsteher mit 4 Schock an bis zur Gänsehirtin, welche nur 40 Groschen bekam.

Um alle diese Personen zu besolden und neben den Klosterfrauen zu speisen, brauchte es natürlich großer Einkünfte an Geld, Getreide, Hühnern, Eiern u.s.w. von den Klosterdörfern und Höfen, außer den Klostergütern, die vom Klosterpersonal selbst bewirtschaftet wurden. Ferner hatten die Bauern noch gar manche Fronden mit Ackern, Düngen, Dreschen, Mähen und Heuen, Schneiden, Holzmachen, Hopfen pflücken, Flachs und Hanf raufen, riffeln und rösten, Schafscheren, Jagdfron (Treiben bei der Jagd) wofür teilweise Essen und Trinken, bei der Jagd auch Geld gereicht wurde.

Die Nonnen selbst wohnten in der „Klausur“, einem zweiten Gebäudekomplex, welcher im Viereck um einen kleinen Hof gebaut war und aus der Kirche, dem Refektorium (Speisehaus), dem Dormitorium (Schlafhaus mit den Zellen) und dem Konvent (Versammlungshaus) bestand. Die Abtei, die Wohnung der Aebtissin, welche nicht zur Klausur gehörte, war zwischen dieser und dem Propsthofe.

Hier im Kloster lebten nun einige vierzig Töchter adeliger Häuser aus verschiedenen Gegenden des kurfürstlichen und herzoglichen Sachsen. Dazu kamen noch ein halb Dutzend „Konversen“ oder Laienschwestern, die um Gottes willen, d.h. umsonst dienten. Ferner mehrere bezahlte „Kochmeide“, darunter eine Köchin, und die „Frauen-Meid“, d.h. die Dienerin der Aebtissin. Diese hatte außerdem noch zwei Knaben zu ihrer Verfügung, die natürlich im äußern Klosterhof wohnten und zu Kleidern und Schuhen zusammen 1 Schock jährlich erhielten[32].

Die adeligen Klosterfrauen bildeten die Sammlung, den Konvent und hießen daher auch Konventualinnen. Das war eine kleine weibliche Adelsrepublik, die sich in allen Dingen selbst regierte nach der „Regel“, den Gesetzen, auf die sie eingeschworen waren — bloß unter Oberaufsicht ihres Visitators, des Abtes von Pforta, der aber auch nur auf Grund der Regel anordnen und rügen konnte. Die Regel war die des hl. Bernhard, eine etwas strengere Abart derjenigen der gewöhnlichen alten Benediktinerinnen[33].

Die Nonnen waren außer der Aebtissin in die Klausur eingeschlossen, aus welcher sie nur in Klosterangelegenheiten mit besonderer Erlaubnis, und dies selten und in Begleitung einer Seniorin und des Beichtvaters, heraustreten durften. Ein Verkehr mit der Außenwelt oder auch nur mit den Klosterleuten auf der Propstei fand nicht statt; auch in der Kirche waren sie auf einem besonderen dicht vergitterten Nonnenchor den Blicken der Weltleute entzogen. Verboten war ausdrücklich das Uebersteigen an der Orgel und das Herauslehnen über die Umzäunung des Chors. Wenn jemand von draußen (Geistlicher oder Weltlicher) mit einer Klosterjungfrau zu reden hatte, etwa die Eltern und Geschwister zu Besuch kamen, so durften sie nur mit besonderer Erlaubnis der Aebtissin, und nur wenn es die Not erforderte, in der Redstube durch das vergitterte Redfenster und in Gegenwart der Aebtissin mit ihr sprechen; es war unmöglich gemacht, daß jemand die Hand oder ein Ding durch das Fenster steckte. Ebenso war der Beichtstuhl vermacht, und selbst der Beichtvater durfte nur in Krankheitsfällen in die Klausur eintreten. Festlichkeiten und Ergötzungen sollten die Beichtväter nicht mit den Klosterjungfrauen mitmachen. Der Pförtnerin war bei Strafe verboten, Hunde (?), alte Weiber und dgl. einzulassen[34]. Die Schwestern durften auch nicht mit den Klosterkindern[35] zusammen schlafen.

In diesem klösterlichen Verband gab es zur Regierung und Verwaltung der Gemeinschaft zahlreiche Aemter. Mit ziemlich unumschränkter Gewalt herrschte die gewählte Aebtissin: ihrem Befehl und ihren Strafen war mit wortlosem, unbedingtem Gehorsam nachzukommen; doch war sie gehalten, überall den Rat ihrer „Geschworenen und Seniorinnen“ zu hören. Ihr war nicht nur die äußere Verwaltung der Gemeinschaft übertragen, auch die „Leitung der Seelen und Gewissen“. Sie sollte sich bestreben, gleich liebreich gegen alle, Junge und Alte, aufzutreten, für alle, Gesunde und Kranke, namentlich in ihrer leiblichen Notdurft, besorgt zu sein.

Mit Ehrfurcht nahten die Schwestern der Aebtissin, sie war die Domina (Herrin), die ehrwürdige Mutter, und die draußen wenigstens nannten sie „Meine gnädige Frau.“ Im Jahr 1509, also kurz nachdem Katharina von Bora in Nimbschen eingetreten war, starb die alte Aebtissin Katharina von Schönberg, und Katharinas Verwandte, Margarete von Haubitz, wurde zur Aebtissin gewählt und feierlich vom Abt Balthasar aus Pforta in ihr Amt eingeführt[36].

Nach der Aebtissin kam an Würde die Priorin („Preilin“), einerseits die Stellvertreterin und Gehülfin derselben, andererseits aber auch die Vertreterin und Vertrauensperson des Konvents. Auf sie folgte die „Kellnerin“, die „Bursarin“ (auch „Bursariusin“, Kassiererin) die Küsterin, die Sangmeisterin („Sängerin“), die Siech- und Gastmeisterin[37].

Die Schwesternschaft, in welche die junge Katharina eintrat, hatte einen gleichartigen gesellschaftlichen Rang: sie waren alle aus dem kleinen Adel und vielfach mit einander verwandt oder gar Schwestern: so die zwei Haubitz, die zwei Schwestern Zeschau und Margarete und Ave von Schönfeld, wozu noch eine Metze[38] Schönfeld kam, welche 1508 Siechenmeisterin und später Priorin wurde. Aber die einen waren wohlhabend mit einem ordentlichen Leibgeding an Geld und Naturalien, die anderen arm, vielleicht nur bei dem Eintritt und bei der Einsegnung mit einem kleinen Geschenke von ihren Verwandten abgefunden. Der Wohlstand scheint nicht ohne Einfluß auf die amtliche Stellung gewesen zu sein; denn es ist doch wohl nicht Zufall, daß die am reichsten Verleibgedingte, Margarete von Haubitz, zur Aebtissin gewählt wurde[39]. Auch das Alter war ein gar verschiedenes: da war die 70 jährige Ursula Osmund, die an hundert Jahre alt wurde, und die zehnjährige Katharina von Bora und die beiden jungen Schönfeld, welche in ähnlichem Alter standen. Lange Zeit wurden gar keine neuen Jungfrauen in das Stift aufgenommen: von 1510 bis 1517 blieben Katharina und Ave die letzten, vielleicht weil die Zahl 50 (mit den Konversen) überschritten war und die Einkünfte des Klosters nicht mehr Personen ertrugen. Daß die Klosterfrauen auch an Wesen, Charakter und Temperament verschieden waren, ist natürlich; aber alle geistige Individualität (alle „Eigenschaft“) wurde durch die Klosterregel und Klosterzucht ebenso ausgelöscht, wie die leibliche Verschiedenheit durch die gleiche Tracht: Nonnen tragen auch eine geistige Uniform. Dazu sind Freundschaften verboten. Von irgend einer Eigenheit einer Schwester erfährt man nichts. Nur die Aebtissin Margarete von Haubitz ist später charakterisiert als: „ehrliches (vornehmes), frommes, verständiges Weibsbild“[40].

Ob die neue Klosterjungfrau Katharina von Bora an ihr oder den anderen Verwandten aus dem mütterlichen Geschlechte eine Annehmerin gefunden habe, ist nicht zu sagen. Doch war nicht von vornherein die Verwandtschaft mit der Aebtissin ein Grund zu einer freundlichen Behandlung. Denn eine gleichzeitig mit Katharina in ein andres Kloster eingetretene junge Nonne beklagt sich, daß ihre Muhme, die Aebtissin, ganz besonders gewaltthätig und grausam mit ihr verfahren sei. Vielleicht hat Katharina eine Art mütterliche Freundin an ihrer anderen Verwandten aus dem väterlichen Geschlecht gefunden, der ehemaligen Siechenmeisterin Magdalena von Bora, weil diese nachher sich als „Muhme Lene“ so innig an Katharina und ihre neue Familie anschloß[41].

Zunächst wurde das junge Mädchen eingeführt in die Ordensregel und den Gottesdienst, wurde gewöhnt an klösterliches Benehmen und an geistliches Denken und Wesen, auch unterrichtet in einigen Kenntnissen und Fertigkeiten. In Nimbschen wird keine besondere Novizenmeisterin genannt; es war nur vom Abt bei der Einführung der neuen Aebtissin 1509 im allgemeinen aufs neue als Ordensregel eingeschärft: „Weil es ein Werk der Frömmigkeit und Barmherzigkeit ist, die Ungelehrten gelehrter zu machen, wollen wir, daß diejenigen, welche mehr verstehn unter den Jungfrauen, die andern zu belehren und unterrichten sich bestreben, in dem Bewußtsein, daß sie einen großen Lohn für diese Mühe empfangen, und daß sie durch diese Beschäftigung viel Leichtfertigkeit vermeiden, wozu die ausgeladene Jugend geneigt ist.“ Natürlich sollten aber alle Aelteren den Jungen mit gutem Beispiel vorangehen.

Als „der Schlüssel der Religion“ mußte zunächst überall, wo es die Ordensregel vorschrieb, unbedingtes Stillschweigen beobachtet werden — außer dem unbedingten Gehorsam, an den sich die Novizin zu gewöhnen hatte, der wichtigste und höchste Punkt des klösterlichen Lebens. Denn es müßte Rechenschaft gegeben werden von jedem unnützen Wort nicht nur vor Gottes Richterstuhl, sondern auch vor dem Beichtstuhl des Priesters. Vielmehr sollten die Klosterjungfrauen außerhalb der vorgeschriebenen Gebetszeiten und der Lektionen in besonderen Gebeten mit dem Bräutigam Christus reden oder in Beschaulichkeit schweigend hören, was Gott in ihnen redet. Darum wurde streng darauf gesehen, daß die Kinder und heranwachsenden Jungfrauen nicht herumliefen und schwatzten, sondern sich sittsam und schweigsam verhielten.

Es galt sodann in Kleidung und Haltung, in Gebärde und Rede sich das rechte nonnenhafte Wesen anzueignen. „Am Ort der Buße“, mußte man „die größte Einfachheit der Kleidung zeigen, sich weder mit weltlichen Gewändern schmücken, noch auch mit den Fransen der Pharisäer“, sondern die Kutten bis an die Schultern herausziehen. Das Angesicht mußten die Novizen lernen stets zu neigen. „Denn die Scham ist die Hüterin der Jungfrauschaft, der köstlichen Perle, welche die geistlichen Töchter bewahren sollen. So sollen sie mit Seufzen und Beklagen der verlorenen Zeit die Ankunft des himmlischen Bräutigams erwarten welcher seine Verlobten, — die im Glauben und hl. Profeß stets des Herrn harren, — mit Frohlocken in sein Brautgemach führt.“

„Damit sie sich aber nicht mit dem Laster des Eigentums beflecken, welches in der Religion das schlimmste und verdammlichste und ein Netz des Teufels ist, sollen sie bei Strafe der Exkommunikation alle Geschenke von Freunden und andern draußen nicht als ihr Recht beanspruchen, sondern der Aebtissin reichen, und demütig von ihr das Nötige begehren.“

Die Vorgesetzten aßen zwar am besonderen Tisch und hatten bessere Speisen und Getränke: so bekamen sie echtes Bier, dagegen die Konventualinnen nur „Kofent“ (Konvent- d.h. Dünn-Bier), aber gleichmäßige Behandlung aller Klosterjungfrauen in Speisen und Getränken waren der Aebtissin zur Pflicht gemacht, und die Mahlzeiten ließen nach herkömmlicher Klostersitte nichts zu wünschen übrig[42]. „Festmahlzeiten und Ergötzlichkeiten“ waren den Schwestern unter sich von der Aebtissin erlaubt.

Diese Ordnungen, zu welchen in Nimbschen bei Einführung der neuen Aebtissin der Abt-Visitator eine Art Hirtenbrief als Erläuterung und Ergänzung der Ordensregel gegeben hatte, wurden alle Vierteljahre kapitelweise im Konvent gelesen und durch die Aebtissin oder Priorin Punkt für Punkt erklärt, damit jede Klosterjungfrau — namentlich aber die Neulinge — aus sich selbst die klösterliche Lebensweise und Lebenseinrichtung annähmen.

In solche strenge Klosterzucht wurde nun das junge Mädchen eingeführt. Wenn auch die Praxis — wie sich bei jeder Visitation zeigte, namentlich in der Verordnung von unnützen Reden — von der Theorie abwich, so war doch zu dieser Zeit ein stramme ernstliche Einhaltung der Ordensregel in Nimbschen durchgeführt. Man hatte nämlich gerade um 1500 auch hier wie in anderen Klöstern eine „Reformation“ der zerfallenen Klosterordnung erstrebt[43].

Neben dieser Erziehung zum Klosterleben gab es auch einigen Unterricht, der mit dem Ordensleben zusammen hing. Die Novizen mußten lesen lernen — was damals bei der krausen Schrift und dem noch krauseren Stil nicht so ganz leicht war[44]. Sogar ins Lateinische mußten die Nonnen notdürftig eingeführt werden: denn die Lesungen und Gebete, besonders aber die Gesänge waren meist in der Kirchensprache geschrieben — wenn es auch mit dem Verständnis der Fremdsprache nicht gerade weit her war: singen ja doch auch heute Kirchenchöre in Dorfgemeinden lateinische Hymnen und Messen. Auch schreiben hat Katharina im Kloster gelernt, wenn sie auch später — wie alle viel beschäftigten Frauen nicht gerne und viel schrieb und an Fremde und hochgestellte Personen ihre Gedanken lieber einem Studenten oder Magister in die Feder sagte. Sonst konnten nicht alle Klosterfrauen diese Kunst. Eine eigentliche Schule, worin die Schulmeidlein gelehrt wurden, gab es nicht, doch waren einige Klosterfrauen fähig, nach ihrem Austritt Mädchenschulmeisterinnen zu werden, so die Schwester von Staupitz und die Elsa von Kanitz[45].

Der Gesang spielte eine große Rolle im Kloster: waren doch alle religiösen Uebungen größtenteils gemeinschaftlich und mußten so zum Chorgesang werden. Es war eine Sängerin oder Sangmeisterin (Kapellenmeisterin) bestellt, welche die Gesänge einzuüben hatte. Und im Kloster war ein altes „Sangbuch“, welches 1417 für 2 Schock Groschen gekauft und vom markgräflichen Vogt zu Grimma bezahlt worden war. Es waren aber im Kloster fremde Gesänge aufgekommen und es wurde gegen die Regel des seligen Vaters Bernhard zu schnell und ungleich (d.h. rhythmisch) gesungen, und kam der Unfug auf, daß unvermittelt bald alle, bald wenige Stimmen sangen; der Abt von Pforta ordnete daher an, daß rund, eine Silbe wie die andere gesungen werde, einhellig und mit gleicher Stimme, nicht zu hoch und zu tief[46].

Im Jahre 1509, als Katharina von Bora zehn Jahre zählte, war sie kein Kostkind oder Schulmeidlein mehr, sondern wurde schon unter die Klosterjungfrauen gezählt. Sie war also einstweilen wenigstens „Postulantin“, Anwärterin für die Pfründe. Da meist das vierzehnte Lebensjahr das Entscheidungsjahr für die Klostergelübde war, so hätte sie mit dem dreizehnten ihr Noviziat antreten und ein Jahr darauf Profeß thun können. Es ist auffällig, daß sich dies bei Katharina zwei Jahre hinausschob, und sogar die später eingetretene jüngere Ave Schönfeld vor ihr mit ihrer älteren Schwester Margarete eingesegnet wurde[47].

Mit ihrem 15. Jahre also wurde Katharina von Bora nach dem Herkommen der Sammlung von der Aebtissin „angegeben“ (vorgeschlagen) und von dem Konvent angenommen. Unter feierlichen Zeremonien in der Kirche wurden ihr die Haare abgeschnitten, die mit Weihwedel und Rauchfaß besprengten und beräucherten heiligen Kleider angethan: die weiße Kutte übergezogen, der weiße Weiler (das Kopftuch (velum, der sog. Schleier)) ums Haupt geschlungen; auf diesem wurde der Himmelsbraut der weiße Rosenkranz aufgesetzt und der Heiland im Kruzifix als Bräutigam in die Arme gelegt, dann hat sie ihm durch Opferung des Kranzes ewige Reinigkeit verheißen und geschworen. Darauf fiel die Postulantin der Reihe nach der Aebtissin und jeder der einzelnen Klosterfrauen demütig zu Füßen, wurde von ihnen aufgehoben und mit einem Kusse als Schwester in die Gemeinschaft aufgenommen[48].

Jetzt kam Katharina unter die strenge Zucht einer älteren Klosterfrau und mußte in dieser Probezeit im Ernst all die vielen Dinge üben in Haltung und Gang, in Gebärde und Rede, welche eine Nonne auf Schritt und Tritt zu beobachten hat, wenn sie nicht gegen die Regel sündigen und dafür Buße erleiden will. So erzählt eine Nonne: „Das Probejahr geschahe nur, daß wir Ordensweise lernten und uns versuchten, ob wir zum Orden tüchtig“[49].

Endlich, im Jahre 1515, „Montags nach Francisci Confessoris“, d.h. am 8. Oktober, war Katharinas „eynseghnug“. Da mußte sie „Profeß thun“, d.h. das ewig bindende Klostergelübde ablegen. Es wird ihr gegangen sein wie jener anderen Nonne, die um diese Zeit auch eingesegnet wurde und von sich erzählt: „Am Abend vor meiner Profession sagte mir die Aebtissin vor der ganzen Versammlung im Kapitel: man solle mir die Schwierigkeit der Regel vorlegen und mich fragen, ob ich das gesinnet wäre zu halten? wäre aber nicht von nöten, denn ich hätte mich in der Einkleidung genugsam verpflichtet. Und wenn ich gleichwohl gefragt worden wäre, hätte ich doch nichts sagen dürfen, hätte mir auch nichts geholfen.“ Die Einsegnung ging vor sich und zwar war Katharina von „Bhor“ als einzige auf diesen Tag geweiht. Sie spendete dabei dem Kloster von dem wenigen, was sie vermochte, 30 Groschen[50].

Zwar nicht widerwillig, aber doch wie sie (bezw. Luther) später sagte, ohne „ihren Willen“ wurde Katharina als Tochter des sel. Vaters Bernhard verpflichtet. Trotzdem aber hat sie sich in die Klosterregel nicht nur gefügt, sondern auch „hitzig und emsig und oft gebetet“[51].

Das entspricht ihrer gesamten entschiedenen Natur, wie sie sich später ausgereift zeigt. Sie war ja gelehrt worden, durch „gute Werke“, insbesondere durch Klosterwerke, erwerbe man sich himmlische Güter und geldliches Vermögen und einen hohen seligen Sitz im Jenseits; also strengte sie alle Kraft und allen Fleiß an, solchen Reichtum zu erwerben und durch geistliche Uebungen sich einen guten Platz im Himmel zu verdienen. Was sie später als Frau einmal angriff, das erstrebte sie auch mit der ganzen Gewalt und Zähigkeit ihres Willens, und so wird sie es auch im Kloster gehalten haben als Nonne. Zudem pflegen junge Klosterleute, namentlich weibliche, die eifrigsten zu sein in der Uebung der Pflichten, auch wenn sie nichts von Schwärmerei an sich haben.

Und was hatte nun die junge Nonne für hohe Werke und heilige Pflichten zu thun?

Fast das gesamte Leben im Kloster füllten geistliche Uebungen aus, ihr ganzes Tagewerk war Beten, Singen, Lesen, Hören erbaulicher Dinge, „da“, wie es in einer Klosterregel heißt, „alle Klausur und geistliche Leute erdacht und gemacht sind, daß sie unserm Herrn und Gott dienen und für Tote und Lebende und alle Gebresthafte Bitten füllen“. Das waren nun außer dem Messesingen und den privaten Gebeten noch besonders die gemeinsamen 7 Gebetszeiten, die Horen: Matutin, Terz, Sext, Non am Morgen, Vesper und Komplet am Abend mit Psalmen, Martyrologien, Ordensregeln. Auch nächtliche Gottesdienste wurden begangen: Metten und Vigilien. Und sogar während des Essens, wo Stillschweigen geboten war, wurde vorgelesen aus einem Erbauungsbuch. Abwechselnd hatte Katharina auch selbst diese Vorlesung zu halten und mußte dann nachspeisen[52].

Welchen Eindruck diese Vorschriften auf ein natürlich fühlendes und religiöses Gemüt machen mußten, hören wir aus einem späteren Bericht: „Da D. Martinus der Nonnen Statuten las, die gar kalt geschrieben und gemacht waren, seufzte er sehr und sprach: „Das hat man müssen hochhalten und hat dieweil Gottes Wort vermisset! Sehet nur, was für eine Stockmeisterei und Marter der Gewissen im Papsttum gewest ist, da man auf die horas canonicas und Menschensatzungen drang, wie Hugo geschrieben, daß wer nur eine Silbe ausließe und nicht gar ausbetete, müßte Rechenschaft dafür geben am jüngsten Gericht[53].“

Ob Katharina je ein Amt in dem Konvent bekleidet hat, wissen wir nicht; jedenfalls konnte dies nur ein niederes, etwa das einer „Siechenmeisterin“ sein. Wahrscheinlich aber war sie noch zu jung, als daß bei so vielen Vorgängerinnen an sie die Reihe gekommen wäre[54].

Eigentliche Arbeit gab es im Kloster nicht: die Nonnen durften ja nicht aus der Klausur, und die Hausarbeit in Küche und Stube schafften die Laienschwestern und Klostermägde. Freilich so ganz arbeitslos wie bei manchen adeligen Mönchsorden, wovon der Volkswitz sagt:

Kleider aus und Kleider an Ist alles, was die Deutschherrn than.

— so träge verfloß das Leben der Nonnen nicht. Konnten sie sich doch mit weiblichen Handarbeiten abgeben wie Spinnen von dem Ertrag der großen Schafherden für die wollene Bekleidung, namentlich aber mit Stickereien, wie Altardecken, Meßgewänder, Teppiche, Fahnen u.s.w., in Nimbschen, wohl auch in Pforta für die Kirche der dortigen Mönche und vielleicht auch für den Bischof von Meißen, unter dem das Kloster stand[55]. So hat jedenfalls auch Schwester Katharina manche kunstvolle Stickerei verfertigt, wenn auch die mancherlei Handarbeiten, welche heutzutage da und dort von Luthers Käthe gezeigt werden, wohl alle nicht echt sind.

Eine gewisse Unterhaltung gewährte noch die Besichtigung und Instandhaltung der zahllosen Reliquienstücke, welche in der Nimbscher Kirche aufgespeichert waren, und welche es galt zu schmücken und in Ordnung zu halten. Es waren da an den 12 Altären in Kreuzen, Monstranzen, Kapseln, Tafeln wohl vierhundert hl. Partikeln. So von Christi Tisch, Kreuz und Krippe, Kleid und Blut und Schweißtuch, vom Stein und Boden, wo Jesus über Jerusalem weinte, im Todesschweiß betete, gegeißelt saß, gekreuzigt ward, gen Himmel fuhr; vom Haar, Hemd, Rock, Grab der hl. Jungfrau; von den Aposteln allerlei Knochen, auch Blut Pauli, vom Haupt und Kleid Johannes' des Täufers; von vielen Heiligen, bekannten und unbekannten: den 11000 Jungfrauen, der hl. Elisabeth von Thüringen, der hl. Genoveva, dem hl. Nonnosus, der hl. Libine Zähne, Hände, Arme, Knochen, Schleier, Teppiche —, ferner Partikeln von der Säule Christophs, vom Kreuz des Schächers u.a.[56].

Aber auch hier hatten die Seniorinnen, u.a. auch Magdalena von Bora, die Obhut über die hl. Kapseln.

Vor allen diesen Reliquien wurden bestimmte Antiphonien gesungen, was eine gewisse Abwechslung in dem täglichen Gottesdienst gab.

Eine Abwechslung in dem ewigen Einerlei brachten auch die vielen Festtage, Bittgänge und Prozessionen im Kreuzgang und auf dem Kirchhof[57].

Eine große Sache war die Visitation des Klosters durch den Abt von Pforta — freilich auch eine kostspielige: der Abt mit seinen Begleitern mußte abgeholt und wieder heimgebracht und unterwegs und im Kloster verköstigt, auch herkömmlich mit Erkenntlichkeiten bedacht werden[58]. Bei der Visitation gab's eine Untersuchung aller Mißstände, ein Verhör aller einzelnen Schwestern und schließlich einen oft scharfen Bescheid.

Es kamen auch an den hohen Festtagen und deren Oktaven Wallfahrer ins Kloster, denn dieses hatte von verschiedenen Kirchenfürsten Ablässe, wenn auch nur 40tägige, erlangt für Besucher und Wohlthäter des Klosters, für Anhörung von Predigten und Kniebeugen beim Aveläuten[59].

Allerdings nahm die Aebtissin, wenn sie einmal ausreiste, eine und die andre Schwester mit; aber freilich an die jüngern Klosterfrauen kam das wohl schwerlich. Da ging es nach Grimma, ins nahe Städchen, oder auch ins ferne Torgau, die kurfürstliche Residenz an der Elbe, wo gerade das großartige Schloß Hartenfels gebaut wurde. Dort hatte das Kloster mancherlei Besitzungen an Aeckern und Wiesen und mußte mit eigenem Geschirr Getreide holen, während die Stadt verschiedene Gebräude Bier selbst bringen mußte. Mit diesen Fuhren wurde aber auch manches, was in Torgau verkauft oder gekauft war, hin und zurück gebracht. Eingekauft wurde vor allem bei dem Ratsherrn und Schöffer Leonhard Koppe, z.B. Tonnen Heringe, Kiepen (Rückkörbe) voll Stockfische, Hechte, Fässer Bier, Aexte. Namentlich geschahen solche Einkäufe zu Martini, wo „Meine gnädige Frau“, die Aebtissin, mit einer würdigen Jungfrau die Zinsen einnahm, in der Herberge auch einige Groschen „zu vertrinken“ gab und bei Koppe einkaufte und die Rechnung persönlich bezahlte[61].

Das waren die besondern Ereignisse in dem steten Einerlei des Jahres. In ihrer ganzen Klosterzeit erlebte Katharina von Bora auch nichts besonderes Außerordentliches. Einzelne der Klosterfrauen gingen mit Tod ab. Nachdem lange Katharina von Bora und Ave von Schönfeld die Jüngsten im Kloster gewesen waren, kamen anno 1516 auf einmal 9 Kostkinder herein: 3 Schellenberger, 2 Hawbitzen (Verwandte Katharinas von mütterlicher Seite), 1 Lauschkin, 1 Keritzin (Kieritsch?), 1 Poßin, 1 Buttichin. Im folgenden Jahre traten drei Neulinge in den Klosterverband, und ein Jahr darauf kamen wieder einige Kostkinder weg und andere herein[62]. 1522 war ein Wechsel des Klostervorstehers (Propstes), indem der alte, Johann Kretschmar, starb. Die Nonnen hielten sehr zu ihrem Propst, während die Beichtväter verhaßt waren; denn diese, „die 2 Herren an der Pforte“ betrugen sich anspruchsvoll und anmaßend, mischten sich — wohl aus Langerweile — in Dinge, die sie nichts angingen, wollten in die Verwaltung, also in den Geschäftskreis des Propstes drein reden, hetzten die Nonnen wider einander auf, so daß gar oft Klagen wider sie ergingen und der Konvent sogar die weltliche Gewalt wider sie und gegen ihre Schützer, die Aebte von Pforta, anrufen mußte[63]. Da gab es nun in diesen Jahren eine gar willkommene Gelegenheit, den Mönchen ein Schnippchen zu schlagen. Zu Martini 1513 kam der Vorsteher vom Hospital des Heilig-Geist-Ordens aus dem fernen Pforzheim im Schwabenland, Matthias Heuthlin, und bot den Nonnen ein Privilegium an. Weil seine Anstalt nämlich nicht genug Einkünfte besaß, hatte er sich vom Papst Julius II. die Gnade erwirkt, daß allen Wohlthätern des Spitals die Wahl des Beichtvaters freigegeben wurde. Also gab die Domina Aebtissin und ganze löbliche Sammlung des Klosters eine Beisteuer und erhielten dafür einen gedruckten mit dem Namen „Niimitsch“ ausgefüllten und vom Magister domus Hospitalis de Pfortzheim ord S. Spirit. unterzeichneten Zettel, wonach das Kloster Nimbschen für seine milde Gabe in die Bruderschaft des hl. Geistordens ausgenommen und aller guten Werke und Ablässe derselben teilhaftig und ihm insbesondere erlaubt wurde, sich von einem beliebigen weltlichen oder mönchischen Beichtvater Absolution von Sünden, Uebertretungen und Verbrechen, sogar solchen, welche dem apostolischen Stuhl vorbehalten waren, einmal im Leben und im Todesfall, so oft es nötig erschien, erteilen zu lassen. Dieses Privilegs machte sich das Kloster durch wiederholte Gaben in den folgenden Jahren (1516, 1519, 1520) teilhaftig[64]. So war auch den Nimbschener Nonnen eine von den zahllosen Hinterthüren geöffnet, durch welche in der katholischen Kirche die geknechteten Seelen dem geistlichen Zwang sich entziehen und auf Nebenwegen die Seligkeit erlangen konnten.

Katharina erlebte auch im Kloster noch die Vorboten des Bauernkriegs. Die Klosterdörfer hatten zwölferlei Fronden. Von diesen trotzten die Bauern sich schon vorher vier ab, waren aber auch damit noch nicht zufrieden, so daß der neue Propst sich nach Rat und Hilfe umsehen mußte[65].

Das waren die kleinen und kleinlichen Eindrücke und Ereignisse, die in das Leben der Nimbscher Jungfrauen und der Katharina von Bora eingreifend, die glatte Oberfläche ihres beschaulichen Daseins leicht kräuselten. Das waren die einförmigen Beschäftigungen, mit denen sie die Zeit, die langen Tage, Wochen und Jahre mühsam hinwegtäuschten. Solche einseitigen Interessen und Anschauungen beherrschten den Gesichtskreis eines jugendlichen Geistes. Wie das Klosterleben die körperliche Kraft eines jungen Menschenkindes zurückhielt, so mußte es auch die aufstrebende Willenskraft erschlaffen. Die Klostermauern beengten nicht nur das äußere Gesichtsfeld, sie machten auch das geistige Auge kurzsichtig. Wenn auch die gähnende Langeweile demjenigen nicht zu Bewußtsein kam, der von nichts anderem wußte, so mußte doch der Geist nach Eindrücken lechzen, so daß das Sprichwort begreiflich wird, welches den Klosterbewohnern die Sehnsucht nach Erlebnissen zuschreibt: „Neugierig wie eine Nonne“. Und die ständige Aufgabe, „das Leben in sich abzutöten“, konnte bei einer gesunden Natur erst recht die Frage erwecken, was Leben sei. Wenn bei dem Mann im Kloster der Verstand sich heißhungrig auf die Wissenschaft werfen konnte, so blieb die eigentümliche Lebenskraft des Weibes, das Gemüt hier unbefriedigt[66].

Gewiß die allermeisten dieser adligen Fräulein hatten es äußerlich angesehen im Kloster besser, behaglicher, luxuriöser als daheim im beschränkten Haushalt der Eltern oder eines eigenen Gatten; und das Ansehen, das eine gottgeweihte Jungfrau in den Augen des Volkes und besonders der Kirche, und nicht zum wenigsten in dem eigenen Bewußtsein hatte, war viel größer als dasjenige, das eine arme Edelfrau draußen in der Welt finden konnte. Aber der ganze Zwang der Unnatur und die Künstlichkeit all dieser Verhältnisse mußte, wenn auch ohne klares Bewußtsein, auf einen wahrhaften und gesunden Geist drücken.

Nur das eine Gefühl konnte die Nonne über alle Zweifel, alle Entsagung, alle Pein, alle Langeweile des Klosterlebens hin wegheben: das Bewußtsein, ein gottwohlgefälliges Werk zu thun, sich ein besonderes Verdienst vor Gott zu erwerben, sich die zeitliche Heiligkeit und die ewige Seligkeit zu versichern. Aber wie dann, wenn diese Grundbedingung alles Nonnentums, dieser Grundpfeiler alles Klosterlebens erschüttert und untergraben wurde, ja sich selbst als morsch und faul erwies? Dann mußte das ganze Gebäu zusammenstürzen, dann mußte eine gegen sich aufrichtige und willensstarke Natur die Konsequenzen ziehen und ein Leben verwerfen und verlassen, das als heiliger und seliger Beruf erschienen war und bisher den ganzen Menschen erfüllt hatte.

Und dieser Fall trat bei Katharina ein. Aber freilich ihr verständiger, nüchterner Sinn wird sie auch davor bewahrt haben, in krankhafter Schwermut sich unglückselig zu beklagen oder sich hinauszusehnen in eine verschlossene Welt.

Es mußte ihr erst die Möglichkeit sich öffnen, den Klostermauern zu entrinnen, und das pflichtmäßige Recht, es zu dürfen; dann aber erwachte auch ihre ganze Thatkraft und mit aller Macht des Willens und Verstandes setzte sie auch durch, was erreichbar und recht war.