Kleiner Sohn des Unsichtbaren Volkes - Martin Baresch - E-Book

Kleiner Sohn des Unsichtbaren Volkes E-Book

Martin Baresch

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Beschreibung

Zwei Zwergenkönige, die sich hassen wie die Pest. Ein Drache mit ganz eigenen Ansichten zu Zwergen und Menschlingen samt ihren Kriegen. Und Ulkar, im Hauptberuf königlicher Schmusekatzen-Betreuer, der sich eines Tages sagt: »Mut kann man ja wohl auch lernen!« Weil ein Zwerg tun muss, was ein Zwerg tun muss, bricht er eines frühen Morgens auf ... als blinder Passagier in einem Wagen, der – gezogen von Elfenpferden – alsbald schon hoch über der Welt seinem Verderben entgegen rast ... Tja. Ulkar hat von vielem keine Ahnung, unter anderem davon, dass es für das Volk der Zwerge in ihrer Felsenfestung tief unter dem Hohen Gebirge fast schon zu spät ist..., dass eine üble Verschwörung der Menschlinge fast schon unabwendbar scheint ... Vor allem aber davon nicht, dass ihre geisterhaften Horden in ihren Wolkenseglern unterwegs sind und auch noch ein Giftmörder jeden der beiden Könige umschmeichelt. Aber er hat zumindest seinen Ex-Ex-Freund Gromm den Grauen an seiner Seite. Oder Gromm ihn, je nachdem. Ein drachenmäßig-aberwitziges Abenteuer nimmt seinen Lauf. Garantiert unter 800 Seiten und keine Tetralogie! Toll illustriert von Lars Vollbrecht. Vertrieben von Amazon als gebundene Ausgabe, Paperback.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Martin Baresch

Kleiner Sohn des Unsichtbaren Volkes

Illustrationen: Lars Vollbrecht

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Autor und Illustrator

Prolog

1 Der blutrote Mond

2 Zwergenkrieg?

3 Etwas Bedrohliches schwebt über den Hohen Wald

4 Eine Niederlage?

5 Eine Zeit, in der es für Zwerge keinen Platz mehr gibt

6 Elfenzauberwerk

7 Der unmögliche Kampf

8 Die Spur aus Luft und Kälte

9 Der Drachentöter spricht vom Untergang des Zwergenvolkes

10 Der letzte Drache

Impressum

Widmung

Für Doris, wie immer. Weil ich ohne Dich nicht der Mensch wäre, der ich bin. Martin Baresch

Für Hella, Anton, Leo und Andrea. Danke, dass ihr es klaglos hinnehmt, wenn ich mich stundenlang in meinem Büro verbarrikadiere. Lars Vollbrecht

Autor und Illustrator

Martin Baresch verschlang schon als Kind Unmengen von Büchern – und schrieb selbst erdachte Abenteuergeschichten in seine Schulhefte. So kam, was kommen musste: Nach einer staubtrockenen Ausbildung zum Steuerberater wurde er Schriftsteller. Seitdem hat er fast schon so viele Bücher für Jugendliche und Erwachsene veröffentlicht, wie er gelesen hat. Für seine Übersetzung des Romans „Das Skorpionenhaus“ gewann er den Literaturpreis „Buxtehuder Bulle“. Nebenher hat er oft und gern fürs Fernsehen und Kino gearbeitet, u.a. schrieb er die Bücher für den Tatort „Bluthunde“ und für die Kinofilme „Joey“ und „Stargate“. Mehr über Martin Baresch: www.thrillkult.de

Lars Vollbrecht gestaltet als Grafiker Logos, Geschäftspapiere, Buch- und Hörspielcover. Als Illustrator liefert er für die Werbebranche Storyboards, Comics und Vektor-­illustrationen. Neben der „Mal doch mal“-Reihe (TIERE, MONSTER) legte er mit „Lenny blickt durch“ gemeinsam mit dem Autoren Jörg Zimmerling den Grundstein für eine Kinderbuchserie mit einem kurzsichtigen Löwen als Helden (für Erstleser und zum Vorlesen). Lars Vollbrecht lebt seit 2009 mit seiner Familie in Schleswig-Holstein. Mehr über ihn unter www.gloryboards.de

Prolog

Nicht jeder wird als strahlender Held geboren. Auch Ulkar nicht, Zwerg vom Clan des Unsichtbaren Volkes.

Doch obwohl er eigentlich nicht sehr mutig und ziemlich rundlich ist, will er sich damit nicht mehr zufriedengeben.

Was heute ist, muss ja nicht für immer so bleiben, denkt er sich.

Mut, so beschließt er, kann man auch lernen. Schließlich muss ein Zwerg tun, was ein Zwerg tun muss. Damit beginnt das größte Abenteuer seines Lebens. Ein drachenmäßig aufregend-verrücktes, wie Zwerge zu sagen pflegen.

1 Der blutrote Mond

Es war einmal, vor vielen, vielen tausend Jahren, da stritten sich die Zwergen-Könige Schilbung und Nibelung noch um jenen Schatz, den man in späteren Zeiten den „legendären Schatz der Nibelungen“ nennen sollte … und der bis heute nicht gefunden ist.

Nun streiten und raufen Zwerge sich zwar grundsätzlich für ihr Leben gern, weil sie das als Training für kommende Heldentaten ansehen. Aber bei Schilbung und Nibelung verhielt sich das ganz anders. Niemals hätten sie sich wie alle anderen Zwerge des geheimnisvollen Unsichtbaren Volkes mit ein paar Boxhieben auf die Nase des Gegners zufriedengegeben und nach einem Kampf dem Unterlegenen gutmütig wieder auf die Füße geholfen und dabei lachend ausgerufen: „Aye, jetzt soll’s aber wieder gut sein! Beim nächsten Mal küsse ich dann wieder den Boden und du bist Sieger. Hast du Lust auf einen Humpen warme Schokomilch? Morgen graben wir wieder in den tiefen Schächten nach Gold und Silber, und vor der Spitzhacke ist es immer dunkel!“

Für diese beiden Zwergen-Könige war „ihr ganz persönlicher kleiner Grundsatz-Streit“, wie sie ihn nannten, eine überaus verbissene Angelegenheit. Wollte man ganz genau sein, war es sogar eine todernste. Keiner von ihnen hätte etwas dagegen gehabt, wäre dem anderen der steinerne Höhlenhimmel auf den Kopf gekracht. Aber weil dies nicht geschah und auch keiner von ihnen nur im Entferntesten daran dachte, einfach freiwillig tot umzufallen, dauerte der Streit an und die Gehässigkeiten nahmen zu.

Wie die Jahre vergingen, wurde die Stimmung unter den einzelnen Clans des Unsichtbaren Volkes immer feindseliger. Bis eines Nachts der Mond nicht mehr so über dem Gebirge und dem Hohen Wald am Himmel stand, wie in allen Nächten davor. Bis eines Nachts der Mond nicht mehr wie feinstes Silber in der Dunkelheit schimmerte, sondern unheilvoll in düsterem Blutrot leuchtete.

„Also, das sieht mir doch ganz nach einem Zeichen für mich höchstpersönlich aus!“, flüsterte König Schilbung triumphierend und lehnte sich am Fenster des höchsten Turms der Felsenfestung des Unsichtbaren Volkes sitzend von seinem gewaltigen Fernrohr zurück.

Dieser Turm war der einzige, der gut getarnt aus jenem Gebirge herausragte, unter dem die Felsenfestung verborgen lag, mit ihren weit verzweigten Höhlen und der Großen Versammlungshalle. Und natürlich mit all den tiefen Grabungsschächten und Bergwerksstollen, in denen unablässig bei rußig loderndem Fackelschein fleißig nach Gold und Silber gegraben wurde.

Dem König Nibelung wiederum erschien in derselben Nacht im Traum ein Zottel-Kobold, der wild kichernd quer über sein riesiges Bett hüpfte und seltsame Laute ausstieß. Zuerst klangen sie wie das drohende Knurren eines Wolfes. Dann jedoch verwandelten sie sich in Schmetterlinge – und plötzlich in bunte Farben, die mitten in der Luft Wörter und Sätze bildeten.

„Wacht auf, Hoheit – und macht Euch auf das Schlimmste gefasst!“, stand alsbald dort geschrieben. „Die Zeit der Drachen und des Untergangs ist angebrochen! Handelt Ihr nicht, ist Euer Schatz für immer verloren!“

Fluchend und deshalb kurzatmig und wenig elegant sprang Nibelung aus seinem Bett. „Aye, nur keine Sorge, Kobold, dem Taugenichts Schilbung hab ich nie getraut und längst schon eigene Pläne geschmiedet!“

Aber von dem Kobold gab es keine Spur mehr zu entdecken.

Nur das zerwühlte Himmelbett und darauf pechschwarze Hufabdrücke und wirr verknotete seidene Laken verrieten, dass hier etwas sehr Sonderbares vorgefallen war.

Selbst Nibelungs wohlgenährte Lieblings-Schmusekatze, die sich nur selten beeindrucken ließ und ihren kuscheligen Liegeplatz auf dem Bauch ihres Königs normalerweise mit Zähnen und Krallen verteidigte, starrte mit schreckgeweiteten Augen abwechselnd auf die verglühenden Schriftzeichen und dann auf Nibelung in seinem viel zu weiten Nachtgewand, auf dem ebenfalls schwarze Hufabdrücke zu erkennen waren. Kurz sträubte sich ihr Fellkleid noch wie Igelstacheln. Das war’s dann aber für sie. Mehr Zeit verlor sie nicht. Schon huschte sie unters Bett.

Dies war, wie auch König Nibelung und König Schilbung nur allzu bald herausfinden sollten, das einzig Vernünftige, denn ab diesem Moment schwebten sie und sämtliche unter dem Gebirge inmitten des Hohen Waldes lebenden und arbeitenden Zwergen-Clans in fürchterlicher Gefahr.

2 Zwergenkrieg?

Der Zwerg Ulkar hörte die Gerüchte erst in der darauffolgenden Nacht.

„Hast du’s schon gehört?“, flüsterte ihm ein Minenarbeiter im Vorbeigehen mit düsterer Stimme zu. „Ein Krieg Zwerg gegen Zwerg steht bevor. König Schilbung hat seinem Lieblings-Kriegsdrachen Rinfaf befohlen, die Berge von Gold und Silber in ihrem geheimen Versteck noch aufmerksamer zu bewachen, und sollten Zwerge möglicherweise im Auftrag von König Nibelung anrücken, um den Schatz zu stehlen, soll er diese Getreuen alle mit seinem Feueratem vernichten. Und König Nibelung …“

Ulkar winkte nur ab, den Rest konnte er sich schon denken.

König Nibelung traute dem „anderen König“, wie er ihn wenig respektvoll nannte, natürlich genauso wenig über den Weg und hatte zweifellos wiederum seinen Lieblings-Kriegsdrachen Fafnir ausgesandt, damit der all jene abmurkste, die auch nur daran dachten, sich an seinem Schatz zu vergreifen.

„Was ist nur aus unserem fröhlichen, zufriedenen Völkchen geworden!“, schnaubte der Minenarbeiter.

Ulkar spuckte ihm der uralten Zwergen-Tradition gemäß über die Schulter und gab ihm eine noch urältere Zwergen-Weisheit mit auf den Weg hinab in die tiefen Bergwerksstollen. „Vor der Spitzhacke ist es immer dunkel, Freund.“

Das konnte allzu schnell auch für die Zukunft des Unsichtbaren Volkes gelten.

Die Aussicht auf Krieg bereitete Ulkar große Sorgen, und zu wissen, dass ein solcher Krieg wohl nur wegen eines zugegeben unvorstellbar wertvollen Schatzes und zwei raffgierigen Königen unabwendbar schien, das ärgerte ihn. Und wie immer, wenn er auch nur an Raffgier, Streit, Abmurkserei und all das dachte, schauderte es ihn ganz grässlich. Aber das behielt er für sich und spuckte dem Minenarbeiter stattdessen freundlich auch noch über die andere Schulter, wünschte ihm „Glück auf, Freund!“ und ging seiner Wege, ohne den verdutzten Blicken des Anderen noch Beachtung zu schenken.

Ohnedies überstürzte Ulkar, der ein sanftmütiger Mann war, selten etwas, und wenn, dann endete dies meist in einer Katastrophe. Dessen eingedenk, wartete er oft lieber ab; was ihm einerseits selbst nicht gefiel und andererseits ebenfalls meist in einer Katastrophe gipfelte. Zudem bestärkte es viele andere des Unsichtbaren Volkes in ihrer Meinung, er sei ein Feigling. Abgesehen von möglicherweise allzu bald drohenden Metzeleien König gegen König, Zwerg gegen Zwerg, bedrückten ihn also auch noch ganz eigene Probleme.

Riesengroße sogar!

Nicht genug damit nämlich, dass er einen Zwergenkrieg schon lange heraufziehen sah und im Großen Rat immer wieder davor zu warnen versucht hatte! Nein! Sooft er in den Versammlungen etwas dazu sagte, taten die meisten entweder, als hörten sie ihn gar nicht, egal, wie klug er sich auch geäußert hatte. Oder sie blinzelten einander vielsagend zu und flüsterten wie Verschwörer: „Hört ihr auch, wie laut der Wind heute wieder um unser Gebirge braust? Hoffen wir mal, dass es nicht mit Getöse und samt König Schilbungs riesig hohem Palastturm davonfliegt und uns schutzlos zurücklässt.“

„Was?! Bist du etwa einer von Schilbungs Speichelleckern? Soll Schilbungs Turm doch mit ihm drin fliegen, wohin er will! Aye, und sowieso hab ich keinem von diesen beiden den Treueschwur geleistet. Aber hoch lebe der einzig wahre König aller Clans des Unsichtbaren Volkes – König Nibelung!“

Danach ging es regelmäßig mit viel Gebrüll – und ungut begleitet von vielen Raufereien zwischen Andersdenkenden – nur noch um den Wind, das Gebirge und Schilbungs Turm.

Als könnten so ein Gebirge und solch ein Turm einfach mal so weggeblasen werden.

Und ein gewisser Ulkar …? Der kam sich nach solch einer Erfahrung jedes Mal nur umso mehr so vor, als wäre er nicht nur der unsichtbarste, sondern vor allem der unhörbarste unter ihnen allen.

Sie nahmen ihn nicht ernst.

Nein. Schlimmer noch.

Sie nahmen ihn nicht einmal richtig wahr, und wenn … Dann galt er mit seinen immerhin auch schon 82 Jahren noch immer als der Jüngste unter den erwachsenen unsterblichen Zwergen des Unsichtbaren Volkes. Den kleinen Sohn des Unsichtbaren Volkes nannten sie ihn. Wenn sie meinten, er würde gerade nicht zuhören, dann wagten manche es sogar, ihn Nesthäkchen zu nennen.

Nesthäkchen! Bei allen Erdgeistern!

Dass so hinter ihm getuschelt wurde, geschah durchaus häufig. Er dachte einfach zu gerne verträumt an Wolken, die über einen blauen Himmel segelten. Oder an die neu geborenen künftigen Lieblings-Schmusekätzchen des Königs Nibelung, die er auf höchsten Befehl zu hegen und zu pflegen hatte, bis sie in Amt und Würden kamen und ihren Job erledigen konnten.

Doch heute konnte ihn nicht einmal der Gedanke an seine Schützlinge wieder in die übliche Gemütsruhe zurückversetzen.

„Nesthäkchen“, schnaubte Ulkar im Weitergehen grimmig vor sich hin.

Das alles war einfach nur …

„Krass ungerecht und oberkrass ungut!“, sprach er es mürrisch und traurig zugleich aus, weil sich an diesem Abend wieder einmal alles genau wie immer abgespielt hatte. Genervt seufzend, beide Hände tief in den Hosentaschen vergraben, verließ er die Redner-Tribüne, stapfte an den Raufenden und sogar an den großen Herdfeuern vorbei, über denen sich Wildschweinbraten drehten und köstlich dufteten.

Anders als sonst aber kickte Ulkar in dieser besonderen Nacht kein bisschen verträumt Steine vor sich her durch die weiten Höhlengänge, dass es nur so rumpelte und krachte und von überall her geisterhafte Echos hallten.

Und sowieso ärgerte er sich, weil er sich ärgerte.

Und erst recht ärgerte er sich darüber, dass ihm der Fuß weh tat, sooft er mit ihm gegen Steine trat.

Das Allerschlimmste aber war – mittlerweile ertappte er sich selber immer öfter dabei, dass er wie sie alle dachte: Gut, ja, zugegeben. Selbst für einen Zwerg bin ich ja wirklich ziemlich klein geraten … und wenig durchsetzungsfähig.

Schon klar! Und weil die Größe nicht stimmte, stimmte selbstverständlich auch die Leibesfülle nicht. Das ließ sich wohl nicht einmal mehr mit äußerst großzügig geschnittenen Kleidern und Umhängen tarnen. Oder damit, dass er sich die Haare und den Bart länger und länger wachsen ließ, damit die rundlichen Wangen und alles andere darunter schön versteckt blieben.

Und ja! Natürlich wusste er, dass manche von Schilbungs Getreuen ihn mittlerweile sogar schon den kleinen dicken Sohn des Unsichtbaren Volkes nannten!

Hören konnte er jedenfalls trotz allem verträumt in die Welt gucken fast so gut wie seine Katzen.

Schließlich hatte er noch in keiner einzigen Rauferei eins auf die Ohren bekommen!

In solch trübe Gedanken versunken, schlenderte er dahin, die Kapuze seines Umhangs tief in die Stirn gezogen.

„Sieh an, sieh an, wer mir da einen Stein nach dem anderen gegen das Schienbein kickt!“, brummte schließlich unerwartet die vertraute Stimme seines guten Freundes Gromm der Graue direkt vor ihm, wo nur noch wenig Fackellicht den mit Silber verkleideten Höhlengang erhellte.

„Ich bin nicht da!“, fauchte Ulkar.

„Mein verweichlichter Katzenfreund Ulkar“, lachte Gromm auf. „Ist dir etwa eine von diesen seltenen Steinläusen über die Leber gehüpft? Oder sogar gleich eine ganze Horde? Komm! Ich hab heute den Stahl für mindestens hundert neue erstklassige Spitzhacken geschmiedet. Essen wir ein paar Happen Wildschweinbraten mit Preißelbeergrütze, und dabei erzählst du mir alles.“

Ulkar ließ sich nicht zweimal bitten.

Umwabert vom Rauch aus Gromms gewaltiger Pfeife, berichtete er seinem Freund beim Essen wortreich alles, was ihm aufs Gemüt drückte. Dankbar nahm er zur Kenntnis, wie aufmerksam ihm zugehört wurde.

„Normalerweise“, sagte sein Freund schließlich gewichtig und neigte sich vertraulich zu ihm her, „normalerweise bewegen sich Dicke ja wie Bären. Auch dicke Katzen halten das so, um bei einem Vergleich zu bleiben, der dir vertraut ist. Du weißt schon, Ulkar, irgendwie behäbig, aber doch wendig und anmutig, trotz der paar Kilos, die sie als Schmusekatzen um die Leibesmitte herum zu viel mit sich durchs Leben schleppen.“

„Danke, Gromm! Ein drohender Krieg unter uns Zwergen und alles … Also, da kann ich ein wenig Trost von dir wirklich gut gebrauchen …“

Sein Freund tat noch geheimnisvoller. Bedächtig blickte er sich um, zupfte ein paarmal an seinen langen Haaren, dann an seiner großen Nase und wiegte den Kopf.

„Ich sagte: normalerweise. Aber was ist bei dir schon normal, mein jugendlicher Freund? Du bist ein lieber Kerl, und ich weiß doch, wie sensibel du bist. Der Umgang mit diesen Schmusekatzen des Königs verweichlicht dich total. Längst schon bist auch du zu dick, ganz klar. Fast wie später viele deiner Schützlinge. Aber, weil du kein Fell hast, kommst du daher wie ein Hefeteig auf Füßen. Wohlgerundet geformt und nett anzusehen zwar …“

„Jugendlich? Ich? – Dir ist aber schon klar, dass du nur ein einziges Jährchen vor mir aus der Großen Steinernen Zwergen-Krippe geschlüpft bist?“, brauste Ulkar in einer äußerst seltenen dramatischen Überreaktion auf.

Genauso gut hätte er gegen einen Felsen anschreien können.

„… wohlgerundet geformt zwar, wie Götterspeise, aber …“, betonte Gromm der Graue und beendete seinen Satz schließlich nicht. Noch immer in seinen Gedankengang verfangen, nickte er nur vielsagend und paffte an seiner Pfeife. „Glaub’s mir einfach, Freund. Man bewegt sich nicht anmutig, wenn andere dabei an Götterspeise denken müssen. Oder erstmal erschrecken, wenn sie dir im Dunkel eines Höhlengangs begegnen. Denk an fette Katzen und nimm meinen Trost an, ich mein’s nur gut mit dir.“

Ulkar verzichtete auf den Widerspruch, dass er Katzen über alles liebte, erhob sich und hastete davon.

Wieder kickte er Steine vor sich her.

„So viel also zu meiner großartigen Freundschaft mit Gromm, dem allseits anerkannten ur-uralten Held des Unsichtbaren Volkes“, sagte sich Ulkar verbittert noch drei Tage nach dieser seltsamen Art von Trost und streichelte eines der jüngsten königlichen Schmusekätzchen mit solcher Hingabe, bis es fauchend flüchtete. Wahrscheinlich, weil es nicht verweichlicht werden wollte.

Einmal mehr fühlte er sich von allen verlassen, und bewunderte Gromm den Grauen mit zusammengebissenen Backenzähnen nur umso mehr aus tiefstem Herzen. Unter anderem für sein sonniges Gemüt, den wie aus Stahl geschmiedeten Nacken, seine breiten Schultern, die muskelstarrenden Arme und, nicht zu vergessen, die riesigen Hände, mit denen er einen Steinbrocken zerquetschen konnten, einfach so.

„Ach, Spitzhacke und Finsternis!“, seufzte Ulkar und ließ sich der Länge nach auf dem bequemen Sofa nach hinten fallen.

Eine Weile starrte er aus feuchten Augen die wunderschönen, bunt bemalten Abtropfsteine an, die in Jahrmillionen von der Decke nach unten gewachsen waren; an deren Enden jedoch schon lange keine Wassertropfen mehr glitzerten.

„Was würde ich nicht darum geben, so zu sein wie er!“, hörte er sich sehnsüchtig murmeln.

Gromm war einfach … Gromm. Unbeirrbar selbstbewusst, egal, was er sagte oder tat, und so tapfer und durchtrainiert. Als bester Schmied, Läufer, Späher und Krieger des Unsichtbaren Volkes galt er sowieso. Ein Draufgänger, den alle mochten. Einer, der von allen respektiert wurde, sogar, wenn er wunderliche Witze erzählte und kurz vor einer von allen mit Aufregung erwarteten Pointe plötzlich in die Runde fragte: „Aye! Was wollt’ ich nochmal sagen?“

3 Etwas Bedrohliches schwebt über den Hohen Wald

In den folgenden Tagen blieb Ulkar bei den künftigen Schmusekatzen des Königs Nibelung und behielt besonders die wohlgenährten unter ihnen im Blick.

Sie bewegten sich wirklich alle trotz allem anmutig!

Dann beäugte er sich selbst, als er an einem prächtig gerahmten Spiegel vorbei ging, um seinen Schützlingen Wollknäuel zum Training ihres Jagdinstinkts zuzuwerfen. Und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Und schleuderte die Wollknäuel zu Boden und hüpfte darauf herum, unter den aufmerksamen, aber verständnislosen Blicken der Kätzchen.

Das nächste Morgengrauen fand ihn zwischen hochgeschossenen wilden Blumen und den mächtigen Luftwurzeln scheinbar endlos hoher Bäume durch den sonnenhellen Wald umherstreifend – weit außerhalb der Zwergenfestung unter dem Gebirge. Seine langen Haare waren zu Zöpfen geflochten, genau wie der Bart. Den drei Finger breiten stählernen Stirnreif trug er zum ersten Mal seit seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag.

„Körperertüchtigung!“ und „Götterspeise, pah!“ hörte er sich selber brüllen. Er nahm es zur Kenntnis und brüllte nur noch entschlossener, so oft er über schmale Wasserpfützen hüpfte. Dabei wünschte er sich besonders heftig, rank und schlank zu werden. Und mindestens so tapfer wie sein Ex-Freund Gromm der Graue.

Denn: sollte über Wasserpfützen zu hüpfen, nicht Glück bringen und geheimste Wünsche erfüllen?

„Genau!“ keuchte er, und fügte sofort mit schlechtem Gewissen noch hinzu: „Um alles andere kümmere ich mich dann aber schon selber! Um die Sache mit der Tapferkeit, zum Beispiel. Weil, man muss ja auch selber was für sein Glück tun und die Spitzhacke mit festem Griff führen.“

Erst einmal aber brachte die Anstrengung seiner Wanderung ihn ganz schön außer Puste. Das merkte Ulkar, kaum, dass er den Satz mit der Tapferkeit ausgesprochen hatte. Es war eine Sache, das Herz eines Schattenschieferpanthers zu haben. Eine ganz andere war es, der zu werden, der man sein wollte … und in Gedanken eigentlich schon war. Aus tiefstem Herzen verwünschte er bei dieser Gelegenheit alle Honigplätzchen und Sahnetorten und sein gemütliches Leben als königlicher Schmusekatzen-Heger. Aber genau danach, mindestens fünf Sahnetorten zu verschlingen, stand ihm der Sinn.

„Heute nicht! Nein!“, knurrte er vor sich hin.

Unverdrossen schleppte er sich weiter. Sogar über eine besonders große Pfütze sprang er hinweg. Ziemlich anmutig, wie er fand. Er streichelte hier ein besonders hübsches Waldröschen und dort eine abweisend schaukelnde Dornenranke. Heldenhaft widerstand er herrlich duftenden reifen und bestimmt traumhaft süßen Brombeeren.

Er genoss das beruhigende Raunen des Hohen Waldes, der das Gebirge in allen Richtungen umgab, soweit man von König Schilbungs angeberischem Palastturm aus nur sehen konnte. Und wie Ulkar trotz seiner Atemlosigkeit und Erschöpfung einfach trotzig, aber doch irgendwie frohgemut immer weiter ging, schien es ihm, als könnten ihm die Licht- und Schattenmuster, die auf dem weichen Boden tanzten, tatsächlich den Weg zu den größten seiner geheimsten Wünsche und Träume weisen.

Der dämmrige Friede unter den Baumkronen, das Singen der Vögel, der würzige Duft der Erde, der sonnenwarmen Bäume, Blumen, Felsen, Farne, Moose … die gesamte Schönheit und Weite des Hohen Waldes trösteten ihn und spornten ihn an. Die vorbeihuschenden Schmetterlinge, die leuchtend alle nur vorstellbaren Regenbogenfarben in die Luft woben und den Tag so zu etwas ganz Besonderem machten, hießen ihn mit sanftem Flüstern, an ihrem Reigen teilzunehmen.

Fünfeinhalb Schritte weit tanzte Ulkar tatsächlich den Schmetterlingen hinterher. Bei dieser Gelegenheit fiel ihm auf: Die bewegen sich eigentlich auch nicht besonders anmutig, sondern taumeln eher hierhin und dorthin.

Allerdings hatte er noch niemals auch nur einen wohlgerundeten erblickt, oder gar einen, an dem alles wie Götterspeise wackelte.

Im gleichen Moment verdunkelte sich der Wald und scheinbar die ganze Welt.

Er hörte ein Rauschen, hoch über sich. Wie von einem Sturm mit riesengroßen Flügeln dran. Flügel, die etwas Riesiges, Schweres, tödlich Gefährliches unbeirrbar einem Ziel entgegentrugen.

Ein gewaltiger Schatten glitt über ihm vorbei, viel zu dicht über den Baumkronen. Aus ihnen herab fauchte ein Wirbel aus Blättern und zerfetzten, morschen Ästen. Die mächtigsten Bäume schwankten wie Grashalme. Vögel jagten in Schwärmen panisch nach Schutz suchend umher.

Ulkar hatte sich längst schon unter das Brombeergestrüpp in Deckung geworfen, atemlos.

Nicht einen Gedanken mehr verschwendete er daran, traurig den Rückweg in die geheime Felsenfestung anzutreten.

„Nein!“, wisperte er. „Erst muss ich wissen, was hier vor sich geht!“

Schon richtete er sich wieder auf.

Die Dornen, die ihm den Nacken, die Wangen und Hände zerkratzten, beachtete er nicht.

Noch immer segelten Blätter von hoch droben auf den Waldboden herab. Kein einziger Vogel war mehr zu sehen, und auch die Schmetterlinge schien es nie gegeben zu haben.

Bleischwere Stille herrschte ringsum. Zwei der allerhöchsten Bäume schwankten und bebten noch immer. Wie Götterspeise.

Ulkars erster Gedanke war, einfach trotzdem an einem von ihnen hoch hinauf zu klettern und Ausschau zu halten. Sich Gewissheit zu verschaffen. Denn natürlich ahnte er sehr wohl, was ihm da sozusagen fast begegnet war. Sein Ex-Freund Gromm der Graue wäre jetzt bestimmt schon auf einem der höchsten Äste gestanden, kampfbereit, mit einem Lächeln um die Lippen, das jedem möglichen Feind nur Spott und Verachtung signalisiert hätte. Und er? Hatte nicht mal daran gedacht, die Doppelklingen-Streitaxt mitzunehmen.

Ulkars dritter Gedanke war: Bei allen Spitzhacken des Unsichtbaren Volkes! Schon der unterste Ast ist viel zu weit entfernt. Selbst mit einem noch so verwegenen Sprung könnte ich ihn nicht erreichen.

Also atmete er erst einmal enttäuscht aus. Und feuerte sich keinen Lidschlag später schon nach Kräften an:

„Beweg dich!“ hörte er sich keuchen. So felsenfest entschlossen war er, dass er nicht einmal insgeheim an die köstliche Bratensoße von Jaressa Gollklöckner, der einzigen heutzutage noch lebenden Zwergin und geheimnisumwitterten Hüterin der Großen Steinernen Zwergen-Krippe denken musste, oder an den Duft ihres frischgebackenen Brotes, mit dem man diese Bratensoße so genüsslich auftupfen konnte.

„Hah!“, rief er triumphierend aus.

Aber damit nicht genug! Plötzlich entzündete sich in ihm die beste, die großartigste Idee seines schon beinahe hundertjährigen Zwergenlebens! Pah! Von wegen, Nesthäkchen! Von wegen nicht anmutig und Götterspeise und verweichlicht, dachte er trotzig und glücklich zugleich.

Plötzlich waren Erschöpfung und all seine Zweifel und Macken verschwunden. Jetzt konnte er sogar sehr schnell und durchaus anmutig rennen. Sogar bergan, denn dort, hinter einem Wasserfall, lag der geheime Eingang in die Zwergenfestung unter dem Gebirge.

Je schneller er rannte, desto wilder überschlugen sich die Gedanken in seinem Kopf.

Es würde krass gefährlich werden. Ein raues Abenteuer stand ihm bevor, ohne Netz und doppelten Boden!

Also genau das, was er sich gewünscht hatte! Er fürchtete sich nicht einmal.

Vor der Spitzhacke ist es immer dunkel.

4 Eine Niederlage?

Zurück in der Zwergenfestung, schickte er sogleich die Brieftauben an den Hohen Rat und verlangte, noch heute gehört zu werden. Etwa zur gleichen Zeit wurde der Muskelkater bereits zur bösen Gewissheit. Trotzdem blieb Ulkar fest entschlossen. Er würde einmal mehr vor dem Ältestenrat sprechen! Eindringlich und selbstbewusst, mit genau den richtigen Worten und wohltönender Bassstimme würde er den Rat und die Clans des Unsichtbaren Volkes darüber informieren, was er erlebt hatte. Er würde deutliche Worte verwenden. Er würde sie alle dazu aufrufen, dieser unheimlichen Gefahr gemeinsam kühn die Stirn zu bieten, wie früher, als ihre Könige sich noch nicht wegen einiger tausend Tonnen Gold und Silber wie gewöhnliche sterbliche Menschlinge verhalten hatten.

Die letzten Meter zur Großen Versammlungshalle, ging er beschwingt über die Pflastersteine dahin, wie von Elfenflügeln getragen.

Schon von Weitem hörte er, dass sich die Ratsversammlung tatsächlich an den Großen Feuern und rings um die Redner-Tribüne eingefunden hatte … um schon einmal lärmend die Ereignisse des Tages und die in den Minen abgebauten Gold- und Silbermengen zu besprechen, Lob und Tadel zu verteilen … und dann natürlich zum gemeinsamen Essen und Trinken überzugehen … Oder zum Streiten und Raufen.

Als er die Große Versammlungshalle mit ihren golden bemalten, vom Boden emporragenden Stalagmiten und den nicht weniger schönen silbernen Abtropfsteinen an der Decke, den Stalaktiten, betrat, tränten ihm sogleich die Augen von all den Rauchschwaden, die sich bis zur hoch gewölbten, rußgeschwärzten Decke empor kräuselten. Muskulöse Schankgehilfen eilten geschäftig mit großen Bier- und Milchkrügen zwischen den langen Holztafeln umher. Noch muskulösere Brat-Meister kurbelten lässig an den Spießen, sodass sich die Braten auch schön gleichmäßig über den Feuern drehten. Jugendliche unter achtzig Jahren putzten und schnippelten kichernd und schwatzend eifrig Karotten, Lauch, Spinat, Tomaten, Äpfel, Orangen und richteten damit die buntesten Obst-Gemüseplatten her. Außer nach Tabakrauch und frischem Gemüse und Obst duftete es verführerisch nach den wundervollsten Kräutern und Gewürzen, die es weit und breit auf der Welt zu finden gab.

Irgendwo in der weiten Halle gellten Fanfarensignale und verkündeten, dass König Nibelung mit seinem Hofstaat eintraf. Gleich darauf hallte dumpfer Trommelwirbel und verkündete dasselbe von König Schilbung samt Gefolge.

Und gleich darauf wiederum wünschte Ulkar sich schlagartig, er wäre im Besitz von Fürst Alberichs legendenumwaberter Tarnkappe, um sich damit unsichtbar machen zu können.

„Du musst so tun, als wärest du eigentlich gar nicht da“, hörte er, wie seine eigenen Lippen ihm ungebeten einen kostbaren Rat erteilten.

---ENDE DER LESEPROBE---