Keine Engel über der Stadt - Al Schmidt - E-Book

Keine Engel über der Stadt E-Book

Al Schmidt

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Beschreibung

Privatagent Harry Hagen im Berliner Sumpf der Spione, Killer & Ganoven. Eine koreanische Krankenschwester stürzt aus dem Fenster, ein russischer Oligarch bekommt eine Kugel in die Stirn, einem russischen Topagenten fliegt seine Suite um die Ohren und eine kurdische Taxifahrerin sucht ihre im Rotlicht entführte Schwester ... und Harry Hagen mittendrin, ohne zu ahnen, mit welchen Mächten er sich da anlegt ...

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Al Schmidt

Harry Hagen

in

Keine Engelüber der Stadt

© Dittrich Verlag ist ein Imprint

der Velbrück GmbH, Weilerswist-Metternich 2023

Printed in Germany

ISBN 978-3-910732-00-1

eISBN 978-3-910732-02-5

Satz: Gaja Busch, Berlin

Coverdesign: Jens Kamphausen, Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

»Es gibt vier Wege, die ein Mann in dieser Welt gehen kann: den des Bauern, des Handwerkers, des Kaufmanns oder den Weg des Samurai.«

Miyamoto MusashiDas Buch der Fünf RingeJapan 1664

Inhalt

Personen

Prolog

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Epilog

Über den Autor

Personen

Hartwig ›Harry‹ Hagen - Privatagent, Ex-CIA

Der Major - Kumpel, Ex-Mossad

Aaron Silbermann - Ex-Mossad, pensioniert

Hanna Silbermann - seine Frau

Rot, Blau - Mossadagenten

Vincent Barlow - Hauptkommissar

Leisner & Fischer - seine Assistenten

Baillon - Leiter der Sitte

Dr. Wang - Chef der Fa. Korexim

Dan Bi Song - Krankenschwester

Sumi Nam - ihre Mitbewohnerin

August Bollens – Patriarch, AB Universal

Waldemar Bollens - sein Sohn

Elisabeth ›Elly‹ Bollens - seine Enkelin

Isabel Gonzales - alias ›Jane Russel‹

Martin ›Asbach‹ Remy - Klatschreporter

Andrea - Imbiss ›Avanti‹

Beritan Günay - Taxifahrerin

Sirin Günay - ihre Schwester

Rambo - Clanboss

Madame - Bordellchefin

Imad - Escortfahrer

Maxim Sobolew - Oligarch

Elena Sobolewa - seine Frau

Daniel Sobolew - ihr Sohn

Lew Markow - sein bester Freund

Major Kolesnikow - russische Botschaft

Igor - russische Botschaft

Wiktor Schukow - russ. Geheimdienst SVR

Larissa Schukowa - seine Frau

A. Schtscherbakow - sein Vorgesetzter

Horst v. Hardenberg - Leiter SEK-Einheit

Kacey Fallon - Ex-CIA, pensioniert

Der Zar - Diktator

Prolog

»Mit einem freundlichen Wort und einer Pistole erreicht man mehr als nur mit einem freundlichen Wort allein.«

Al Capone

In den Jahrzehnten des Friedens nach der Jahrtausendwende wurden im Westen die Geheimdienste, Armeen und teilweise sogar die Polizei von Pazifisten mit Palmenwedeln und zukunftsblinden Politikern verteufelt und kaputtgespart.

Viele westliche Topagenten wurden aus ihren Befehlsstrukturen herausgerissen und verließen oder verloren ihren Dienstherrn und fristen seitdem ihr Dasein als vagabundierende Privatsöldner, quasi »Vagabonds« – so wie die »Ronin« im alten Japan, die als herrenlose, aber immer noch gefährliche Samurai umherzogen und ihre Kampfkünste als Tagelöhner anboten.

Eins

Die Tore der Villa am See öffneten sich lautlos und gaben einer jungen, zarten Asiatin den Weg in den immer noch heißen Sommerabend frei. Sie genoss auf ihrem Rad nach ihrem anstrengenden Dienst als Privatpflegerin den leicht kühlenden Fahrtwind. Ihre Arbeit und ihr wie immer gutgelaunter Patient hatten sie wie immer abgelenkt. Jetzt aber kehrten ihre düsteren Gedanken umso stärker zurück, je länger die Fahrt nach Hause sich zog. Nach 35 Minuten schloss Dan Bi Song ihr Fahrrad im Hinterhof eines Hochhauses in Steglitz ab und erklomm mit schwerem Herzen die sechs Etagen bis zu ihrer kleinen Dachwohnung, die sie sich mit einer anderen koreanischen Krankenschwester teilte.

Im Halbdunkel ihrer Küche saßen zwei ihrer Landsleute, die an dem weit geöffneten Fenster rauchten. Noch ehe sie reagieren konnte, griff der eine von ihnen nach Dan Bi Song, stieß sie zu seinem Kumpanen, der sie packte und mit voller Wucht aus dem Fenster warf. Ihr Schrei ging durch Mark und Bein und dauerte sechs Etagen lang, ehe ihr Leben auf dem Asphalt des Hinterhofs zerbarst. Unten hätte man sie noch zwei, drei Minuten dem Tod entgegen röcheln hören können, bis absolute Totenstille auf dem Hof herrschte. Die Welt schien stehenzubleiben. Aber das war vielleicht nur eine Einbildung, denn die Erde drehte sich weiter. Die ersten Nachbarn tauchten auf. Nach fünfzehn Minuten kamen die herbeigerufenen Wagen der Ambulanz und Polizei, – lange nachdem zwei dunkle Schatten das Haus des Opfers verlassen hatten.

Auch vor dem alten, aber immer noch hochherrschaftlichen Prachtgebäude des Kommissariats machte sich jemand auf den Weg: Das Blaulicht zerschnitt die romantische Dämmerung wie ein Discolaser einen von Kerzen erleuchteten Domaltar. Ein hochgewachsener, hagerer Mann mit dunklen, tiefliegenden Augen und Hakennase trat aus dem Portal und wurde vom Wachhabenden mit »Guten Abend, Herr Hauptkommissar!« verabschiedet. Vincent Barlow entschwand mit dem Blaulicht, das wie ein UFO eine Lichtspur von Berlin Mitte nach Steglitz hinter sich herzog.

Barlows Mobiltelefon klingelte und hielt die ersten Nachrichten bereit. Was für ein Bild würde ihn am Tatort erwarten? Natürlich hatte ihn die unaufhörliche Reihe von grauenvollen Bildern, denen nicht nur er, sondern auch andere Polizisten, Feuerwehrleute und Notärzte ausgesetzt waren, nie kaltgelassen, im Gegenteil: Im Laufe der Zeit waren sie zu einer Art Hornhaut auf der Seele geworden. Es gab Anblicke, die auch Barlow nach all den Jahren immer noch direkt unter die Haut gingen und dann dort viel zu lange verharrten.

»Chef, das hier ist eine große Scheiße!«, war die kurze Vorwarnung seines Assistenten Fred Fischer. Mehr musste er nicht sagen.

Als Barlow am bereits abgesperrten Tatort ankam, war die Spurensicherung unter dem großen, weißen Blickschutz bei der Arbeit. Seine beiden Assistenten agierten ziemlich planlos.

»Fred, das Haus. Alle Etagen, alle Wohnungen, von unten nach oben, damit niemand jetzt noch entwischt. Keiner verlässt das Haus. Dann erst die Nachbarschaft und so weiter.«

Barlow betrat das weiße Zelt und blieb stehen. Er bat die Spurensicherung, einen Schritt zur Seite zu treten, um ihm den Blick freizugeben. Jeder Todessturz ist schrecklich, aber nicht jeder Anblick ist gleich grauenhaft. Die junge Frau war auf dem Rücken aufgeschlagen und Kopf und Körper waren in Stücke zerplatzt. Ungewöhnlich war die Art und Weise, wie die Einzelteile zusammenlagen, so als hätte ein genialischer Künstler sie nach dem Zerschmettern zu einem einzigartigen Arrangement des Aufschreis wieder zusammengefügt. Barlow bat um zwei, drei Minuten und war dann allein mit dem Opfer. Diese in Einzelteile zerborstene und zugleich grausam auf dem Boden drapierte junge Frau schrie ihren Schmerz, ihre Verzweiflung und ihre Anklage über den blutigen Tod hinaus in die Welt! Barlow nickte ihr zu und nahm den Auftrag an.

Die darauffolgenden sechzig Minuten waren geprägt von Routine: Das Opfer wohnte zusammen mit einer Kollegin im sechsten Stock und hieß Dan Bi Song. Sie war Krankenschwester und stammte aus Korea. Ihre Mitbewohnerin, Sumi Nam, war bisher noch nicht aufgetaucht. Die Nachbarn im Haus und in der weiteren Umgebung hatten vor dem Schrei nichts Besonderes wahrgenommen und nach dem Sturz keinen Verdächtigen weglaufen sehen. Die beiden koreanischen Krankenschwestern wurden insgesamt als sehr freundlich und zurückhaltend beschrieben, wenig Besucher, keine Partys, keine Probleme.

Nachdem die Spurensicherung in der Gemeinschaftswohnung ihre Aufgaben erledigt hatte, durchsuchte Barlow die beiden Zimmer, die Küche, das Bad. Ihm fiel auf, dass Dan Bi Song viele vergrößerte Fotos von sich mit einem älteren Paar, möglicherweise ihren Eltern, an den Wänden hatte, während Sumi Nam sich viel nüchterner, ja fast spartanisch eingerichtet hatte. Briefe und Dokumente von beiden waren entweder ohne erkennbare Relevanz oder auf Koreanisch. Aufenthaltspapiere oder Pässe fand er nicht.

Er setzte sich in das Zimmer des Opfers, schloss die Augen und versuchte zusammenzufügen, was er gerade gesehen hatte. Das Bett war nicht für zwei Personen gebaut und wohl auch so nicht genutzt worden. Ein Nachttisch, ein kleiner Schreibtisch mit einem Stuhl, ein Kleiderschrank, ein Bücherregal und ein Fernseher mit DVD-Player. Dan Bi musste ein sehr einsames Leben geführt haben – fast wie eine Nonne oder eine Gefangene. Nichts deutete auf Besucher hin, außer Dan Bis schreckliches Ende.

Barlow öffnete die Augen und sah sich erneut um. Wer so zurückgezogen, ja introvertiert, lebt, muss ein paar Herzensdinge haben, pflegen und hüten. Der Fernseher war auf DVD-Empfang gestellt und hatte nur die üblichen deutschen Sender. Die DVDs waren überwiegend koreanische Liebesschnulzen und Reisereportagen, wie die theatralischen Cover andeuteten.

Wo bewahrte Dan Bi ihre wertvollen Stücke auf? Ganz oben auf dem Kleiderschrank lag ein ärmlicher, abgewetzter Koffer. Das linke Schnappschloss war kaputt und stand offen, das rechte gab nach Öffnung den Blick auf eine liebevoll geordnete Ansammlung von Fotos und Briefen frei. Die Bilder zeigten ein junges Mädchen mit vermutlich ihren Eltern in verschiedenen Altersphasen und immer in ziemlich ärmlicher, ländlicher Umgebung. Und die erkennbar jüngsten Fotos hatten die feierliche Übergabe einer Urkunde wie nach einer bestandenen Prüfung festgehalten. Trotz des offensichtlich erfreulichen Anlasses war die Stimmung auf diesen Bildern düster. Barlow nahm eines davon an sich. Der Innendeckel des Koffers barg ein ausgeleiertes Stofffach, das leer war, bis auf einen kleinen dunkelblauen Samtbeutel mit einem herzförmigen Amulett mit vermutlich koreanischen Schriftzeichen. Der Samtbeutel war offensichtlich zigmal angefasst worden und das Amulett wahrscheinlich Dan Bis größter Schatz. Barlow steckte auch Foto und Amulett ein.

Plötzlich drang Lärm aus dem Treppenhaus hinauf. Eine Polizistin hatte die Mitbewohnerin von Dan Bi unten vor dem Haus abgefangen und kurz informiert. Sie begleitete nun Sumi Nam in die Wohnung und bekam den Auftrag, dabeizubleiben. Sie war von kleiner, gedrungener Statur. Ihr Gesicht war vor Schreck so bleich geworden, wie ihr ausgeleiertes T-Shirt es schon lange war.

»Ich bin Hauptkommissar Barlow von der Mordkommission. Das, was Sie gerade erfahren haben, muss ein großer Schock für Sie sein. Aber so leid es mir tut, ich muss Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen. Vielleicht hat sich ihre Mitbewohnerin aus dem Fenster gestürzt. Wir vermuten aber, dass Dan Bi sich nicht selbst umgebracht hat, sondern aus dem Fenster geworfen wurde. Alles deutet darauf hin. Also müssen wir jetzt nach Spuren und Hinweisen suchen, solange sie noch frisch sind. Zuerst: Woher stammen Sie und Dan Bi? Wo arbeiten Sie, was machen Sie?«

Die Angesprochene war bei den Fragen ängstlich zusammengezuckt, was Barlow ihrem Schockzustand zuschrieb. Tränen standen in ihren Augen, die sie tapfer bekämpfte, als sie anfing: »Wir kommen beide aus Korea. Wir haben dort eine Ausbildung als Krankenschwestern gemacht und zusätzlich Englisch und etwas Deutsch gelernt. Dan Bi betreut einen alten Mann aus einer reichen Familie und ich arbeite in der Charité. Oh, tut mir leid, sie betreute, muss ich jetzt ja wohl sagen.« Damit waren ihre Tränen nicht mehr aufzuhalten.

Barlow nahm seine Fragen nach ein paar Minuten wieder auf: »Können Sie mir genauer sagen, wo Dan Bi gearbeitet hat?«

»Ich weiß nur, die Familie heißt Bollens oder so ähnlich. Die haben eine große Villa am Wannsee. Sind wohl sehr nette Leute. Dan Bi hat dort gerne gearbeitet. Sie pflegte den Großvater und Familienboss.«

»Wann haben Sie Ihre Mitbewohnerin zuletzt gesehen?«

»Heute Morgen. Wir haben noch gemeinsam gefrühstückt. Ich habe sie getröstet, weil sie so Heimweh nach ihren Eltern hatte!«, brach es aus ihrem Schluchzen hervor.

»Ich habe von Dan Bi weder Aufenthaltserlaubnis noch Pass gefunden. Hätten Sie eine Idee, wo die sein könnten?«

»Also, wir sind keine Illegalen, wenn Sie das denken! Unsere Papiere sind bei der Agentur.«

»Welche Agentur?«

»Korexim. Die haben uns einen Vertrag gegeben und dann hierher vermittelt.«

»Wer bezahlt Euch?« Barlow verfiel plötzlich ins Du. »Die Charité und die Bollens oder die Agentur?« »Die Agentur zahlt unsere Miete und schickt auch Geld an unsere Familien in Korea. Was übrig bleibt, bekommen wir. Dan Bi wollte ihre Eltern besuchen, aber das ging nicht, wohl wegen des Vertrags.«

»Haben Sie Freunde, bei denen Sie ein paar Tage bleiben können? Ich will Ihnen keine Angst machen. Aber wenn Ihre Kollegin umgebracht wurde, besteht die Gefahr, dass die Täter zurückkommen.«

»Wo soll ich denn hin. So gut kenne ich niemanden!«

»Dann lasse ich für die nächsten Tage rund um die Uhr Polizisten vor Ihrem Haus wachen. Sie können die jederzeit ansprechen, wenn etwas ist. Meine Assistenten werden jetzt noch Ihre Aussage aufnehmen. Und wir brauchen alles über diese Agentur. Wir sehen uns bald wieder. In der Zwischenzeit: hier ist meine Nummer. Rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch etwas einfällt.« Barlow drückte Sumi Nams Hand und verließ die völlig verängstigte Frau. Er fühlte sich irgendwie schuldig.

Unten gab die Spurensicherung eine erste Einschätzung. Das Opfer musste von einer sehr kräftigen Person regelrecht aus dem Fenster geworfen worden sein. Denn es war unten ziemlich weit weg von der Hauswand aufgeprallt. Es sei denn Dan Bi wäre von der Fensterbank wie vom Rand eines Schwimmbeckens abgesprungen. Daran glaubte aber niemand. Eine junge koreanische Krankenschwester mit offensichtlich enger Bindung an ihre Eltern kommt nach Berlin, um hier hart zu arbeiten und ihre Familie zu unterstützen. Keine Anzeichen von Privatleben. Aber warum sollte jemand dieses stille und bemühte Leben so grausam auslöschen?

Barlow verließ den Ort des Schreckens mit viel Traurigkeit. Jeder Mord war ein Verbrechen. Aber manches Unrecht schrie mehr zum Himmel als andere Schicksale. Und zudem gab es auf den ersten Blick keinerlei Spuren. Also blieb ihm, wie so oft bei seinen Ermittlungen, erstmal nur die Routine. Da um diese Zeit ein Büro wie das der Vermittlungsagentur vermutlich schon geschlossen war, ließ er die Villa Bollens ausfindig machen und sich von einem Streifenwagen dorthin fahren.

Zwei

Auch am nächsten Tag herrschte Kaiserwetter in Berlin und so marschierte der Doorman des Grandhotels Adler in seiner Phantasieuniform vor dem herrschaftlichen Gebäude auf und ab wie Napoleon nach einer gewonnenen Schlacht. Hartwig Hagen trug ein blau-schwarz schillerndes Jackett aus Shark Skin-Stoff mit schmalem Revers und nur einem Knopf über einem hellblauen Leinenhemd. Sein kompakter, durchtrainierter Körper und sein kantiges Gangstergesicht erinnerten ein bisschen an Lino Ventura.

Der Doorman salutierte zackig wie ein Soldat, während Hagen sich lässig an die Stirn tippte wie John Wayne in seinen besten Zeiten.

Das Hotel Adler hatte Hagen, nachdem er vor Jahren die CIA verlassen hatte, einen sehr lukrativen Deal vorgeschlagen: er wohnte umsonst im Hotel und kümmerte sich dafür um besondere Fälle, die für die normale Security des Adlers zu schwierig oder heikel waren. Und: Die VIPs unter den Gästen waren die ideale Kundschaft für einen teuren Privatagenten. Win-Win-Win. Dennoch trauerte er manchmal seiner Zeit in den USA nach, in der er im Rahmen eines Austauschprogramms an den CIA ausgeliehen worden war. Die etwas hemdsärmelige Art der amerikanischen Agenten hatte ihm viel mehr gelegen als der deutsche millimetergenaue Dienst nach Vorschrift. Letzterer war auch der Grund, warum er nach der Rückkehr unsanft verabschiedet wurde. Er galt als zu eigenwillig und daher nicht mehr einsetzbar.

Nach einigen lukrativen Privatengagements war sein Konto mittlerweile so fit wie sein täglich trainierter Körper. In den letzten Wochen allerdings war nichts los gewesen und: A life of pleasure really has its limits, wie schon King Edward feststellen musste. Auch dieser Morgen versprach nur einen Tag voller Sonnenschein, Luxus und Müßiggang. Gelangweilt hatte Hagen sich sein Frühstück mit zwei weich gekochten Eiern und in schmale Streifen geschnittene Toastscheiben, sogenannte Soldiers im Lobbycafé bestellt, als ein Anruf kam.

»Guten Tag! Ich bin die Assistentin von Waldemar Bollens, dem CEO unserer Firmenholding AB Universal. Mein Name ist Isabel Gonzales. Herr Bollens würde Sie gerne zu einem Gespräch in sein Haus bitten. Es geht um eine sehr private Ermittlung. Ich bitte um Verzeihung, aber die Sache ist schrecklich eilig. Ginge es noch heute, sagen wir 13 Uhr? Schwanenwerder, Inselstraße 18.«

Die Stimme klang frisch und forsch, wie die einer erstklassigen Chefsekretärin einer erstklassigen Firma. Aber in der Stimme lag mehr als nur der Klang einer energischen Assistentin: Ihre warme Weiblichkeit zog Hagen an wie in der griechischen Sage den Odysseus der Ruf der Sirenen. Aber während der berühmte Mythen-Held früh genug vor der Verführungskraft dieser Stimmen gewarnt war und sich an seinen Schiffsmast festbinden ließ, war Hagen schutzlos dem Timbre von Isabel Gonzales ausgesetzt. Also sagte er spontan zu, zumal sein Terminkalender derzeit leer war. Aber das war möglicherweise nicht die ganze Wahrheit. Vielleicht wollte er auch sehen, welche Frau zu dieser magischen Stimme gehörte.

Hagens Taxifahrer schien in seiner verbeulten Karre zu wohnen und diese eher für unausweichliche Reparaturen, denn für Wagen- oder gar Körperpflege zu verlassen. Er hielt an der Brücke nach Schwanenwerder, der kleinsten und exklusivsten Wohngegend von Berlin, eine winzige Insel mit viel altem Geld in wenigen alten Villen. Hagen schlenderte die Inselstraße entlang und sah aus wie jemand, der sich zur falschen Zeit in die falsche Gegend verlaufen hatte. Hier liefen wahrscheinlich nur Dienstboten entlang, während die Herrschaften sich diskret chauffieren ließen.

Die historischen, altdeutschen Villen waren von hohen Tannen umrahmt und schauten düster, während die dunklen Bäume die heitere Sommersonne brachen und die gepflegten Gärten in ein melancholisches Zwielicht tauchten. Kein fröhliches Kindergeschrei störte die Grabesstille und auch die Vögel hatten nichts zu singen.

Er blieb vor einem hohen und lang gestreckten Metallzaun in Dunkelgrün stehen und hatte sein Ziel erreicht. Von dem Haus war nur ein Dach aus dunklen Ziegeln mit ein paar verwitterten Türmchen zu sehen. Auf sein Läuten hin hörte er Hundegebell. Es dauerte einige Zeit, bis eine energische Männerstimme die Hunde zu sich rief. Ein kräftiger Mann mit einem von Sonne und Wind gegerbten Gesicht öffnete die Tür. Hagen hätte auf einen Gärtner getippt, wenn sich unter dessen Weste nicht eine ziemlich große Knarre abgezeichnet hätte.

»Mein Name ist Hagen, Herr Bollens erwartet mich.«

Der Pistolero fixierte Hagen wie einen unerwünschten Eindringling und zeigte grummelnd auf die herrschaftliche Treppe, die zum Eingang der Villa führte.

Ein schweres Portal öffnete sich und ein älterer grauhaariger Mann in einem lässig zerknautschten beigen Leinenanzug trat ihm entgegen.

»Hallo! Ich bin Waldemar Bollens. Kommen Sie bitte rein!«

Die hohe Eingangshalle wurde von dunklem Holz und einer wuchtigen Treppe dominiert, die in den ersten und zweiten Stock führte. Im ersten Stock konnte er eine Galerie mit antiken Gemälden sehen. Der zweite Stock lag fast vollständig im Dunkeln. Der Weg zum Hausherrn führte durch ein einladend gemütliches Kaminzimmer, vorbei an bordeauxroten Ohrensesseln, in den korbbestuhlten Wintergarten, der den Blick auf eine englische, für seinen Geschmack überkandidelt gepflegte Gartenlandschaft freigab. Hagen wählte einen Platz mit Blick ins Grüne, nahm ein Glas Wasser mit Eis und blickte seinen Gastgeber erwartungsvoll an.

Waldemar Bollens hatte ein fein geschnittenes, aristokratisch wirkendes Gesicht, in dem irgendetwas schief saß, was die Symmetrie und Harmonie störte, – so wie ein zerbrochener Spiegel nie mehr die ursprüngliche Vollkommenheit erreichen kann, egal wie perfekt er wieder zusammengesetzt worden war.

Bollens, der ihm nun gegenübersaß, beugte sich etwas vor, so als wolle er die Vertraulichkeit des Gesprächs besonders unterstreichen.

»Danke fürs Kommen. Eigentlich habe ich durch unsere Firmen genug Security im Haus, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben. Aber dies ist etwas sehr Privates. Obwohl Sie mir empfohlen wurden, wollte ich Sie persönlich kennenlernen. Wenn Sie so freundlich wären, mir etwas über sich und ihren Hintergrund zu erzählen?«

Hagens Infos kamen kurz, schnell und routiniert wie linke Jabs beim Boxen: »Ich heiße Hartwig Hagen und manche dürfen mich Harry nennen. Ich löse Probleme, beseitige Müll, tue, was getan werden muss, führe Dinge zu Ende und bleibe verschwiegen. Ich mache keine krummen Dinger, aber manchmal ist Fünf für mich eine durchaus gerade Zahl. Ich bin 54, unverheiratet, Ex-Agent, BND und CIA, Privatermittler, bewaffnet, Boxer, gut vernetzt, ziemlich teuer und meist nüchtern.«

»Was heißt teuer?«

»3.000 pro Tag plus Spesen. Und wenn ich weitere Leute brauche, kosten die 1.000.«

»Ganz schön happig. Ich hoffe, Sie sind das wert! Eine Anzahlung?«

Hagen grinste: »Keine Sorge, ich komme immer an mein Geld.«

Waldemar Bollens überhörte diesen leicht als Drohung zu verstehenden Unterton. »Mein Vater August, der Sohn des Firmengründers, lebt bei uns im Haus. Er ist mit 86 geistig noch topfit, manchmal sogar zu fit. Aber er braucht körperlich regelmäßig intensive Pflege und Betreuung. Eine internationale Agentur vermittelte uns eine entsprechende Fachkraft. Seit zwei Jahren kommt fast täglich eine koreanische Krankenschwester zu ihm, Dan Bi Song. Sie ist freundlich, fleißig und fachlich perfekt. Vor allem aber hat sie einen tollen Draht zu meinem mitunter recht schwierigen Vater gefunden. Die beiden müssen sich geradezu kongenial verstanden haben und redeten oft stundenlang über Gott und die Welt. Dann gestern spätabends der Schock: Dan Bi hat möglicherweise Selbstmord begangen. Höchstwahrscheinlich wurde sie umgebracht! Ein Kommissar Barlow war bei uns und hat viele Fragen gestellt. Über Dan Bi, ihre Arbeit, was wir über ihre Mitbewohnerin, über Bekannte und Freunde wissen …«

»Nun, bei der Kripo ist der Fall sicher in guten Händen. Was kann ich da noch tun?«

Bollens lachte genervt auf: »Das habe ich den Alten auch gefragt. Aber das muss er Ihnen selbst erklären. Ich kann und will das nicht.«

Eine Frau mittleren Alters mit der Aura einer strengen Hausdame führte Hagen daraufhin in den zweiten Stock, den Bollens Senior in weiten Teilen zu bewohnen schien. Sie gingen durch einen großen Empfangsraum mit Schreibtisch und Konferenzteil, dann weiter in eine luxuriöse Wohnhalle von der Größe eines Tennisplatzes, von der der Blick in ein beleuchtetes, goldverziertes Marmorbad fiel.

Vor dem Paravent im hinteren Bereich der Halle thronte wie ein Patriarch August Bollens in einem chromblitzenden Rollstuhl. Er musterte Hagen von oben herab, so als würde er auf dessen Kniefall und »der Herr wünschen?« warten. Unsichtbare Alkoholschwaden waberten durch den Raum, aber es war nicht die Art von Alkohol, die man in einem Krankenzimmer erwarten würde.

»Mein Sohn sagt, Sie sind so‘n Privatschnüffler. Suchen Sie entlaufene Katzen und beobachten untreue Ehefrauen? Ich bin August Bollens, Chef der AB Universal, Berthold war mein Vater und der Gründer. Ich halte immer noch die Mehrheit unserer Firma und auch wenn es nicht so aussieht: Ich war und bin in meinem Metier noch einer der Besten. Und so jemanden brauche ich jetzt in seinem Metier!«

Ehe der Alte weiter schwadronieren konnte, unterbrach ihn Hagen: »Ich war 15 Jahre beim BND und davon 6 Jahre an die CIA ausgeliehen. Ich kann Probleme lösen und wenn’s sein muss, dafür auch Türen eintreten. Aber ich würde nie von mir sagen, dass ich spitze bin. Das überlasse ich anderen. Ich suche keine neuen Klienten, mir geht’s gut. Aber wenn, dann geht’s nach meinen Regeln. Egal, was passiert.«

Bollens Senior hatte es augenscheinlich nicht verlernt, Leuten auf den Zahn zu fühlen und sich blitzschnell für oder gegen jemanden entscheiden. Entspannt lehnte er sich zurück.

»Wie heißen Sie?«

»Hartwig Hagen.«

»Quatsch! Niemand nennt sich Hartwig. Das klingt wie aus einem alten Film mit Theo Lingen. Wie sagen Ihre Freunde?«

»Harry!«

»Gut, Harry, zumindest scheinen Sie kein Schleimer zu sein. Da Sie nun schonmal hier sind, nachdem mein Sohn Sie offensichtlich gebucht hat, versuchen wir’s mal miteinander.«

Hagen sah sich nach der Quelle des Alkoholgeruchs um und fragte:

»Haben wir eine halbe Stunde?«

»Wenn Sie den Whisky finden, auch eine ganze«, grunzte der sichtlich aufgewachte Alte.

»Was hat Ihnen das Bürschchen unten schon erzählt?« Damit war wohl der Junior gemeint. Hagen spulte ab, was er bereits erfahren hatte.

»Also nichts. Dann hören Sie mal gut zu! Aber zuerst schenken Sie uns mal ein!«

Hagen hatte inzwischen die Alkoholquelle gefunden und hielt dem Senior ein Glas Wild Turkey entgegen, was mit einem fast genervten Nicken quittiert wurde.

»Also Harry, ich weiß nicht, wo Sie in ihrer geistigen Entwicklung stehen. Sie sind ja noch recht jung. Aber die meisten von uns im reichen und immer mehr irregeleiteten Westen leben in Gier trotz Wohlstand, in Dummheit trotz Bildung und in Gefühllosigkeit angesichts wachsenden Leids in der Welt. Unter den Schichten und Ablagerungen unserer Dekadenz stirbt unser Zugang zu den wichtigen Dingen des Lebens!« Der Patriarch nahm einen großen Schluck.

»Wow, was für ein Vortrag! Wo ist das her?«

»Nun werden Sie mal nicht frech. Das ist das Ergebnis meiner vielen fantastischen Gespräche mit Dan Bi Song. Ihre Art zu leben war so pur, wahrhaftig, lebendig und bodenständig, sodass mir unsere westliche Lebensart mit der Zeit immer verkommener vorkam. Dan Bi Song war Leben und Liebe pur. Sie hat meinen Verstand und mein Herz wiederbelebt. Das hat uns immer mehr verbunden.«

Hagen hakte nach: »Hatten Sie ein Verhältnis?« Bollens schwankte zwischen Wutanfall und Lachen und entschied sich für Letzteres:

»Bürschchen, in meinem Alter hat man keine landläufigen Verhältnisse mehr! Aber Dan Bi und ich hatten eine sehr enge geistig-seelische Beziehung.«

»Herr Bollens, ich kann ihren Schock und ihre Trauer gut verstehen, aber was kann ich hier tun, wenn die Kripo schon an diesem Fall ist. Zumal noch gar nicht sicher ist, dass es Mord war?«

»Quatsch! Dan Bi hatte zwar ein Problem. Aber Selbstmord? Papperlapapp!« Und zur Kripo: Unsere Firmengruppe hat unter anderem mit sicherheitsrelevanten bzw. militärischen Entwicklungen und mit Exporthandel zu tun. Von daher kenne ich Polizei und Sicherheitsdienste recht gut. Das sind oft lahme Ärsche. Und die wenigen Guten sind meist überlastet. Dan Bi war eine Freude in meinem ansonsten recht tristen Leben. Ich habe immer noch mehr Macht und Geld, als Sie sich vorstellen können. Ich will die Täter finden und brutal bestrafen. Genau so grausam, wie sie Dan Bi umgebracht haben!«

Hagen konnte nur erahnen, mit welcher Energie der Alte die Firma seines Vaters ausgebaut und zu einem Imperium gemacht hatte. Bollens nahm einen Schluck. »Außerdem habe ich etwas gutzumachen. Dan Bi war manchmal sehr bedrückt. Sie lehnte meine Hilfe aber kategorisch ab. Sie sagte, bei allen Möglichkeiten, die ich hätte, ich könne ihr nicht helfen. Das müsse sie allein schaffen. Denn ich es versuchen würde, käme viel Leid über sie und ihre Familie. Also ließ ich sie in Ruhe. Mein größter Fehler. Und jetzt ist sie tot!«

Er leerte sein Glas und schwenkte es in Richtung Nachschub. »Dan Bi trug ein bedrohliches Geheimnis mit sich herum. Und ich alter Romantiker habe auf sie gehört, statt den Stier bei den Hörnern zu packen, wie ich es früher getan hätte. Dafür brauche ich Sie jetzt, Mister Bond.«

»Was wissen Sie von der Agentur, die Ihnen Dan Bi vermittelt hat? Außer Ihnen und Ihrem Sohn immerhin derzeit die einzige Spur.«

»Das sind sicher Ausbeuter, wie viele dieser Firmen. Aber Dan Bi hat da immer abgeblockt und wollte nicht so viel erzählen. Andererseits sah unser Vertrag mit denen ganz normal aus und da gab es nie Probleme. Mein Sohn hat alles.«

»Wer erbt eigentlich Ihr Vermögen?«

Die Augen des Alten wurden zu Schlitzen: »Always follow the money, heh?«

»Always follow the money!«

»Mein Sohn Waldemar und meine Enkelin Elisabeth. Elly ist smart und tough. Studiert gerade Physik in Stanford. Sie soll mal die Firma übernehmen. Ist aus meinem Holz geschnitzt.«

»Eine letzte Sache«, sagte Hagen. »Ich muss mit der Kripo zusammenarbeiten, das spart viel Zeit. Kriegen Sie hin, dass der Kommissar den üblichen Kleinkrieg gegen Privatdetektive lässt? Außerdem könnte er bei seinen Ermittlungen auch von mir profitieren.«

»Der Kommissar macht einen smarten Eindruck. Er heißt Barlow. Ich rufe ihn an und warne ihn ein bisschen vor. Aber Sie berichten allein an mich. Hier meine Nummer. Tag und Nacht. Enttäuschen Sie Dan Bi und mich nicht!« Hagen war entlassen.

Unten wartete der Junior mit den gewünschten Informationen einschließlich der wichtigen Adressen und einer eher hilflosen Abschiedsgeste. Die Musik in diesem Haus spielte eindeutig (noch) im zweiten Stock.

Hagen verließ diese Villa »Melancolia«, ohne sich noch einmal umzudrehen. Auf dem Haus lag eine bleierne Schwere, die von den düsteren Tannen noch unterstrichen wurde. Hagen ging über die Inselbrücke bis zur nächsten Hauptstraße. Das unbeschwerte sommerliche Treiben der einfachen Leute ließ Schwanenwerder wie einen weit entfernten fremden Planeten erscheinen. Er wählte die Taxilotterie und bekam diesmal einen waschechten Altberliner mit Häkeldeckchen auf den Polstern. Die Sonne stand hoch. Der willkommene Fahrtwind kühlte die Sinne.

Hagen verzichtete auf die Autobahn und so zogen gemächlich Zehlendorfer Villen an ihnen vorbei. Der alte Industriekapitän hatte ihm sehr imponiert und der Fall schien nicht besonders anspruchsvoll zu sein: Bei einer armen Krankenschwester vermutete er eher einen Mord aus Leidenschaft, denn aus Habgier. Auch wenn statistisch gesehen die Regel follow the money! in den meisten Fällen zum Täter führte, so rangierten Liebe, Lüge, Leidenschaft klar auf Platz zwei. Er schloss die Augen, bis sie ihr Ziel in Steglitz erreicht hatten.

Etwa zur selben Zeit betrat Barlow mit zwei Assistenten die Firma KOREXIM LLC. Sie hatte ihren Sitz im Parterre des ersten Innenhofs eines hässlichen Plattenbaus aus der DDR-Zeit in der Leipziger Straße. Er hatte die Familie Bollens erstmal von der Liste der Verdächtigen gestrichen. Umso gespannter war er jetzt auf die bisher einzig verbliebene Spur, die Agentur, die Dan Bi Song vermittelt hatte.

In dem winzigen Eingang der Firma saß eine übergewichtige Blondine hinter einem Schiebefenster und blökte dem Trio auf breitem Berlinerisch entgegen: »Wat wolln‘se?«

Barlow schwieg. Und wenn Barlow schwieg, war meist Vorsicht geboten, wie viele seiner Kollegen und von ihm Verhafteten leidvoll zu berichten wussten. Barlows Schweigen zwang also einen seiner Hilfssheriffs, das Reden zu übernehmen. Leisner war der Mutigere: »Kriminalpolizei. Mein Name ist Leisner, dies ist mein Kollege Fischer und dort ist Herr Hauptkommissar Barlow. Wer ist hier der Chef?« »Schau an«, dachte Barlow. »Leisner wird langsam flügge.«

»Dr. Wang ist unser verehrter Herr Geschäftsführer!«, kam es unterwürfig und etwas gestelzt aus aufgespritzten Lippen unter hochtoupierten Haaren.

»Na, dann holen Sie den mal!«

Hinter dem Glaskasten verbarg sich ein mittelgroßer Raum mit sechs eng stehenden kleinen Schreibtischen, von denen drei besetzt waren. Vom letzten Platz am Ende des Raumes erhob sich ein hagerer und ungewöhnlich großer Asiate. Er trug einen schlechtsitzenden graublauen Nadelstreifenanzug und kam forsch auf das Trio zu.

»Mein Name ist Wang. Ich höre, Sie kommen von der Polizei. Was kann ich für Sie tun?«

»Sollen wir das hier im Eingang bereden oder haben Sie einen etwas ruhigeren Platz?«

Wang führte sie in einen winzigen Konferenzraum, der von einem runden Tisch mit sechs Stühlen fast eingenommen wurde, sodass sich jeder zwischen Stuhl und Tischkante quetschen musste. Wang strömte ein fast schon arrogantes Selbstbewusstsein aus, seine Kleidung allerdings den antiquierten Geruch von Mottenkugeln.

Nun nahm Barlow das Heft in die Hand: »Zuerst beschreiben Sie uns mal, was Ihre Firma so treibt!«

»Export und Import. Wir sind stolz darauf, seit mehr als zehn Jahren sehr erfolgreich Aufträge für den Export von Produkten und Personal aus Südkorea in die ganze Welt zu vermitteln und quasi im Gegenzug Luxusgüter nach Korea zu liefern.«

»Sie exportieren auch nach Nordkorea?«

»Natürlich nur Waren, die nicht auf der Boykottliste stehen!«

Wie einstudiert, dachte Barlow.

»Wie viel Personal haben Sie bisher insgesamt nach Europa geholt? Und in welche Berufe?«

»Die exakte Zahl habe ich jetzt nicht parat, aber das müssen im Laufe der Jahre so an die zwei- bis dreitausend sein. Wir vermitteln überwiegend Pflegerinnen und Pfleger an Kliniken, Altenheime, manchmal auch an Privathaushalte.«

»Ein einträgliches Geschäft?«

»Ach, wissen Sie, Personal bedeutet immer viel Arbeit, Unruhe und auch Ärger.«

Barlow wurde ernst: »Es geht um zwei koreanische Krankenschwestern, die bei Ihnen unter Vertrag sind. Dan Bi Song und Sumi Nam. Dan Bi Song wurde gestern möglicherweise ermordet. Die andere ist ihre Mitbewohnerin. Kannten Sie Frau Song? Wissen Sie irgendetwas über mögliche Probleme, Feinde?«