Klärungsorientierte Psychotherapie der schizoiden, passiv-aggressiven und paranoiden Persönlichkeitsstörung - Rainer Sachse - E-Book

Klärungsorientierte Psychotherapie der schizoiden, passiv-aggressiven und paranoiden Persönlichkeitsstörung E-Book

Rainer Sachse

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Beschreibung

Klienten mit sogenannten "Distanz-Störungen" (schizoide, passiv-aggressive und paranoide Persönlichkeitsstörung) sind zwar in der ambulanten Praxis relativ selten, bereiten in der Psychotherapie jedoch äußerst große Probleme. Sie zeichnen sich u.a. durch starkes Misstrauen – auch gegenüber dem Therapeuten – sowie durch mangelnde Änderungsmotivation, geringe Selbstöffnung, durch Probleme mit der internalen Perspektive sowie durch starke manipulative Strategien und z.T. durch hohe Aggressivität aus. "Normale" therapeutische Vorgehensweisen sind oft wenig hilfreich, und Therapeuten stoßen mit ihren Interventionen schnell an Grenzen. Das vorliegende Buch entwickelt daher auf der Basis einer integrativen psychologischen Theorie effektive therapeutische Strategien zur Beziehungsgestaltung, zur Motivierung von Klienten, zur Klärung und Bearbeitung von Schemata und zum Umgang mit schwierigen Interaktionssituationen. Die dargestellten therapeutischen Strategien werden anhand von kommentierten Transkripten illustriert.

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Rainer Sachse

Meike Sachse

Klärungsorientierte Psychotherapie der schizoiden, passiv-aggressiven und paranoiden Persönlichkeitsstörung

Praxis der Psychotherapie von Persönlichkeitsstörungen

Band 8

Klärungsorientierte Psychotherapie der schizoiden, passiv-aggressiven und paranoiden Persönlichkeitsstörung

Prof. Dr. Rainer Sachse, Dipl.-Psych. Meike Sachse

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Rainer Sachse, Prof. Dr. Philipp Hammelstein, PD Dr. Thomas Langens

Prof. Dr. Rainer Sachse, geb. 1948. 1969–1978 Studium der Psychologie an der Ruhr-Universität Bochum. Ab 1980 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ruhr-Universität Bochum. 1985 Promotion. 1991 Habilitation. Privatdozent an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1998 außerplanmäßiger Professor. Leiter des Institutes für Psychologische Psychotherapie (IPP), Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Persönlichkeitsstörungen, Klärungsorientierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie.

Dipl.-Psych. Meike Sachse, geb. 1983. 2002–2008 Studium der Psychologie an der Technischen Universität Chemnitz. Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin (Verhaltenstherapie). Seit 2009 Mitarbeiterin am Institut für Psychologische Psychotherapie (IPP), Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Klärungsorientierte Psychotherapie, Persönlichkeitsstörungen.

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Umschlagabbildung: © Martin Dimitrov – iStock.com by Getty Images

Satz: Matthias Lenke, Weimar

Druck: Hubert & Co, Göttingen

Printed in Germany

Auf säurefreiem Papier gedruckt

Format: EPUB

1. Auflage 2017

© 2017 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2844-4; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2844-5)

ISBN 978-3-8017-2844-1

http://doi.org/10.1026/02844-000

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Anmerkung:

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung: Die schwierigen Distanz-Störungen

1.1 Nähe-Störungen

1.2 Distanz-Störungen

1.3 Relevanz der Unterscheidung

1.3.1 Vertrauen und Beziehungsaufnahme

1.3.2 Affekte und Verarbeitungsprozesse

1.3.3 Therapeutische Konsequenzen

1.3.4 Forschungsstand

2 Die schizoide Persönlichkeitsstörung

2.1 Beschreibung der Störung

2.2 Charakteristika der Störung

2.2.1 Weitere Charakteristika

2.2.2 Prävalenz und Komorbiditäten

2.2.3 Diagnostik: DSM-Kriterien

2.3 Störungstheorie

2.3.1 Zentrale Beziehungsmotive

2.3.2 Dysfunktionale Schemata

2.3.3 Kompensatorische Schemata

2.3.4 Manipulation

2.3.5 Tests

2.3.6 Images und Appelle

2.4 Besonderheiten

2.4.1 Inneres Dilemma

2.4.2 Nähe, Distanz und Bindung

2.4.3 Das Image „Ich brauche keine Beziehung“

2.4.4 Ich-Syntonie, Perspektive und Vermeidung

2.4.5 Alienation

2.4.6 Kosten

2.4.7 Therapie-Gründe

2.5 Therapie

2.5.1 Allgemeine Grundhaltungen und Regeln

2.5.2 Therapie-Phasen

2.5.3 Komplementarität zur Motivebene

2.5.4 Transparenz

2.5.5 Explizierung der Beziehungsmotive

2.5.6 Ressourcen-Aktivierung

2.5.7 Transparentmachen der Spielebene und Umgang mit Tests

2.5.8 Bestehen von Pausen-Tests

2.5.9 Klärung

2.5.10 Biografische Arbeit

2.5.11 Bearbeitung von Schemata

2.5.12 Training sozialer Kompetenz

2.5.13 Therapeutische Bearbeitung der Alienation

2.5.14 Transfer

2.6 Illustration des therapeutischen Vorgehens anhand von Transkripten

2.6.1 Fall 1

2.6.2 Fall 2

3 Die passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung

3.1 Beschreibung der Störung

3.2 Weitere Charakteristika

3.2.1 Empirische Ergebnisse

3.2.2 Prävalenz und Komorbidität

3.2.3 Diagnostik

3.3 Störungstheorie

3.3.1 Zentrale Beziehungsmotive

3.3.2 Dysfunktionale Schemata

3.3.3 Kompensatorische Schemata

3.3.4 Manipulation

3.4 Besonderheiten

3.4.1 Nähe, Distanz und Bindung

3.4.2 Ich-Syntonie, Perspektive und Vermeidung

3.4.3 Kosten

3.4.4 Therapie-Gründe

3.5 Therapie

3.5.1 Allgemeine Grundhaltungen und Regeln

3.5.2 Therapie-Phasen

3.5.3 Therapeutische Strategien in Phase 1

3.5.4 Umgang mit Tests

3.5.5 Ressourcenaktivierung

3.5.6 Therapeutische Strategien in Phase 2

3.5.7 Therapeutische Strategien in Phase 3

3.5.8 Therapeutische Strategien in Phase 4

3.5.9 Transfer

3.6 Illustration des therapeutischen Vorgehens anhand von Transkripten

3.6.1 Fall 1

3.6.2 Fall 2

4 Die paranoide Persönlichkeitsstörung

4.1 Beschreibung der Störung

4.2 Weitere Charakteristika

4.3 Prävalenz und Komorbidität

4.4 Diagnostik: DSM-Kriterien

4.5 Störungstheorie

4.5.1 Motive und Schemata

4.5.2 Manipulationen

4.6 Besonderheiten

4.6.1 Therapie-Gründe

4.6.2 Nähe, Distanz und Bindung

4.6.3 Ich-Syntonie, Perspektive und Vermeidung

4.6.4 Kosten

4.6.5 Hyper-allergische Reaktionen

4.6.6 Keine flexible Reaktion

4.6.7 Isolation

4.7 Therapie

4.7.1 Allgemeine Grundhaltungen und Regeln

4.7.2 Therapie-Phasen

4.7.3 Komplementarität zur Motivebene

4.7.4 Explizierung der Beziehungsmotive

4.7.5 Komplementarität zur Spielebene

4.7.6 Ressourcen-Aktivierung

4.7.7 Staunen zur Verfügung stellen

4.7.8 Herausarbeitung der Schemata

4.7.9 Transparentmachen der Spielebene

4.7.10 Umgang mit Tests

4.7.11 Biografische Arbeit

4.7.12 Bearbeitung von Schemata

4.7.13 Spezifische Interventionen

4.8 Beispiel eines Therapieprozesses mit einer paranoiden Klientin

4.8.1 Das Transkript

4.8.2 Kommentar

Literatur

|9|1 Einleitung: Die schwierigen Distanz-Störungen

In diesem Buch befassen wir uns mit den wirklich schwierigen Distanz-Störungen: Mit der schizoiden, der passiv-aggressiven und der paranoiden Störung.

„Schwierig“ sind diese Störungen deshalb, weil die Klienten, die solche Störungen aufweisen, im Therapieprozess eine Fülle von Interaktionsproblemen realisieren: Hohe Ich-Syntonie, mangelnde Änderungsmotivation, extremes Misstrauen, schlechten Zugang zu internalem Erleben, starkes Testverhalten, Realisation einer Vielzahl von schwierigen Interaktionssituationen.

Wie an anderer Stelle ausgeführt (Sachse, 2013), haben wir im Hinblick auf Persönlichkeitsstörungen eine Unterscheidung getroffen zwischen „Nähe-Störungen“ und „Distanz-Störungen“; diese Unterscheidung ist von großer praktischer Relevanz für die konkrete Psychotherapie.

1.1 Nähe-Störungen

Nähe-Störungen sind dadurch gekennzeichnet, dass Klienten, die diese Störungen aufweisen, zu Interaktionspartnern Nähe herstellen: Sie gehen Beziehungen ein, Beziehungen sind ihnen wichtig; sie gehen auch (in spezifischer Form!) Bindungen ein, sie stellen zu Partnern aktiv Nähe her und haben ein Bedürfnis nach Nähe. Sie nutzen z. T. manipulative Strategien, um zu Interaktionspartnern Nähe herzustellen und Partner an sich zu binden. Andererseits nutzen sie hergestellte Nähe auch aus, um Interaktionspartner für andere Ziele einzuspannen, d. h. sie manipulieren auch durch Nähe.

Zu den „Nähe-Störungen“ gehören:

die Narzisstische Persönlichkeitsstörung

die Histrionische Persönlichkeitsstörung

die Selbstunsichere Persönlichkeitsstörung

die Dependente Persönlichkeitsstörung

Therapeuten können zu Klienten mit Nähe-Störungen in der Regel relativ leicht eine therapeutische Beziehung aufbauen: Sie können, wenn sie richtig mit diesen Klienten umgehen, relativ schnell Beziehungskredit schaffen, was zur Folge hat, dass sie diese Klienten auch relativ schnell konfrontieren können. (Diese Aussagen gelten im Durchschnitt; natürlich gibt es auch hier einige Klienten, bei denen sich dies schwierig gestaltet; jedoch ist die Herstellung einer therapeutischen Allianz im Schnitt einfacher als bei den Distanz-Störungen.)

|10|Auf der anderen Seite werden Therapeuten von diesen Klienten aber auch recht schnell „eingespannt“, in ihr System integriert: Die Klienten nutzen die Therapeut-Klient-Beziehung auch dazu, den Therapeuten zu manipulieren. Auf diese Aspekte muss ein Therapeut daher besonders achten (vgl. Döring & Sachse, 2008a, 2008b; Sachse, 1997a, 1999, 2000, 2001a, 2001b, 2002, 2004a, 2004b, 2004c, 2005, 2006a, 2006b, 2007a, 2008, 2013, 2014a, 2014b, 2014c, 2014d; Sachse, Fasbender, Breil & Sachse, 2012; Sachse, Fasbender & Sachse, 2014; Sachse, Sachse & Fasbender, 2010, 2011, 2014; Sachse et al., 2013).

1.2 Distanz-Störungen

Distanz-Störungen sind dadurch gekennzeichnet, dass Klienten, die diese Störungen aufweisen, zu Interaktionspartnern Distanz halten: Sie gehen nur schwer oder gar nicht Beziehungen ein, Beziehungen sind nicht so wichtig, sie vermeiden Beziehungen, sie gehen Nähe aus dem Weg und stellen aktiv Distanz her; sie verteidigen ihre Grenzen und lassen nur ausgewählte Personen in ihr Territorium. Sie nutzen z. T. manipulative Strategien, um Interaktionspartner auf Distanz zu halten und um Bindungen zu verhindern (vgl. Döring & Sachse, 2008b; Sachse, 1997a, 1999, 2001b, 2004c, 2006a, 2013, 2014e; Sachse, Kiszkenow-Bäker & Schirm, 2015).

Die Distanz-Störungen sind:

Passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung

Schizoide Persönlichkeitsstörung

Paranoide Persönlichkeitsstörung

Zwanghafte Persönlichkeitsstörung

Zu Klienten mit Distanz-Störungen bauen Therapeuten nur schwer eine Therapeut-Klient-Beziehung auf: Der Beziehungsaufbau ist in der Regel mühsam und langwierig. Therapeuten haben oft über längere Phasen hinweg den Eindruck, dass sich in der Beziehung nichts verändert. Da Therapeuten bei diesen Klienten auch nur sehr langsam Beziehungskredit herstellen können, können konfrontative Interventionen auch erst sehr spät realisiert werden. Bei diesen Klienten stellt der Aufbau einer vertrauensvollen Therapeut-Klient-Beziehung bereits eine zentrale therapeutische Aufgabe dar: Es ist ein Therapie-Ziel, keine Therapie-Voraussetzung.

1.3 Relevanz der Unterscheidung

1.3.1 Vertrauen und Beziehungsaufnahme

Wie schon ausgeführt, unterscheiden sich Klienten mit Nähe- und Distanzstörungen in ihrer Beziehungsaufnahme. Klienten mit Nähe-Störungen entwickeln relativ schnell Vertrauen zum Therapeuten, falls Therapeuten sie gut komplementär behandeln: Daher |11|gelingt meist relativ schnell eine gute Beziehungsgestaltung; daher können Therapeuten die Klienten auch relativ schnell steuern und konfrontieren.

Klienten mit Distanz-Störungen bauen jedoch nur langsam Vertrauen zum Therapeuten auf: Die Beziehungsaufnahme-Phase kann daher sehr lange dauern. Therapeuten können Klienten daher oft lange nicht gut steuern, Klärungsprozesse stoßen schnell „an die Kante des Möglichen“ und Therapeuten können die Klienten über lange Zeit nicht konfrontieren.

1.3.2 Affekte und Verarbeitungsprozesse

Klienten mit Nähe- und Distanz-Störungen unterscheiden sich aber nicht nur im Hinblick auf ihr Beziehungsverhalten. Klienten mit Nähe-Störungen haben kaum Schemata, die ihr affektives Verhalten regulieren: Sie lassen meist ihre Emotionen und Affekte zu, sie machen auch oft positive Erfahrungen und sie weisen damit auch in relativ hohem Ausmaß positive Affekte auf. Positive Affekte sind eine Voraussetzung dafür, in einem intuitiv-holistischen Modus denken zu können oder wie Kuhl (2001) sagt „Zugang zum Extensionsgedächtnis“ zu haben: Und damit ist es eine Voraussetzung dafür, komplex und kreativ denken zu können.

Klienten mit Distanz-Störungen weisen dagegen oft „Kontroll-Schemata“ auf: Sie weisen ein hohes Maß an Selbstkontrolle (Sachse, 2014b) auf, kontrollieren Emotionen und Affekte, interpretieren oft Situationen negativ und erleben damit auch häufig negative Affekte. Damit schränken sie aber nicht nur ihre eigene Spontaneität ein, sondern sie behindern intuitiv-holistisches Denken und damit ihre Kreativität und ihre Fähigkeit, komplexe Sachverhalten zu erfassen: Tatsächlich schränken sie damit ihre Kompetenzen selbst ein und behindern sich dadurch noch weiter.

1.3.3 Therapeutische Konsequenzen

Therapeuten sollten im Umgang mit Distanz-Störungsklienten beachten:

Therapeuten sollten lange und geduldig an Beziehungsgestaltung arbeiten.

Therapeuten sollten die Klienten auf keinen Fall unter Druck setzen.

Transparenz ist hier eine zentrale Variable: Therapeuten sollten alles transparent machen, erläutern, was sie tun, was sie wollen und nicht wollen usw.

Therapeuten sollten den Klienten ein hohes Maß an Kontrolle einräumen.

Dennoch sollten Therapeuten sich nicht von Klienten kontrollieren lassen und sich nicht komplementär zur Spielebene verhalten.

1.3.4 Forschungsstand

Nähe- und Distanz-Störungen unterscheiden sich auch signifikant darin, in welchem Ausmaß es

theoretische Konzeptentwicklungen,

empirische Forschungsarbeiten,

therapeutische Konzeptionen gibt.

|12|Distanz-Störungen treten in Therapien signifikant seltener auf als Nähe-Störungen: Die unmittelbare Konsequenz ist, dass wir mit Distanz-Störungen weniger praktische Erfahrungen haben als mit Nähe-Störungen; wir können daher über diese Störungen weniger differenzierte Aussagen machen.

Da Distanz-Störungen selten sind, ist auch die empirische Forschung erschwert: Dies hat zur Folge, dass diese Störungen empirisch auch schlechter erforscht sind, es gibt daher deutlich weniger empirische Forschungsliteratur. Insgesamt sind Annahmen über Distanz-Störungen deutlich weniger elaboriert und deutlich schlechter empirisch abgesichert als Annahmen über Nähe-Störungen.

Ein Problem bei der Forschung liegt auch darin, dass Autoren oft keine einzelne Störung empirisch erforschen, sondern ein ganzes DSM-Cluster. So untersuchen viele Studien z. B. das „Cluster A“ des DSM, was aus meiner Sicht ein erhebliches Problem ist, da die Störungen dieses Clusters (PAR, SCH und schizotypisch) psychologisch gesehen sehr unterschiedliche Störungen sind, die gar nicht einheitlich erfasst werden können (vgl. Esterberg et al., 2010; Gooding et al., 2007; Kendler et al., 2006; Miller et al., 2001; Williams et al., 2005). Empirische Aussagen solcher Art sind daher wenig sinnvoll.

|13|2 Die schizoide Persönlichkeitsstörung

2.1 Beschreibung der Störung

Klientinnen und Klienten mit schizoider Persönlichkeitsstörung sind in ambulanten Psychotherapien relativ selten; dagegen kommen schizoide Stile, auch als Komorbiditäten mit anderen Persönlichkeitsstörungen, häufig vor: Das Verständnis für diese Störung spielt daher für ambulante Therapeuten eine recht große Rolle.

Tatsächlich ist es aber wichtig davon auszugehen, dass auch die schizoiden Charakteristika von einem leichten Stil bis zu einer schweren Störung rangieren können. Personen mit einem schizoiden Stil haben meist (wenige) feste Beziehungen und benötigen sie auch; das ist ihnen auch klar. Sie halten diese Beziehungen meist auch über lange Zeit aufrecht. Darüber hinaus brauchen Sie aber immer wieder „Auszeiten“ von der Beziehung: Sie brauchen oft Freiräume, in denen sie tun können, was sie möchten, in denen sie auf andere keine Rücksicht nehmen müssen, in denen sie sich selbst beweisen können, dass sie allein existieren können, sowohl praktisch als auch emotional.

Deshalb machen sie immer wieder Reisen allein, sie besuchen allein Freunde, gehen allein spazieren etc.: Sie brauchen dieses Gefühl, autonom sein zu können, dann haben sie oft guten Kontakt zu sich selbst. Alleinsein ist daher für diese Personen nicht aversiv, sie fühlen sich dabei nicht „einsam“; Alleinsein ist vielmehr ein angenehmer Zustand, den man von Zeit zu Zeit unbedingt benötigt.

Personen mit schizoidem Stil mögen meist keine Veranstaltungen, auf denen sich viele Menschen aufhalten; Großveranstaltungen jeder Art sind ihnen zuwider; Kontakte zu Kollegen sind ok, wenn man sie in Grenzen halten und wenn man andere auf Abstand halten kann. Erzwungene gemeinsame Aktivitäten wie Betriebsausflüge, Klassenfahrten etc. sind Personen mit schizoidem Stil hingegen meist ein Graus, sie versuchen, sie wenn möglich zu vermeiden.

|14|Meist haben diese Personen auch nur einen sehr kleinen Freundeskreis; manchmal haben sie sogar gar keine Freunde, sondern nur einen festen Partner; unter diesem Zustand leiden sie dann aber auch nicht besonders. Oft tun sie auch nicht viel, um Freundschaften zu pflegen: Initiativen zum Treffen oder zu Aktivitäten gehen oft von anderen aus. Das macht Freunde zuweilen unzufrieden und führt manchmal auch dazu, dass die Freunde die Beziehung abbrechen, weil sie sich ignoriert und vernachlässigt fühlen.

Personen mit schizoidem Stil wirken oft stark introvertiert: Sie ziehen sich „in sich selbst zurück“, vergraben sich in ihrem Zimmer, lesen viel, chatten am Computer u. ä. Sie befassen sich oft ausgiebig mit bestimmten Themen und sind darin dann auch recht gut; ihr Interesse für „die Außenwelt“ scheint dann jedoch relativ gering zu sein. Es scheint so, als würden sie sich in hohem Maße eine „eigene Realität“ erschaffen.

Manchmal stehen die Personen mit schizoidem Stil Beziehungen auch eher „nüchtern“ gegenüber: Sie sind rational, wenig emotionalisierbar („Homo Faber“; Frisch, 1968). Sie öffnen sich Interaktionspartnern nur wenig: Diese brauchen Zeit und Geduld, um an die Person „heranzukommen“.

Man kann davon ausgehen, dass alle Personen Beziehungen brauchen, aber auch ab und zu ein (als positiv empfundenes) Alleinsein wollen: Gerade dieser Aspekt nimmt mit dem Ausmaß schizoider Tendenzen zu (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Schizoide Tendenzen und Ausmaß schizoider Tendenzen

Personen mit schizoider Störung haben ein reduziertes Bedürfnis nach Beziehung, aber es ist nie gleich Null!

Personen mit ausgeprägter schizoider Störung behaupten oft von sich, gar keine Beziehungen zu benötigen, bestens allein klarzukommen, und tun auch nichts, um ihr Single-Dasein zu beenden.

|15|Personen mit schizoidem Stil

sind oft sozial kompetent, können zugewandt, freundlich, empathisch sein;

haben aber oft kein Bedürfnis nach näheren Kontakten, außer zu ausgesuchten Bezugspersonen;

können sich meist freundlich, aber deutlich abgrenzen;

halten zu anderen eine spürbare Distanz;

verbringen gerne Zeit für sich alleine, machen allein Aktivitäten etc.;

mögen gelegentliche Kontakte, möchten diese aber nicht zu eng werden lassen;

geben nur wenig von sich preis;

sind sich oft ihren Tendenzen und Bedürfnissen nicht klar.

Personen mit schizoider Störung halten Beziehungen nicht für wertvoll und förderlich, für schwer kalkulierbar, für eine Quelle von Missverständnissen und daher für anstrengend und bleiben, wenn möglich, allein: Sie machen Urlaub allein, wohnen allein, machen Unternehmungen allein. Sie wissen oft mit sozialen Kontakten wenig anzufangen und halten andere auf Distanz, oft mit einem nonverbalen Interaktionsverhalten, das Interaktionspartner hochgradig abstößt. Aufgrund ihrer geringen „sozialen Responsibilität“ wirken sie oft auf Interaktionspartner arrogant.

Personen mit schizoider Störung sind meist sozial isoliert, anders als Selbstunsichere (Sachse, Fasbender & Sachse, 2014) tun sie aber nichts, um den Zustand zu beenden, sondern „richten sich in ihrem Alleinsein ein“.

Da sie wenig soziale Kontakte haben, zeigen sie oft auch soziale Kompetenz-Defizite: Sie wissen nicht, wie die sozialen Regeln sind, kennen Verhaltensstandards oft nicht, können keinen Smalltalk machen und sind in vielen sozialen Situationen sehr unsicher. Wenn sie sozial interagieren, bleiben sie blass, uncharismatisch, hölzern, unsicher (Millon, 2011).

Das macht es ihnen dann auch faktisch schwer, Kontakte aufzunehmen: Sie nehmen Kontakte manchmal auf eine Weise auf, die Interaktionspartner irritiert bis abschreckt (der Versuch zu „flirten“ ist oft „unterirdisch“ und bewirkt genau das Gegenteil von dem, was beabsichtigt ist).

Aufgrund ihrer mangelnden sozialen Erfahrung haben SCH oft auch Probleme, soziale Signale zu verstehen: Sie können oft nonverbale Signale nicht korrekt deuten, verstehen emotionale Gesichtsausdrücke nicht gut und verstehen manchmal auch nicht, was in sozialen Interaktionen passiert: Das führt natürlich zu einer starken Verunsicherung und verstärkt die Annahme, dass Interaktionen schwierig und potenziell gefährlich sind.

Sie haben den Eindruck, dass kaum jemand sie versteht und sich niemand in sie hineinversetzen kann. Und da sie anderen auch wenig Gelegenheit dazu geben, ist dieser Eindruck oft auch zutreffend. Sie neigen aber auch selbst nur wenig dazu, ihren Zustand zu reflektieren; es ist schwierig für sie, eine internale Perspektive einzunehmen. Sie vermeiden stark eine Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Zustand (Millon, 2011).

Die Klienten haben in ihrer Biografie meist die Erfahrung gemacht, dass sie sich auf niemanden verlassen können: Daraus haben sie den Schluss gezogen, dass sie sich völ|16|lig auf sich selbst verlassen müssen. Wir nennen diese Tendenz „Flucht in die Autonomie“. Sie führt dazu, dass man sich weitgehend von anderen unabhängig zu machen versucht.

Und das tun Menschen mit SCH auch im Hinblick auf Lob: Sie versuchen, sich auch hier von anderen unabhängig zu machen, was ihnen aber nicht wirklich gelingt: Im Grunde benötigen sie Anerkennung sogar in hohem Maße!

In der Therapie interagieren sie oft auch mit dem Therapeuten sehr wenig: Sie sagen kaum etwas von sich aus, machen lange Pausen, „lassen sich die Würmer aus der Nase ziehen“. Sie glauben, dass auch der Therapeut sie nicht verstehen kann und lassen sich nur sehr langsam und zögernd auf eine therapeutische Beziehung ein.

Klienten mit schizoider Persönlichkeitsstörung (SCH) fallen dem Therapeuten praktisch sofort auf: Sie sagen wenig, wirken starr und versteinert, realisieren kaum Mimik und Gestik, antworten auf Fragen kurz und knapp, lächeln den Therapeuten nicht an und lächeln auch nicht zurück (Kosson et al., 2008). Therapeuten haben schnell den Eindruck, dass sie aktiver sein müssen, dass sie das Gespräch „am Laufen halten“ müssen.

Da die Klienten insgesamt wenig emotional sind, ist auch ihre Sprache wenig emotional (und damit sind sie das genaue Gegenstück zur Dramatik der Histrioniker; Sachse, Fasbender, Breil & Sachse, 2012): Sie reden eher sachlich, formal, neigen zu Intellektualisierung und Theoretisierung. Interaktionell sind sie daher eher „Langweiler“, Personen, die von Interaktionspartnern eher gemieden werden.

Die Klienten zeigen auch einen sehr schlechten Zugang zu ihren Wünschen, Bedürfnissen und Motiven: Sie zeigen damit eine sehr hohe Alienation (Baumann & Kuhl, 2003; Baumann et al., 2003; Beckmann, 1998, 2006; Kuhl, 1995, 2001; Kuhl & Beckmann, 1994; Kuhl & Kaschel, 2004). Auch Affekte (als Informationen über Motive etc.) nehmen sie kaum wahr und wenn, dann können sie diese meist nicht interpretieren (Sachse, 2014a; Sachse & Langens, 2014; vgl. auch Coolidge et al., 2013).

Es ist nötig für Therapeuten, zunächst eine hochgradig empathische Beziehung aufzubauen, geduldig zu sein, Pausen auszuhalten, den Klienten nicht unter Druck zu setzen. Auf keinen Fall sollte ein Therapeut versuchen, den Klienten „zu emotionalisieren“ oder die Therapie mit „Trainings“ o. ä. zu beginnen: Damit werden die Klienten sich unverstanden fühlen, empfinden ihre Autonomie als verletzt und werden sehr wahrscheinlich reaktant! Ein Therapeut darf nie bei einem solchen Klienten den Prozess forcieren!

Die Klienten machen zuerst den Eindruck, kaum oder gar nicht an sozialen Beziehungen interessiert zu sein und sich intentional von solchen fernzuhalten. Hat der Klient dann aber eine tragfähige Beziehung zum Therapeuten, dann wird deutlich, dass der Klient hoch ambivalent ist: Er hält Beziehungen nicht für nützlich und positiv und hat auch, aufgrund (oft starker) Verhaltensdefizite, Angst vor Kontakten, wünscht sich andererseits aber Nähe und Beziehungen (Martens, 2010; Thylstrup & Hesse, 2009).

Die Botschaft „ich bin nicht an Beziehungen interessiert“, entpuppt sich in der Therapie als eine Art „Selbst-Ideologie“ und Selbst-Täuschung (Sachse, 2014c), an die die Klienten selbst glauben wollen und als eine Art von „Saure-Trauben-Strategie“: „Da ich keine Beziehung haben kann, will ich auch keine.“

|17|Die Klienten realisieren auch in hohem Maße eine „Flucht in die Autonomie“: Da sie Beziehung nicht für förderlich und nicht für solidarisch halten, haben sie die Überzeugung, dass sie sich nur auf sich selbst verlassen können: Sie müssen autonom bleiben und allein klarkommen können, damit ihnen nichts passieren kann. Die Ideologie ist schließlich die Verkörperung des „Marlboro-Mannes“: Ein Cowboy, der allein in den Sonnenuntergang reitet und sagt: „Come to where the flavor is!“: Allein im Monument Valley, mit Pferden und Bohnen; tatsächlich aber mit vielen unerfüllten Sehnsüchten und Hoffnungen.

Die therapeutischen Konsequenzen aus dieser Erkenntnis sind:

Der Klient hat dieses System als Selbstschutz entwickelt; er wird es also erst dann aufweichen, wenn er den Eindruck hat, dass er den Schutz nicht mehr (in so hohem Ausmaß) braucht.

Der Therapeut sollte also den Klienten stärken, bevor er die Annahmen hinterfragt.

Der Therapeut darf den Schutz des Klienten niemals angreifen, denn das führt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dazu, dass der Klient den Schutz verstärkt, weil er glaubt, dass das nun notwendig ist!

Klienten sind oft „in ihrem Verhalten gefangen“: Sie wissen nicht, wie sie sich anders verhalten sollen, fürchten sich auch vor (für sie) schwierigen Interaktionssituationen, stehen Beziehungen auch ambivalent gegenüber und machen infolgedessen „mehr desselben“. Selbst sind sie mit diesem Zustand keineswegs zufrieden, beherrschen aber im Allgemeinen die „Saure-Trauben-Strategie“ recht gut und mit der Zeit auch immer besser: „Was ich nicht bekomme, will ich auch gar nicht haben und das ist auch in Ordnung.“ Durch solche kognitiven Strategien, das sollte Therapeuten klar sein, steigern die Klienten auch die Ich-Syntonie der Störung: Der Klient glaubt, dass seine Strategie notwendig und angemessen ist!

Und so halten die Klienten, auch vor sich selbst, die Ideologie aufrecht, dass sie Beziehungen nicht wollen und nicht brauchen. Therapeuten sollten aber diese Ideologie nicht glauben: Sie ist ein Image, das jedoch keineswegs den wirklichen internalen Zustand abbildet: Wie andere Images auch, so ist auch dies keine valide Informationsquelle.

Ihre Strategie, in Interaktionssituationen nicht zu interagieren und auch das nonverbale Verhalten (Gestik, Mimik) „herunterzufahren“, ist die wahrscheinlich beste Distanzierungsstrategie überhaupt: Sie verunsichern und verschrecken Interaktionspartner in hohem Maße und dies führt dazu, dass andere dem Kontakt effektiv aus dem Wege gehen. Nach allem, was man heute psychologisch weiß, ist eine Strategie der „Nicht-Reaktion“, vor allem auf nonverbaler Ebene, die beste Strategie, Interaktionspartner schnell und effektiv zu verunsichern. (Will man als Person jemanden, der einen „anbaggert“, auf Distanz halten, dann ist diese Strategie geradezu ideal: Man muss sie aber üben, normalerweise ist sie recht schwierig durchzuhalten, aber sie ist hoch effizient!)

|18|2.2 Charakteristika der Störung

Eine schwere schizoide Persönlichkeitsstörung (SCH) erscheint als auffällig und schwerwiegend; jedoch meint Yontef (2001), dass leichte schizoide Stile sehr weit verbreitet seien: Fast jeder, so meint er, habe Facetten davon.

Empirisch erweisen sich einige Charakteristika von SCH als valide (vgl. Ahmed et al., 2012; Carrasco & Lecic-Tosevski, 2000; Esterberg et al., 2010; Grant et al., 2004; Kalus et al., 1993; ; ; ; ; ): Personen mit SCH