Katzenmord am Brahmsee - Dagmar Schmidt - E-Book

Katzenmord am Brahmsee E-Book

Dagmar Schmidt

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Beschreibung

Jemand hat Isas jungen Kater massakriert. Die kleine Siedlung am Brahmsee und die Bewohner des Campingplatzes ... alle sind alarmiert und alle versuchen, bei der Jagd nach dem Mörder zu helfen. Ein Tierhasser? Oder rächt sich jemand aus der Vergangenheit von Horst und Isa? Hat eine Nebenbuhlerin ihre Finger im Spiel? Ein Fremder? Ein missgünstiger Nachbar? Motive gibt es in großer Zahl. In der dritten Folge rund um Tierärztin Isa, sucht sie entschlossen nach dem Mörder in der idyllischen Siedlung am Brahmsee.

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Bisher von der Autorin erschienen:

Der Gläserne Käfig

ISBN:9783749469611

Rendezvous mit Mops und Fliege

ISBN: 9783750482136

Minnesang mit Lamm und Leier

ISBN- 9783751977586

Buchbeschreibung:

Jemand hat Isas jungen Kater massakriert. Die kleine Siedlung am Brahmsee und die Bewohner des Campingplatzes … alle sind alarmiert und alle versuchen, bei der Jagd nach dem Mörder zu helfen.

Ein Tierhasser? Oder rächt sich jemand aus der Vergangenheit von Horst und Isa? Hat eine Nebenbuhlerin ihre Finger im Spiel? Ein Fremder? Ein missgünstiger Nachbar? Motive gibt es in großer Zahl.

In der dritten Folge rund um Tierärztin Isa, sucht sie entschlossen nach dem Mörder in der idyllischen Siedlung am Brahmsee.

Über die Autorin:

Dagmar Schmidt, Jahrgang 1953, lebt mit ihrem Partner am Brahmsee in Schleswig-Holstein. Seit ihrer Kindheit schreibt sie heitere oder nachdenkliche Lyrik und Prosa nach erlebten Geschichten. Der intensive Umgang mit Sprache ist ihre Leidenschaft. Besonders das Spiel mit Situationskomik macht ihr Freude. Damit tritt sie in die Fußstapfen ihres Vaters, der mit dem Buch „Opa, das kannst du auch“ einen heiteren Bestseller über die Tücken des Alltags mit Computern geschrieben hat. Seit 2018 widmet sie sich ganz dem Schreiben. Dies ist ihr vierter Roman, der erneut vom Leben der Tierärztin Isa mit ihrem Partner Horst erzählt.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

1. Kapitel

Ein markerschütternder Schrei drang durch die Wand des Partyzeltes, das wir in unserem Garten aufgebaut hatten.

»Was war das denn?«, fragte Horst, der mit mir in einer Gruppe von Campern stand. »Schnell.« Er nahm mich bei der Hand und zerrte mich hinter sich her, vorbei an verrosteten Gartengeräten, Stapeln von Brennholz und Sperrmüll, der seit zwei Jahren darauf wartete, in den Recycling-Hof gefahren zu werden. Ich bückte mich nicht schnell genug, niedrige Zweige eines Quittenbaums ratschten durch mein Gesicht.

»Ich kann nicht so schnell«, keuchte ich und verfluchte wieder einmal meine Leidenschaft für gutes Essen.

Horst schnaufte nur und zog mich weiter hinter sich her. Taumelnd und stolpernd versuchte ich, Schritt zu halten.

Nachbarin Elise kam uns entgegengerannt, die Augen weit aufgerissen und das Gesicht knallrot.

»Isa, Horst, kommt, schnell.« Ihre Stimme überschlug sich. Noch während sie sprach, drehte sie sich um und lief vor uns her zur vorderen Veranda.

»O Gott, Chip.« Ich kniete mich vor dem blutigen schwarzen Fellbündel auf den Holzboden. Er lag in einer großen Blutlache. Zwei der drei weißen Pfötchen schimmerten tiefrot und feucht. Die Tränen liefen mir über das Gesicht, verschleierten meinen Blick. Es war kein Hauch Leben mehr in Chip. Seine Kehle war so tief durchgeschnitten, dass man die Knochen der Wirbelsäule durch den Hals hindurchsehen konnte. Er war noch warm. Zitternd fuhr ich mit den Händen über sein verklebtes Fell und nahm nur undeutlich wahr, dass Horst hinter mir stand und meinen Kopf streichelte.

Mein Herzschlag pulsierte bis in die Ohren, als ich aufstand. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Elise sich an der Buchenhecke übergab. Inzwischen hatten sich einige Gäste auf der Veranda eingefunden, und ich hörte hinter mir ein leises Tuscheln und Raunen, dazwischen gelegentliche Schluchzer. Horst gab mir ein Taschentuch, legte den Arm um meine Schultern und drückte mich fest an sich. Ich schnäuzte geräuschvoll, während mir die Tränen weiter über die Wangen liefen.

»Was für ein Monster macht denn so etwas?«, flüsterte meine beste Freundin Louisa und beugte sich leichenblass über den toten Chip. »Wo ist dein anderer Kater?«

»Ich hoffe, Chap ist wohlauf«, antwortete Max, der unbemerkt neben mir aufgetaucht war und mich sanft von dem toten Tier wegschob. Er war wie ich Tierarzt und untersuchte den kleinen Kater, den er mir vor einigen Monaten geschenkt hatte. Dann schüttelte er den Kopf und kratzte sich an der Wange. »Der Täter hat nicht lange gefackelt. Das Messer war rasierklingenscharf, die Wundränder sind nicht ausgefranst. Ich glaube, Chip war auf der Stelle tot. Und«, sagte er und legte eine bedeutungsvolle Pause ein, »er ist genau an dieser Stelle umgebracht worden, sonst wäre er schon auf dem Weg hierher ausgeblutet. Blut ist aber, soweit ich sehe, nur hier auf der Veranda. Isa, du solltest die Polizei rufen.«

»Max hat recht«, sagte Emma, die neben Max zum Vorschein gekommen war. »Das ist wirklich ein Fall für die Polizei.«

Jemand meldete sich hinter mir zu Wort: »Wegen einer Katze kommen die doch sowieso nicht. Das ist ja für die nur eine Sache, also Sachbeschädigung.«

Ich drehte mich wütend zu dem Sprecher um. Es war Alex, unser direkter Nachbar, der sein Ferienhaus ganzjährig bewohnte.

Max antwortete, bevor ich etwas sagen konnte: »Das ist nicht richtig. Ein Tier grausam und grundlos umzubringen, ist Tierquälerei und die ist strafbar.« Emma nickte dazu und ich zog die Nase hoch. Horst reichte mir ein weiteres Papiertaschentuch. Er hatte stets unerschöpfliche Vorräte davon in den unendlichen Tiefen seiner Hosentaschen.

»Max, denkst du, wir müssen ihn hier so liegen lassen? Ich möchte ihn so gern in sein Körbchen legen und zudecken. Ich ertrage den Anblick nicht.« Ich schluchzte und spürte, dass jemand meinen Arm streichelte. Louisa war mir nicht von der Seite gewichen.

»Lass ihn auf jeden Fall hier liegen, Schnucki. Die Polizei soll den Schauplatz so sehen, wie wir ihn vorgefunden haben.« Horst entließ mich so plötzlich aus seinem Arm, dass ich das Gleichgewicht verlor und beinahe hinfiel. Dann griff er nach seinem Handy und ging ein paar Schritte beiseite. »Ich rufe die Einseinsnull an.«

»Kann ich wenigstens eine Decke über ihn legen?«, fragte ich.

»Nein, Horst hat recht. Wir lassen ihn, wie er ist,« sagte Max. »Komm, Isa, lass dich mal in den Arm nehmen.« Er umarmte mich und hielt mich fest. »Wir kriegen den Mistkerl, der das gemacht hat.«

»Hoffentlich.« Ich zog die Nase hoch. Emma, die Max nicht aus den Augen ließ, war hinter ihm zu sehen.

Horst gesellte sich wieder zu uns. »Der Notruf hat mich an die Nortorfer Polizei weitervermittelt. Die schicken gleich zwei Beamte. Einen von ihnen, Carsten Ingwers, kenne ich vom Chor. Isa, ich glaube, du hast ihn auch schon getroffen. Wird nicht lang dauern, bis beide hier sind.«

Schniefend wandte ich mich an Horsts Geburtstagsgäste, die sich inzwischen alle auf der vorderen Veranda eingefunden hatten und sich nur flüsternd unterhielten. »Hat irgendjemand von euch eine fremde Person hier gesehen, vielleicht als ihr gekommen seid?« Meine Stimme klang immer noch zittrig und seltsam unsicher. Sie schüttelten die Köpfe.

»Vielleicht war es ja gar keiner aus der Siedlung«, hörte ich Elises Stimme, »Es kann ja auch jemand von außerhalb getan haben.«

»Klar, und der kommt extra aus Hamburg, um einen kleinen Kater zu schlachten und fährt danach zufrieden wieder nach Hause.« Ein trockenes Lachen begleitete die Worte. Ich konnte nicht ausmachen, wer sie gesagt hatte.

Danuta kam mit einem hölzernen Tablett, auf dem viele kleine gefüllte Schnapsgläser standen. »Ich glaube, erst mal wir brauchen Schnaps für Schreck«, sagte sie mit leichtem polnischen Akzent und begann, sich durch die Menschen zu schlängeln. Viele bedienten sich. »Wir trinken darauf, dass wir den Kerl erwischen.«

Horst hatte bereits sein Glas erhoben, befand sich aber auf einmal gegenüber von Danutas Lebensgefährten Stanislaw. Darauf wandte er sich ab und trank erst dann. Ich hatte keine Ahnung, was Horst gegen ihn hatte. Er war eigentlich kommunikativ, schwätzte mit jedem – jetzt war seine Abneigung offensichtlich. Er hatte ein Riesentheater gemacht und getobt, als er erfuhr, dass ich Stanislaw und seine Partnerin Danuta eingeladen hatte. Mir selbst fehlte jedes Verständnis für derlei kleinliche Nachbarschaftsstreitigkeiten, obwohl ich keine Ahnung hatte, worum es ging. Im Moment hatte ich sowieso ganz andere Sorgen.

»Wenn ich das Schwein erwische, dann Gnade ihm Gott.« Klaus, mein Assistent in der Praxis, leerte sein Schnapsglas in einem Zug, ballte die rechte Faust und starrte auf den misshandelten Kater. Wie immer trug er eine Fliege, die sich diesmal leuchtend gelb von seinem dunklen Hemd und der Jeans abhob. Aber heute hatte er nichts von seiner sonstigen Verschmitztheit. Nicht einmal seine Haare waren so verstrubbelt wie sonst.

»Der Kleine war so zutraulich und verschmust. Ich habe noch vor einer halben Stunde mit ihm gekuschelt.« Nachbarin Marie-Louise hatte Tränen in den Augen, die von tiefen Schatten umrahmt waren.

Alex legte tröstend den Arm um ihre Schulter. »Bestimmt hat das Arschloch die Zutraulichkeit ausgenutzt. Er musste ihn ja nicht einmal fangen. Der schnurrte doch um jedes Bein herum, das er erwischen konnte.«

»Ja, sogar um deins«, hörte ich die spöttische Stimme der alten Edeltraud, gefolgt von einem krächzenden Husten. Sie trug in der linken Hand einen Aschenbecher und in der rechten eine halb gerauchte Zigarette. Seit ewigen Zeiten war sie eine feste Institution in der Nachbarschaft, geschätzt, aber wegen ihrer spitzen Zunge auch gefürchtet.

»Chap ist nicht so vertrauensvoll bei Fremden. Das hat ihm vielleicht das Leben gerettet«, murmelte ich.

»Um Himmels willen, lasst uns Chap suchen!«, rief Louisa. »Nicht dass ihm dasselbe passiert.«

»Der wird sich nicht fangen lassen«, sagte Horst. »Er ist im Gegensatz zu Chip misstrauisch. Außer Isa und mir lässt er sich nur noch von Max anfassen.« Ich bemerkte, dass Emma immer noch bei Max stand und ihn bei diesen Worten anhimmelte. Trotz meines Kummers gönnte ich mir ein kleines Erstaunen.

»Wir gehen trotzdem mal ums Haus. Wer kommt mit?« Die Frage kam von Peter, einem rundlichen, immer fröhlichen Dauercamper. Er fuhr sich mit beiden Händen durch die wenigen verbliebenen Haare und sah sich um. Einige der Camper gingen zu ihm hinüber und schnatternd marschierte das kleine Grüppchen los. Ungeachtet meiner Trauer musste ich lächeln, als ich sie laut und lang gezogen nach ihm rufen hörte. »Chap, komm nach Hause!« Das war die sicherste Methode, den Kater auf gar keinen Fall zu fangen. Ich wusste, dass er sich auch von einem Katzenmörder nicht kriegen lassen würde. Das beruhigte mich ein wenig.

Als hätte er meine Gedanken gehört, kam der kleine rabenschwarze Kater um die Ecke und betrachtete misstrauisch die ungewohnt vielen Menschen. Er maunzte leise, machte einen Buckel und fauchte. In einem möglichst großen Bogen umging er die Gäste und kam dann auf mich zu. Als er seinen toten Bruder sah, blieb er abrupt stehen, schlich dann auf ihn zu und schnupperte an seinem blutigen Fell. Ob er wusste, dass Chip tot war? Er stieß ihn mit der Nase an und gab ihm mit dem Pfötchen einen vorsichtigen Stups. Ich nahm Chap auf den Arm und vergrub mein Gesicht in seinem warmen, lebendigen Fell. Wieder stiegen Tränen in mir hoch.

»Geht doch bitte alle wieder ins Zelt, ich warte hier auf die Polizei«, bat ich die verbliebenen Gäste.

»Soll ich nicht bei dir bleiben?«, fragte Horst.

»Nein, bitte kümmere dich ein wenig um die Gäste, ich kann das im Moment nicht.«

Er zuckte die Schultern. »Wie du meinst.« In Richtung der Gäste machte er eine einladende Geste und mit ihnen im Schlepptau verschwand er um die Ecke, hinter das Haus.

Stimmengewirr drang in meine Ohren und wurde lauter. Der Suchtrupp kam zurück. »Wir haben den Kater nicht gesehen«, sagte Peter und schnaufte. »Er scheint sich irgendwo versteckt zu haben. Tut mir echt leid, Isa.«

»Alles gut, danke, er ist von allein nach Hause gekommen, gerade als ihr fort wart.«

»Das ist doch mal eine gute Nachricht, so hatten wir wenigstens einen schönen Spaziergang über euer riesiges Grundstück.« Er klatschte sich auf den runden Bauch. »Ich sollte mich sowieso mehr bewegen. Wir mischen uns dann mal wieder unters Volk.«

Ich sah ihm und den anderen nach. Bisher kannte ich ihn nur flüchtig, aber ich mochte ihn. Vielleicht sollte ich die Camper doch einmal näher kennenlernen. Kurz dachte ich an das Grillfleisch und das Brot, aber das war mir nicht wichtig genug, um mich darum zu kümmern. Vielleicht hatte es jemand vor dem Verbrennen gerettet. Ich war sowieso nicht hungrig. Emma und Max kamen mir kurz in den Sinn. Trotz des Altersunterschiedes von vielleicht zwanzig Jahren schienen sie mir ziemlich gut zusammenzupassen. Ich hatte den Eindruck, als bahnte sich zwischen den beiden etwas an.

Dann hörte ich, wie ein Wagen vorfuhr.

2. Kapitel

Ich erkannte Carsten, den ich tatsächlich schon öfter im Chor gesehen hatte. Er umarmte mich kurz. »Moin, Isa«, sagte er und deutete auf seinen übergewichtigen jüngeren Kollegen. »Das ist mein Kollege Hannes Petersen.«

Ich nickte ihm zu. »Gut, dass ihr da seid. Es ist so furchtbar.«

Carsten versuchte, den Kater in meinem Arm zu streicheln. Der fauchte ihn an und schlug mit ausgefahrenen Krallen nach ihm. »Autsch, du bist ja nicht gerade freundlich«, schimpfte er und rieb sich den Kratzer an der Hand. Ich hatte danach Mühe, den aufgebrachten Kater zu halten und zuckte die Schultern. »Chap lässt sich nicht von Fremden anfassen. Das hätte ich dir sagen müssen, sorry.«

Wir schritten zur Veranda und blieben vor dem toten Tier stehen. »Wir haben hier alles so gelassen, wie es war.«

Hannes schüttelte den Kopf und ging in die Hocke. »Das hatten wir hier in der Umgebung noch nicht. Was für eine Gemeinheit.« Er kam ächzend wieder hoch und fotografierte den toten Kater von allen Seiten. »Wer hat die Katze gefunden?«

»Elise, unsere Nachbarin. Wir feiern heute eine Party. Horst hat Geburtstag«, antwortete ich.

»Und wem gehört sie?«, fragte er.

»Mir, aber es war ein er.«

»Okay, wo sind denn die anderen?«

»Im Partyzelt, ich habe alle wieder hingeschickt, soll ich sie holen oder wollen wir hinüber gehen?«

Ein kleiner dünner Mann mit Janker und schmalem schwarzen Schnauzbart erschien am Tor, sah sich kurz um und giftete dann mit sich überschlagender Stimme: »Wenn ihr glaubt, ihr kriegt hier ’ne Extrawurst gebraten, weil ihr in Uniform seid, seid ihr schief gewickelt. Fahrt gefälligst euer Auto aus meiner Einfahrt.« Als wolle er das unterstreichen, streckte er seinen rechten Zeigefinger aus und schüttelte ihn in Carstens Richtung.

»Das ist Oswald Liebermann«, murmelte Carsten in meine Richtung und sein nach oben gezwirbelter Schnauzbart wippte von links nach rechts. Er unterschied sich von Liebermanns kleinem Bärtchen durch seine gewaltige Größe.

»Wir sind im Einsatz!«, rief Hannes Herrn Liebermann zu.

»Das ist mir scheißegal, der Wagen versperrt die Einfahrt zu meinem Campingplatz.«

»Dein Campingplatz?«, fragte Carsten und lachte dröhnend. Er hatte seine Polizeimütze abgenommen und seine rötlichen kurzen Haare leuchteten im Schein der Verandabeleuchtung und des Vollmondes. »Seit wann gehört der Campingplatz dem Platzwart? Geh wieder nach Hause und lass uns unsere Arbeit machen.« Er hatte sich Liebermann genähert und überragte ihn um Haupteslänge, obwohl er auch kein Riese war.

Der wich keinen Millimeter zurück. »Ich bestimme hier, was passiert. Und der Campingplatz ist privat. Da hat die Polizei nichts zu suchen, es sei denn, ihr habt einen Durchsuchungsbefehl.«

Gleich würde er aufstampfen. Was für ein lächerliches Männlein. Ich mischte mich ein: »Wir sind hier aber nicht auf dem Campingplatz, Herr Liebermann. Der Polizeiwagen parkt in der Feriensiedlung.«

»Isa, das lohnt nicht«, sagte Carsten. Und zu dem Platzwart: »Blas dich hier nicht unnötig auf. Du behinderst unsere Arbeit, also verschwinde.« Sein Tonfall ließ diesmal keinen Widerspruch mehr zu und Liebermann verschwand knurrend mit stampfenden Schritten. Ich zeigte den Polizisten nun den Weg, am Haus vorbei, über die Terrasse zum hinteren Teil des Grundstücks, wo das Partyzelt aufgebaut war. »Was für ein armseliges Würstchen«, sagte ich mehr zu mir selbst.

Carsten lachte. »Bellende Hunde beißen nicht. Hier in der Siedlung und auf dem Campingplatz wird er ›Kleiner Napoleon‹ genannt und es nimmt ihn kaum jemand ernst.«

Das war jedenfalls ein passender Spitzname.

»Das ist ja riesig hier bei euch.« Carsten sah über den kleinen Teich hinweg zum Partyzelt.

»Ja, es ist wirklich groß.«

Die anderen standen in Grüppchen beisammen und viele hatten Teller in der Hand und aßen. Also waren Fleisch und das selbst gebackene Brot durch das ganze Durcheinander nicht verbrannt.

Horst löste sich aus einer Gruppe und kam uns entgegen.

»Moin, Carsten, moin, Hannes.«

Sie schüttelten einander die Hände und Carsten klopfte Horst auf die Schulter. »Echt Scheiße, was euch passiert ist.«

»Wie geht es nun weiter? Wollt ihr mit allen einzeln sprechen?«, fragte Horst.

»Das ist etwas übertrieben, ich werde hier kurz zu allen sprechen.« Er erhob seine Stimme und suchte die Aufmerksamkeit aller. »Wer von Ihnen hat die Katze gefunden?«

Elise war immer noch blass. »Ich habe Chip gefunden. Ich wohne gegenüber und wollte mir schnell eine Jacke holen, da lag er da in seinem Blut.«

»Haben Sie auf dem Weg irgendetwas gesehen, einen Fremden oder vielleicht ein Auto, das Sie nicht kennen?«

»Nein, da war nur dieses viele Blut.« Sie schluckte schwer und ihre Stimme zitterte ein wenig.

»Mein Kollege wird gleich Ihre persönlichen Daten aufschreiben, damit wir auf Sie zurückkommen können.«

Elise nickte stumm.

»Der Kater gehört dir, Isa, richtig?« Carsten wandte sich wieder mir zu.

»Ja, und ich habe einen zweiten Kater, es sind Brüder.« Ich deutete auf Chap, der inzwischen in meinem Arm schlief.

Carsten nickte und sein Kollege – wie hieß er noch? – stellte sich zu Elise und notierte sich etwas auf einem kleinen Notizblock.

»Habt ihr wegen des Katers irgendwelche Probleme in der Nachbarschaft gehabt?«

»Nein, warum auch. Unser Grundstück ist so groß, dass er es bisher noch nicht verlassen hat. Seine Kreise sind klein. Er war ja noch sehr jung.« Ich spürte erneut die Tränen, wischte sie schniefend mit dem freien Ärmel fort und Horst tätschelte mir den Arm. Chap wurde wach und miaute wie unter Protest, als ich ihn zu fest an mich drückte. »Hier haben doch viele Nachbarn und auch etliche Camper ein Haustier. Wer zieht denn aufs Land, wenn er Tiere nicht mag?«

»Schwer zu verstehen«, sagte Carsten. »Der ist hier an Ort und Stelle auf der Veranda umgebracht worden. Ich bin nun schon seit dreißig Jahren Dorfsheriff in Nortorf, aber so was habe ich noch nicht erlebt.«

Hinnerk, ein Biobauer aus Seedorf, schälte sich aus der Menge und betrachtete mit ungewohnt ernstem Gesicht das Tier in der Blutlache. »Also eins kann ich dir sagen, wenn ich den Scheißkerl vor die Flinte kriege, brenn ich ihm so eine Ladung auf den Arsch, dass der nie wieder sitzen kann.« Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete er die Polizisten und knetete dabei seine Baseballkappe, die er nur selten abnahm, zwischen den großen rauen Pranken. »Und was macht ihr Jungs nu?« Seine Stirn war in zornige Falten gelegt und die wettergegerbte Haut glänzte rötlich unterhalb der raspelkurzen Haare.

Carsten seufzte. »Hinnerk, du machst jedenfalls nix mit der Flinte.«

»Und was is mit Ermitteln? Oder wollt ihr mal wieder Protokolle schreiben und diese Sauerei verwalten, anstatt sie aufzuklären?«

»Ich will euch nicht viel Hoffnung machen. Wir können schon aus Zeitgründen diese tote Katze nicht behandeln, als wäre sie ein ermordeter Mensch.«

»Klar, ihr Dorfsheriffs seid ja auch völlig überlastet davon, dass ihr den ganzen Tag von einer Arschbacke auf die andere rutscht, damit ihr euch nicht wund sitzt.« Hinnerk sah Carsten mit vorgerecktem Kinn an und der senkte den Blick.

Ich widerstand dem Drang, den Bauern für seine direkte Art zu umarmen. Stattdessen ging ich nur zu ihm hin. »Lass gut sein Hinnerk, ich bin auch wütend, aber die beiden machen nur ihren Job.«

»Ach, Isa, min Deern, das kann doch nicht einfach so untergehen.« Erneut knetete er seine Baseballkappe. »Wenn der Harras hier gewesen wäre, hätte sich der Drecksack nicht hergewagt, da kannst du einen drauf lassen. Der ist inzwischen ein richtig guter Wachhund.«

Ich zweifelte an den Wachhundqualitäten seiner fünfundsechzig Kilogramm schweren Bordeaux-Dogge. Sie erinnerte mich eher an ein tollpatschiges Kalb. Aber ein Eindringling wusste natürlich nicht, dass Harras nur spielen wollte und jedermann liebte. Er würde vielleicht wirklich Respekt zeigen.

Die Polizisten standen jetzt inmitten der Gäste. Carsten stellte Fragen und Hannes machte sich auf einem kleinen Block Notizen.

»Horst«, sagte ich, »kannst du bitte die Hunde einfangen und ins Haus bringen? Und nimmst du Chap mit und sperrst ihn auch ein?«

»Klar, Schnucki, mache ich«, erwiderte er ungewohnt fügsam. Er nahm mir den Kater ab und verschwand um die Ecke.

»Max, kommst du mal bitte?«, rief ich in dessen Richtung und er löste sich aus der Gruppe, in der er stand.

»Klar, Isa, was gibt’s?«

»Könntest du Chap nachher mit zu dir nach Hause nehmen? Ich habe Angst, dass ihm sonst das Gleiche geschieht, auch wenn er nicht so zutraulich ist. Ich möchte kein Risiko eingehen und er kennt ja deinen Hof sehr gut.«

»Gute Idee, bei mir ist er sicherer. Er kann bleiben, bis diese Sauerei hier aufgeklärt ist.«

»Wenn sie je aufgeklärt wird«, murmelte ich und flüsterte dann, »Ich hab nicht viel Vertrauen in die Polizei. Was können die schon machen und wie viel Aufwand ist denen so ein toter Kater wert?«

Carsten kam auf uns zu. »Wir haben jetzt so weit alles getan, was wir konnten. Ergibt wohl keinen Sinn, euch weiterhin eine tolle Party zu wünschen. Ist Horst irgendwo?«

»Er sammelt unsere Tiere ein, die hier draußen rumtoben und sperrt sie ins Haus.«

»Das ist gut. Passt in den nächsten Wochen auf und meldet euch, wenn ihr was Neues hört oder seht. Grüß meinen Chorbruder, wir sind dann mal wieder weg.«

Er tippte sich grüßend an die Mütze und nickte den Gästen zu, bevor er gemeinsam mit seinem Kollegen das Grundstück verließ.

Ich setzte mich von der Party und den Gesprächen rund um den toten Chip ab, suchte im Haus eine hübsche Schachtel mit einer aufgedruckten Blumenwiese hervor und legte eine kleine Babydecke hinein, die Chip immer geliebt hatte. Dann polsterte ich den Karton damit aus und bettete meinen toten Kater vorsichtig darin. Ich verschloss den Karton mit einem Deckel, besann mich anders und holte von drinnen einen Rosenstrauß, den Horst mir geschenkt hatte. Dann öffnete ich das Kistchen wieder, zupfte die Blütenblätter ab und ließ sie hineinfallen. Nachdem ich ein großes rotes Geschenkband um das Paket gewunden und zu einer Schleife gebunden hatte, war ich zufrieden und begab mich wieder zu unseren Gästen. Durch das Glas der Terrassentür sah ich Louises Mops Anni und unsere beiden Hunde herausschauen, die nicht begriffen, warum sie nicht mehr draußen spielen durften. Zum Glück verstanden sie sich wenigstens auch drinnen problemlos, sodass Horst sie nicht hatte trennen müssen.

Die Stimmung war aufgeheizt, als ich ins Zelt zurückkehrte. Jemand sagte gerade mit scharfer Stimme: »Was gibt es nur für bösartige Kreaturen. Ein hilfloses Tier umzubringen, erfordert ein hohes Maß an Niedertracht.«

Zustimmendes Raunen. Die Gesichter waren teils immer noch betreten, teils zornig, Marie-Louise sah verheult aus.

Alex schüttelte die Faust. »Wir müssen den Täter finden. Nichts gegen Carsten, aber der hat wenig Möglichkeiten.«

»Und er hat anscheinend noch weniger Lust«, sagte Edeltraud und räusperte sich trocken. Sie lebte seit über dreißig Jahren hier und nannte die Probleme beim Namen, ohne jede Hemmung. Jeder hier kannte sie und sie kannte, ganz ähnlich wie Elise, alle, sogar die meisten Camper. Aber wo Elise ihr Wissen nur tuschelnd preisgab, blieb Edeltraud immer offen und gerade heraus. Sie drängte sich nicht oft in den Vordergrund, wenn sie aber doch einmal etwas von ihren Erkenntnissen oder ihre Meinung mitteilte, war es stets pointiert.

Elise hatte sich ein wenig erholt. Unter ihren Augen war die Wimperntusche verlaufen und ihr Gesicht ähnelte einer traurigen Clownsmaske. »Was ist, wenn dieser Geisteskranke weitermacht? Ich habe auch eine Katze.«

Jörn Rotermund meldete sich zu Wort: »Heute Abend können wir gar nichts machen, aber was haltet ihr davon, wenn wir uns morgen bei mir treffen und besprechen, ob wir eine Art Bürgerwehr gründen können?« Er war ein vierschrötiger Mann in den späten Vierzigern, der mit seiner Frau Claudia, zwei halbwüchsigen Kindern und zwei Hunden eine Straße weiter wohnte und seit Langem mit Horst befreundet war.

»Morgen Abend gegen achtzehn Uhr bei mir? Was haltet ihr davon?«, sagte er nach einer Weile.

Von allen Seiten kam Zustimmung; damit war das eine feste Verabredung.

»Ich habe Chip in einen kleinen improvisierten Sarg gelegt und werde ihn morgen mit Horst begraben. Danach kommen wir gerne«, sagte ich. »Danke für eure Unterstützung. Vielleicht denkt ihr bis dahin darüber nach, ob es irgendwo einen Katzenhasser gibt oder ob euch irgendetwas anderes aufgefallen ist. Und passt auf eure Tiere auf. Eine tote Katze ist schon schlimm genug.«

3. Kapitel

Wir frühstückten lustlos und schweigend. Selbst die Border-Collie-Hündin Chica, die wir in Amerika von der Straße aufgelesen hatten, und Horsts achtzehn Jahre alter Sheltie Amalfi schienen gedrückter Stimmung zu sein und saßen nicht wie sonst bettelnd am Tisch, sondern lagen zusammen in Amalfis Körbchen. »Wann wollen wir Chip begraben?«, fragte ich, »und wo?«

»Lass uns gleich nach dem Frühstück eine Runde um das Grundstück gehen und schauen, wo es ihm am besten gefallen würde«, schlug Horst vor.

»Ja, das ist eine gute Idee. Lass uns die Hunde mitnehmen. Dann kommen sie gleich hinaus. Ich wage es jetzt nicht mehr, sie unbeaufsichtigt in den Garten zu lassen. Wer weiß, ob der Kerl nicht noch mehr Übles im Sinn hat.«

Horst seufzte und wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Auge. Er war nicht sehr emotional, aber Tierquälerei war ihm wie mir ein Graus, Chips Schicksal machte ihn schrecklich traurig. »Ja, wer weiß. Jedenfalls müssen wir vorsichtig sein. Vielleicht hat die Nachbarschaft heute Abend eine gute Idee.«

»Nachher müssen wir aber noch das Chaos von gestern beseitigen. Das wird uns ziemlich viel Zeit kosten, aber wenn wir uns nach Chips Beerdigung gleich ranmachen, sollten wir bis sechs fertig sein.«

»Sehr unerfreulicher Gedanke, das mit dem Chaosbeseitigen. Können wir das nicht auf morgen verschieben?«

»Auf gar keinen Fall«, sagte ich und ging in die Küche. Ich fütterte die Hunde und räumte dann den Esstisch ab. Horst ging derweil in den Keller, holte eine Schaufel und sammelte große unterschiedlich geformte Steine in eine Schubkarre, die wir zum Holzholen nutzten. Dazu legte er ein altes Schaffell und eine kleine Plastikplane.

»Wozu brauchst du die Steine?«

»Ich will verhindern, dass irgendwelche Räuber wie Füchse, Marder oder streunende Hunde sich am Grab zu schaffen machen. Je weniger Geruch nach außen dringt, umso größer ist die Chance, dass es nicht entdeckt wird.«

Ich holte Chips kleinen Sarg. Horst wollte ihn mir abnehmen und in die Schubkarre legen. Doch ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich will ihn diesen letzten Weg tragen. Er wiegt ja auch nicht viel.«

Die Hunde begleiteten uns durch den warmen Herbsttag, als wir am Zaun entlang zum anderen Ende des Grundstücks marschierten. Aber nicht einmal Chica sprang wie sonst umher. Amalfi tollte sowieso nicht mehr, sondern trottete wie immer gemächlich mit uns mit. Dabei untersuchte er jeden Strauch genau und hob überall leicht torkelnd sein Bein. Sein Gleichgewichtssinn reichte nicht mehr aus, um stabil auf drei Beinen zu stehen. Heute war mir das nicht das übliche Schmunzeln wert. Wir umrundeten wortlos das Grundstück.

»Ach, schau mal einer an«, sagte Horst, der mit der Schubkarre einige Schritte vor mir ging, »das ist ja gediegen.«

»Was ist los?«

»Komm mal her und sieh selbst.«

Ich holte ihn ein und sah, was er meinte. Der Maschendrahtzaun, mit dem das ganze Gelände umrandet war, war hier deutlich sichtbar manipuliert worden. Ein imposantes Loch, durch das leicht jeder durchschnittlich große Mensch passen würde, war hineingeschnitten worden. Hinter dem Zaun war die Erde aufgewühlt und davor waren einige große Fußspuren deutlich zu erkennen. »Mindestens Schuhgröße 46«, sagte ich nachdenklich. »Wenn Chips Mörder hier hindurch gekommen ist, und wenn er es war, der den Zaun zerschnitten hat, dann war es definitiv ein Mann!«

»Hier könnte er auch eingedrungen und dann hinter dem Haus entlang auf die Veranda gelangt sein, ohne allzu große Gefahr zu laufen, überrascht zu werden«, erwiderte Horst. »Vorne an der Straße hätte er beobachtet werden können. Das wollte er vermutlich vermeiden. So eine Scheiße!«

»Aber der konnte doch nicht wissen, dass Chip auf der Veranda sein würde.«

»Nein, das stimmt. Ach, ich verstehe es einfach nicht«, seufzte er.

Wir gingen gemeinsam langsam weiter. Horsts Grundstück grenzte an »Lokis Urwald«, den die Frau des Altkanzlers Schmidt dort für Spaziergänger freigegeben hatte. Sie hatte zu Lebzeiten verfügt, dass es dort keine Eingriffe in die Natur geben durfte, und daher wuchs der Wald, wie es ihm und der Natur gefiel.

»Lass uns jetzt erst einmal Chip zur letzten Ruhe bringen. Dann sehen wir weiter.« Mir wurde der Karton langsam schwer und meine Arme lahm. Erstaunlich, wie schwer so ein Karton doch mit einem kleinen Kater werden konnte, wenn man ihn eine Weile trug.

»Hier ist eine schöne Stelle, ganz dicht am Wald und mit Blick auf unseren kleinen Teich. Das gefällt mir!«, rief Horst, der inzwischen einen guten Vorsprung erlaufen hatte.

Gott sei Dank, wir waren endlich da. Ich eilte an die Stelle, setzte den Karton ab und wischte mir den Schweiß von der Stirn. »Du hast recht. Hier ist es wirklich schön.«

Horst nahm den Spaten und hob zunächst eine Grassode ab, die er sorgfältig an die Seite legte. Während er begann zu graben und mir beim Rumstehen noch wärmer wurde, weil die Sonne direkt auf unsere kleine Lichtung schien, dachte ich daran, wie sehr Chip und sein Bruder Chap mich getröstet hatten, als Horst und ich vor einiger Zeit mit einer Krise kämpften. Ich zog meine Jacke aus und warf sie ins Gras. Die Hunde schnüffelten interessiert daran, Chica begann wie wild ebenfalls zu graben und Amalfi legte sich mit einem Ächzer auf meine Jacke und schlief ein. »Chica will helfen«, sagte ich zu Horst und setzte mich neben Amalfi.

»Wohl kaum, du fängst schon an, die Hunde ebenso zu vermenschlichen wie Louisa. Das ist wenig professionell für eine Tierärztin.« Er warf mir einen unfreundlichen Blick zu. »Rumsitzen, wenn andere arbeiten, auch nicht.« Sein Blick war unfreundlich.

»Du hast nur einen Spaten mitgebracht. Aber ich pass gut auf die Hunde und dich auf. Was glaubst du, sind wir schon tief genug?«

»Wir«, schnaubte Horst. »Vor allem sind wir bald fertig.« Er grub weiter und brummte dabei gelegentlich. Dann war er endlich zufrieden. Ich stand auf und reichte ihm den Karton. Den wickelte er erst in die Decke und anschließend in die Plane. Das Bündel legte er sehr achtsam in die ausgehobene Grube auf das Schaffell. Nacheinander reichte ich ihm die Steine und er verteilte sie auf dem Bündel. Dann stand er auf, streckte sich und kam an meine Seite. »Das war’s dann wohl«, seufzte er und nahm mich in den Arm. »Es tut mir so leid, Isa.«

Ich schniefte und er streichelte meine Wange. »Wir kriegen den Mistkerl, bestimmt«, behauptete er. Ich war nicht so sicher.

Nachdem er die Erde zurückgeschaufelt hatte, deckte er das Grab mit der Grassode wieder ab und klopfte sie mit dem Spaten fest. Dann positionierte er noch einen besonders schönen Stein darauf und wir gingen mit den beiden Hunden zurück zum Haus.

Das Aufräumen tat uns gut, weil es uns ablenkte und uns keine Zeit für trübe Gedanken ließ. Dabei quoll die Hölle vor lauter kleinen Dingen über, von denen Horst sich nicht trennen konnte. Die hätte eine Aufräumaktion auch nötig. Die Hölle war in Wirklichkeit der offene Bereich einer Einbauanrichte. Sie schmiegte sich an einen der tragenden Holzpfeiler des Blockhauses. Die Erika, Horsts Ex hatte sie grellorange gestrichen und mit allerlei viel zu bunten Ornamenten bemalt. Ich fand sie scheußlich. Zu allem Überfluss war auf den Türen im unteren Bereich in altdeutscher Schrift ein Spruch rund um eine Blumenvase gemalt: Wer mit Ehrlichkeit und Fleiß tätig war in seinem Kreis, der genießt mit Heiterkeit innere Zufriedenheit.

Horst fing meinen Blick auf. »So schlimm ist sie doch gar nicht.«

»Oh, doch, erst recht der dumme Spruch.« Ich machte mit meinem Mittelfinger eine Bewegung in meinen Mund hinein und tat, als müsse ich mich übergeben. »Und das Allerschlimmste sind die Initialen.« Links E H für Erika Hartwigsen und rechts H H für Horst Härtling. Im Haus gab es viele ornamentisch bemalte Wände, Decken und Möbel, mit den meisten konnte ich mich anfreunden, aber diese Anrichte war furchtbar.

»Ich dachte immer, der Spruch sei das Schlimmste.« Horst kratzte sich am Kinn und dann grinste er. »Schnucki, ich gebe zu, dass ich das Ding auch nie schön fand. Du darfst es jederzeit neu und vor allem anders bemalen.«

»Na, vielen Dank auch. Du bist wie immer sehr großzügig mit meiner Arbeitskraft« Ich gab ihm einen Klaps an den Hinterkopf. »Ich werde übrigens in den nächsten Tagen deine Hölle aufräumen«, sagte ich.

Seine Augen weiteten sich. »Du willst gewiss nur wieder alles wegschmeißen, was ich dringend brauche.«

»Jammer nicht, du hast ja noch genug Zeit, es selbst zu machen oder alles zu verstecken, was ich nicht finden soll, bis ich mich aufraffen kann. Heute passiert es ja noch nicht.«

Er seufzte. »So viel Angst habe ich dann doch nicht.«

Ich zuckte die Achseln. »Wie du meinst.«

Danach blieb uns sogar noch etwas Zeit für ein Nickerchen, bevor wir losgingen. Horst trug eine Flasche Rotwein und ich hatte schnell noch eines der frisch gebackenen Brote vom Vortag gegriffen. Die Hunde wurden nach einem Spaziergang eingesperrt und wir machten uns auf den Weg.

Die meisten Nachbarn waren versammelt, als wir Jörns Wohnstube betraten. Sie war überraschend modern eingerichtet. Zur hellen Ledercouch und passenden Sesseln hatte er offenbar alle Stühle gestellt, die er besaß. Auf dem Tisch standen Gläser mit unterschiedlichen Getränken.

Wir klopften grüßend auf den Tisch und setzten uns zu den anderen. »Habt ihr den Kater beerdigt?«, wollte Elise wissen. »Ich traue mich nicht mehr, meinen Muschko rauszulassen.«

»Ja, er hat ein schönes Plätzchen unter einer Buche gefunden«, sagte Horst.

»Wir haben Chap ja zu Max gegeben. Wir hätten keine Ruhe, wenn er hier draußen rumstreunen würde«, fügte ich hinzu.

»Krass, dass ihm jemand die Kehle durchgeschnitten hat.« Der pickelige Jüngling, der sich zu Wort gemeldet hatte, war höchstens sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Ich hatte ihn noch nie gesehen. »Krass trifft es vermutlich irgendwie«, sagte ich. »Wer bist du denn?«

»Das ist unser Sohn Carl«, sagte Marie-Louise und dabei klang ihre Stimme fast entschuldigend.

»Schade, dass ich das nicht gesehen habe«, sagte Carl und pulte an der Haut seiner kurzen Fingernägel. Er hatte dunkelblonde Haare, denen ein Friseurbesuch guttun würde.

»Glaubst du, du hättest Freude daran gehabt, ein verstümmeltes totes Kätzchen zu sehen?« Die alte Edeltraud schüttelte den Kopf und sah den Jungen mit zusammengekniffenen Augen über ihre Brille hinweg an. Ohne die obligatorische Zigarette in der Hand fehlte direkt etwas.

»Er ist eben neugierig«, flüsterte Marie-Louise und senkte den Kopf. Sie war eine unauffällige, ja, mausgraue Erscheinung. »Wahre Schönheit kommt von innen«, hatte Horst einmal gesagt, als ich mich darüber geäußert hatte. Daran zu glauben, war leichter gesagt als getan. Ich selbst hätte bei aller inneren Schönheit auch gern etwas mehr von der äußeren.

»Papperlapapp«, sagte Edeltraud, »jugendliche Neugier ist keine Entschuldigung für alles.« Sie hustete und murmelte dann: »Warum soll ich aufhören zu rauchen, wenn ich auch husten muss, wenn ich nicht rauche?«

»Aber er ist doch erst sechzehn.« Marie-Louise war trotz ihrer Schüchternheit offenbar bereit zu kämpfen.

»Er ist schon sechzehn«, widersprach die alte Dame und betonte das Wort schon. »In dem Alter habe ich Jungs verhauen, die Tiere quälten.«

»Ich auch«, sagte ich, »aber Carl hat ja kein Tier gequält.« Ich versuchte mir die jugendliche Edeltraud, kaum größer als eins sechzig, vorzustellen, wie sie einen kräftigen sechzehnjährigen Halbstarken vermöbelte, und bemühte mich vergeblich, ein Grinsen zu unterdrücken.

»Ein gequältes Tier betrachten zu wollen, ist nicht viel besser.« Sie warf einen bösen Blick auf den Jungen, der mit vorgerecktem Kinn in die Runde sah und schwieg.

Warum er wohl überhaupt hier war? Vielleicht nur, um Details der Grausamkeiten zu hören. Das war mir fremd, denn ich liebte Tiere, seit ich denken konnte. Ich verstand es einfach nicht. Ich sah zu Boden. Carl hatte sehr große Füße. Dabei war er gar nicht besonders groß.

Jörn unterbrach meine Gedanken und fragte: »Wollen wir irgendwann anfangen, über das zu sprechen, weswegen wir uns heute hier zusammengefunden haben?«

Zustimmendes Murmeln kam von allen Seiten. Ich zählte sechzehn Personen. Gar nicht schlecht für eine spontane Versammlung.

»Wir haben heute früh entdeckt, dass jemand in unseren Zaun ein mannsgroßes Loch geschnitten hat«, sagte Horst.

»Wie bitte? Dann ist also dieser Unmensch von der Seite auf dein Grundstück gekommen. Kein Wunder, dass ihn niemand gesehen hat.«

Kathi Päschke, eine junge Nachbarin, die erst vor Kurzem in die Siedlung gezogen war, schnaufte empört. »Das ist ja eine bodenlose Frechheit.«

»Wir haben Spuren von großen Schuhen gefunden. Isa schätzt sie auf Größe 46.«

»Ja, das stimmt und ich bin fast sicher, dass es Gummistiefel waren«, ergänzte ich. Einige Nachbarn ließen verstohlen ihre Blicke über die Füße der Anwesenden schweifen. Andere runzelten die Stirn oder tuschelten miteinander.

»Da haben wir den Täterkreis natürlich extrem eingekreist. Gibt es hier jemanden, der keine Gummistiefel besitzt?«, fragte Jörn. Er trommelte mit der rechten Hand einen lautlosen Rhythmus auf seien Oberschenkel.

Kichern, Kopfschütteln. Er hatte natürlich recht, aber irgendwo mussten wir doch beginnen.

»Worum geht es denn? Wir wollen doch alle verhindern, dass so etwas erneut geschieht. Wenn es uns zusätzlich gelingt, den Täter zu fassen, umso besser. Was können wir also tun?« Alex hatte das Wort ergriffen und sah sich um. »Jemand eine Idee?«