Kein Plan - Tobias Steinfeld - E-Book

Kein Plan E-Book

Tobias Steinfeld

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Beschreibung

Hinreißend komischer und warmherziger Coming-of-Age-Roman ab 13 Jahren.

Abi, Lehre, Start-up – Zukunft geht klar! Für die meisten jedenfalls, die auch gleich ein paar nette Ideen für Alberts Zukunft anzubieten haben. Sein Vater rät zum Studium, seine Freundin will, dass er Maurer wird, das gibt Muskeln! Nur Albert selbst hat keinen Plan, was er nach der Schule machen soll. Seine Verzweiflung führt ihn in ein verrücktes Abenteuer, das mit einer Rudermaschine beginnt, ihn auf einen Schäferhof führt und mit Freunden fürs Leben endet. Und dazwischen? Schräge Außenseiter, ein Drohbrief, Wölfe, ein Kuss und jede Menge Schafe.

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Das Buch

Abi, Lehre, Start-up – Zukunft geht klar! Für die meisten jedenfalls, die auch gleich ein paar nette Ideen für Alberts Zukunft anzubieten haben. Sein Vater rät zum Studium, seine Freundin will, dass er Maurer wird, das gibt Muskeln! Nur Albert selbst hat keinen Plan, was er nach der Schule machen soll. Seine Verzweiflung führt ihn in ein verrücktes Abenteuer, das mit einer Rudermaschine beginnt, ihn auf einen Schäferhof führt und mit Freunden fürs Leben endet. Und dazwischen? Schräge Außenseiter, ein Drohbrief, Wölfe, ein Kuss und jede Menge Schafe.

Der Autor

© Ulrich Köller

Tobias Steinfeld wurde 1983 in Osnabrück geboren. Er lernte einen handfesten Beruf, studierte und jobbte als Inklusionshelfer an einer Förderschule. Heute leitet er Schreibwerkstätten für Jugendliche und schreibt selbst Geschichten. Als sein erstes Stück auf die Bühne kam, rief seine ehemalige Grundschullehrerin ungläubig und stolz bei seiner Mutter an: »Ist das wirklich von Tobias?« Sein Romandebüt »Scheiße bauen: sehr gut« wurde unter anderem mit dem Mannheimer Feuergriffel-Stipendium ausgezeichnet. Er lebt in Düsseldorf.

Der Verlag

Du liebst Geschichten? Wir bei Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH auch!

Wir wählen unsere Geschichten sorgfältig aus, überarbeiten sie gründlich mit Autoren und Übersetzern, gestalten sie gemeinsam mit Illustratoren und produzieren sie als Bücher in bester Qualität für euch.

Deshalb sind alle Inhalte dieses E-Books urheberrechtlich geschützt. Du als Käufer erwirbst eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf deinen Lesegeräten. Unsere E-Books haben eine nicht direkt sichtbare technische Markierung, die die Bestellnummer enthält (digitales Wasserzeichen). Im Falle einer illegalen Verwendung kann diese zurückverfolgt werden.

Mehr über unsere Bücher, Autoren und Illustratoren: www.thienemann.de

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Viel Spaß beim Lesen!

Für Planlose

I. DAS LEBEN (PUH!)

1.

»Ich weiß nicht, was ich machen soll.« Ihm war klar, dass es total unangebracht war, in dieser Situation so etwas zu sagen. Aber dieser Satz stand gerade mitten in seinem Kopf. Dick und fett. Wie ein Elefant, der aus dem Dickicht auftauchte und einem plötzlich den Weg versperrte. Es gab kein Vorbei und er ließ sich auch nicht wegschieben. Er wusste einfach nicht, was er machen sollte, und er war endlich mit Melanie alleine. Mit wem sonst hätte er darüber reden sollen?

Melanie hörte auf, an seinem Hals zu saugen und schaute ihn verstört an.

»Vielleicht hast du eine Idee?«, fragte er.

Sie nickte und grinste ihm ins Gesicht. »Die habe ich.«

»Und was?«

»Das zum Beispiel!«

Sie nahm seinen Kopf in beide Hände und zog ihn an ihren.

»Und jetzt?«

»Jetzt küsst du mich.«

Das machte er.

»Und?«, fragte sie.

»Schön.«

»Na dann, machen wir weiter!«

Sie knutschten und ganz kurz dachte er noch, dass er eigentlich etwas ganz anderes gemeint hatte mit seinem Satz.

Sie flüsterte: »Hast du Kondome besorgt?«

Er nickte.

Melanie zog sich aus. Melanie zog ihn aus. Melanie öffnete die Packung. Melanie zog es drüber. Melanie setzte sich auf ihn. Er machte nichts.

Sie fing an, sich zu bewegen. Er merkte, dass das alles etwas zu schnell zu Ende gehen könnte, und versuchte, an etwas anderes zu denken. Sich selbst woanders hin. Das war ziemlich schwierig, schließlich steckte ein Teil seines Körpers gerade in einem Teil eines anderen Körpers und das flutschte und glitt und glitschte und …

Glücklicherweise sagte dann Melanie etwas Unpassendes. Vielmehr hauchte sie es in sein Ohr, während sie sich runterbeugte: »Albert.«

Er bekam eine Gänsehaut. So hieß er. Das war schon immer unpassend gewesen, aber noch nie so sehr wie heute. Junge Menschen sollten eigentlich anders heißen. Benni zum Beispiel. Oder Leon. Albert hießen tote Urgroßväter oder tote Genies. Albert Einstein zum Beispiel. Oder Albert Camus – französischer Schriftsteller und Philosoph. Den kannte er, weil sein Vater dessen größter Fan war und deshalb dafür gesorgt hatte, dass sein Sohn denselben Namen trug. Herzlichen Dank! Albert sollte man sicher nicht heißen, während man nackt auf dem Rücken liegt und ein nacktes Mädchen auf einem reitet. Ob die Kinder von anderen Germanistikprofessoren auch solche Namen hatten? Johann-Wolfgang. Und sonst? Ihm fiel bloß Astrid Lindgren ein. Mehr nicht: Albert, Johann-Wolfgang und Astrid. Er schaffte es keine Sekunde länger, über Vornamen und seinen im Speziellen nachzudenken.

»War’s das?«, fragte sie.

»Hat es wehgetan?«, fragte Albert.

»Was?«

»Das.«

Melanie zuckte mit den Schultern und legte ihren Kopf auf seine nackte Brust. Er fühlte sich zu klein dafür, auch wenn er viel größer war als sie.

Sie zu fragen, ob es ihr wehgetan hatte, war geplant. Den Tipp hatte er von Benni bekommen (»Das gehört sich so!«).

»Es war schön«, sagte sie.

Dabei war er es, der sich vorgenommen hatte, genau das als Nächstes zu sagen. Und jetzt? Er dachte nach.

Der Radiowecker zeigte 22 Uhr 54. Als Melanie seine linke Socke ausgezogen hatte, zeigte er 22 Uhr 51.

Eigentlich sollte er das erst sagen, nachdem sie es gesagt hatte. Aber die Dinge hatten sich anders entwickelt.

»Ich liebe dich!«, sagte Albert.

Melanie sagte nichts und lag weiter bewegungslos da, und Albert machte es ihr nach. Ob er sie wirklich liebte?

Als es 23 Uhr 02 war, spürte er, wie ihre Finger anfingen, sanft über seinen Bauch zu streichen. Also fing er an, auch ihren Bauch zu streicheln. Er fühlte sich langsam, aber sicher immer größer und das Zusammennacktundnahsein wurde angenehmer und angenehmer. Das Kondom hatte Melanie noch nicht wieder runtergezogen.

»Jetzt bist du oben«, flüsterte sie.

»Gute Nacht«, sagte Melanie. Sie lag in ihrem Schlafanzug unter der Bettdecke, Albert saß in Jeans und T-Shirt auf der Kante.

Melanie war 15 und in der Neunten, ihre Eltern wollten nicht, dass er über Nacht blieb.

Sie streichelte kurz über seinen linken Oberarm. »Ich hätte da vielleicht eine Idee, was du machen könntest«, sagte sie.

Albert nickte gespannt. »Was denn?«

»Vielleicht könntest du Maurer werden!?«

»Hä?« Albert war überrascht. Auf so eine Idee wäre er nie im Leben gekommen. Aber vielleicht sah Melanie ja etwas anderes in ihm. Verborgene Talente. Oder hatte seine körperliche Stärke sie darauf gebracht?

»Wie kommst du drauf?«, fragte Albert. »Ich meine: Wieso Maurer?«

Sie schauten sich an. Melanies Kopf lag mitten auf ihrem Kissen. Ihre blonden Haare zeigten wie Sonnenstrahlen in alle Richtungen. »Muss ja nicht Maurer sein, vielleicht auch was anderes, das Muskeln gibt.«

Albert machte große Augen, warum sollte er etwas tun, das Muskeln gibt?

»Was?«, fragte er.

»Na ja, deine Arme haben ganz schön gezittert gerade, als du oben warst.«

Nachdem Albert kurz nichts gesagt und gedacht hatte, antwortete er etwas verwirrt: »Okay.«

Dann ging er nach Hause.

2.

Er wollte sich unbemerkt ins Bett schleichen, die Augen schließen und sofort einschlafen. Einfach weg sein. Denn wach zu sein, bedeutete an diesem Abend nicht nur, nicht zu wissen, wie es weiterging, sondern seit vorhin noch zusätzlich, über die eigenen Oberarme nachzudenken.

Aus seinem Vorhaben wurde nichts.

Überall brannte Licht. Überall knallten Türen. Offenbar war er mitten in eine Freakshow geplatzt. Hauptdarsteller war sein Vater Petter, Nebendarstellerin seine Mutter Regina. Außerdem dabei: seine Schwester Tilda.

»Onomatopoetikon … Onomatopoetikon. Ein Onomatopoetikon ist …« Petters Haare standen wirr in alle Richtungen. Den linken Zeigefinger an der linken Augenbraue ging Alberts Vater ohne Pause den Flur oben auf und ab.

»Onomatopoetikon«, sagte er dabei laut und deutlich. Petter sah gerade nicht nur aus wie ein zerstreuter Professor, ganz offensichtlich war er einer. Der totale Wahnsinn!

Das Chaos komplett machte Regina. Die schreiende Tilda auf dem Arm flitzte sie durchs ganze Haus, Treppe hoch, Treppe runter, riss alle Türen, an denen sie vorbeikam, auf und knallte sie dann wieder zu.

Oben im Flur stand offen Petters Sporttasche und Regina schmiss planlos irgendwelche Klamotten rein. Gerade einen kunterbunt gestreiften Bademantel, den Albert noch nie gesehen hatte und der so aussah, als würde er aus einer anderen Welt kommen.

Regina blieb vor ihm stehen und schaute ihn an. Albert hatte in diesem Augenblick seine Zukunft und seine Arme vergessen.

»Deinem Vater fehlen die Worte«, sagte sie.

Da ist er nicht der Einzige, dachte Albert.

»Er weiß meinen Namen nicht mehr«, sagte Regina.

Albert verstand nicht.

Regina schnaufte. »Er weiß deinen Namen auch nicht mehr. Und das Allerschlimmste …« Sie brach in Tränen aus. »Er weiß Tildas Namen nicht mehr.«

Bei Tilda hörte für Regina der Spaß auf. Albert hätte es nicht gewundert, wenn sie Petter deswegen in einem Wutanfall ohne Vorwarnung vom Balkon gestoßen hätte.

»Und jetzt?«

»Jetzt fahre ich ihn in die Klinik.« Sie schaute ihn vorwurfsvoll an und wurde lauter. »Er weiß Tildas Namen nicht mehr!«

Schluchzend und wimmernd, Tilda auf dem Arm, zerrte sie Petter die Treppe nach unten, der immer noch ständig »Onomatopoetikon« sagte.

Albert hatte keine Ahnung, was das sollte. »Viel Glück!«, rief er ihnen hinterher.

Dann machte er alle Türen zu, schaltete die Lichter aus, vergaß, sich die Zähne zu putzen und legte sich, wie geplant, ins Bett: Er schloss die Augen und schlief sofort ein, war einfach weg.

3.

»Ein Glück!« Regina saß am Frühstückstisch und schaufelte Tilda, mit einem Esslöffel, knallorangenen Brei in – und vor allem – um den Mund herum.

»Wasn?«, fragte Albert, noch ziemlich zerknittert vom tiefen Schlaf.

Regina strahlte ihn an. »Er weiß Tildas Namen wieder.«

Albert hatte wirres Zeug geträumt. Mit einem gelben Bauarbeiterhelm auf dem Kopf und dem bunten Bademantel bekleidet, hatte er ein Haus aus Stein gebaut. Und immer, wenn es fertig war, krachte es in sich zusammen.

Die Geschichte von letzter Nacht hatte er verdrängt.

»Na, Gott sei Dank!«, sagte er.

»Gott sei Dank!«, sagte Regina jetzt auch und machte dabei ein Kreuzzeichen. So was hatte sie noch nie gemacht. Regina hatte mit Gott so viel zu tun, wie Albert mit französischer Philosophie. Nichts. Aus Petter wurde Albert manchmal nicht so ganz schlau. Er ging jetzt nicht in die Kirche oder so, aber er betonte ständig, offen für alles zu sein. Und einer seiner Lieblingssätze war: »Was möglich ist, kommt vor.« Wenn Gott möglich war, würde er also in Petters Welt vorkommen. Aber das würde dann ja auch für was-wusste-Albert-nicht-alles gelten.

Albert war nicht offen für alles und er glaubte nicht an Gott. Der Grund dafür war: Albert war eher der Sicherheitstyp. Zumindest meinte Benni das. Wegen seiner Kondomauswahl. Ohne zu zögern hatte er sich für Extrasave entschieden. Benni kaufte angeblich immer Gefühlsecht. Hätte Albert Gefühlsecht gekauft, wäre die Geschichte gestern wahrscheinlich schon nach zehn Sekunden vorbei gewesen. Zurück zu Gott. Natürlich wäre es nach Alberts Ansicht spitze gewesen, wenn es Gott gäbe und der dafür sorgt, dass alles nach Plan läuft, aber dann müsste man sich auch hundertprozentig auf ihn verlassen können. Also, er müsste sich zeigen und sagen: »Hallo, ich bin Gott.« Da das aber nicht passierte, ließ Albert Gott Gott sein. Es gab ihn nicht. So musste er wenigstens nicht zweifeln und war damit auf der sicheren Seite.

Wenn er jetzt so darüber nachdachte, bezweifelte er aber, dass er tatsächlich der Sicherheitstyp war. Hätte er sich dann nicht schon längst einen Plan für nach der Schule überlegen müssen?

Regina unterbrach seine Gedanken: »Willst du gar nicht wissen, was er hatte?«

»Wer?«

Ihr Blick wurde böse. »Dein Vater, vielleicht?«

Ups, dachte Albert und versuchte einen besonders sorgenvollen Blick aufzusetzen. »Was hatte er?«

»Leichter Schlaganfall, vermuten die Ärzte, sie behalten ihn erst mal zur Beobachtung da.«

Albert sagte nichts. Es gibt Momente, da sollte man die richtigen Worte parat haben – das sagte Petter zumindest immer. Und das hier war so eine Situation: Wenn deine Mutter dir sagt, dein Vater hatte vermutlich einen leichten Schlaganfall und würde zur Beobachtung dabehalten. Aber Albert fiel nichts ein.

Dabei wär’s gar nicht schwer gewesen:

»Du kannst ihn heute Nachmittag besuchen«, sagte Regina.

»Wollte ich gerade sagen. Ich besuche ihn heute Nachmittag.«

»Schön, da wird er sich freuen.« Dann holte sie ihre Brüste raus.

Albert drehte sich weg. Er öffnete den Küchenschrank und kramte darin herum.

»Was suchst du?«

»Nichts.«

»Dann setz dich doch zu uns.«

Ganz sicher setze ich mich nicht zu ihnen, dachte Albert.

»Meinst du nicht, Tilda ist satt?«

»Es geht nicht nur um Hunger, es geht auch um Nähe, Albert.«

Durch das »Albert« versuchte Regina, dem Ganzen mehr Bedeutung zu geben. Das wusste Albert, weil Petter das mal meinte, als Regina seinen Namen am Ende irgendeines Satzes gesagt hatte.

Petter sprach ständig über Bedeutung. Laut Regina machten das alle Germanisten. Komischerweise tat sie das aber nicht, obwohl sie auch eine war. Albert war nicht klar, was Bedeutung überhaupt genau bedeuten sollte und wie jemand auf die Idee kommen konnte, ein Germanist zu werden. Er wollte jedenfalls keiner werden, da hätte Petter sich auf den Kopf stellen können.

Regina redete weiter, Albert sagte nichts. Sie stillte gerade also nicht nur Tilda, sondern auch ihn, immerhin war auch er jetzt still.

»Nicht nur Nähe, auch Geborgenheit, Liebe, Zuwendung, Vertrauen …« Sie machte eine kurze Pause und schaute Albert so eindringlich an, dass er es spüren konnte.

»Bist du eifersüchtig auf deine kleine Schwester?«

»Ich muss zur Schule.«

Tildas Nuckelgeräusche wurden lauter.

»Siehst du? Tilda ist jetzt im Himmel.«

Albert fragte sich, was hier wohl los wäre, wenn Tilda wirklich im Himmel wäre. Also in dem Himmel, den die Leute mit Tod meinten, wenn sie »im Himmel« sagten. Nach seinem Empfinden war es in Wirklichkeit Regina, die »im Himmel« war, in lebendiger Form natürlich. Aber wer war Albert, sich darüber eine Meinung zu bilden? Er war bloß der Sohn, der keine Lust auf Diskussionen hatte, in denen er an gewisse Dinge erinnert wurde: Regina hatte ihn gestillt, bis er vier war.

Petter sagte zu solchen Sachen: »Kannst du nix für, Junge!«

Petter sprach mit jedem anders. Und jeder sprach anders mit ihm. Deshalb war er für Albert auch Petter. Papa wollte er irgendwann nicht mehr sagen und Peter klang Petter zu vornehm. »Petter – das klingt locker«, hatte er mal gesagt. »Bodenständig. So, als ob wir zwei gerne zusammen mit den Händen Löcher in die Erde buddeln würden.« Dabei hätte Petter niemals mit den Händen in der Erde gebuddelt. Und Albert sowieso nicht.

Tilda war eineinhalb und Albert vermutete, dass sie ein Unfall war. Das durfte er natürlich niemals sagen, weil Regina ihn dann wahrscheinlich mit ihren roten Fingernägeln aufgeschlitzt und zum Ausbluten an den Fahnenmast vor dem Haus gehängt hätte.

Im Grunde war es ihm aber auch egal, was Petter und Regina und Tilda machten. Er musste noch zwei Tage zur Schule und dann würde er sein eigenes Ding durchziehen. Wie auch immer das aussehen sollte.

»Tschüss«, sagte er zu Regina.

»Tschüss, Schatzi!«, rief sie ihm hinterher und obwohl er extra nicht auf ihre Brüste geschaut hatte, sah er sie beim Wort »Schatzi« klar und vollgepumpt vor Augen.

4.

»Das Beste ist …«, flüsterte Benni und holte kurz Luft. »Das Beste ist Start-up.« Benni fing die meisten seiner Sätze mit »Das Beste ist« an. Sie saßen im Gemeinschaftsraum. Viele Neuntklässler, ein paar gingen wie Albert in die Zehn.

Vorne stand dieser schwitzende Typ. Als Erstes sollten sie herausfinden, welchen Beruf er ausübte. Dabei war er ganz offensichtlich der Berufsberater. Wäre das nicht sonnenklar gewesen, hätte Albert auf Fahrlehrer getippt. Hellblaue Jeansjacke und hellblaue Jeanshose. Aus der Brusttasche guckten eine Sonnenbrille und eine Packung Marlboro.

Benni meldete sich. »Ich vermute, Sie sind Berufsberater.«

Er zwinkerte Benni zu und sagte: »Stimmt.« Benni hatte ihm vorhin geholfen, das Flipchart reinzutragen, auf das der Berufsberater jetzt »Beruf kommt von Berufung!« schrieb.

»Warum eigentlich ein Orientierungstag zu diesem Zeitpunkt?«

Keiner meldete sich.

»Benni?«

»Damit wir die besten Leistungskurse wählen können.«

Albert wunderte sich. Die anderen aus der Zehn, die nicht abgingen (also alle außer ihm), hatten die Kurse doch längst gewählt.

Der Berufsberater runzelte die Stirn. »Fällt euch das schwer?«

Benni zeigte auf, aber der Mann wartete ab.

Melanie meldete sich. »Ich find schwer, mich zu entscheiden.«

Das hatte gestern Abend aber noch ganz anders ausgesehen. Da wusste sie ziemlich genau, was sie wollte, dachte Albert. Er hatte Angst, Melanie könnte sauer sein, weil er sich nicht neben sie gesetzt hatte. Aber Albert saß immer neben Benni. Genau genommen seit einem Jahr. Seit Benni sitzen geblieben war.

»Und warum?«, fragte der schwitzende Berufsberater.

»Weil ich damit ja schon meine Zukunft bestimme«, sagte Melanie. »Und meine Entscheidung kann ich nicht rückgängig machen.«

Stimmt, dachte Albert. Nichts kann man rückgängig machen. Selbst wenn er sich jetzt zu Melanie gesetzt hätte, würde sie ihm wahrscheinlich damit kommen, dass er am Anfang aber neben Benni gesessen hätte.

Benni war der Überzeugung, dass Melanie die Beste war. Er sah nicht nur ihren schlanken Körper und ihre blonden Haare als die besten an – neulich hatte er gesagt, dass Melanie ganz besonders reif wäre. Und als reifes Mädchen war auch sie in seinen Augen »Typ Sicherheit«. Benni hatte behauptet, das wäre auch der Grund, warum sie mit Albert zusammen war: Immerhin fuhr sein Vater Volvo und war Professor und Melanie wollte wahrscheinlich mal ganz besonders schlaue Babys bekommen.

Der Berufsberater tastete sich (»wie immer bei den Orientierungstagen«) langsam an die Thematik heran und fragte: »Was machen eure Eltern eigentlich beruflich?«

Ein paar Finger gingen hoch.

Als Erstes nahm er das Mädchen ganz vorne dran. Albert wusste nicht, wie sie hieß, nur, dass sie bei den letzten Schulsprecherwahlen kandidiert hatte. Und egal, wo man auf dem Schulhof stand – irgendwo war eines ihrer Plakate in der Nähe gewesen, von dem sie ausdruckslos und etwas blass auf einen herabstarrte. Gewählt hatte sie offenbar kaum jemand. Erst jetzt fiel Albert auf, dass sie ganz alleine in der ersten Reihe saß.

»Was macht denn dein Vater beruflich?«

Das Mädchen nahm ihren dünnen Arm runter, aber es sagte nichts.

Der Berufsberater räusperte sich. »Möchtest du nicht antworten?«

»Doch«, sagte das Mädchen.

»Und?«

»Mein Vater ist …«

»… Vampir«, rief Benni in den Raum.

Fast alle lachten und erst, als sie damit aufgehört hatten, drehte sich das Mädchen um, schaute Benni und Albert an und öffnete ihren Mund, der plötzlich riesig war. »HERZCHIRURG«, sagte sie, bewegte ihre Lippen dabei wie eine wiederkäuende Kuh und Albert hatte in seinem Leben bisher selten so viele Zähne auf einmal gesehen.

Die anderen nahmen ihre Finger schlagartig runter. Der Berufsberater fragte auch nicht weiter nach. Herzchirurg war offenbar nicht zu toppen.

Als Nächstes sollten sie aufschreiben, wie sie sich ihr Leben in 15 Jahren vorstellten. Alle schrieben und schrieben, einige malten.

Benni stellte seine Zukunftsvision zuerst vor. »Das Beste ist …«, sagte er, »… mit 32 habe ich vier Start-ups gegründet. Ich hab ein Haus in der Stadt und eins auf dem Land. Ich hab eine schöne Frau, die zwei Jahre jünger ist als ich. Haarfarbe egal. Blond oder schwarz. Wir haben zwei Kinder. Einen Jungen und ein Mädchen. Und wir haben zwei Autos, eins davon ist ein Volvo und wir fahren immer in Urlaub nach Südostasien.«

»Danke, Benni«, sagte der Berufsberater.

Albert wusste nicht, warum, aber irgendjemand fing an zu klatschen und dann klatschten alle, nur das Mädchen in der ersten Reihe nicht. Benni sagte ein paarmal Danke und verbeugte sich, bevor er sich wieder auf seinen Platz setzte.

Dann stellten noch ein paar ihre Zukunft vor und die war ungefähr immer die gleiche wie die von Benni. Nur die Haarfarben änderten sich. Und viele wollten noch einen Hund. Aber dazu merkte Benni an, dass er den aus Versehen vergessen hatte.

Was wohl auf Melanies Papier zu sehen war? Albert hätte zu gerne gewusst, ob sie einen Maurer mit dicken Oberarmen auf ihr Blatt gemalt hatte.

Sein Blatt war leer. Beruf kommt von Berufung, dachte er. Und er fragte sich, was genau damit eigentlich gemeint war: Berufung.

5.

Albert saß in der Sonne auf einer Mauer und beobachtete die Menschen, die auf der Großen Straße unterwegs waren. Fußballtraining war erst um sechs und er hatte keine Lust, den ganzen Nachmittag in einem stickigen Krankenzimmer zu verbringen.

Eine Frau im Hosenanzug ging im Stechschritt über den Zebrastreifen. Ihre Aktentasche hielt sie nach vorne und es wirkte ein bisschen so, als würde sie von ihrer Tasche gezogen wie von einem zu starken Hund. Unmittelbar vor Albert marschierte ein Mann auf und ab, der eigentlich auf Deutsch telefonierte, aber auffällig oft das Wort »Solution« sagte. Eine junge Frau kletterte eine Leiter hinauf und knibbelte Folie von einer Fensterscheibe. Eine Bäckereifachverkäuferin verkaufte lächelnd ein belegtes Brötchen an einen Mann vom Ordnungsamt. Er biss rein und kleckerte weiße Remoulade auf seine Uniform. Ob die alle eine Berufung hinter sich hatten? Mitten in der Nacht wach geworden waren und eine Stimme ihnen zurief:

»Hey du!«

»Ja?«

»Du wirst Bäcker!«

»Okay, super!«

Plötzlich roch es neben ihm ein bisschen muffig. Der Geruch erinnerte ihn an Petters Fahnensammlung, die er in seinem Nachtschrank aufbewahrte. Mottenkugelmuff. Und die Mottenkugeln rochen wiederum nach Räucherstäbchen.

Direkt neben ihm, also viel zu nah, saß die Herzchirurgentochter von vorhin.

»Na«, sagte er. Dabei wollte er überhaupt nicht mit ihr reden.

»Dein Freund ist ein Arschloch!«, sagte sie.

Albert zuckte mit den Schultern. »Warum erzählst du mir das?«

Sie stand auf und wurde lauter: »Weil es dein Freund ist, vielleicht?«

»Sag’s doch ihm, nicht mir!«

Das Mädchen drückte ihm einen Flyer in die Hand. »Zwei Monate für nur 20 Euro testen!«, sagte sie streng.

»Was soll das jetzt?«

»Wonach sieht’s aus?«

»Du machst Promo für …«, Albert schaute auf den Flyer, »… ein Fitnessstudio?«

»Korrekt«, sagte sie, und ihr Mund war dabei spitz und klein wie der Schnabel eines Vögelchens und gar nicht mehr so groß und weit wie vorhin.

»Warum?«

»Warum wohl?«

Albert sagte nichts und dachte, dass sein Taschengeld ausreichend war und er ohne Nebenjob zurechtkam (auch wenn er das zu Hause so niemals ausgedrückt hätte). Ein Herzchirurg verdiente sicher mehr als ein Uniprofessor, vermutete Albert, aber er würde da jetzt ganz sicher nicht nachhaken.

»Ist mit Sauna«, sagte sie jetzt zu Alberts Überraschung.

»Ich schau mal«, sagte er. Wenn er »Nein, danke«, gesagt hätte, hätte sie wahrscheinlich mit dem nächsten Argument versucht, ihn zu überzeugen.

Auch wenn er das Petter niemals gesagt hätte, mit dieser Es-ist-wichtig-immer-die-richtigen-Worte-zu-finden-Sache hatte er recht. Richtige Worte waren unglaublich nützlich, um zum Beispiel in Ruhe gelassen zu werden. Die waren in diesem Fall »Ich schau mal«. Darauf antworteten die Menschen so was wie: »Okay, tu das! Du weißt, wo du mich findest, wenn du noch Fragen hast«, aber sie versuchten nicht, neue Überzeugungsarbeit zu leisten.

»Lohnt sich echt. Ist monatlich kündbar«, sagte das Mädchen.

Ob sie nicht verstand, was er gesagt hatte?

Sie hielt ihm ein Formular zum Ausfüllen unter die Nase.

»Ich schau mal!«, sagte er wieder, jetzt deutlicher, stand auf und ging los.

»Gehst du nicht gern in die Sauna?« Sie folgte ihm.

»Ich hasse Sauna!«

»Das hat noch keiner gesagt!«, schoss es aus ihr heraus. Sie blieb stehen.

Er ging weiter.

Offenbar waren das die richtigen Worte gewesen. Sie kamen ganz ohne nachzudenken und sie waren sogar die Wahrheit. Er fand Sauna eklig: Alle nackt. Überall Schweiß. Das letzte Mal, als er drin war, hatte er durchgehend Gänsehaut. Bei 90 Grad und Pfirsichduft.

Jemand fasste ihn an der Schulter. »Vielleicht magst du Proteindrinks?«

Sie gab nicht auf.

Albert auch nicht. »Ich hasse Proteindrinks!«

»Personaltrainer?«

»Ich hasse Personaltrainer!«

»Schließfächer?«

»Ich hasse Schließfächer!«

»Rudermaschinen?«

»Ich hasse Rudermaschinen!?«

»Du hasst also Rudermaschinen?«

»Ja.«

»Was sind denn Rudermaschinen?«

Er blieb stehen. Sie auch.

»Ist das jetzt ein Quiz oder was?«

»Ein Test.«

»Ohne mich!«

Tatsächlich hatte Albert keinen blassen Schimmer, was Rudermaschinen waren.

Er ging wieder weiter. Das Mädchen schwieg und lief neben ihm her. Um sein Desinteresse zum Ausdruck zu bringen, hatte er bisher vermieden sie genauer anzuschauen, da das aber eh nichts zu bringen schien, konnte er einen längeren Blick wagen.

Kurze dunkle Haare wuchsen aus ihrem Kopf, auf dem eine rote Kappe saß. Darauf stand in gelber Schrift: Fitness Kings. Ihr Gesicht war voller Sommersprossen, die Haut darunter ziemlich hell. Aber wie eine Vampirtochter sah sie nicht aus. Auch, wenn sie so roch. Noch weniger erinnerte sie allerdings an einen Fitness King oder eine Fitness Queen mit ihrem schmalen Hals und ihren weißen Ärmchen.

Ziemlich sicher war sie die größte Nervensäge des Universums, und er fragte sich, was mit diesem Wesen nicht stimmte.

Albert kam eine Idee. »Ich bin schon bei einem anderen Fitnessstudio.«

Sie lachte. »Wie heißt denn dein anderes Fitnessstudio?«

»Fitness…« Albert stockte und schaute sich um. Sie waren mittlerweile schon im Schlosspark. Durch die ganze Stadt verfolgte sie ihn, jagte ihn geradezu.

Ein Hochzeitspaar stieg fürs Foto vor dem Schloss aus der Kutsche. Jemand stand auf einer Trittleiter daneben und ließ von oben Rosenblätter fallen.

»Fitness-Paradies«, sagte er.

Sie kniff in seinen Oberarm. »Du lügst!«

»Woher willst du das wissen?«

»Pudding.«

»Hä?«

Sie griff noch mal zu. »Das sind keine Muckis, das ist Pudding!«

Albert stand da mit offenem Mund. Noch nie waren in irgendeiner Form seine Muskeln oder seine Oberarme ihm gegenüber thematisiert worden und jetzt taten das gleich zwei Mädchen innerhalb von zwei Tagen. Wobei zwei Tage 48 Stunden beinhalteten und zwischen diesen beiden Oberarmdemütigungen lagen – er rechnete kurz im Kopf – höchstens 17 Stunden.

Sie drückte ihm ein Klemmbrett in die Hand. »Du unterschreibst das jetzt!«

»Du kannst mich mal!«

Sie machte ein Kreuz aufs Papier. »Da«, sagte sie.

»Fick dich!«

»Das ist ein PROBEabo.«

»Ich hab keine Zeit mehr.«

Das Mädchen wurde laut: »Erst mich ’ne halbe Stunde von der Arbeit abhalten, mich fünf bis zehn Kunden kosten und jetzt keine Zeit haben.«

Albert ging kurz in sich und überlegte, ob er das jetzt wirklich tun sollte, da hatte er es schon ausgesprochen. »Mein Vater liegt im Sterben.«

Sie schaute ihn mit Riesenaugen an. Ihr Gesicht sah ganz anders aus. So wie Gesichter aussehen, wenn sie zum Beispiel gerade beim Klauen erwischt worden waren oder beim Schwarzfahren.

Das Mädchen stand ganz und gar starr vor ihm. »Oh«, sagte sie leise. Und: »Entschuldigung!«

Sie drehte sich um und ging und Albert fühlte sich beschissen. Er hielt es nicht aus, sie so zu sehen, auch wenn er sie scheiße fand, aber ihm tat leid, dass er ihr leidtat und man sollte nicht sagen, dass jemand im Sterben lag, wenn er gar nicht im Sterben lag.

Er lief ihr nach. »Gib mir das Klemmbrett!«

»Ne, lass!«, sagte sie. »Geh zu deinem Vater!«

»Ich will aber ein Probeabo!« Sie kämpften um das Klemmbrett. Er gewann, auch wenn er dabei nach hinten umfiel und auf dem Boden landete. Seine Puddingarme waren immer noch stärker als ihre.

Das Mädchen setzte sich auf eine Bank. Albert setzte sich daneben und füllte das Blatt aus.

Er gab ihr das Brett zurück.

»Was hat er denn?«

»Wer?«

»Na, dein Vater!«

Leichter Schlaganfall würde nicht ausreichen. Schwerer Schlaganfall vielleicht!? Damit kannte er sich nicht aus. Aber was, wenn sie es tat? Ihr Vater war immerhin Herzchirurg.

»Onomatopoetikon«, sagte Albert.

»Wie bitte?«

»Er hat Onomatopoetikon.«

Sie schaute ihn erschrocken an.

Albert nickte und schaute auf den Boden, in der Hoffnung, sie würde es schlucken.

»Das ist ja echt übel. Und es gibt keine Chance mehr?«

»Keine Chance.«

Sie schwiegen kurz.

»Wenn ich irgendwas für dich tun kann!«

»Schon okay, danke!«

Albert stand auf. »Tschüss, Ira!«, sagte er mit Blick auf ihr Namensschild.

»Warte!«, sagte sie. »Das ist so noch nicht gültig.«

»Wieso?«

»Deine Mutter müsste hier noch unterschreiben!«

»Wieso meine Mutter?«

Ira schwieg einen Moment. Dann sagte sie: »Weißt du, was mich aufregt?«

Albert schüttelte den Kopf, sie redete einfach weiter. »Mich regt auf, dass dieser Herr Berufsberater mich gefragt hat, was mein Vater macht.«

Albert verstand nicht. »Aber du hast dich doch gemeldet.«

»Er hat erst gefragt, was machen eure Eltern? Darauf hab ich mich gemeldet. Von meiner Mutter war dann aber keine Rede mehr.«

»Stimmt«, sagte Albert.

»Wie auch immer, deine Mutter muss unterschreiben. Dein Vater kann das ja wahrscheinlich nicht mehr mit der Ono…«

»Ja«, sagte Albert. »Leider.«

»Du kannst es dann ja morgen zur Schule mitbringen!«

»Okay!«, sagte Albert.

Morgen war sein letzter Schultag. Eigentlich sollte man sich auf so einen Tag freuen, dachte er. Nie wieder Lernen, nie wieder Hausaufgaben, nie wieder nervige Lehrer, nie wieder Pissrinnen mit stinkenden Klosteinen drin. Endlich frei sein. Tun und lassen was man wollte. Blieb nur die Frage: Was wollte man?

Ira schaute ihn traurig an. »Ich denk an dich und deinen Vater!« Dann las sie seinen Namen vom Klemmbrett ab und sagte: »Tschüss, Albert!«

6.

»Peng!«, sagte Petter.

»Peng?«, fragte Albert.

»Peng!«, antwortete Petter. Er grinste ihn an.

»Soll ich eine Schwester rufen?«, fragte Albert aufgebracht.

Petter hörte auf zu grinsen.

Albert stand auf und wollte auf die Klingel drücken, die über Petter am Kopfende seines Krankenbettes hing.

»Puff!«, sagte Petter und schob seine Hände nach vorne. Albert sollte sitzen bleiben, bedeutete das anscheinend. »Puff!« Er zog beide Augenbrauen nach oben und grinste Albert wieder an.

Der kleine Schlaganfall hatte offenbar riesige Auswirkungen gehabt. Er sagte nur noch »Peng« und »Puff«. Hätte Albert das gewusst, hätte er der Nervensäge niemals so was Schlimmes erzählt. Oh Gott!

Während Petter »Puff« sagte, sah er zu allem Überfluss so aus wie ein Zuhälter. Seine braunen Haare hatte er sich (oder ein Pfleger ihm) zurückgekämmt. Nur ein Morgen ohne Rasieren und schon hatte er einen Schnurrbart, eigentlich einen Schatten, aber klar zu erkennen. Letzte Nacht noch zerstreuter Professor, tags darauf Puffbesitzer, dachte Albert.

Oder war das jetzt so eine Vater-Sohn-Nummer? Wir feiern gemeinsam deinen Schulabschluss. Im Puff. Benni hatte ihm erzählt, dass sein Vater mit ihm zum 18. in den Stripclub gehen würde. Albert konnte sich nichts Beschisseneres vorstellen, als mit Bennis Vater in den Stripclub zu gehen. Außer mit seinem Vater. Oder noch schlimmer, mit seiner Mutter. Wobei das vielleicht der perfekte Ort war, weil sie da wahrscheinlich ausnahmsweise die einzige Frau wäre, die ihre Brüste nicht auspacken würde. Wäre das geklärt.