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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Aline Larsen sah ihre Freundin Lola Auerbach, die genussvoll ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte aß, unsicher an. Schließlich fragte sie: »Du glaubst wirklich, dass Frau von Schoenecker unsere Jolanda für drei Wochen bei sich aufnehmen würde?« Lola schob den letzten Bissen in den Mund und trank einen Schluck Kaffee hinterher. »Wenn ich nicht sicher wäre, hätte ich dir die Adresse nicht genannt, Aline. Im Kinderheim Sophienlust werden natürlich vor allem Waisen und Kinder aus unglücklichen Familienverhältnissen aufgenommen. Eine Stiftung finanziert das Heim. Aber zahlende kleine Gäste sind selbstverständlich gern gesehen, sofern gerade Platz ist. Deshalb musst du dich zunächst telefonisch erkundigen. Kann ich noch ein winziges Stückchen von der Torte haben, Aline? Sie schmeckt zu gut.« »Nimm, so viel du willst, Lola. Dann werde ich also meine Schüchternheit überwinden und anfragen.« Aline drehte sogleich die Wählscheibe. Denise von Schoenecker war selbst am Apparat. Aline trug ihre Bitte vor: »Mein Mann muss für etwa drei Wochen geschäftlich nach Argentinien. Wir hatten in unserer zwölfjährigen Ehe noch nie Gelegenheit zu einem gemeinsamen Urlaub. Ich würde deshalb gern mitfahren, aber nur dann, wenn ich wüsste, dass unsere elfjährige Tochter Jolanda während dieser Zeit gut aufgehoben ist.« Aline lauschte eine Weile mit geneigtem Kopf. Ein freudiges Lächeln glitt dann über ihr schmales Gesicht. »Herzlichen Dank, Frau von Schoenecker.
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Aline Larsen sah ihre Freundin Lola Auerbach, die genussvoll ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte aß, unsicher an. Schließlich fragte sie: »Du glaubst wirklich, dass Frau von Schoenecker unsere Jolanda für drei Wochen bei sich aufnehmen würde?«
Lola schob den letzten Bissen in den Mund und trank einen Schluck Kaffee hinterher. »Wenn ich nicht sicher wäre, hätte ich dir die Adresse nicht genannt, Aline. Im Kinderheim Sophienlust werden natürlich vor allem Waisen und Kinder aus unglücklichen Familienverhältnissen aufgenommen. Eine Stiftung finanziert das Heim. Aber zahlende kleine Gäste sind selbstverständlich gern gesehen, sofern gerade Platz ist. Deshalb musst du dich zunächst telefonisch erkundigen. Kann ich noch ein winziges Stückchen von der Torte haben, Aline? Sie schmeckt zu gut.«
»Nimm, so viel du willst, Lola. Dann werde ich also meine Schüchternheit überwinden und anfragen.«
Aline drehte sogleich die Wählscheibe. Denise von Schoenecker war selbst am Apparat. Aline trug ihre Bitte vor: »Mein Mann muss für etwa drei Wochen geschäftlich nach Argentinien. Wir hatten in unserer zwölfjährigen Ehe noch nie Gelegenheit zu einem gemeinsamen Urlaub. Ich würde deshalb gern mitfahren, aber nur dann, wenn ich wüsste, dass unsere elfjährige Tochter Jolanda während dieser Zeit gut aufgehoben ist.«
Aline lauschte eine Weile mit geneigtem Kopf. Ein freudiges Lächeln glitt dann über ihr schmales Gesicht. »Herzlichen Dank, Frau von Schoenecker. Ich komme übermorgen mit Jolanda zu Ihnen. Sie müssen das Mädchen ja erst kennenlernen. Es ist recht vorwitzig und altklug.«
Sie lauschte wieder und brach in helles Lachen aus. Danach verabschiedete sie sich und legte den Hörer auf. »Weißt du, was sie erwidert hat, Lola?«
»Da ich keine Luchsohren habe, konnte ich nichts hören, Aline.«
»Sie sagte, nur kranke Kinder seien brave Kinder. Sie scheint sehr verständnisvoll zu sein.«
»Und gütig, wie ich hörte. Eine ausgezeichnete Pädagogin, die mit dreierlei Kindern in ihrer Familie glänzend zurechtkommt.«
Aline hob fragend die Augenbrauen, und Lola erklärte ihr die verzwickten Familienverhältnisse der von Schoeneckers.
»Denise von Schoenecker war früher Tänzerin. Sie muss bildschön gewesen sein und heiratete Dietmar von Wellentin, der kurz vor der Geburt seines Sohnes Dominik mit dem Auto tödlich verunglückte. Die vornehme Familie lehnte die ehemalige Tänzerin natürlich ab. Denise hat sich in der Not jedoch niemals an die Familie um Hilfe gewandt, sondern sich und ihren Buben selbst ernährt. Das imponierte Dominiks Urgroßmutter, Sophie von Wellentin, die Denise zufällig kennenlernte. Sie setzte ihren Urenkel Dominik als Erben ein. Nach ihrem Tod wurde das Kinderheim gegründet, das ein Segen für die ganze Gegend geworden ist.«
»Deine Schilderung ist zwar sehr ausführlich, Lola, aber warum Denise von Schoenecker dreierlei Kinder hat, weiß ich noch immer nicht.«
Lola schob den Kuchenteller zurück, nahm ihre Finger zu Hilfe und zählte. »Dominik ist Denises Sohn aus der Ehe mit Dietmar von Wellentin. Dann heiratete sie Alexander von Schoenecker, einen wohlhabenden verwitweten Gutsbesitzer, der bereits einen Sohn und eine Tochter hatte, Sascha und Andrea. Nummer vier ist der kleine Henrik, der aus der Ehe mit Alexander stammt. Bist du mitgekommen?«
»So einigermaßen, Lola. Willst du also wirklich so nett sein und Hanni während dieser drei Wochen in Pflege nehmen?«
Hanni war Jolandas schwarzes Kaninchen.
»Es wird mir nur guttun, mich an Hannis Essgewohnheiten zu gewöhnen, Aline.« Lola schaute betrübt auf ihre rundliche Formen herab. »Jeden Monat nehme ich ein Kilo zu. Kannst du dir vorstellen, wie ich in zehn Jahren aussehe? Das sind dann zusätzlich einhundertzwanzig Kilo zu meinen bereits vorhandenen achtzig. Reif für den Zirkus! Ich werde also mit Hanni Rübchen und Salatblätter knabbern und Gänsewein aus der Leitung trinken.« Lola sprang trotz ihres Gewichtes mit erstaunlicher Behändigkeit auf. »Darf ich mich zu der Fahrt nach Sophienlust einladen? Ich weiß nun so viel über Denise von Schoenecker, dass ich sie gern persönlich kennenlernen möchte.«
»Wir freuen uns, wenn du mitkommst, Lola. Das weißt du doch.«
»Ich habe es aber von dir hören wollen. Leb wohl, meine Liebe! Grüße Manuel und Jolanda. Ich werde erst dreimal um den Block marschieren und dann heimfahren. Ich muss einfach für meine Figur etwas tun. Erst gestern hat mein Chef mich vor der Tür warten lassen, damit sein wichtigster Einkäufer nicht sah, welche Tonne von einer Frau die grazilen Kleidchen und Hosenanzüge für die halb verhungerten Mannequins entwirft. Auf Wiedersehen!«
Aline konnte sich erst jetzt so recht der Freude auf den gemeinsamen Urlaub mit ihrem Mann hingeben. Sie musterte ihren Kleiderschrank und stellte fest, dass sie überhaupt nichts Passendes für Südamerika hatte. Lola wird mir helfen, eine nicht zu teure Garderobe einzukaufen, dachte sie.
Sie und Manuel hatten jung geheiratet. Schon nach elf Monaten war Jolanda angekommen. Manuel war damals Angestellter eines kleinen Immobilienbüros gewesen. Nach dem Tod des Chefs hatte er es übernommen. In gemeinsamer harter Arbeit hatten sie die Firma zu einem angesehenen Unternehmen mit vierzig Angestellten hochgebracht. Das hatte Opfer und Verzicht auf viele persönliche Wünsche bedeutet. Nun hatte Manuel den Auftrag bekommen, für ein riesiges Stahlwerk Fabrikräume und ein Bürohaus in Argentinien aufzuspüren.
Eigentlich bin ich eine glückliche Frau, dachte Aline dankbar. Manuel ist der beste aller Ehemänner, Jolanda vorwitzig und keck, aber gesund. Mein einziger Kummer ist, dass ich keine Kinder mehr bekommen kann. Aber heutzutage kann auch ein Mädchen die Lebensarbeit des Vaters fortführen.
Alines Blick glitt zur Uhr. Jolanda kam wieder einmal nicht pünktlich heim. Aline nahm sich vor, sie energisch zu tadeln. Da öffnete sich die Tür, und Jolanda kam herein.
Aline wollte aufstehen, aber die Kleine drückte sie energisch in den Sessel zurück. »Bleib sitzen, Mutti! Es ist besser für dich.«
»Warum?«
»Du siehst so müde aus, Mutti. Ich glaube, dich macht der kommende Urlaub ganz krank.«
»Heraus mit der Sprache? Was willst du mir schonend beibringen, Jolanda?«
Das Mädchen seufzte und setzte sich auf die Sessellehne. »Wir haben doch heute unsere Zeugnisse bekommen, Mutti. Es tut mir sehr leid, dass ich dir nun auch noch Kummer machen muss, wo du doch schon so schlecht aussiehst.«
Die Zeugnisverteilung hatte Aline in ihrer Vorfreude auf den Urlaub ganz vergessen. Sie zog eine strafende Miene und tadelte Jolanda für ihre Faulheit. Die Elfjährige zeigte sich zerknirscht, verstand es aber auch, ihre Mutter von dem unerfreulichen Thema abzulenken.
»Warum hast du denn deinen Kleiderschrank ausgeräumt, Mutti? Willst du das alles mitnehmen?«
»Nein! Ich habe nur festgestellt …«
Jolanda unterbrach sie mit strahlendem Gesicht. »Wir werden ganz groß einkaufen gehen, Mutti, und ich werde mich dadurch selbst strafen, dass ich mir keine anderen Hosen wünsche und nicht einmal einen Pulli. Du musst doch anerkennen, dass das sehr hart für mich ist.«
Aline konnte ihr nicht böse sein. Jolandas Charme zu widerstehen, war einfach unmöglich für jene, die sie liebten. Und Aline liebte ihre Tochter genauso hingebungsvoll wie ihren Mann. Sie fand selbst, dass sie altmodisch sei. Aber ihre Familie war der Sinn ihres Lebens und ihre ganze Befriedigung.
Das Strahlen auf Jolandas rundem Gesichtchen erlosch. »Du willst mich also wirklich in ein Kinderheim abschieben, Mutti? Ich gehe doch schon ins Gymnasium. Ich könnte für mich und Hanni selbst kochen.«
»Ich hätte keine Ruhe, Jolanda, wenn du allein wärst. Wir fahren übermorgen nach Sophienlust, damit du das Kinderheim kennenlernst.«
»Und was wird aus Hanni?«
»Die wird Tante Lola in Pension nehmen.«
»Aber warum kann ich nicht auch zu ihr?«
»Weil sie dich bei ihrer Arbeit nicht gebrauchen kann. Weil sie manchmal einige Tage verreisen muss.«
»Und wo bleibt dann Hanni?« empörte sich Jolanda. »Außerdem wird Tante Lola das Kaninchen wie ein Schwein mästen.«
»Im Gegenteil, Jolanda. Lola will sich an Hanni ein Beispiel nehmen und leichte Sachen essen. Nun wasch dir die Hände und räum dein Zimmer auf. Dann darfst du mit Vati und mir Kaffee trinken. Er kommt heute früher nach Hause.«
Jolanda griff blitzschnell nach dem Zeugnis und verschwand damit, in der Hoffnung, dass der Vater nicht daran denken würde.
Manuel Larsen dachte zwar daran, aber er erwähnte das Zeugnis nicht. An Alines betretener Miene hatte er erkannt, dass es auch diesmal nicht zufriedenstellend ausgefallen war. Aber er wollte weder ihr noch sich selbst den bevorstehenden Urlaub verderben. Und vor allem Jolanda nicht, die höchst ungern in das Kinderheim Sophienlust ging.
*
Mit verkniffener Miene war Jolanda aus dem Wagen gestiegen. Sie hatte sich vorgenommen, so unleidlich zu sein, dass diese Frau von Schoenecker es ablehnen würde, sie aufzunehmen.
Als sie jedoch die hochgewachsene schöne Frau sah, die ihre Mutter und Tante Lola so herzlich begrüßte, schwand ihr der Mut. Artig sagte sie: »Guten Tag, Frau von Schoenecker!«
»Guten Tag, Jolanda.«
Ein blondes Mädchen mit blauen Augen stand neben Denise. »Das ist Angelika Langenbach, Jolanda. Sie ist so alt wie du und wird dir das Haus zeigen und dich mit den anderen Kindern bekanntmachen. Willst du?«
Jolanda zögerte. Musste sie wirklich zu diesem fremden Mädchen höflich sein?
Da streckte ihr Angelika die Hand hin, drückte sie kräftig und sagte: »Magst du Tiere, Jolanda? Wir haben Ponys hier, auf denen wir reiten dürfen.«
»Du auch?« staunte Jolanda.
»Natürlich! Und Affen haben wir und Bären und Füchse …«
»Du gibst aber ganz schön an!« trompetete Jolanda, die glaubte, Angelika wolle sich über sie lustig machen. »Hier ist doch ein Kinderheim und kein Zirkus. Aber ich, ich habe ein schwarzes Kaninchen, das Hanni heißt.«
Aline schaute ihre Tochter strafend an und entschuldigte sich dann bei der Hausherrin, die die Gäste ins Haus führte.
Denise lachte. »Jolanda ist ein typisches Einzelkind, aber ich habe so aufgeweckte Mädchen gern. Kinder erziehen sich gegenseitig. Jolanda hat noch das Gefühl, sie müsse sich gegen die anderen durchsetzen. Wenn sie erst gemerkt hat, dass alle Kinder hier gleich behandelt werden und dass ein jedes die Freiheit des anderen respektiert, wird sie sanfter werden, Frau Larsen.«
Aline war beruhigt. Lola aber war begeistert von Denise von Schoenecker. Mit Kennermiene musterte sie das raffiniert einfach hellblaue Kleid, das Denises vollendete Figur betonte. Die Farbe des Stoffes passte wunderschön zu ihrem tiefschwarzen Haar und zu den dunklen Augen. Ihre fließenden Bewegungen ließen zudem ihre Ausbildung als Tänzerin ahnen.
Die Damen besprachen nun alle Details. Aline wollte Jolanda in einer Woche, zwei Tage vor ihrem Abflug nach Argentinien, nach Sophienlust bringen.
Denise bat die Besucherin schließlich zum Fenster und deutete lächelnd hinaus. Da draußen stand Jolanda und hatte ihren Arm um die Schulter der blonden Angelika Langenbach gelegt. Ein schmächtiger Junge gesellte sich jetzt zu den beiden. Eine mächtige Dogge wich nicht von seiner Seite.
»Das ist Fabian Schöller, eines unserer Dauerkinder. Er hat seine Eltern bei einem Zugunglück verloren und war der Stiefgroßmutter eine Last. So fand er ein Zuhause bei uns.«
»Wer ist dieses entzückende Mädchen in dem hellblauen Kleid?« fragte Lola.
»Das ist Heidi Holsten, unser aller Liebling. Sie ist ebenfalls Vollwaise und für immer bei uns.«
Aline sah, dass Jolanda sich zu der kleinen Waise hinabbeugte und ihr den Schuh auszog. Es war wohl Sand hineingeraten. Sie schüttelte den Schuh und zog ihn der Kleinen dann wieder an.
Die Damen dachten alle dasselbe: Die wohltätige Erziehung durch die anderen Kinder trug bei Jolanda, dem Einzelkind, bereits Früchte.
Lola sprach ihre Gedanken laut aus: »Du solltest Jolanda gleich hierlassen, Aline. Wäre das möglich, Frau von Schoenecker?«
»Ja! Wir haben noch einige Zimmer frei. Auch Sie könnten ein oder zwei Nächte bei uns bleiben. Sie könnten dann selbst beobachten, ob Ihr Töchterchen sich hier wohlfühlt. Danach würden Sie sicher beruhigter wegfahren.«
»Wir haben Zimmer in einem Gasthof in Maibach genommen, Frau von Schoenecker.«
»Die könnten wir gut abbestellen, Frau Larsen«, meinte Denise von Schoenecker. »Wenn der Wirt hört, dass Sie auf Sophienlust bleiben, wird er die Abbestellung akzeptieren.«
»Dann werde ich allein dort nächtigen«, seufzte Lola.
»Auch für Sie hätten wir Platz, Fräulein Auerbach.«
Lola war von diesem Vorschlag begeistert und erledigte die Angelegenheit in ihrer zielstrebigen Art sofort. Sie rief Manuel an und reichte Aline den Hörer mit einem aufmunternden Blinzeln.
Auch Manuel fand den Vorschlag ausgezeichnet. Er wollte in drei Tagen kommen, Aline abholen und Jolandas Siebensachen mitbringen.
»Ihr Mann soll auch das Kaninchen nicht vergessen«, sagte Denise, und Aline gab die Bitte weiter.
Jolanda saß beim Abendessen strahlend zwischen Heidi und Angelika, ihren neuen Freundinnen. Ob sie bei uns etwas vermisst hat, dachte Aline. Manuel und ich haben ihr doch ein warmes Nest geboten …
»Ihr hattet in den Anfangsjahren eurer Ehe zu viel Arbeit, Aline«, tröstete Lola die Freundin. »Jolanda kann hier nachholen, was ihr gefehlt hat.«
»Sie möchte Geschwister haben. Aber du weißt ja, dass dies bei uns ein Traum bleiben muss, Lola.«
»Wie du hier feststellen kannst, gibt es viele Waisen. Habt ihr noch nie daran gedacht, einen Jungen zu adoptieren?«
»Gedacht schon, Lola. Aber ich kenne mich selbst sehr gut. Ich traue mir nicht zu, ein fremdes Kind so aufrichtig zu lieben wie mein eigenes. Es wäre jedoch ein Unrecht, ein Kind in unsere Familie aufzunehmen, das in einer anderen voll und ganz geliebt werden würde.«
Am Abend dehnte Aline Larsen sich behaglich in den Kissen. Das Köpfchen der schlafenden Jolanda ruhte auf ihrer Schulter. In diesen stillen Nachtstunden dachte sie über ihr Leben nach und fand, dass sie Grund zur Dankbarkeit hatte. Manuel war arbeitsam, ein guter Vater und ein verständnisvoller Partner. Die gegenseitige Liebe hatte zwar an Leidenschaft verloren, dafür aber an Innigkeit zugenommen. Restloses Vertrauen bestand zwischen Manuel und ihr. Dass sie nie mehr Mutter werden konnte, war der einzige Dorn am Rosenstrauch ihres Lebens. Es gab eben keine Rosen ohne Dornen.
Unbewusst falteten sich Alines Hände zu einem Dankgebet. Sie küsste das schlafwarme Gesichtchen an ihrer Schulter und schlief danach selbst ein. Ihr letzter Gedanke galt ihrem Mann. Ob er Jolanda und mich vermisst, fragte sie sich.
*
Manuel Larsen vermisste seine Familie nicht. Er war dem Schicksal eher dankbar, dass er gerade an diesem Tag allein war. Erregt rannte er im Wohnzimmer hin und her.
Ein Phantom aus seiner Vergangenheit war plötzlich aufgetaucht. Gabriele hatte ihn angerufen und ihn gebeten, sie im Hotel Kilian zu besuchen. »Ich muss dich unbedingt sprechen, Manuel. Bitte, komm! Ich heiße jetzt Andress«, hatte sie gesagt.
Manuel hatte nach einer Ausrede gesucht. Was wollte Gabriele nach zehn Jahren noch von ihm? Er hatte sie doch längst aus seinem Gedächtnis gestrichen. Sie hieß auch nicht mehr Steger, sondern Andress, war also genauso verheiratet wie er. Wie hatte sie überhaupt seine Adresse gefunden? Und warum sollte er zu ihr kommen? Wollte sie ihn vielleicht erpressen?
Ihm wurde heiß. Er hatte Aline dieses Abenteuer nie gebeichtet. Die Geschäftsreise war damals in eine Zeit der Krise gefallen. Aline hatte sich nur noch um ihr Kind gekümmert und ihn vernachlässigt. So war er Gabrieles Reizen für knapp eine Woche erlegen. Dann hatte er sich darauf besonnen, dass er ein verheirateter Mann und Vater einer Tochter war, und war heimgekehrt in die Arme seiner Frau.
Es fiel Manuel schwer, Gabrieles Bild aus der Vergangenheit zurückzuholen. Er wusste nur noch, dass sie sehr groß war, ihn sogar um einige Zentimeter überragt hatte. Ihr Haar war blond gewesen. Außerdem hatte sie wunderschöne blaue Augen, ihre Zähne hatten schneeweiß geblitzt, wenn sie gelächelt hatte. Je angestrengter er nachdachte, umso mehr Einzelheiten fielen ihm wieder ein. Das Grübchen im Kinn, ihr geschmeidiger Gang, die langen dunklen Wimpern, die ihr einen seelenvollen Blick verliehen.
Allmählich regte sich Neugierde in ihm, die seine Angst unterdrückte. Wie mag sie wohl heute aussehen, fragte er sich. Ob sie noch so hübsch ist wie damals? Ich begehe kein Unrecht an Aline, wenn ich ihrer Bitte, sie zu besuchen, nachkomme. Vielleicht ist sie in Not, braucht einen Menschen, der ihr finanziell hilft. Dann darf ich mich nicht drücken.
Als Manuel genügend Gründe gesammelt hatte, die ihn vor sich selbst entschuldigten, setzte er sich in seinen Wagen und fuhr zum Hotel Killan. Er fragte den Portier nach Frau Andress und wurde von einem Pagen in das Zimmer der Dame gebracht.
Als er sie sah, zuckte er zusammen. Ungläubig starrte er sie an und suchte nach Worten.
*
Ähnlich erging es am nächsten Morgen seiner Tochter Jolanda. Sie schaute Barri an, den riesigen Bernhardiner, der auf sie zutrottete. »Mutti, das ist kein Hund, das ist ein Kalb!« rief sie und griff Hilfe suchend nach Alines Hand.
Die anderen Kinder lachten. »Was wirst du erst sagen, wenn du Isabell, Taps und Tölpl siehst?«
»Sind das die Schimpansen?«
»Nein, die Bären! Die Affen heißen Luja und Batu und sind nicht halb so groß wie unser braver Barri.«
»Wird er meine Hanni nicht auffressen?« sorgte sich Jolanda.
»Er hat auf Kaninchen keinen Appetit. Hier tut kein Tier dem anderen etwas. Tante Isi, wann marschieren wir ab zum Tierheim?«
»Wenn ihr euren Kakao ausgetrunken habt.«
Sie beeilten sich sehr und liefen dann hinaus in den herrlichen Sommertag. Die Erwachsenen folgten der Kinderschar.
»Ich habe meiner Tochter Andrea unseren Besuch angekündigt. Wenn sie Zeit findet, wird sie uns begrüßen. Sie hat erst vor Kurzem ein Baby bekommen und ist nun sehr beschäftigt.« Mütterlicher Stolz sprach aus Denises Worten. Man merkte, sie genoss es, Großmutter geworden zu sein, wenn auch nur Stiefgroßmutter. Aber sie liebte Andrea wie ein leibliches Kind und hegte auch dem kleinen Peterle gegenüber die zärtlichsten Gefühle. Es verging kein Tag, an dem sie ihr Enkelkind nicht besuchte und bewunderte.
Die Kinder bewunderten zunächst den Dackel Waldi, der mit einem Päckchen in seiner spitzen Schnauze angesaust kam. Ihm folgten Hexe, seine Frau, und seine Kinder Pucki und Purzel.
»Was trägt er da?« fragte Jolanda.
»Das Futter, das wir den Tieren geben dürfen. Tante Andrea schickt es uns durch Waldi, wenn sie selbst nicht kommen kann.«