Kiss & Crime - Küss mich bei Tiffany - Eva Völler - E-Book

Kiss & Crime - Küss mich bei Tiffany E-Book

Eva Völler

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Beschreibung

Frisch verliebt wollten Emily und Pascal eigentlich zusammen Urlaub machen. Doch Pascals Polizeidienststelle macht ihm einen Strich durch die Rechnung: Fortbildung in New York.
Aber statt eines tränenreichen Abschieds am Flughafen hat Emily eine Überraschung für Pascal. Da sie mit Oma Gerti einen Sponsor gewinnen konnte, sind sie und ihre Oma mit von der Partie. Während sich Emily schon auf dem Hinflug romantische Momente im Big Apple ausmalt, hat das Schicksal mal wieder anderes mit ihr vor. Ein paranoider Filmemacher, ein vertauschter Koffer, gestohlene Diamanten und ein stinkwütender Mafiaboss deuten eher auf ein Krimi- als ein Liebesabenteuer ...

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Seitenzahl: 408

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Inhalt

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Prolog

Aus Dickys Drehbuch

1

2

Aus Dickys Drehbuch

3

4

5

Aus Dickys Drehbuch

6

7

8

9

Aus Dickys Drehbuch

10

11

Danach

Noch mal zurück …

Anhang

New York. Aus den aktuellen Polizeinachrichten

Aus Dickys Drehbuch

Über das Buch

Band 2 der Kiss&Crime-Reihe von Bestseller-Autorin Eva Völler. Eigentlich wollten Emily und Pascal ja zusammen Urlaub machen, aber dann muss Pascal auf einmal beruflich nach New York. Beim Abschied hat Emily jedoch eine Überraschung: Sie begleitet ihn. Mit von der Partie: Omi Gerti, die wenigstens einmal im Leben nach New York will. Doch schnell wird klar, dass dies kein normaler Städtetrip wird! Ein merkwürdiger Typ, der sich von der Mafia verfolgt fühlt, ein paar vertauschte Koffer und einige bedrohliche Vorfälle sorgen für ziemliche Aufregung, und plötzlich haben sie alle Hände voll damit zu tun, gefährlichen Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Dabei will das verliebte Paar doch nur eins: Endlich mal ungestört sein …

Weitere Titel der Autorin:

Kiss & Crime – Zeugenkussprogramm

Zeitenzauber – Die magische Gondel

Zeitenzauber – Die goldene Brücke

Zeitenzauber – Das verborgene Tor

Leg dich nicht mit Mutti an

Der Montagsmann/Hände weg oder wir heiraten

Wenn Frauen Männer buchen

Ich bin alt und brauche das Geld

Über die Autorin

Eva Völler hat sich schon als Kind gern Geschichten ausgedacht. Trotzdem verdiente sie zunächst als Richterin und Rechtsanwältin ihre Brötchen, bevor sie die Juristerei endgültig an den Nagel hängte. »Vom Bücherschreiben kriegt man einfach bessere Laune als von Rechtsstreitigkeiten. Und man kann jedes Mal selbst bestimmen, wie es am Ende ausgeht.«

Die Autorin lebt mit ihren Kindern am Rande der Rhön in Hessen.

EVA VÖLLER

Kiss & Crime

KÜSS MICH BEI TIFFANY

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Originalausgabe

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München

Copyright © 2016 Eva Völler

Copyright Deutsche Originalausgabe © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Umschlaggestaltung: Sandra Taufer, München

Einband-/Umschlagmotiv: © art_of_sun / shutterstock; Syda Productions / shutterstock; Mari Dein / shutterstock; Karlygash / shutterstock; Supa Chan / shutterstock; symona / shutterstock; Klavdiya Krinichnaya / shutterstock; nereia / shutterstock

E-Book-Produktion: Greiner & Reichel, Köln

ISBN 978-3-7517-3329-8

one-verlag.de

luebbe.de

PROLOG

Aus Dickys Drehbuch:

Aufblende

VILLA IN NEAPEL AUSSEN/TAG

Eine idyllisch gelegene Prachtvilla in Neapel an einem sonnigen Frühlingstag.

Vor dem Eingang der Villa steht DICKY, ein Filmregisseur. Er läutet an der Tür. ANTONIO, ein nervös wirkender Angestellter, öffnet ihm.

DICKY

Buongiorno. Wir hatten telefoniert.

ANTONIO

Ich hatte noch keine Zeit, mit dem Don zu sprechen. Er weiß nicht, dass Sie ihn für ein Doku-Drama interviewen wollen. Es wäre besser, Sie gehen wieder.

DICKY

Ich habe Ihrem Cousin eine Menge Geld dafür bezahlt, damit Sie dieses Interview mit dem Don einfädeln.

ANTONIO

Da wusste ich noch nicht, dass Sie einen Film über die Mafia drehen wollen. Ich dachte, es ginge bei dem Interview um seine Kunstsammlung. (Deutet in der Eingangshalle auf alle möglichen edlen Sammlerstücke.) Über seine Kunstsammlung spricht der Don sehr gern. Aber nicht über seine … (sucht nach dem richtigen Wort) … seine Arbeit.

ZOOM auf die offene Terrassentür im Salon. Draußen auf der Liege: Der DON, ein geschniegelt wirkender Typ, der alle Klischees eines Mafioso erfüllt.

DON

(brüllt)

Was ist da los, Antonio? Ist jemand gekommen?

DICKY

Ich bin’s bloß! (Geht forsch auf die Terrasse hinaus, gefolgt von Antonio, der vergeblich versucht, ihn aufzuhalten.)

DON

Wer zum Teufel ist das, Antonio?

DICKY

Richard van Dyke, Filmregisseur. Aber bitte nennen Sie mich Dicky. Ich hasse es, wenn die Leute mich Richard nennen. Glauben Sie mir, mein Film über Ihr Leben wird fabelhaft. Absolut authentisch. Und keine Sorge, Ihr Gesicht und Ihre Stimme verfremden wir komplett. Ich kann Ihnen ja mal ein paar Aufnahmen von meiner letzten Arbeit zeigen, damit Sie eine Vorstellung haben, wie das hinterher aussieht. (Macht sein mitgebrachtes Tablet an.) Da ging es um eine Frau mit einer zwanghaften Fixierung auf Schönheits-OPs. Hier als Erstes mal eine Aufnahme ohne Verfremdung …

DON

(gefährlich ruhig)

Wer hat den Kerl hier eingeschleust, Antonio?

Antonio ringt die Hände. Dicky gibt sich cool, platziert sein Tablet so auf dem Terrassentisch, dass der Don die Aufnahmen gut sehen kann. ZOOM auf das Tablet, ein grässlich starres Botox-Gesicht im Display. SCHWENK auf Gesicht des Don, das nicht minder starr wirkt.

DON

Antonio, schmeiß den Kerl raus.

Antonio packt Dicky am Kragen und schleift ihn durchs Wohnzimmer und die Eingangshalle, wo er die Haustür aufreißt und ihn rausschubst. Dicky fällt in den Kies. Rappelt sich wieder hoch und wirkt teils empört, teils niedergeschlagen. Dackelt seufzend in Richtung seines Mietwagens, der in der Einfahrt parkt. Doch dann strafft er sich und geht zum Haus zurück. Will läuten, sieht aber dann, dass die Haustür einen Spalt offen steht. Er drückt sie auf und geht rein. Will durch den Salon raus auf die Terrasse, wo auf dem Tisch noch sein Tablet liegt, das er vorhin in der Hektik hatte liegen lassen müssen. Doch er verharrt mitten im Schritt, denn durch die offene Terrassentür sieht er, dass der Don eine Pistole gezogen hat.

DON

Es war ein schwerer Fehler, dass du diesen Kerl ins Haus gelassen hast, Antonio. Du weißt, wie sehr ich unangemeldeten Besuch hasse. Aber noch mehr hasse ich Angestellte, die Fehler begehen. Deshalb sorge ich dafür, dass sie niemals mehr als einen einzigen machen können. (Hebt die Waffe und knallt Antonio ab.)

GROSS: Dickys schockiertes Gesicht. Er weicht lautlos in die Eingangshalle zurück, will zur Haustür schleichen. Da fällt sein Blick auf eine antike Konsole, darauf ein aufgeklappter hochwertiger Kroko-Laptopkoffer mit einem unglaublich edlen, schwarz glänzenden Notebook. Man sieht sofort, dass es dem Don persönlich gehört, denn seine Initialen sind in Goldlettern eingraviert. Wie elektrisiert bleibt Dicky davor stehen, denkt fieberhaft nach.

DICKY ( VOICE OVER)

Die ehrenwerte Gesellschaft, die dieser Don leitete, wurde für unzählige schwere Verbrechen verantwortlich gemacht. Waffenschiebung, Rauschgifthandel, Glücksspiel, Computerkriminalität, organisierte Banküberfälle im großen Stil. Erst im letzten Monat hatte es einen spektakulären Raub in einer der größten Diamantenbörsen der Welt gegeben – in meiner Heimatstadt Amsterdam. Auch diese Tat wurde dem Don zugerechnet, aber es gab wie üblich keine Beweise. Hatte das Schicksal vielleicht mir die Rolle zugedacht, welche zu finden? Die Vorstellung, was auf diesem persönlichen Notebook des Don an Aufzeichnungen und sonstigen sensiblen Daten ruhen mochte, war überwältigend für mich. Natürlich hätte es gereicht, ihn wegen Mordes hinter Gitter zu bringen, schließlich konnte ich bezeugen, dass er gerade kaltblütig einen Mann erschossen hatte. Aber mithilfe der Daten auf diesem Laptop konnte ich vielleicht zusätzlich einem gefährlichen, weltumspannenden Verbrechersyndikat das Handwerk legen. Hier ruhte möglicherweise Material, das nicht nur für einen Film reichte, sondern eventuell sogar für eine ganze Serie. Worauf wartete ich noch?

Dicky greift sich entschlossen den Koffer und huscht aus der Tür, die leise hinter ihm ins Schloss fällt.

Es sind doch bloß fünf Tage«, sagte Pascal. »Eigentlich sogar nur vier. Denn am fünften Tag bin ich ja schon wieder hier.«

»Fünf Tage können ganz schön lang sein.« Ich gab mir Mühe, möglichst traurig auszusehen. »Du fehlst mir jetzt schon.«

»Du mir auch.« Pascal seufzte. »Diese Tagung wird garantiert schrecklich öde und langweilig.«

»Na ja. Immerhin findet sie in New York statt. Also wird es vielleicht nicht ganz so langweilig. Auf jeden Fall wird es abwechslungsreicher als in Groppenhausen, denn da ist wirklich deutlich weniger los als in New York.«

Das ließ sich schlecht abstreiten. Groppenhausen war ein Kaff in der Rhön, wo die regionalen Highlights darin bestanden, dass man aufs Pfarrfest oder auf die Bauernkirmes ging. Trotzdem lebte ich mittlerweile ganz gern dort, von daher war meine Bemerkung ein bisschen übertrieben. Richtig langweilig hatte ich es da nur in der ersten Zeit gefunden, vor ziemlich genau einem Jahr, als ich urplötzlich von Berlin in die tiefste hessische Provinz hatte umziehen müssen. Damals war ich mitsamt meiner Mutter, meiner Omi und meinem Hund in ein Zeugenschutzprogramm gesteckt worden und hatte mein Leben gehasst.

Auch mit Pascal war ich anfangs nicht besonders gut klargekommen. Als mein persönlicher Zeugenschützer war er dafür zuständig gewesen, dass die Typen, die hinter mir und meiner Familie her gewesen waren, mich nicht schnappten. Ich hatte mir zwecks Optimierung meiner Sicherheit ziemlich viel von ihm gefallen lassen müssen. Wenn es darum ging, andere Leute zu bevormunden, machte ihm so schnell keiner was vor.

Manche seiner Vorschriften waren allerdings unbestreitbar nützlich. Ich hatte seinerzeit viele blöde Fehler begangen – na schön, ich hatte fast alles falsch gemacht und dadurch am Ende sogar die Verbrecher auf meine Fährte gelockt –, trotzdem hatte Pascal die Bande in den Knast befördert und mein Leben wieder in Ordnung gebracht. Er neigte zwar immer noch dazu, mich zu bevormunden, aber mittlerweile endeten solche Versuche meist damit, dass wir uns küssten.

»Ich weiß, wie sehr du dich auf unsere gemeinsamen Ferien gefreut hast«, meinte Pascal niedergeschlagen. »Ich mach’s wieder gut. Versprochen.«

Ich zog die Schultern hoch und strengte mich an, deprimiert zu wirken.

»Lieb von dir, dass du mich zum Flughafen fährst«, sagte Pascal, während er mit dem Zeigefinger über mein Ohr strich.

Ich erschauerte wohlig. Immer, wenn er mich am Ohr berührte, war ich praktisch willenlos und konnte ihm höchstens eine Sekunde lang böse sein. Das wusste er ganz genau. Noch vor drei Tagen war ich wirklich am Boden zerstört gewesen. Wir hatten uns beide monatelang auf die Osterferien gefreut, und Pascal hatte sich extra eine Woche freigenommen, damit wir die Zeit richtig genießen konnten. Endlich nicht mehr für die Abi-Klausuren lernen, endlich mal wieder chillen und was zusammen unternehmen! Wir hatten vor, nach Freiburg zu fahren und meine Freundin Yasemin zu besuchen. Aber dann – peng! Eine internationale Tagung für Kriminalbeamte, an der Pascal auf dienstliche Weisung hin teilnehmen sollte. Er musste für einen seiner Vorgesetzten einspringen, der sich im Skiurlaub ein Bein gebrochen hatte und nicht wollte, dass die teure Fortbildung ungenutzt verfiel.

Ich überholte einen Laster und schaute in den Rückspiegel, ehe ich die Ausfahrt zum Frankfurter Flughafen nahm. Allmählich stieg die Spannung. Ich konnte es kaum erwarten, Pascals verdutztes Gesicht zu sehen, wenn ich ihm meine Überraschung präsentierte.

Wir parkten vor dem Terminal, stiegen aus und gingen Hand in Hand durch die Abflughalle. Am Check-in-Schalter lud Pascal seinen Rucksack aufs Band – ein ziemlich abgewetztes altes Ding, das ihn schon auf allen möglichen Reisen begleitet hatte –, und während er seine Bordkarte in Empfang nahm, bemühte ich mich weiterhin um eine traurige Abschiedsmiene, obwohl ich es in Wahrheit vor Vorfreude kaum noch aushielt. Es war fast so weit! Die anderen mussten jeden Moment eintreffen!

Aber dann erschien jemand auf der Bildfläche, mit der ich nicht gerechnet hatte. Mir blieb vor Staunen glatt der Mund offen stehen.

»Hi, ihr zwei!« Sarah Lippmann kam winkend auf uns zu. Sie zog einen Trolley in Knallorange hinter sich her, der sich mit ihren roten Locken biss. Doch so eine Nebensächlichkeit konnte ihr tolles Aussehen natürlich nicht beeinträchtigen. Sie war die wandelnde Miss Perfect: Gesicht und Größe eines Topmodels und dazu erstklassige Schussreflexe, an die keiner beim LKA rankam.

»Du hast mir nicht gesagt, dass sie auch mitfliegt«, sagte ich zu Pascal.

»Hm, hab ich das vergessen? Ist doch auch nicht so wichtig, oder? Hi, Sarah!«

»Morgen, Kalli.« Sie klopfte Pascal kumpelhaft auf die Schulter. Anschließend umarmte sie mich, begleitet von zwei Luftküssen, für die sie sich bücken musste, um den Größenunterschied auszugleichen. »Hi, Emily. Freut mich riesig, dich zu sehen!«

Sie schien sich tatsächlich zu freuen. Und in ihren strahlend blauen Augen konnte ich auch bei genauem Hinschauen nicht den allerkleinsten Funken von Berechnung ausmachen. Sie war wirklich nur Pascals Kollegin, ich hatte also keinen Grund, mich jedes Mal wie ein mickriger Hobbit zu fühlen, sobald sie am Horizont auftauchte. Sowieso war sie überhaupt nicht Pascals Typ, denn Frauen, die fast genauso groß waren wie er und besser schießen konnten, fielen nicht in sein Beuteschema, das hatte er ausdrücklich betont. Von daher passte es gut, dass ich noch nie eine Pistole in der Hand gehabt hatte.

»Wie waren die Abi-Klausuren?«, wollte Sarah wissen. »Lief es gut?«

»Einigermaßen.« Das war ein bisschen tiefgestapelt. Ich hatte wegen der Klausuren ein wirklich gutes Gefühl, ganz im Gegensatz zum ersten Anlauf im vergangenen Jahr, als ich wegen des Zeugenschutzprogramms das Abi hatte ausfallen lassen müssen und deshalb die letzte Klasse wiederholt hatte. Was sich im Nachhinein als gute Idee herausstellte, denn ich hatte damals notenmäßig ziemlich auf der Kippe gestanden. An der neuen Schule in der hessischen Provinz hatte ich mich deutlich verbessert.

»Und wie geht es anschließend weiter?«, erkundigte Sarah sich. »Kommst du dann zurück nach Berlin, um da zu studieren?«

»Das ist der Plan«, antwortete ich.

Pascal legte den Arm um mich. »Emmy zieht dann endlich zu mir.« Er küsste meinen Scheitel, der genau bis zu seinem Kinn reichte. »Nach den Osterferien muss sie noch ein paar unwichtige Arbeiten schreiben und das Mündliche hinter sich bringen, aber das ist bloß Formsache.«

»Klingt gut«, kommentierte Sarah.

Das fand ich auch. Ich konnte es kaum erwarten, wieder nach Berlin zurückzukehren. Pascal hatte da schon länger eine Wohnung und seinen Job beim LKA; ich musste nach dem Abi nur noch meine Sachen packen und konnte dann nahtlos bei ihm aufschlagen. Sein Bett war groß genug für zwei.

Und vorher würden wir noch einen wundervollen Urlaub zusammen verbringen, der quasi schon angefangen hatte. Allerdings wusste Pascal davon noch nichts, denn es sollte ja eine Überraschung werden. Und die traf genau in diesem Augenblick endlich ein.

»Ich glaub, ich seh nicht richtig«, sagte Pascal verblüfft. »Da hinten kommt deine Omi Gerti!«

*

Omi strahlte über das ganze Gesicht. Sie war nicht allein, sondern in Begleitung von Mama und Bob gekommen, die Omis und mein Gepäck dabeihatten. Mama rollte meinen Trolley neben sich her. Bob zog mit der einen Hand Omis Trolley, mit der anderen trug er ihren Laptopkoffer. Sie hatte zwar ausdrücklich gesagt, dass sie in New York nicht arbeiten wollte, aber vermutlich hatte sie es sich wieder anders überlegt. Meine Omi ist weit über siebzig und damit in einem Alter, in dem andere Leute schon lange in Rente sind, aber sie behauptet regelmäßig, dass Schriftsteller niemals mit dem Schreiben aufhören können, selbst dann nicht, wenn sie es wollten. In ihrer Anfangszeit als Autorin hatte sie eine bekannte Krimireihe verfasst, aber mittlerweile schrieb sie hauptsächlich historische Liebesromane, von denen sie einen nach dem anderen auf den Markt warf und damit gutes Geld verdiente. Sogar Bob, der neue Mann in Mamas Leben (die Hochzeit war für kommenden Monat geplant), hatte kürzlich ein bisschen frustriert gemeint, dass Omi hochgerechnet in einer Arbeitsstunde deutlich mehr verdiente als er. Das wollte schon was heißen, denn als Anwalt hatte er einen gepfefferten Stundensatz. Um Omis Verlagsverträge kümmerte er sich allerdings kostenlos, schließlich gehörte er schon fast zur Familie. Deshalb hatte er sich auch gern bereit erklärt, Omi mitsamt unserem Gepäck zum Flughafen zu bringen, damit die für Pascal geplante Überraschung auch funktionierte. Mama hatte sich aus demselben Grund freigenommen. Sie und Bob würden nachher mit zwei Autos zurückfahren – Bob mit seinem, Mama mit meinem. Ich reichte ihr schon mal vorsorglich den Wagenschlüssel und nahm meinen Trolley entgegen.

»Sieht für mich ganz so aus, als würde da noch jemand nach New York fliegen«, stellte Sarah fest.

Pascal sah mich perplex an. »Echt jetzt?«

Ich nickte, und ein Ausdruck überschwänglicher Begeisterung breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Wahnsinn!«

»Oder?« Ich strahlte ihn an. »Omi hat mir die Reise jetzt schon zum Abi geschenkt! Ist das nicht toll?«

Anstelle einer Antwort drückte Pascal mich fest an sich und nahm dann Omi in den Arm. »Du bist die Beste, Gerti!«

Sie grinste vergnügt. »Ich lege das mal so aus, dass es dir nichts ausmacht, wenn ich auch mit von der Partie bin.«

Pascal schüttelte lachend den Kopf. Es folgte ein allgemeines Begrüßungshallo zwischen meiner Familie und Sarah, reihum wurden Hände geschüttelt und Küsschen ausgetauscht. Sie kannten sich alle vom Zeugenschutzprogramm. Anlässlich einer wirklich brenzligen Situation hatte Sarah damals unter Beweis stellen müssen, was sie draufhatte. Ich hatte ewig gebraucht, um mich von meinem Nervenzusammenbruch zu erholen, nachdem sie und Pascal sich mit einem der Gangster eine Schießerei geliefert hatten, bei der uns die Kugeln nur so um die Ohren geflogen waren.

Wir checkten unser Gepäck ein und gingen alle noch zusammen Kaffeetrinken. Pascal hatte den Arm um mich gelegt und küsste mich ab und zu auf die Wange. Ich war mir sicher: Das würden die besten Osterferien meines Lebens werden!

*

Nachdem wir uns von Mama und Bob verabschiedet und die Kontrollen hinter uns gelassen hatten, machten wir auf dem Weg zum Gate einen kurzen Abstecher zum Duty-free-Shop. Ich schlenderte zum Parfümsortiment, begutachtete ausgiebig die Auswahl und testete ein paar Sorten, als mich plötzlich ein Typ anrempelte. Er war ungefähr Ende dreißig und nicht viel größer als ich, aber was ihm an Höhe fehlte, machte er locker in der Breite wett. Seine kugelige Figur steckte in einem teuer aussehenden, aber ziemlich verschmuddelten Sakko, das dringend in die Reinigung gehörte. Davon abgesehen schien es ihm viel zu warm zu sein, denn er schwitzte wie in der Sauna. Sein pausbäckiges Gesicht war hochrot angelaufen, und sein spärliches Blondhaar klebte in lauter platten Löckchen am Kopf. Unterm Arm trug er eine vollgepackte Einkaufstüte aus dem Duty-free-Shop.

»Sorry«, sagte er.

»Nichts passiert.«

»Tut mir leid.«

»Macht wirklich nichts«, bekräftigte ich.

»Ich war in Gedanken. Entschuldigung nochmals.« Er hatte einen holländischen Akzent.

»Kein Problem«, versicherte ich. »Kann jedem passieren.«

Er sah sich nach allen Seiten um, dann starrte er über meine Schulter und zuckte zusammen. In seinem Gesicht stand ein abgekämpfter und seltsam gehetzter Ausdruck.

Ich drehte mich um. Pascal war hinter mir aufgetaucht.

»Na, hast du was Nettes gefunden?«, fragte er. »Denk dran, alles, was du dir jetzt kaufst, musst du in New York mit ins Hotel schleppen und anschließend wieder zurück nach Deutschland.« Er machte eine Bewegung mit dem Kinn. »Was war das denn gerade für einer? Worüber habt ihr euch unterhalten?«

Ich drehte mich zu dem holländischen Typen um. Er war weitergegangen und blickte sich erneut nach allen Seiten um. Irgendwas schien ihn schwer zu beunruhigen.

»Er ist in mich reingerannt und hat sich entschuldigt. Ich habe gesagt, dass es okay ist, und er hat sich noch mal entschuldigt. Anscheinend ist er ein bisschen durch den Wind.«

»Er hat dich angerempelt?« Pascal runzelte die Stirn. »Guck mal eben in deine Handtasche.«

»Oh, du meinst, das könnte einer von diesen Remplern gewesen sein? Wo hinterher alle Wertsachen weg sind?« Ich durchwühlte kurz meine Handtasche. »Alles noch da. Portemonnaie, Handy, E-Book-Reader, Pass, Bordkarte. Du solltest den Leuten nicht immer gleich das Schlimmste unterstellen. Manchmal bist du einfach zu misstrauisch.«

»Nein, nur sicherheitsbewusst. Ist schließlich mein Job. Komm mal her.« Er zog mich in seine Arme. »Hab ich dir eigentlich heute schon gesagt, wie süß du bist?«

Ich dachte nach. »Zwei mal. Oh, nein, warte. Das eine Mal war nachts vor dem Einschlafen, also war das noch gestern.«

»Dann sage ich es jetzt noch mal. Du bist zum Anbeißen süß.« Pascal beugte sich zu mir herunter, und ich freute mich schon auf den Kuss. Doch daraus wurde nichts, denn im nächsten Moment ließ er mich los und spähte stirnrunzelnd über meinen Kopf hinweg.

»Der Typ hat schon wieder jemanden angerempelt. Der ist nicht ganz sauber, da gehe ich jede Wette ein.«

»Das ist nur ein harmloser Holländer«, widersprach ich. »Wahrscheinlich hat er Flugangst und ist deswegen ein bisschen durcheinander.«

*

Beim Abflug stellte sich heraus, dass meine Vermutung zutraf. Richard van Dyke – so hieß der schwitzende Holländer – flog nämlich zufällig auch nach New York, saß obendrein neben mir und litt tatsächlich unter Flugangst. Das war so ziemlich das Erste, was er mir nach dem Start der Maschine über sich erzählte, gleich nachdem er ein Beruhigungsmittel eingeworfen und sein Tablet angemacht hatte, ein nagelneu aussehendes iPad.

»Sorry, wenn ich nervös bin«, sagte er, während er zappelig herumrutschte und mit zwei Fingern auf die Tastatur einhackte. »Flugangst. Dauert ein bisschen, bis die Tablette hilft. Kann nicht fliegen ohne Valium. Schlimm, schlimm, schlimm.«

Ich war stolz darauf, dass ich richtig getippt hatte. Nur zu gern hätte ich Pascal davon erzählt, aber zu meinem Verdruss saßen er und Sarah hinten in der Economyclass, während Omi und ich Businessclass flogen. Weil wir so kurzfristig gebucht hatten, war nur noch ein kleines Restkontingent in der teuersten Kategorie verfügbar gewesen. Wir konnten froh sein, dass wir überhaupt zwei freie Plätze ergattern konnten. Die horrenden Preise hatten mir den Atem verschlagen, aber die Kosten waren Omi ganz egal. Sie habe immer schon nach Amerika gewollt, ihr ganzes Leben lang, hatte sie nur gesagt. Und sie wolle endlich mal wieder ihre Englischkenntnisse an den Mann bringen, wozu hätte sie die Sprache früher studiert? (Vor ihrer schriftstellerischen Laufbahn hatte sie als Übersetzerin gearbeitet.) Und da diese erste Reise in die USA wegen ihres fortgeschrittenen Alters möglicherweise auch die letzte sei, gelte der Grundsatz Wenn schon, denn schon.

Der Holländer bestand darauf, dass wir uns duzten und dass ich ihn Dicky nannte, weil er es nicht leiden konnte, wenn jemand Richard oder gar Mijnheer van Dyke zu ihm sagte.

Das war bloß eine der vielen Informationen, mit denen er mich im Laufe des Flugs überschüttete. Von dem Beruhigungsmittel ließ sein Gezappel nach, und auch das Schwitzen hörte bald auf, aber sein Mitteilungsdrang hielt unvermindert an. Dabei schien es ihm überhaupt nicht schwerzufallen, gleichzeitig zu reden und auf seinem Tablet herumzutippen. Gegen meinen Willen war ich von dieser Art Multitasking beeindruckt, ebenso wie von seinen guten Deutschkenntnissen. Erst nach und nach begriff ich, dass Dicky anscheinend ziemlich bekannt war. Ich selbst hatte ihn zwar noch nie gesehen und auch noch nichts über ihn gehört, aber das, was er beruflich machte, faszinierte mich auf Anhieb – er war Filmregisseur! Offenbar hatte er schon eine Menge Unterhaltungsfilme gedreht, insgesamt über ein Dutzend. Er zählte einige davon auf. Ich kannte zwar keinen einzigen davon, aber Dicky meinte, das müsse nichts heißen, denn die wenigsten Filme kämen ins Kino, eigentlich prozentual so gut wie gar keine. Die allermeisten kämen gleich auf DVD heraus. Oder auch direkt ins Fernsehen. Und da hätte ich ganz bestimmt schon mal einen Film von ihm gesehen. Beispielsweise Frankensteins Schwester, der fabelhafte Quoten eingefahren hatte. Auch dazu konnte ich leider nichts sagen, denn Gruselfilme schaute ich mir nur ganz selten an.

Doch darüber sah Dicky großmütig hinweg. »Diese Art von Filmen liegt jetzt sowieso hinter mir«, sagte er. »Meine neuen Projekte gehen in eine ganz andere Richtung.«

»In welche denn?«, erkundigte ich mich.

»Doku-Drama«, antwortete Dicky. »Im weitesten Sinne könnte man es auch als True Stories bezeichnen. Also Geschichten, die auf einer wahren Begebenheit beruhen, aber in eine richtige filmische Struktur eingebettet sind.«

»Also etwas in der Art wie Plötzlich Mutter?«

»Nein. Eher anspruchsvoll und spielfilmmäßig inszeniert, im Stil von Clint Eastwood. Kennst du Clint Eastwood?«

»Nicht persönlich. Aber ich finde ihn toll und habe schon viele Filme mit ihm gesehen. Am besten fand ich Million Dollar Baby.«

»Ja, da hat er auch Regie geführt. Ich verehre Clint Eastwood. Momentan arbeite ich beispielsweise an einer Story über die Mafia. Einen Mafia-Boss, um genau zu sein. Ich schreibe gerade das Drehbuch. Eigentlich ist es eher ein Tatsachenbericht. Ich habe nämlich alles, was ich schreibe, selbst erlebt. In Neapel, da, wo die Camorra ihren Stammsitz hat.«

»Du meinst, du hattest da Kontakt zu einem echten Mafia- Paten?« Ich war beeindruckt. Ich hatte hier die Gelegenheit, mit einem bekannten Filmregisseur zu sprechen. Noch dazu mit einem, der richtig spannende Geschichten zu berichten hatte.

»Ja. Ein wirklich böser Mensch. Schlimm, schlimm, schlimm.« Dicky senkte seine Stimme und sah sich kurz nach allen Seiten um. Sein Blick fiel auf Omi, die friedlich schlafend auf der anderen Seite des Gangs saß. Die großzügige Beinfreiheit nutzte sie gar nicht aus – zu ihren Füßen hatte sie ihren Laptopkoffer deponiert.

Dicky starrte sie geistesabwesend an und sagte kein Wort mehr. Ich ging davon aus, dass er nicht mehr über seine Erlebnisse in Neapel reden wollte und zog deshalb meinen E-Book-Reader aus der Handtasche, um ein bisschen zu lesen, aber lange hielt Dickys Schweigen nicht vor.

»Deine Oma schläft aber fest.« Er schwieg eine Weile, dann fuhr er fort: »Ist das da ein Laptopkoffer? Ich habe noch nie eine alte Dame mit einem Laptop gesehen. Oder ist das deiner?«

»Nein, er gehört ihr. Sie ist Schriftstellerin.«

Damit hatte ich auf der Stelle seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Er wollte augenblicklich alles darüber wissen und war hin und weg, als er hörte, dass Omi früher viele Krimis geschrieben hatte.

»Die Inspektor-Adler-Romane«, wiederholte er begeistert, als ich ihm den Namen der Krimireihe nannte. »Die kenne ich! Es gab sie auch auf Holländisch! Diese Krimihefte lagen früher in Stapeln bei uns zu Hause herum! Mein Vater hat sie alle gekauft! Ist lange her, aber ich weiß es noch genau. Er war ein großer Fan!«

»Das wird Omi sicher freuen.«

Von den Kriminalromanen kam das Thema ganz zwanglos auf Kriminalbeamte, speziell auf die beiden, die hinten in der Maschine saßen und in New York eine Tagung besuchen wollten.

»Dein Freund ist wirklich beim Landeskriminalamt? Das finde ich ja spannend! Wie kommt man denn an so einen Freund?«

»Na ja, ich war mal in einem Zeugenschutzprogramm, und da war er mein Bodyguard …«

Dickys Augen leuchteten auf, als hätte jemand eine Tausendwattlampe darin angeknipst. »Erzähl mir mehr! Ich will alles über diese Geschichte hören! Das schreit nach einem Film! Ein fabelhafter Stoff!«

»Ich denke, ich sollte zuerst die anderen fragen, bevor ich das einfach alles so erzähle. Uns sind damals ein paar ziemlich krasse Sachen passiert.«

»In meinen True Stories werden alle Personen und Schauplätze verfremdet. Aber okay. Frag sie, und dann erzählst du mir die ganzen krassen Sachen. Allerdings hat es keine Eile. Ich muss ja vorher noch mein Mafia-Projekt realisieren. Habe gerade erst mit dem Drehbuch begonnen.«

»Mafia klingt spannend«, sagte ich. »Vor allem, wenn du die Story selber erlebt hast. Wie war dieser Pate denn so? Was genau hat er getan?«

Dicky sah sich nervös um, dann musterte er mich mit grüblerischer Miene, als würde er es bereuen, mir überhaupt davon erzählt zu haben. Das weckte natürlich erst recht meine Neugier. Er musste etwas wirklich Aufregendes erlebt haben!

Doch wenn er es mir lieber nicht verraten wollte, war das nur fair. Ich wollte ihm ja schließlich auch nichts über meine diversen Zusammenstöße mit Schwerverbrechern offenbaren, jedenfalls nicht ohne Pascals und Sarahs Zustimmung.

Aber Dicky konnte oder wollte es nicht für sich behalten. Er sah sich erneut um, dann fing er mit gedämpfter Stimme an zu erzählen. »Ich besuchte den Don in seiner Villa. Er hält sich da nur sporadisch auf, denn eigentlich ist er Amerikaner. Aber seine Eltern sind in Neapel aufgewachsen, und er hat noch jede Menge Verwandte dort. Deshalb fährt er manchmal hin und macht da Urlaub.« Dicky hielt mit bedeutungsvoller Miene inne. »Mit der Familie. Du verstehst?«

»Hm, nein.«

»Familie. Famiglia. Ein anderes Wort für Mafia. Kennst du nicht The Godfather?«

»Meinst du den Film Der Pate?«

»Genau. Du solltest ihn dir ansehen, um die Zusammenhänge besser zu verstehen.«

»Den kenne ich schon.« Das war übertrieben, denn es war Jahre her, dass ich den Film gesehen hatte, und genau genommen hatte ich das meiste davon schon wieder vergessen. Aber ein paar Szenen hatte ich noch vor Augen. Vor allem eine, bei der ein blutiger Pferdekopf eine Rolle spielte. Wenn Dicky solche Zusammenhänge meinte, musste dieser Don aus Neapel ein wirklich übler Bursche sein. Ich setzte mich aufrecht hin. »Was genau ist denn passiert?«

»Es war ein sonniger Frühlingstag.« Erneut machte Dicky eine kunstvolle Pause, bevor er flüsternd fortfuhr: »Der mit einem grausamen Blutbad endete …«

*

Von: [email protected]

An: [email protected]

Darling,

tut mir leid, dass ich dir schon wieder schreibe. Ich habe nicht mitgezählt – wahrscheinlich habe ich dir seit dem Abflug schon ein halbes Dutzend Mails geschickt, aber ich MUSS einfach mit jemandem kommunizieren, sonst drehe ich durch.

Das Mädchen heißt Emily, ihre Freunde nennen sie auch Emmy. Sie ist gerade nach hinten gegangen, um ihren Freund zu sehen. Nachdem ich ihr von Neapel erzählt hatte, war sie sehr verstört. Vermutlich hätte ich mich zurückhalten sollen. Aber du kennst mich ja. Wenn ich die Chance bekomme, eine gute Geschichte zu erzählen, muss ich es tun. Schon um die Wirkung von Szenenaufbau und Figurenzeichnung bei einem unvoreingenommenen Publikum zu testen. Ich will ja schließlich einen Film machen. Jetzt mehr denn je – nie wieder werde ich solch eine unglaubliche Chance erhalten, mein künstlerisches Schaffen zu vollenden!

Die Oma des Mädchens ist noch nicht aufgewacht. Zum Glück hat sie einen sehr tiefen Schlaf. Sie heißt übrigens Gerti und ist hauptberufliche Autorin. Eine interessante Persönlichkeit!

Wenn wir gelandet sind, werde ich alles genauso machen, wie du es vorgeschlagen hast. Großartige Dramaturgie, die du dir da überlegt hast! Vielleicht willst du ja doch noch eines Tages ins Regiefach einsteigen.

Die Sache mit dem Koffer ist auch schon erledigt, keiner hat es gemerkt. Drück mir die Daumen, dass alles klappt!

Die Typen, die für meinen Schutz zuständig sind, warten wohl am Ausgang des Airports auf mich. Mit anderen Worten, die Sache muss unbedingt vorher über die Bühne gehen. Ich traue den Kerlen keine Handbreit über den Weg. Unter gar keinen Umständen werde ich mit denen irgendwohin fahren, wo es einsam ist. Auf so eine Möglichkeit warten die doch nur! Ich will Leute um mich haben, je mehr, desto besser. Viele Leute mit vielen Augen. Empfangskräfte, Zimmermädchen, Etagenkellner, Pagen, Hotelsecurity. Das bekannteste und beliebteste Hotel mitten in Manhattan ist gerade gut genug. Ich würde sagen, wir gehen ins Waldorf Astoria.

Oh, ich muss aufhören. Gerti wird wach. Ich brenne darauf, mit ihr über ihre Romane zu sprechen.

Melde mich später wieder.

Kuss,

D.

»So groß ist der Unterschied zur Businessclass gar nicht«, teilte ich Pascal mit. »Abgesehen von den kostenlosen Drinks und der Beinfreiheit. Aber wer braucht das schon.«

»Leute mit längeren Beinen. Und habt ihr da vorn nicht auch WLAN?«

»Keine Ahnung. Mein Handy ist die ganze Zeit im Flugmodus. Wenn du lieber vorn sitzen willst – ich kann ja mal die Stewardess fragen, ob das geht. Dann setze ich mich so lange auf deinen Platz.«

»Danke, aber lass mal. Ich bin nicht so der Luxustyp. Außerdem habe ich keine Lust, neben diesem Freak aus Holland zu sitzen und mir seinen erfundenen Blödsinn anzuhören.«

Ich hatte Pascal von Dicky und seiner Neapel-Story erzählt, woraufhin er nur breit gegrinst und gemeint hatte, mit dem Typen sei eindeutig die Fantasie durchgegangen, und ich solle besser noch mal einen Blick in meine Handtasche werfen. Wer erfundenen Mafiabossen fiktive Laptops klaute, würde vielleicht zur Abwechslung gern mal eine echte Geldbörse aus einer realen Handtasche mitgehen lassen.

Wir standen zusammen am Durchgang zwischen Business- und Economyclass und unterhielten uns leise. Es nervte mich, dass ich nicht neben ihm sitzen durfte. Ich hätte Sarah gern meinen Platz überlassen und dafür neben Pascal gesessen, zumal meine Beine deutlich kürzer waren als ihre und viel weniger Raum beanspruchten. Aber es stellte sich heraus, dass sie gar nicht neben Pascal saß, sondern drei Reihen hinter ihm. Die beiden Plätze in Pascals Sitzreihe hatte ein älteres Ehepaar belegt, das keine Lust hatte, sich woandershin zu setzen, außer sie bekämen beide einen Platz in der Businessclass. So einen Tausch konnte ich ihnen leider nicht bieten, denn dafür hätte auch Omi ihren Platz hergeben müssen, und das wollte ich ihr auf keinen Fall zumuten.

Zum Glück dauerte der Flug nur noch wenige Stunden, und unser gemeinsamer Urlaub würde dann eben in New York richtig anfangen. Praktischerweise hatte Omi in dem Tagungshotel, in dem Pascal und Sarah untergebracht waren, ein Doppelzimmer gebucht. Pascal würde das für ihn reservierte Einzelzimmer einfach an Omi abtreten, sodass er und ich zusammen im Doppelzimmer übernachten konnten. Tagsüber würden wir dann so viel wie möglich gemeinsam unternehmen. Das Tagungsprogramm war zwar ziemlich umfangreich – ich war ganz schön erschrocken, als ich gehört hatte, dass Pascal vormittags und nachmittags da hinmusste und dass die Mittagspause viel zu kurz war, um sich neben dem Essen noch was vorzunehmen –, aber uns blieben ja noch die Abende. Und die Nächte …

»Woran denkst du gerade?«, wollte Pascal wissen.

»Wieso?«

»Weil du ein kleines bisschen rot geworden bist. Ich glaube, ich muss dich jetzt küssen.«

Dagegen war nichts einzuwenden, doch leider kamen wir nicht dazu, denn im nächsten Moment wurden wir von der Stewardess aufgescheucht, die mit dem Getränkewagen vorbeiwollte und uns missbilligend beäugte. Ihre Botschaft kam an. Ich ging zurück auf meinen First-Class-Platz, und Pascal zog sich wieder auf die hinteren Ränge zurück.

Dicky tippte immer noch – oder schon wieder – auf der Tastatur seines Tablets herum. Nebenher unterhielt er sich angeregt mit Omi, die mittlerweile aufgewacht war und mit Interesse zur Kenntnis genommen hatte, dass es zwischen ihr und Dicky einige künstlerische Gemeinsamkeiten gab.

Der Einfachheit halber tauschte ich mit ihr den Platz, was unter anderem den Vorteil hatte, dass ich endlich in Ruhe mein E-Book fertig lesen konnte. Doch irgendwie konnte ich mich nicht richtig konzentrieren. Ich schaute ständig zu Dicky hinüber, oder genauer: zu seinem Tablet. Es sah wirklich sehr neu aus. So, als hätte er es erst ganz kurz vor der Reise angeschafft. Weil sein altes auf der Terrasse des Don liegen geblieben war.

Dann musste ich über mich selbst den Kopf schütteln. Pascal hatte sicherlich recht, Dicky war bloß ein Opfer seiner blühenden Fantasie. Kreative Menschen waren häufig verschroben, das war Teil ihrer besonderen Einbildungskraft.

Trotzdem … Konnte Dicky sich das alles wirklich nur ausgedacht haben? Jede einzelne Kleinigkeit? Er hatte mir sämtliche Details unglaublich exakt beschrieben, bis hin zu den goldgeprägten Initialen des Don auf dem Laptop. Als ich ihn gefragt hatte, wo das Ding jetzt war, war ihm allerdings keine bessere Antwort eingefallen als An einem sicheren Ort. Und das hatte sich dann doch ein bisschen zu aufgesetzt angehört, um glaubhaft zu klingen.

Ich entschied, mir über Dicky nicht länger den Kopf zu zerbrechen und mich stattdessen wichtigeren Dingen zuzuwenden. Beispielsweise der Frage, wie sich die ganzen Besichtigungen in New York zeitlich am besten takten ließen. Die Liste war endlos lang, und im Vergleich dazu waren ein paar Tage jämmerlich kurz. Außerdem war zu berücksichtigen, dass ich bestimmte Sehenswürdigkeiten nur zusammen mit Pascal besuchen wollte. Leider blieben uns dafür wegen der dämlichen Tagung nur sehr kleine Zeitfenster. Vor dem Abflug hatte er zwar noch einen freien Tag, aber da ging es dann ja auch schon zurück nach Hause.

Ganz oben auf der Liste stand das allerwichtigste Ziel: Tiffany’s, der legendäre Juwelier in New York, mit der größten Auswahl an Verlobungsringen auf der ganzen Welt. An zweiter Stelle folgte das Dach des Empire State Building, wo das schönste Date der Filmgeschichte stattgefunden hatte – in Schlaflos in Seattle.

Im Geiste hatte ich mir noch diverse andere romantische Schauplätze notiert, die ich aus Filmen, Büchern und Reisereportagen kannte, aber von denen würden wir vermutlich nur einen winzigen Teil abarbeiten können. Außerdem spielte auch das Wetter eine Rolle, jedenfalls für die von mir angedachten Außenaktivitäten. Bei strömendem Regen konnten wir zum Beispiel schlecht das Freiluftkino im Brooklyn Bridge Park besuchen, das an lauschigen Frühlings- und Sommerabenden ein absoluter Place-to-be für verliebte Paare war, wie ich gelesen hatte.

Aber bis jetzt war richtiges Traumwetter vorhergesagt. Sonnig, bis zu zwanzig Grad, kein Regen. Die besten Voraussetzungen für ereignisreiche Tage in New York. Glücklich lehnte ich mich in den bequemen Erste-Klasse-Sitz zurück und schloss die Augen. Vor mir lag eine wundervolle Zeit.

Vor den Beginn der wundervollen Zeit hatte das Schicksal leider die Einreisekontrolle gesetzt. Die amerikanischen Zöllner nahmen ihren Job ausgesprochen ernst. Es gab zahlreiche Schlangen an zahlreichen Schaltern. Die Schlange, in der wir anstanden, war endlos lang und schrumpfte nur sehr langsam.

Omi hielt sich wacker. Trotz ihres Alters war sie noch recht gut zu Fuß. Dicky, der seit der Landung wie ein Schatten an ihrer Seite klebte und mit ihr über die unterschiedliche Dramaturgie von Romanen und Drehbüchern fachsimpelte, trug ihren Laptopkoffer, damit sie sich nicht damit abschleppen musste. Er hatte wieder angefangen zu schwitzen, und sein Gesicht wurde auch immer röter. Ich fragte mich, was mit ihm los war. Flugangst konnte es jedenfalls momentan nicht sein.

Als hätte Pascal meine Gedanken gelesen, beugte er sich zu mir herunter. »Der Holländer hat Dreck am Stecken. Ich wette, er hat Dinge im Gepäck, die er niemandem zeigen möchte, schon gar nicht den Typen vom Zoll.«

»Meinst du wirklich? Aber das wäre doch wahnsinnig riskant für ihn!« Zweifelnd betrachtete ich Dickys großen Überseetrolley, ein teures, geräuschlos auf vier Rollen dahingleitendes Markenprodukt. Mir kam ein erschreckender Gedanke. »Vielleicht hat er ja den Laptop des Don da drin.«

Pascal grinste. »Emmy, er hat sich diese Mafia-Story nur ausgedacht.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn er in diesem Angeberkoffer irgendwas Verdächtiges hat, dann nur Zeug, das man rauchen, schlucken oder sich auf sonstige Art reinziehen kann.«

Hm, da war was dran. Dicky hatte im Flugzeug etwas gegen seine Flugangst genommen. Vielleicht war die Einfuhr von Beruhigungsmitteln verboten. Ich hatte gelesen, dass der amerikanische Zoll sehr strenge Bestimmungen hatte.

In der Schlange vor uns gerieten die Dinge plötzlich auf unvorhergesehene Weise in Bewegung. Ein Reisender wurde herausgewinkt und musste sein Bordcase öffnen. Der Officer, der ihn kontrollierte, zog mit spitzen Fingern einen Gegenstand heraus und schnupperte daran. Dann sagte er etwas, das dem Typen mit dem Bordcase nicht gefiel. Eine erregte Debatte setzte ein, angezettelt von dem Bordcase-Typen, der lautstark auf seinen Rechten als freier Bürger beharrte und behauptete, der Zollbeamte sei Knecht eines totalitären Systems. Daraufhin rückten sofort zwei andere Officers an. Beide hatten die Hand an der Waffe.

Der Typ mit dem Bordcase riss dem Zollbeamten den verdächtigen Gegenstand aus der Hand und stopfte ihn sich in den Mund. Daraufhin packten ihn die beiden anderen Wachmänner und rangen ihn nieder, obwohl er sich erbittert wehrte und um sich trat.

In der Schlange breitete sich beträchtliche Unruhe aus. Vor uns diskutierten die Leute, Wortfetzen wie Verbotene Substanzen oder Selber schuld, so ist das hier eben wehten zu mir rüber. Einige zückten ihr Handy und filmten alles, aber das hätten sie besser bleiben lassen, denn damit riefen sie sofort weitere Wachleute auf den Plan, die bedrohlich in die Runde blickten und die Aufnahmen untersagten.

Der Typ, der den Aufruhr verursacht hatte, bekam Handschellen verpasst und wurde von den Beamten abgeführt. Er kaute immer noch. Im Weggehen schrie er mit vollem Mund: »Schikane! Willkür! Es war nur ein Salami-Sandwich!«

»Der arme Kerl«, meinte eine Frau vor mir.

»Das sehe ich anders«, sagte ihr Begleiter. »Er hätte mal besser die Bestimmungen richtig durchgelesen. Der Import von Wurst- und Fleischwaren ist nicht gestattet. Ein Salami-Sandwich besteht aus Wurst und darf daher nicht eingeführt werden.«

»Gilt das auch, wenn man es vorher aufisst?«

Dicky hatte den Vorfall mit starrer Miene verfolgt. Er kam als Nächster dran. Höflich gab er Omi ihren Laptopkoffer zurück und umklammerte den Griff seines Trolleys mit beiden Händen, ehe er zum Zollbeamten vortrat und die vorgefertigte, ausgefüllte Einfuhrerklärung abgab, die jeder Passagier bei der Einreise vorlegen musste.

»Jetzt überlegt er wahrscheinlich, wie er sich am besten rausreden kann, falls er den Koffer aufmachen muss«, mutmaßte Pascal.

»Ich glaube nicht, dass er was Schlimmeres dabeihat als eine Packung Beruhigungstabletten.«

Doch anscheinend hatte der Zwischenfall dazu beigetragen, die Kontrollen zu beschleunigen. Vielleicht wollten die Beamten die angespannte Stimmung unter den Reisenden auflösen. Oder einfach bloß in die Mittagspause. Jedenfalls ging es plötzlich schneller voran. Der Reihe nach wurden die Leute zügig durchgeschleust, zuerst Dicky und gleich nach ihm Omi. Sarah und ich konnten auch einfach weitergehen, nachdem wir unser Formular und unsere Fingerabdrücke abgegeben und den Einreisestempel in unseren Pässen in Empfang genommen hatten. Nur Pascal wurde kurz befragt und musste erklären, was er in den USA vorhatte, was vermutlich damit zu tun hatte, dass er mit seiner abgewetzten Lederjacke und dem Dreitagebart einen Hauch verwegener wirkte als der durchschnittliche Flugpassagier.

In der Ankunftshalle herrschte ziemliches Gedränge, und wir mussten darauf achten, uns nicht zu verlieren. Pascal hatte eine Kofferkarre besorgt und belud sie mit unserem Gepäck. Wir folgten ihm, als er das Gefährt in Richtung Flughafenausgang schob. Auch Dicky trottete immer noch hinter uns her und drehte sich dabei suchend nach allen Seiten um.

»Linda!«, rief er laut, als eine große blonde Frau auf ihn zukam.

Sie fielen sich in die Arme, und Dicky sah aus, als hätte er soeben im Lotto gewonnen. Ich hatte sogar den Eindruck, dass ihm vor lauter Wiedersehensfreude Tränen in den Augen standen. Verblüfft betrachtete ich das ungleiche Paar. Linda war fast einen Kopf größer als Dicky. Sie musste sich zu ihm runterbücken, um ihn zu küssen, was sie mit der größten Selbstverständlichkeit tat.

Freudestrahlend stellte er sie uns auf Englisch vor. »Das ist meine Verlobte Linda. Linda, das sind sehr nette Leute, die ich unterwegs kennengelernt habe. Hier haben wir Emily, und das ist Gerti. Und der große Bursche mit der Lederjacke heißt Pascal. Er ist bei der deutschen Polizei. Die rothaarige junge Dame ist seine Kollegin Sarah.«

Linda sagte Hallo, worauf wir sie ebenfalls begrüßten und uns vermutlich alle fragten, wie Dicky bloß diese Hammerfrau an Land gezogen hatte. Sie war ungefähr Ende zwanzig und atemberaubend schön. Auch wenn ich mich nicht darauf festnageln lassen wollte, wie viel von ihrem tollen Aussehen vom Schönheitschirurgen stammte (der Busen ganz sicher), war der Gesamteindruck überwältigend. Ich musste dem Impuls widerstehen, Pascal die Augen zuzuhalten, das sagte wohl alles.

»Linda ist Schauspielerin«, sagte Dicky. »Sie hat in mehreren meiner Filme die Hauptrolle gespielt, unter anderem auch in Frankensteins Schwester.«

Damit war zumindest geklärt, wie die beiden sich kennengelernt hatten – am Filmset. Davon abgesehen kam es wahrscheinlich gar nicht so selten vor, dass kleine dicke Regisseure Beziehungen mit schönen großen Schauspielerinnen eingingen. Jedenfalls bestimmt eine Million Mal häufiger als umgekehrt.

»Wir müssen weiter«, meinte Pascal mit Blick auf seine Armbanduhr, bevor er sich höflich an Dicky und Linda wandte. »Wiedersehen. War nett, euch zu treffen.«

»Wir sollten alle noch was zusammen trinken gehen«, sagte Dicky. »Ich lade euch ein.«

»Das ist sehr freundlich«, erwiderte Pascal, »aber ich glaube, wir fahren jetzt lieber zu unserem Hotel. Wir haben einen ziemlich engen Terminplan.«

Dicky sah ihn betroffen an. »Aber eure Tagung geht doch erst morgen los! Und wir müssen noch über so vieles reden! Über Zeugenschutzprogramme und all das!«

Pascal warf mir unter hochgezogenen Brauen einen Blick zu. Es war nicht schwer zu erraten, was er dachte. Solche Informationen waren eigentlich nicht für jedermann bestimmt.

»Außerdem will ich noch mit Gerti über ihre Kriminalromane sprechen«, fuhr Dicky fort. »Die würden sich wunderbar als Drehbuchvorlage eignen!«

Omi wirkte verblüfft. »Wirklich?«

»Aber ja! Für eine Krimireihe zum Beispiel. Man könnte es wie die Sherlock-Holmes-Serie aufziehen. Nur mit Doku-Charakter. Alles ganz oldschoolmäßig und historisch.«

»Nun ja, so wirklich historisch ist die Inspektor-Adler-Reihe nicht. Die meisten spielen in den Siebzigern.«

»Das ist alt genug«, versicherte Dicky.

»Wenn ihr jetzt nicht zum Hotel fahren wollt, würde ich mich schon mal allein auf die Socken machen«, warf Sarah ein. »Ich will unter die Dusche. Und ich möchte mir heute noch was von der Stadt ansehen.«

»Das könnten wir doch auch zusammen machen!« Dicky wollte sich anscheinend nicht so schnell geschlagen geben.

»Ich dusche grundsätzlich nicht mit Männern, die ich erst seit einer Stunde kenne«, meinte Sarah trocken.

Dicky lachte ein wenig abgehackt. »Ich meinte die Stadt. Ich kenne New York wie meine Westentasche. Habe ich schon erwähnt, dass ich seit über zehn Jahren hier lebe? Und Linda erst. Sie ist hier geboren und kennt New York City in- und auswendig. Sie könnte euch die besten Stellen zeigen. Linda, sag doch auch mal was.«

Linda fuhr sich mit der Hand durch die makellos gestylten Haare. »Wenn deine Freunde lieber ins Hotel wollen, können wir sie doch später dort treffen, oder?«

»Meinst du wirklich?«, fragte Dicky zweifelnd.

»Sicher. Bestimmt sind sie von der Reise erledigt und wollen sich umziehen. Ich selber bin auch schon den ganzen Tag in denselben Sachen unterwegs und brauche dringend ein frisches Outfit.«

Das war Ansichtssache. Mir jedenfalls kam sie so vor, als wäre sie gerade einer frisch gedruckten Vogue entstiegen. Ihre beige-goldene Designerjacke harmonierte perfekt mit den blonden Haaren und schmiegte sich um ihre Kurven wie aufgemalt. Dazu trug sie einen knielangen Bleistiftrock und hochhackige Louboutins – die unverwechselbaren roten Sohlen hatte ich vorhin schon bemerkt.

Spontan überlegte ich, ob ich vielleicht auch mal solche Edeltreter anprobieren könnte. Ich musste sie ja nicht kaufen (oder genauer: ich würde sie nicht kaufen, weil sie viel zu teuer waren), aber Saks stand sowieso auf meiner Sightseeingliste. Wer in dieses Nobelkaufhaus an der Fifth Avenue ging, durfte auf keinen Fall die Schuhabteilung auslassen. Die war immerhin so berühmt, dass sie sogar eine eigene Postleitzahl besaß.

Während ich noch darüber nachdachte, wie ich den Ausflug zu Saks möglichst zeitsparend mit den übrigen Zielen kombinieren konnte, ertönten plötzlich aufgebrachte Rufe. Um uns herum herrschte mit einem Mal das reinste Chaos. Wenige Schritte von uns entfernt wurden Leute zur Seite geschubst und gerieten ins Stolpern. Ein Mann fiel hin und rappelte sich fluchend auf. Eine Frau ließ in einer mir unbekannten Sprache eine Schimpftirade vom Stapel und umklammerte mit beiden Händen ihre Tasche, die ein Typ ihr entreißen wollte. Der dürre Bursche in meinem Alter, der sich eine Beanie tief ins Gesicht gezogen hatte, war offenbar für den ganzen Tumult verantwortlich. Doch die Frau hielt ihre Tasche erbittert fest und schrie wie am Spieß. Im nächsten Moment ließ der Kerl von seinem räuberischen Vorhaben ab und flitzte im Zickzackkurs durch die Menge davon. Ein paar Leute versuchten, ihn festzuhalten, aber er entwischte ihnen, indem er sich schlangengleich mal zur einen, mal zur anderen Seite wegduckte. Zwischendurch setzte er mit weiten Sprüngen über hüfthohe Hindernisse hinweg – einen Überseekoffer und einen Buggy mitsamt Baby drin. Die Mutter des Babys kreischte entsetzt auf, aber dem Kind war nichts passiert.

Als Nächstes rempelte der Kerl Dicky an, woraufhin dessen Tablet zu Boden fiel. Der Beanie-Typ klaubte es blitzartig vom Boden auf und schob es sich in den Hosenbund, während er ohne innezuhalten weiterrannte. Auf seiner Flucht kam er direkt an mir vorbeigeprescht, so schnell, dass ich es gar nicht richtig mitkriegte. Dicht neben mir setzte er zu einem weiteren Sprung an und flankte über unsere Kofferkarre. Dabei brachte er das akrobatische Kunststück fertig, sich Omis Laptopkoffer zu schnappen, der ganz oben auf dem Gepäckstapel lag. Geschmeidig landete er auf der anderen Seite der Karre und rannte mit dem Koffer unterm Arm weiter, ohne sich umzusehen.

Das heißt, er wollte weiterrennen. Zufällig hatte er das Pech, dass ein topausgebildeter, nahkampferprobter LKA-Beamter hinter der Kofferkarre stand. Pascal warf sich mit einem Hechtsprung auf den Beanie-Typen und kriegte ihn an der Jacke zu fassen. Der Typ stürzte der Länge nach hin, und Pascal drückte ihn mit seinem gesamten Gewicht zu Boden. Es war ein ungleicher Kampf. Beanie war nur ein dünner Hering, Pascal dagegen wog fünfundachtzig Kilo, das meiste davon Muskeln. Er bog Beanie einen Arm auf den Rücken und nahm ihm Omis Laptopkoffer und Dickys Tablet weg. Um uns herum wurden Beifallsrufe laut, die Leute fingen an zu klatschen und zu jubeln. Das fand ich ein bisschen übertrieben, zumal auf den ersten Blick klar war, wer hier der Stärkere war. Trotzdem war ich sehr stolz auf Pascal. Am liebsten hätte ich ein Schild geschwenkt, mit der Aufschrift Das ist mein Freund.

»Kommst du allein mit dem Kerl klar?«, wollte Sarah von Pascal wissen.

»Wonach sieht es denn aus?«, fragte Pascal zurück. Es klang lässig, so, als würde er jeden Tag ein paar Taschendiebe schnappen.

»Gut, dann gehe ich mal eben die Security holen.«

Kaum hatte sie sich zum Gehen gewandt, unternahm Beanie einen verzweifelten Versuch, sich aus Pascals Griff zu befreien. Er wand sich wie ein Aal und bäumte sich auf, wodurch Pascal aus dem Gleichgewicht geriet und auf den Allerwertesten plumpste. Beanie sprang hoch wie ein Kastenteufel und gab Fersengeld. Keine drei Sekunden später war er im Gewimmel der Ankunftshalle verschwunden.

Die Leute, die Pascal eben noch begeistert applaudiert hatten, buhten ihn jetzt aus. Mit unbewegter Miene klopfte er sich den Staub von der Jacke und tat so, als wäre es ihm völlig egal, dass Beanie ihm entwischt war. Er hob Omis Laptopkoffer auf und legte ihn zurück auf die Gepäckkarre, anschließend überreichte er Dicky sein Tablet. »Ich hoffe, es funktioniert noch.«

»Kein Problem«, sagte Dicky. »Ich kauf mir sonst einfach noch mal ein Neues.« Er wirkte ein wenig benommen, als könnte er das Ganze noch gar nicht richtig fassen.

Ich umschlang Pascal mit beiden Armen und lehnte meinen Kopf an seine Brust. Er war längst nicht so cool, wie er sich gab. Ich spürte, wie sein Herz hämmerte.

»Sieh es mal so«, sagte ich leise. »Der Kerl hätte auch bewaffnet sein können. Du könntest jetzt tot sein.«

»Das ist ein Argument.« Er küsste meinen Scheitel.