Killing November 2. Hunting November - Adriana Mather - E-Book
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Killing November 2. Hunting November E-Book

Adriana Mather

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Beschreibung

Nachdem November die erste Zeit an der Academy Absconditi überlebt hat, erfährt sie, dass ihr Vater spurlos verschwunden ist. Sie muss ihn finden und folgt zusammen mit Ash seinen Spuren. Eine tödliche Schnitzeljagd beginnt, die sie zunächst in ihre alte Heimat führt, dann nach Europa, wo sie in ein dichtes Netz aus Lug und Betrug geraten. Die letzte Fährte endet für November und Ash auf feindlichem Gebiet, umgeben von Strategen und Attentätern, die nur ein Ziel verfolgen: Sie wollen November und ihren Vater tot sehen.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Über dieses Buch

Nachdem November die ersten Wochen an der geheimnisvollen Academia Absconditi überlebt und sogar einen Mörder zur Strecke gebracht hat, kommt nun die nächste schwere Aufgabe auf sie zu: Novembers Vater ist spurlos verschwunden und sie muss ihn finden, bevor er Mitgliedern der Strategia in die Hände fällt. Gemeinsam mit Ash folgt sie seiner Spur. Eine tödliche Schnitzeljagd beginnt, und November und Ash finden sich bald auf feindlichem Gebiet wieder, umgeben von den erlesensten Strategen und Attentätern, die nur eines im Sinn haben: November und ihren Vater tot zu sehen.

 

Ein geheimes Eliteinternat, eine mörderische Schnitzeljagd und ein internationales Komplott: Die atemberaubend spannende Fortsetzung von »Killing November«

 

 

 

In liebevoller Erinnerung an meinen Kater Charles, der einen kleinen Kopf und einen langen Schwanz, geschmeidige Schultern wie ein Flughörnchen und verschiedenfarbige Augen hatte. Er hat jede Nacht auf meinem Kissen geschlafen und mir jeden Morgen in den Kopf gebissen, wenn er Futter wollte. Als kleines Kätzchen habe ich ihn in meinem Sweatshirt herumgetragen, und als er groß war, hat er seinen Kopf in meine Halsbeuge geschmiegt. Er war mein perfekter Kater und ich sein Lebensmensch; seine Liebkosungen werden mir immer fehlen.

Eins

Als ich klein war und mich die Leute fragten, was ich später mal werden wollte, gab ich ihnen alle möglichen verrückten Antworten. Einem Lehrer erzählte ich, ich wolle Couch-Potato werden, damit ich meine Tage eingekuschelt unter einer Decke im Wohnzimmer verbringen könnte. Der Mutter meiner besten Freundin Emily erzählte ich, dass ich Vorkosterin für Kekse werden wolle, weil Emily denselben Berufswunsch hatte. Und meinem Dad erzählte ich, dass ich gern ein Messer wäre, damit ich meinen überbackenen Käsetoast in zwei perfekte Dreiecke schneiden könnte statt der vier winzigen Quadrate, die er immer fabrizierte. Diese Antwort führte natürlich zu hochgezogenen Augenbrauen und der Erklärung, ein Mädchen sei etwas Lebendiges, Atmendes, das sich selbst aus Versehen an etwas schneiden kann; und ein Messer ein scharfes Stück Stahl, das dieses Schneiden übernimmt. Doch da sich der Großteil meiner Kindheit inzwischen als Lüge erwiesen hat, glaube ich, dass mein jüngeres Ich mit seiner Messer-Antwort bereits etwas Essenziellem auf der Spur war. In den vergangenen paar Wochen an der Academia Absconditi bin ich einem Messer – oder besser gesagt, der Gefahr, mit einem Messer erstochen zu werden – nämlich verdammt nah gekommen.

Ich schließe die Tür der Krankenstation hinter mir und durchquere einen leeren Korridor, der von Fackeln erleuchtet wird. Dabei rolle ich meinen Hemdsärmel über den Verband an meinem Unterarm. Die Krankenschwester hat meine Wunde mit einer dicken Paste bestrichen, die nach Kiefernnadeln und Lehm riecht. Dabei meinte sie dauernd, ich könnte mich glücklich schätzen, weil ich den Sturz vom Baum im Hof überstanden hätte, ohne mir die Knochen zu brechen. Nach einigem missbilligenden Zungenschnalzen fügte sie noch hinzu: »Ihr jungen Leute haltet alles für selbstverständlich.« Ich bezweifle, ob sie das Wort glücklich auch dann gebraucht hätte, wenn sie wüsste, dass ich vom Baum geschubst wurde, weil die Löwen meinen Tod wollen.

Als ich um die Ecke in einen weiteren stillen Gang einbiege, fallen mir die heruntergebrannten Fackeln auf: Der Flur vor mir liegt fast komplett im Dunkeln. Ich bleibe stehen und betrachte misstrauisch die verlöschende Glut an einer der Fackeln. Sollte sie nicht längst schon jemand ersetzt haben? Und wo sind die Wachen der Akademie? Normalerweise ist in jedem Gang eine postiert. Während ich noch überlege, ob ich nicht lieber zur Krankenstation zurückkehren sollte, höre ich ganz schwach ein gurgelndes Geräusch.

Ich beuge mich vor, zögere, den finsteren Korridor zu betreten – es ist, als ob die Finsternis nach mir schnappen könnte. Einen Augenblick lang ist alles still. Vielleicht habe ich mir das Geräusch auch nur eingebildet. Dann ertönt ein keuchendes Husten, das meinen Adrenalinspiegel nach oben schießen lässt.

»November!«, ruft eine erstickte Stimme und mir wird bang ums Herz. Diese Stimme kenne ich.

»Ash?!«, brülle ich. Jetzt zaudere ich nicht länger. Ich sprinte geradezu ins Dunkel.

Meine Stiefel klackern rhythmisch über den Steinboden, mein Atemrhythmus passt sich meiner Schrittgeschwindigkeit an. Um die Orientierung zu behalten, fahre ich mit der Hand die Wand entlang, immer Ashs gequälter Stimme nach.

Vor mir kann ich zu meiner Linken einen schwachen Lichtstreifen ausmachen – er scheint unter einer geschlossenen Tür hervor –, und als ich näher komme, werden die Würgegeräusche lauter. Im Finstern taste ich nach dem Türriegel und werfe mich dann mit meinem ganzen Gewicht gegen die schwere Holztür. Die Angeln geben ächzend nach, und ich platze ins Zimmer, bleibe im nächsten Moment jedoch wie angewurzelt stehen, sodass ich um ein Haar das Gleichgewicht verliere.

Nach Luft ringend versuche ich, meinen Herzschlag unter Kontrolle zu bringen. Ich befinde mich in einem riesigen Raum mit Steinwänden und einer hohen Gewölbedecke. Seltsamerweise ist er fast unmöbliert – bis auf ein Podest am anderen Ende des Zimmers, auf dem ein mächtiger, aufwendig gestalteter Stuhl steht, der einem Thron ähnelt. An den Wänden hängen beindruckende Porträts vornehmer Damen und Herren und kunstvolle Wandteppiche. Doch was mich so jäh hat innehalten lassen, ist weder die Architektur noch die Ausstattung des Raumes. Sondern die Leichen.

Mein Blick schweift über den kostbaren Boden und ich schlage entsetzt die Hand vor den Mund. Die meisten der Toten habe ich noch nie gesehen, ein Meer aus unbekannten Gesichtern, die Züge in ihren letzten Lebensmomenten vor Schmerz verzerrt. Aber dann entdecke ich ihn, ganz hinten im Raum: Ash, der sich an die Kehle greift und dem Schaum aus dem Mund dringt. Und neben ihm Layla und daneben Ines, Aarya und Matteo. Sie liegen mit gespreizten Gliedern da, unbeweglich, die Rücken durchgedrückt, mit blutigen Malen quer über der Kehle. Und vor den Leichnamen steht mit dem Rücken zu mir ein großer Mann mit silbergrauem Haar. Er beginnt zu lachen, ausdauernd und laut.

»Nein-nein-nein-nein …«, stoße ich in einem einzigen Atemzug hervor und mein Puls hämmert in meinen Schläfen. Hektisch schlängele ich mich an den Leichnamen vorbei, die Panik lässt mich taumeln.

Laylas grazile Hand umklammert noch immer ihre Kehle, als ränge sie nach Luft, aber ihre Augen sind geschlossen und sie liegt vollkommen reglos da. Jetzt schreie ich doch und stolpere gleichzeitig über einen Arm, sodass meine Hände über den kalten Steinboden rutschen. Sofort rapple ich mich wieder auf. Ash schaut mich verzweifelt an, wieder muss er würgen. Er streckt die Hand nach mir aus.

Der Mann mit dem silbergrauen Haar blickt auf den nach Luft schnappenden Ash herab.

»Was haben Sie ihnen angetan?«, krächze ich.

Der Mann beugt sich über Ash und hält dabei ein kleines blaues Fläschchen in der Hand. Gift, denke ich und will ihn anbrüllen, es nicht zu tun. Doch ich kriege die Worte nicht richtig heraus, sie verzerren sich zu einem Schluchzen.

»Du meinst, was haben wir getan, November«, sagt der alte Mann, ohne sich umzudrehen. Seine Stimme klingt wie das Schnurren einer großen Katze.

Er setzt Ash das Fläschchen an die Lippen, aber Ash sieht ihn nicht an. Er starrt mit Entsetzen auf meine Hand. Ich folge seinem Blick. Auf meiner Handfläche liegt ein identisch aussehendes blaues Fläschchen.

Der alte Mann schüttet die Flüssigkeit aus dem Fläschchen in Ashs Mund und wieder schreie ich los.

»November?«

Ich setze mich abrupt auf und strecke die Arme aus, um mich zu stabilisieren, muss mich aber schließlich doch an einem der grauen Samtkissen abstützen. Der letzte Ton eines Schreis dringt zwischen meinen Lippen hervor, gedämpft und unsicher.

Ash packt mich an den Schultern, um mir Halt zu geben.

»Ich habe nicht …«, fange ich an und halte dann inne, desorientiert und extrem angespannt. Mein Herz rast, als wäre ich noch immer in jenem Raum.

»Schau dich um, November. Atme«, sagt Ash ruhig und ich klammere mich an seine Stimme.

Dann scanne ich rasch meine Umgebung, sehe das Feuer im Kamin, den Esstisch am Fenster, die blickdichten weinroten Vorhänge und Ash – der quicklebendig neben mir auf dem Sofa sitzt, im Salon der Wohneinheit, die ich mir mit seiner Zwillingsschwester Layla teile. Alles wirkt ganz normal, trotzdem verspüre ich noch immer diese Angst. Und auch wenn ich nicht genau weiß, warum, bin ich mir doch absolut sicher, dass alles, was in dem Traum geschehen ist, meine Schuld war.

»Du warst …« Mein Tonfall ist rau und meine Stimme zittrig. »Und es war meine …« Ich spreche lieber nicht weiter, denn ich bin nicht in der Lage, den Horror zu beschreiben, den ich gerade erlebt habe. Es fühlte sich so real an, so unglaublich real.

Ash schaut mich voller Mitgefühl an, als kenne er diese Sorte von Traum nur allzu gut. Ich hole tief Luft, lasse die Schultern ein Stück sinken. Es war ein Albtraum. Nur ein Albtraum. Keiner ist gestorben, rede ich mir selbst gut zu, trotzdem bleibt meine Beklommenheit wie ein schlechter Geschmack, den man einfach nicht loswird.

»Ich erinnere mich gar nicht daran, wie ich eingeschlafen bin«, murmle ich und reibe mir übers Gesicht, das völlig verschwitzt ist.

Ash mustert mich prüfend, lässt mich dann los, weicht aber nicht von meiner Seite. Seine glatten schwarzen Haare rahmen sein Gesicht perfekt ein, seine Augen unter den langen Wimpern blicken mich durchdringend an. Obwohl er vorgestern auch jede Menge Schnitte und Prellungen abbekommen hat, sieht er gelassener und zugleich gepflegter aus als ich zu meinen besten Zeiten. Je länger ich ihn anschaue, desto schuldiger fühle ich mich. Mag der Traum auch nicht real sein: dass Ash und ich nur knapp mit dem Leben davongekommen sind, ist real, und das ist allein meine Schuld.

»Ich hätte dich auch in dein Bett getragen, aber ich wollte dich nicht wecken«, sagt er, fragt mich jedoch nicht nach meinem Albtraum. Verrückterweise kann ich das nachvollziehen – er will nicht neugierig wirken, mich nicht bedrängen. Inzwischen habe ich verstanden, warum Strategen ihre Familiengeheimnisse hüten, doch dass sie sich und ihre Gefühle ständig im Zaum halten, ist etwas, an das ich mich noch immer nicht gewöhnt habe. Wenn meine beste Freundin Emily miterlebt hätte, wie ich derart panisch aufwache, hätte sie nicht nur darauf bestanden, dass ich ihr alles haarklein erzähle, sondern sie hätte den Traum auch so lange mit mir analysiert, bis dessen Bedeutung sich auf die Prophezeiung eines miesen Tages reduziert hätte.

Ich spähe zu Laylas geschlossener Schlafzimmertür hinüber.

»Sie ist vor einer Stunde ins Bett gegangen«, beantwortet Ash meine stumme Frage.

Als ich mich wieder zu ihm drehe, bemerke ich seinen besorgten Gesichtsausdruck. »Aber du bist geblieben.« Und darüber bin ich froh. Trotz unseres holprigen Starts in meiner ersten Zeit an der Akademie und des anfänglichen Misstrauens zwischen uns vertraue ich ihm mittlerweile hundertprozentig.

»Ich habe über Verschiedenes nachgedacht.« Er lächelt kurz, und obwohl das ganz bestimmt die Wahrheit ist, kann es gewiss nicht der einzige Grund sein, warum er mitten in der Nacht neben mir auf der Couch sitzt. Wenn er ein anderer wäre und ich nicht gerade den grauenhaftesten Albtraum meines Lebens gehabt hätte, würde ich ihn jetzt damit aufziehen, dass er nur nicht von meiner Seite weichen wollte. Aber so, wie ich Ash kenne, hat er ein weitaus weniger romantisches Motiv – zum Beispiel aufzupassen, dass mich niemand im Schlaf erdolcht.

»Über was hast du nachgedacht?«

»Ich habe mir überlegt, dass wir nicht sicher sein können, wer alles über deinen Vater Bescheid weiß«, entgegnet Ash – womit er das Gespräch auf die Probleme meiner Familie lenkt und damit das bisschen Wohlgefühl zerstört, das sich gerade in mir regte. Mittlerweile sollte ich mich eigentlich daran gewöhnt haben, Wohlgefühle sind nämlich nicht gerade das Markenzeichen der Akademie. An dieser Schule geht es mehr ums Überleben als um klassische Lerninhalte, mehr um raffiniert eingefädelte Bündnisse als um Freundschaften. Was ich auf die harte Tour lernen musste, als ich herausfand, dass die mächtigste Familie der Strategia einen Rachefeldzug gegen meinen Dad führt. Und wie sich zeigte, wollten mich einige Schüler töten, um ihre Loyalität zu dieser Familie unter Beweis zu stellen. Genau wie einer der Lehrer, der zufällig auch der Bruder meines Vaters war. »Dr. Conner war ja ganz offensichtlich im Bilde«, fährt Ash fort, »aber was ist mit den Löwen generell? Wir müssen rausbekommen, warum sie deine Familie weiterhin jagen, wenn wir deinen Vater auch wirklich finden wollen.«

Bei der Erwähnung der Löwen wandern meine Gedanken unwillkürlich zurück zu den blutigen Leichen in meinem Albtraum. Voller Schuldgefühle wende ich kurz den Blick ab, weil ich Ash in diesen Schlamassel mit reingezogen habe. Dann reibe ich mir mit den Handballen über die Augen. »Willst du damit sagen, du glaubst, die Löwen sind nicht nur wegen der Romeo-und-Julia-Story meiner Eltern hinter mir und meinem Dad her, sondern noch aus einem anderen Grund?«

»Ganz genau. Denk doch mal nach: Deine Mutter war eine Bärin und dein Vater ein Löwe. Vor fünfundzwanzig Jahren verliebten sie sich ineinander, beschlossen, ihre jeweiligen Familien zu verlassen, ihren Führungsanspruch aufzugeben und unterzutauchen. Dann haben Attentäter der Löwen deine Mutter getötet, als du wie alt warst?«

»Sechs«, antworte ich und richte mich kerzengerade auf.

»Also vor elf Jahren«, fährt Ash fort. »Doch zwischen damals und dem vergangenen Monat, als deine Tante ermordet wurde und dein Vater dich hierherschickte: Kannst du dich da an irgendwelche Drohungen vonseiten der Löwen erinnern?«

Ich runzele die Stirn und gehe im Geiste verschiedene Kindheitserinnerungen durch, suche nach einer Zeit, in der Dad gestresst oder mürrisch gewirkt hat. Gab es irgendein Anzeichen, dass die Löwen hinter uns her gewesen sein könnten? Schließlich schüttle ich den Kopf. »Ganz ehrlich: Ich glaube nicht. Dad hätte uns bestimmt an einem anderen Ort in Sicherheit gebracht, wenn es solche Drohungen gegeben hätte. Nach dem Tod meiner Mutter hatten wir natürlich eine sehr schwere Zeit, aber ansonsten waren wir glücklich und unser Leben war nicht besonders kompliziert.« Meine Stimme bricht, als mir klar wird, dass ich glücklich soeben in die Vergangenheit gesetzt habe.

Ash nickt, als hätte ich seine Vermutung bestätigt. »Die Ereignisse liegen sehr weit auseinander. Die Flucht deiner Eltern, der Tod deiner Mutter und jetzt die Ermordung deiner Tante.«

Unsicher sehe ich ihn an. »Dann glaubst du also nicht, dass die Löwen die ganze Zeit über hinter uns her waren?«

»Ich behaupte nicht, dass es nicht sein kann, aber es hätte während der vergangenen fünfundzwanzig Jahre doch viele ihrer Ressourcen gebunden. Daher ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass die neusten Angriffe von einem anderen Ereignis ausgelöst wurden, das den Löwen Erkenntnisse oder Informationen über deine Familie geliefert hat. Korrigier mich, wenn ich falschliege, doch unseren früheren Gesprächen nach zu urteilen, hast du dein bisheriges Leben in ein und derselben Kleinstadt verbracht, an einem abgelegenen Ort, an dem ihr euch nicht verborgen habt, sondern gut integriert wart.« Er wartet auf Widerspruch, und als der ausbleibt, fährt er fort. »Für mich hört sich das nicht so an, als wärt ihr bedrängt worden; es klingt, als wärt ihr in Sicherheit gewesen.«

Ich kaue an meinem Daumennagel und suche nach möglichen Denkfehlern in Ashs Theorie, finde aber keine. »Nehmen wir an, du hast recht. Wie haben sie dann meine Tante aufgespürt? Was hat sich geändert?«

»Genau darauf will ich hinaus – irgendetwas hat sich geändert«, bestätigt Ash. »Und der Grund dafür hängt meiner Meinung nach unmittelbar mit dem zusammen, was dein Vater jetzt gerade tut.«

Nicht zum ersten Mal packt mich die Angst um meinen Dad so stark, dass mir die Luft wegbleibt. Immerhin ist Dr. Conner weg, rede ich mir gut zu, und ich kann frei entscheiden, ob ich die Akademie verlassen will. Doch im selben Moment, in dem ich das denke, wird mir auch schon schlecht. Dr. Conner ist nicht einfach nur weg, er ist tot, und sein Tod hing in jeder Hinsicht mit mir zusammen.

Ashs Blick ist beinahe entschuldigend. »Du hast ganz schön viel durchgemacht, trotzdem kann ich nicht genug betonen, wie wichtig es ist, dass morgen alles glattläuft. Noch sind wir nicht draußen.«

Bei dem Wort wir verlässt mich schon wieder der Mut. Ash will mir dabei helfen, meinen Vater zu finden – ein Angebot, das vielleicht seinen Tod bedeuten kann.

»Keiner darf wissen, dass wir die Schule verlassen«, sagt er ruhig. »Du gehst wie immer mit Layla zum Unterricht, isst im Speisesaal zu Mittag und lernst dann in der Bibliothek, als wäre alles vollkommen normal.«

Ich sehe ihn spöttisch an. Als ob es an dieser Schule jemals normal zugegangen wäre. »Du findest also, ich habe ›ganz schön viel durchgemacht‹, hm? Das nenne ich doch mal die Untertreibung des Jahres«, witzle ich und hoffe, er merkt nicht, wie durcheinander ich bin. »Nicht zu glauben, dass ich noch vor einem Monat keine Ahnung von der Existenz dieses bizarren Internats hatte, geschweige denn von der Strategia überhaupt.« Ich zeige auf den Raum, in dem wir sitzen. »Und jetzt bin ich schon ein halbes Dutzend Mal nur knapp dem Tod entgangen, wurde noch dazu des Mordes beschuldigt, und trotzdem stecke ich jetzt mehr denn je in Schwierigkeiten, weil mein Dad von sogenannten Attentätern und Familien gejagt wird, die einer Geheimgesellschaft angehören. Und die sind natürlich derartig mächtig, dass sie schon seit Tausenden von Jahren das historische Weltgeschehen beeinflussen. Nicht die besten Aussichten, schätze ich.« Ich werfe Ash einen flehentlichen Blick zu. Hoffentlich spielt er das umgehend herunter. Denn wenn er das nicht tut, wird der Rest meiner Nacht garantiert auch noch von Albträumen bestimmt.

»Es wäre falsch, dir zu sagen, dass es einfacher wird«, sagt er und ich seufze resigniert. »Denn es wird wahrscheinlich sehr viel schlimmer werden.«

»Na, das ist ja mal ein Trost.«

Ash lächelt leise. »Ich tröste dich, sobald ich mir sicher bin, dass wir nicht sterben werden.«

Das bringt mich gegen meinen Willen zum Lachen. »Das ist buchstäblich das Schlimmste, was du hättest sagen können. Hast du noch nie davon gehört, dass Notlügen Leben retten? Deswegen soll man jemand anderem ja auch immer versichern, sein Outfit sähe gut aus, ganz egal, ob es stimmt.«

»Dein Outfit sieht gut aus«, wiederholt er brav und seine Augen funkeln belustigt.

»Stimmt!« Ich blicke auf meine zerknitterte Schuluniform, die aus einem weißen Leinenhemd, schwarzen Leggins und schwarzen Schnürstiefeln besteht. »Damit könnte ich glatt einen Piratenkostümwettbewerb gewinnen.«

Ashs Mund verzieht sich schon wieder zu einem Lächeln, aber er wirkt mehr als nur amüsiert. Er schaut mich an, als wäre ich der ungewöhnlichste und interessanteste Mensch, dem er je begegnet ist.

»Und überhaupt …«, setze ich nach, »seit wann sorgst du dich so wegen möglicher Gefahren? Bist du sonst nicht immer derjenige, der nichts ernst nimmt? Du fällst komplett aus der Rolle«, beschuldige ich ihn und werde gleichzeitig ein bisschen rot, weil er mich weiterhin unverwandt anschaut.

»Ich sorge mich wegen möglicher Gefahren, seit ich Gefühle für die beteiligte Person entwickelt habe«, sagt Ash und seine Antwort erwischt mich kalt.

Dass er mal ernst wird, kommt immer unerwartet, und so schweigen wir einen Moment lang – wobei mir bewusst wird, wie dicht wir beieinandersitzen. Die Luft zwischen uns ist schwer und warm vom Kaminfeuer.

»Brendan«, sagt Ash plötzlich und macht damit jäh die Stimmung kaputt.

»Hä?« Da komme ich jetzt gerade nicht mit.

»Behalte Brendan morgen im Auge.« Er spricht leise und mit Bedacht. »Da Nyx vorübergehend außer Gefecht gesetzt ist und sowohl Charles als auch Dr. Conner tot sind, bin ich mir nicht ganz sicher, was die Löwen als Nächstes tun werden. Brendan ist eine ihrer letzten Waffen hier. Es wäre dumm, wenn wir ihm auf die Sprünge helfen, weil er merkt, dass wir verschwinden wollen.«

Mir schwirrt der Kopf, als ich mir alle Ereignisse der vergangenen Woche in Erinnerung rufe: Charles’ Tod, nachdem er versucht hatte, mich zu ermorden; Nyx im Gefängnis, weil sie mich mit dem Schwert durchbohren wollte. Und jetzt warnt mich Ash davor, Brendan könnte da weitermachen, wo die anderen aufgehört haben. »Gibt es nicht vielleicht eine Grundregel, die besagt, dass es schlechter Stil ist, jemanden nach einer Attacke sofort wieder anzugreifen?«

Ash lehnt sich gegen die Sofakissen. »Nicht wenn du zur Strategia gehörst. Im Grunde macht es dich zu einem noch interessanteren Ziel.«

Na toll – seine Antwort klingt in meinen Ohren wie eine echt verdrehte Version des alten Spruchs Übung macht den Meister. Ich schnappe mir eins der grauen Samtkissen vom Sofa und drücke es an meine Brust. Ein Blick zu Ash genügt und schon wird mein Hirn wieder von Bildern aus dem Albtraum geflutet. Er hat Conners Versuch, ihn zu vergiften, zwar überlebt, aber nur knapp. Was passiert beim nächsten Mal? Könnte ich überhaupt noch in den Spiegel schauen, wenn Ash meinetwegen verletzt oder sogar getötet würde? Als er angeboten hat, alles stehen und liegen zu lassen, um mir bei der Suche nach meinem Vater zu helfen, klang das zunächst aufregend, sogar romantisch. Jetzt verursacht mir der Gedanke Magenschmerzen.

Ich starre auf die schwächer werdenden Flammen im Kamin. »Das ist es ja gerade, ich bin das Ziel. Du hingegen musst es nicht sein.«

»Was schlägst du also vor?«, fragt Ash verunsichert.

Er wartet einige Augenblicke lang auf eine Antwort, aber ich bin zu sehr in meine verworrenen Gedanken verstrickt. Also mustert er mich von Kopf bis Fuß. »Du lehnst dich von mir weg, November, das heißt, du versuchst dich zu schützen. Und du reibst dir mit dem Daumen über die Handfläche, eine Geste der Selbstberuhigung. Ich kann jetzt weiter deine Körpersprache deuten, aber einfacher wäre es, wenn du mit mir redest.«

Ich lasse den Blick von den tanzenden Flammen zu Laylas Schlafzimmertür schweifen. »Hör zu: Ich bin dir unglaublich dankbar, dass du mitkommen willst, um meinen Dad zu suchen. Aber du zahlst einen hohen Preis dafür, Ash. Als Erstes ist da Layla, die du im Stich lässt. Wenn deiner Schwester etwas zustößt, während du weg bist, wirst du dir das nie verzeihen und mir auch nicht. Und umgekehrt gilt dasselbe für Layla, falls dir etwas passiert.«

»Dann kommen wir am besten heil wieder zurück«, entgegnet Ash und sieht mich neugierig an.

»Zweitens«, fahre ich fort, ohne auf Ashs flapsige Antwort einzugehen, »was wird deine Familie davon halten?« Angesichts der Macht, die Brendan und die Löwen haben, mag ich mir die Konsequenzen für Ashs Familie gar nicht ausmalen, wenn er sich den Löwen entgegenstellt. »Bringst du dich damit denn nicht in eine sehr angreifbare Lage?«

Ash lächelt, aber ich sehe ihm an, dass ihm dieser Punkt ebenfalls Sorgen bereitet. »Falls wir Erfolg haben, ist nichts davon ein Problem.«

»Mir ist es ernst. Gerade eben noch hast du mir erzählt, wie gefährlich unser Vorhaben ist und wie leicht wir sterben könnten. Wir haben keine Ahnung, was uns da draußen erwartet. Wir haben keine Ahnung, ob die übrigen Mitglieder der Strategia von meiner Existenz wissen …«

»Ich nehme stark an, dass mehr Leute über dich Bescheid wissen, als du denkst«, sagt er ruhig.

Ich starre ihn an. Das ist doch hoffentlich ein Witz?

»Einige Schüler hier – zum Beispiel Matteo – haben dich in dem Augenblick erkannt, in dem du das Gebäude betreten hast. Wir müssen damit rechnen, dass es anderen genauso geht«, bestätigt Ash meine unausgesprochenen Befürchtungen. »Außerdem hat Aarya der gesamten Schule erzählt, wer deine Eltern sind. Die Kommunikation zwischen der Akademie und der Außenwelt wird zwar überwacht und ist meist zeitverzögert, aber es ist durchaus möglich, dass die Nachricht die Runde macht, ehe wir deinen Vater finden. Ganz zu schweigen davon, welche Flut an Vermutungen unser morgiges Verschwinden auslösen wird. Vielleicht denken die anderen, Blackwood hätte uns nach den jüngsten Ereignissen erlaubt, unsere Familien zu sehen. Aber es ist genauso wahrscheinlich, dass sie nach den Mordanschlägen der Löwen von einem Rachefeldzug ausgehen. Wie ich also vorhin schon gesagt habe: Niemand darf etwas wissen, ehe es nicht absolut notwendig ist.«

»Na, siehst du«, sage ich mit Nachdruck, »wenn du mir hilfst, hängst du auf jeden Fall mit drin.«

»Ich habe dir bereits geholfen.«

»Ja, an der Akademie. Aber hier sind wir isoliert und geschützter. Da draußen bist du ein Mitglied der Wölfe, das aktiv die Pläne der Löwen zu durchkreuzen versucht. Du hast dich dein Leben lang angestrengt, um dich selbst als potenzieller Anführer unter Beweis zu stellen. Was ich vorhabe, ist ein verrücktes Unterfangen und kann das alles mit einem Schlag zunichtemachen.«

Ash seufzt, als würde ich nicht kapieren, worum es eigentlich geht. »Aber wenn ich dich in einer Welt herumstolpern lasse, von der du keine Ahnung hast, und tatenlos zusehe, wie du dich ganz allein der mächtigsten Familie der Strategia entgegenstellst, kann ich meine künftige Führungsrolle auch gleich aufgeben. Denn ich werde immer wissen, dass ich im entscheidenden Moment nicht da war.«

Ihn anzusehen, zerreißt mich fast, denn einerseits habe ich Angst davor, was ihm zustoßen könnte, und andererseits möchte ich ihn unbedingt bei mir haben. »Wenn du mit mir kommst, wirst du vielleicht keine Gelegenheit mehr haben, deinen Abschluss an der Akademie zu machen und erst recht nicht, eine Familie anzuführen.«

»Und genauso gut könnte ich niemals lernen, akzentfrei Französisch zu sprechen. Es gibt eben Dinge, die man für sich akzeptieren muss«, entgegnet Ash und wieder stiehlt sich dieses Lächeln auf sein Gesicht.

»Ash …«

»November«, erwidert er, nimmt meine Hand und seine warmen Finger lassen eine Gänsehaut meinen Arm hinaufwandern. »Ich bin mir der Gefahr bewusst. Ich weiß sehr wohl, welche Risiken wir eingehen. Aber an meiner Entscheidung ändert das nichts. Ich komme mit dir.«

Zwei

Frühmorgendliches Licht fließt an den Rändern der schweren Vorhänge vorbei, und ich liege wach in meinem Himmelbett und beobachte, wie das Zimmer langsam sichtbar wird. Noch vor Kurzem ging es mir gewaltig auf die Nerven, dass es hier keinen Strom gibt und alles so düster ist. Ich fühlte mich isoliert in dieser Burg, mitten im Wald, weit weg von allem, was ich kannte und liebte. Doch jetzt wird mir schlagartig klar, dass ich mich nicht länger eingesperrt fühle. Keine Ahnung, wann sich das geändert hat, wann ich mich geändert habe. Ich komme mir nicht mehr fehl am Platz vor, wie es am Anfang der Fall war.

Ich ziehe die Vorhänge auf und lasse das dämmrige Licht herein. Im Zimmer ist es eiskalt und meine dicken Socken bringen auf dem Steinboden nicht viel. Ich gehe rüber zu der antiken Kommode, auf der ein Wasserbecken steht und ein frisches Handtuch bereitliegt, spritze mir etwas Wasser ins Gesicht und betrachte mich im Spiegel. Der Bluterguss unter meinem Auge, wo mir Matteo eine verpasst hat, ist kaum mehr zu sehen. Die Schnitte an meinen Armen und Beinen sind rot, fangen aber an zu heilen. Die verdanke ich Felix, der mich im Rankengarten vom Baum gestoßen hat. Die Prellung am Kiefer ist hingegen dunkler als gestern und mir tut alles weh – aber das sind nur Kleinigkeiten verglichen mit der Aufgabe, meinen Dad aufzuspüren.

Ich betrachte die Bäume draußen vorm Fenster. Zwischen den Ästen wirbeln die ersten Schneeflocken herab. »Schnee«, flüstere ich, und augenblicklich packt mich das Heimweh nach Pembrook und Emily und unseren winterlichen Eskapaden. Erst da kapiere ich, was heute für ein Tag ist. »20. Dezember«, sage ich laut und mir schnürt sich die Brust zu.

 

»20. Dezember!«, brüllen Emily und ich aus den Rücksitzfenstern von Dads Auto. Die fünfzehn Zentimeter Schnee bringen die Bäume zum Glitzern und der zentrale Platz unserer Stadt sieht so idyllisch wie auf einer typischen Neuengland-Postkarte aus.

»Was meint ihr? Sollen wir rodeln gehen?«, fragt Dad vom Fahrersitz.

»Also …« Emily schaut mich verschwörerisch an. »Wir dachten, wir könnten vielleicht rüber zum Eastbury-Teich und Schlittschuh laufen, wenn Sie uns dorthin fahren würden.«

»Frühstück, dann Schlittschuh laufen, dann heiße Schokolade, dann rodeln«, stimme ich in Emilys Begeisterung mit ein. »Danach bestellen wir uns eine Riesenpizza, vielleicht sogar zwei Riesenpizzas, und fahren durch die Gegend, um uns in den reichen Vierteln die Weihnachtsbeleuchtung anzugucken.«

Dad parkt den Wagen vor Lucille’s Diner und stellt den Motor aus. »Es ist dein Tag, Nova. Egal was ihr Mädels machen wollt, ich bin dabei.«

Im Winter nach meinem sechsten Geburtstag und ein paar Monate nach Moms Tod hat Dad für den 20. Dezember ein Winterfest ins Leben gerufen, unser ureigener, selbst erfundener Feiertag, der weder eine Verbindung zu früher hatte noch nostalgisch sein sollte, damit er uns nicht an unseren Verlust erinnert. Emily ist von Anfang an dabei gewesen. Und obwohl es prima ist, wenn der Zwanzigste auf ein Wochenende fällt, ist es tausendmal besser, wenn es ein gewöhnlicher Schultag ist und unsere Eltern uns erlauben zu schwänzen.

Emily und ich springen aus dem Wagen, unsere Stiefel knirschen auf dem frischen Schnee. Das breite Grinsen auf unseren Gesichtern wird von dem Wissen befeuert, dass wir etwas Tolles unternehmen, während alle anderen gerade Mathe haben.

 

Es klopft an meine Schlafzimmertür und ich wische mir das Gesicht mit dem Handtuch ab. »Herein.«

Pippa, das junge Dienstmädchen, das sich um Layla und mich kümmert, kommt mit frisch gebügelten Kleidern über dem Arm ins Zimmer.

»Guten Morgen …«, sagt sie zögerlich und in dem Gruß scheint eine unausgesprochene Frage mitzuschwingen. Sie legt eine schwarze Leggins und ein sauberes weißes Leinenhemd über die Truhe am Ende meines Bettes.

»Danke!« Ich versuche, möglichst munter zu klingen, merke aber selbst, wie angestrengt das wirkt.

Pippas Blick wandert zu meinen ramponierten Armen, die aus den hochgekrempelten Ärmeln meines Nachthemds hervorschauen. Sie schaut besorgt drein, und ich rolle rasch die Ärmel nach unten, was mich wieder an meinen Traum von vergangener Nacht erinnert. Dann versuche ich, sie möglichst entspannt anzulächeln, auch wenn ich kein bisschen entspannt bin. Wenn ich nicht mal Pippa davon überzeugen kann, dass es mir gut geht und alles wie immer ist, wird mir das bei meinen mit sämtlichen Täuschungsmanövern vertrauten Klassenkameraden ganz bestimmt nicht gelingen.

Auf halbem Weg zur Tür bleibt Pippa nochmals stehen und schaut mich an, als wollte sie etwas sagen, doch da kommt Layla herein und Pippa entschuldigt sich. Ich unterdrücke den Wunsch, mich von ihr zu verabschieden, sie zu umarmen und mich dafür zu bedanken, wie gut sie sich während meines Aufenthalts hier um mich gekümmert hat. Keiner darf wissen, dass wir die Akademie verlassen, rufe ich mir in Erinnerung.

»Ich richte es ihr aus«, sagt Layla leise, als sich die Tür zum Flur schließt. Obwohl sie einige Zeit im Kerker verbracht hat, wirkt sie so beherrscht und gelassen wie immer. Ihr langes dunkles Haar fällt ihr in glänzenden Wellen offen über die Schultern. »Ich persönlich finde dein überschwängliches Verhalten zwar ein bisschen fragwürdig, aber Pippa ist ein netter Mensch und würde sich sicher über ein Wort des Abschieds von dir freuen.« Es hat den Anschein, als hielte sie Höflichkeit schlichtweg für eine Formalität.

Ich nicke ihr dankbar zu.

»Da Ash und du ja schon heute Abend aufbrecht, wird es Zeit, sich Gedanken über den möglichen Aufenthaltsort deines Vater zu machen«, sagt sie und alle meine Sorgen sind auf einen Schlag wieder da. »Ist dein Vater der Typ, der sich für die Ermordung deiner Tante umgehend an seiner Familie rächen will? Oder wird er erst untertauchen, Informationen sammeln und sich für ein subtileres Vorgehen entscheiden?«

»Ich würde ja gern sagen, dass er nicht der Rachetyp ist«, entgegne ich und beiße mir nervös auf den Daumennagel. »Aber wenn ich eins an dieser Schule gelernt habe, dann, dass ich kaum etwas über meinen Vater weiß.« Ich schaue zu ihr auf. »So oder so plant er vermutlich was Gefährliches, sonst hätte er mich nicht hierhergeschickt.«

»Na schön, das ist doch schon mal ein Anfang.« Layla hat ihre typische nachdenkliche Miene aufgesetzt. »Falls er beschlossen hat, das Territorium der Löwen zu betreten, kann man das mit Gewissheit als gefährlich einstufen.«

Ich setze mich auf meine Bettkante. »Diese Schlussfolgerung hat mich die halbe Nacht lang wach gehalten.«

Layla streicht sich das Haar hinters Ohr und lässt sich neben mir auf dem Bett nieder. »Wenn er hinter den Löwen her ist, hält er sich wahrscheinlich irgendwo in Großbritannien auf. Dort haben sie ihr Hauptquartier, dort residiert Jag und dort sind ihre Verbündeten am stärksten.« Sie dreht sich zu mir. »Unsere Familie hat Kontakte nach England. Das hat jede Familie.« Sie hält kurz inne. »Ich mache mir jedoch Gedanken, ob diese Kontaktpersonen aus unserer Familie dir und Ash wirklich Beistand leisten werden. Nicht alle aus unserer Familie verabscheuen die Löwen so sehr wie wir.« Layla schaut mich an, als hätte sie gerade einen Entschluss gefasst. »Ohne Unterstützung werdet ihr jedoch nicht in der Lage sein, deinen Vater aufzuspüren.«

Ich suche in ihrem Gesicht nach einem Anhaltspunkt, um die tiefere Bedeutung hinter ihrer schlichten Aussage zu entschlüsseln. »Da hast du bestimmt recht, Layla. Was schlägst du denn vor?«

»Dass du deine Kontakte bei den Bären nutzt«, entgegnet sie.

»Aber die habe ich doch gar nicht.«

»Du vielleicht nicht, aber Matteo«, gibt Layla zurück und ich zucke unwillkürlich zusammen.

»Du erwartest ja wohl nicht ernsthaft von mir, dass ich Matteo um Hilfe bitte, oder? Das würde auch nichts bringen. Er hasst mich.«

»Ich habe nicht behauptet, dass es leicht wird, ich halte es aber für klug«, sagt sie sachlich.

Ich seufze. Diesen einen letzten »ganz normalen« Tag zu überstehen, hat sich gerade als noch ein bisschen komplizierter erwiesen, als mir lieb ist.

Drei

In Giftkunde lasse ich mich auf meinen Platz neben Layla gleiten. Der Klassenraum sieht aus wie die Kammer eines Alchemisten. Zum Heizen gibt es einen großen Kamin, und das Feuer darin wird auch dazu genutzt, giftige Substanzen zu erhitzen oder herzustellen. Zusätzlich verfügt der Raum über ein steinernes Becken mit Wasser. An der Academia Absconditi wird darauf verzichtet, uns Schüler mit Schutzbrillen gegen eventuelle explosive Giftunfälle auszurüsten – aber immerhin löschen sie das Feuer, falls wir uns aus Versehen selbst in Brand setzen. Das ist doch nett. Was mich wirklich schockiert, sind nicht die fehlenden Sicherheitsmaßnahmen an der Schule, sondern dass ich mich inzwischen schon an den risikofreudigen Lehrplan gewöhnt habe. Das alles ist derart absurd, dass ich mir nur mühsam ein Lachen verkneife – aber natürlich will ich jetzt keinesfalls die Aufmerksamkeit meiner Klassenkameraden auf mich lenken. Seit ich heute Morgen aus meinem Zimmer gekommen bin, folgen mir die Blicke von Schülern und Lehrern ohnehin auf Schritt und Tritt.

Ganz bestimmt hat Aarya eine Riesenshow abgezogen, als sie allen erzählt hat, meine Eltern seien das berühmte rebellische Romeo-und-Julia-Paar der Strategia – die erstgeborene Tochter der Bären, die mit dem erstgeborenen Sohn der Löwen durchgebrannt ist, um dann von Attentätern der Löwen gejagt zu werden. Dazu noch Rektorin Blackwoods flüchtige Bekanntgabe, Dr. Conner sei tot, und der Umstand, dass Ash und ich jede Menge unerklärlicher Schnitte und Prellungen haben. Kein Wunder, wenn dann alle über mich tuscheln.

»Setzt euch, meine Hübschen«, sagt Professor Hisakawa, so wie sie uns zu jeder Unterrichtsstunde in Giftkunde begrüßt. Unter ihrem stumpf geschnittenen Pony lässt sie den Blick durch den Raum schweifen. Ihre Augen funkeln enthusiastisch. »Wir befassen uns heute mit einem großartigen Thema. Ihr werdet keine Sekunde verpassen wollen.«

Aarya und Felix sitzen an dem Holztisch uns gegenüber. Pfeifend bringt Aarya die vor ihr stehenden Glasfläschchen und Gefäße, die mit verschiedenen scheußlichen Substanzen gefüllt sind, zum Kreiseln. Dabei schaut sie immer wieder süffisant zu Brendan, der ihr den Rücken zudreht. Offensichtlich freut sie sich diebisch darüber, wie sie mit dazu beigetragen hat, Dr. Conner zu Fall zu bringen. Was mich aber tatsächlich beunruhigt, ist etwas anderes: Wenn alle annehmen, dass Brendan an dem Mordkomplott gegen mich beteiligt war, warum hat das dann keine Konsequenzen für ihn? Schützt ihn sein Status als potenzieller Anführer der Löwen wirklich so gut oder gibt es nur keinen stichhaltigen Beweis dafür?

Ich nehme jetzt Felix ins Visier, der im Gegensatz zu Aarya sichtbar angespannt ist. Er sieht ähnlich mitgenommen aus wie Ash und ich, und so verkrampft, wie er dasitzt, vermute ich mal, dass ihm von unserem gemeinsamen Sturz alles genauso wehtut wie mir. Seit ich den Raum betreten habe, schaut er absichtlich nicht in meine Richtung. Fällt ihm wohl schwer, mich anzusehen. Schließlich hat er versucht, mich umzubringen, und ich habe ihm später dann auch noch das Leben gerettet.

»Atropa belladonna, auch ›tödlicher Nachtschatten‹ genannt«, sagt Hisakawa lächelnd und lässt einmal mehr ihre Begeisterung für Gifte durchblicken. »Die schaurige, tödliche Sirene eines jeden guten Giftmischers und eines der romantischsten Gifte, wenn ich das so sagen darf.«

Atropa …, denke ich und beginne wie immer ganz automatisch den Ursprung des Wortes herzuleiten. Atropa rührt sehr wahrscheinlich von der griechischen Göttin Atropos her, der ältesten der drei Schicksalsgöttinnen und verantwortlich für Zeitpunkt und Todesart eines Sterblichen – das wäre also der »tödliche« Teil des Begriffs. Und »bella donna« bedeutet schöne Frau auf Italienisch. Ich spähe kurz hinüber zu Brendan – Gift ist so ungefähr das Einzige, das er und seine Freunde bei mir noch nicht angewandt haben. Hätte sich ihm die Gelegenheit geboten, hätte er sicher auch das probiert.

Brendan sitzt allein an seinem Pult. Vor dem dunklen Holz und den Steinwänden sticht sein platinblonder Haarschopf ganz besonders hervor. Nyx ist nach ihrer Schwertattacke gegen mich noch immer nicht aus dem Kerker zurückgekehrt, und augenscheinlich ist sich Brendan ihrer Abwesenheit schmerzlich bewusst, denn sein Blick wandert regelmäßig zu dem leeren Stuhl neben sich und seine Stirn ist gerunzelt. Mich sieht er nicht an, er kneift jedoch die Augen zusammen. Bestimmt ist ihm nicht entgangen, dass ich ihn beobachte. Prompt tritt mir Layla unter dem Tisch gegen das Schienbein, was wohl heißen soll: Sei nicht so dumm, Brendan anzustacheln, wenn es doch nur darum geht, diesen einen Tag noch gut zu überstehen.

Also schaue ich wieder zu Hisakawa, die mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor dem großen Kamin steht und auf den Fußballen vor- und zurückwippt. »Das Faszinierende ist, dass es kaum historische Aufzeichnungen über Vergiftungen durch Tollkirsche gibt. Aber wie dem auch sei: Meine persönliche Favoritin ist die Giftmischerin Giulia Tofana aus dem 17. Jahrhundert. Sie stellte Aqua Tofana her, ein Kosmetikum, das sie jahrzehntelang ausschließlich an Frauen verkaufte und ihnen damit half, ihre Ehemänner umzubringen. Statt es auf die Haut aufzutragen, rührte man dieses Schönheitsprodukt in die Suppe oder den Wein. Als Giulia Tofana überführt und hingerichtet wurde, ging man von über 600 vergifteten Männern in ganz Italien aus, bei deren Ermordung sie geholfen haben sollte.« Hisakawa seufzt andächtig, als hätte sie eben ein besonders berührendes Gedicht vorgetragen.

»Und jetzt sagt mir bitte, warum ich mich für ein Gift begeistere, für dessen Verwendung es so wenige Lernbeispiele gibt!«

Aarya lehnt sich lässig in ihrem Stuhl zurück. »Weil Atropa belladonna leicht zu beschaffen ist, denn es wächst überall auf der Welt.«

»Woraus man eigentlich die logische Schlussfolgerung ziehen müsste, dass es besonders viele belegte Fälle von einer Vergiftung mit Tollkirsche geben müsste, nicht besonders wenige«, wirft Hisakawa ein.

»Genau!«, erwidert Aarya, als hätte sie gerade einen Hauptgewinn auf dem Jahrmarkt gezogen. »Das ist ja gerade das Fantastische daran. Tollkirsche ist überaus wirksam. Verknüpft man das mit dem Umstand, wie leicht sie sich beschaffen lässt, wird klar, dass diejenigen, die sie einsetzen, meist unentdeckt bleiben.«

»Vollkommen richtig!«, bestätigt Hisakawa und stellt sich vor Entzücken auf die Zehenspitzen. »Und warum bleiben die Nutzer der Tollkirsche unentdeckt?«

Layla öffnet den Mund und will gerade antworten, da kommt ihr Brendan zuvor. »Weil die Tollkirsche nicht einzig und allein zum Töten verwendet wurde. Frauen rieben sich den Saft in die Augen, wodurch sich ihre Pupillen erweiterten, was damals in Mode und daher ein erwünschter Effekt war. Vermischt mit Morphium erzeugt es einen schläfrigen Zustand, der als ›Dämmerschlaf‹ bezeichnet und zur Schmerzlinderung bei gebärenden Frauen angewandt wurde. Und auch heute nutzen wir Atropa belladonna noch immer in diversen Arzneien, um Krankheiten von Parkinson bis hin zu Bronchitis zu behandeln.«

»Ausgezeichnet«, lobt ihn Hisakawa, und Layla ist sichtlich enttäuscht, dass sie keine Gelegenheit hatte zu antworten. »Die Tollkirsche ist gewöhnlich, und gerade deshalb übersieht man sie oft als Todesursache. Stattdessen wird der Tod einer Überdosis oder einer übermäßigen Nutzung einer Arznei zugeschrieben. Oder auch einem illegalen Schlafmittel.«

Brendan sonnt sich in Hisakawas Lob, und mir fallen die Schriftrollen in der Bibliothek ein, auf denen die besten Schüler in jedem Unterrichtsfach während der vergangenen tausend Jahre verzeichnet sind. Wer sich an der Akademie nicht hervortut, den hält man für ungeeignet, eine Familie anzuführen. Das weiß ich von Ash. Selbst wenn man hier angenommen wurde, hat man sich damit noch lange nicht ausreichend unter Beweis gestellt.

Hisakawa fährt mit den Fingern den Rand ihres Pults entlang und lehnt sich dann dagegen. »Unser heutiges Thema ähnelt dem, was ich euch vergangene Woche im Unterricht erzählt habe. Schlagt Kapital aus dem, was sich in eurer Umgebung befindet. Täuscht. Genau das hat Giulia Tofana mit ihren für Ehemänner tödlichen Kosmetika getan. Aber hier geht es nicht nur ums Giftmischen, es geht auch darum, einen möglichen Giftanschlag aufzudecken. In einer Situation, in der alles ganz normal scheint, in der alles genau so ist, wie es sein sollte, seid ihr am verletzlichsten.« Hisakawa sieht mich an, und ich erwidere ihren Blick, versuche, aus ihrer Miene schlau zu werden. Ist das ein weiterer Hinweis für mich? Es wäre nicht das erste Mal, dass sie abschweift, um mir eine Botschaft von Rektorin Blackwood zu übermitteln.

Wie aufs Stichwort schwingt die Tür auf und Blackwood kommt herein. Hinter ihr fällt die Tür wieder ins Schloss. Ihr Haar ist straff zu einem hohen Dutt frisiert, und sie trägt ihre Uniform, die aus einer weißen Rüschenbluse, einem schwarzen Blazer und einer dazu passenden schwarzen Hose besteht. »Bitte entschuldigen Sie die Unterbrechung, Professor Hisakawa. Aber es gibt da eine Angelegenheit, die ich ohne Aufschub klären möchte, wenn Sie nichts dagegen haben.«

Layla schaut mich besorgt an.

»Aber gewiss«, antwortet Hisakawa und weist mit einer Handbewegung auf den Unterrichtsraum, als wolle sie ihn der Rektorin zur Verfügung stellen.

Die schwere Holztür öffnet sich noch einmal quietschend, und Nyx tritt ein, gefolgt von zwei Wachen. Oh nein. Mir rutscht das Herz in die Hose und ich sinke auf meinem Stuhl in mich zusammen. Nyx’ Locken sind schlaff, und trotz ihres tätowierten Lidstrichs machen die dunklen Ringe unter ihren Augen den Eindruck, als hätte sie seit Wochen nicht geschlafen. Ihre Miene ist verhärmt und sie lässt die Schultern hängen.

Brendan stößt sich mit seinem Stuhl nach hinten, als wollte er aufstehen und ihr helfen, doch Blackwood sieht ihn nur an und er erstarrt mitten in der Bewegung.

Die Wachen halten Nyx nicht mal fest. Was für ein furchtbarer Albtraum muss der Kerker sein, um einen so hitzigen und trotzigen Menschen, wie sie es ist, zu bezwingen.

»November«, sagte Blackwood, und ich wünschte, ich könnte mich unter dem Pult verkriechen. Das Einzige, was an der Akademie noch verstörender ist als der Kerker, ist das Auge-um-Auge-Prinzip. »Komm nach vorne.«

Ich schiebe meinen Stuhl zurück und durch die unheimliche Stille im Raum klingt das Geräusch besonders laut. Alle blicken mich an.

»Zeig uns deinen Arm«, sagt Blackwood. Zögerlich kremple ich mein weißes Leinenhemd hoch und entblöße einen zehn Zentimeter langen Schnitt, aus dem gerade erst die Fäden gezogen wurden.

Blackwood wendet sich zu Nyx. »Du hast dein stumpfes Übungsschwert im Unterricht gegen eine scharfe Klinge getauscht, Nyx. Soweit ich es mithilfe deines Lehrers ermitteln konnte, wolltest du November damit töten. Für diesen Angriff hast du einige Zeit im Kerker verbracht. Doch da gibt es noch immer die Wunde, die du ihr zugefügt hast. Unsere Regeln sehen vor, dass November jetzt die Gelegenheit zur Rache bekommt.« Blackwood streckt die Hand aus, und einer der Wachmänner zieht ein zusammengerolltes Stück Leder aus seinem Gürtel und reicht es ihr. Als die Rektorin es entrollt, spiegelt sich das Kaminfeuer in der Klinge eines Messers.

Blackwood hält mir die Waffe hin und ich nehme sie langsam entgegen. »Auge um Auge, November. Du kannst ihr denselben Schnitt am Arm zufügen wie sie dir. Etwas anderes ist nicht erlaubt.« Sie sieht mich warnend an.

Unwillkürlich schaue ich zu Layla. Vielleicht verrät mir ihre Miene, wie ich mit dieser Albtraumsituation umgehen soll. Doch Laylas Gesicht ist vollkommen ausdruckslos und sie blickt stur geradeaus zur Rektorin.

Ich mustere erst das Messer und dann Nyx. Sie erwidert meinen Blick, und obwohl sie ganz offensichtlich kurz vorm Zusammenklappen ist, richtet sie sich auf und schaut mich stolz an. Was es an ihrem Mordversuch ändern soll, wenn ich ihr wehtue, verstehe ich nicht. Damit sind wir definitiv nicht quitt. Aber ich kann mich auch nicht offen weigern, mich zu rächen. Das würde jeder hier als Schwäche auslegen. An meinem Haaransatz bilden sich Schweißperlen.

Blackwood bemerkt mein Zögern. »Das bedarf doch hoffentlich keiner weiteren Erläuterung, schließlich ist es nicht das erste Mal, dass ich dir das erkläre«, sagt sie und bezieht sich damit auf meinen zweiten Tag an der Akademie, als Matteo mir ins Gesicht geschlagen hat. »Du stehst nicht über den Regeln, November.«

Aarya saugt zischend die Luft ein und scheint sich prächtig zu amüsieren.

Das Messer in meiner Hand fühlt sich komisch an, ich spüre gar nicht das typische, vertraute Gewicht. Ich schaue zur Tür, und als ich wieder Nyx ins Auge fasse, wird mir ganz flau im Magen.

»Ich möchte das Messer untersuchen«, reißt diese mich aus meinen Gedanken. Auch wenn sie fix und fertig aussieht, wird durch ihren Tonfall sonnenklar, dass ihre Lebensgeister nicht erloschen sind. »Wir sind hier in Giftkunde. Vielleicht hat November irgendetwas auf die Klinge aufgetragen?«

Alle schauen jetzt zu Blackwood, die nicht sofort reagiert. Sie erwägt doch wohl nicht ernsthaft, Nyx das Messer zu überlassen? Ich trete von einem Bein aufs andere.

»Es sei dir gewährt«, sagt Blackwood und mir fällt das Messer vor Schreck beinahe aus der Hand.

Aarya schlägt sich vergnügt aufs Knie, Layla hingegen wird totenblass.

Blackwood nimmt mir das Messer weg und gibt es Nyx, die gemächlich Klinge und Griff untersucht. Sie schnuppert daran, reibt mit dem Finger darüber und hält das Metall ins Licht. Alle übrigen Schüler im Raum hocken mucksmäuschenstill auf den Stuhlkanten.

Plötzlich stürzt Nyx mit erhobenem Messer vorwärts. Ich hebe schützend den Arm, und die Wachen versuchen, sie zu festzuhalten, als sie von sich aus innehält und loslacht.

Brendan hinter mir kichert höhnisch.

»Ich nehme an, die Prüfung ist zufriedenstellend verlaufen?«, sagt Blackwood zu Nyx, ohne sie für ihren Angriff zu tadeln.

»Mehr oder weniger«, sagt Nyx, sieht dabei aber nicht Blackwood an, sondern mich. Erst als sie meine volle Aufmerksamkeit hat, führt sie das Messer an ihre Schulter, und ohne auch nur einen einzigen Laut von sich zu geben, ritzt sie sich die Haut auf. Dann verzieht sie den Mund zu einem höhnischen Grinsen, gibt Blackwood das Messer zurück und wischt sich die blutverschmierte Hand an ihrem Hemd ab, das sich augenblicklich rot färbt.

»So das wär’s«, sagt sie mit Blick auf mich. »Wir sind quitt. Du musst nicht länger zur Tür schauen, als wolltest du gleich losheulen und weglaufen.«

Ich verkrampfe mich innerlich. Wie zum Teufel hat Nyx es geschafft, mich in einer Situation blöd aussehen zu lassen, in der es eigentlich um ihre Bestrafung ging? Wenn ich jetzt nichts unternehme, sitze ich in der Tinte – dann weiß bald jeder in der Strategia, dass ich bei einer körperlichen Auseinandersetzung Beißhemmungen habe.

»Eigentlich«, sage ich langsam und klinge dabei hoffentlich nicht im Geringsten beklommen, »sind wir kein bisschen quitt, nur weil du dich selbst verletzt hast. Im Grunde war das einer der dümmsten Schachzüge, die ich seit Langem erlebt habe.«

Layla wirkte gerade eben schon besorgt war, doch jetzt scheint es, als hielte sie vor lauter Anspannung buchstäblich die Luft an. Von Nyx’ linkem Arm tropft Blut und ihre Augen werden schmal.

Ehe Blackwood einschreiten kann, reiße ich ihr das Messer aus der Hand, stürze nach vorne, bremse kurz vor Nyx’ unverletzter Schulter, schlitze mit der scharfen Klinge den Stoff ihres Leinenhemds auf und füge ihr einen kleinen Schnitt zu. Nyx schnappt nach Luft und springt zur Seite.

Die gesamte Klasse beobachtet uns mit aufgerissenen Augen, und Nyx scheint nicht nur stinkwütend auf mich, sondern auch auf sich selbst zu sein, weil sie vor versammelter Mannschaft zurückgewichen ist.

Ich lache. »So, jetzt sind wir quitt. Denn jetzt schaust du zur Tür, als wolltest du gleich losheulen und weglaufen.«

Sie presst die Kiefer aufeinander und funkelt mich an, als würde sie mir am liebsten den Kopf abreißen. Und obwohl ich ihn nicht sehen kann, spüre ich Brendans bohrenden Blick im Rücken. Das war’s dann wohl mit dem ganz normalen Schultag.

Vier

Ich sitze auf einer der Bänke im Wandelgarten. Über meinem Kopf hängen die Äste voller Rispen mit scharlachroten Beeren, die im schwindenden Tageslicht leuchten, als würden sie von innen glühen. Zu meinen Füßen ragen die letzten der blauen, lilafarbenen und weißen Blumen in komplizierten Mustern aus dem Gras hervor. Der Gartenarchitekt der Akademie ist in meinen Augen ein echtes Genie. Als ich hier ankam, hat Layla mir erklärt, dass unter der Schule eine heiße Quelle verläuft und wir uns deshalb fast das ganze Jahr lang an Blumen erfreuen können. Ich schaue hoch zum Blätterdach der riesigen Bäume. Die Flocken vom Morgen sind bereits geschmolzen. Meine Anspannung aber hat sich noch immer nicht gelegt, und ich rupfe einen Grashalm aus und zwirble ihn zwischen den Fingern, schneller und schneller.

Am anderen Ende des Wandelgartens lungert eine kleine Gruppe Elementarschüler herum und unterhält sich in gedämpftem Ton. Keine Ahnung, zu welchen Familien sie gehören. Die Schüler hier kommen aus der ganzen Welt und sprechen viele Sprachen. Doch wer ich bin, wissen sie offensichtlich ganz genau, denn sie schauen immer wieder in meine Richtung und stecken dann die Köpfe zusammen, damit nichts von ihrem Getuschel zu verstehen ist.

Hinter dem bogenförmigen Durchgang aus Weinranken, der zur angrenzenden Freifläche führt, regt sich etwas, und ich vermute, dass auf der anderen Seite gerade die Umhänge von den Haken genommen werden – der Unterricht in Kampfkunst ist wohl zu Ende. Kampfkunst, Messerwerfen und Mentale Manipulation: Noch vor einem Monat hätte ich gelacht bei der Vorstellung, dass es solche Unterrichtsfächer überhaupt geben könnte.

Aarya und Felix treten als Erste durch den Rankengang und ich stehe von der Bank auf. Aaryas Augen beginnen zu leuchten, und sie streicht sich eine Strähne ihres welligen Haars nach hinten, die aus ihrem lockeren Pferdeschwanz gerutscht ist. »Sieh an, der Star meines Lieblings-Showacts von Burg Nirgendwo«, sagt sie laut genug, damit die Elementarschüler sich zu uns herumdrehen, und wechselt mitten im Satz von einem britischen Akzent zu einem amerikanischen, die sie beide perfekt beherrscht. Es gibt wahrscheinlich keinen Akzent, den Aarya nicht imitieren kann, daher lässt sich unmöglich sagen, wo sie aufgewachsen ist. Ich weiß nur, dass sie eine Schakalin und eine ernst zu nehmende Gegnerin ist. »Wenn du deinen Abschluss hast … also, ich meine, wenn du lange genug lebst, um deinen Abschluss zu machen, solltest du mit deiner Show durch die Welt tingeln. Für solche Spielchen, wie du sie mit Nyx abgezogen hast, würde ich persönlich gutes Geld bezahlen.«

Ich seufze entnervt. Aarya hat mir dabei geholfen, mit Conner fertigzuwerden. Also würde man normalerweise doch davon ausgehen können, dass wir nun Freundinnen sind. Aber so läuft es mit Aarya nicht. »Willst du dich noch weiter vor allen Leuten produzieren oder hast du für heute genug Aufmerksamkeit bekommen?«, frage ich trocken.

Ich habe den Satz gerade beendet, da taucht Brendan auf und sieht mich mit Aarya sprechen. Wir schauen uns an und in seinem Blick liegt eine unverhohlene Drohung. Will er damit etwa öffentlich kundtun, dass er mit seinen Mordanschlägen weitermachen wird? Und was dem Ganzen die Krone aufsetzt: Brendan ist mein Cousin, und während ich das bis vor ein paar Tagen noch nicht wusste, war es ihm die ganze Zeit über klar und es hat ihn nicht im Mindesten abgehalten.

»Da ist aber jemand stinkig«, sagt Aarya, die meinem Blick gefolgt ist, und schüttelt tadelnd den Kopf.

Felix ist zwar neben Aarya stehen geblieben, dreht sich jetzt aber demonstrativ von mir weg und verschränkt die Arme vor der Brust. Vielleicht will er sich davor schützen, sich mit mir abgeben zu müssen. Vielleicht will er aber auch nur nichts mit dieser Unterhaltung zu tun haben.

In dem Moment kommt Matteo von der Freifläche und geht zu der Tür, die nach drinnen führt.

Aaryas Augen beginnen zu funkeln, als hätte sie etwas Interessantes entdeckt. »Möglicherweise hast du aber Nyx und Brendan nur deshalb ans Bein gepisst, weil du keine Angst vor den Konsequenzen hast. Was wiederum nur daran liegen kann, dass du« – sie betrachtet ihre Fingernägel – »dass du uns sowieso bald verlässt?«

»Was?« Ich ersticke beinahe an dem Wort und versuche, mir den Schreck nicht anmerken zu lassen. »So gern ich auch noch hier bleiben und mir deinen Mist anhören würde, Aarya, ich muss leider los.«

Ihrem siegesgewissem Blick nach zu urteilen, ist es zu spät. Sie kennt die Wahrheit bereits. Statt mich also noch tiefer reinzureiten, folge ich Matteo nach drinnen. Hinter mir höre ich Aaryas schadenfrohes Kichern.

Heute hatte ich genau zwei Aufgaben: so tun, als wäre alles wie immer, damit die anderen nicht merken, dass ich vorhabe, die Akademie zu verlassen; und mit Matteo reden. Und obwohl der Unterricht für mich noch gar nicht zu Ende ist, habe ich eine Sache schon vermasselt.

Ich trete hinter Matteo durch die schwere Holztür, die in den Südflügelsaal führt. Bildtafeln in Form von Wappen schmücken die Wände. Von Layla weiß ich, dass die Tafeln an wichtige Verdienste der Strategia im Lauf der Weltgeschichte erinnern sollen. Mir allerdings wird bei ihrem Anblick hauptsächlich bewusst, wie wenig ich meine eigene Familiengeschichte kenne.

 

»Sie lassen mich gehen?«

»Ja, im Prinzip kannst du gehen«, sagt Blackwood zögerlich. »Allerdings muss ich dich erneut darauf hinweisen, dass du noch immer viel zu lernen hast und deine Fähigkeiten auf diversen Gebieten große Lücken aufweisen. Aber was noch wichtiger ist: Du hast fast keine Kenntnisse über die Strategia-Welt im Allgemeinen.«

»Mag sein, aber ich werde ganz bestimmt nicht hierbleiben, wenn mein Vater ganz auf sich allein gestellt ist. Schon gar nicht nach dem, was ich jetzt weiß«, wende ich ein. »Was hier mit Dr. Conner vorgefallen ist, bildet doch nur im Kleinen ab, was da draußen vor sich geht.«

»Die Schule hält sich aus der Strategia-Politik heraus«, behauptet sie, obwohl wir beide wissen, dass das nicht stimmt. »Und ich will nur noch einmal betonen: Es wäre klug, wenn du hier weitere Bündnisse eingehst und vor deinem Ausscheiden möglichst viel lernst.«

 

Ich beschleunige meine Schritte, um Matteo einzuholen. »Hey, kann ich mal kurz mit dir reden?«, frage ich und achte sorgfältig darauf, nicht zu laut zu sprechen. Die hohe Gewölbedecke verstärkt jedes Geräusch.

Matteo spannt die breiten Schultern an. »Würde ich lieber vermeiden«, sagt er und macht sich nicht mal die Mühe, mich anzusehen.

»Ich verstehe ja, dass du mir die Schuld an Stefanos …« setze ich an, als wir den Korridor betreten, der zum Schlaftrakt der Jungs führt.

Jetzt schaut Matteo mich an, oder besser gesagt, auf mich herab – er ist bestimmt fünfzehn Zentimeter größer als ich –, und der frustrierte Blick seiner braunen Augen erinnert mich an meine Tante Jo. »Stimmt, verdammt noch mal, das tue ich. Und auch wenn dich vielleicht keine unmittelbare Schuld an seinem Tod trifft, bleibt doch die Tatsache, dass mein bester Freund seit Kindertagen tot ist, weil du an diese Schule gekommen bist.«

Bei seinen Worten bleibe ich betroffen stehen und reibe mir knapp oberhalb der Augenbrauen die Stirn – eine unwillkürliche Geste, die Scham bedeutet, wie Ash mir mal erklärt hat. Und das trifft in diesem Moment ja wohl auch ziemlich genau zu. »Ich mag mir gar nicht ausmalen, wie es wäre, wenn jemand meine beste Freundin umbringen würde«, sage ich und bemühe mich, etwas einfühlsamer zu klingen. Allein der Gedanke, man könnte meiner lebenslustigen Emily etwas antun, bringt mich schon fast zum Weinen. »Ich wäre für immer voller Hass.«

»Ja genau, also dann …«, brummt er. Inzwischen stehen wir vor der Tür seiner Wohneinheit.

Wie soll ich jetzt bloß weitermachen? Ich kann ja schlecht sagen: Tut mir echt leid wegen Stefano, aber ich brauche deine Hilfe, könnten wir also mal kurz das Thema wechseln?

»Tut mir leid, dass ich dich nerve«, sage ich stattdessen. »Und es tut mir sehr leid wegen Stefano. Ehrlich.« In Gedanken suche ich fieberhaft nach einem Anknüpfungspunkt, damit Matteo mir zuhört. In drei Sekunden wird er in seinem Zimmer verschwinden und dann habe ich meine Chance vertan. »Eigentlich wollte ich mich nur verabschieden.«

Matteo schließt kurz die Augen, als würde ihn meine Gegenwart ermüden. »Ich bin nicht in der Stimmung für Spielchen.«

»Das ist kein Spielchen«, entgegne ich und vergewissere mich gleichzeitig, dass wir allein auf dem Flur sind. Dann halte ich kurz inne. Hoffentlich geht das nicht nach hinten los. »Ich verlasse die Akademie.«

Er schnaubt entnervt und blickt zur Wand. Nach weiteren drei Sekunden und einigem Kopfschütteln haut er mit der Faust gegen den Türriegel. Die Tür schwingt auf.

»Und, kommst du jetzt mit rein?«, sagt er mit deutlichem Unmut.

Ich verliere keine Zeit und schlüpfe durch die Tür in seinen Salon, in dem die schweren Vorhänge mitten am Tag zugezogen sind und ein Feuer im Kamin brennt.

»Nun sag schon«, knurrt Matteo, als könnte er mich nicht schnell genug loswerden.

Mit der Hand streiche ich meinen losen Zopf nach hinten über die Schulter, richte mich auf und nehme all meinen Mut zusammen. Nicht mal im Traum hätte ich damit gerechnet, an dieser Schule auf Familienmitglieder zu stoßen. Jetzt habe ich gleich zwei Cousins hier – Matteo und Brendan –, aber leider hasst mich der eine und der andere wünscht sich meinen Tod.

Ich zerbreche mir den Kopf, wie ich anfangen soll, ohne allzu plump zu klingen. Statt Matteo geradeheraus um Hilfe zu bitten, sage ich schließlich nur: »Ich verlasse die Schule, um meinen Dad zu suchen.«

Matteo knurrt verärgert. »Bist du etwa hier, um mit mir über deinen Vater zu sprechen, einen Löwen? Ist mir vollkommen schnurz, was mit ihm ist.«

Ich mache einen Schritt nach vorne. Die Vorstellung, dass mein Dad irgendwas anderes als fantastisch sein könnte, gefällt mir ganz und gar nicht. »Wenn du mir mal länger als zehn Sekunden zuhören würdest, würdest du verstehen, warum es dir ganz und gar nicht egal sein sollte. Ich hab diese Sache mit der Abstammung so satt. Du bist ein Bär. Er ist ein Löwe. Wen kümmert es? Manche Leute sind schrecklich und manche Leute nicht. Mein Dad ist einer der Guten. Aus. Ende.«

Matteo ballt die Faust, und ich rede rasch weiter, ehe er beschließt, mich rauszuwerfen.

»Nachdem meine Tante Jo gestorben ist – warte, streich das – nachdem unsere Tante Jo gestorben ist«, sage ich mit möglichst ruhiger Stimme, »hat mein Dad mich hierhergeschickt. Und ich glaube, danach ist er nach Europa gereist, um deswegen was zu unternehmen.«

»Was meinst du mit ›um deswegen was zu unternehmen‹? Um was für eine Art von Unternehmung geht es?«, will Matteo wissen. Sein Tonfall ist ungewohnt eindringlich. Das hier ist ihm keineswegs gleichgültig.

»Genau das will ich ja herausfinden«, antworte ich ebenso ernst. »Im Unterschied zu dir habe ich nun mal keine Ahnung von Familienpolitik, aber ich weiß genug, um sagen zu können, dass Jag …«

»Jag ist der Vater deines Vaters, dein Großvater.« Matteo bedenkt mich mit einem anklagenden Blick.

»Teilen wir ein paar Gene miteinander? Ja.« Vor lauter Rechtfertigungsdrang schraubt sich meine Stimme nach oben. »Aber wag es bloß nicht, anzudeuten, ich wäre ihm oder den Löwen auch nur im Geringsten ähnlich. Er hat meine Mom getötet und unsere Tante. Jetzt sind die Löwen hinter meinem Dad her. Und sie wollen auch mich umzubringen. Außerdem würden sie sich, so wie ich das sehe, darüber freuen, auch noch Layla, Ines und den Rest der besonders begabten Schüler an dieser Schule aus dem Verkehr zu ziehen, damit alle Mitglieder der Strategia sich ihrem Willen beugen müssen. Inzwischen zielt alles, was ich an dieser Schule so mache, nur noch darauf ab, sie zu stoppen.«

»Alles, was du bisher gemacht hast, diente nur dazu, deinen Arsch zu retten.«

Einen Augenblick lang bin ich still. So ganz stimmt das nicht, aber Matteo liegt auch nicht vollkommen daneben.

»Wie lautet also dein Plan? Die Löwen ganz allein herausfordern? Oder willst du mit deinem Verräter-Vater ein Team bilden?«, fragt er spöttisch. »Falls sie ihn nicht schon längst kaltgemacht haben.«

»Himmel noch mal, Matteo«, sage ich frustriert. »Kannst du auch noch was anderes als ein Arschloch sein? Ich soll Verständnis dafür haben, wie tief dich der Tod von Stefano getroffen hat, aber du kannst mir nicht nachfühlen, dass ich Angst um meinen Dad habe?« Ich schüttle missbilligend den Kopf. »Immerhin unternimmt er was. Immerhin unternehme ich was. Was tust du eigentlich?«

Matteos Miene verdüstert sich und er reibt sich mit der Hand über die Stirn. »Du hast recht«, antwortet er und entfernt sich dabei ein paar Schritte von mir. In seiner Stimme liegt keinerlei Schärfe mehr. »Das war unangebracht.«