Kleefee und Kaninchenritter - Heike Pflüger - E-Book

Kleefee und Kaninchenritter E-Book

Heike Pflüger

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Beschreibung

Im idyllischen Grünhain leben die von und zu Doldenstaubs, Herrscher über die Kleefeen, ein bequemes Leben. Doch als Finara, Prinzessin und einzige Tochter, an ihrem 17. Geburtstag erfährt, dass sie ausgerechnet mit dem Prinzen der Kaninchenritter verheiratet werden soll, hängt der Haussegen schief. Gleichzeitig machen beunruhigende Kriegsgerüchte die Runde. Doch die Familie bleibt unerbittlich und will die Hochzeit nicht platzen lassen. Als Finaras einzige Freundin am Hof ihr die Unterstützung entzieht, sieht Finara keine andere Möglichkeit, als ihr Zuhause zu verlassen. Zusammen mit Primm, ihrer treuen Kampfhummel, macht Finara sich auf eine abenteuerliche Reise durch Grünhain und enthüllt eine Wahrheit, die ihr Leben für immer verändert.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Eine kleine Bitte noch …
Danksagung
Über die Autorin:

 

Heike Pflüger

Kleefee und Kaninchenritter

Eine Geschichte aus einem Land nach unserer Zeit

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heike Pflüger

Kleefee und Kaninchenritter

Eine Geschichte aus einem Land nach unserer Zeit

Märchenhafte Fantasy

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Content Notes:

Auch wenn es sich bei diesem Buch um ein Jugendbuch ab 14 handelt, kommen doch einige Themen vor, die euch beim Lesen triggern könnten. Ich habe versucht, die Liste so vollständig wie möglich zu halten. Einiges ist direkt beschrieben, anderes indirekt. Falls ihr nach dem Lesen meint, dass etwas fehlt, scheut euch nicht, mir eine Nachricht zu schicken. Ihr findet mich auf Instagram unter @heike_pflueger_autorin oder ihr könnt mit mir über meine Website www.märchenhaftefantasyundmehr.de Kontakt aufnehmen.

#Narzisstische Verhaltensweisen #Gaslighting #Verrat #Verstümmelung #Blut #Gewalt #Siechtum #Ableismus #psychische Spannung #vereinzelter Tierhorror #Tod #Diskriminierung #Stereotype

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

1. Auflage, September 2023

© 2023 Heike Pflüger – alle Rechte vorbehalten.

Wittener Straße 247

44803 Bochum

 

Lektorat: Lektorat Detailteufel

Coverdesign und Umschlaggestaltung:

Florin Sayer-Gabor - www.100covers4you.com unter Verwendung von Grafiken von Creative Fabrica: Pink Pearly, NESMLY, AkimtanCreative

Korrektorat und Buchsatz: Agentur Autorenträume

Titel- und Kapitelschrift: Nutcracker Sweet und Cinzel Regular

Karte Grünhain: Amalia Zeichnerin

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Druck: epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Allen Lesenden zum Geleit:

„Dies ist nur eine von vielen Legenden aus Grünhain. Einem kleinen Land, das weit, weit nach dem Zeitalter der Menschheit existiert. Doch die Auswirkungen menschlichen Daseins verfolgen die Wesen, die jetzt hier leben, weiterhin. Möge das erneuerte Bündnis von Kleefeen und Kaninchenrittern auf immer Grünhain beschützen.“

Zitat aus Band Eins ›Alte gesammelte Schriften‹, herausgegeben von einem reisenden Alchemisten, ehemaliger Hof-Alchemist der Kaninchenritter.

 

Kapitel 1

Finaras Geburtstag

Alles begann ausgerechnet an meinem siebzehnten Geburtstag. Doch als ich damals an jenem idyllischen Tag im Frühsommer die Augen aufschlug, ahnte ich nicht einen Bruchteil von dem, was mir bevorstand.

Voller Tatendrang krabbelte ich an diesem Morgen aus meinem Himmelbett, schritt über den weißen, mit roten Streublumen bestickten Teppich, und zog die Vorhänge aus luftigem Seidenspinnergarn zurück. Ich drehte den kupferfarbenen Knauf und öffnete das schmale, aus rötlich-braunem Bunterdenglas bestehende Fenster. Die milde Morgenluft trug den Geruch von würzigen Gräsern, frischem Klee und üppigen Blüten ins Gemach und ich atmete ein paarmal tief ein und aus. Warme Sonnenstrahlen kitzelten mein Gesicht, während unter mir die Reiterschaft ihre Pflichtübungen vollzog. Das Gebrumm ihrer Kampfhummeln hallte über den ganzen Schlosshof und ich hörte Kommandant Leafus’ strenge Stimme, mit der er die Truppe gnadenlos hin- und herscheuchte. Als ich mich noch weiter aus dem Fenster lehnte, stieß ich aus Versehen gegen einen meiner Blumenkästen, der auf dem Fenstersims stand. Vor einem Jahr hatte ich angefangen, Blumen zu züchten, und in diesem Augenblick nickten weiße, üppige, sternförmige Blüten im Wind und verströmten ihren süßlichen Duft, der ein paar Bienenwinzlinge angelockt hatte. Einer davon kreiste über einer Blüte und behutsam streckte ich meinen Zeigefinger aus. Der besonders runde Bienenwinzling kam sofort herangesummt und ließ sich auf meiner Fingerspitze nieder. Als er meinen Kleeduft erkannte, hüpfte er auf und nieder und saugte mit seinem Rüssel meinen Finger ab, so, als würde er sich an einem besonders leckeren Fruchtknoten laben.

„Das kitzelt“, meinte ich und kicherte ich. Kurz darauf hopste der Winzling von meinem Finger, schwang sich in die Luft und flog davon. Ich mochte Bienenwinzlinge. Flauschig und gelassen, wie sie waren, konnte sie anscheinend nichts aus der Ruhe bringen. Sie waren das genaue Gegenteil von mir.

Ich seufzte, trat vom Fenster weg und drehte mich um. Mein Blick fiel auf den weißen, mit grün-goldenen Kleeblütenornamenten verzierten Kleiderschrank. Erst zögerte ich, doch dann öffnete ich den Schrank und nahm in einem plötzlichen Anfall von Sturheit meine Alltagsuniform heraus. Wenigstens heute, an meinem Geburtstag, wollte ich mich frei bewegen. Kaum war ich jedoch in die Hose geschlüpft, klopfte es an meine Tür.

„Prinzessin?“

„Ich bin schon wach. Komm rein, Celi.“

Celi hieß eigentlich Celika und unterstand als Kammerzofe meiner Mutter. Wir kannten uns schon lange und waren gute Freundinnen. Sie trat ein und ich versuchte, geflissentlich zu ignorieren, was sie da über ihrem Arm trug. „Prinzessin Finara, Ihr wollt doch nicht etwa ausgerechnet heute in Eurer Uniform herumlaufen? Ihre Majestät, Eure Mutter, hat mir befohlen, darauf zu achten, dass Ihr in Eurem besten Festtagskleid erscheint.“

„Sie will mir ausgerechnet an meinem Geburtstag vorschreiben, was ich anzuziehen habe? Das ist doch nicht ihr Ernst.“

Celi nickte nachdrücklich und nahm mir die Uniformjacke aus der Hand, doch ich schnappte sie mir wild entschlossen zurück.

„Auf gar keinen Fall werde ich dieses Kleid anziehen. Darin kann ich mich nicht ordentlich bewegen und Primm wartet schon auf mich. Ich habe heute so viel vor, da ist ein Kleid viel zu unpraktisch.“ Ich sprang mit der Uniform durchs Zimmer, doch Celi setzte mir nach.

„Prinzessin Finara, bleibt stehen. Ich bitte Euch, zieht das Kleid an. Was soll ich denn sonst Ihrer Majestät sagen, wenn Ihr nicht pünktlich und angemessen gekleidet im Festsaal erscheint?“ Celi sah niedlich aus, wenn sie sich aufregte. Wie eine nervöse Spitzmaus.

Milder gestimmt, gab ich nach. „Ist ja gut. Gib schon her. Ich ziehe es an.“ Langsam kam Celi näher und hielt mir das kleegrüne, bauschige Seidenkleid mit der Goldspitze hin. Ich nahm es ihr aus der Hand, grinste, machte einen Satz zurück und zog mir das Kleid blitzschnell über die Hose. Celi schaute mich verdutzt an, doch als sie bemerkte, dass von der Hose nichts mehr zu sehen war, lachte sie und protestierte nicht weiter.

Als sie meine Harre zurechtgemacht hatte und meine Lippen rot genug waren, verließen wir mein Gemach und gingen den langen, mit blau-silbernen Wandteppichen geschmückten Korridor entlang. Meine weißen Schnürstiefeletten klackten laut auf dem blankpolierten Holzboden. Dieses Geräusch schien mir eine besonders arrogante Aura zu verleihen, auch wenn ich mich bemühte, meine Füße sanft aufzusetzen. Still verfluchte ich die Fee, die solche Schuhe erfunden hatte.

Celi und ich schwiegen, während ich den Moment nutzte, um Zeit zu schinden. Obwohl ich die Panoramen auf den Teppichen in- und auswendig kannte, schlenderte ich ganz besonders gemütlich an ihnen vorbei. Im lichtdurchfluteten Korridor wirkten sie heute jedoch anders auf mich. Schärfer, fremder, unheimlicher. Sie erzählten unsere Geschichte. Wie der Hüter, unser Schöpfer, meine Vorfahren aus Sternenstaub und Kleesamen geformt hatte. Wie sie das Erste Feld besiedelt hatten und wie unsere erste Dynastie entstanden war. Außerdem, welche Generation welche Errungenschaften hervorgebracht hatte, und wie wir Kleefeen schließlich nach Grünhain gekommen waren. Zum Schluss zeigte ein besonders prunkvoller Brokat-Teppich den epischen Konflikt zwischen Kleefeen, den Kaninchenrittern – diesen faulen, notgeilen Böcken – und den kriegstreiberischen Falken, den Herrschern über die Fichten. Dieser Konflikt endete erst vor dreißig Blütenzyklen, mit dem Bündnis zwischen Kleefeen und Kaninchenrittern und ihrem gemeinsamen Sieg über die Falken. Seitdem herrschte Frieden in Grünhain.

Mein Blick war, wie so oft, an dem Panoramateppich hängen geblieben, der den Triumph des Bündnisses darstellte: die damalige Kriegsfürstin der Kleefeen Fürstin Helja - in Gold und Silber auf dunkelblauem Hintergrund gewebt und General von Möhrus - nein, das war kein Scherz, er hieß wirklich so - neben ihr, mit elegantem Einpfoter. Sie hielten den Kopf des besiegten Falkengenerals, dessen Name mit den Zyklen verloren gegangen war, triumphierend in die Höhe, während die Gestirne ihnen huldigten. Alles war so gearbeitet, dass je nachdem, wie die Glühwürmchen-Leuchter an den Wänden ausgerichtet waren, die Figuren und Gestirne fast lebendig wirkten. Doch immer wenn ich hier vorbeikam, sah ich nur den abgeschlagenen Kopf des namenlosen Falken in den Händen der siegreichen Parteien und meine Fantasie ergänzte, ganz von selbst, die fehlenden Details: das rote Blut, das die Erde unter ihren Füßen tränkte, der leere, starre Blick des Hingerichteten, die Schreie der Verwundeten, verbrannte Erde, die letzten Gedanken der Opfer, bevor sie verbluteten. Ich schüttelte mich und schob diese Gedanken weit fort. Nicht jetzt. Heute ist mein Tag! Mein Geburtstag! Heute geht es nur um mich und um niemanden sonst!

Ich raffte mein Kleid, ging schneller, fing an zu laufen, machte am Ende des Korridors einen kleinen Hüpfer und rutschte das Geländer seitlich der verschnörkelten Prachttreppe hinunter.

„Prinzessin!“ Celis entsetzter Schrei brachte mich zum Lachen, noch bevor ich unten angekommen war.

Als ich vom Geländer sprang, lachte ich noch immer. Mir war klar, dass ich mich albern benahm, aber heute war doch mein Ehrentag und ich wollte diesen so verbringen, wie sonst keinen. Immerhin war ich jetzt siebzehn Blütenjahre alt.

Ich strich mein Kleid wieder glatt und entdeckte, dass eine der aufgestickten Seidenschleifen am Saum die Rutschpartie wohl nicht überstanden hatte. Traurig schleifte sie über den Boden.

Celi kam die Treppe hinuntergerannt, bückte sich und nahm sich der Schleife an. Ich hatte keine Ahnung, aus welcher Falte ihres Gewandes sie das Näh-Etui gefischt hatte. Ihre Gewänder waren wie eine andere Welt, in der allerlei Nützliches verborgen war. Oft malte ich mir aus, wie es wäre, wenn ich auf Bienenwinzlingsgröße schrumpfen und in ihre Gewänder schlüpfen könnte. Was ich da wohl alles entdecken würde? Der Gedanke ließ mich kichern.

„Prinzessin, Prinzessin, Prinzessin“, murmelte Celi und befestigte die Schleife wieder am Saum. Dann stand sie auf, steckte ihr Etui weg und schnippte mit ihrem Zeigefinger gegen meine Stirn.

„Au.“ Verärgert über Celis befriedigten Gesichtsausdruck, rieb ich mir die Stelle.

Dann stemmte sie die Hände in ihre Seiten. „Wie oft habe ich Euch gesagt, dass Ihr das Geländer nicht herunterrutschen sollt? Stellt Euch vor, Ihr hättet Euch verletzt oder das Kleid dabei zerrissen.“

„Ach Celi, das habe ich aber nicht.“

„Nein, es reicht. Reißt Euch wenigstens bis nach dem offiziellen Frühstück zusammen. Danach könnt Ihr bis heute Abend tun und lassen, was Ihr wollt.“ Sie warf mir diesen Blick zu, der keinen Widerspruch duldete und den sie so gut beherrschte. Celi meinte es ernst.

Widerwillig nickte ich. Gemeinsam durchquerten wir die mit Büsten meiner Vorfahren vollgestellte Empfangshalle und steuerten auf den Festsaal zu, in dem, nach alter Feensitte, das offizielle Protokollfrühstück stattfand. Dieses Frühstück war im Grunde ein riesiger, traditioneller Empfang, der mehr für das Kleefeenvölkchen gedacht war als für mich. Der Dorfvorsteher und alles, was bei uns Rang und Namen hatte, war eingeladen. Auch Repräsentanten aus der angrenzenden Provinz Sandhain waren gekommen. Außerdem gehörte am frühen Abend noch der lästige Ball zum Protokoll, auf dem ich als offizielle Repräsentantin der Familie von und zu Doldenstaub - wie hatte es Mutter noch so schön genannt? - in die Gesellschaft der Kleefeen eingeführt werden sollte. Allein bei der Vorstellung daran lief es mir eiskalt den Rücken hinunter.

Um auf andere Gedanken zu kommen, wandte ich mich an Celi. „Hast du die Schriftrolle?“

„Ja, hier ist sie.“ Sie griff kurz in ihre Schürze und gab mir die mit einer grünen Schleife zusammengehaltene Rolle. Meine erste offizielle Festrede. Ich löste die aufgeraute Samtschleife, rollte das Papier auseinander, überflog den Text und biss mir auf die Lippen, um nicht laut loszuprusten. „Welcher Schreiberling hat das hier verfasst?“

„Kommandant Leafus persönlich wurde von Ihrer Majestät, der Königin, dazu beauftragt. Er hat sich redlich bemüht, findet Ihr nicht auch?“

Ungläubig starrte ich Celi an und versuchte mit aller Macht, mein Lachen zu unterdrücken. „Pfff, redlich bemüht ist der richtige Ausdruck.“

Als wir vor der hohen, zweiflügeligen Festsaalpforte ankamen, salutierten uns die Wachsoldaten, und ein Diener hastete in den Saal, um dem Herold meine Ankunft mitzuteilen. Erneut warf ich einen Blick auf die Festrede. Sie wirkte immer noch wie ein lyrischer Erguss aus dem letzten Blütenzyklus. Ich musste wohl improvisieren.

Celi wollte gerade noch etwas sagen, doch da dröhnte schon die Stimme des Herolds aus dem Saal: „Ihre Hoheit, Prinzessin Finara.“ Langsam schwangen die beiden Flügel der Pforte auf.

Nochmals atmete ich tief ein und aus, während Celi mir geschwind eine Locke zurechtzupfte. Sie drückte schnell meine Hand, dann trat ich an ihr vorbei in den Saal. Celi blieb zurück.

Das Sonnenlicht brach sich in den ovalen, fast deckenhohen Bunterden-Fenstern, sodass der weiße Steinboden unter meinen Füßen schillerte wie ein mit feinsten Edelsteinen befülltes Schmuckkästchen. Das Funkeln blendete mich so sehr, dass ich unwillkürlich meine Hand vor mein Gesicht hielt. Mir war, als würde der ganze Saal zu einem Gewirr aus Schatten, Raunen, Wispern und Geraschel zusammenschmelzen. Kaum machte ich einen Schritt vorwärts, wurde mir schwindelig und ich hatte den Eindruck zu fallen. Ich hasste solche Auftritte, hasste dieses verdammte Protokoll und dieses Gefühl, nicht ich selbst sein zu dürfen.

„Prinzessin Finara, ist alles in Ordnung?“ Die tiefe, monotone Stimme direkt an meinem Ohr war mir so vertraut, dass sie mich in die Realität zurückbrachte. Jemand stützte mich.

Ich blinzelte, schaute auf und sah in ein kantiges Gesicht mit schmalen Lippen und hellgrauen Augen. „Kommandant Leafus?“

Besorgt musterte er mich. Im hellen Licht wirkten seine Augen wie kaltes Glas. Er hat es gut, dachte ich. Leafus darf seine Uniform anbehalten, während ich hier fast über meinen Saum gestolpert wäre.

„Fühlt Ihr euch wirklich gut? Ihr seid etwas blass.“

Sofort zwang ich mich zu lächeln und nickte. „Ja, alles in Ordnung. Das Sonnenlicht hat mich nur geblendet. Ihr könnt mich wieder loslassen. Ich danke Euch.“

Vorsichtig löste er seinen Griff und salutierte. In Gedanken mit mir schimpfend, richtete ich mich auf. Meine Eltern wussten genau, wie sehr ich es hasste, im Mittelpunkt zu stehen, aber ich war nun einmal die Prinzessin der Kleefeen. Eines Tages würde ich sogar Königin sein, es sei denn, die Feen wünschten sich eine andere Regierungsform. Doch scheinbar fühlten sie sich unter unserer Erbmonarchie ziemlich wohl. Vermutlich lag es daran, dass wir uns in den Alltag des Feendorfes nicht großartig einmischten.

Während ich mehr oder weniger in Gedanken versunken den schmalen, samtigen Teppich entlanglief, hatte das Schlossorchester das traditionelle Geburtstagsständchen angestimmt und die Gäste wandten sich mir zu. Ich verstand nur Satzfetzen über der Musik, hier ein ›Seht, wie hübsch sie nur geworden ist‹, dort ein ›Wenn sie doch nur meine Tochter wäre‹.

Den Kopf neigend, versuchte ich zu lächeln. Die meisten Gäste waren aus Sandhain, nur der Dorfvorsteher und die Kupfer-Magierinnen stammten aus unserem grünhainer Feendorf in der Nähe des Schlosses. Ich kannte sie von den Ausflügen, die mein Vater mit mir dorthin unternommen hatte. Sie waren wichtige Feen, die dafür gesorgt hatten, dass niemand mehr frieren musste. Außerdem war ihre Kupferlegierung unser wichtigstes Handelsgut mit den sandhainer Feen. Mit gerecktem Kinn schritt ich weiter den Teppich entlang und ließ mich dabei anstarren, als wäre ich eine Trophäe. Die Musik dröhnte mir mittlerweile in den Ohren und statt Satzfetzen zu hören, sah ich nur noch, wie sich Münder und Lippen bewegten. Ich wusste, dass ich eine begehrte Feenbraut und eine strategisch wichtige Partnerin war. Viele der Anwesenden machten sich Hoffnungen, irgendwann zur Grünhain-Dynastie der von und zu Doldenstaubs zu gehören.

Die Schriftrolle in meinen Händen zitterte, doch ich zwang mich, hocherhobenen Hauptes weiterzugehen. Dabei heftete ich den Blick auf meine Eltern, die sich am Kopf der großen, mit frischen Kleeblüten bestreuten Tafel am Ende des Saales befanden, und mir aufmunternd zuwinkten. Ich beschleunigte meine Schritte, nickte lächelnd noch einmal nach allen Seiten, kam endlich an der Tafel an und ließ mich erleichtert auf meinem Stuhl nieder.

Doch ich hatte nicht viel Zeit, mich auszuruhen, denn Mutter kam sofort zu mir und zog mich vom Stuhl in ihre Arme: „Finara, mein Herz. Ich bin so stolz auf dich. Ich wünsche dir alles Liebe und viel Glück zu deinem siebzehnten Geburtstag.“ Sie ließ mich los und wischte sich eine Träne von der Wange, während mein Vater wohlwollend auf mich herabsah.

Applaus brandete auf, dann begann der langweilige Teil. Alle Gäste machten ihre Aufwartung, überreichten Geschenke, erneuerten Bekanntschaften, bis Mutter plötzlich aufstand und dreimal gebieterisch in die Hände klatschte. Sofort wurde es im Saal mucksmäuschenstill. Verwundert sah ich auf. Das stand nicht im Protokoll. Eigentlich hätte ich jetzt meine Rede halten sollen, ich hatte die Rolle schon vor mir ausgebreitet. Doch Mutter schien eine Überraschung zu haben, denn sie flüsterte meinem Vater einige Worte zu und der gab dem Herold ein Zeichen. Die Pforten zum Festsaal öffneten sich. Neugierig lehnte ich mich vor. Von meinem Platz an der Tafel konnte ich nicht genau sehen, wer eintrat, aber Mutter eilte dem Gast entgegen. In der Mitte des Saales trafen sich die beiden und sie nahm einen schmalen, länglichen Gegenstand in Empfang. Sofort ließ sie sich vom Herold ein Prunkkissen geben, auf das sie den Gegenstand legte. Ich kniff die Augen zusammen. War das etwa ein Schwert? Es musste sich um den Boten eines geladenen Gastes handeln, der wohl verhindert war, und auf diese Art und Weise die Form wahren wollte.

Langsam erhob ich mich von meinem Stuhl, konnte jedoch nur noch einen flüchtigen Blick auf den Boten erhaschen. Lange Ohren, ein militärisch anmutender Frack und der Eindruck, dass er zügig wieder aus dem Saal hoppelte.

Ich stutzte. Hoppelte? Ich kannte nur ein Volk, das hoppelte: die Kaninchenritter auf der anderen Seite des Kleefeldes. Aber warum tauchte nur ein Bote hier auf? War Prinz Weißfell etwa nicht eingeladen worden? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Immerhin waren wir Verbündete, auch wenn ich selbst nicht viel von diesen Schlappohrrittern hielt. Ich presste meine Lippen zusammen und wartete ungeduldig darauf, dass Mutter endlich wieder an die Tafel kam.

Sie ließ sich Zeit. Doch als sie mich erreichte, bekam ich große Augen. Auf dem Prunkkissen, das sie trug, lagen ein Schwert und eine Scheide. Auf ihr waren das Wappen der Kaninchenritter und unseres eingraviert, eingerahmt von einem Kranz aus Klee in Herzform. Das silbrig glänzende Schwert mit einem Griff in Form einer Kleeblüte lag daneben. Es war wunderschön und ich streckte meine Finger nach dem Griff aus. Er fügte sich in meine Hand, als hätte es schon immer mir gehört, als hätte der unbekannte Schmied an mir höchstpersönlich Maß genommen. Nicht zu leicht, nicht zu schwer, es war perfekt ausbalanciert.

Mutter lächelte, als hätte sie gewusst, wie ich reagieren würde. „Finara, mein Schatz, ich habe die Ehre, dir dieses Schwert zu überreichen. Ein Geschenk von der anderen Seite unseres Kleefeldes. Prinz Weißfell lässt dir seine herzlichsten Glückwünsche ausrichten und bedauert zutiefst, dass er heute nicht anwesend sein kann. Eine nicht aufzuschiebende, territoriale Dringlichkeit verlangt nach einer schnellen Regelung.“

Das Schwert hatte mich so sehr in den Bann gezogen, dass ich ihr nur mit halbem Ohr zuhörte. Fasziniert berührte ich die Klinge, in der sich das Sonnenlicht brach, und ließ sofort wieder davon ab. Sie war scharf, so scharf, dass sich beim geringsten Druck ein hauchfeiner Schnitt auf meiner Daumenkuppe abzeichnete. Offensichtlich handelte es sich nicht um ein beliebiges Zeremonienschwert, sondern um eine echte Waffe. Ich wollte es unbedingt schwingen und ausprobieren, durch was es alles schneiden konnte. Die legendäre Schmiedekunst war das Markenzeichen der Kaninchenritter. Ihre Waffenherstellung und Qualität war nicht nur in Grünhain, sondern auch in Sandhain berühmt. Ich spürte, wie sich selbst die feinsten Härchen auf meinen Armen aufstellten bei dem Gedanken daran, das Schwert im Training, ach was, in einem echten Kampf, einzusetzen. Gerade so unterdrückte ich den Impuls, mit dem Schwert ein paar Übungsschläge vor Publikum zu absolvieren. Stattdessen legte ich es wieder auf das Kissen zurück und Mutter deponierte es auf dem Gabentisch, der neben der Tafel aufgestellt worden war. Ich musste zugeben, dass dieses Geschenk, dafür, dass ich den Prinzen einen gefühlten Blütenzyklus lang nicht mehr gesehen hatte, nahezu perfekt war.

Eine große Hand legte sich auf meine Schulter und ich zuckte zusammen. Mein Blick wanderte über den kupferfarbenen Siegelring mit dem vierblättrigen Klee, den langen Arm hinauf, bis ich in Vaters lächelndes Mondgesicht mit den wild wuchernden Augenbrauen schaute. Der Kontrast zwischen seinem weichen Blick und den wilden Brauen gab ihm etwas Widersprüchliches. „Gefällt es dir?“

„Das Schwert? Ja, sehr. Diese Schmiedekunst wird ihrem Ruf mehr als gerecht.“

„Das freut mich zu hören. Und Prinz Weißfell vermutlich auch.“

„Was ist denn so Dringliches im Bau vorgefallen, dass er nicht kommen konnte?“ Ich war nicht neugierig, wollte nur etwas Konversation betreiben. Mir entging jedoch nicht, dass mein Vater einen schnellen Blick mit Mutter tauschte. Doch statt einer Antwort reichte sie mir die Schriftrolle mit der Festrede.

„Wir wollen doch die Gäste nicht noch länger warten lassen. Ich übergebe dir nun das Wort.“

Irritiert nahm ich die Schriftrolle entgegen und Mutter bugsierte mich an ein Vortragspult, das irgendjemand vor die Tafel gezaubert haben musste, vermutlich während ich das Schwert bewundert hatte.

Meine Hände wurden plötzlich feucht, doch ich trat an das Pult und wie in Trance breitete ich die Schriftrolle aus. Dann machte ich den Fehler hochzuschauen. Alle Augen im Saal waren auf mich gerichtet und für einen Augenblick verschwamm meine Sicht. Ich hatte das Gefühl, vor einem wabernden Nebelmeer zu stehen, das nur darauf wartete, mich zu verschlingen.

Hastig schaute ich auf den Text hinunter, doch anstatt zu improvisieren, so, wie ich es mir vorgenommen hatte, las ich die Rede ab. Wort für Wort. Als ich endete, brandete Applaus auf. Überrascht hob ich den Blick und konnte kaum glauben, dass alle jubelten. Ich winkte in die Runde, dann rollte ich das Papier wieder zusammen und trat vom Pult zurück. Meine Finger zitterten immer noch, doch ich bemerkte mit einem Mal, wie hungrig ich war. Mutter drückte mich, Vater applaudierte und endlich durfte ich mich setzen und etwas essen. Mutter hatte an alles gedacht: Bärlauch-Kürbis-Suppe, frisches Goldkornbrot mit diversen Aufstrichen, von würziger Nusscreme über süße Honigbutter und mit Olivenöl verfeinertes Kräutergelee. Ein Allerlei aus Rhabarber und Stachelbeeren, aber auch salziges Gebäck wurde gereicht. Von Mandelmilch über Honigwein, zartbitterer Pfefferminz-Holunder-Limonade und sogar der aus Sandhain importierte, anregende, aus gerösteten Bohnen zubereitete Mokka.

Das Frühstück verlief ohne Zwischenfälle, weitere obligatorische Reden wurden gehalten und eine Bardin sorgte für angenehme Hintergrundmusik. Doch es wurde nicht getanzt. Das war dem Ball, der in drei oder vier Blütenstunden stattfinden würde, vorbehalten.

Als ich meine Runde machte, um die wichtigsten Gäste persönlich zu begrüßen, flatterten hier und da Geschwätz und Gerüchte an mir vorbei. „Habt ihr mitbekommen, was aus Sandhain alles in der letzten Zeit nach Grünhain exportiert worden ist? Fee könnte glatt meinen, dass jemand hier aufrüstet.“

„Ach was, das meiste, was nach Grünhain geht, sind doch Wein, Mandeln und Aloe vera.“

„Aber uns ist aufgefallen, dass aus Grünhain in den letzten Monaten immer weniger Feenstahl importiert werden konnte. Vielleicht sollten wir neu verhandeln?“

„Hm, aber nicht heute. Heute ist doch ein besonderer Tag. Lasst uns lieber anstoßen.“

Ich spitzte meine Ohren, vielleicht sollte ich bei der nächsten Beratung danach fragen, was das genau bedeutete. Nun aber verbannte ich die Sache aus meinem Kopf. Heute war mein Geburtstag und die Politik hatte hier nichts zu suchen.

Zwischen den Tischen bewegte ich mich hin und her, redete mit Sandhainern, ganz kurz mit dem Dorfvorsteher und den Kupfer-Magierinnen. Gerade hatte ich mir ein neues Glas Mandelmilch genommen, als ich Celi erspähte, doch sie war so beschäftigt, dass wir nicht mehr als ein paar belanglose Worte wechseln konnten. Zwischendurch machte ich immer wieder kehrt, um mir die Geschenke, die in einem schier endlosen Strom auf dem Gabentisch landeten, anzusehen, doch Prinz Weißfells Schwert war das einzige, über das ich mich wirklich freute. Woher wusste er, wie groß ich und meine Hände sind? Vermutlich hatte er meine Eltern gefragt. Ich konnte dem Kleeblütengriff, der so perfekt gearbeitet war, nicht widerstehen, und nahm das Schwert immer wieder in die Hand, wog es und bewunderte die Schmiedearbeit. Die Gäste vertieften sich in das Mahl und weitere Gespräche. Ich beobachtete Mutter und Vater, die den hohen Sandhainern Komplimente machten, sah Celi hin und her rennen und fühlte mich trotz der illustren Gesellschaft ziemlich allein. Nicht einmal, dass mich Kommandant Leafus auf das Schwert ansprach und wir uns eine Weile über mein kommendes Training unterhielten, änderte etwas daran. Letztendlich war ich erleichtert, als mein Vater sich erhob und dem Herold zunickte. Dieser verließ daraufhin den Saal, nur um ein paar Blütenumdrehungen später mit einer Schar Bediensteter wiederzukommen, die beladen mit noch dampfenden Kuchentabletts im Saal ausschwärmten, bis es überall nach frischen Vanilleküchlein mit Johannisbeerguß duftete. Na, wenn das mal nicht der buchstäbliche Möhrenkuchen der Hoffnung ist, dachte ich. Wenn ich mit dieser Nachspeise fertig bin, kann ich mich endlich aus diesem unbequemen Kleid schälen, in meine Uniform schlüpfen und Primm auf der Hummelkoppel besuchen, bevor der Ball anfängt.

Doch es kam alles ganz anders. Mutter erhob sich plötzlich und tippte mit einem Löffel gegen ihr Glas. Sofort wandten sich ihr alle zu. Ich schlang den letzten Rest meines Kuchens hinunter und wartete auf das, was sie zu sagen hatte.

„Meine liebe Finara, werte Gäste. Heute ist ein ganz besonderer Tag. Wir haben uns hier alle eingefunden, um Finaras siebzehnten Geburtstag zu feiern. Doch das ist nicht der einzige freudige Anlass.“ Sie machte eine kleine Pause. Die Gäste raunten und ich war verwirrt. Was sollte es denn noch geben?

Neugierig geworden, lehnte ich mich vor und spürte eine seltsame Unruhe in mir, von der ich nicht wusste, wie ich sie deuten sollte. War ich alarmiert oder gespannt auf die Überraschung? Was hatte Mutter vor? Ich knetete nervös meine Finger und registrierte, dass ich schweißnasse Hände hatte.

„Ich habe die unglaubliche Ehre, verkünden zu dürfen, dass meine Tochter, Finara von und zu Doldenstaub, Prinzessin der Kleefeen und zukünftige Königin, ab dem heutigen Tag offiziell Prinz Weißfell, dem zukünftigen König der Kaninchenritter, versprochen ist. Die Hochzeit wird in einem halben Jahr stattfinden, wenn die Lachse den Grünhainstrom hochschwimmen.“

Meine Zeit stand still. Ich vernahm die Worte, doch es war ihre Bedeutung, die mich beinahe vor allen Gästen explodieren ließ. Wie konnte Mutter es wagen?

 

Kapitel 2

Finaras Geburtstag, Teil 2

Ich hatte keine Ahnung, was nach Mutters ungeheuerlicher Ankündigung genau geschehen war, doch als ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, saß ich in meinem Gemach auf meinem Bett. Das Kleid hatte ich abgestreift, es achtlos auf dem Boden liegen lassen, mir ein kurzärmeliges Hemd übergeworfen, ein Buch genommen, und blätterte gedankenverloren darin herum.

„Sie haben mich tatsächlich verlobt und das vor der ganzen Versammlung öffentlich gemacht. Ohne mich vorher zu fragen.“ Ich war nicht nur empört, ich war entsetzt. Meine Eltern hatten mich bisher noch nie in wichtigen Dingen übergangen. Zumindest konnte ich mich nicht daran erinnern. Seit einem Jahr nahm ich an offiziellen Sitzungen teil und wurde dort nach meiner Einschätzung und Meinung gefragt. Dass sie mich jedoch gerade in dieser Angelegenheit wie ein unmündiges Feenkind behandelten, passte so gar nicht dazu. Andererseits waren politische Hochzeiten nichts Außergewöhnliches und immerhin war ich die Prinzessin. Mir war immer klar gewesen, dass mir das irgendwann bevorstehen würde. Aber jetzt? Und die Hochzeit schon in einem halben Jahr? Nur dunkel konnte ich mich noch an Prinz Weißfell erinnern. Wir hatten uns irgendwann einmal als Kleinfee und Kaninchenritter-Junges getroffen.

Ich versuchte, mir sein Bild zurück ins Gedächtnis zu rufen, aber mir kam nur ein verschwommener Eindruck von Wortkargheit, weichen, immer angelegten Löffeln und unsicherem Hin- und Herhoppeln in den Sinn. Kein Rückgrat, keine eigene Meinung, keine Stärken. Ich zog die Stirn kraus und starrte auf eine Abbildung in dem Buch auf meinen Knien, ohne diese wirklich zu sehen. „Habe ich nicht etwas Besseres verdient? Zum Beispiel einen stolzen, aufrechten Krieger, mit genügend Rückgrat, um gegen die immer aggressiver werdenden Fichtenherrscher oder die unberechenbaren Hornissen zu bestehen? Selbst Celi hat mehr Durchsetzungsvermögen. Eher würde ich sie heiraten. Das Schwert hat er mir doch nur geschenkt, damit ich für ihn seine Schlachten schlage.“ Ich warf das Buch zur Seite, rollte von einer Bettkante zur anderen, blieb schließlich mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken liegen und blickte zu dem Baldachin empor, in dem das Bild unseres Blütengottes, dem Hüter, eingewirkt worden war. Eingehüllt in einen weißen, makellosen Mantel, in der einen Hand flache, runde Gefäße mit Kleesamen und in der anderen seltsame Röhrchen aus denen Sternenstaub rieselte. Doch das milde Lächeln und die sanften Züge wirkten mit einem Mal steif und gefroren. Ewigkeit bedeutete Stagnation, nicht Wandel, schoss es mir durch den Kopf. Ich richtete mich auf, sprang vom Bett, zog mir meine Uniformjacke über und setzte mich an meinen Schreibtisch, über dem vorgestern noch ein neuer Kupferleuchter angebracht worden war. Das leise Surren der Röhren riss an meinen Nerven und klang wie das Geräusch von Fingernägeln, die über eine Schiefertafel kratzten. Ich tätschelte mir ein paarmal auf meine Wangen, dann öffnete ich mein Tagebuch, nahm meinen Schreibdolden und wollte gerade ansetzen, da klopfte es an der Tür. Doch statt zu antworten, fing ich an zu schreiben.

„Finara, Liebes, ich weiß, dass du da bist. Darf ich reinkommen?“

Nein, Mutter, ich habe keine Lust, mit dir zu reden, dachte ich.

„Finara? Bitte …“

Ich seufzte und legte meinen Schreibdolden beiseite. „Komm rein, wenn du unbedingt musst.“

Mutter öffnete die Tür, trat aber nicht ins Gemach. Sie war sichtlich verärgert, aber auch pikiert. „Kind, was soll das denn? Du kannst doch nicht einfach so aus dem Saal verschwinden. Was sollen denn die Gäste denken? Jetzt komm mit, dein Debütantinnenball steht an und dein Vater besteht auf einen Tanz mit dir. Aber, wo hast du denn dein Kleid?“

Ich bemerkte, wie es immer stärker in mir brodelte. „Ich wollte mich gerade umziehen und dann zu Primm auf die Koppel, mit ihr eine Runde ums Schloss fliegen."

„Töchterchen, weißt du überhaupt, wie spät es schon ist? Es dämmert bereits und der Ball beginnt gleich."

„Dann tanze ich eben in meiner Uniform.“

Schockiert weiteten sich Mutters Augen. „Finara, sei vernünftig. Das ziemt sich nicht.“

„Dann komme ich nicht mit und ihr könnt ohne mich tanzen“, erwiderte ich kalt.

„Jetzt sei nicht kindisch.“

Zornig verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Bin ich das? Das könnte etwas mit dem Prinzip Ursache - Wirkung zu tun haben.“

„Prinzessin, dein Ton gefällt mir gar nicht.“ Mutter seufzte, kam herein und schloss die Tür. Dann setzte sie sich auf die Kante meines Bettes und nestelte verlegen an ihrem fliederfarbenen Seidenkleid. „Ich verstehe ja, dass du nichts vom Protokoll hältst. Aber wir haben alle unsere Verpflichtungen und du bist jetzt in einem Alter, in dem du wichtige Entscheidungen zu treffen hast.“

Mit zusammengekniffenen Augen lehnte ich mich vor. „Ich soll also wichtige Entscheidungen treffen? Dann solltet ihr mich das auch tun lassen. Im Gegensatz zu euch habe ich mich nicht dazu entschieden, öffentlich und über den Kopf der eigenen Tochter hinweg zu verkünden, dass sie einen dahergelaufenen Bündnis-Rammler zu ehelichen hat. Und jetzt verlangt ihr, dass ich gute Miene zum bösen Spiel mache. Es tut mir leid, aber ich werde nicht mit runterkommen.“ Wir hatten uns schon lange nicht mehr gestritten.

Mutters Blick wurde hart. Ruckartig stand sie auf. „Prinzessin Finara von und zu Doldenstaub, es reicht. Wie sprichst du überhaupt mit mir? Das erlaube ich nicht. Du solltest wissen, wo dein Platz ist.“

Ich starrte sie an und musste mich beherrschen, nicht aufzuspringen und sie am Kragen zu packen. Sie sah auf mich herab, ihr Blick kalt wie Eis. „Hör gut zu, Töchterchen. Danke dem Hüter auf Knien, dass ich noch weiß, was es bedeutet, jung zu sein. Aber bedenke, wer, und vor allem was du bist und was du einmal sein wirst. Du wirst die Zukunft der von und zu Doldenstaubs sichern. In Grünhain bedeutet das nicht nur, gegen die Fichtenherrscher gewappnet zu sein, sondern auch, die Traditionen der Kleefeen zu bewahren, ihre Lebensweise und ihre Errungenschaften. Koste es, was es wolle. Dafür ist das Kleevolk auf die Kaninchenritter angewiesen. Verbindungen und Bündnisse sichern unsere Existenz hier.“ Sie trat auf mich zu, legte mir beinahe versöhnlich die Hand auf die Schulter, doch ihre Augen blieben kalt, ihr Gesicht unbewegt.

Ich bemühte mich, meine Wut in Zaum zu halten, doch ihre Hand fühlte sich auf meiner Schulter wie ein Fremdkörper an und ich streifte sie ab. „Das weiß ich, Mutter. Ich bin mir meiner Position bewusst. Aber ausgerechnet in diesem Punkt habt ihr mich übergangen und das verzeihe ich euch nicht so schnell. Ihr mutet mir die Hofintrigen und die Diplomatie in all ihren brutalen Facetten zu, aber wenn es um meine eigene politische Heirat geht, findet ihr es in Ordnung, wenn ich als Letzte davon erfahre? Das ist nichts weiter als Doppelmoral.“

„Wir dachten lediglich, dass es eine schöne Überraschung wäre.“

„Eine Überraschung war es. Und was für eine. Vor der ganzen versammelten Feenschaft. Wie konntet ihr mich nur so bloßstellen?“

Mutter atmete hörbar aus.

„Aber, aber, Kind, beruhige dich. Ich verstehe tatsächlich nicht, warum du dich über die Bekanntgabe so aufregst. Erstens müsste dir das doch klar gewesen sein, immerhin warst du bei den Vorbereitungsgesprächen für diesen Anlass dabei. Außerdem kennt ihr euch doch von Kindesbeinen an und du dürftest wissen, dass wir von und zu Doldenstaubs nicht irgendwelche dahergeflatterten Feen ehelichen können. Dein Vater und ich sind jetzt über dreißig Blütenjahre miteinander verheiratet. Auch unsere Ehe gehört zu den notwendigen Arrangements unserer Welt. Nun, zugegeben, wir hatten das Glück, dass wir sehr schnell eingesehen haben, dass wir nur voneinander profitieren können. Der Rest ergab sich von selbst und das Ergebnis bist du. Ich bin sehr enttäuscht, dass du uns nicht vertraust. Wenn jemand weiß, was gut für dich ist, dann sind wir das.“

„Aha, ich wusste gar nicht, dass Vater ein verzaubertes Kaninchen ist.“ Meine Stimme triefte vor Sarkasmus.

„Finara, versuche nicht, mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Die Kaninchenritter sind seit jeher unsere stärksten Verbündeten und du bist diejenige, die in Zukunft sicherzustellen hat, dass das auch so bleibt.“

Ich sprang auf, sodass mein Stuhl bedrohlich kippelte, und warf die Hände in die Luft. „Was erwartest du jetzt von mir? Du hast einen Feenrich geehelicht, aber ich soll an diese Rammler gehen? Du kannst wirklich froh sein, dass ich mich nicht für andere Feen interessiere und nichts gegen reine Politik habe. Aber das ist typisch: Wenn dir mein Verhalten nicht gefällt, wirst du immer so moralisierend. Das hilft weder dabei, das Problem angemessen zu diskutieren, noch, es zu lösen. Deswegen sage ich dir hier und jetzt meine Meinung. Ich werde diesen faulen Rammler nicht ehelichen. Ich werde heute Abend nicht hinuntergehen, um lächelnd mein Debüt zu absolvieren. Das ist mein letztes Wort.“

„Dann lässt du mir keine andere Wahl.“ Mutter klatschte zweimal in die Hände und Celi kam herein. Scheinbar hatte sie draußen vor der Tür gewartet. Das war also Mutters Trumpfkarte, dachte ich. Celi warf mir einen nervösen Blick zu und machte einen Knicks.

„Celika, zieh meiner Tochter ihr Kleid an und schaffe sie runter in den Festsaal. Wenn sie nicht freiwillig mitkommt, ruf die Wachen.“

„Lass Celi aus dem Spiel. Wie kannst du es wagen?“

Mutter sah mich nicht einmal an, sondern schritt hocherhobenen Hauptes aus dem Zimmer. Ihr fliederfarbenes Kleid glänzte im Schein der Glühwürmchen-Leuchter und betonte das tiefschwarze Haar, das ihr über die Schultern fiel. Rein äußerlich war sie eine Schönheit, doch jetzt nahm ich nur ihre abweisende, eiskalte Aura, ihren Liebesentzug, wahr. Dann drehte sie sich im Türrahmen noch einmal um und wandte sich an Celi: „Du hast fünf Blütenumdrehungen, die Prinzessin fertig zu machen.“ Dann fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.

Ich stand da wie betäubt, aber in mir loderte ein Gefühl, das nah an Hass grenzte. Ich musste wohl schrecklich aussehen, denn Celi beäugte mich vorsichtig von der Seite, bevor sie das Kleid, das ich achtlos weggeworfen hatte, aufhob, glatt strich und über den Stuhl legte. Sanft zog sie mir die Uniformjacke und das Hemd aus, hängte diese an den Schrank, nahm das Kleid und zog es mir vorsichtig über den Kopf. Ich ließ es geschehen.

Dieser Geburtstag war ein Desaster und Mutters Verhalten verstörte mich zutiefst. Ja, sie war gut darin, anderen ein schlechtes Gewissen zu machen, aber sie tat das nur, wenn Fee nicht auf ihre Argumente einging. Doch ich war auf sie eingegangen und ich hatte erst dann meine Meinung gesagt. So verhielt sie sich sonst nie. Es wirkte seltsam unverhältnismäßig, sogar fast verzweifelt.

„Hier stimmt etwas nicht“, sprach ich aus, was ich dachte.

„Was stimmt nicht, Prinzessin?“

„Mutters Verhalten. Sie ist normalerweise nicht so fies.“

Celi richtete sich auf und sah mich an. „Es steht mir nicht zu, Ihre Majestät zu beurteilen.“

„Doch, Celi, eigentlich müssten gerade Leute wie du die Herrschenden beurteilen. Aber das gehört jetzt nicht hierher. Hier, mach schnell. Ich will nicht, dass du wegen mir noch weiteren Ärger bekommst.“

Celi schwieg und zupfte geschwind hier und da an meinem Kleid. Dann brachte sie mit ihren geschickten Fingern meine Haare und mein Gesicht in Ordnung. Schwungvoll zog sie meine Lippen nach, puderte meine Brauen über und hielt mir einen kleinen Handspiegel hin.

„Ihr seid wunderschön.“

„Ach, hör auf. Nur weil die Farbe nachhilft“, winkte ich ab.

„Nein, die Farbe unterstreicht nur das, was schon da ist.“

„Celi, du hast es nicht nötig, mir Honig ums Maul zu schmieren.“

„Ja, zugegeben, Ihr gefallt mir in Eurer Uniform auch besser als in diesem Kleid. Aber Pflicht und Protokoll rufen.“

Seufzend bot ich ihr meinen Arm an. „Gehen wir?“

Celi legte verlegen ihre Hand auf meinen Arm und nickte. Zusammen traten wir auf den Flur und stolzierten an dem armen Wachmann vorbei, der schon den Arm erhoben hatte, um an die Tür zu klopfen und nun nicht so recht wusste, wo er hinschauen sollte.

„Wir finden den Weg allein,“ sagte ich. Er salutierte steif und brachte kein Wort heraus.

„Seht Ihr, Ihr seid so schön, dass es jedem Feenrich die Sprache verschlägt“, sagte Celi und kicherte.

„Bist du dir da sicher? Vielleicht findet er nur die Farbe in meinem Gesicht völlig lächerlich.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Aber vielleicht hat er Angst, dass Ihr ihm seine frivolen Gedanken direkt an seinem Gesicht ablesen könnt?“

„Celi!“ Wir lachten. Doch ich sah aus den Augenwinkeln, wie der Wachmann bei ihren Worten kurz gefror, sich dann langsam und ungelenk herumdrehte und den Flur in die entgegengesetzte Richtung abschritt. Vielleicht sollte ich mit Kommandant Leafus über die Moral seiner Untergebenen sprechen, schoss es mir durch den Kopf, und ich spürte, wie sich mein Mund zu einem kleinen Lächeln verzog.

Wir liefen die Treppe hinunter und kaum standen wir vor dem Festsaal, hörte ich auch schon, wie der Herold mich ankündigte. Hatte Mutter ihre Augen und Ohren denn überall?

Celi wollte mich gerade loslassen und in den Bedienstetentrakt abbiegen, doch in einem Anfall von spielerischem Trotz hielt ich sie fest. „O nein. Du bleibst hier.“

„Finara, was habt Ihr vor?“

„Wirst du schon sehen. Bleib dicht bei mir.“ Celi wollte sich losreißen, aber da öffneten sich die Pforten und das Orchester spielte die ersten Takte. Ich zog sie mit in Richtung Tanzfläche. Mir war bewusst, dass ich sie in Verlegenheit brachte, und vielleicht würde sich morgen das gesamte Schloss in Klatsch und Tratsch ergehen. Aber ich war so wütend und enttäuscht, dass ich plötzlich eine unbändige Lust verspürte, das Protokoll endgültig zu brechen.

Während das Orchester den Kleeblütenwalzer spielte, blieb ich mit Celi in der Mitte des Saales stehen. Die Gäste wandten sich uns zu und starrten, aber ich ignorierte sie und raunte Celi zu: „Tanz mit mir. Keine Angst, ich führe.“ Ich wartete erst gar nicht ihre Reaktion ab, sondern ergriff ihre Hand und wirbelte mit ihr über die Tanzfläche. Die Musik wurde lauter und übertönte die erstaunten Rufe der Gäste. Dem Herold fiel vor Schreck die Perücke herunter und Mutter schäumte vor Wut an der Seite meines Vaters, der sie nur mit Mühe davon abhalten konnte, loszustürmen und die Situation noch schlimmer zu machen.

Ich tanzte mit Celi quer durch den Saal und lachte. Ihr Zopf hatte sich gelöst, sie hatte endlich etwas Farbe im Gesicht, und viel wichtiger: Sie lächelte. Den ganzen Tag hatte ich sie nur nervös, ängstlich oder besorgt gesehen. Doch jetzt strahlte sie. Allein dafür hatte sich dieser Bruch mit dem Protokoll gelohnt. Niemand wagte es, unseren Tanz zu unterbrechen.

Als die Melodie wechselte, löste mein Vater Celi schließlich ab. Er lächelte milde von oben auf uns herab. Celi wurde knallrot, knickste hastig und rannte, so schnell sie konnte, aus dem Saal. Vater wandte sich mir zu und deutete eine spielerische Verbeugung an. „Wenn du erlaubst?“

Ich nickte und überließ mich Vaters Führung.

„Hast du dich mit deiner Mutter gestritten?“

„Sie hat angefangen.“

„Hat sie das?“ Er hob die Augenbrauen, während er mich in eine elegante Drehung hineindirigierte.

„Ja. Mir jede Politik aufbürden, aber mich dann wie ein Kind behandeln, wenn es um meine Ehe geht. Ich habe ihr nur klargemacht, dass ich nicht heiraten werde.“

Mein Vater schwieg, doch ein merkwürdiger Schatten huschte über sein Gesicht. Es wirkte auf mich, als wäre er aus irgendeinem Grund tief enttäuscht. „Finara, bedenke: Sie will nur dein Bestes.“

„Und das ist ein Grund, mir meinen Geburtstag zu vermasseln?“

„Eigentlich wollte sie dich nur überraschen. Vermute ich.“

„Überraschen? Ja, das ist ihr wahrlich gelungen. Schau doch, wie die Gäste jetzt über mich tuscheln.“

„Nun, meine liebe Tochter, daran bist du nicht ganz unschuldig. Einfach aus dem Saal zu rennen, nur weil dir eine Überraschung nicht gefällt, ziemt sich nicht für eine zukünftige Königin.“ Mit strengem Blick sah er auf mich herab.

„Vielleicht hättet ihr diese Überraschung, wie ihr sie nennt, einfach vom Plan streichen sollen, dann wäre ich nicht aus dem Saal gestürmt.“ Daraufhin erwiderte mein Vater nichts, doch ich hatte den Eindruck, während wir im Walzertakt über den weißen Steinboden tanzten, dass der Schatten, der über sein Gesicht huschte, immer dunkler wurde. Vielleicht bildete ich mir das aber auch nur ein und es war der Glühwürmchen-Leuchter, dessen Licht nachließ.

Als die Melodie erneut wechselte und langsamer wurde, sagte mein Vater: „Ich werde mit deiner Mutter noch einmal darüber reden, aber eins verspreche ich dir: Celika wird nicht weiter in dieses Spiel mit hineingezogen. Ich werde dafür sorgen. Du kannst das als mein persönliches Geschenk an dich sehen.“

Ich nickte, doch in meinem Bauch machte sich ein flaues Gefühl breit. Dennoch erwiderte ich: „Danke, Papa.“

 

Kapitel 3

Gerüchte

In den kommenden Tagen nahmen mich mein Kampftraining und meine politischen Studien so sehr in Beschlag, dass ich keine Zeit mehr hatte, über Mutter und mich nachzudenken. Auch Celi sah ich nur selten. Morgens beim Ankleiden und beim Entkleiden abends, was uns nicht die Zeit für ein ordentliches Gespräch ließ, denn ich war abends so erschöpft, dass ich mich kaum auf den Beinen halten konnte. Es war wie verhummelt. Seit dem Ball hatten wir keine Zeit mehr füreinander und mir fehlte Celi sehr, denn sie war die Einzige, mit der ich reden konnte. Mutter schien sie hin- und herzuscheuchen, vielleicht, um ihre Wut im Stillen an ihr auszulassen, aber mein Vater hielt Wort. Sie wurde nicht für den Skandal auf dem Debütantinnenball verantwortlich gemacht. Zwar tuschelten Feen im Schloss auf den Fluren hinter vorgehaltener Hand, aber mir war das gleich. Sollten sie sich doch alle das Maul zerreißen. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass irgendwann die Zeit der offenen Konfrontation mit Mutter kommen würde, und der Hüter stehe mir bei, wenn ich darauf nicht vorbereitet war. Also stürzte ich mich in meine Aufgaben und Pflichten und spielte ein paar Tage lang die vorbildliche Prinzessin. Obwohl Mutter und ich nur das Nötigste miteinander sprachen, erwischte ich sie eines morgens dabei, wie sie mir aus ihrem Fenster beim Kampfhummel-Training zuschaute.

Doch auch nach drei weiteren Tagen blieb sie immer noch distanziert. Ich war so beschäftigt, dass ich nur am Rande bemerkte, wie sich allmählich eine düstere Stimmung im Schloss ausbreitete.

Dann, eines morgens, nach einem besonders harten Schwerttraining, nahm Kommandant Leafus mich beiseite. „Prinzessin, ich muss mit Euch reden.“

Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. „Was gibt es denn?“

„Haben Eure Majestäten schon mit Euch gesprochen?“

„Worüber?“

Der Kommandant runzelte die Stirn. „Sie haben Euch nichts gesagt?“

Langsam ließ ich mein Übungsschwert sinken. „Nein?“

„Mir steht es selbstverständlich nicht zu, Euren Majestäten vorzuschreiben, was sie mit ihrer Tochter wann besprechen.“

„Kommt zum Punkt“, wies ich ihn etwas harscher an.

„Wie Ihr wünscht.“ Der Kommandant schaute sich kurz um und bugsierte mich außer Hörweite. „Bitte erteilt mir die Erlaubnis, mit Euch offen zu sprechen.“

Jetzt wurde er mir unheimlich. „Erteilt.“

„Finara, ich weiß, dass du kein kleines Mädchen mehr bist und dass du in den letzten Jahren unglaubliche Fortschritte gemacht hast. Aber um ehrlich zu sein: Ich bin mir nicht sicher, ob deine Fähigkeiten ausreichend sind.“

Meine Augen wurden groß. Was sollte denn diese Ansprache?

„Ich weiß auch ganz genau, was du jetzt sagen willst, und nein, du liegst völlig falsch. Nicht du bist das Problem, sondern ich. Ich werde dich bald nicht mehr unterrichten können. Dabei gibt es noch so viel, was ich dir beibringen müsste.“

Fassungslos unterbrach ich ihn. „Was soll das heißen? Was meint Ihr mit, Ihr könnt mich nicht weiter unterrichten?“

Er legte mir die Hand auf die Schulter und in seinem Lächeln lag eine Spur Wehmut. „Finara, merk dir eins. Niemals darfst du schlecht über deine Eltern denken. Sie wollen nur dein Bestes. Und ich ebenfalls.“

Verständnislos starrte ich ihn an. Dafür wollte er außer Hörweite sein?

In seiner typisch monotonen Art fuhr er fort: „Doch das Wichtigste ist: Lass dich, egal, für wen oder was du dich auch in deinem Leben entscheiden wirst, nicht von deinen eigenen Vorurteilen blenden. Bleib neugierig, stell weiter Fragen, befrage dich auch immer wieder selbst und vor allem: Mache dir immer ein eigenes Bild. Hör anderen zu und höre gleichzeitig auf dich selbst.“

Ich verdrehte die Augen. „Kommandant, was soll diese Ansprache? Ihr hört Euch so an, als würden wir uns nie wiedersehen.“

Leafus schwieg und ich trat unruhig von einem Fuß auf den anderen.

„Wozu erzählt Ihr mir das alles? Ich kann mich nicht erinnern, in den letzten Tagen etwas in den Besprechungen versäumt zu haben. Wenn meine Kampffähigkeiten nicht ausreichen: Wofür reichen sie nicht aus? Ich kann gegen fünf Gegner, die mich gleichzeitig mit unterschiedlichen Waffen angreifen bestehen.“

Der Kommandant schüttelte hastig den Kopf und wechselte in die formelle Ansprache. „Eure Kampffähigkeiten sind hervorragend und doch habe ich Euch noch nicht beigebracht, was eine wahre Kämpferin ausmacht.“

„Ich höre.“ Neugierig lauschte ich, was da kommen mochte.

„Eine wahre Kämpferin kennt immer ihre Grenzen.“

Verwirrt hob ich die Augenbrauen. „Ist das nicht eine Binsenweisheit?“

Leafus schüttelte den Kopf. „Vielleicht erscheint es auf den ersten Blick so, aber habt Ihr Euch tatsächlich gefragt, ob Ihr in der Lage wärt, einen mehrere Blütenmonate dauernden Stellungskrieg im Schlamm ohne Schlaf und Essen zu ertragen?“

Ich schwieg. Nein, das hatte ich mich in der Tat noch nicht gefragt. Warum auch? Plötzlich dämmerte mir etwas. „Die Falken?“ Schnell schlug ich mir die Hand vor den Mund. Jetzt verstand ich seine Geheimnistuerei. „Wollt Ihr mir etwa damit sagen, Mama und Papa bereiten sich auf einen Krieg gegen die Falken vor?“

Für einen kurzen Moment blitzte etwas wie Überraschung in seinem Gesicht auf. „Ich sehe, Eure Majestäten haben Euch gut auf Euer weiteres Leben vorbereitet.“

Ich biss mir auf die Lippe. Das erklärte, warum Mutter und Vater seit ein paar Tagen wie aufgescheuchte Hummeln herumrannten, nur noch miteinander flüsterten und keine Zeit hatten. Sie nahmen vermutlich an, dass ich noch sauer wegen der Verlöbnis-Verkündung war, und hatten dies genutzt, um mir nicht erklären zu müssen, dass statt ausgiebigen Hochzeitsvorbereitungen auf einmal Mobilmachung auf der Liste stand.

Ob sich Prinz Weißfell gerade in diesem Moment den Falken stellen musste? Das könnte der Grund sein, warum er nicht zu meinem Geburtstag kommen konnte. War Mutter deswegen so wütend auf mich? Dies wäre ein Bündnisfall und ich war drauf und dran, diesen zu boykottieren. Ich fasste mir an die Stirn.

„Was wird dann aus der Hochzeit? Fällt die aus?“

„Eure Majestäten haben Euch darüber nicht informiert? Sie werden die Hochzeit vorziehen. Auf keinen Fall soll Eure Verbindung gefährdet werden.“

Ich dachte, ich hätte mich verhört. „Vorziehen?“

„Ja. Eure Majestäten wollen doch gerade in dieser Situation nicht dem Glück ihrer einzigen Tochter im Wege stehen.“

Ich verzog das Gesicht und warf mein Trainingsschwert so hart zu Boden, dass es schepperte. „Das ist wohl ein Scherz.“

„Was meint Ihr, Prinzessin?“

„Was ich meine: Seid Ihr etwa behummelt? Meine Eltern machen mobil, aber sie wollen mich unbedingt noch vor einer Kriegserklärung verheiraten? Ihr seid alle völlig durchgehummelt!“ Ich kochte und der Kommandant wich unwillkürlich einen Schritt zurück.

Beschwichtigend hob er die Hände. „Prinzessin, Eure Hoheit, Finara. Bitte beruhigt Euch. Was sollen denn die anderen Soldaten von Euch halten?“

„Das ist mir egal. Nicht zu fassen. Kein Wunder, dass Mama und Papa mir ständig ausweichen.“ Schnaubend drehe ich mich um und stürmte davon. Kommandant Leafus rief mir noch etwas hinterher, doch ich verstand ihn nicht mehr. Mit entsetztem Kopfschütteln machte ich mich auf zu den Kampfhummeln auf dem Blütenhügel hinter dem Schloss. Als ich die Koppel betrat, kam Primm voller Blütenpollen auf mich zugesaust und ich streichelte sie, bis meine Hände ganz gelb von ihren gesammelten Pollen waren. Primm war meine andere beste Freundin. Wir kommunizierten mit Blicken und Berührungen und es war über die Jahre eine Verbindung entstanden, die ich schlecht mit Worten beschreiben konnte. Obwohl Primm nicht sprach, redete sie mit mir. Ihr Summen spiegelte ihre Stimmungen wider, ihre Haltung zeigte mir, was sie mochte und was nicht, ihre Fühler gestikulierten mir, wohin sie wollte. Kampfhummeln gehörten zu uns Kleefeen wie Pech zu Schwefel, wie Schild zu Schwert, wir waren Seelenverwandte. Es gab keine loyalere Begleitung, kein treueres Tier. Wenn eine Kleefee eine Kampfhummel besaß, war sie eine gesegnete Fee. Eine Kampfhummel gab es nur einmal im Leben. Es gab sogar Fälle, in denen eine Kleefee sich mit ihrer Kampfhummel in den Tod begab, weil sie sich kein Leben ohne sie vorstellen konnte.

Irgendwann verabschiedete ich mich wieder von Primm. Ich brauchte Zeit für mich allein, um meine Gedanken zu sortieren, doch statt zum Schloss zurückzukehren, verkroch ich mich schließlich in meinem selbstgebauten Unterschlupf hinter den Stallungen, bis Celi mich zum Abendessen rief. Vor Celi konnte ich mich nicht verstecken. Sie war wie ein Kompass, der auf mich geeicht war, und egal, wo ich mich aufhielt, sie fand mich immer. Als die Sonne langsam hinter den weit entfernten Fichtenwipfeln verschwand, die ich bei dem guten Wetter heute sogar von meinem Unterschlupf aus sehen konnte, hörte ich ihre resoluten Schritte auf den losen Steinplatten vor dem Eingang. Ein paar Sekunden später klopfte es vorsichtig am Holzrahmen. Ich schwieg, doch Celi kam einfach herein. Sie lächelte kurz und schüttelte sich ein wenig Blütenstaub aus den Haaren.

„Ich dachte mir schon, dass Ihr hier seid. Eure Majestät sucht Euch überall.“

„Kann ich mir gar nicht vorstellen“, nuschelte ich.

„Ach, Prinzessin.“

„Kann ich dich was Persönliches fragen?“

„Aber natürlich.“

„Celi, wir sind doch gar nicht Zofe und Prinzessin. Wir sind doch Freundinnen, nicht wahr?“

Sie nickte langsam und ich murmelte: „Wenn wir echte Freundinnen sind, können wir uns alles erzählen, oder?“

Celi nickte erneut. Ihre Zöpfe wippten dabei und ich lächelte. Dann nahm sie ihren Umhang ab, setzte sich auf einen Wurzelstumpf und sah mich erwartungsvoll an. „Was gibt es denn so Bedeutsames, dass es nicht bis nach dem Abendessen warten kann?“

Tief holte ich Luft und erzählte, was Kommandant Leafus mir gesagt, aber auch, was ich an meinem Geburtstag von den Gästen aufgeschnappt hatte. Ich ertappte mich dabei, dass ein paar meiner Reaktionen im Nachhinein vielleicht doch etwas kindisch gewesen waren, doch Celi unterbrach mich kein einziges Mal. Als ich geendet hatte, sah sie mich erst wortlos an, dann stand sie auf und ging auf und ab.

„Vielleicht wollt Ihr das jetzt nicht hören, aber Ihr solltet mit Euren Eltern persönlich sprechen.“

„Sollte ich das?“

„Ja.“ Resolut nickte sie.

„Warum? Sie haben doch schon alles über meinen Kopf hinweg beschlossen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum ich den ersten Schritt machen sollte. Du weißt doch, wie man in den Fichtenhain hineinruft, so schallt es heraus. Sie sind diejenigen, die es zuerst verhummelt haben.“ Selbst in meinen Ohren klang das stur und trotzig.

Celi lächelte, dann kam sie auf mich zu und umarmte mich kurz. Sie roch nach Sonnenblumen, Klee und Blütenstaub. Ich atmete ihren Duft ein und spürte, wie mein Zorn nachließ. „Finara, ich will ganz ehrlich zu Euch sein. Ich habe keine Ahnung von Politik und dergleichen und ich will auch gar nichts darüber wissen. Ich bewundere Euch für Eure Neugierde und Stärke, diese ganzen komplizierten Aufgaben anzugehen und zu bewältigen. Und da wollt Ihr mir tatsächlich weismachen, dass Ihr für diese kleine Meinungsverschiedenheit keine Lösung findet? Esst etwas. Dann bereite ich Euch ein Bad, schlaft eine Nacht drüber und morgen geht Ihr zu Euren Eltern und klärt die Angelegenheit. So zu hadern, ist doch überhaupt nicht Eure Art.“

„Was meinst du mit kleiner Meinungsverschiedenheit? Sie haben mich angelogen, mich wie ein kleines Feenkind behandelt. Wenn sie mich glücklich verheiraten wollen, sollten sie mich dann nicht meinen zukünftigen Partner selbst wählen lassen, und nicht irgendeinen dahergelaufenen Rammler für mich bestimmen? Bündnis hin oder her. Und dann erfahre ich das auch noch als Letzte und sie nennen das Ganze eine nette Überraschung. Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wie Prinz Weißfell aussieht. Und das alles, während sie noch dazu hinter meinem Rücken einen Krieg planen? Celi, was würdest du denken, wenn das deine eigenen Eltern wären?“

Celi spitzte die Lippen und zog ihre Nase kraus. „Vertraut Ihr Euren Eltern etwa nicht? Immerhin wollen sie nur das Beste für Euch. Ich an Eurer Stelle würde alles tun, um mit ihnen persönlich zu reden. Ihr kennt bestimmt nicht alle Fakten.“

Überrascht blinzelte ich. „Was für Fakten?“

„Das weiß ich nicht, aber Eure Eltern können Euch bestimmt über die Lage in Grünhain aufklären.“

„Beim Hüter. Du hast recht. Ich weiß nur das, was Kommandant Leafus mir erzählt hat.“

„Richtig. So wie Ihr mir das gerade geschildert habt, hat der Kommandant vermutlich von den Majestäten den Befehl erhalten, zuerst mit Euch zu reden. Aber Ihr habt Eure Eltern immer noch nicht angehört.“

„Celi, wenn ich dich nicht hätte. In Ordnung, ich werde gleich versuchen, mit ihnen zu reden. Wie war das noch mit Essen und Baden?“

„Aber gerne doch.“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 4

Schwierige Verhältnisse

Auf dem Rückweg ertrug Celi geduldig mein Lamentieren, bis wir vor dem großen Kieseltor standen. Dann umarmte sie mich noch einmal. „Prinzessin, Ihr seid klug, Ihr werdet eine Lösung finden.“

„Dein Wort in des Hüters Ohr.“ In diesem Moment war ich mir sicher, dass ich nur wieder einen klaren Kopf bräuchte, um die ganze Angelegenheit zu klären, ohne mich selbst oder meine Eltern zu sehr vor den Kopf zu stoßen. Doch diesmal sollte es keine Kompromisse geben und später erst recht nicht mehr. Direkt beim Abendessen erfuhr ich, dass mein Vater am nächsten Tag turnusmäßig mit Truppeninspektionen und einem ersten Strategiegespräch mit Kommandant Leafus beschäftigt sein würde und Mutter den Brautausstatter schon längst herbestellt hatte. Fast hätte ich mich an der Klee- und Kressesuppe verschluckt. Mir blieben nur noch Hauptgang und Dessert, um eine andere Lösung vorzuschlagen. Als die Bediensteten den Hauptgang aufgetischt und den Raum verlassen hatten, räusperte ich mich. Meine Eltern sahen auf.

„Entschuldigt, dass ich mitten beim Essen davon anfange. Aber ich muss mit euch reden.“

Mutter legte ihren Löffel beiseite. „Was gibt es denn?“

„Ich habe mitbekommen, dass ihr hinter meinem Rücken Krieg führen wollt, während ich im grünen Spitzenkleid meine Rolle als Braut spielen soll.“ Damit war ich buchstäblich mit der Hummel durchs Bunterden-Dach gekracht. Doch zu meiner Überraschung erwiderten meine Eltern nichts. Sie machten den Eindruck, als wüssten sie nicht so recht, wie sie mir antworten sollten, also setzte ich nach.

„Ich erwarte eine Erklärung, warum ihr eine solche Strategie fahrt, ohne mich einzuweihen. Wozu habt ihr mich die ganzen Jahre unterrichtet, wenn ihr mir jetzt, wo es doch darauf ankommt, mein Wissen anzuwenden, keine Chance dafür gebt?“

Mein Vater hob beschwichtigend die Hand und mit einem schwachen Lächeln schüttelte er den Kopf. „Aber Finara, so darfst du das nicht sehen. Wo wir jetzt schon gemeinsam hier sitzen und in den kommenden Tagen keine Gelegenheit mehr dazu haben werden, ja, es gibt gewisse Probleme. Nicht nur mit dem Fichtenherrscher. Auch die Königin der Hornissen und der Rattengilde-Meister führen etwas im Schilde und wir versuchen gerade herauszufinden, was. Du weißt ja, dass unser Kleefeld genau im Zentrum von Grünhain liegt. Das bedeutet, dass sich hinter uns die Hornissen, auf der einen Seite die Ratten, auf der anderen Seite der reißende Grünhainstrom, und über uns die Falken befinden. Also auf den Punkt gebracht: Wir sind umzingelt. Die einzige Richtung, die uns noch bleibt, liegt ergo geradeaus. Du kannst mir doch bestimmt sagen, wer dort lebt? Dort geradeaus?“ Er deutete mit dem Finger auf das große, nach Osten ausgerichtete Fenster.

„Die Kaninchenritter.“, schlussfolgerte ich.

„Das ist meine Tochter.“

Mit anderen Worten: Unser Volk saß in einer Falle. Wenn sich alle gegen die Falken in einem Bündnis zusammenschließen würden, wäre der Fichtenherrscher keine Bedrohung. Aber mit diesen unterschiedlichen Interessenlagen war unser Bündnis mit den Kaninchenrittern das einzig Zuverlässige. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass die Ratten den Schulterschluss mit uns suchen würden, denn schließlich waren sie nur Handelstreibende. Und was die Königin der Hornissen anging: Ihre Umgangsformen waren mehr als zweifelhaft und sie gehörte zu der Sorte Grünhainer, die erst töteten und dann Fragen stellten. Das machte die Sache kompliziert und ich verstand plötzlich, warum mein Vater versucht hatte, mich nicht mit hineinzuziehen. Auch erkannte ich, was er zwischen den Zeilen sagte: Solange wir nicht genau herausbekommen hatten, was die anderen Seiten planten, machte es für meinen Vater keinen Sinn, mich damit zu behelligen. Die Stimme der Vernunft buchstabierte mir das aus und als hätte er diesen Gedanken gelesen, kam von ihm: „Finara, mein Schatz. Ich habe dich nicht informiert, weil ich die Situation für zu unübersichtlich hielt. Wenn ich in den kommenden Tagen mehr in Erfahrung bringen kann, dann …“

Ich unterbrach ihn und die Stimme der Vernunft ging im Getöse meines verletzten Stolzes unter: „Nur weil du vielleicht morgen oder in ein paar Tagen mehr weißt, bedeutet das nicht, dass du mich darüber auch informiert hättest. Immerhin soll ich ja noch die Braut im grünen Spitzenkleid spielen.“ Ich blieb hart. Das hier war zu absurd, um klein beizugeben.

Das Gesicht meines Vaters verfinsterte sich. „Achte auf deinen Ton.“

„Oh, das habe ich. Und deine Reaktion zeigt mir, dass ich recht habe.“ Wenigstens wusste ich jetzt, woran ich war.