Klara Militsch - Iwan Turgenew - E-Book

Klara Militsch E-Book

Iwan Turgenew

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Beschreibung

Der russische Schriftsteller Iwan Turgenjew (1818-1883) wird zu einem der bedeutendsten Vertreter des russischen Realismus gezählt. Doch sein letztes Werk, die Novelle Klara Militsch , die er ein Jahr vor seinem Tode schrieb, führt den Lesern eher in den Bereich der Mystik. In dieser Novelle berührt Turgenjew die Welt des Übersinnlichen, dabei kommt sein tiefer Glaube an die Möglichkeit anderer Welten zum Vorschein. Der ursprüngliche Titel dieser Novelle lautete Nach dem Tode , doch es schien ihm zu spiritistisch zu sein und er änderte ihn später in Klara Militsch ab.

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Klara Militsch

Iwan Turgenew

Inhalt:

Iwan Sergejewitsch Turgenew – Biografie und Bibliografie

Klara Militsch

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

Klara Militsch, Iwan Turgenjew

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849617684

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Iwan Sergejewitsch Turgenew – Biografie und Bibliografie

Berühmter russ. Dichter und Schriftsteller, geb. 9. Nov. (28. Okt.) 1818 in der Gouvernementsstadt Orel als der Nachkomme einer alten, aus der Goldenen Horde stammenden Adelsfamilie, gest. 3. Sept. (22. Aug.) 1883 in Bougival bei Paris, war der Sohn sehr wohlhabender Eltern und genoß eine gute häusliche Erziehung, wobei ein großer Nachdruck auf die Sprachen, namentlich Französisch und Deutsch, gelegt wurde. 1827 siedelte die Familie nach Moskau über, und der junge Iwan kam in eine Privatlehranstalt. Seine weitere Ausbildung erfolgte unter besonderer Anleitung und Fürsorge des Professors Krause, des Direktors des Lazarewschen Instituts. Mit 15 Jahren bezog der frühreife Knabe die Moskauer-Universität, wo er sich historisch-philologischen Studien widmete, vertauschte sie aber schon nach einem Jahr, als 1834 sein Vater starb, mit der Petersburger Universität, auf der er den vollen Lehrkursus durchmachte. Nachdem er 1837 mit dem Grad eines Kandidaten die Universität verlassen, begab er sich im Frühjahr 1838 zur Vervollständigung seiner Kenntnisse ins Ausland, wobei er auf der Überfahrt nach Deutschland bei dem Brande des Dampfers Nikolaus I. in Travemünde fast ums Leben gekommen wäre. Er hielt sich namentlich in Berlin auf, wo er an der Universität klassische Philologie (bei Böckh und Zumpt), Geschichte (bei Ranke) und Philosophie (bei Werder, dem Schüler Hegels) hörte. 1841 kehrte er über Moskau nach Petersburg zurück und erhielt daselbst 1842 eine Anstellung in der Kanzlei des Ministers des Innern, welche Stellung er schon nach zwei Jahren aufgab, um sich ganz ins Privatleben zurückzuziehen. Sein erstes separat erschienenes Werk war das Poem »Parascha« (1843), das der Kritiker Belinskij, mit dem T. später sehr befreundet wurde, in einem längern Artikel wohlwollend beurteilte. In demselben Jahre schrieb er die dramatische Skizze »Unvorsichtigkeit«, im folgenden die Erzählung »Andrej Kolossow«; dann folgten 1845 die Gedichte »Andrej« und »Die Unterredung«, 1846 das Gedicht »Der Gutsbesitzer« und die Erzählung »Drei Porträts« und 1847 die Erzählungen »Der Raufbold« und »Choŕ und Kalinytsch«. Mit dem letztern (im »Sovremennik« erschienen) Werke beginnt die zweite Periode von Turgenjews literarischer Tätigkeit (1847–55), in welche die Abfassung und Veröffentlichung jener vorzüglichen kleinen Erzählungen fällt, die gesammelt u. d. T.: »Aufzeichnungen eines Jägers« zuerst 1852 in Moskau (2 Bde.) erschienen und den Grund zu seiner Berühmtheit legten. Die ersten Jahre dieser Periode (bis 1850) verbrachte er im Ausland (meist in Paris), kehrte Ende 1850 infolge des Todes seiner Mutter nach Rußland zurück, gab beim Antritt seines Erbes seine Leibeignen frei und lebte dann abwechselnd auf seinem Gute Spasskoje (Kreis Mzensk, Gouv. Orel) und in Moskau und Petersburg. Im März 1852 wurde er wegen eines von ihm verfaßten, im übrigen durchaus nicht politisch verfänglichen Artikels: »Ein Brief über Gogol« (»Moskauer Nachrichten«, 1852, Nr. 32), verhaftet und dann auf sein Gut Spasskoje verwiesen, das er zwei Jahre lang (bis Ende 1854) nicht verlassen durfte. Hier schrieb er unter anderm die Erzählungen »Zwei Freunde« (1853) und »Stilleben« (1854). 1855 ging er ins Ausland und lebte seitdem, eng befreundet mit der Künstlerin Pauline Viardot-Garcia (s. d.) und deren Familie, meist in Paris, im Sommer in Baden-Baden oder auf seinem Gut im Gouv. Orel. Mit dem Jahre 1855 beginnt die dritte Periode seiner literarischen Wirksamkeit, die in den Perlen seiner Schöpfungen »Rudin« und »Faust« (1856), »Asja« (1858), »Das adelige Nest« (1859), »Am Vorabend« und »Erste Liebe« (1860) ihren Höhepunkt erreichte. Der nächste berühmte Roman: »Väter und Söhne« (1862), erfuhr die verschiedenartigsten Beurteilungen, ebenso die folgenden: »Dunst« (1867) und »Neuland« (1876). Zahlreich sind die in diesem Zeitraum von T. geschriebenen kleinern Erzählungen, Novellen und Skizzen, von denen wir nennen: »Visionen« (1863); »Der Hund«; »Geschichte des Leutnants Jergunow«; »Der Brigadier« (1866); »Eine Unglückliche« (1868); »Eine wunderliche Geschichte« (1869); »König Lear der Steppe«; »Poch, poch, poch!« (1870); »Der Pegasus« (1871); »Tschertopchanows Ende« (1872); »Punin und Baburin« (1874); »Die lebenden Gebeine«, »Die Uhr«, »Man klopft« (1875); »Der Traum« (1876) und »Vater Alexejs Erzählung« (1877). Wichtig für die Beurteilung der Typen seiner Erzählungen ist seine Schrift »Hamlet und Don Quijote«, eine Parallele (1860). Bemerkenswert sind außer mehreren kritischen Artikeln auch noch seine »Erinnerungen an Belinskij«. Als die am wenigsten gelungenen Erzeugnisse seiner literarischen Tätigkeit gelten seine Lustspiele, wenn sich auch einige (»Der Kostgänger«, 1848; »Das Frühstück«, 1849; »Der Junggeselle«, 1849; »Ein Monat auf dem Dorfe«, 1850, gedruckt 1855 und 1869; »Die Provinzialin«, 1851) bis in die neuere Zeit auf der Bühne erhalten haben. Mit dem Ausbruch des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 war er ganz nach Paris übergesiedelt und verbrachte während seiner letzten Lebensjahre den Sommer in der Regel auf seiner neben der Villa Viardot in Bougival bei Paris gelegenen eignen. Villa. Von seinen Besuchen Rußlands sind besonders bemerkenswert die durch großartige Ovationen in Petersburg und Moskau gefeierten im März 1879 und im Juni 1880. Schon schwer erkrankt, schrieb er »Das Lied der triumphierenden Liebe« (1881), »Die alten Porträts« und »Der Verzweifelte« (1882). Seine letzten Werke waren: »Gedichte in Prosa« (1882), »Klara Militsch« und »Die Feuersbrunst auf dem Meere« (1883). Drei Wochen nach seinem Tode wurde seine Leiche von Paris nach Petersburg überführt und daselbst 9. Okt. (27. Sept.) 1883 auf dem Wolkower Kirchhof unter einer ungeheuern Beteiligung von seiten aller Stände und Korporationen bestattet. – Turgenjews Romane und Erzählungen sind weniger durch sensationelle Verwickelungen als durch eine wunderbare Meisterschaft in der Gestalten- und Charakterzeichnung wie in der Darlegung psychologischer Vorgänge ausgezeichnet. Ganz dem nationalen Boden und der unmittelbaren Gegenwart angehörend, spiegeln sie die jeweiligen Zustände und Bewegungen in Rußland so treu wider, daß man an ihnen die Geschichte der innern Entwickelung der Gesellschaft von Werk zu Werk wie an Marksteinen verfolgen kann. Die erste vollständige Gesamtausgabe seiner Werke erschien 1883 in Petersburg (10 Bde., zuletzt 1897), die »Erste Sammlung« seiner Briefe (von 1840–83) das. 1884 (deutsch von Ruhe, Leipz. 1886). Seine Werke sind vielfach in andre Sprachen übertragen worden; deutsch erschien eine Sammlung »Ausgewählter Werke« in der einzig vom Dichter autorisierten Ausgabe 1869–84 in Mitau (12 Bde.); einzelne Werke unter anderm in Reclams Universal-Bibliothek und (»Neuland«) in »Meyers Volksbüchern«. Sein Bildnis s. Tafel »Klassiker der Weltliteratur IV« (Bd. 12). Von den vielen Schriften über T. sind hervorzuheben: E. Zabel, Iwan T. (Leipz. 1883); Thorsch, Iwan T. (das. 1886); Halpérine-Kaminsky, Ivan T., d'après sa correspondance avec ses amis (Par. 1901); Borkowskij, Turgenjew (Berl. 1902); Haumant, Ivan Tourgénief (Par. 1907); »I. T.; lettres à Madame Viardot« (hrsg. von Halpérine-Kaminsky, das. 1907). Vgl. auch Julian Schmidt, Bilder aus dem geistigen Leben unsrer Zeit (Leipz. 1870); J. Eckardt, Russische und baltische Charakterbilder (2. Aufl. der »Kulturstudien«, das. 1876); de Vogüé, Le roman russe (Par. 1886).

Klara Militsch

I

Im Frühjahr 1878 lebte zu Moskau in einem kleinen hölzernen Häuschen in der Schabolowka-Vorstadt ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, namens Jakow Aratow. Mit ihm wohnte seine Tante, Platonida Iwanowna, die Schwester seines Vaters, eine alte Jungfer von einigen und fünfzig Jahren. Sie besorgte den Haushalt und verwaltete seine Kasse, wozu Aratow selbst nicht das geringste Talent besaß. Andere Verwandte hatte er nicht. Sein Vater, ein nicht sonderlich reicher Edelmann aus dem T-schen Gouvernement, war vor einigen Jahren mit ihm und mit Platonida Iwanowna, die er übrigens immer Platoscha nannte, nach Moskau übersiedelt; auch der Neffe nannte sie nicht anders. Der alte Aratow hatte sein Gut, auf dem er bis dahin ständig gelebt hatte, verlassen, um seinen Sohn, dem er den ersten Unterricht selbst erteilt hatte, in die Moskauer Universität zu geben. Er kaufte sich halb umsonst ein Häuschen in einer der entlegeneren Straßen und richtete sich darin mit allen seinen Büchern und "Präparaten" ein. Von denen hatte er aber eine ganze Menge, denn er war ein Mann, dem die Gelehrsamkeit nicht fremd war, oder ein "geborener Kauz", wie sich die Nachbarn ausdrückten. Sie hielten ihn sogar für einen Zauberer und nannten ihn scherzweise "Insektenbeobachter". Er befaßte sich mit Chemie, Mineralogie, Entomologie, Botanik und Medizin und behandelte freiwillige Patienten mit Kräutern und Metallpulvern eigener Erfindung nach der Methode des Paracelsus. Mit diesen selben Pulvern hatte er seine hübsche, junge, aber gar zu schmächtige Frau, die er leidenschaftlich liebte und von der er den einzigen Sohn hatte, ins Grab gebracht. Mit den gleichen Metallpulvern ruinierte er auch die Gesundheit des Sohnes, während seine Absicht war, sie zu kräftigen, da er in Jakows Organismus eine von der Mutter ererbte Anämie und Neigung zu Schwindsucht gefunden zu haben glaubte. Den Spitznamen "Zauberer" verdankte er unter anderm auch dem Umstande, daß er sich für einen Urenkel – natürlich nicht in gerader Linie – des berühmten Bruce ausgab, dem zu Ehren er seinen Sohn Jakow getauft hatte. Er war, was man so nennt, eine Seele von einem Menschen, hatte aber ein melancholisches, schüchternes und schwerfälliges Temperament und eine Neigung für alles Geheimnisvolle und Mystische. Ein geflüstertes "Ah!" war seine gewöhnliche Interjektion; mit diesem "Ah"! auf den Lippen gab er auch, zwei Jahre nach seiner Übersiedlung nach Moskau, den Geist auf.

Sein Sohn Jakow hatte keine Ähnlichkeit mit dem Vater, der unschön, plump und ungelenk gewesen war; er erinnerte eher an die Mutter. Er hatte ihre feinen, anmutigen Züge, ihre weichen, aschgrauen Haare, die gleiche geschwungene Nase, die gleichen vollen kindlichen Lippen und großen grünlichgrauen, etwas verschleierten Augen unter dichten Wimpern. Im Charakter glich er dafür mehr dem Vater; und sein Gesicht, das dem des Vaters sonst unähnlich war, zeigte doch dessen Ausdruck. Er hatte auch die knotigen Arme und die eingefallene Brust des alten Aratows, den man übrigens kaum alt nennen darf, da er, als er starb, noch nicht Fünfzig war. Jakow war noch bei Lebzeiten des Vaters auf die Universität, und zwar auf die physikalisch-mathematische Fakultät, gekommen, aber noch vor Abschluß des Studiums wieder ausgetreten: nicht etwa aus Faulheit, sondern weil er der Ansicht war, daß man zu Hause ebensoviel lernen könne wie auf der Universität; ein Diplom brauchte er nicht, da er nicht die Absicht hatte, die Beamtenkarriere einzuschlagen. Er hielt sich von seinen Kollegen fern, machte fast keine Bekanntschaften, ging allen Menschen, besonders aber den Frauen, aus dem Wege und lebte sehr zurückgezogen, fast immer in seine Bücher vertieft. Er hatte eine Scheu vor den Frauen, obwohl sein Herz empfindsam war und sich leicht für alles Schöne begeisterte. Er schaffte sich sogar ein teures englisches Bilderwerk an und weidete sich (o diese Schande!) am Anblick der darin dargestellten weiblichen Schönheiten ... Von allen anderen Schritten hielt ihn aber seine angeborene Schamhaftigkeit zurück. Er bewohnte das große Arbeitszimmer seines Vaters, das ihm zugleich auch als Schlafzimmer diente; er schlief auch in demselben Bett, in dem sein Vater gestorben war.

Die wichtigste Stütze seines ganzen Seins, sein unersetzlicher Genosse und Freund war seine Tante, jene selbe Platoscha, mit der er kaum mehr als zehn Worte am Tag wechselte, ohne die er aber keinen Schritt tun konnte. Sie war ein Geschöpf mit langen Zähnen und farblosen Augen im langen, blassen Gesicht, das immer den gleichen halb traurigen, halb erschrockenen Ausdruck bewahrte. Immer mit einem grauen Kleid und einem grauen Schal, der nach Kampfer roch, angetan, schlich sie mit unhörbaren Schlitten wie ein Schatten durch das Haus, seufzte, flüsterte Gebete – mit besonderer Vorliebe eines, das nur aus zwei Worten bestand: "Gott hilf!" – und führte mit außerordentlicher Tüchtigkeit die Wirtschaft, sparte, wo sie nur konnte, und besorgte selbst alle Einkäufe. Ihren Neffen vergötterte sie. Sie war stets nur um seine Gesundheit besorgt und sah überall Gefahren für ihn; und wenn ihr auch nur das Geringste vorkam, schlich sie leise in sein Zimmer, stellte vor ihn auf den Schreibtisch eine Tasse Brusttee oder streichelte ihm mit ihren Händen, die so weich wie Watte waren, den Rücken. Jakow empfand diese ewige Besorgtheit um sein Wohlergehen gar nicht als Last, den Brusttee trank er aber nicht und nickte nur anerkennend mit dem Kopfe. Er konnte