Kleiner Mann hat Angst - Gert Rothberg - E-Book

Kleiner Mann hat Angst E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Der Tierarzt Dr. Hans-Joachim von Lehn und seine junge Frau Andrea hatten seit Tagen Besuch. Den Zoologen Lutz Burger und die Ärztin Dr. Martina Lindt. Lutz Burger war ein Kommilitone Dr. von Lehns. Er arbeitete im Frankfurter Zoologischen Garten bei Professor Dr. Albert Lindt, dem Vater von Martina. Lutz Burger hatte schon öfters einen Abstecher zu seinem alten Freund gemacht, aber bisher war er dabei immer allein gewesen. Trotz seiner zweiunddreißig Jahre schien er es mit dem Heiraten nicht eilig zu haben. Andrea hatte ihn deshalb schon oft geneckt. Doch bei diesem Besuch unterließ sie es. Deutlich genug war zu erkennen, dass Lutz Burger die Tochter seines Chefs liebte. Aber auch Martina Lindt machte keinen Hehl daraus, wie nahe ihr Lutz Burger stand. Andrea und Hans-Joachim von Lehn waren darin einig, dass Lutz und Martina gut zueinander passten. Lutz war mittelgroß, blond und ein sportlicher Typ, Martina schlank, brünett, mit graublauen Augen. Die beiden jungen Paare hatten sich so miteinander angefreundet, dass es ihnen selbstverständlich gewesen war, das ›Du‹ zu tauschen. Andrea und Martina verstanden sich besonders gut. Sie ließen die Männer oft allein, gingen spazieren und besuchten das nahegelegene Kinderheim Sophienlust. Dort unterhielten sie sich mit Denise von Schoenecker, die das Heim leitete.

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Seitenzahl: 160

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Sophienlust Extra – 21 –Kleiner Mann hat Angst

Wird seine Mutti wieder ganz gesund?

Gert Rothberg

Der Tierarzt Dr. Hans-Joachim von Lehn und seine junge Frau Andrea hatten seit Tagen Besuch. Den Zoologen Lutz Burger und die Ärztin Dr. Martina Lindt.

Lutz Burger war ein Kommilitone Dr. von Lehns. Er arbeitete im Frankfurter Zoologischen Garten bei Professor Dr. Albert Lindt, dem Vater von Martina.

Lutz Burger hatte schon öfters einen Abstecher zu seinem alten Freund gemacht, aber bisher war er dabei immer allein gewesen. Trotz seiner zweiunddreißig Jahre schien er es mit dem Heiraten nicht eilig zu haben. Andrea hatte ihn deshalb schon oft geneckt. Doch bei diesem Besuch unterließ sie es. Deutlich genug war zu erkennen, dass Lutz Burger die Tochter seines Chefs liebte. Aber auch Martina Lindt machte keinen Hehl daraus, wie nahe ihr Lutz Burger stand.

Andrea und Hans-Joachim von Lehn waren darin einig, dass Lutz und Martina gut zueinander passten. Lutz war mittelgroß, blond und ein sportlicher Typ, Martina schlank, brünett, mit graublauen Augen.

Die beiden jungen Paare hatten sich so miteinander angefreundet, dass es ihnen selbstverständlich gewesen war, das ›Du‹ zu tauschen. Andrea und Martina verstanden sich besonders gut. Sie ließen die Männer oft allein, gingen spazieren und besuchten das nahegelegene Kinderheim Sophienlust.

Dort unterhielten sie sich mit Denise von Schoenecker, die das Heim leitete. Sie war Andreas Stiefmutter.

Die siebenundzwanzigjährige Ärztin wurde meistens recht schweigsam, wenn sie sah, welches herzliche Verhältnis zwischen Denise von Schoenecker und Andrea von Lehn bestand. Martina hatte ihre Mutter als fünfjähriges Kind verloren, bei der Geburt ihrer Schwester Kitty.

Von Kitty sprach Martina sehr oft und in großer Liebe, so als ob sie von einem Kind rede. Das verstanden Hans-Joachim und Andrea von Lehn erst, als sie erfuhren, dass die heute zweiundzwanzigjährige Kitty seit Jahren krank war. Sie hatte ein Rückenmarkleiden, von dem sie noch kein Arzt hatte befreien können.

Auch Lutz Burger, der seit zwei Jahren im Haus von Professor Lindt verkehrte, sprach oft von Kitty in derselben Art wie Martina. Er gab zu, dass seine und Martinas Liebe im Haus Lindt noch ein Geheimnis sei. Martina habe noch nicht den Mut gehabt, von ihrem Glück zu sprechen. Aus Angst, der Schwester wehzutun, die bisher durch ihre Krankheit von den Freuden des Lebens und von der Liebe ausgeschlossen war.

Doch Hans-Joachim und Andrea bestärkten Martina darin, ihr Geheimnis nun preiszugeben.

*

Professor Dr. Albert Lindt war an diesem Tag schon am frühen Nachmittag in seine Villa am Stadtrand von Frankfurt zurückgekehrt. Er wusste, dass Kitty sich vereinsamt fühlte, wenn Martina nicht in der Nähe war. Diese lebte auch jetzt, als junge Assistenzärztin einer Frankfurter Klinik, noch im Elternhaus. Und jede ihrer freien Stunden gehörte der kranken Schwester. Deshalb hatte Professor Lindt, Kitty nur niedergeschlagen gesehen, seitdem Martina verreist war.

In der Diele kam Meta Claasen dem Hausherrn entgegen. Sie war eine kleine zarte Frau von sechzig Jahren, der man nicht zugetraut hätte, dass sie hier seit dem Tod der Hausherrin sehr resolut den Haushalt führte.

»Wie geht es Kitty?«, fragte Professor Lindt. Seine Augen unter der goldgeränderten Brille wirkten bang.

Meta Claasen strich sich über das graumelierte Haar. »Jetzt wird es ihr ungleich bessergehen, Herr Professor. Es ist sehr vernünftig von Ihnen, früher nach Hause zu kommen.«

»Danke für das Lob, Frau Meta. Aus Ihrem Mund ehrt es mich ganz besonders.« Professor Lindt lachte und ging die Treppe hinauf in den ersten Stock. Dort betrat er ein großes helles Balkonzimmer. An der geöffneten Balkontür stand ein Rollstuhl, in dem ein blondes Mädchen saß. Es hatte sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen.

Professor Lindt blieb an der Tür stehen. Seine Lippen pressten sich zusammen. Würde er sich nie an diesen Anblick gewöhnen können? Jedes Mal überfiel ihn der Schmerz erneut, wenn er seine Tochter so deprimiert sah.

Jetzt ging er langsam auf Kitty zu.

Die Kranke öffnete die Augen. »Du bist es, Vater?« Ihre Stimme klang erfreut. »Ich dachte, es sei Tante Meta. Mit dir hatte ich noch nicht gerechnet.« Große tiefblaue Augen lachten ihn an.

»Ja, ich bin früher nach Hause gekommen, Kitty, weil ich meine, bei diesem herrlichen Sonnenschein sollten wir einen kleinen Spaziergang im Park machen. Was hältst du davon?«

»Tante Meta hat mir das auch schon vorgeschlagen, Vater, aber ich war zu müde.«

»Davon will ich jetzt nichts hören. Du weißt, was Dr. Wilhelmi gesagt hat. Du sollst Spazierengehen, dich bewegen, auch wenn es schwerfällt. Du verlässt dich in letzter Zeit zu viel auf dein Vehikel hier, Kitty.« Professor Lindt zeigte auf den Rollstuhl. »Ich hätte dir ein weniger komfortables Stück kaufen sollen, damit du es nicht so bequem hast.«

Kitty sah etwas betroffen aus. Jetzt seufzte sie, dann zuckte sie die Schultern. »Ich weiß auch nicht warum, ich so müde geworden bin. Ich glaube, Martina fehlt mir.«

»Morgen wird sie es wieder tun, Kitty. Heute übernehme ich das noch einmal. Komm!« Professor Lindt streckte die Arme aus und fasste Kitty an den Händen. So zog er sie vorsichtig auf die Füße. Dann reichte er ihr den Arm und führte sie aus dem Zimmer.

Es ging langsam über die Treppen hinunter, aber Kitty schaffte diese Strapaze, ohne einmal stehenbleiben zu müssen. Erst auf der Terrasse setzte sie sich in einen Korbstuhl. »Wir gehen dann noch ein Stückchen durch den Park, Vater, aber zuerst möchte ich dich etwas fragen.«

Professor Lindt ließ sich seiner Tochter gegenüber nieder. Er sah sie erwartungsvoll an. »Warum kündigst du deine Frage erst an, kleine Katharina?«, fragte er lachend.

Das Mädchen nickte. »Kleine Katharina, die werde ich wohl immer bleiben. Vielleicht passt der Name Kitty gar nicht zu mir. Ich denke immer, wenn man Kitty hört, stellt man sich ein flottes Mädchen vor. Und das bin ich ja nun ganz und gar nicht.« Kitty streckte die Hand aus, bis sie die des Vaters erreichte. »Siehst du, nun bin ich schon bei dem, was ich dich fragen wollte.« Ihre Augen schienen noch dunkler zu werden. Sie sah den Vater durchdringend an, als sie ihm die Frage vorlegte: »Hast du mir auch die Wahrheit gesagt, Vater? Sieht der letzte Befund Dr. Wilhelmis wirklich so aus, wie du mir weismachen wolltest? Habe ich Hoffnung«, Kitty atmete schwer, »wenigstens nicht so bald sterben zu müssen?«

»Kitty!« Professor Lindt stand erregt auf und trat neben seine Tochter. Er konnte sich nicht erinnern, dass Kitty bisher jemals vom Tod gesprochen hätte. Schon oft war sie verzweifelt gewesen und ungeduldig, aber sobald es ihr ein wenig besser gegangen war, hatte sie stets von neuem zu hoffen begonnen.

»Ich habe dir die Wahrheit gesagt«, erklärte er eindringlich. »Dein Zustand hat sich nicht verschlechtert, aber leider auch nicht gebessert. Das war bitter genug für mich.«

»Ja, Vater. Bitte, setze dich wieder. So spricht es sich besser.« Kittys Stimme vibrierte. Sie neigte sich ein wenig vor. »Vater, ich musste dich das fragen. Von deiner Antwort hing viel für mich ab. Vielleicht alles. Meine Zukunft. Zuerst aber die Gegenwart.« Jetzt stieg ein Licht in ihren Augen auf. Ein Lächeln legte sich um ihre Lippen, als sie fragte: »Vater, wenn es mir nicht schlechter geht als in der letzten Zeit, kann ich dann einem Mann zumuten, dass er mich liebt?«

Professor Lindt sah seine Tochter fassungslos an. Er mochte auf vieles gefasst gewesen sein, auf diese Frage jedoch nicht.

Kitty lachte. »Wie du aussiehst, Vater! Weißt du dir keinen Rat mit deiner Tochter?«

»Nein, ich weiß mir keinen Rat, Kitty. Du sprichst von Liebe. Das ist ein Thema, das wir noch nie berührten.«

»Mit Martina habe ich schon manchmal darüber gesprochen, Vater.«

Professor Lindt wurde lebhaft. »Dann wäre es wohl am besten, du tätest das auch jetzt wieder. Morgen ist Martina wieder bei uns.«

Kitty lachte noch amüsierter. »Nein, nein, Vater, du kannst dich jetzt nicht drücken. Mit Martina werde ich darüber auch noch sprechen. Aber dann vielleicht schon etwas zuversichtlicher als heute. Ich habe jemanden sehr lieb, Vater. Und ich glaube, er hat mich auch lieb. Er bemüht sich um mich und ist immer besonders herzlich zu mir. Vielleicht hat er mir nur deshalb noch nicht gesagt, dass er mich liebt, weil ich so krank bin. Aber ich musste dich fragen, ob man einem Mann zumuten kann, dass …«

»Ja, ja«, winkte Professor Lindt ab. »Ich habe es nicht vergessen. Aber muss meine Ansicht auch die Ansicht jenes Mannes sein? Ich verstehe überhaupt nicht, von wem du sprichst. Muss ich mir jetzt darüber den Kopf zermartern? Du kommst selten aus dem Haus und hast kaum Besuch.«

»Ich habe sehr oft Besuch. Vielleicht kommt er nicht zu mir allein, das mag sein, aber er verlässt das Haus nie, ohne ein Weilchen bei mir gewesen zu sein. Weißt du noch immer nicht, wer es ist, Vater? So schwer ist das doch nicht zu erraten. Oder bist du so eingebildet, dass du glaubst, Lutz Burger komme immer nur um deinetwillen zu uns?« Das Lächeln stand noch immer auf Kittys Gesicht, ihre Augen leuchteten.

»Lutz Burger? Mein Assistent?«, fragte Professor Lindt. »Ich muss wohl wirklich so eingebildet sein, wie du meinst. Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, dass dir Lutz Burger nahesteht.« Während Professor Lindt das sagte, redete er sich in einem fort ein: Sei ganz ruhig, lass deine Verwunderung nicht zu deutlich werden, vor allem aber, sprich nicht aus, dass du dachtest, Lutz Burger komme wegen Martina.

»Ich habe ihn sehr lieb, Vater. Schon seit langem.« Kitty lehnte sich in dem Korbstuhl zurück und schloss die Augen. »Zuerst meinte ich, mir stünde es nicht zu, jemanden liebzuhaben. Ich, das kranke Mädchen, das vom Leben da draußen kaum etwas weiß, das hier vor jedem kleinsten Wind behütet wird. Ein Mädchen, das mit dem Mann, den es liebt, nicht tanzen und nicht unter Menschen gehen kann.«

»Nun quälst du dich schon wieder, Kitty«, warf Professor Lindt besorgt ein.

»Ich sage dir nur, worüber ich nachgedacht habe, bevor ich den Mut fand, mit dir zu sprechen, Vater. Es gäbe keine glücklichere Frau als mich, wenn ich wüsste, dass ich geliebt werde, dass es jemanden gibt, der mein Leben mit mir teilen will.« Kitty öffnete die Augen wieder. »Nicht nur jemanden, Vater, sondern Lutz Burger. Wenn ich auf ihn verzichten muss, werde ich keine Kraft mehr zum Weiterleben haben. Ich träume immerzu davon, dass ich mit Lutz leben kann. Trotz meiner Krankheit könnte ich vieles für ihn tun. Ich könnte ihm bei seinen schriftlichen Arbeiten helfen, für ihn den Tisch decken und ihm viele kleine Handgriffe abnehmen. Vor allem aber würde ich auf ihn warten. Immer wieder warten, dass er nach Hause kommt und mich wieder.«

Auf Kittys Gesicht lag ein verträumter Ausdruck, sie sprach so zärtlich und weich, als wisse sie gar nicht mehr, dass sie einen Zuhörer hatte.

Doch das Herz dieses Zuhörers klopfte zum Zerspringen. Vor Schmerz. Jeden Wunsch hatte Professor Lindt Kitty erfüllt, der nur zu erfüllen gewesen war. Aber was sollte er jetzt tun? Es lag nicht in seiner Macht, Kitty jenes Geschenk zu bringen, das sie sich ersehnte – Lutz Burgers Liebe.

Oder doch? Professor Lindt verfiel in noch größere Aufregung. Um Kitty nichts davon merken zu lassen, drängte er sie, mit ihm nun durch den Park zu spazieren.

Aber selbst auf diesem Weg sagte das junge Mädchen: »Vater, auch Spazierengehen könnte ich mit Lutz. Bei Sonnenschein oder am späten Abend, wenn es so schön draußen ist. Mit Lutz würde ich das erst richtig genießen.«

»Willst du damit sagen, dass es langweilig mit mir ist?«, versuchte Professor Lindt zu scherzen.

»Du weißt, wie glücklich du mich machst, wenn du dir eine Stunde Zeit für mich nimmst. Ich bin immer sehr stolz darauf, dass ich dir manchmal mehr bedeute als deine geliebten Tiere im Zoo.«

Kitty lehnte ihren Kopf schmeichelnd an die Schulter des Vaters und Professor Lindt dachte, dass dieses liebenswerte Geschöpf doch einen Mann glücklich machen könne, sofern dieser Kitty nur liebte. Aber tat Lutz Burger das? Nein, es konnte nicht sein. Sicher liebte er Martina, seine ernste, etwas herbe und zurückhaltende älteste Tochter, die junge, lebenstüchtige Medizinerin. Kitty legte gewiss die besondere Rücksicht, die Lutz Burger stets auf sie nahm, als Liebe aus. Kitty war ja so unerfahren. Die Liebe hatte in ihrem Leben bisher noch keine Rolle spielen dürfen, sodass sie nun bei Lutz Burger das für Liebe hielt, was nur Mitgefühl war.

»Ich glaube, Vater, für heute ist es genug.« Kitty blieb stehen.

»Entschuldige, Kitty«, murmelte Professor Lindt. Er musste sich gewaltsam aus seinem Grübeln herausreißen. Sehr behutsam führte er seine Tochter in ihr Zimmer zurück.

Meta Claasen war Kitty dabei behilflich, sich gleich ins Bett zu legen. Und Professor Lindt nahm die Gelegenheit wahr, zu verschwinden. Eigentlich hatte er vorgehabt, auch jetzt noch bei Kitty zu bleiben, aber er hatte Angst, seine sorgenvollen Gedanken zu verraten. Je mehr Zeit verging, umso banger wurde ihm. Zumal er ja auch wusste, dass Martina mit Lutz Burger weggefahren war. Sicher nicht nur, um das Tierheim Waldi & Co. zu bewundern, das einem Freund Lutz Burgers gehören sollte.

Professor Lindt verbrachte eine nahezu schlaflose Nacht. Als er am Morgen das Haus verließ, hatte er sich dazu durchgerungen, dem Schicksal etwas nachzuhelfen, damit der größte Wunsch seiner kranken Tochter erfüllt wurde.

*

Lutz Burger fuhr Martina Lindt bis vor das Haus ihres Vaters. Bevor sie aus dem Wagen stieg, küsste er ihre Hand. »Das waren herrliche Tage, Martina. Ich danke dir dafür. Wollen wir heute Abend mit deinem Vater sprechen?«

»Ja, Lutz, wenn sich irgendwie eine Gelegenheit dazu ergibt.« Martina lachte. »Ich glaube nicht, dass er sonderlich überrascht sein wird, Lutz. Wir haben uns vor Vater schon mehrere Male versprochen. Besonders mir ist das Du manchmal über die Lippen gerutscht. Sei bitte, zum Abendessen schon hier«, Martina nahm ihre Reisetasche und stieg aus.

Lutz Burger blieb vor dem Tor stehen, bis Martina an der Haustür war. Glücklich sah er, dass sie ihm eine Kusshand von dort zuwarf.

Martina begrüßte Meta Claasen. Dann lief sie gleich in den ersten Stock hinauf. Leise öffnete sie die Tür zu Kittys Zimmer.

Kitty saß im Bett. Sie streckte die Arme aus. »Endlich, Martina. Ich habe schon den Wagen vor dem Tor gehört. Warum ist Lutz Burger nicht mit heraufgekommen?«

Martina merkte nicht, mit welcher Sehnsucht die Schwester den Namen Lutz aussprach. Sie antwortete: »Er kommt zum Abendessen, Kitty. Wie geht es dir? Lass dich anschauen.«

»Ich war mit Vater oft im Park, Martina. Er hat sich sehr bemüht, dich gut zu vertreten. Aber ich freue mich, das du wieder da bist.« Kitty schlang die Arme um den Nacken der Schwester und sagte leise: »Das ihr beide wieder da seid, Lutz Burger und du.«

Auch jetzt fiel der jungen Ärztin nichts auf. Sie wusste, wie dankbar Kitty immer über die Besuche von Lutz war. Er verstand es gut, sie zu unterhalten und ihr nicht vor Augen zu führen, das sie dem wirklichen Leben so unendlich fernstand.

»Ich möchte mich nur ein wenig frisch machen, Kitty, dann komme ich wieder zu dir. Wollen wir hier miteinander Kaffee trinken? Tante Meta wird sicher auch gern unterhalten. An Neuigkeiten ist sie immer sehr interessiert. Ich habe euch ja so vieles zu erzählen. Von den reizenden Freunden Lutz Burgers und besonders von ihrem Tierheim Waldi & Co. Ich glaube, wenn es irgendwie möglich ist, fahre ich einmal mit dir dorthin, Kitty. Du liebst doch Tiere so. Also, bis dann.«

Martina verließ das Zimmer. Doch soviel sie später auch Kitty und Meta Claasen von den wenigen Urlaubstagen erzählte, ihre Gedanken eilten der Zeit meistens voraus. Immer wieder dachte sie daran, dass sie heute Abend dem Vater und Kitty das bisherige Geheimnis verraten wollte. Das Geheimnis der Liebe zwischen ihr und Lutz.

*

Beim Abendessen wurde Kitty mit ihrem Rollstuhl an den Tisch geschoben. Darauf legte die Familie großen Wert. Nur wenn Kitty Schmerzen hatte und sich gar nicht wohl fühlte, brachte man ihr das Essen in ihr Zimmer. Doch dann blieb meistens jemand bei ihr.

Aber heute hatte Kitty den Weg über die Treppe leicht geschafft. Sie hatte sogar überlegt, ob sie sich überhaupt in den Rollstuhl setzen sollte, der im Erdgeschoss immer für sie zur Verfügung stand. Lieber hätte sie sich mit den anderen einfach an den Tisch gesetzt. Auf einen der Stühle. Aber dann war doch die Angst in ihr hochgekommen, dass sie das nicht lange genug aushalten würde. Sie hatte doch nur eines im Sinn, nicht zu zeigen, wie gebrechlich sie war.

Nun saß Kitty mit erhitztem Gesicht am Tisch. Martina hatte sie schon mehrere Male besorgt angesehen. Professor Lindt tat das dagegen nicht. Er wusstest ja, was der Grund zu Kittys Erregung war. Lutz Burger saß zwischen ihr und Martina.

Noch bevor beschlossen worden war, in welchem Zimmer man den weiteren Abend verbringen wollte, sagte Professor Lindt: »Herr Burger, es haben sich in den letzten Tagen einige Dinge angesammelt, über die ich mit Ihnen sprechen müsste. Mir wäre es am liebsten, Sie kämen ein Stündchen mit in mein Arbeitszimmer.«

Kitty sah den Vater enttäuscht an. Dann begehrte sie auf: »Aber Vater, Herr Burger ist doch nicht dienstlich hier. Gönnst du uns seine Gesellschaft nicht?«

»Ich darf doch auch einmal egoistisch sein, Kitty«, entgegnete Professor Lindt lachend. »Außerdem ist der Abend noch lang. Ich werde euch Herrn Burger nicht die ganze Zeit vorenthalten.« Schon stand er auf.

Auch Lutz Burger erhob sich. Weder er noch Martina hatten Professor Lindt widersprochen. Die beiden sahen einander nur bedeutungsvoll an. Jetzt lächelte Lutz Burger Martina zu, als wollte er sagen: Ich werde diese Zeit nutzen.

Martina bemühte sich sofort, Kittys Enttäuschung auszugleichen. »Komm, wir gehen ins Wohnzimmer. Um diese Zeit können wir die Tür zur Terrasse noch offenlassen. Ich habe dir noch viel zu erzählen. Da wird uns die nächste Stunde schnell vergehen.«

Kitty sagte dazu nichts. Sie fand es rücksichtslos von ihrem Vater, ihr Lutz Burger zu entführen. Schließlich wusste er seit gestern, was ihr das Zusammensein mit Lutz bedeutete.

*

Lutz Burger sah sich im Arbeitszimmer seines Chefs erstaunt um. Die Schreibtischplatte war wie leergefegt. Ganz im Gegensatz zu sonst, wenn Professor Lindt auch im Haus einmal dienstlich mit ihm sprechen wollte.

Nun zeigte der alte Herr auch noch auf die Sesselgruppe um den Rauchtisch. Er hatte also nicht vor, sich hinter seinem Schreibtisch niederzulassen.

Lutz Burger steckte sich eine Zigarette an und sah zu, wie Professor Lindt sehr umständlich eine Zigarre abschnitt. Plötzlich hörte dieser damit auf, legte die Zigarre auf den Tisch und lehnte sich zurück. Er sah abgespannt aus. Das fiel Lutz Burger jetzt erst auf.

»Es war nur ein Vorwand, dass ich mit Ihnen hier etwas arbeiten möchte, Lutz.« Die Stimme Professor Lindts klang unsicher. Ab und zu nannte er Lutz Burger beim Vornamen. Meistens in besonders guter Laune. Aber danach sah er an diesem Abend nicht aus.

Lutz Burger schwieg. Er fühlte sich beklommen. So, als komme etwas auf ihn zu, womit er nicht gerechnet hatte. Kam ihm Professor Lindt jetzt zuvor?

Wollte er ihm Vorwürfe machen, dass Martina und er so lange über ihre Liebe geschwiegen hatten?

»Es geht um Kitty.« Dieser Satz fiel schwer in den Raum.