Keine Zeit für Jasmin - Susanne Svanberg - E-Book

Keine Zeit für Jasmin E-Book

Susanne Svanberg

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Die Riemen der Peitsche sausten pfeifend durch die Luft und klatschten auf das struppige Fell des Hundes. Das Tier heulte gepeinigt auf, verstummte aber sofort wieder, um seinen Herrn nicht noch mehr zu erzürnen. »Encore! Allez hopp!« schrie der Dresseur und klatschte dabei laut in die Hände. Der mittelgroße Hund faßte mit den Zähnen ein zierliches Körbchen, erhob sich auf die Hinterbeine und trippelte aufrecht über ein Viereck glatter Holzplatten. Es mochten etwa zehn oder zwölf Quadratmeter sein. Am Rand der Übungsfläche knickte das Tier plötzlich ein, winselte und kippte zur Seite. Die großen dunklen Augen des Vierbeiners flehten um Verzeihung. Doch sein Herr kannte kein Pardon. Er kam in blankgewichsten Stiefeln näher, hob die Peitsche und schlug wieder erbarmungslos zu. Der Hund jaulte vor Schmerzen, richtete sich erneut auf. »Dir werde ich die Faulheit austreiben!« rief der Mann. »Lange genug hast du den Verletzten markiert. Jetzt wird wieder gearbeitet. Ich hoffe, du begreifst das endlich!« Der graue Schnauzer stand mit seinem Körbchen und hängenden Vorderpfoten auf den Hinterbeinen, doch sobald er den ersten Schritt vorwärts wagte, brach er winselnd zusammen. Man sah, daß er Schmerzen hatte, aber er gab durch einen erneuten Versuch seine Bereitschaft kund, den Wünschen seines Herrn nachzukommen. »Allez!«

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Sophienlust – 453 –

Keine Zeit für Jasmin

Susanne Svanberg

Die Riemen der Peitsche sausten pfeifend durch die Luft und klatschten auf das struppige Fell des Hundes. Das Tier heulte gepeinigt auf, verstummte aber sofort wieder, um seinen Herrn nicht noch mehr zu erzürnen.

»Encore! Allez hopp!« schrie der Dresseur und klatschte dabei laut in die Hände.

Der mittelgroße Hund faßte mit den Zähnen ein zierliches Körbchen, erhob sich auf die Hinterbeine und trippelte aufrecht über ein Viereck glatter Holzplatten. Es mochten etwa zehn oder zwölf Quadratmeter sein. Am Rand der Übungsfläche knickte das Tier plötzlich ein, winselte und kippte zur Seite. Die großen dunklen Augen des Vierbeiners flehten um Verzeihung.

Doch sein Herr kannte kein Pardon. Er kam in blankgewichsten Stiefeln näher, hob die Peitsche und schlug wieder erbarmungslos zu. Der Hund jaulte vor Schmerzen, richtete sich erneut auf.

»Dir werde ich die Faulheit austreiben!« rief der Mann. »Lange genug hast du den Verletzten markiert. Jetzt wird wieder gearbeitet. Ich hoffe, du begreifst das endlich!«

Der graue Schnauzer stand mit seinem Körbchen und hängenden Vorderpfoten auf den Hinterbeinen, doch sobald er den ersten Schritt vorwärts wagte, brach er winselnd zusammen. Man sah, daß er Schmerzen hatte, aber er gab durch einen erneuten Versuch seine Bereitschaft kund, den Wünschen seines Herrn nachzukommen.

»Allez!« schrie der Mann und hob schon wieder die Peitsche. Für einen Augenblick duckte sich der Hund und wartete geduldig auf die Schläge. Als sie ausblieben, richtete er sich winselnd auf. »Bewege dich endlich! Ich habe nicht ewig Zeit.« Ein kräftiges Klatschen sollte den Hund vorwärtsscheuchen.

Hinkend kam er der Aufforderung nach. Er bot das Bild einer geschundenen, gequälten Kreatur.

Der Dresseur ahnte nicht, daß er vom Eingang des Zeltes her beobachtet wurde. Dort war, der Hitze wegen, der obere Teil der Tür, die aus starkem Zeltstoff bestand, nicht geschlossen. Vier Kinder standen dort und sahen entsetzt dem Schauspiel zu.

Henrik, der Jüngste, mußte sich auf die Zehenspitzen stellen, um durch die Luke spähen zu können.

»Das ist Tierquälerei«, flüsterte Irmela dem Jungen zu, der neben ihr stand. Obwohl er etwas jünger war als sie, überragte er sie um mindestens zwanzig Zentimeter, war stark und kräftig. Mit seinen dichten dunklen Haaren und den fast schwarzen Augen war Nick ein auffallend hübscher Bursche.

»So etwas ist verboten. Man müßte den Kerl anzeigen.« Nick, der alle Tiere liebte, war empört.

Pünktchen, das Mädchen an seiner linken Seite, seufzte. Sie war einige Jahre jünger als Nick. »Eine Anzeige würde doch genau das Gegenteil bewirken. Der arme Hund müßte dafür büßen.«

»Ich hätte nicht gedacht, daß es das noch gibt«, meinte Nick.

»Wir müssen ihm sagen, daß er den Hund nicht schlagen darf«, wisperte Henrik ängstlich. Er war seinem Halbbruder Nick in vielem ähnlich und ahmte ihn auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit nach. Denn Nick war sein großes Vorbild.

»Er wird auf uns bestimmt nicht hören.« Irmela besuchte bereits die Oberstufe des Gymnasiums. Sie war ein reizvolles Mädchen mit langem blondem Haar und blauen Augen.

»Wir müssen etwas tun.« Pünktchen rückte näher zu Nick. Sie war, wie Irmela und viele andere Jungen und Mädchen, im Kinderheim Sophienlust groß geworden. Dieses private Heim, das ihnen das Elternhaus ersetzte und ihnen Geborgenheit schenkte, wurde von Nicks und Henriks Mutter verwaltet. Es war eine Einrichtung, die weit über die Kreisstadt Maibach hinaus bekannt war. Elternlose Kinder fanden dort Aufnahme und wurden in eine große glückliche Familie eingegliedert. Nick war stolz auf Sophienlust, das er später einmal übernehmen sollte. Schon jetzt fühlte er sich verantwortlich und setzte sich deshalb ernsthaft für alle Belange des Heims ein.

»Na, wird’s bald!« schrie der Dresseur den verängstigten Hund an.

Rex rutschte winselnd vorwärts. Ängstlich schielte er zu der Treppe hin, die in der Mitte der Übungsfläche stand. Er wußte, daß er dort aufrecht hinaufgehen mußte, und er hatte Angst, daß er es nicht schaffen würde.

»Schneller, nicht so faul.« Der Mann stapfte auf die Holzplanken. Erschrocken zuckte das Tier zusammen.

Rex wußte, daß sein Herr kein Erbarmen kannte. Er mußte zur Treppe, mußte die Stufen hinauf. Es war für einen Hund eine schwierige Übung. Für ein verletztes Tier aber war es eine Quälerei. Der struppige Hund trippelte mit seinem Körbchen folgsam zur Mitte der provisorischen Bühne. Als er die erste Stufe erklimmen wollte, sackte er mit einem Schmerzenslaut wieder in sich zusammen.

Sofort war Kurt Dombrowski mit seiner Peitsche zur Stelle. Die Lederriemen zischten durch die Luft, der Hund schrie vor Angst und Qual.

»Halt!« rief Nick entrüstet. »Sehen Sie denn nicht, daß der Hund verletzt ist?«

Dombrowski drehte sich um, sah die Kinder und schimpfte: »Macht, daß ihr wegkommt! Die Pause ist längst vorbei. Die Vorstellung geht weiter. Ihr werdet den besten Teil versäumen.«

Tatsächlich waren Irmela, Nick, Pünktchen und Henrik zur Zirkusvorstellung gekommen. Auch Schwester Regine mit den jüngeren Kindern. In der Pause hatten sie alle die Tiere des kleinen Wanderzirkus besichtigt. Doch während Schwester Regine mit den Jüngsten wieder ins Zelt zurückgekehrt war, hatten sich Nick und seine Kameraden die Dressurversuche Dombrowskis angesehen.

»Sie müssen mit Ihrem Hund zum Tierarzt.« Nick ließ sich nicht einschüchtern.

»Hört mal, ihr Neunmalklugen.« Langsam kam der Dresseur näher. Er klatschte dabei mit der Peitsche leicht an seine Stiefel. »Ein Zirkus ist kein Wohltätigkeitsunternehmen. Wer nicht arbeitet, hat hier nichts zu suchen. Das Leben bei uns ist hart, nicht nur für Rex.«

»Der Hund ist krank. Das sieht man doch. Er braucht einen Arzt und gute Pflege.« Furchtlos sah Nick den Zirkusmann an.

»Für so etwas hat man bei uns kein Geld. Aber du darfst mir glauben, daß ich schon weiß, was ich tue. Ich dressiere hier seit sechzehn Jahren Tiere. Darin habe ich mehr Erfahrung als jeder Tierarzt.« Dombrowski wußte, daß ein Zirkus leicht in Verruf kommen konnte, wenn kritische Stimme laut wurden. Dann mischten sich die Tierschutzvereine ein, und die Polizei machte Auflagen, deren Erfüllung teuer war. Deshalb gab sich der Dresseur jetzt Mühe, die Kinder zu besänftigen.

»Rex ist ein talentierter Hund. Er kann schon, wenn er will. Seht euch einmal diese Bilder an.« Dombrowski zog einige Fotos aus der Innentasche seiner Jacke. Sie zeigten den Hund während einer Zirkusvorstellung. Rex fuhr in einem Matrosenanzug auf einem Kinderfahrrad, er schob einen Puppenwagen, und er kletterte eine fünf Meter hohe Leiter hinauf. »Die Arbeit macht ihm Spaß, das sieht man doch, nicht wahr?«

»Vielleicht war es einmal so«, meinte Irmela und gab die Bilder zurück. »Aber jetzt sollten Sie das Tier schonen.« Mitleidig sah das Mädchen auf den Hund, der zitternd am Ende der Treppe lag.

»Ihr habt natürlich recht«, antwortete der Zirkusmann mit falscher Freundlichkeit. »Rex darf sich jetzt in die Sonne legen und sich ausruhen. Ich werde vorerst nur mit den anderen Tieren weiterarbeiten.«

Die vier Kinder aus Sophienlust zogen mit tief hängenden Köpfen wieder ab.

»Er wird sich nicht daran halten«, meinte Pünktchen düster.

Sie bekam keine Antwort, denn sie betraten eben das Zirkuszelt und nahmen leise, um niemanden zu stören, wieder Platz. In der Manege führten zwei Artisten gefährliche Übungen am Trapez vor.

Die Kinder von Sophienlust sahen nur mit geringem Interesse zu. Sie dachten noch immer an das Schicksal des armen Hundes.

*

Auch am Abend, als die Kleinen in Sophienlust begeistert von den lustigen Clowns berichteten, blieben Irmela, Nick, Pünktchen und Henrik schweigsam.

»Hat es euch denn nicht gefallen?« erkundigte sich Fabian, der wegen einer schweren Erkältung zu Hause geblieben war. Er hatte als kleiner Junge durch ein Zugunglück seine Eltern verloren. Zunächst hatte er Aufnahme bei seiner Stiefgroßmutter gefunden, die dem Waisenkind jedoch keine Zuneigung entgegenbrachte. Sie war froh gewesen, als sie den psychisch gestörten Enkel nach Sophienlust abschieben konnte. Behutsam war das schwierige Kind in die Gemeinschaft eingegliedert worden, hatte seine Scheu verloren und entwickelte sich nun völlig normal.

Fabian war ein fröhlicher Junge, der mit besonderer Liebe an Denise von Schoenecker hing.

»Doch, doch. Es war klasse.«

»Warum erzählt ihr dann nichts? Haben sie viele schöne Pferde?«

»Hm.«

»Ich hätte das alles so gern gesehen.« Fabians graugrüne Augen sahen voll Wehmut auf die Kameraden. »Was war denn noch?«

»Ein Hund, der Kunststückchen vorführen sollte, es aber nicht konnte.«

»Und dann hat ihn der Mann vom Zirkus geschlagen«, berichtete Henrik empört.

»Während der Vorstellung?«

»Nein. Es war draußen in einem anderen Zelt.«

»Richtig geschlagen?« Fabians Augen wurden groß und erstaunt.

»Mit einer Peitsche«, bestätigte Henrik düster.

»Das ist gemein!« rief Fabian entrüstet.

»Ich weiß jetzt, was Rex hat.« Irmela beugte sich zu ihren Kameraden, die im Speisesaal um einen runden Tisch saßen, hinüber. »Ich habe einen der Männer gefragt, die am Eingang Karten abreißen. Der Hund ist unter einen Trecker gekommen und wurde verletzt.«

»Armer Rex!« Henriks Augen glänzten feucht, denn er sah in Gedanken das gequälte Tier vor sich, wie es zitternd und angstvoll zusammengekauert am Boden lag.

»Wir müssen Rex helfen.« Pünktchens Stimme klang entschlossen.

»Klar, aber wie?« Von jeher hatte Nick für das blonde Mädchen, das seiner vielen Sommersprossen wegen »Pünktchen« gerufen wurde, eine besondere Schwäche. Pünktchen gefiel ihm von allen Mädchen am besten. Nicht nur, weil sie so wundervolle blaue Augen hatte, sondern auch ihrer besonders lieben Art wegen. Dieses Mädchen gehörte zu jenen Menschen, die alle Herzen im Sturm eroberten, die nirgends Schwierigkeiten hatten.

Pünktchen schien sich alles genau überlegt zu haben. »Wir müssen Rex dem Zirkus abkaufen. Und dann bringen wir ihn ins Tierheim und lassen ihn gesund pflegen.«

Henrik tippte sich an die Stirn und sah Pünktchen vorwurfsvoll an. »Du bist nicht dicht. Was glaubst du, wie teuer so ein Hund ist, der radfahren kann und auf Leitern klettert? Das können wir doch nie bezahlen.«

Nick griff Pünktchens Plan sofort auf. »Wir müssen eben zusammenlegen. Ich opfere mein Taschengeld von zwei Monaten.«

»Und ich alles, was ich in der Sparbüchse habe!« schrie Fabian begeistert. »Wenn Rex wieder gesund ist, machen wir dann einen eigenen Zirkus mit ihm auf. Dann bekommen wir das Geld wieder zurück. Das ist doch irre gut.«

Irmela schüttelte ernst den Kopf. »Nein. Da mache ich nicht mehr mit. Es ist doch unnatürlich, einen Hund einen Puppenwagen schieben zu lassen – oder was er sonst noch alles kann. Ich finde, zu solchen Dingen sollte man Tiere nicht mißbrauchen.«

Was Irmela sagte, klang so vernünftig, daß die Kinder zustimmend nickten.

»Was glaubt ihr, wieviel wir zusammenbekommen?« Pünktchen sah ihre Freunde fragend an.

»Das werden wir gleich feststellen.« Nick stand auf. »Ich hole einen Schuhkarton, und jeder tut hinein, was er entbehren kann.«

»Und was ist, wenn es Mutti nicht erlaubt?« Henrik sah ängstlich zu dem langen Tisch am Fenster hinüber. Dort saß Denise von Schoenecker im Kreis der Kleinen und unterhielt sich gerade mit Frau Rennert, der Heimleiterin.

»Laß das nur meine Sorge sein«, wehrte Nick den Einwand des Jüngeren ab. »Zuerst müssen wir das Geld beisammen haben.«

Da das Abendessen ohnehin beendet war, hatte niemand etwas dagegen, daß die Großen den Speisesaal verließen. Gewöhnlich hielten es dann auch die Kleinen nicht mehr lange am Tisch aus. Die Nachzügler leerten eilig ihre Teller, die Gläser wurden ausgetrunken, und die Kinder stürmten hinaus.

Um diese Zeit war es draußen im Freien noch hell und warm, und so wurde oft noch ein fröhliches Spiel veranstaltet, bevor Schwester Regine die Jüngsten ins Bett brachte.

Heute liefen die Kleinen nicht in den Park, sondern ins Obergeschoß, denn von dort waren die Stimmen der größeren Kinder zu hören.

»Hat Tante Isi Geburtstag?« fragte Vicky, als sie sah, daß Pünktchen ihre sorgfältig gehüteten Ersparnisse hervorkramte.

»Nein. Wir brauchen viel, viel Geld, um einen Hund zu kaufen.«

Vicky legte den Kopf schief und sah Pünktchen prüfend an. »Wir haben doch schon drei Hunde, Barri, Anglos und Bella.«

»Stimmt. Aber dies ist ein ganz armer Zirkushund. Er wird geschlagen, weil er krank ist und seine Kunststückchen nicht mehr vorführen kann«, erklärte Pünktchen. »Vielleicht kannst du auch ein paar Euro opfern.« Pünktchen hatte ihre Geldbörse restlos geleert und warf das Ergebnis in den Karton, den Nick inzwischen besorgt hatte.

Vicky sah unschlüssig zu. Sie sparte seit langem ihr Taschengeld, um sich ein Paar Rollschuhe kaufen zu können. Rollschuhe, wie ihre Schwester Angelika sie zum Geburtstag bekommen hatte.

Auch Angelika war inzwischen über den Sinn der Aktion informiert worden. Ohne zu zögern, hatte sie ihre Ersparnisse in den Karton gelegt. Jetzt stieß sie ihre Schwester unsanft in die Seite. »Wo ist dein Geld?« fragte sie ungeduldig.

Vicky wurde rot. »Ich wollte – ich möchte – ich dachte doch…«, stotterte sie verlegen. »Du weißt doch, die Rollschuhe«, flüsterte sie dann verschämt.

Angelika winkte ab. »Rollschuhe sind nicht so wichtig. Ich werde dir meine ausleihen.«

»Ganz bestimmt?« Die jüngere Vicky war da nicht so sicher.

»Ehrenwort.« Angelika streckte ihrer Schwester die Hand hin.

»Gut. Aber du mußt es auch ganz bestimmt halten.« Vicky lief hinüber in das Zimmer, das sie mit Angelika teilte, und kam gleich darauf mit einigen Scheinen und Münzen wieder zurück.

Gleichzeitig mit diesem Geld warf die kleine Heidi einen abgegriffenen Teddy in den Karton.

Fabian holte ihn wieder hervor und gab ihn der Kleinen zurück. »Was soll denn das?«

Heidi senkte das Köpfchen. »Ich – ich habe doch kein Geld«, piepste sie traurig. Sie war der jüngste Schützling von Sophienlust und hatte den älteren gegenüber oft einen schweren Stand.

»Das wissen wir doch.« Fabian beachtete das kleine Mädchen nicht weiter.

Doch Pünktchen verteidigte Heidi sofort. »Mann, seid ihr dumm! Heidi hat uns was gegeben, was für sie kostbar, vielleicht sogar kostbarer ist als Geld – ihren Teddy. Und ihr beachtet das überhaupt nicht.«

Nick ging in die Hocke, um Heidi ins Gesichtchen sehen zu können. »Das mit dem Teddy ist natürlich Spitze. Er ist tatsächlich viel mehr wert als das ganze Geld. Deshalb mußt du ihn behalten«, tröstete er das Kind.

»Darf ich dann trotzdem zusehen, wenn der Zirkushund auf dem Rad fährt?« erkundigte sich Heidi hoffnungsvoll.

»Keine Sorge, du darfst.« Irmela nahm das kleine Mädchen liebevoll in die Arme.

*

»Na, was hatten unsere Söhne heute auf dem Herzen?« fragte Alexander von Schoenecker seine Frau, die aus dem Obergeschoß kam, wo sich die Schlafräume der Familie befanden.

»Ich mußte ihnen versprechen, morgen bei dem Zirkus, der zur Zeit in Maibach gastiert, einen Hund freizukaufen. Die Kinder haben beobachtet, daß das Tier von seinem Besitzer mißhandelt wird.«

»Wirst du es tun?«

»Ich habe keine andere Wahl. Die Kinder haben ihre Sparbüchsen geleert und eine schöne Summe zusammengebracht.« Denise zuckte mit den Schultern. »Ich kann sie doch nicht enttäuschen.«

»Das hätte auch nicht zu dir gepaßt.« Alxeander lachte gutmütig.

»Der Zirkushund soll zunächst im Tierheim untergebracht werden, denn er hat wohl ärztliche Betreuung nötig. Danach wird man weitersehen.«

»Wenn die Kinder das Tier so teuer bezahlen, werden sie es vermutlich behalten wollen. Bestimmt sind sie überzeugt davon, daß sie diesem Hund allerlei Kunststückchen beibringen können. Wie ich Henrik kenne, plant er schon eine Vorstellung für seine Schulkameraden.«

»Eigentlich bin ich froh, daß sich die Buben und Mädchen spontan entschlossen haben, diesem armen Geschöpft zu helfen.«

»Dein Beispiel steckt eben an.« Alexander streckte die Hände aus.

»Komm, setz dich ein bißchen zu mir. Du siehst hübsch aus in diesem weiten Rocken und der Rüschenbluse. Sie erinnert mich an die Zeit, in der wir uns kennenlernten.«

Denise ließ sich auf der Armlehne des Sessels nieder und baumelte wie ein junges Mädchen mit den Beinen. Spielerisch legte sie den Arm um Alexanders Schultern. »Das ist lange her, nicht wahr?«

»Mir kommt es vor, als hätten wir erst gestern geheiratet. Die Zeit mit dir ist wie im Flug vergangen. Es war eine glückliche Zeit, Denise.«

»Für mich auch. Jeder Tag war schön. Ich wollte keinen einzigen vermissen.«

»Und ich freue mich auf die Jahre, die noch vor uns liegen. Ich liebe dich, Denise.« Alexander sah seiner Frau in die Augen, dann küßte er sie zärtlich auf den Mund.