Kiezdeutsch. Sprachliche und kommunikative Merkmale im sprechsprachlichen Register von Berlinern mit türkischer Herkunftssprache - Daniela Krämer - E-Book

Kiezdeutsch. Sprachliche und kommunikative Merkmale im sprechsprachlichen Register von Berlinern mit türkischer Herkunftssprache E-Book

Daniela Kramer

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Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Germanistik - Linguistik, Note: 2, Freie Universität Berlin, Sprache: Deutsch, Abstract: „Wallah, ischwöre! Lassma Gesundbrunncenta gehn, lan!“ Diese Art zu sprechen ist in den letzten Jahren unter den Jugendlichen in Deutschland immer öfter zu beobachten. Das so genannte „Türkendeutsch“, „Kiezdeutsch“ oder „Kanak Sprak“ ist Gegenstand dieser Arbeit. Diese Form der Jugendsprache, die man vor allem in vielen deutschen Großstädten findet, hat sich in den letzten Jahren zu einem Ethnolekt entwickelt, der nicht nur unter Heranwachsenden nicht-deutscher Herkunftssprache, sondern auch in anderen sozialen Gruppen und den Medien wieder auftaucht. Er hat sich von einer Sprache, die in der ersten Generation der Migranten als eine Art Übergangsdialekt zu fungieren schien, zu einem offenbar festen Bestandteil der deutschen Sprachvariationen entwickelt. Das Gastarbeiterdeutsch der ersten Generation, das noch auf geringen Deutschkenntnissen beruhte, entwickelte sich in den neunziger Jahren zu einer ethnolektalen Varietät des Deutschen. Diese Varietät wird vor allem von jungen, türkischstämmigen Männern gesprochen, die zwar in Deutschland aufgewachsen sind, sich hier aber dennoch nicht völlig zugehörig fü̈hlen. Die zweite und dritte Generation der damaligen Gastarbeiter macht in einigen Gegenden Deutschlands mittlerweile über 50 Prozent der Bevölkerung aus. An den Rand der Gesellschaft gedrückt, identifizieren sie sich eher mit dem von der Gesellschaft auferlegten Stereotyp eines Türken. Diese Arbeit soll eventuelle Unterschiede innerhalb der Gruppe, die den Ethnolekt benutzt, untersuchen. Es wird vermutet, dass dieser bei männlichen Sprechern ausgeprägter ist als bei weiblichen, und dass er teilweise bewusst zur Abschreckung anderer eingesetzt wird. Des Weiteren gilt es zu prüfen, ob die soziale und kulturelle Orientierung Einfluss auf die Sprecher hat und ob und wann Registerwechsel stattfinden. Ist dieser „Gettoslang“ vielleicht sogar die neue Berliner Unterschichtensprache? Ein besonderer Fokus soll außerdem auf die mir aufgefallene sprachliche Kreativität der Jugendlichen gelegt werden. Merkmale, die in anderen Untersuchungen noch keine Beachtung gefunden haben, stehen im Zentrum dieser Arbeit, ebenso wie das umfangreiche, innovative Vokabular der jungen Sprecher. Meine Ausü̈hrungen beruhen auf Daten verschiedener Quellen. Zum einen werde ich mich auf aktuelle Forschungsberichte und deren Ergebnisse beziehen, zum anderen wurden von mir selbst Interviews mit 67 Jugendlichen durchgeführt.

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Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. DIE AKTUELLE SITUATION DER TÜRKEN IN DEUTSCHLAND
2.1 DIE SOZIALE UND POLITISCHE SITUATION
2.2 DER SOZIOLINGUISTISCHE HINTERGRUND
2.2.1 GASTARBEITERDEUTSCH
2.2.2 DAS DEUTSCH DER ZWEITEN UND DRITTEN GENERATION
2.3 ZUR INTERVIEWGRUPPE
3. BEGRIFFSBESTIMMUNG
3.1 VARIETÄT, STIL UND REGISTER
3.2 SOZIOLEKT, SLANG UND JUGENDSPRACHE
3.4 BEGRIFFSBESTIMMUNG CODE-SWITCHING, CODE-MIXING UND LANGUAGE CROSSING
4. FORSCHUNGSÜBERBLICK
4.1 HINNENKAMP: „GEMISCHT SPRECHEN“ ALS ACT OF IDENTITY
4.2 AUER/ DIRIM: KANAK SPRAK BEI NICHT-TÜRKISCHEN SPRECHERN
4.3 KALLMEYER/ KEIM: „KOMMUNIKATIVER SOZIOKULTURELLER STIL“ IN MANNHEIM
4.4 JANNIS ANDROUTSOPOULOS: EINFLUSS DER MEDIEN
5. DER ETHNOLEKT KANAK SPRAK - KORPUSANALYSE
5.1 INHALT UND GLIEDERUNG DER KORPUSANALYSE
5.2 DATENERHEBUNG: VORGEHENSWEISE UND EVENTUELLE PROBLEME
5.2.1 DIFFERENZIERUNG DES KORPUS
5.2.2 EVENTUELLE PROBLEME
5.2.2.1 ZWISCHENMENSCHLICHE SCHWIERIGKEITEN
5.2.2.2 TECHNISCHE SCHWIERIGKEITEN
5.3 KORPUSANALYSE - DIE GRUNDMERKMALE DER KANAK SPRAK
5.3.1 PHONETIK/ PHONOLOGIE
5.3.2 PROSODISCHE MERKMALE
5.3.3 MORPHOLOGIE UND SYNTAX
5.3.4 LEXIKON UND DISKURSORGANISATION
5.4 SPRACHLICHE BESONDERHEITEN IN BERLIN WEDDING
5.4.1 „REIME - MEIME“
5.4.2 ONOMATOPOETISCHE ELEMENTE
5.4.3 GEHEIMSPRACHE „OHNE ROTKOHL“
5.5 GESCHLECHTSSPEZIFISCHE UNTERSCHIEDE
6. KANAK SPRAK ALS AUSDRUCK SOZIOKULTURELLER IDENTITÄT
7.2 REPRÄSENTATION IN DEN MEDIEN
7.3 KANAK SPRAK - DIE NEUE BERLINER UNTERSCHICHTSPRACHE?
8. SCHLUSSBETRACHTUNG
9. LITERATURVERZEICHNIS
10. ANHANG
10.1 ÜBERSICHT DER INTERVIEWS

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1. Einleitung

„Wallah, ischwöre! Lassma Gesundbrunncenta gehn, lan!“1Diese Art zu sprechen ist in den letzten Jahren unter den Jugendlichen in Deutschland immer öfter zu beobachten. Das so genannte „Türkendeutsch“, „Kiezdeutsch“ oder „Kanak Sprak“ ist Gegenstand dieser Arbeit.

Diese Form der Jugendsprache, die man vor allem in vielen deutschen Großstädten findet, hat sich in den letzten Jahren zu einem Ethnolekt entwickelt, der nicht nur unter Heranwachsenden nicht-deutscher Herkunftssprache, sondern auch in anderen sozialen Gruppen und den Medien wieder auftaucht. Er hat sich von einer Sprache, die in der ersten Generation der Migranten als eine Art Übergangsdialekt zu fungieren schien, zu einem offenbar festen Bestandteil der deutschen Sprachvariationen entwickelt.2

Das Gastarbeiterdeutsch der ersten Generation, das noch auf geringen Deutschkenntnissen beruhte, entwickelte sich in den neunziger Jahren zu einer ethnolektalen Varietät des Deutschen. Diese Varietät wird vor allem von jungen, türkischstämmigen Männern gesprochen, die zwar in Deutschland aufgewachsen sind, sich hier aber dennoch nicht völlig zugehörig fühlen. Die zweite und dritte Generation der damaligen Gastarbeiter macht in einigen Gegenden Deutschlands mittlerweile über 50 Prozent der Bevölkerung aus.3An den Rand der Gesellschaft gedrückt, identifizieren sie sich eher mit dem von der Gesellschaft auferlegten Stereotyp eines Türken.

Diese Arbeit soll eventuelle Unterschiede innerhalb der Gruppe, die den Ethnolekt benutzt, untersuchen. Es wird vermutet, dass dieser bei männlichen Sprechern ausgeprägter

1Das Zitat stammt von Mustafa, türkischer Migrationshintergrund, in Berlin geboren,18 Jahre alt.

2vgl. Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund definiere ich gemäß dem Migrationsbericht 2006. Bundesministerium des Inneren (2006): Migrationsbericht 2006. Erscheinungsdatum. 19.12.2007. Quelle: Internet.

http://www.bmi.bund.de/Internet/Content/Common/Anlagen/Themen/Auslaender__Fluechtlinge__Asyl/D atenundFak-

ten/Migrationsbericht__2006,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Migrationsbericht_2006.pdf(Stand: 21.07.2008), S.170

3vgl. Statistisches Bundesamt Deutschland (2008): Bildung in Deutschland 2008. Quelle: Internet.https://www-

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ist als bei weiblichen, und dass er teilweise bewusst zur Abschreckung anderer eingesetzt wird. Des Weiteren gilt es zu prüfen, ob die soziale und kulturelle Orientierung Einfluss auf die Sprecher hat und ob und wann Registerwechsel stattfinden. Ist dieser „Gettoslang“ vielleicht sogar die neue Berliner Unterschichtensprache? Ein besonderer Fokus soll außerdem auf die mir aufgefallene sprachliche Kreativität der Jugendlichen gelegt werden. Merkmale, die in anderen Untersuchungen noch keine Beachtung gefunden haben, stehen im Zentrum dieser Arbeit, ebenso wie das umfangreiche, innovative Vokabular der jungen Sprecher.

Meine Ausführungen beruhen auf Daten verschiedener Quellen. Zum einen werde ich mich auf aktuelle Forschungsberichte und deren Ergebnisse beziehen, zum anderen wurden von mir selbst Interviews mit 67 Jugendlichen durchgeführt. Im Verlauf der Untersuchung wird, um über die Hintergründe der Berliner mit türkischer Herkunftssprache zu informieren, im zweiten Kapitel ein Überblick über die soziale und sprachliche Ausgangssituation der Türken in Deutschland gegeben. Im dritten Kapitel sollen für das Thema relevante Fachtermini näher definiert werden, worauf in Kapitel 4 ein Überblick über den derzeitigen Forschungsstand zum Thema „Türkendeutsch“ an-hand der wichtigsten Vertreter folgt. Die Analyse der spezifischen Merkmale dieser Varietät und ein Überblick über die noch unbeschriebenen Charakteristika des hier vorgestellten Korpus folgt im Kapitel 5. Im Anschluss wird auf den Zusammenhang zur Identität und Sprache und anschließend den Reaktionen der Gesellschaft auf die Sprechweise der türkischen Migranten eingegangen, um schließlich zu einer Auswertung der sprechsprachlichen Register der Berliner Türken zu kommen.

ec.destatis.de/csp/shop/sfg/bpm.html.cms.cBroker.cls?cmspath=struktur,vollanzeige.csp&ID=1022245(Stand: 30.07.2008), S. 19

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2. Die aktuelle Situation der Türken in Deutschland

2.1 Die soziale und politische Situation

„Wie lebt es sich als Kanake in Deutschland? [...] Kanake, ein Etikett, das nach mehr als 30 Jahren Immigrationsgeschichte von Türken nicht nur Schimpfwort ist, sondern auch ein Name, den »Gastarbeiterkinder« der zweiten Generation mit stolzem Trotz führen.“4

Dieser Satz stammt aus der Einleitung Feridun Zaimoglus BuchKanak Sprakaus dem Jahr 1995, dessen Titel der Namensgeber dieses Ethnolekts werden sollte. Es beschreibt die Grundsituation der Jugendlichen mit Migrationshintergrund sehr zutreffend, weshalb ich seine Kommentare zur Situation der Türken gelegentlich integrieren werde.

In Deutschland sind zurzeit über 1,7 Millionen „Ausländer“5türkischer Abstammung gemeldet,6das entspricht einem Anteil von 25,8% an allen ausländischen Staatsangehörigen.7Hinzu kommen noch die Türken, die die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen, beziehungsweise die doppelte Staatsbürgerschaft haben und illegale Ein-wanderer. Insgesamt bilden die Türken mit insgesamt über 2,5 Millionen so die größte Gruppe der Migranten.8

Die Migrationswelle aus den Mittelmeerregionen begann gegen Ende der fünfziger Jahre. Die deutsche Industrie brauchte dringend Arbeiter, die dann als „Gastarbeiter“ aus Italien, Spanien, dem damaligen Jugoslawien und der Türkei rekrutiert wurden. Diese Beschäftigung war von Deutschlands Politikern ursprünglich als vorübergehende Situation gedacht, wandelte sich jedoch, nachdem viele ihre Familien mit nach Deutschland

4Zaimoglu, Feridun (1995): Kanak Sprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft. 6. Auflage. Hamburg: Rotbuch-Verlag, S. 9

5Der Begriff „Ausländer“ wird heutzutage vermieden, jedoch vom Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge als Terminus für Menschen benutzt, die keine deutsche Staatbürgerschaft haben. Migranten, die die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen haben, fallen nicht unter diese Bezeichnung. Die Aus-länderbestandszahlen sind somit nicht identisch mit den Migrationszahlen.

vgl. dazu Bundesministerium des Inneren (2007): Migrationsbericht des Bundesministerium des Inneren. Erscheinungsdatum: 19.12.2007, S. 156

6vgl. Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge(2008): Ausländerzahlen. Quelle: Internet. Erscheinungsdatum: 20.03.2008

http://www.bamf.de/cln_101/nn_442496/SharedDocs/Anlagen/DE/DasBAMF/Downloads/Statistik/statisti k-anlage-teil-2-auslaendezahlen-auflage14,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/statistik-anlage-teil-2-auslaendezahlen-auflage14.pdf(Stand: 30.07.2008)

7vgl. Migrationsbericht des Bundesministerium des Inneren (2007), S. 158

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brachten und deren Kinder hier eingeschult wurden, in eine permanente Situation. Zaimoglu beschreibt diese Kinder als „»Immigranten der zweiten Generation«, die erste Generation der Kanaken.“9

Die Tatsache, dass zu Beginn der Migrationswelle ein absehbarer Zeitraum für das Bleiben der türkischen Familien beabsichtigt war, machte anfangs ein Integrationsprogramm unnötig. Ein Fehler dessen Auswirkungen erst viele Jahre später sichtbar werden sollte. Sprachunterricht für die Türken und auch andere Gastarbeiter wurde schlicht nicht für wichtig befunden. Man muss bedenken, dass Deutschland bis dahin eine monolinguistische Gesellschaft war, bis auf regionale Dialekte gab es kaum ethnisch motivierte Sprachvariationen.10

Die Gastarbeiter verbesserten zwar ihre finanzielle Situation im Gegensatz zu der in ihren Herkunftsländern, nahmen in Deutschland aber eine Position auf dem unteren Ende der sozialen Leiter ein. Zaimoglu beschreibt die Situation dieser Generation wie folgt: „Sie wohnten in engen Häusern, in denen die Decke tropfte und die Wände Risse zeigten. Die Mütter standen den ganzen Tag in der Küche, zeigten die ersten Gebrechen. Die Väter bekamen krumme Rücken, Magengeschwüre und griffen öfter zum Prügelstock. Die Mädchen wurden auf ihre traditionelle Rolle als Ehefrau vorbereitet.“11

Aus einem Land ohne Bildungstradition kommend und immer noch unter der Annahme, dass sie wieder in ihre Heimatländer zurückkehren würden, erzogen die Eltern ihre Kinder weiterhin in türkischer Sprache So kam es, dass sie erst in der Vorschule mit der deutschen Sprache konfrontiert wurden. Die deutsche Regierung verpasste aufgrund dessen den Punkt, an dem eine erfolgreiche Integration hätte funktionieren können.

Kindergärten, Vorschulen und Schulen waren im Umgang mit Kindern mit unterschiedlichen kulturellen und sprachlichen Hintergründen nicht geschult. Viele der Lehrer damals (und auch noch heute) beschrieben Migrantenkinder als doppelt halbsprachig,

8Zahl der Einbürgerungen seit 1972: 591717. vgl. Migrationsbericht des Bundesministerium des Inneren.

9Zaimoglu, Feridun (1995), S. 9

10vgl. Deppermann, Arnulf (2007): Playing with the voice of the Other: Stylized "Kanaksprak" in conversations among German adolescents. In: Auer, Peter (Hrsg.): Style and social identities - Alternative approaches to linguistic heterogeneity. Berlin/New York: Mouton de Gruyter. S. 325-360, S. 325

11Zaimoglu, Feridun (1995), S. 9-10

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also mit gravierenden Defiziten in beiden Sprachen. Die damit vorprogrammierten Probleme in der Schule und die begrenzten Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt, veranlassten die Eltern dazu zu Hause härter durchzugreifen. Das berufliche und soziale Versagen der zweiten Generation führte dazu, dass sich deren Eltern wieder stärker auf traditionelle, kulturelle Werte besannen.

Ein weiterer Punkt für das Scheitern der Integration vieler Migrantenfamilien ist ihre schwierige rechtliche Situation. Etwa eine Million der in Deutschland lebenden Türken haben eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung,12der Rest ist dazu verpflichtet sich in regelmäßigen Abständen um eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu bemühen. Viele vor allem der jungen Migranten leiden unter dieser Situation. Sie sind in Deutsch-land aufgewachsen, kennen manchmal nicht einmal ihre Heimat, werden aber in dem Land, in dem sie leben von der Mehrheitsgesellschaft nicht akzeptiert.13Nicht dieselben Rechte zu haben wie ein Großteil der Bevölkerung, kratzt an ihrem Selbstbewusstsein und erschwert durch die dadurch oft entstehende anti-deutsche Haltung den Prozess der Integration.

Zaimoglu beschreibt diese Situation wie folgt: „Man spricht von der Ambivalenz, die das Leben in zwei Kulturen mit sich bringe, einem Generationenkonflikt in der türkischen Familie und schließlich vom fehlenden Integrationswillen. [...] Auf das ungemütlich, gar bedrohlich werdende Deutschland reagieren türkische Eltern mit der Forderung nach unbedingter Treue zur Tradition [...] Manche entdecken die Religion neu.“14

Das Dilemma dieser Generation besteht also einerseits darin die kulturellen Normen und Werte ihrer Eltern zu respektieren und anderseits mit Versagensängsten und dem Ausgeschlossensein aus der deutschen Gesellschaft umzugehen. Aufgrund ihres beschränkten sozialen Status, der Sprachbarriere und der damit zusammenhängenden geringen Schulbildung, sind die Aussichten auf eine Verbesserung der Situation nicht besonders gut. All diese Faktoren haben großen Einfluss auf die soziokulturelle Entwicklung dieser Jungendlichen, denn sie tragen entscheidend zur Formung ihrer Identität bei. Sie ent-

12vgl.Migrationsbericht des Bundesministerium des Inneren, S. 166

13Diese These wurde von vielen Interviewteilnehmern bestätigt.

14Zaimoglu, Feridun (1995), S.10-11

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scheiden mit welcher gesellschaftlichen Gruppe sie sympathisieren und demnach auch welche Muster sie übernehmen. Auf welchen sprachlichen Voraussetzungen diese Muster basieren und wie sie sich im Laufe der Jahrzehnte entwickelt haben, wird das Thema des nächsten Abschnitts sein.

2.2 Der soziolinguistische Hintergrund

2.2.1 Gastarbeiterdeutsch

Wie bereits erwähnt mangelte es in der BRD gegen Ende der fünfziger Jahre an gering qualifizierten Arbeitskräften, die infolgedessen vor allem aus Südeuropa angeworben wurden. Davon ausgehend, dass es sich um eine vorübergehende Aufenthaltssituation handeln würde, hielten es die deutschen Behörden nicht für notwendig die Gastarbeiter über grundlegende Deutschkenntnisse hinaus zu schulen. Das dadurch entstandene zunächst pidginartige Gastarbeiterdeutsch ermöglichte es den Sprechern sich auf der Arbeit und in Alltagsituationen zu verständigen.15Die Hauptmerkmale des Gastarbeiterdeutsch waren trotz unterschiedlicher Herkunftsländer der Sprecher ähnlich:16

•Verbstellung im Hauptsatz

•Ausfall des Determinatives in Nominal- und Präpositionalphrasen

•Ausfall der Präposition in Präpositionalphrasen

•Ausfall der Kopula in Äquationalsätzen

•Ausfall von Tempus-, Numerus- und Personenmarkierung

•Ausfall des Subjekts

•Stellung der Negationspartikel vor dem Finitum im Hauptsatz

Das Erlernen der deutschen Sprache stellt für viele Einwanderer aus mehreren Gründen eine Schwierigkeit dar. Neben der Sprachbarriere, das heißt echten Schwierigkeiten beim Erlernen der Sprache aufgrund fundamentaler Unterschiede, die weder durch Schule

15vgl.Meisel, Jürgen M. (1975): Ausländerdeutsch und Deutsch ausländischer Arbeiter. Zur möglichen Entstehung eines Pidgins in der BRD, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 18, S. 9-53.

16vgl. Keim, Inken (1984): Untersuchungen zum Deutsch türkischer Arbeiter. Tübingen: Narr. (Forschungsberichte des Instituts für Deutsche Sprache, Mannheim 50), S. 27- 35.