Kinderaugen betteln um Liebe - Gert Rothberg - E-Book

Kinderaugen betteln um Liebe E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Sophienlust Extra Nr. Was geschah mit der kleinen Cornelia? Majas Augen füllten sich mit Tränen, als sie durch die Räume des hübschen Einfamilienhauses am Stadtrand von Frankfurt schritt, um Abschied zu nehmen. Der Anblick der Koffer und Taschen in der Diele schnürte ihr die Kehle zu. Hatte sie die richtige Entscheidung getroffen, als sie Kais Bitten, sie in das Innere des brasilianischen Urwaldes zu begleiten, nachgegeben hatte? Natürlich interessierte sie als Archäologin diese Forschungsreise sehr. Aber sie bedeutete zugleich eine wochenlange Trennung von ihrer kleinen Tochter. Cornelia war noch nicht einmal fünf Jahre alt. Noch nie hatte Maja sich von ihrem Liebling für längere Zeit getrennt. Würde das Kinderheim Sophienlust wirklich so ideal sein, wie ihre Freundin behauptet hatte? Und Cornelia? Würde sie sich dort einleben? Sollte sie nicht doch lieber hierbleiben? Aber würde Kai Verständnis zeigen, wenn sie ihre gemeinsamen Pläne noch in der letzten Minute über den Haufen warf? Maja schüttelte den Kopf. Unmöglich, das durfte sie ihm nicht antun. Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Höchste Zeit, dass sie losfuhren. Kai hatte schon am Nachmittag eine wichtige Verabredung in Hamburg. Sie hatten vor, von Sophienlust sofort weiterzufahren.

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Seitenzahl: 153

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Sophienlust Extra – 55 –Kinderaugen betteln um Liebe

Was geschah mit der kleinen Cornelia?

Gert Rothberg

Majas Augen füllten sich mit Tränen, als sie durch die Räume des hübschen Einfamilienhauses am Stadtrand von Frankfurt schritt, um Abschied zu nehmen.

Der Anblick der Koffer und Taschen in der Diele schnürte ihr die Kehle zu. Hatte sie die richtige Entscheidung getroffen, als sie Kais Bitten, sie in das Innere des brasilianischen Urwaldes zu begleiten, nachgegeben hatte? Natürlich interessierte sie als Archäologin diese Forschungsreise sehr. Aber sie bedeutete zugleich eine wochenlange Trennung von ihrer kleinen Tochter.

Cornelia war noch nicht einmal fünf Jahre alt.

Noch nie hatte Maja sich von ihrem Liebling für längere Zeit getrennt. Würde das Kinderheim Sophienlust wirklich so ideal sein, wie ihre Freundin behauptet hatte? Und Cornelia? Würde sie sich dort einleben?

Sollte sie nicht doch lieber hierbleiben? Aber würde Kai Verständnis zeigen, wenn sie ihre gemeinsamen Pläne noch in der letzten Minute über den Haufen warf?

Maja schüttelte den Kopf. Unmöglich, das durfte sie ihm nicht antun. Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Höchste Zeit, dass sie losfuhren. Kai hatte schon am Nachmittag eine wichtige Verabredung in Hamburg. Sie hatten vor, von Sophienlust sofort weiterzufahren. Und morgen Vormittag würde dann ihre Maschine nach Brasilien starten. Die Arbeit, die dort auf sie wartete, war genau das, was Kai und sie selbst sich seit langem erträumt hatten. Nur der Abschied von Cornelia hinderte sie daran, sich auf die wochenlange Zusammenarbeit mit Kai zu freuen.

»Mutti! Mutti!«, rief da eine helle Kinderstimme. »Ich möchte aber mein Fahrrad mit in das Kinderheim nehmen!«

»Cornelia, wie stellst du dir das vor?«, fragte Maja lächelnd. »Wir haben keinen Platz mehr im Auto. All diese Koffer müssen in den Wagen. Aber in Sophienlust gibt es gewiss auch Kinderfahrräder.«

»Aber kein so schönes himmelblaues, Mutti«, meinte das reizende kleine Mädchen mit den auffallend großen dunklen Augen und den goldblonden Haaren. »Außerdem will ich nicht in ein Kinderheim. Warum kann ich denn nicht mit euch mitfahren?« Die Kinderlippen begannen verdächtig zu zucken.

»Cornelia, in Brasilien ist es viel zu gefährlich für ein so kleines hübsches Mädchen«, mischte sich nun Kai Dahmen ein, ein großer schlanker Mann mit hellen Haaren und dunklen Augen. Seine Tochter sah ihm verblüffend ähnlich.

»Gefährlich? Warum denn, Vati?«

»Es gibt dort noch Menschenfresser, die besonders gern kleine Mädchen verspeisen«, erwiderte er lachend.

»Oh.« Staunend sah die Kleine ihn an. Als sie bemerkte, dass er schmunzelte, rief sie: »Ach, du machst ja nur Spaß!«

»Aber ja, Cornelia, Vati macht nur Spaß.« Maja warf ihrem Mann einen vorwurfsvollen Blick zu. Wie konnte er dem Kind so etwas erzählen? Denn in der Gegend, in der ihr Forschungsgebiet lag, gab es tatsächlich noch Kannibalen.

Kai zwinkerte sie an, dann sagte er: »Los, wir müssen fahren! Nein, nein, Maja, du trägst keinen der schweren Koffer. Wozu hast du einen starken Mann? Nimm die leichten Sachen.«

»Und ich trage deine Handtasche, Mutti«, bot sich das Kind an.

»Das ist lieb von dir.« Wehmütig lächelnd sah Maja die Kleine an.

Cornelia bemächtigte sich der Tasche und ihrer Lieblingspuppe Celia, Maja trug die Handkoffer zum Auto, und Kai hob mühelos den großen Schrankkoffer hoch und befestigte ihn auf dem Gestell auf dem Verdeck des Wagens.

Interessiert beobachtete ihn seine Tochter.

»Du, Vati, ich glaube, mein Fahrrad hat da oben auch noch Platz. Meinst du nicht auch?«

»Also gut, dann nehmen wir dein Fahrrad auch noch mit«, gab Kai lächelnd nach.

Maja musterte etwas später das Fahrrad neben dem Schrankkoffer kritisch. »Wenn das nur gut geht, Kai.«

»Es geht gut. Außerdem ist es ja nicht sehr weit bis Sophienlust. Wie heißt doch gleich das Nest, wo es liegt?«

»Wildmoos. Das Dorf liegt in der Nähe von Bachenau. Und Bachenau ist nur wenige Kilometer von der Kreisstadt Maibach entfernt«, klärte Maja ihn auf.

»Und wo liegt Maibach?«, fragte Kai fröhlich.

»Wir werden es schon finden, Vati«, meinte Cornelia, als sie in den Wagen einstieg.

Maja setzte sich neben Kai. Als sie losfuhren, blickte sie sich noch einmal nach ihrem Haus um. »Hoffentlich vergisst unsere Aufwartefrau nicht, die Blumen zu gießen, sonst verwelken sie alle«, sagte sie gepresst.

»Maja, Frau Koller war doch immer zuverlässig. Was du für Sorgen hast«, stellte Kai kopfschüttelnd fest. Er sah sie an und bemerkte ihre Tränen, die gewiss nicht den Blumen galten. Für einen Augenblick legte er seine Hand auf ihre Knie und bat leise: »Maja, bitte nicht. Es wird gewiss herrlich werden. Die Zeit wird wie im Fluge vergehen.«

Cornelia wiegte ihre Puppe hin und her. »Vielleicht gefällt es uns doch in dem Kinderheim«, flüsterte sie, sich selbst Mut zuredend. »Du, Mutti, aber wenn es Celia und mir dort nicht gefällt? Kommst du dann zurück und fährst mit mir nach Hause?«

Maja kämpfte mit den Tränen. Sie konnte nicht antworten. An ihrer Stelle sagte Kai: »Es wird dir dort bestimmt gefallen. Du wirst sicher gar nicht mehr fort wollen.«

»Das glaube ich nicht.« Cornelia drückte ihre Puppe zärtlich an sich. »Aber lange brauche ich doch dort nicht zu bleiben, nicht wahr?«

»Nein, mein Liebling, lange brauchst du dort nicht zu bleiben«, versprach Maja leise und hoffte, dass sie nicht länger als vier Wochen von ihrem Kind getrennt sein würde.

»Ich glaube, wir müssen hier von der Autobahn herunter«, überlegte Kai und fuhr langsamer.

»Meine Freundin sagte, man sähe von der Autobahn aus dieses Sophienlust im Tal liegen. Von Weitem sähe es aus wie ein Schloss. Dort unten ist tatsächlich ein Schloss! Ja, hier müssen wir abbiegen.«

Cornelia richtete sich auf. »Wo ist das Schloss? Ist das Kinderheim denn ein Schloss? Ein richtiges Schloss, in dem ein König wohnt?«

»Es ist ein schlossähnliches Gebäude, das im vorigen Jahrhundert erbaut wurde. Meine Freundin erzählte, es habe einer sehr lieben alten Dame gehört, Sophie von Wellentin. Diese hinterließ Sophienlust ihrem Urenkel Dominik. Der Junge soll jetzt ungefähr fünfzehn oder sechzehn Jahre alt sein. Bis zu seiner Volljährigkeit verwaltet seine Mutter den Besitz für ihn. Ja, und Sophie von Wellentin verfügte, dass Sophienlust in ein Kinderheim umgestaltet werden solle, in dem alle Kinder, die Hilfe benötigen, ein Zuhause finden sollen.«

»Brauche ich denn auch Hilfe?«, fragte Cornelia nachdenklich.

»Aber ja, mein Schatz, du brauchst Hilfe, weil wir beruflich verreisen müssen«, erwiderte ihr Vater vergnügt.

»Und wenn die Eltern der Kinder ganz arme Leute sind?«, wollte die Kleine wissen. »Dürfen sie dann auch dort bleiben?«

»Dann werden sie auch aufgenommen.« Maja lächelte ihre Tochter an. »Du kannst einem wirklich Löcher in den Bauch fragen.«

»Zeig doch mal, ob du schon ein Loch hast«, bat Cornelia ganz ernst. »Wenn du noch kein Loch hast, dann möchte ich dich noch fragen, ob auch Kinder, die keine Eltern mehr haben, dort aufgenommen werden.«

»Aber ja, Cornelia, gerade solche Kinder finden in Sophienlust Schutz und Hilfe. Es gibt in diesem Kinderheim mehrere Waisen, die für immer dort bleiben.«

»Wirklich? Ob sie sehr traurig sind, wenn sie keine Mutti und keinen Vati mehr haben?«, fragte die Kleine mitleidig. »Ich bin froh, dass ich noch Eltern habe. Ich will euch immer behalten.«

»Das sollst du auch.« Kai fuhr nun sehr viel langsamer.

Maja fühlte es wieder heiß in ihre Augen schießen. Entsetzlich, wenn ihre kleine Cornelia ein solches Schicksal erleiden würde. Aber wie leicht konnte ihnen in Brasilien etwas zustoßen. Sie hätte doch bei dem Kind bleiben sollen, überlegte Maja wieder.

Aber nun gab es natürlich kein Zurück mehr. Sie durfte Kai nicht enttäuschen. Außerdem war er auch auf ihre Hilfe angewiesen. Es wäre verantwortungslos von ihr, ihn im Stich zu lassen. Sie liebte ihn doch.

Während Maja von ihren schwermütigen Gedanken nicht loskam, fiel Cornelia von einer Aufregung in die andere. Es gab so viel Neues für sie zu sehen. Besonders die lustigen, kunstvoll geschnitzten Wegweiser, die von den amtlichen Wegweisern erheblich abwichen, hatten es ihr angetan.

Als Cornelia den ersten kurz nach der Abzweigung von der Autobahn auf der Landstraße erblickte, rief sie: »Vati, bleib doch mal stehen! Schau doch, wie lustig das kleine Mädchen mit den abstehenden Zöpfen und dem weiten Röckchen aussieht. Und vor dem Mädchen sitzt ein Dackel auf seinen Hinterbeinen. Er macht Männchen!«

»Wirklich hübsch!«, rief Maja.

»Was steht denn darauf, Mutti?«

»Kinderheim Sophienlust.«

»Na, dann sind wir ja auf dem richtigen Weg«, stellte Kai zufrieden fest und fuhr langsam weiter.

Cornelia blickte sich aufgeregt nach allen Seiten um. Als sie die Koppeln mit den Ponys entdeckte, vergaß sie ihren Kummer über den bevorstehenden Abschied von ihren Eltern völlig. »Die Ponys gehören auch zu dem Kinderheim?«, erkundigte sie sich. »Ich habe noch nie so viele Ponys auf einmal gesehen!«

»Mir scheint, wir sind tatsächlich gleich da«, erklärte Kai und machte seine Frau und seine Tochter auf einen zweiten holzgeschnitzten Wegweiser aufmerksam.

»Vati, wie lustig!«, rief die Kleine sofort. »Diesmal ist es ein Junge, der vor einem Vogelkäfig mit einem bunten Vogel darin steht.«

»Wenn ich mich nicht irre, handelt es sich bei dem Vogel um einen Papagei«, meinte Kai, der sich heimlich über seine Tochter amüsierte.

»Ja, Vati, es ist ein ganz bunter Papagei. Und er …, o Vati, schau doch mal! Dort vorn ist schon das Schloss.«

»Ich glaube, wir sind an unserem ersten Ziel«, sagte Maja bedrückt. Länger als eine Stunde wollten Kai und sie sich nicht in Sophienlust aufhalten. Dann würden sie sich von Cornelia für viele Wochen trennen und sie bei fremden Leuten zurücklassen.

Wieder wurden Majas Augen feucht. Verstohlen trocknete sie die Tränen. Kai verstand ihren Kummer und nickte ihr aufmunternd zu, sodass Maja sich zusammenriss.

»Mutti! Vati! Seht doch! Da ist wieder so ein Wegweiser! Der gefällt mir am allermeisten!«, rief die Kleine. »Seht doch! Es sind zwei Reiter! Ein Bub und ein Mädchen! Sind das Ponys?«

»Ja, die beiden Kinder reiten auf Ponys«, bestätigte Maja, als sie durch einen Torbogen fuhren und dann auf dem Gutshof stehen blieben. »Wie schön«, stellte sie begeistert nach einem Blick auf das Herrenhaus von Sophienlust fest. »Es scheint doch ein Schloss zu sein.«

»Ja, man könnte es als solches bezeichnen«, gab Kai zu. »Aber ich bezweifle, dass das das Kinderheim ist. Wahrscheinlich liegt Sophienlust weiter vorn.«

»Es ist wirklich erstaunlich still hier für ein Kinderheim«, erwiderte Maja. »Aber da kommt ja jemand. Ich will mal schnell fragen.« Sie kurbelte das Autofenster herunter und rief: »Bitte, entschuldigen Sie! Ist das hier Sophienlust?«

»Ja, das ist Sophienlust«, erwiderte die freundlich dreinblickende Dame höflich. »Ich bin die Heimleiterin Frau Rennert.«

»Wir sind angemeldet. Wir heißen Dahmen. Meine Tochter Cornelia soll für die nächsten Wochen hierbleiben.«

»Wir haben Sie schon erwartet«, entgegnete Frau Rennert. »Um diese Zeit sind die größeren Kinder noch in der Schule. Aber da ist unsere kleine Heidi. Sie ist im gleichen Alter wie Ihr Töchterchen. Nicht wahr, Cornelia ist vier?«

»Sie ist ungefähr vierundeinhalb«, erwiderte Maja und stieg aus. »Cornelia, komm«, bat sie das Kind, das keine Anstalten zum Aussteigen machte.

Cornelia drückte sich in die Ecke und schüttelte heftig den Kopf. »Ich will nicht!«, rief sie und begann zu weinen. Nun, wo sie am Ziel waren, wurde ihr der Ernst der Lage voll und ganz bewusst. »Ich will nicht hierbleiben! Ich will nicht!«, schrie sie und hob abwehrend ihre Händchen.

Maja konnte kaum ihre Tränen zurückhalten. Genau das hatte sie erwartet. »Komm, mein Liebling, sei vernünftig«, bat sie zärtlich.

»Nein! Nein!« Cornelia wehrte sich verzweifelt, als Maja sie gewaltsam aus dem Auto zog.

Frau Rennert schickte ein Dankgebet zum Himmel, als sie das Auto Denise von Schoeneckers erblickte, das in diesem Augenblick durch den Torbogen fuhr und vor der Freitreppe hielt.

»Mir scheint, ich komme gerade zur rechten Zeit«, sagte Denise nach einem Blick auf die Szene. »Guten Tag«, begrüßte sie zuerst den gut aussehenden Herrn, der etwas hilflos dastand. Dann stellte sie sich vor und wandte sich Maja zu.

Die beiden Damen begrüßten einander. Dann sagte die jüngere erregt: »Cornelia wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen, hierzubleiben. Kai, was soll ich nur machen? Ich befürchte, dass ich dich doch nicht begleiten kann. Wir können unser Kind doch nicht so verzweifelt zurücklassen. Wir …«

»Nur ruhig Blut, Maja«, meinte Kai und sah sie bittend an. »Cornelia wird sich schon beruhigen.«

Denise ergriff Cornelias Händchen und fragte liebevoll lächelnd: »Aber, Cornelia, warum weinst du denn so? Ich würde erst dann weinen, wenn ich festgestellt hätte, dass wir alle hier böse Menschen sind«, fügte sie in ihrer humorigen Art hinzu.

Cornelia hörte zu weinen auf und blinzelte die nette schwarzhaarige Dame erstaunt an. »Ich will aber bei meiner Mutti und meinem Vati bleiben«, erklärte sie eigensinnig.

»Bist du aber dumm!«, rief da die vierjährige Heidi, die inzwischen näher gekommen war. »Alle Kinder wollen gern in Sophienlust bleiben. Es ist doch so schön bei uns.« Sie sah Cornelia an. »Willst du mal unseren Papagei sehen?«

»Ich habe ihn schon gesehen. In dem Käfig auf dem Wegweiser.«

»Ach, den meine ich doch nicht. Der ist doch aus Holz. Ich meine einen richtigen lebendigen Papagei.«

Cornelia vergaß ihren Kummer. »Ein richtiger Papagei? Mit Federn und so? Ich meine, mit ganz bunten Federn?«

»Na klar. Er heißt Habakuk und spricht wie ein Mensch. Soll ich ihn dir zeigen?«, fragte Heidi verschmitzt.

»Ja, bitte.« Cornelias Neugierde war geweckt.

Die Erwachsenen atmeten erleichtert auf, als die beiden fast gleichaltrigen und gleichgroßen Mädchen Hand in Hand die Freitreppe hinaufliefen, um in den Wintergarten zu gehen.

»Bitte, kommen Sie doch auch weiter«, bat Denise das Ehepaar Dahmen. »Ich glaube, wir müssen noch einiges besprechen.«

Maja zögerte.

Denise ahnte, was sie bewegte, und sagte: »Wegen Cornelia brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Unsere kleine Heidi Holsten gehört zu unseren Dauerkindern. Sie hat beide Elternteile auf sehr tragische Weise verloren. Aber in ihrem Alter stellt man sich schnell um. Wenn Sie noch ein Weilchen Zeit haben, werden Sie auch unsere anderen Dauerkinder noch kennenlernen. Bitte, hier geht es entlang.«

Denise führte das Ehepaar in das Biedermeierzimmer.

»Wie hübsch!«, rief Maja impulsiv, als sie sich umblickte. »Die Biedermeiermöbel sind besonders schön. Meine Mutter besaß einen ähnlichen Sekretär.«

»Ich bin auch sehr stolz darauf«, gab Denise offen zu. »Nach dem Tod der früheren Besitzerin von Sophienlust ist in diesem Raum nichts verändert worden.«

»Ist das Sophie von Wellentin?«, fragte Maja interessiert und deutete auf das Gemälde, das eine bildhübsche junge Frau mit einem kleinen Jungen zeigte.

»Ja, das ist Sophie von Wellentin mit ihrem Sohn, der heute auch schon ein alter Herr ist. Er ist der Großvater meines Sohnes Dominik. Nick werden Sie nachher noch kennenlernen. Die Schulbusse müssten bald hier sein«, erklärte Denise nach einem Blick auf die Uhr.

»Schulbusse?« Fragend blickte Maja sie an.

»Wir haben eigene VW-Busse«, erläuterte Denise. »Ein Teil unserer Kinder besucht das Gymnasium in Maibach, und die kleineren Kinder gehen in die Dorfschule. Da Sophienlust sehr abgelegen liegt, ist es für die Kinder bequemer, in eigenen Schulbussen zur Schule zu fahren. Und auch sehr viel sicherer«, fügte sie noch hinzu.

Maja begegnete dem Blick der dunklen Frauenaugen und atmete erleichtert auf. Sie war fest überzeugt, dass Cornelia sich bei Denise von Schoenecker in den besten Händen befinden werde. Ihre Freundin hatte nicht übertrieben, als sie des Lobes voll gewesen war über Sophienlust und seine Bewohner.

»Ich bin sehr froh, dass Cornelia hierbleiben darf«, sagte sie impulsiv. »Besonders, weil ich dabei auch an die Zukunft denke. Es könnte doch sein, dass meinem Mann und mir etwas zustößt.«

»Aber, Maja, das ist doch Unsinn!«, rief Kai leicht aufgebracht.

»Kai, man muss auch daran denken. Unser Beruf führt uns oft in unerschlossene Gebiete, die viele Gefahren in sich bergen. Nicht wahr, Sie würden, sollte so etwas geschehen, Cornelia bei sich behalten?«, wandte sie sich wieder an Denise.

»Ja, Frau Dahmen, das verspreche ich Ihnen«, erwiderte Denise herzlich. Von Minute zu Minute gefiel ihr die junge Mutter besser. »Aber man soll nicht den Teufel an die Wand malen«, scherzte sie. »Ach, da kommt ein Imbiss!«, rief sie.

Eine der Praktikantinnen, die ihr Pflichtjahr in Sophienlust absolvierten, brachte Sandwiches und Obstsäfte. Frau Rennert hatte für diesen Imbiss gesorgt.

Maja und Kai griffen tüchtig zu. Dabei besprachen sie ausführlich alles Notwendige mit Denise. Dann wurde Maja aber unruhig. »Wo stecken denn die beiden kleinen Mädchen?«, fragte sie.

»Sie sind gewiss noch im Wintergarten bei Habakuk. So heißt unser sprechender Papagei. Nicht wahr, Sie wollen zu Ihrer Tochter?«

»Ja, denn wir müssen bald weiterfahren.«

Gemeinsam verließen sie den Salon.

Cornelias Wangen glühten vor Begeisterung, als sie sich zu Maja umdrehte und rief: »Du, Mutti, der Papagei kann genau wie ein Mensch sprechen. Oh, er sagt so komische Sachen. Sag mal was, Habakuk«, bat sie den bunten Vogel.

Als Habakuk dann krächzte »Lena hat ’nen runden Po«, bogen sich die beiden kleinen Mädchen vor Lachen.

Auch Maja lachte herzlich mit, und Kai schmunzelte. Dann erinnerte er sich, dass der große Koffer seiner Tochter noch im Auto war.

»Ich kümmere mich indessen um Cornelias Gepäck«, sagte er zu seiner Frau.

»Gut, Kai.« Unglücklich erwiderte Maja seinen Blick.

»Ich begleite Sie«, bot sich Denise an. »Unser Hausmädchen Ulla wird Ihnen behilflich sein.«

»Vielen Dank.« Kai verließ hinter Denise den Wintergarten.

Maja war nun mit den beiden Kindern allein. Cornelia fasste nach ihrer Hand. »Heidi ist meine Freundin«, erklärte sie. »Sie geht auch noch nicht in die Schule und wird mir hier alles zeigen. Mutti, kannst du nicht auch dableiben und Vati allein fahren lassen? Vati ist doch immer allein gereist.«

»Aber diesmal braucht er mich, Cornelia.« Maja strich ihrem Liebling zärtlich übers Haar. »Nun möchte ich mir aber noch dein Zimmer ansehen. Ach, da ist ja auch Vati wieder.«

Maja äußerte nun ihren Wunsch, noch etwas mehr von Sophienlust zu sehen. Vor allem den Schlafraum ihrer Tochter.

»Aber wir müssen unbedingt losfahren«, erklärte Kai ungeduldig und blickte stirnrunzelnd auf seine Armbanduhr.

»Es wird nicht lange dauern«, half Denise der jungen Frau.

»Also gut«, gab Kai nach.

Cornelias zukünftiges Reich lag neben Heidis Zimmer. Die beiden Räume waren durch eine Tür verbunden.

Maja war begeistert von dem reizenden Kinderschlafzimmer, das in Hellgrün und Beige gehalten war. Auch Cornelias Augen strahlten glücklich. »So ein wunderschönes Zimmer habe ich zu Hause nicht«, meinte sie mit kindlicher Offenheit. »Mir gefällt es hier.«

»Das freut mich, mein Liebling.« Maja schluckte tapfer ihre Tränen herunter. Musste sie nicht glücklich sein, dass Cornelia sich hier so schnell einlebte? Doch als sie dann wieder nach unten gingen, schien sich ein Eisenring immer enger um ihr Herz zu pressen.

»Wir müssen fahren«, drängte Kai. »Ich muss unbedingt am Nachmittag in Hamburg sein.« Vorwurfsvoll sah er Maja an.