Klippenrache - Ian Bray - E-Book

Klippenrache E-Book

Ian Bray

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Beschreibung

Ein Racheplan, der tödlich endet. Ein neuer Fall für den Kommissar, der nie mehr ermitteln wollte.

Tracy, Fiona, Millie und Louise – die vier Freundinnen haben schon zu Schulzeiten ihre Heimat, das beschauliche Fischerdorf Cadgwith in Cornwall, unsicher gemacht. Nun sind sie vierzig, aber noch immer lieben sie es, gemeinsam um die Häuser zu ziehen. Doch dann wird Tracy zum Opfer eines Heiratsschwindlers und die Frauen beschließen, Rache zu nehmen. Das funktioniert überraschend gut – bis eines Abends plötzlich Fiona verschwindet und sie kurz darauf tot aufgefunden wird. Während die Polizei im Dunklen tappt, wird der ehemalige Kommissar Simon Jenkins beauftragt, sich unter den Bewohnern diskret umzuhören. Dabei gerät er schon bald in ein Beziehungsgeflecht, das weitere Tote fordert …

»Viel Lokalkolorit mit Pub-Besuchen und Folkmusik macht den Krimi zu einem spannenden Urlaubsbegleiter.« Rheinische Post über »Klippentod«

Lesen Sie auch die anderen Bände der atmosphärischen Cornwall-Krimireihe unabhängig voneinander:
Band 1: Klippentod
Band 2: Klippengrab
Band 3: Klippenrache
Band 4: Klippensturm

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Seitenzahl: 741

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Ian Bray, geboren 1954, ist das Pseudonym des deutschen Krimiautors Arnold Küsters. Wenn er sich nicht gerade spannende Mordfälle ausdenkt, ist er als freiberuflicher Journalist im Einsatz. Cornwall wurde vor vielen Jahren zu seinem liebsten Reiseziel, und Cadgwith hat es ihm ganz besonders angetan. Daher verbringt er dort nicht nur regelmäßig seinen Urlaub, sondern verlegt neuerdings auch seine Kriminalfälle in das beschauliche Fischerdorf.

Außerdem von Ian Bray lieferbar:KlippentodKlippengrab

Ian Bray

KlippenRache

Ein Cornwall-Krimi

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Copyright © 2023 der Originalausgabe by Penguin Verlag

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Ralf Reiter

Covergestaltung: bürosüd

Coverabbildung: www.buerosued.de

Gesamtherstellung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-29695-7V002

www.penguin-verlag.de

Wenn man die volle Wahrheit nicht sagen will und doch reden muss, so verwickelt man sich gar bald in die ersten Netze der Unwahrheit, und die konsequente Fortsetzung dieser Netze ist eben die Lüge selbst. Die Lüge aber ist alles Unrechts Quell und Anfang.

Heinrich Laube

Please, sister Morphine, turn my nightmares into dreams

Rolling Stones

Come sail your ships around me / And burn your bridges down / We make a little history baby / Every time you come around

Nick Cave, The Ship Song

Figuren und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären damit rein zufällig. Die im Buch beschriebenen Handlungsorte entsprechen weitgehend den tatsächlichen Gegebenheiten. Abweichungen sind allein der Fantasie des Autors geschuldet.

I.

Er stand in der Gasse, in Wahrheit nur ein nachlässig befestigter Weg. Leere Hallen, Graffiti, Schutt, Fäkalien, Gestrüpp, dürres Gras – die hässliche Seite der Stadt. Es stank nach Kohl und was sonst noch. Es war dunkel, irgendwo im Londoner Stadtbezirk Croydon, abseits des aufpolierten Viertels mit den Bars, Pubs und Profiteuren des Neuen Marktes.

Er war allein. Sein Team hatte sich weiter vorne in einem verzweigten Hallensystem verteilt. Sie hatten den Tipp bekommen, dass dort um diese Zeit große Mengen Koks, Heroin und Crack den Besitzer wechseln würden. Ein Routineeinsatz. Solche Hinweise bekamen sie im Dutzend.

Der Einsatz war fast beendet. Natürlich hatten sie nichts gefunden und niemanden angetroffen. Sie hatten es geahnt. Der Tipp war ein Ablenkungsmanöver, damit die Geschäfte anderswo ungestört ablaufen konnten.

Nur noch schnell dieses kurze Verbindungsstück absuchen, sicherheitshalber, hatte er gedacht. In Gedanken war er längst bei Moira und ihrem gemeinsamen Wochen­ende. Unmittelbar im Anschluss sollte es losgehen. Es waren ihre ersten freien Tage seit Wochen, und sie wollten die Zeit nutzen, um die Hochzeit zu planen.

Als er sich in dem schmalen Durchgang vorsichtig an der Wand entlang bewegte, stieß er in der Mitte des Wegs auf einen Müllcontainer, daneben schwarze Säcke, einige von Fäulnisgasen aufgebläht, andere schlaff und halbvoll, dazu einige durchweichte Kartons. Der Gestank nahm ihm fast den Atem. Eine Hand vor dem Mund, stieß er mit der anderen den Deckel auf.

Gebleckte Zähne grinsten ihn an. Er konnte nicht einmal schreien. Er blickte in das Gesicht einer Frau, oder das, was davon übrig geblieben war. In den Augenhöhlen und im aufgerissenen Mund wimmelte es von Maden, ihr Weiß kaum zu unterscheiden von der toten Haut. Und als hätten sie nur darauf gewartet, an die Luft und das Licht zu kommen, begannen sie in Richtung Klappe zu kriechen.

Bevor er den Deckel mit einem Krachen zuwarf, nahm er wahr, dass der Kopf vom Rumpf getrennt worden war. Die Frau musste schon länger als zwei Tage in dem Container liegen.

Heftig atmend lehnte er sich an die Ziegelwand und bekam dennoch keine Luft. Für den Bruchteil eines Augenblicks hatte er geglaubt, in Moiras Gesicht zu blicken.

Seine Kollegen fanden ihn erst spät. Von Würgen und Weinkrämpfen geschüttelt, hatte er sich regelrecht in die Wand verkrallt, und seine Hände hatten wieder und wieder über den rissigen Backstein gerieben.

Simons Flashback endete stets an genau dieser Stelle. Nur mühsam fand er in die Realität zurück. Sein Shirt war feucht vom Schweiß. Außerdem hatte er das Wasserglas vom Nachttisch gewischt.

II.

Mein Gott, Peter ist aber auch zu süß. Tracy hätte beinahe das Display geküsst. Stattdessen drückte sie ihr Handy verstohlen an die Brust. Sie war schließlich gerade nicht allein. Sie hatte zum gefühlt hundertsten Mal seine Whatsapp aufgerufen: Liebste Tracy, lass uns endlich gemeinsam träumen. Mein Leben ist ohne dich, ja, wie ein dunkler enger Raum ohne Tür. Seit ich dich kenne, hat mein Leben endlich, endlich einen Sinn. Schon ganz bald bin ich für immer bei dir.

Selig machende, süße Worte, so lange schon nicht mehr gehört. Nein, niemals zuvor gehört.

Lass uns gemeinsam träumen. In diesen vier Worten steckte ihre ganze Sehnsucht. Das allererste Mal in ihrem Leben hatte Tracy das Gefühl, eine Zukunft zu haben. Endlich. Sie ließ den Blick über das Treiben auf dem Schulhof schweifen. Schubsen, Lachen, Flüstern in kleinen Gruppen, ein Ball flog über die niedrige Umgrenzungsmauer. Wie unbeschwert das Leben sein konnte. Ihre Schützlinge lebten ihr das vor, jeden Tag. Und nun war auch sie ein Teil dieser Schwerelosigkeit.

Sie würden eine richtige Familie werden. Er wollte unbedingt Kinder. Peter war das Match, nach dem sie so lange gesucht hatte. Wie liebevoll, zart und zugleich bestimmt er am Telefon klang. Es hatte in den vergangenen Wochen Zeiten gegeben, in denen sie befreit aus dem Alltag abgetaucht war, mit ihrem Telefon als Luft- und Atemspender. Halbe Nächte hatten sie über ihre Wünsche und Sehnsüchte geredet. Wie Backfische hatten sie sich mit Liebesschwüren überboten, als seien sie im trunkenen Wettstreit um Liebe und Wärme auf der Zielgeraden. Ein glühendes Eifern, völlig neu im endlosen Einerlei dessen, was sie bisher für ihr Leben gehalten hatte.

Sie war nicht ganz sicher, ob das mit dem Nachwuchs in ihrem Alter noch klappen würde. Auf der anderen Seite las man ja immer wieder davon, dass heute mehr und mehr Frauen Spätgebärende waren, anders als noch vor zwanzig, dreißig Jahren. Und dank der medizinischen Fortschritte seien die Risiken beherrschbar. Es bestand also noch Hoffnung, dass sie mit ihren 38 Jahren glückliche Mutter sein konnte.

Bevor sie sich noch weiter in ihren Sehnsüchten verlor, holte sie ein paarmal tief Luft. Das musste warten, die Pause war vorbei.

Sie betrachtete das einstöckige Schulgebäude, das direkt neben Kirche und Friedhof lag und wegen seiner nüchternen Anmutung ein wenig deplatziert wirkte. Die letzte Stunde stand an, das Wochenende konnte kommen. Sie war am Abend mit den Mädels im Bootshaus verab­redet. Es gab noch eine Menge zu besprechen. Vor allem galt es, alles rund um das Bootsrennen zur Saisoneröffnung zu planen. Vergangenes Jahr hatten sie mit der Damenmannschaft und ihrer Socoa eine recht erfolgreiche Rudersaison hingelegt. Das wollten sie in diesem Jahr unbedingt wiederholen.

Außerdem wollten sie über ihre Kostüme für den Flora Day sprechen, der schon bald anstand. Tracy würde endlich wieder dabei sein. Das Volksfest in Helston fiel in diesem Jahr nämlich auf einen der Bank-Holiday-Feiertage, der gleichzeitig ein Freitag war. Peter würde Augen machen, denn so ein Fest gab es in Oxford sicher nicht. Ach, könnte er doch schon bei ihr sein.

»So, Kinder. Wir gehen wieder rein. Und du, George, hör endlich auf, Poppy zu ärgern.« Tracy klatschte vergnügt in die Hände und scheuchte die folgsamen Schülerinnen und Schüler der Grundschule wie eine Hühnerschar in das Gebäude zurück.

III.

Durch das offene Fenster schwappte das Gezeter der Silber­möwen über die Tischplatte voller Mehl, suchte sich seinen Weg am klobigen AGA-Herd vorbei und rollte an den Jugendstilornamenten des alten Schranks aus. Draußen über der Bucht schien die Sonne. Der Vormittag war außergewöhnlich warm für die Jahreszeit. Ein paar Lachmöwen hingen träge im auflandigen Wind.

»Benutzt du neuerdings Rouge?« Mary stellte das Blech mit den frisch geformten Scones auf die Arbeitsplatte und suchte nach den Topflappen. Nicht mehr lange und der warme Duft hätte sich überall verbreitet.

Soweit sie sich erinnern konnte, war Tante Margaret nie eine große Freundin von Make-up gewesen. Doch nun schien sie geradewegs einem Schminktopf entstiegen zu sein. Zum Abdeckpuder, dem rosafarbenen Lipgloss und dem alles andere als zarten Rouge gesellte sich der Duft von Lavendel, ihrem Lieblingsparfüm. Tante Margaret und Lavendel – Mary Morgan konnte sich die eine ohne das andere nur schwer vorstellen.

Die künstlich gesunde Gesichtsfarbe wurde eine Spur dunkler. Ihre Tante nestelte am Griff der Handtasche wie ein Mädchen, das sich seiner Gefühle nicht sicher ist.

»Ich halte mich schon viel zu lange auf. Dein Onkel wartet mit dem Essen. Ich sollte gehen.« Sie machte Anstalten aufzustehen.

»Tante Margaret, du wirst doch nicht auf deine alten Tage …?« Mary schob mit einer energischen Hüftbewegung die Schublade zu, in der die Lappen lagen. Sie konnte sich den spöttischen Ton nicht verkneifen. »Du hast doch nicht etwa einen …?«

»Wo denkst du hin, Kindchen?« Ihre Tante hatte die kurzfristig abhandengekommene Balance wiedergefunden und schob das Kinn angriffslustig vor. Dazu hielt sie ihre Handtasche wie einen Schild vor die Brust. »Ich bin glücklich verheiratet. Komm ja nicht auf falsche Gedanken. Dein Onkel und ich, wir lieben uns. Nein, es geht um etwas anderes. Ihr jungen Dinger müsst das doch wissen. Sex sells, sagt ihr doch.« Sie reckte das Kinn noch ein Stückchen weiter vor.

Mary glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Onkel und Tante liebten sich? Na ja, so sicher war sie sich da nicht. »Sex sells? Du sprichst in Rätseln, Tantchen.« Wo hatte Margaret nur wieder diesen Spruch aufgeschnappt? Obwohl, wenn sie es recht bedachte, kam sie ihr bereits seit geraumer Zeit verändert vor. Noch mehr als üblich legte sie Wert auf tadellose Kleidung und Frisur.

Margaret wirkte in der Küche des B&B wie ein Fremdkörper, rostfrei und steif. Die Frisur war mit einer Extraladung Haarspray fest am Kopf fixiert. Selbst bei einem Herbststurm, der die Bucht von Cadgwith in Sekunden in einen brodelnden, zischenden Kessel verwandeln konnte, würde sich nicht eine Locke bewegen. Margaret Bishop wäre als Wachsfigur grandios.

»Nun, mein Kind«, Margaret zupfte graziös eine imaginäre Fluse vom Oberteil ihres Jackenkleides, »das bin ich mir als frisch wiedergewählte Erste Vorsitzende unseres Verschönerungsvereins schuldig. Ich habe auf mein Äußeres zu achten, vor allem wenn ich den Verein nach außen hin vertrete.«

Mary verstand immer noch kein Wort. Stand ihre Tante wegen der ungefährdeten Wiederwahl kurz davor, endgültig den Verstand zu verlieren? Hatte der angebliche Wahlkampfstress, den sie immer wieder zu thematisieren gewusst hatte, am Ende einige Synapsen durchschmoren lassen? Andererseits konnte das nicht der Grund sein. Denn Margaret hatte, wie in jedem Jahr, nicht mal einen Mitbewerber um das Amt gehabt.

»Seit wir unseren Auftritt im Internet überarbeitet ­haben und nun auch bei Facebook, Instakram, Tiktak, und wie die Kanäle sonst noch heißen, vertreten sind, muss ich natürlich perfekt aussehen.« Margaret suchte erneut nach einer Fluse. »Also, unsere Klickzahlen sind überaus beachtlich.« Sie machte eine bedeutungsschwangere Pause, beugte sich vor und senkte die Stimme. »Ich werde daran wohl nicht unerheblichen Anteil haben.«

Du meine Güte, fuhr es Mary durch den Kopf, das World Wide Web. Ihre Tante lebte offenbar in der Vorstellung, die Welt des Internets habe nur auf den Ver­schönerungsverein von Ruan Minor und Cadgwith gewartet.

»Wie ist denn die Klickrate? Und nenn mich bitte nicht immer Kind oder Kindchen.«

»Du brauchst gar nicht so unverschämt zu grinsen.« Margaret drückte ihre Tasche noch fester gegen die Brust, als trüge sie darin das gesamte Facebook-Wissen mit sich. »Derzeit liegen wir bei rund 250.«

»250 000? Wow.«

»Nein. 250. Unser Administrator meint, das ist ein ganz hervorragender Wert. Und dass er sich entwickeln wird. Deinen Spott kannst du dir also sparen.«

»Aha.«

»Außerdem geht es nicht um Quantität, sondern einzig um Qualität.« Margaret drückte den Rücken noch weiter durch. Gleich knackt es, dachte Mary.

»Seit heute Vormittag bin ich auf Facebook mit dem Ersten Vorsitzenden der Royal Horticultural Society, Sir Harry Woodstock, befreundet. Harry ist von unserem Programm sehr beeindruckt.« Sie machte erneut eine Pause. »In seinen Komplimenten ist er ein wahrer Künstler.« Und nach einer weiteren Pause: »Es ist immer von Nutzen, wenn man eine Wohltätigkeitsorganisation im Rücken hat. Gerade als kleiner Verein.«

Also daher wehte der Wind. Tantchen hatte einen Verehrer. Zumindest bildete sie sich das offenbar ein. Was wohl Onkel David dazu sagen würde, wenn er davon wüsste? »Sir Harry?«

»So ist es, mein Kind.« Ihre Tante erhob sich. Lag es daran, dass mit Sir Harry ein Hauch Hochadel in der ­Küchenluft lag, oder an ihrer unnatürlichen Körperhaltung? Jedenfalls kam sie kaum vom Stuhl hoch. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass die Arme bereits seit einigen Jahren von Arthrose geplagt war.

»Ich muss mich sputen. In einer Stunde bin ich zu einer Videokonferenz mit der Königlichen Gartenbaugesellschaft verabredet.«

IV.

»Noch ein Pint?«

Millie hatte wie immer den Überblick. Beim Aufstehen scannte sie routiniert die Neuankömmlinge in dem schmalen, engen Bootshaus, das in unmittelbarer Nachbarschaft zum Cadgwith Cove Inn lag.

Tracy nickte. Warum nicht. Schließlich hatte sie allen Grund zum Feiern.

Ihre Freundin Fiona beugte sich übertrieben verschwörerisch zu ihr. »Gibt’s was Neues von wie heißt er doch gleich? Du weißt schon, wen ich meine.«

Tracy kicherte und tat peinlich berührt. »Frag doch nicht so. Du kennst den Namen doch längst. Wir verstehen uns gut, eigentlich immer besser. Und ja, wir werden uns treffen. Endlich.« Sie sah Millie hinterher, die sich an der improvisierten Getränketheke in die Schlange stellte und ausgelassen auf die anderen Wartenden einsprach.

»Oh, Louise, hast du gehört? Tracy trifft ihren neuen Lover. Und dieser Unterton. Endlich, sagt sie. Die Zeit der lustvollen Telefonate hat also ein Ende.« Fiona hob mit feierlicher Geste ihr Glas. »Wenn das mal keine gute Nachricht ist. Cheers.« Den anzüglichen Tonfall unterstrich sie mit hochgezogener Augenbraue.

»Musst du das so herausposaunen?« Tracy sah sich um. Die Neuigkeit ging ausschließlich sie und ihre Freundinnen etwas an. Mittlerweile war in dem niedrigen Raum kaum noch Platz. Wie die Sardinen drängten sich die Feierwütigen zwischen den wenigen Sitzmöglichkeiten und den langen schlanken Holzbooten.

In früheren Zeiten hatten sie als Rettungsboote gedient, heute wurden sie nur noch für den Rudersport ­genutzt. Die aktuelle Rettungsbootsstation lag ein Stück weiter Richtung Lizard markant in den Klippen, nahe Church Cove. Modernste Technik statt Muskelkraft und Ruderblätter. Erst vor zwei Tagen war die Crew ausgerückt, um Fischer aus Coverack aus Seenot zu retten. Ihr betagter Kutter war mit Motorschaden manövrierunfähig auf die rasierklingenscharfen Klippen nahe Poltesco getrieben.

»Meine Güte, steh doch dazu. Ist doch etwas Schönes. Das erste Date, der erste gemeinsame Abend.« Fiona sah Tracy aufmunternd an.

»Das Dorf wird es noch früh genug erfahren.« Fiona hatte gut reden. Sie war eine erfolgreiche Anwältin, ganz bewusst Single und dazu kein Kind von Traurigkeit. Tracy musste lächeln. Fiona feierte gerne und was das Zeug hielt. Lebe immer nur für den Augenblick, so lautete ihr Wahlspruch.

Fiona missdeutete das Lächeln. »Siehst du, geht doch. Immer das Positive sehen.«

Louise, die Tracy gegenübersaß, hatte bisher geschwiegen. »Ich wünsche dir viel Glück«, sagte sie jetzt.

Tracy warf ihr einen dankbaren Blick zu. Louise neigte eher selten zu überschwänglichen Bemerkungen oder zu überdrehter Partylaune. Das lag wohl vor allem daran, dass Besonnenheit und analytisches Denken zu den Voraussetzungen für Louises Arbeit als Anästhesistin gehörten. Sie warf einen Blick über die Schulter und fächelte sich Luft zu. »Puh. Wir sollten die Tür wenigstens eine Zeitlang offen lassen, die Luft hier drinnen ist ja zum Schneiden.«

»Obwohl, so ganz überzeugt von deinem Date scheinst du nicht zu sein. Ich habe dich schon anders erlebt.« Louise legte die dünne Strickjacke ab und ordnete mit beiden Händen ihr dunkles Haar.

Tracy wich ihrem forschenden Blick aus. Louises blaue Augen hatten die Fähigkeit, bis tief auf den Grund ihrer Seele zu blicken. »Alles gut, Louise. Wirklich. Peter ist ein echter Glücksgriff.«

»Ich gönn dir deinen Peter.« Millie hatte den letzten Satz gehört. Mit Mühe hatte sie die Biergläser zu ihren Plätzen balanciert und verteilte nun schwungvoll die Getränke. Dann hob sie ihr Glas. »Auf die Männer dieser Welt. Mädels, so jung kommen wir nicht mehr zusammen. Auf den Erfolg der Damencrew. Auf unser Boot ­Socoa, auf Cadgwith. Auf Cornwall und auf uns. Cheers.«

»Da bin ich mir nicht so sicher.« Fiona lachte und hob ihr Glas. »Bei unserem Trainingsrückstand.«

»Wir werden alle schlagen. Jedenfalls im Trinken.« Millie prustete los.

»Aber was, wenn Tracys Peter in dein Beuteschema passt, Millie?« Fiona merkte an Millies Reaktion, dass sie mit ihrer Frotzelei einen Schritt zu weit gegangen war, und hob ihr Glas schuldbewusst Richtung Tracy. »Aber keine Angst, Schätzchen, sie wird ihn dir schon nicht wegschnappen. Cheers, meine Mädels.«

Tracy zuckte bloß mit den Schultern, dann stieß sie selbstbewusst mit allen an. »Dazu wird Millie keine Gelegenheit haben. Peter wird nicht eine Minute aus meinem Bett rauskommen.« Sie nahm einen großen Schluck und musste beinahe husten.

Millie gab die Entrüstung in Person. »Schon vergessen? Ich bin glücklich verheiratet und Mutter zweier entzückender Kinder.«

»Hast du das gehört?« Fiona stieß Tracy übermütig in die Seite. »Erst letzten Freitag hat sie noch gejammert, dass ihre Kleine immer zickiger wird.«

»Meine Emily macht halt gerade eine schwere Phase durch. Die Schule, der langweilige Lernstoff. Ich kann mein Mädchen sehr gut verstehen. Ging mir damals nicht anders. Außerdem ist da einer aus der Klasse über ihr. Wenn ihr wisst, was ich meine.« Sie zwinkerte bedeutungsvoll.

»Pass auf, dass du nicht überraschend Oma wirst.« Fiona ließ ihren Blick über Millies Oberkörper gleiten. »Dein Schwiegersohn würde eine gute Partie machen. Welche Oma sieht mit einundvierzig immer noch aus wie mit neunundzwanzig?«

»Beschrei es nicht. Emily ist gerade mal dreizehn. Gott bewahre.« Millie stellte entsetzt ihr Glas ab und fuhr mit beiden Händen betont prüfend über ihr Kleid. »Und du hast recht, ich kann mich immer noch sehen lassen.«

»Unverhofft kommt oft.« Fiona gab keine Ruhe.

»Was willst du damit sagen?« In Millies unbeschwerten Ton mischte sich so etwas wie Kratzen über Glas.

»Meine Güte.« Fiona stieß Tracy erneut an. »Millie ist heute ein bisschen unleidlich, oder? Na ja, sicher die Hormone.« Sie grinste. »Erzähl uns lieber von Peter, Tracy. Wann seht ihr euch? Habt ihr zum Rendezvous einen standesgemäßen Tisch gebucht – oder geht es direkt zu dir nach Hause?«

Millie ignorierte das. »Emily ist wunderbar und Noah sowieso. Außerdem ist er gerade mal zehn. Bis zur Pubertät ist’s also noch ein gutes Stück. Zum Glück, toi toi toi.« Während sie sprach, warf sie einen Blick über das Gedränge im Klubhaus.

»Tut mir leid, Millie. Ich wollte dich nicht ärgern.« ­Fionas Blick bekam etwas Listiges. »Allenfalls ein bisschen. Weil heute Freitag ist – und weil ich es liebe, mit euch zusammen zu sein. Cheers.« Sie hob ihr Glas und ließ keinen Rest darin. Mit »Die nächste Runde geht auf mich« war sie auch schon auf dem Weg zur Theke.

»Was ist bloß los mit ihr?«, wunderte sich Millie. »Hat wohl eine schlechte Prozesswoche gehabt.« Ihre Augen wurden für den Bruchteil einer Sekunde zu schmalen Schlitzen, so als müsste sie sie auf etwas in ihrem Kopf scharf stellen.

Auf Louises »Vielleicht sind’s auch die Hormone« folgte ein aufgekratztes Kreischen von allen dreien. Das war etwas, was ihnen Sorgen machte und vor dem alle Angst hatten: die Hormone.

»Wie geht es Neil?«, fragte Louise, nachdem die Freundinnen wieder Luft bekamen. »Hab schon länger nichts von ihm gehört. Immer noch die Nummer eins auf der Hitliste der besten Verkäufer?«

»Dem geht es gut. Soweit ich das beurteilen kann.« Als Millie den neugierigen Blick ihrer Freundinnen bemerkte, setzte sie hinzu: »Macht euch bloß keine Hoffnung. Es gibt keinen Skandal. Uns geht es gut. Sehr gut sogar. Nur habe ich im Augenblick so wahnsinnig viel zu tun. Die Leute kaufen Wohnungen und Häuser wie verrückt. Deshalb bekomme ich Neil oft erst spät am Abend zu Gesicht. Ihm geht es ähnlich. Die Umstrukturierungen im Autohaus sind noch nicht abgeschlossen, der Modellwechsel steht an, da ist er total gefordert. Zu allem Überfluss ist er demnächst für eine Woche auf einer Schulung von BMW in München.«

Fiona drängte sich gerade durch die Menge zurück. Sie wollte schon zu einer ihrer spöttischen Bemerkungen ansetzen, als Millie ihr zuvorkam und ihr mit einer Handbewegung das Wort abschnitt.

»Im Bett steht nichts zur Diskussion.« Millie schüttelte selbstbewusst ihre roten Locken und ließ die grünen Augen aufblitzen.

»So genau wollten wir das jetzt nicht wissen. Oder doch?« Fiona prustete los und sah von einer zur anderen. »Gerade habe ich gedacht: Ich finde es so toll, dass wir Freundinnen sind. Nichts soll und wird uns jemals auseinanderbringen. Cheers.«

Louise prostete ihr zu. »Das hat auch niemand vor.« Sie nickte Fiona vertraulich zu. »Hattest du diese Woche nicht den Termin bei deinem Gyn?«

Die Angesprochene nickte. »Könnte besser nicht sein. Ups.« Sie beugte sich vor, denn sie hätte beim Trinken beinahe ihr Bier verschüttet. Fiona sah Louises fragenden Blick und schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin nicht schwanger.«

Tracy hob ihr Glas und prostete den anderen zu. »Sind wir schon so weit, dass wir uns nur noch über unsere Arztbesuche austauschen? Ich kenne das nur von den Freundinnen meiner Oma.«

»Du hast recht.« Millie deutete auf den Eingang und hob den Kopf. »Schaut mal, da kommt Mary. Die habe ich Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Sieht unternehmungslustig aus. Ihr B&B scheint ihr gut zu tun. Oder ist es ­Simon? Ich tippe eher auf Simon. Mary, meine Liebe!« Sie winkte.

»Sind die beiden jetzt zusammen oder nicht?« Fiona schien ihr Thema gefunden zu haben.

Mary grüßte mit einem Kopfnicken zurück und bahnte sich den Weg zwischen den mittlerweile noch enger zusammenstehenden Gästen des Pilot Gig Club. Allerdings kam sie kaum voran. Immer wieder wurde sie angesprochen und blieb für ein kurzes Gespräch stehen. Millie wusste, dass Mary, seit sie den Dorfladen führte, in dem man bei Bedarf auch seine Postpakete abholen konnte, gerne als Nachrichtenquelle genutzt wurde.

Das Lachen, mit dem die vier Freundinnen ihren Austausch von Klatsch und Tratsch dekorierten, übertönte den Geräuschpegel, den die anderen Gäste in dem Gedränge kontinuierlich heraufgefahren hatten, nun um einiges. Es wollte an diesem Abend kein Ende nehmen.

V.

»Ich weiß nicht.« Tracy zog die Unterlippe ein. Damit hatte sie nicht gerechnet. Den Samstag über hatte sie mit lustvoller Vorfreude darauf gewartet, von seinem Liebesgeflüster in erotische Trance versetzt zu werden. Zwischen Aufräumen, Bettenmachen, Bügeln, Blumengießen und dem Einkauf in Claire’s Store hatte sie sich immer wieder versichert, dass sie von dieser Art Opium nicht genug bekommen konnte.

»Ist doch nur für ein, zwei Wochen, Schatz.« Er räusperte sich umständlich. »Ich würde dich nicht fragen, wenn ich nicht so viel Vertrauen zu dir hätte – und weil wir uns doch lieben.« Er atmete heftig in den Telefonhörer. »Du hast ja recht. Du kennst mich nur vom Telefon, und schon beim ersten Treffen ist Geld ein Thema. Bitte vergiss es, Liebes. Das ist in der Tat schlechtes Timing.«

Peter klang ehrlich verzweifelt. Seine Stimme brach beinahe. So hatte sie ihren Liebsten in all den Wochen noch nicht erlebt. Tracy rückte sich auf dem Sofa zurecht und wechselte das Mobiltelefon in die andere Hand. Natürlich führten sie gerade so etwas wie eine Fernbeziehung. Aber schon bald nicht mehr. »Schau, wir …«

Er fiel ihr ins Wort. »Ich weiß, was du sagen willst, dass wir uns bisher nur von unseren Mails, Whatsapps und vom Telefon her kennen. Das ist richtig, Schatz. Aber sag ehrlich, hast du nicht schon nach dem ersten Kontakt gespürt, dass das zwischen uns etwas Besonderes ist?«

»Ja, schon …« Die erotische Trance hatte sich mit einem Mal verzogen. Sie bekam den Zweifel nicht aus dem Kopf.

»Na, siehst du. Ich wäre schon längst zu dir gekommen, aber ich habe dir ja erklärt, warum das im Augenblick so schwierig ist. Das hast du ja verstanden. Und dafür bin ich dir auch sehr, sehr dankbar. Die Firma, Montage, das ganze Drama. Schatz …«

»Ja, wann sehen wir uns endlich? Ich halte das nicht mehr aus. Ich habe solche Sehnsucht nach dir.« Gegenwehr war zwecklos. Auf einmal war der warme dunkle Unterton in seiner Stimme wieder da und verfehlte seine Wirkung nicht. Der Zweifel rutschte endgültig ab. Tracy wollte endlich Peters Nähe spüren.

»Schon ganz bald. Ich muss nur noch dieses verflixte Projekt zu Ende bringen. Meine berufliche Zukunft hängt davon ab. Aber das weißt du ja. Schau, ich war doch schon einmal kurz davor, zu dir zu kommen. Ich weiß, was du jetzt denkst. Aber auch da war es echt nicht meine Schuld, dass es nicht geklappt hat. Das hast du doch verstanden. Ich habe gerade keine freie Minute für mich. Die ganzen Überstunden. Ich würde so gerne bei dir sein. Ach, Tracy, deinen Mund spüren, deine Hände, deine Haut riechen. Aber mein Chef ist ein gnadenloses Arschloch. Echt. Und die Kollegen sind auch nicht eben hilfsbereit. Im Gegenteil. Sie haben Spaß daran, mich scheitern zu sehen. Sie warten nur darauf, dass ich scheitere …« Er brach ab.

»Das wird nicht passieren. Du bist gut in deinem Job. Das weiß ich.« Tracy sprach zu ihm wie zu einem ihrer Schüler, der zu verlegen ist, um um Hilfe zu bitten. Sie legte den Arm hinter den Kopf und schloss die Augen. Seine Worte lösten dieses vertraute Kribbeln in ihrem Bauch aus. Mehr davon.

»Das wird auch nicht passieren.« Peters Stimme gewann wieder an Stärke. »Nur dieses eine Projekt noch. Und dann …«

»Ich bewundere deinen Mut.«

»Wenn es nur das wäre.« Er lachte sein dunkles Lachen, das sie gleichermaßen irritierte wie anzog. »Ich bin kurz davor. Es fehlen mir nur noch ein paar Kröten. Na ja, in Wahrheit sind es erst einmal dreitausend Pfund. ­Eigentlich eine lächerliche Summe, aber meine Bank sieht das ein wenig anders. Auch so ein Arschloch, mein Berater. Dabei hatte ich lediglich ein paar wirklich unerwartete Ausgaben. In die Selbständigkeit wechseln ist eben nicht so einfach. Da tauchen dann schon mal unerwartete Ausgaben auf. Aber das will der Spinner nicht einsehen. Faselt was von Vorgaben und Mir sind leider die Hände gebunden. Der Typ lässt mich am ausgestreckten Arm verhungern, er hat einfach keinen Weitblick und schon gar keine Visionen. Deshalb ist er ja auch Banker geworden und nicht Unternehmer.« Das dunkle Timbre erstarb. »Aber was rede ich da von meinen Problemen. Du und deine Liebe sind viel wichtiger. Tracy, wir treffen uns Ende der Woche.«

»Peter.« Tracy streckte sich auf der Couch aus. Mehr. Erzähl mir mehr, mein Liebster. Sie spannte die Muskeln an. Es tat gut, den eigenen Körper zu spüren.

Sie fühlte sich wie damals, als sie auf Senden geklickt hatte, und es kein Zurück mehr gab. Sie war im Grunde gar nicht auf eine Beziehung aus gewesen. Aus reiner Neugier hatte sie ein paar Datingseiten besucht. Irgendwann hatte sie mehr gewollt, sich bei einer angemeldet und durch die Profile geklickt. Fast wie eine Sucht. Sie hatte es amüsant bis höchst aufregend gefunden, sich auf diesem digitalen Marktplatz der Eitelkeiten umzutun. All diese kleinen, dicken, groben, unscheinbaren, verhärmten, protzenden oder schüchternen Männer mit ihren Versuchen, dem Leben noch eine Chance abzugewinnen. Diese zum Teil dümmliche bis machohafte Nabelschau, bei der sie manches sah, was sie lieber nicht sehen wollte, und von der sie dachte, es erginge ihren Geschlechtsgenossinnen sicher ebenso, war besser als jede Soap im Fernsehen. Bei einer Flasche Wein hatte sie sich Stunde um Stunde durch die Seiten geklickt.

Am Ende war sie voller Neugier und Hoffnung bei ­Peters Profil hängen geblieben. Sein offenes Gesicht hatte sie aufmerksam werden lassen, seine schlanke Gestalt. Dass er nicht gleich sein vermeintlich bestes Stück herzeigte. Und dass sie an seiner Haltung sehen konnte, wie sportlich er war. Wichtiger noch waren die wenigen Zeilen gewesen, mit denen er sich und sein Leben beschrieben hatte: Ich bin neugierig auf das Leben, nehme mich nicht wichtig. Humor ist der Dünger meiner Seele. Diese Worte und der Wein hatten sie auf Antworten klicken ­lassen.

»Ich bin schon ganz aufgeregt. Hab schon feuchte Hände, wenn ich nur daran denke.« Peter machte eine winzige Pause, dann ein erneutes umständliches Räuspern. »Leihst du mir die dreitausend? Nur ganz kurz …«

Tracy antwortete, ohne nachzudenken. »Ja.«

»Oh Mann.« Peter klang mit einem Mal, als wüsste er nicht, wie er weitersprechen sollte. Seine Gefühle mussten Achterbahn fahren, so überwältigt klang er. Sie meinte, die Steine von seinem Herzen purzeln zu hören. »Was rede ich da? Entschuldige bitte, Schatz. Ich hätte das mit dem Geld nicht sagen sollen.«

Tracy hauchte mehr, als dass sie sprach. »So ein Unsinn, mein Liebster. Natürlich helfe ich dir. Was denkst du dir? Ich liebe dich, Peter. Seit ich dein Bild das erste Mal gesehen habe.«

»Und wie sehr ich dich liebe.«

»Ich wünschte, es wäre schon nächsten Samstag.« Tracy strich mit einer Hand über das Velours der Couch. Der Stoff und seine Stimme schienen sich wie eine wärmende Decke über ihren Körper zu legen. »Schick mir deine Daten. Mit Onlinebanking ist das eine Kleinigkeit.«

»O Tracy.«

»O Peter. Lovely Peter.«

»Für immer dein.« Er machte eine Pause. »Gib mir das Geld, wenn wir uns sehen. Das ist doch viel einfacher. Umschlag reicht, Tracy.«

Sie würde für ihn bis ans Ende der Welt gehen. Und natürlich würde sie ihm das Geld geben. Für sie war es eine Investition in ihrer beider Zukunft.

VI.

Mary stand vom Schreibtisch auf und ging hinüber zur Stereoanlage. Die Steuerunterlagen würden sich mit der Musik von Janis Joplin, Greatful Dead oder Jimi Hendrix deutlich geschmeidiger erledigen lassen. Sie zog gezielt aus ihrer Plattensammlung das Box-Set Monterey Pop Festival 67 hervor. Ein Zufallsfund vor ein paar Wochen in einem Trödelladen in Newlyn, zu einem wahren Spottpreis. Der Händler hatte sicher nicht gewusst, was er da im Angebot hatte.

Ein redseliger Kauz, schwafelte von Flower Power, freier Liebe und Shit. Er habe sich nur daran erinnern können, dass ein verwildert aussehender Typ sie ihm für ein paar Pfund dagelassen hatte. Ein Junkie auf dem Weg zum nächsten Schuss, hatte er ohne Mitleid gemeint. In Newlyn gebe es einige dieser Vögel. Eine Art Hotspot sei das Dorf, warum auch immer. Er sei jedenfalls froh, dass sie ihm die Platten abkaufe, sein erster Umsatz an diesem Tag.

Mary hatte den Laden ursprünglich betreten, weil sie an dem schmalen Schränkchen interessiert war, das sie durchs Schaufenster gesehen hatte. Es würde gut in eines der B&B-Zimmer passen. Bei näherer Betrachtung war ihr allerdings der Aufwand zu groß erschienen, den ihr die Restaurierung des knapp hundert Jahre alten Möbels abverlangen würde. So gerne sie dem Nachtschränkchen eine Chance gegeben hätte, im Augenblick hatte sie keine Zeit, sich um solche Dinge zu kümmern. Der Pensionsbetrieb verlangte ihre ganze Aufmerksamkeit.

Dabei hätte es ihr gefallen, wenigstens für kurze Zeit wieder ihrem gelernten Beruf nachgehen zu können. Wie ein Junkie vermisste sie den Geruch von Holz und Leim. Und sie hatte Sorge, ihr Fachwissen und ihre Fertigkeiten könnten hinter dem Bemühen um das Wohl ihrer Gäste verblassen.

Sie liebte das B&B, aber das war wie in einer Beziehung: Das Glück musste man sich jeden Tag neu erarbeiten.

Mary nahm die erste Langspielplatte aus der Schutzhülle. Sie hatte erst zu Hause den wahren Wert der Schallplatten entdeckt. Simon hatte die Box ehrfurchtsvoll in den Händen gedreht und mit ungläubigem Staunen den Titel gemurmelt: Monterey Pop The Summer Of Love.

Er hatte sie ursprünglich um sieben Uhr zum Abendessen abholen wollen, aber sie hatten die Abfahrt zum Shipwrights Arms in Helford um fast eine Stunde verschoben. Sie hatte Simon nicht davon abhalten können, Ball And Chain von Janis Joplin zu hören, oder Songs der Paul Butterfield Blues Band. Erst nach Hey Joe von Jimi Hendrix hatte er sich loseisen können.

Mit einem Lächeln dachte sie an jenen Abend zurück und drehte in Erinnerung an Simons kindliche Begeisterung die Lautstärke auf. Sie störte niemanden. Ihre Gäste hatten längst das Haus verlassen und gingen ihren diversen touristischen Leidenschaften nach.

Nach einer halben Stunde gab sie sich geschlagen. Schnöde Büroarbeit und die Ikonen der Anti-Spießer-Bewegung jener wilden Jahre wollten auch in diesen Tagen einfach nicht zusammenpassen. Schon gar nicht an einem Sonntag. Vielleicht lag es auch daran, dass sie lieber an der frischen Luft war, als sich mit so überflüssigen Dingen wie Steuern zu befassen. Papierkram war einfach nicht ihr Ding. Entschlossen klappte sie den Ordner mit den Rechnungen zu. Bevor sie hinunter zum Dorfladen ging, wollte sie noch ein wenig dem Treiben im Hafen zuschauen – ihre kleine Auszeit, bevor es im Laden, den sie stellvertretend für Tante Margaret und Onkel David führte, mit der Arbeit weiterging. Mit einem zufriedenen Blick in den Spiegel schnappte sie sich ihre Strickjacke und verließ das Haus.

Im Dorf war wenig Betrieb. Ein paar Touristen standen nahe an der Wasserlinie und sahen zu, wie die See unaufgeregt in die Bucht lief. Ein Grüppchen Lachmöwen stolzierte auf dem groben Kies umher, als wollten sie den anderen Zweibeinern klarmachen, wer hier in der Bucht von Cadgwith das Sagen hatte.

Die Flut hatte noch nicht ihren Höchststand erreicht. Mary legte die Arme um den Oberkörper, schloss die Augen und streckte das Gesicht der Sonne entgegen. Bis zum Frühsommer waren es noch ein paar Wochen hin. Sie freute sich darauf, denn ihr Haus war für die kommende Saison so gut wie ausgebucht. Zugleich wusste sie aber auch, dass Augenblicke wie diese in den kommenden ­Monaten rar sein würden. Sie sog die frische Luft tief in ihre Lungen, roch den Tang und schmeckte das Salz, das die sich leicht kräuselnden Wellen freigaben. Am Küstenpfad würde der Stechginster bald in prachtvollem Gelb blühen. Für nichts auf der Welt würde sie diesen Ort aufgeben wollen.

Wind kam auf – ein deutliches Zeichen, dass man die Wärme nicht voreilig für den Vorboten des Sommers halten sollte.

Als Mary sich auf den Weg zum Laden machen wollte, bemerkte sie eine Gestalt, die abseits dicht am Rand der mit Flechten überzogenen Felswand stand. Durch den Schatten, den das grün und braun gesprenkelte Gestein warf, war ihr die Person zunächst nicht aufgefallen. Bei näherem Hinsehen erkannte sie sie. Sie wirkte verloren, wie sie da mit hängenden Armen stand. Ihre Jacke stand offen, als würde sie die Kühle des Vormittags nicht bemerken.

»Tracy?« Mary trat einen Schritt auf sie zu. »Ist dir nicht gut?«

Ihre Bekannte schien sie nicht zu hören. Regungslos starrte sie auf die See hinaus, die jetzt deutlichere Wellenkämme bildete.

Mary hatte Tracy schon eine ganze Weile nicht mehr gesprochen. Aber das war nicht ungewöhnlich. Sie wusste, dass Tracy ganz für ihre Schülerinnen und Schüler lebte. Die Grundschule oben in Ruan Minor war ihr eigent­liches Zuhause, hatte sie ihr einmal erzählt. Nebenher engagierte sie sich noch in der Kirchengemeinde und im Verschönerungsverein. Ansonsten sah man sie eher selten. Tracy war der Typ Mensch, ohne den eine Dorfgemeinschaft nicht funktionieren konnte, der zugleich aber nie aus ihrem Schatten heraustrat.

Tracy beschrieb sich selbstironisch gerne als der geborene CKB-Typ: Couch, Kissen, Buch. Zu den wenigen Ausnahmen gehörten die Treffen mit ihren Freundinnen im Gig Club, um zu rudern und dabei Neuigkeiten auszutauschen.

Mary kannte sie schon lange. Tracy war als Kind mit ihren Eltern nach Cadgwith gezogen. Schon in der Grundschule war sie die graue Maus gewesen und hatte Probleme gehabt, Anschluss zu finden. Schüchtern und immer einen Schritt zu weit im Abseits.

Mary vermutete, dass der Grund für dieses Verhalten in Tracys Familie zu finden war. Damals hatte sie nur Mitleid mit ihr gehabt und war ihr ansonsten eher aus dem Weg gegangen. Tracy war niemand, mit dem man nach der Schule freiwillig etwas unternehmen wollte.

Über die Jahre war sie dennoch ein höflicher und auf gewisse Art zugeneigter Mensch geworden, wenn sie ihre Scheu vor anderen erst mal abgelegt hatte.

Mary war zwar auch Mitglied im Ruderklub, aber ihr blieb durch die Arbeit im Laden und der Pension kaum Zeit für ernsthaft betriebenen Sport.

Wobei es in Wahrheit den Frauen im Klub eher um den Spaß als um sportliche Erfolge ging. Das galt vor allem für das Quartett, zu dem Tracy gehörte. Auch wenn sie nicht die überdrehte Albernheit und ausgelassene Trinkfreudigkeit von Millie, Louise und Fiona hatte. Im Grunde passte Tracy nicht so recht zu den dreien, aber das ging Mary nichts an.

»Tracy?« Ihr kam es so vor, als sei sie zuletzt noch schlanker geworden, als sie ohnehin schon war.

»Er hat mit mir eine Kreuzfahrt machen wollen. Er liebt mich, hat er gesagt.« Ihre tonlose Stimme kündete von Schmerz und einer tiefen Enttäuschung.

»Er?«

Tracy nahm ihre Brille ab, blinzelte auf das Wasser hinaus und setzte sie umständlich wieder auf. Klarer wurde ihr Blick dadurch nicht. »Er hat mir sogar die Buchungsbestätigung geschickt. Im Herbst sollte es losgehen. Karibik.« Sie schniefte.

»Von wem sprichst du?« Soweit Mary wusste, lebte Tracy allein.

Als Antwort zog Tracy ihr Smartphone hervor und wischte hektisch über das Display. Nachdem sie mit angestrengter Miene durch die verschiedenen Namen und Nachrichten gescrollt hatte, hielt sie ihr das Telefon hin.

»So was macht man doch nicht einfach so, oder? Ich meine, eine Kreuzfahrt nur zum Schein buchen.« Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie sah Mary an, als sei sie die Einzige, die ihr das Entsetzen, die Enttäuschung und den Schmerz nehmen könnte. Oder, besser noch, ihr versicherte, dass sie, Tracy, nur etwas falsch verstanden habe und alles in Ordnung sei mit ihrem Leben.

»Weißt du was? Du kommst jetzt mit. Ein heißer Tee wird dir guttun, und dann erzählst du mir alles der Reihe nach.« Mary legte ihren Arm um Tracy und zog sie aus dem Schatten.

Im Dorfladen blieb Tracy an der Theke stehen, während Mary kurz im Nebenraum verschwand, der nicht nur als Lager, sondern auch als improvisierte Teeküche diente.

»Hast du heute keinen Dienst in der Kirche?« Mary kam mit einem dampfenden Becher Tee zurück.

Tracy schüttelte den Kopf. »Er hat mir immer wieder gesagt, dass er mich liebt. Und ich habe ihm geglaubt.« Ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen.

»Kenne ich ihn?«

Tracy schüttelte den Kopf.

»Woher kommt er?«

Sie zuckte mit den Schultern.

»Tracy?«

»Er ist aus Oxford. Sagt er. Aber nach allem, was passiert ist, was soll ich da noch glauben?« Sie suchte in ihrer Jeans nach einem Taschentuch.

»Wo habt ihr euch kennengelernt? Was ist genau passiert?« Mary wollte ein wenig Struktur in dieses zusammenhanglose Gespräch bringen.

Tracy sah sie lange an, seufzte dann und schlug die Augen nieder. »Du hältst mich sicher für völlig übergeschnappt. Und vielleicht bin ich das auch. Aber … ich … na ja … ich habe ein bisschen gesurft …«

»Gesurft?«

»Also, ich habe gedacht, ich probiere das mal, und ich habe mich angemeldet.«

Mary ahnte, worauf das Ganze hinauslief. Sie nickte aufmunternd.

»Bei einer Dating-Plattform. Mein Gott.« Tracy setzte den Becher mit einer heftigen Bewegung auf den Tresen. »Ich wollte doch nur … ich wollte doch nur jemand Nettes kennenlernen. Ein bisschen«, ihr Lächeln geriet arg schief, »flirten. Das ist doch erlaubt. Ich bin direkt an seinem Profil hängen geblieben.«

»Tracy …«

Die Tür schwang auf, ein älteres Pärchen in funktionaler Wanderkleidung und schweren Schuhen polterte in den Laden und machte sich grußlos über den Ständer mit Ansichtskarten her.

Mary hob eine Hand, um Tracy zu signalisieren, dass sie sich gleich wieder um sie kümmern würde, und bedachte die Kundschaft mit einem professionellen Lächeln. »Kann ich helfen?«

Die Frau musterte Mary abschätzig und deutete mit Missfallen auf einen der Kartenständer. »Haben Sie nur die da? Scheinen nicht die neuesten zu sein.«

»Schatz«, versuchte der Mann die Situation mit einem sanften Unterton zu retten, »wir haben doch schon allen geschrieben. Ich möchte nur den Guardian. Und du wolltest doch die Daily Mail.« Er trat mit zwei Zeitungsausgaben an den Verkaufstresen und zählte das Geld ab.

Beim Hinausgehen hörte Mary die Frau auf ihren Mann einreden: »Diese Käffer haben aber auch so gar nichts zu bieten. Meine Güte, das wird man ja wohl noch sagen dürfen.«

Tracy hatte während des Intermezzos wie ein angepflocktes Schaf im Raum gestanden. Als würde sie auf ­etwas warten, oder weil ihr alles egal war. Nun trank sie doch einen Schluck Tee. »Aber das ist es ja nicht allein.«

»Was meinst du damit?«

Tracy blies über den Rand des Bechers, als wollte sie den Weg frei machen für das Unaussprechliche. »Ich …«

»Ja?«

»Ich bin eine so blöde Kuh. Ich habe ihm tatsächlich Geld geliehen. Dreitausend Pfund.«

Mary hob die Augenbrauen. »Das ist viel Geld. Er wird sich gefreut haben.« Von wem, verdammt noch mal, redete sie die ganze Zeit? Und wofür brauchte der Typ dreitausend Pfund?

Tracy zuckte mit den Schultern.

»Er wird doch was gesagt haben?«

»Keine Ahnung.«

»Tracy …«

Sie schluchzte. »Ich dumme Gans habe mich mit ihm getroffen. Es kam völlig überraschend. Wir waren verabredet, für ein langes Wochenende in zwei Wochen. Aber dann kam sein Anruf. Peter meinte, er habe umdisponieren müssen, wollte mich aber dennoch sehen. Ich war völlig perplex – und habe sofort reagiert. Bin noch schnell zur Bank. Wir haben uns im Tea Room in Helston getroffen. Ich war so aufgeregt. Wochenlang nur Mails und Tele­fonate, und dann sollte er so ganz plötzlich vor mir stehen. Ich hatte mir unser Treffen eigentlich ganz anders vorgestellt. Sehr romantisch. Lange intensive Gespräche, Kerzenschein, Händchen halten …« Sie konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. »Er habe nicht viel Zeit. Sein Chef sitze im Auto. Sicher, das kam mir alles schon seltsam vor. Erst ist er wochenlang offshore auf einer Bohrinsel, dann sitzt er wie aus heiterem Himmel vor mir. Er war so süß und so verzweifelt. Ich habe ihm dann den Umschlag mit dem Geld gegeben.« Tracy schnäuzte sich vernehmlich. »Er war so lieb. Wir haben Cream Tea bestellt. Gelacht. Dann hat er auf die Uhr gesehen und gemeint, nun sei er doch länger als geplant bei mir. Er würde schnell seinem Chef Bescheid sagen, dass er noch ein wenig Zeit brauche. Dann ist er aufgestanden, hat mir einen schnellen Kuss auf die Stirn gegeben und gemeint, er sei in fünf Minuten zurück.«

Sie rieb ihre Wangen trocken und schwieg. Mit den Augen verfolgte sie das Touristenpaar von eben, das nun auf der anderen Straßenseite stand und angeregt diskutierte. Dabei gestikulierte die Frau, als müsste sie mit ihren Armbewegungen das Gleichgewicht halten.

Tracy behielt die beiden im Blick. »Ich habe dann dagesessen und auf Peter gewartet, bis die Cafébetreiberin meinte, sie wolle jetzt schließen. Ich konnte nicht einmal heulen. Ich habe mich noch nie in meinem Leben derart schmutzig gefühlt.«

»Du musst etwas unternehmen, zur Polizei gehen.«

Tracy schlug die Augen nieder. »Nein. Es ist meine eigene Schuld. Und ich schäme mich so.«

»Du musst zur Polizei gehen.«

»Auf keinen Fall. Lieber verzichte ich auf das Geld. Ich war einfach zu blöd. Ich hätte merken müssen, dass er mich verarscht und nur mein Geld will. Auf den Fotos sieht er so einfühlsam aus. Seine blauen Augen, sein jungenhaftes Lächeln, seine sportliche Figur, der hippe Bart. Ein paar Jährchen älter als ich. Kurz davor, sich selbständig zu machen. Er stehe sozusagen am Beginn einer erfolgreichen Karriere.« Sie zählte es auf, als würde sie für ihn Werbung machen. »Als ich ihn im Café zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht gesehen habe, dachte ich noch: Er sieht genauso aus wie auf dem Foto. Was habe ich für ein Glück mit diesem Mann.«

Mary nahm sie in den Arm wie die Mutter ihr verzweifeltes Kind. »Tracy, du musst zur Polizei gehen. Dieser Typ darf nicht einfach so davonkommen.«

»Nein.« Tracy löste sich aus der Umarmung und wischte mit entschiedener Geste die Tränen weg. »Ich muss damit leben, und das werde ich.« Ihr Trotz klang nicht sonderlich überzeugend.

»Ich muss das noch einmal für mich zusammenfassen: Du hast im Internet jemanden kennengelernt, der sich Peter nennt. Dieser Mann hat mit dir geflirtet, hat behauptet, dass er dich liebt und dass er Geld braucht. Und du hast diesem Peter bedenkenlos dreitausend Pfund übergeben.« Mary hütete sich davor, missbilligend den Kopf zu schütteln oder ihr auf andere Art einen Vorwurf zu machen.

Tracy nickte schwach und lachte dann auf. »Wenn ich davon gelesen habe, habe ich immer gedacht, so etwas passiert mir nicht. Diese Frauen müssen nicht ganz richtig im Kopf sein, oder sie müssen verzweifelt sein. Aber offenbar war mein Wunsch nach ein bisschen Liebe und Aufmerksamkeit zu groß. In seinen Whatsapps und Mails hat er mich auf Händen getragen. Es waren so schöne Momente, wenn wir gechattet haben. Diese Stunden waren ein einziges Rosarot. Ich hatte diese scheiß Schmetterlinge im Bauch, bin auf Wolken geschwebt. Ich Idiotin. Ich wäre mit ihm bis ans Ende der Welt gegangen. Ich hasse mich dafür.« Sie unterbrach sich. »Ich weiß, was du jetzt sagen willst. Aber ich habe nicht eine Sekunde daran gedacht, Erkundigungen über ihn einzuziehen, ob gegen ihn etwas vorliegt. Aber weiß ich denn, ob sein Name überhaupt stimmt? Ich glaube nicht, dass ich bei den Behörden weit gekommen wäre.«

Mary nickte. Tracy hatte recht. Ihr standen rechtlich zwar Auskünfte darüber zu, ob es gegen einen neuen Partner zu früheren Zeiten einmal Ermittlungen wegen sexualisierter oder häuslicher Gewalt gegeben hatte, sie wäre aber sicher nicht sehr weit gekommen, denn das Profil dieses Peter war höchstwahrscheinlich nicht echt. Alles andere hätte Mary gewundert. Und jetzt hatte Tracy erst recht keine Chance. Der Betrüger hatte sicher längst eine neue Mobilnummer und auch einen neuen E-Mail-Account. »Erzähl mir die ganze Geschichte. Hast du sein Profil auf der Dating-Plattform gecheckt?«

»Viel mehr gibt es darüber nicht zu erzählen.« Sie nickte resigniert. »Peters Profil existiert nicht mehr. Habe es eben noch einmal versucht. Es ist so, als habe er nur in meiner Fantasie existiert.« Sie schluchzte.

»Das tut mir sehr leid.«

Tracy lachte gallig auf. Ihr Zynismus reichte dennoch nicht so tief wie ihre Verbitterung. »Danke. Aber Mitleid bringt mich jetzt auch nicht weiter. Bin selber schuld, dass ich auf das Schwein reingefallen bin.« Tracy sah sich um, als suche sie am Ständer mit den Ansichtskarten Halt. »Ich kann noch froh sein, dass es nur dreitausend Pfund sind. Ich habe im Netz Posts von anderen Frauen gefunden. Es gibt Fälle, da wurden sie um dreißigtausend Pfund oder sogar sechzigtausend betrogen. Keine Ahnung, warum er nur dreitausend wollte. Ich habe also noch Glück gehabt.« Ihre Finger markierten das Wort mit angedeuteten Gänsefüßchen. »Vielleicht sollte die Kohle auch nur ein Test sein, was noch möglich wäre und wie lange er mich dumme Kuh würde melken können.«

»Du musst was tun.«

»Was denn?«

VII.

»So ein Dreckskerl. Den packen wir uns.« Millie ließ keinen Zweifel, dass der Betrüger schon so gut wie gefasst war. Sie klang wie der Kopf eines Spezialeinsatzkommandos in der finalen Lagebesprechung.

Frauensolidarität. Nachdem die drei Freundinnen von Tracys Drama gehört, die Umstände ausgiebig erörtert hatten und sich auch einen Hauch Schadenfreude nicht hatten verkneifen können, war klar: Dem Betrüger musste das Handwerk gelegt werden. Jedenfalls war das für ­Millie klar.

»Und wie willst du das genau anstellen?« Fiona rückte auf dem Sessel in Millies Wintergarten vor bis an die Kante. Betrug an Seele und Geldbeutel gehörten zu ihrem Geschäft. Bedauernswert, aber nicht eben selten. Dieser Fall glich den Dutzenden, die in der Kanzlei dicke Ordner füllten – mit dem Unterschied, dass ihr das Schicksal ihrer Freundin deutlich näherging als das der Frauen, die ihre anwaltliche Hilfe suchten.

»Wir melden uns bei dieser Dating-Plattform an.« ­Millie sah triumphierend in die Runde. »So simpel ist das. Wir legen einen Köder aus, und dann schnappt die Falle zu.«

»Und dann?« Louise gähnte. Sie hatte in dieser Woche mehrere Nächte hintereinander Dienst gehabt und sollte eigentlich längst im Bett liegen. »Sein Profil ist doch gelöscht. Das ist Fischen im Trüben.«

»Der Typ, heißt er nun Peter oder anders, wird seine Masche nicht aufgegeben haben, bloß weil er Tracy um dreitausend Pfund betrogen hat. Ich gehe davon aus, dass er weitermachen wird. Soviel ich gelesen habe, ändern diese Typen einfach den Namen, tauschen ein paar Eckdaten ihres Profils aus und tauchen wieder auf.« Millie blickte in fragende Gesichter und hob die Schultern. »Die arbeiten tatsächlich so. Könnt ihr auf der Webseite der Polizei nachlesen. Wir werden ihn anlocken und, wenn er am Haken hängt, der Polizei übergeben. Ganz einfach, wirklich.«

»Das kann Wochen dauern. Willst du dich durch sämtliche Profile scrollen? Meinetwegen. Aber ich mach da nicht mit.« Fiona schüttelte heftig den Kopf. »Wie soll ich das in der Kanzlei vertreten, meinem Chef klarmachen, dass ich mit euch im Netz auf der Suche nach einem ­Lover bin, der Frauen abzockt? Und das auch noch ohne Mandat. Wenn das schiefgeht. Nein, das kann ich mir in meinem Job echt nicht leisten. Entschuldigt bitte, aber das Ganze hat nichts mit ernstzunehmender Juristin zu tun. Ich habe einen Ruf zu verlieren.«

»Er muss es ja nicht unbedingt wissen.« Millie zwinkerte verschwörerisch. Warum musste Fiona auch immer alles kompliziert machen? Sie konnte manchmal eine echte Spaßbremse sein. Sie hätte es wissen müssen, Anwälte führten ein Leben zwischen und in den Paragrafen. Allein die dröge Sprache ihrer Texte. Wie kamen solche Bedenkenträger nur durchs Leben?

Louise legte die Hände auf die Oberschenkel. »Ich kann Fiona verstehen. Überhaupt – wie soll das gehen? Das ist doch viel zu aufwendig. Nee, nee.« Sie gähnte erneut und wedelte verständnisheischend mit der Hand. »Sorry.«

»Wir haben doch ein Foto von diesem Peter. Tracy hat es mir gemailt.« Millie nickte Tracy zu, die bei dem Namen leicht zusammenzuckte und dann beflissen nickte. Auch ihr war die Idee nicht geheuer. Sie hatte Angst davor, diesem Mann erneut zu begegnen.

Millie ließ nicht locker. »Wir basteln uns ein echt geiles Profil: blond, große Titten, schmaler Arsch, so was. Ihr wisst schon. Sachen, an denen Männer einfach nicht vorbeikönnen.«

Ihr Enthusiasmus schien nicht zu ziehen, ihr Blick in die Runde traf auf skeptische Gesichter.

Sie zuckte mit den Schultern. »Na gut, wir können auch auf graue Maus machen.« Sie sah Tracy an und konnte nur mühsam ein Grinsen verbergen. »Nichts für ungut, Süße, ist ein bisschen plakativ, ich weiß. Und ganz sicher nicht auf dich bezogen. Geht aber in die richtige Richtung. Solche Typen suchen doch liebeshungrige Mäuse.«

Tracy verzog den Mund.

»Und dann warten wir einfach ab, bis er anbeißt. Und das wird er, Mädels. Ein paar zuckersüße, sehnsuchtsvolle Whatsapps oder Mails sollten da Wunder wirken. Wenn er mit seiner Mitleidsmasche um die Ecke kommt, dass er kurzfristig Geld braucht, gehen wir darauf ein. Nur zum Schein natürlich. Wir machen einen Treffpunkt aus, und dann schnappt die Falle zu.«

»Du sprichst immer von wir.« Louise nahm mit müder Geste einen Schluck Rotwein. »Ich hab die kommenden drei Tage zwar frei, die werde ich aber wohl überwiegend im Baumarkt verbringen und auf der Baustelle. Außerdem muss ich dem Installateur auf die Füße treten. Er hat immer noch kein Angebot für die Fußbodenheizung abgegeben. Außerdem hat sich der Experte für die denkmalgerechte Sanierung des Daches nicht wieder gemeldet. Im Augenblick bin ich echt nicht sicher, ob der Kauf des historischen Gemäuers eine kluge Entscheidung war. Auf mich kannst du nicht wirklich zählen.«

Millie nickte entschieden, ohne einer ihrer Freundinnen in die Augen zu sehen. »Eine von uns muss den Lockvogel spielen.«

»Viel zu gefährlich.« Fiona schüttelte vehement den Kopf. »Schlechter Film, sehr schlechtes Drehbuch.«

»Überhaupt nicht«, konterte Millie. »Während sich der Lockvogel mit diesem Typen trifft, liegen wir auf der Lauer und machen Fotos. Im geeigneten Augenblick, zum Beispiel, wenn er die Kohle entgegennehmen will, kommt die Polizei hinzu. Es gibt da kein Mauseloch, in das er verschwinden kann. Und schwups!, gibt es einen Betrüger weniger auf der Straße.« Millies Blick streifte kurz Tracy, dann lehnte sie sich zurück, als habe sie gerade ein üppiges Abendessen mit Freunden abgeschlossen. »Ganz einfach. Ich meine, es geschieht doch nichts Spektakuläres.« Sie warf Fiona einen tadelnden Seitenblick zu. »Wir bringen doch niemanden um.«

»Du hast zu viel Fantasie, meine Liebe.« Fiona war noch längst nicht überzeugt. Sie warf einen Blick durch die bodentiefen Fenster hinaus in den Garten. Das Wetter war umgeschlagen, wie erwartet. Dunkle Wolken hatten es bereits vor Stunden angekündigt. Nun schlugen Regenschauer in ungleichem Rhythmus gegen die Scheiben. An den Pflanzen und Büschen, die den Rasen säumten, waren noch nicht alle Knospen aufgegangen. Das Frühjahr hatte sich in der Natur noch nicht überall herumgesprochen.

»Mädels, nun seid doch mal kreativ, das wird klappen – und es wird ein Heidenspaß. Und das ist doch was. Glaubt mir. Stellt euch nur das Gesicht von dem Kerl vor, wenn er merkt, dass er in der Falle sitzt.« Sie legte die ­Zuversicht einer Bibelverkäuferin in ihre Stimme und wurde dann übergangslos ernst. »Man muss diesen Wichsern das Handwerk legen. Überlegt doch, es gibt allein in unserem schönen England Tausende potenzielle Opfer. Tausende Frauen, die in ihrer kleinen Zweizimmerwohnung einsam auf den Ritter in glänzender Rüstung warten, der sie auf seinem stolzen Schimmel aus ihrem armseligen Leben herausholt.« Ihr Blick streifte erneut Tracy. »Sorry, Schätzchen, war echt nicht so gemeint.«

In den Augen ihrer Freundin glitzerte es verdächtig.

»Ich weiß nicht.« Louise schüttelte langsam den Kopf. »Ich weiß echt nicht.« Sie griff erneut zum Glas. »Sorry, ich bin nicht ganz bei der Sache. Mir geht gerade anderes durch den Kopf. Ich werde Mary fragen. Vielleicht hat sie ja eine Idee, wie ich an einen kompetenten Dachdecker komme.«

Millie winkte ab. »Papperlapapp. Ich hab da schon mal was vorbereitet.« Schwungvoll stand sie auf und verließ die Runde, nur um wenige Sekunden später mit einem Laptop zurückzukehren. Sie ignorierte das pladdernde Geräusch des Regens. »Die Anmeldung ist ein Klacks. Und die Kosten für die ersten drei Monate übernehme ich. Na? Ist das was?« Sie machte auf dem Tisch Platz wie ein Generalstabschef, der seine Pläne ausrollt und zugleich alle Bedenken beiseitewischt.

»Klingt, als seist du Profi.« Tracy kicherte nun doch.

»Quatsch. Ich hab nur schon mal einen Blick auf einige der einschlägigen Seiten geworfen.«

Fiona zog verschwörerisch ein Unterlid herunter. »Schon klar, oder? Millie hat nur mal einen Blick darauf geworfen.«

Louise nickte schwach. »Wir sind doch keine siebzehn mehr. Und mein Leben besteht gerade überwiegend aus Dienstplänen und Einkaufslisten.«

»So müde?«, fragte Millie.

»Dauerzustand im Moment.« Louises Gähnen ließ keinen Zweifel daran, dass sie lieber zu Hause im Bett sein wollte, statt sich hier Millies Pläne anzuhören.

»Kein Wunder. Bist ja Anästhesistin.« Fiona lachte eine Spur zu schrill.

»Der Witz hat einen langen Bart. Nein. Um ehrlich zu sein, ich fürchte, ich habe mich mit der Renovierung von Hillside ein wenig übernommen. Ich komme zwischen Krankenhaus und Mörtelkübel kaum zum Schlafen.«

»Und ich dachte schon, du hast ’nen Lover, der dir hilft. Breite Schultern und willig.« Fiona zog ein wenig den Kopf ein, denn sie wusste, dass ihr Scherz nicht gut ankommen würde.

Aber Louise reagierte gar nicht darauf. »Es ist jedenfalls noch eine Menge zu tun. Keine Ahnung, wann ich einziehen kann.«

»Wir kommen gerne und helfen, oder, Mädels?«, versuchte Fiona ihren Fauxpas zu überspielen. »Das wird lustig. Abends dann Rotwein und Pasties.«

Louise lächelte. »Klingt schon besser. Es gibt eine Menge zu tun, bei dem ihr nicht im Weg wärt. Müllsäcke schleppen, Steine stapeln, Löcher zuspachteln, Büsche beschneiden. Hiermit gerne so vereinbart.« Sie trank einen Schluck. »Und wenn ihr Ideen für die Einrichtung habt – her damit. Ich werde auch noch Mary fragen. Sie wird mich sicher auch beim Kauf schicker alter Möbel beraten können.«

Millie hatte Sorge, dass ihr die Aufmerksamkeit verloren ging, und klatschte in die Hände. Louise hatte sich von ihrem Ersparten ein altes Haus geleistet und völlig unterschätzt, dass Umbau und Renovierung etwas anderes waren als lediglich Tapeten abreißen und Türen streichen. »So, Kinder, lasst uns anfangen.« Sie sah auf die Uhr. »Ist schon reichlich spät. Und Louise will ins Bett.«

Nach anfänglichem Zögern entpuppten sich die vier Frauen doch noch als veritabler Klub der Verschwörerinnen. Recht schnell stand das Profil der Frau, die diesen Peter ködern sollte, fest: um die vierzig, Single. Hobbys: Kochen, Musikhören, Lesen, DVDs gucken, am liebsten Thriller. Seit vielen Jahren im Büro einer Sanitärfirma ­tätig. Finanziell unabhängig. Besondere Anmerkungen: Nach einigen unschönen Erlebnissen suche ich auf diesem Weg einen netten, verständnisvollen, liebevollen Partner. Aussehen nicht wichtig, der Charakter zählt. Und das Lächeln in deinen Augen. Ehrliches und anschmiegsames Cornish Girl sucht dauerhaften Hafenmeister.

Fiona meldete Zweifel an. »Klingt das nicht ein wenig too much, zu kitschig? Sucht dauerhaften Hafenmeister?«

»Quatsch. Im Gegenteil.« Millie lehnte sich zufrieden zurück. »Klingt doch nach einsamer Seele, die schon viel zu lange darauf wartet, wachgeküsst zu werden.«

Eine nach der anderen nickten ihre Freundinnen.

»Wir brauchen jetzt nur noch ein Foto.« Millie sah in die Runde. Es war wie in der Schule: Die anderen schauten zu Boden oder kümmerten sich um imaginäre Krümel auf der Tischdecke. »Na los, Freiwillige vor.«

»Ich bin raus. Mit meinen schwarzen Haaren.« Louise schüttelte den Kopf.

Millie ließ den Blick auf Fiona ruhen.

»Ich? Nein. Das geht nicht. Auf gar keinen Fall. Ich hab doch gesagt, ich mach mich doch nicht zum Affen. Das könnt ihr nicht von mir erwarten. Wie gesagt, das kann ich mir in meinem Job nicht leisten.« Sie hob abwehrend die Hände.

»Aber die Beschreibung passt doch perfekt«, gab Tracy Millie Schützenhilfe. »Da muss ich ihr recht geben.«

Louise hob ihr Glas. »Geht gerade die Stimmung flöten? Wir sollten die ganze Idee begraben, wenn euch das nicht behagt. Und Tracy sollte ihre Scham und ihre Scheu vor der Öffentlichkeit ablegen und die Polizei benachrich­tigen. Wenn du willst, begleite ich dich.«

In Tracys Augen stand Entsetzen. »Nein, bitte nicht. Dann begraben wir lieber beides. Polizei und Dating.«

»Wie ihr wollt. Dann war die Mühe umsonst, und wir vergeben die einmalige Chance, den Herren der Schöpfung mal die Schranken aufzuzeigen. Ich habe uns vier schon als Klub der bösen Schwestern gesehen. Bedenkt doch: Wir könnten viele Frauen in diesem Land vor einem ähnlichen Schicksal wie Tracys bewahren.« Millie tat so, als wollte sie den Laptop schließen, beugte sich dann aber zu Fiona. »Oder?«

»Schon, aber … Was werden meine Mandanten sagen, wenn sie mein Bild auf dieser Plattform sehen?«

»Die Beschreibung passt einfach perfekt zu dir«, bekräftigte Tracy. »Wer sagt denn, dass dein Klientel auf diesen Webseiten unterwegs ist? Wir nehmen doch sowieso einen anderen Namen und ändern die Ortsangaben. Da kommt niemand auf die Idee, dass sich hinter dem Profil in Wahrheit die erfolgreiche Anwältin Fiona Richards verbirgt. Sollte sich einer deiner Mandanten zufällig durch die Profile klicken, wird er sich über die Ähnlichkeit wundern – aber mehr auch nicht.«

Tracy schien froh, dass der Abend doch noch diese Wendung genommen hatte, stellte Millie zufrieden fest. Außerdem schien sie sich von ihrem Engagement geschmeichelt zu fühlen.

Fiona sah zu Louise. »Du bist so schweigsam. Ich gäbe was dafür, wenn ich deine Gedanken lesen könnte.«

Louise erwiderte mit scheinbarer Gelassenheit ihren Blick, dann gab sie sich einen Ruck und stand auf. »Lass doch noch mal sehen, Millie. Sieht doch schick aus. Also, ich als Mann würde auf so eine Anzeige mit fünf Sternchen reagieren und mich melden.« Sie drehte sich zu Millie um. »Einen kleinen Schluck für den Heimweg würde ich noch nehmen.«

Ihre Freundin nickte und verschwand mit geheimnisvollem Blick in die Küche.

»Also, ich finde das spannend. Und ich freue mich, dass ihr den Kerl jagen wollt, der mich so verarscht hat.«

»Kein Ding, Tracy. Aber ich weiß nicht. Soll ich wirklich?«

Louise stupste Fiona in die Seite. »Wer anders als du? Du siehst diesem gefakten Profil tatsächlich am ähnlichsten. Also rein äußerlich, meine ich. Außerdem wirst du als Anwältin am besten wissen, auf was du dich einlassen kannst und worauf besser nicht.«

»Und wir werden bei dem Treffen in der Nähe sein. Dir kann also nichts passieren. Im Gegenteil. Du kannst zur Heldin aller Frauen werden.« Millie stieß mit einer kurzen Bewegung ihres Fußes die Tür zum Wohnzimmer zu und balancierte mit einer Hand ein Tablett Sandwiches zum Tisch. In der anderen hielt sie eine geöffnete Rotweinflasche. »Greift zu, Kinder.« Sie füllte die Gläser auf und hob ihr Glas. »Auf uns. Auf den Klub der bösen Schwestern. Wir werden noch viel Spaß haben. Peter ist erst der Auftakt. Ich sehe schon die dämlichen Gesichter der Gockel, die auf uns hereinfallen. Wir stehen im Dienst der Gerechtigkeit und der Frauen in diesem Land. Auf dich, Tracy. Cheers.«

Louise prostete den anderen zu. »Ich hab den ganzen Tag noch nichts Anständiges gegessen. Aber egal. Hauptsache, ein ordentlicher Schluck.«

VIII.