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Ein Juwelen-Dieb geht um in Leer. Aber Vorsicht: Veronika will ihre Kette zurück
Ein weiterer humorvoller Kriminalfall in Ostfriesland
Das ostfriesische Leer wird von einer Überfallserie auf Juweliere heimgesucht. Bei einem Raub sind Veronika und Fiete mitten drin und sie nehmen es dem Täter richtig übel, als dieser auch noch ihre geliebten Freundschafsketten klaut. Wenn sich die beiden Hobbydetektive in die Ermittlungen stürzen, kann der Dieb sich warm anziehen! Hauptkommissar Jacobsen hat sowieso anderes zu tun, muss er doch für den Star der neuen Folge der Friesenwache den Bodyguard spielen. Als Fiete dann auch noch Statist werden soll und nicht nur der Star Allüren hat, wird es für das ungewöhnliche Ermittler-Duo ganz schön gefährlich …
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Klaus muss wech (ISBN: 9783987788253)
Erste Leser:innenstimmen
„Die Abenteuer von Veronika und Fiete sind nicht nur spannend, sondern auch unglaublich witzig.“
„Die Beschreibung der Orte und die norddeutsche Atmosphäre machen den Cosy Crime zu einem besonderen Erlebnis.“
„Die Überfallserie und die dadurch entstehenden Herausforderungen für Veronika und Fiete sind spannend und mit viel Humor erzählt.“
„Ein Mix aus Spannung und Lokalkolorit!“
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Seitenzahl: 308
Veröffentlichungsjahr: 2024
Das ostfriesische Leer wird von einer Überfallserie auf Juweliere heimgesucht. Bei einem Raub sind Veronika und Fiete mitten drin und sie nehmen es dem Täter richtig übel, als dieser auch noch ihre geliebten Freundschafsketten klaut. Wenn sich die beiden Hobbydetektive in die Ermittlungen stürzen, kann der Dieb sich warm anziehen! Hauptkommissar Jacobsen hat sowieso anderes zu tun, muss er doch für den Star der neuen Folge der Friesenwache den Bodyguard spielen. Als Fiete dann auch noch Statist werden soll und nicht nur der Star Allüren hat, wird es für das ungewöhnliche Ermittler-Duo ganz schön gefährlich …
Erstausgabe Juli 2024
Copyright © 2025 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98998-270-3 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98998-480-6
Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von © Kai-Uwe Hanken stock.adobe.com: © schab, © refresh(PIX) depositphotos.com: © artush shutterstock.com: © Yeti studio, © RachenStocker Lektorat: Sandra Effert
E-Book-Version 10.03.2025, 15:53:30.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Plitsch. Platsch.
Fiete öffnete verschlafen ein Auge, lauschte.
Platsch. Plitsch.
Es regnet, dachte Fiete, drehte sich auf die andere Seite und gähnte.
Plitsch.
Die ersten Sonnenstrahlen schienen ihm ins Gesicht.
Platsch.
Ein Wassertropfen fiel auf Fietes Stirn. Mit einem Mal war er hellwach. Was um alles …
Plitsch.
Mit einem Satz sprang Fiete aus dem Bett und blickte an die Decke. Eine große Wasserblase hing dort. Bevor er reagieren konnte, riss die Tapete und ein Schwall ergoss sich auf das Bett.
»Ach Kinners, nee!« Fiete rannte aus dem Schlafzimmer. Auf der Treppe kam ihm schon ein kleiner Wasserfall entgegen. Er änderte die Richtung und lief in den Keller, um den Haupthahn abzudrehen. Als alter Kutterkapitän liebte er das Wasser. Doch in seinem Haus? Nee, da hatte das gar nichts zu suchen.
Fiete tapste zurück nach oben in den ersten Stock. Hier stand der ganze Boden unter Wasser. Der Teppich gab schmatzende Laute von sich, als Fiete darüber ging. Hinter der Tür zum Badezimmer ertönten gluckernde Laute. Fiete stieß die Tür auf und da sah er es: Unterhalb des Waschbeckens rannen Rinnsale aus der Wand – eine Leitung war geplatzt.
»Wat n schiet«, murmelte Fiete und rieb sich über seinen grauen Bart. Er schüttelte den Kopf, ging nach unten und griff zum Telefon. »Moin, Hinnerk. Du, ik heb hier n Malheur. Ich glaub, ich brauch deine Pumpe.«
Dreißig Minuten später dröhnten zwei Diesel-Pumpen, der Garten lief voll und der Strom wurde abgestellt. Kurz: Fietes Haus war für die nächsten Wochen unbewohnbar.
Eine Stunde später stand Fiete Jacobsen mit gepackten Koffern vor dem Haus seines Sohnes Klaas. Dessen Frau Anja öffnete ihm die Tür. Mit großen Augen blickte sie auf ihren Schwiegervater, der in Schlafanzug und Gummistiefeln mit zwei Koffern in der Hand vor ihr stand.
»Fiete! Was ist denn passiert?«
»Wasserrohrbruch.«
»Komm erst mal rein.« Anja ließ ihn in den Flur. »Ist es schlimm?«
Fiete stellte die Koffer auf den Boden und streifte die Gummistiefel ab. »Die Zwischendecke sitzt voll Wasser. Da müssen die nächsten Wochen Bautrockner laufen und dann muss alles renoviert werden.«
»Ach herrje. Du kannst natürlich in unser Gästezimmer ziehen. Weißt ja, wo alles ist.« Anja deutete nach oben. »Zieh dich man erst mal richtig an.« Sie zupfte grinsend an seinem Schlafanzughemd.
»Ach, du ahnst es nicht.« Fiete schlug sich mit der Hand vor den Kopf. »Da hab ich doch glatt vergessen, dass ich im Pyjama bin. Deshalb haben die unterwegs alle so komisch geguckt.«
Anja lachte auf. »Ich mach dir dann mal ein großes Frühstück auf den Schreck, okay?« Sie strich ihm über den Arm und verschwand dann in der Küche.
»Wat n Schiet!« Fiete lief nach oben und warf die Koffer auf das Bett. Das konnte ja heiter werden. Mit siebzig musste er bei seinem Sohn einziehen. Er liebte Klaas, keine Frage. Doch so dicht aufeinander bedeutete immer Explosionsgefahr.
Roni. Er musste unbedingte seine Liebste anrufen. Wenn sie man nur nicht in München wäre. Er seufzte, während er sein Smartphone aus der Tasche kramte, wählte ihre Nummer und ließ sich rücklings aufs Bett fallen.
***
Veronika saß auf dem Balkon ihrer kleinen Münchner Zweizimmerwohnung und blickte auf das Mehrfamilienhaus gegenüber. Das graue Gebäude und den Lärm der vorbeifahrenden Autos nahm sie gar nicht wahr. In Gedanken war sie ganz weit weg. In Ostfriesland. In Leer. Auf dem Deich an der Ems. Sie ließ sich den frischen Wind um die Nase wehen, beobachtete die Kutter, die langsam die Ems hinauf in Richtung Dollart fuhren. Fietes Hand in ihrer …
Das Telefon riss sie aus ihren Gedanken.
»Fiete! Das nenn ich Gedankenübertragung. Ich habe gerade an dich gedacht.« Ihr Herz machte einen großen Sprung vor Freude. »Wie geht es dir?«
»Es ist eine Katastrophe«, jammerte Fiete.
Veronika sprang auf. »Was ist passiert? Geht es dir gut?«
»Mir schon. Mein Haus hat jetzt ne Handbreit Wasser unterm Kiel.«
Sie atmete auf und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. »Gott sei Dank. Also, dass dir nichts passiert ist. Was ist denn mit deinem Haus?«
»Wasserrohrbruch. Oben. Die ganze Zwischendecke ist nass. Und ich muss die nächsten Wochen zu Klaas.«
Veronika konnte ihm anhören, wie wenig begeistert er war. Moment! Wenn Fiete bei Klaas wohnte, dann konnte sie doch nicht bei Fiete wohnen. Sie waren noch nicht so lange zusammen, aber die Sehnsucht war so groß, dass sie schon bald wieder von München ins ostfriesische Leer fahren und Fiete überraschen wollte.
»Schatz, das wird schon. Weißt du was? Ich komme in ein paar Tagen zu dir hoch und nehme mir wieder ein Zimmer in der Pension Gerda. Dann kannst du so oft zu mir flüchten, wie du magst.«
»Du kommst wirklich?« Fietes Stimme wurde schlagartig fröhlicher.
»Sicher doch. Ich muss hier noch ein paar Sachen erledigen, aber dann komm ich so schnell es geht. Du? Seebär?«
»Hm?«
»Ich vermiss dich!« Veronika hauchte noch ein Küsschen in den Hörer, dann legte sie auf. Sie drückte das Telefon an sich. Eigentlich war sie vor ein paar Wochen zum Rentenbeginn nach Leer gefahren, um sich die Drehorte der beliebten Krimi-Serie Friesenwache anzusehen. Gefunden hatte sie eine Leiche. Und Fiete. Wer hätte gedacht, dass sie als Münchner Madel sich einmal in einen Kutterkapitän verlieben würde.
Ihr kam eine Idee. Sie lief in die Wohnung, schnappte sich ihr Tablet und fing an zu recherchieren.
Unschlüssig stand Veronika auf dem Hof der Münchner Autovermietung. Die sind ganz schön groß. Hm. Vielleicht sollte sie doch lieber wieder in die Pension gehen? Auf einmal kam sie sich nicht mehr so mutig und abenteuerlustig vor. Es war Jahre her, dass sie mit so einem Gefährt unterwegs gewesen war. Genauer gesagt waren es zweiundvierzig. Mit zwanzig waren sie und ihre Freundin mit einem Bulli einfach gen Süden gefahren. Eine tolle Zeit war das gewesen. Aber seitdem …
»Frau Schwartau, haben Sie sich entschieden?« Ein junger Angestellter in Anzug trat neben sie. Er hatte die braunen Haare zurück gegelt und sah sie mit einem Ausdruck an, den sie nicht ganz einordnen konnte. »Oder wollen Sie lieber noch auf Ihren Mann warten?«
»Auf meinen Mann?« Veronika sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Na, er wird doch sicherlich das Wohnmobil fahren, nicht wahr?« Er fuhr sich mit der Hand über die einbetonierte Frisur.
Veronika stemmte die Hände in die Hüften. »Trauen Sie mir etwa nicht zu, dass ich so ein Gefährt fahren kann?«
»Also, ich …« Der Mann sah sich um. »Sie sind so zierlich und da dachte ich …«
»… dass ich nicht Auto fahren kann? Nun hören Sie mal, junger Mann! Ich hatte schon einen Führerschein, da waren Sie noch nicht einmal geplant.« Das war ja wohl eine absolute Unverschämtheit! Veronika drehte sich einmal und zeigte in eine Richtung. »Den nehm ich. Und zwar sofort.«
»Sehr wohl.« Der Mann eilte in Richtung Büro davon.
Veronika warf einen Blick auf das Wohnmobil, das sie sich gerade aus Trotz gemietet hatte. Es war nicht mehr ganz neu, zum Glück nicht so groß und ähnelte ein wenig dem VW-Bus, mit dem sie in ihrer Jugend unterwegs gewesen war. Sie atmete auf. Perfekt. Fiete würde Augen machen, wenn sie ihn damit abholte. In einem Wohnmobil waren sie doch viel ungestörter als in der Pension.
Dreißig Minuten, eine Menge Papierkram und eine Einweisung später saß Veronika endlich auf einem Kissen auf dem Fahrersitz hinter dem Steuer. Ja, sie war etwas kleiner und das Lenkrad vielleicht etwas groß, aber sie würde das schon schaffen. Sie streckte den Rücken durch und ließ den Motor an.
Der Zweifel im Blick des Angestellten sprach Bände, als er das Tor zur Straße aufschob.
Etwas ruckelig fuhr sie die ersten Meter, bevor der Motor wie ein Kätzchen schnurrte. Winkend fuhr sie vom Hof.
Die Mülltonne in der Einfahrt knallte zu Boden und rollte auf die Straße.
»Ups.«
***
Erfolgreiche TV-Krimi-Serie, die regelmäßig Quotensieger ist. Vereint spannende Kriminalfälle mit trockenem, ostfriesischem Humor.
Gedreht wird die Serie in der Stadt Leer sowie im Umkreis, u. a. im Rheiderland. Zahlreiche Drehorte können von außen besichtigt werden. Eine eigens angebotene Führung empfiehlt sich für jeden Fan.
***
Mit verschränkten Armen starrte Klaas Jacobsen aus dem Fenster seines Büros der Leeraner Polizeiwache. In zehn Minuten hatte er einen Termin beim Bürgermeister – und so was von keinen Bock. Reichte es nicht, dass sich sein Vater vor ein paar Tagen bei ihm eingenistet hatte? Oder dass der seitdem seinen Garten durcheinanderbrachte, ohne auch nur annähernd einen grünen Daumen zu haben? Anscheinend nicht.
Der Zweiundvierzigjährige fuhr sich durch die blonden Haare und seufzte. Bei einer Sicherheitslagebesprechung vor ein paar Wochen war er zum Babysitter, Pardon, Sicherheitsbeamten aka Leibwächter des Stars der neuen Folge der Friesenwache erklärt worden. Die Zuschauer liebten die Mischung aus Spannung und trockenem, ostfriesischem Humor. Viele Touristen kamen deswegen nach Leer. Bisher war immer alles problemlos und in guter Zusammenarbeit mit dem Filmteam abgelaufen. Jetzt hatte sich allerdings ein ganz besonderer Star angekündigt und der brachte eine Menge Allüren mit.
»Moin, Kollege! Na, schon in freudiger Erwartung?« Meinders trat ins Büro, lehnte sich an den Türrahmen und grinste. Er war dreißig und seit einem Jahr in der Wache Leer.
»Fresse halten.«
»Ach, komm, vielleicht wird es ja gar nicht so schlimm. Du weißt doch noch gar nicht, auf wen du aufpassen musst. Vielleicht ist es ja eine hübsche, junge Dame.« Meinders zwinkerte seinem Chef zu.
»Sicher.« Jacobsen griff nach seiner Jacke. »Erst zieht mein Vater bei mir ein und dann darf ich auch noch Babysitter spielen. Vielen Dank.«
Das Polizeirevier lag mitten in der malerischen Altstadt von Leer. Auch die Außenansicht des Reviers diente als Kulisse für die Filme – zahlreiche Touristen machten immer wieder Fotos. Der Hafen lag in Sichtweite hinter dem Gebäude. Über einen schmalen Weg erreichte man die Uferpromenade. Jacobsen wandte sich jedoch in entgegengesetzter Richtung und ging durch eine enge Gasse mit glatt poliertem Kopfsteinpflaster. Er kam in der Rathausstraße heraus und blickte mit verkniffenem Gesicht zum Rathausturm. Ich will nicht!
Es war später Vormittag und viele Menschen schlenderten durch die Altstadt. Seit Leer als Filmkulisse für die Friesenwache diente, besuchten deutlich mehr Touristen die Stadt.
Jacobsen atmete tief ein, betrat das Rathaus und marschierte, ohne zu klopfen, in das Büro von Bürgermeister Weert Janssen. Der saß hinter seinem großen Schreibtisch und telefonierte. Er gestikulierte wild umher, deutete schließlich auf einen Besucherstuhl davor, wo Jacobsen Platz nahm.
Er verdrehte die Augen und sah sich um. Die Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt, das Parkett des Fußbodens in kunstvollem Fischgrätmuster verlegt. Eine Ledergarnitur stand vor dem Fenster; auf einem Tischchen daneben entdeckte Jacobsen einige Flaschen hochpreisiger Spirituosen. Und bei uns fallen die Möbel auseinander.
»Wir hören uns.« Der Bürgermeister legte auf. »Herr Jacobsen, schön, dass Sie so pünktlich sind. Ich will Sie auch gar nicht lange aufhalten. Moment …« Er wühlte sich durch einen Stapel Papiere und zog einen goldenen Umschlag hervor. »Also, darin ist die Liste der Dinge, auf die unser Special Guest Wert legt.«
Jacobsen nahm ihn entgegen und riss ihn auf. Er überflog die Sonderwünsche. Mit jedem Wort schnellte sein Puls in die Höhe. »Ist nicht Ihr Ernst, oder?« Er warf dem Bürgermeister die Liste entgegen. »Ich soll das da wirklich machen?«
Weert Janssen las den Zettel, verzog keine Miene und nickte. »Ich habe der Produktionsfirma zugesagt, dass wir alles tun, damit sich Daniel Hinterthür sicher und wohl bei uns fühlt. Und dass sich der Chef persönlich darum kümmert. Also Sie.«
»Daniel wer?«
»Herr Jacobsen, also wirklich. Daniel Hinterthür ist einer der bekanntesten Schauspieler in Deutschland und Sie haben noch nicht von ihm gehört?« Weert Janssen schüttelte den Kopf. »Das werden Sie ändern müssen. Und noch etwas: Über den Inhalt dieses Umschlages darf kein Wort nach draußen dringen, haben wir uns da verstanden?«
Jacobsen gab nur einen Knurrlaut von sich.
»Gut. Herr Hinterthür wird in etwa einer Stunde in seinem Hotel am Hafen eintreffen. Sie werden ihn in Empfang nehmen. Solange er irgendwelchen Besuch hat, bleiben Sie direkt bei ihm. Wenn er alleine ist, bleiben Sie vor dem Zimmer. Solange er den Wunsch äußert, dass er noch das Hotel verlassen möchte, bleiben Sie ebenfalls auf Abruf vor seinem Zimmer.«
Jacobsen verzog das Gesicht. »Aber schlafen darf ich zu Hause?«
»Sicher. Sobald Herr Hinterthür zu Bett gegangen ist, wird ein Streifenbeamter Ihre Position vor dem Hotelzimmer übernehmen.«
»Wie gnädig«, brummte Jacobsen und stand auf.
»Wie bitte?«
»Nichts.« Jacobsen nahm den Umschlag mit der Liste wieder an sich und eilte aus dem Rathaus. Das durfte doch wohl alles nicht wahr sein! Er war Hauptkommissar, kein verdammter Clown für so einen Schauspielmöchtegerngroßkotz.
Eine Menschentraube vor der Waage schräg gegenüber zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Er drängte sich durch die Menge und fand sich vor einer Absperrung wieder. Auf dem Platz vor der Waage waren Scheinwerfer und Reflektoren aufgestellt, jemand baute Kameraschienen auf. Klar, die Dreharbeiten hatten schon angefangen.
Jacobsen wandte sich ab und ging mit schnellen Schritten hinunter zur Uferpromenade. Er brauchte dringend einen kurzen Moment Ruhe und die Idylle des Leeraner Hafens, bis der Wahnsinn losging.
***
Fietes Häuschen sah von außen aus, als wäre nie etwas passiert. Der Anblick innen war allerdings mehr als frustrierend. Die Tapete hatte sich an vielen Stellen von der Decke gelöst; der Boden war aufgequollen. Dazu das dauernde Dröhnen der Bautrockner. Fiete schüttelte den Kopf. Er beschloss, sich ein Fischbrötchen vom Büdche zu holen und sich auf seinen Stammplatz am Hafen direkt an der Waage zu setzen. Wenn schon Veronika nicht bei ihm sein konnte, weil sie in München zu tun hatte, so wollte er wenigstens den Blick auf die Schiffe und den Hafen genießen. Das Kreischen der Möwen, die sich auf dem Wasser treiben ließen, war Balsam für seine Seele.
Er steuerte seinen Roller durch die Altstadt von Leer. Als er sich der Waage näherte, stutzte er. Warum standen denn dort so viele Menschen? Na ja, vielleicht eine Touristengruppe. Fiete stellte seinen Roller beim Rathaus ab, holte sich sein Fischbrötchen und lief zur Waage. Die Menschentraube war immer noch da. Seltsam.
Fiete drängte sich an ihnen vorbei und stand vor einem gelben Flatterband. Na, das wird ja immer kurioser. Wie aufgeschreckte Ameisen rannten Leute über den Waageplatz, schleppten Scheinwerfer und andere Dinge hin und her.
»Was ist denn hier los?«, fragte er eine Frau neben sich, die ganz aufgeregt mit den Füßen wippte.
»Die drehen gleich.«
»Was?«
»Für die Friesenwache. Ach, es geht los!«
Ein Mann fuchtelte mit den Armen und rief etwas Unverständliches, zwei andere nickten und eine Frau hielt den beiden eine Filmklappe vors Gesicht.
Sollen sie, dachte Fiete. Ich will auf meine Bank. Er kletterte über das Absperrband und lief zum Hafen. Die Traditionsschiffe dümpelten auf dem Wasser, die Wellen liefen mit sanftem Plätschern an die Kaimauer. Herrlich. Fiete biss in sein Fischbrötchen und achtete nicht weiter auf die Filmcrew. Sollten die doch machen, was sie wollten. Er würde sich davon nicht stören lassen.
»Was zum Teufel macht der Typ da?«
Fiete kümmerte sich nicht um den schrillen Ruf eines Mannes; er hatte seine Bank fast erreicht.
»Stehenbleiben!« Ein kleiner, hagerer Mann mit dunkelrotem Gesicht sprang in sein Blickfeld. »Was machen Sie hier?«
»Fischbrötchen essen.« Fiete biss erneut ab und schielte zu seiner Bank.
»Hier wird gerade gedreht. Der Bereich ist gesperrt. Bitte gehen Sie hinter die Absperrung.« Der Mann zeigte in Richtung Straße.
»Nö.«
»Sie sind gerade mitten durchs Bild gelaufen. Sie haben die Aufnahme ruiniert! Verschwinden Sie oder ich rufe die Polizei.«
Fiete überlegte. Polizei hieß sein Sohn und der war gerade eh nicht so gut auf ihn zu sprechen. Da war Rückzug wohl die bessere Alternative. Er kniff die Augen zusammen, atmete tief durch, bevor er den Mann ansah. »Schon gut.«
»Alles auf Anfang!« Der Mann eilte davon.
Extra langsam schlenderte Fiete in Richtung Uferpromenade und dem dortigen Absperrband. Blödes Filmgetue! Ein paar Meter weiter stolperte er über ein Verlängerungskabel. Er ruderte mit den Armen. Sein Fischbrötchen flog in hohem Bogen davon und schreckte die Möwen auf. Schnaubend sah Fiete ihnen zu, wie sie sich auf den Fisch stürzten. Grrrr. Ihm kam eine Idee – sofort hellte sich seine Stimmung auf. Er folgte dem Kabel zu einer Verteilertrommel. Ein schneller Blick rechts und links – zack, war die Stromversorgung gekappt.
Rufe ertönten vom Set.
Fiete grinste, während er pfeifend davonging.
***
»Schon zurück?« Meinders folgte seinem Chef in dessen Büro. »Und, auf wen musst du aufpassen?«
»Daniel Vordertür.«
»Was? Du meinst sicher Daniel Hinterthür! Der dreht hier in Leer?« Meinders machte große Augen.
»Du kennst den?« Jacobsen goss sich einen Becher Kaffee ein.
»Wer kennt denn bitte Daniel Hinterthür nicht?«
»Ich.« Jacobsen setzte sich an seinen Platz und warf den goldenen Umschlag auf den Schreibtisch.
Meinders schüttelte den Kopf. »Banause. Hinterthür ist der deutsche Schauspieler überhaupt.« Er griff nach dem Umschlag. »Sind da seine Sonderwünsche drin?«
Jacobsen fasste nach dem Umschlag, griff aber daneben und stieß seinen Kaffee um. »Scheiße!« Er sprang auf und rettete ein paar Papiere vor dem Ertrinken.
Meinders lehnte sich an die Fensterbank und las. »Punkt 22 Uhr wünscht Herr Hinterthür einen Spaziergang. Vor dem zu Bett gehen hat die Polizei in Schränke und unter dem Bett zu schauen, ob sich dort nicht jemand verbirgt.« Meinders gluckste. »Das Essen des Herrn Hinterthür ist vorher zu kosten. Während des Drehs wird die Polizei seine Handtasche bewachen.« Er lachte auf. »Ernsthaft?«
Jacobsen bedachte ihn mit einem Blick, der töten konnte. »Kein Wort davon an irgendjemanden«, zischte er. »Der Bürgermeister macht uns direkt zwei Köpfe kürzer.«
Meinders wischte sich die Tränen aus den Augen. »Das glaubt einem sowieso keiner. Wie lange musst du denn Babysitter spielen?«
Jacobsen schloss kurz die Augen. Verdammt, danach hatte er nicht gefragt. »Keine Ahnung!«
»Bringst du mir ein Autogramm mit?« Meinders legte den Umschlag zurück auf den Schreibtisch.
»Vergiss es!«
»Ich kann ja mal eine Schicht für dich übernehmen«, schlug Meinders vor.
»Der Bürgermeister hat Chefarztbehandlung zugesagt.« Jacobsen pfefferte ein nasses Taschentuch in den Papierkorb. »Aber immerhin nachts darf ich nach Hause und ein Streifenkollege muss stattdessen vor der Tür Wache halten.«
»Na denn. Ich kümmer mich in der Zwischenzeit um die richtige Polizeiarbeit.« Meinders hielt ein Fahndungsplakat in die Höhe.
»Was ist das?«
Meinders reichte Jacobsen den Suchaufruf.
»Juwelendieb in Köln? Ich glaube ja nicht, dass der hier in unserem beschaulichen Leer auftaucht.« Jacobsen gab seinem Kollegen das Plakat wieder. »Hier gibt es nur Stars, die Angst haben vor Monstern unter dem Bett.«
***
Es nützte alles nichts – fünfundvierzig Minuten später stand Jacobsen pünktlich vor dem Hotel am Hafen und wartete. Das Luxushotel befand sich in einem umgebauten Speichergebäude und bot einen herrlichen Blick auf den Leeraner Hafen. Jacobsen musste sich eingestehen, dass er ein wenig neidisch war. So ein tolles Hotel konnte er sich mit seinem Gehalt nicht leisten.
Eine Stunde später wartete Jacobsen immer noch. Er wollte gerade den Bürgermeister anrufen, als ein roter Sportwagen mit Berliner Kennzeichen um die Ecke bog. DH – Daniel Hinterthür.
Er hielt vor dem Eingang. Der Fahrer ließ den Motor noch einmal aufheulen, bevor er ausstieg.
Jacobsen hasste ihn gleich noch mehr.
Daniel Hinterthür war groß, durchtrainiert und ziemlich gut aussehend. Er schob die Sonnenbrille in die vollen braunen Haare und warf dem Pagen seinen Autoschlüssel zu. Er war Anfang vierzig, also so alt wie Jacobsen selbst – das hatte er noch im Internet recherchiert. Und auch nach einem Foto gesucht. Schließlich musste er ja wissen, wie sein Auftrag aussah.
»Herr Hinterthür?« Jacobsen trat auf den Mann zu und hielt ihm die Hand hin.
Der ließ diese in der Luft hängen und musterte sein Gegenüber. »Sind Sie von der Polizei?«
»Jacobsen, Kripo Leer.«
»Prima.« Hinterthür drückte Jacobsen eine eckige Herrenhandtasche in den Bauch. »Gut drauf aufpassen.« Er stolzierte ins Hotel. Ein weiterer Page folgte ihm mit drei Koffern, die er aus dem Kofferraum des Sportwagens geholt hatte.
Einatmen. Ausatmen. Einatmen.
Jacobsen schloss sich dem Schauspieler an und ging in die Lobby. Der Portier wedelte mit den Händen und scheuchte seinen Pagen in einen Seitengang, suchte gleichzeitig die Zimmerkarte und tippte auf dem Computer. Anschließend sprang er hinter dem Tresen hervor und eilte dem Stargast voraus.
Nanu, warum bleiben wir denn im Erdgeschoss? Ich dachte, der hat solche Angst?
Sie liefen durch einen langen Flur, der dezent durch Lampen in Fackelform beleuchtet wurde. Ein dunkelblauer Teppich verschluckte jeden Schritt. Vor einem der Zimmer stand ein einfacher Holzstuhl. Jacobsen konnte sich schon denken, für wen der gedacht war.
Der Portier öffnete die letzte Tür links und ließ Daniel Hinterthür den Vortritt. Mit zittriger Stimme erklärte er sämtliche Vorzüge des Hotels, öffnete die Minibar und hielt ihm die Proben des Duschgels unter die Nase. Jacobsen schaltete auf Durchzug und sah sich um.
Direkt am Eingang rechts war die Tür zum Badezimmer. Durch einen kleinen Vorflur gelangte man in einen geräumigen Wohnbereich. Sofa, zwei Sessel, Couchtisch und ein Schreibtisch verteilten sich darin. Ein großer Fernseher hing an der Wand gegenüber dem Sofa und im Schreibtisch war ein Zimmersafe integriert, dessen Tür offenstand. Warum packte der werte Herr seine Handtasche denn nicht da rein?
Eine doppelte Flügeltür führte ins Schlafzimmer. Ein Kingsize-Bett mit glänzender Bettwäsche, ein Kleiderschrank mit Spiegeltüren und ein Fernseher mit DVD-Player erweckten seine Aufmerksamkeit.
Nicht schlecht, dachte Jacobsen. Vor den Fenstern hingen dichte weiße Vorhänge, die er etwas zur Seite schob. Sein Blick fiel auf den Hinterhof des Hotels und ließ ihn stocken: Der Anblick der Autos und der Müllcontainer war wahrlich nicht schön.
Jacobsen ließ sich in einen der Sessel fallen. Ein missbilligendes Räuspern ließ ihn direkt wieder hochfahren. Der Portier stand vor ihm und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, genau wie Daniel Hinterthür. Letzterer streckte die Hand aus.
»Sie können mir jetzt die Tasche geben und gehen. Ich werde den Rest des Tages ruhen. Vergessen Sie bitte nicht meinen Abendspaziergang.«
»Selbstverständlich.« Jacobsen drückte dem Schauspieler die Tasche in den Bauch und folgte dem Portier aus dem Zimmer. Was für ein arroganter Fatzke!
Etwas unschlüssig blieb er vor dem Stuhl stehen. Wenn er nicht gebraucht wurde, sollte laut Bürgermeister ein Streifenkollege auf den Herren Star aufpassen. Er wählte die Nummer der Wache. Ein Kollege war erst in einer Stunde verfügbar und so setzte Jacobsen sich auf den Stuhl. Er musste morgen unbedingt daran denken, ein Buch mitzunehmen. Und ein Kissen.
***
‚Das Tor Ostfrieslands‘
Die Stadt Leer liegt im südlichen Ostfriesland an den Ufern der Flüsse Ems und Leda. Die Stadt mit ihren 34.000 Einwohnern punktet mit der malerischen Altstadt, gemütlich urigen Cafés und Teestuben sowie einem Hafen mitten im Zentrum, der zahlreiche Anlegemöglichkeiten bietet.
Schönheit, Ruhe und Gastfreundlichkeit – nur einige Dinge, die Leer bietet. Auch Burgen und Schlösser gehören dazu, wobei lediglich die Evenburg in Leer-Loga mit ihrem Schlosspark öffentlich zu besichtigen ist.
Bereits seit 200 Jahren besitzt Leer die Stadtrechte. Doch schon länger hat der Ort die Marktrechte inne. Jeweils im Herbst beginnt für einige Tage die fünfte Jahreszeit – der Gallimarkt. Der Vieh- und Jahrmarkt lockt jährlich hunderttausende Besucher in die Stadt.
***
Dicke Schweißtropfen liefen Veronika über die Stirn. Mit dem Wohnmobil über die Autobahn von München nach Leer war kein Thema gewesen. Die ganzen Einbahnstraßen in Leer und die schmalen Gassen der Altstadt trieben ihr jedoch den Angstschweiß auf die Stirn. Verflixt, wo musste sie denn hin? Sie wollte Fiete an seinem Stammplatz an der Waage überraschen, aber ständig durfte sie irgendwo nicht abbiegen oder das Wohnmobil war zu breit.
Schließlich gab sie auf, setzte den Blinker rechts und blieb am Straßenrand stehen. Sie holte Luft, kramte ihr Smartphone aus der Tasche und wählte Fietes Nummer.
»Roni, mein Mäuschen!«
Der Klang von Fietes Stimme ließ Veronika ein Kribbeln über den Rücken laufen. Seit sie sich vor ein paar Wochen bei ihrem ersten Urlaub in Leer kennengelernt hatten, schwebte sie seinetwegen auf Wolke sieben. Gut, erst hatte sie den ollen Seebären nicht ausstehen können, aber ihre gemeinsame Suche nach einem Mörder hatte sie zusammengebracht. Fiete strahlte eine unglaubliche Ruhe aus; sie fühlte sich geborgen und seine Küsse schmeckten wunderbar. Wenn er nicht gerade vorher ein Fischbrötchen verspeist hatte.
»Bist du auf deiner Bank am Hafen?«, fragte sie.
»Nein. Roni, ich sag es dir, ein Drama jagt das nächste. Die haben mich weggescheucht! Von meiner Bank!«
»Warum das denn?« Fiete saß immer auf seiner Bank am Hafen – dort hatten sie sich kennengelernt. Warum sollte ihn jemand von dort verjagen?
»Die drehen hier.« Fiete schnaubte. »Nur, weil da so ein paar Schauspieler rumrennen, darf ich nicht auf meine Bank.«
Veronika verstand nicht, wovon Fiete redete. »Wer dreht?«
»Friesenwache. Der Klaas muss doch auf einen der Stars aufpassen. Dabei hat der doch Besseres zu tun.«
Friesenwache? Dreh? Veronikas Herz hüpfte noch ein wenig höher. Sie liebte die Serie! Die war der Grund gewesen, warum sie in Leer Urlaub gemacht hatte. Vielleicht konnte sie beim Dreh zusehen und sich Autogramme holen?
»Roni? Bist du noch da?«
»Ja, klar. Hast du Lust auf eine schöne Überraschung?«
»Von dir doch immer, mein Schatz.« Fietes Stimmung hob sich hörbar. »Was ist es denn?«
»Es ist ziemlich groß.« Ein Hupen ertönte hinter ihr. Veronika klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter und fuhr wieder an. »Und unhandlich.«
»Sag mal, bist du in der Stadt unterwegs? Viel Verkehr bei euch?«
Ein Radfahrer kreuzte ihren Weg. Veronika trat in die Eisen. Das Telefon rutschte in den Fußraum, das Gehupe hinter ihr ging wieder los und der Motor würgte ab.
»Roni?« Fietes Stimme klang aus weiter Ferne zu ihr.
Veronika beugte sich eilig in den Fußraum und fischte das Telefon unter dem Gaspedal hervor. »Fiete? Ich brauch Hilfe. Wo bist du?« Ihre Stimme zitterte und ihre Hände wurden nass.
»Schatz? Was ist los?«
»Ich steck fest. Ich hab mich total verfahren!«
»In München? Aber da kann ich dir doch nicht helfen.«
»In Leer.« Veronika schluchzte. »Ich stecke irgendwo in der Altstadt fest und komm weder vor noch zurück.«
»Ganz ruhig. Wo genau bist du?«
Veronika sah sich um. »Hier ist eine große Kirche und daneben spielen Kinder.«
»Ich bin gleich bei dir, keine Angst.«
Veronika atmete auf. Fiete würde gleich bei ihr sein. Sie stellte die Warnblinkanlage an und ignorierte den hupenden Autofahrer hinter sich. Schließlich fuhr der halb auf dem Gehweg an ihr vorbei. Die Minuten vergingen; Fiete kam nicht. Veronika trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad. Ihr Smartphone klingelte.
»Fiete!«
»Schatz, wo bist du denn? Ich seh hier nur ein paar Radfahrer und so ein olles Wohnmobil, das total im Weg steht.«
»Das bin ich!« Veronika warf das Telefon auf den Beifahrersitz, sprang aus dem Wohnmobil und lief zu Fiete, der mit seinem Roller ein paar Meter hinter ihr stand. Sie warf sich ihm in die Arme. »Endlich!« Es tat so gut, ihn wieder zu spüren.
Fiete drückte sie fest an sich. Er überragte sie um einen Kopf und auch sonst hätte man auf den ersten Blick nicht gedacht, dass die beiden ein Paar waren. Veronika war Anfang sechzig, hatte die grauen Haare kurz geschnitten, war sportlich und modisch gekleidet. Fiete dagegen war ein alter Seebär, wie er im Buche stand. Bis zu seiner Rente vor ein paar Jahren war er mit einem Krabbenkutter gefahren. Die grauen Haare standen ihm immer ein wenig wirr vom Kopf, im Mund steckte meistens eine Pfeife. Zu grauem Bart und Jeans trug er immer einen blauen Troyer, egal, wie warm es war.
Erneut hupte ein Autofahrer. »Könnt ihr eure Wiedervereinigung bitte woanders feiern?«, rief er aus dem offenen Autofenster.
Veronika lief rot an; Fiete winkte ihm zu.
»Immer ruhig mit den jungen Pferden!« Dann wandte er sich an Veronika. »Setz du dich schon mal rein. Ich park meinen Roller bei der Kirche.«
Veronika eilte zurück ins Wohnmobil und krabbelte direkt weiter auf den Beifahrersitz. In diesem Altstadt-Einbahnstraßen-Chaos sollte Fiete ruhig fahren – der kannte sich besser aus.
Kurze Zeit später kletterte Fiete auf den Fahrersitz und drückte Veronika seinen Helm in die Hand. Er beugte er sich zu ihr und küsste sie lange und zärtlich. »Das nenn ich mal eine richtig schöne Überraschung.« Er strahlte.
»Ich dachte, in einem Wohnmobil sind wir ungestörter als bei deinem Sohn oder in der Pension.« Veronika stieg die Röte in die Wangen.
Fiete startete das Wohnmobil und fuhr los. »Auf jeden Fall. Wo soll es hingehen?«
Veronika zuckte mit den Schultern. »Kann ich bei dir vorm Haus parken?«
»Nee, da ist doch den ganzen Tag was los mit den Handwerkern.« Fiete kratzte sich den Bart. »Ich habs! Wir fahren nach Bingum. Da gibt es einen ganz schnuckeligen Campingplatz.«
Fiete lenkte das Wohnmobil durch die Altstadt und fuhr über die Jann-Berghaus-Brücke ins Rheiderland. Er zeigte rechts aus dem Fenster. »Sieh mal! Da ist der Campingplatz.«
»Oh, direkt an der Ems!« Veronika klatschte in die Hände.
Sie meldeten sich an und Veronika konnte ihr Glück kaum fassen: Es gab noch einen freien Stellplatz mit Blick auf das Wasser. Möwen ließen sich im Wind treiben und Küstenmotorschiffe tuckerten über die Ems. Freiheit pur, dachte Veronika, als sie das Wohnmobil abstellten, Strom und Wasser anschlossen und mit einem Lächeln in die Koje sanken.
***
Ganz so glücklich war Jacobsen nicht. Der Streifenbeamte, der ihn ablösen sollte, war zu einem Unfall gerufen worden. Und so saß er sich immer noch den Hintern auf dem unbequemsten Stuhl platt, mit dem sein Allerwertester je Bekanntschaft gemacht hatte.
Er gähnte und sah zum zehnten Mal in den letzten acht Minuten auf die Uhr. Die Zeit schien hier im Hotel extra langsam zu gehen. Es war erst kurz nach neun und um zehn wollte der Herr Star noch seinen Spaziergang machen. Super.
Ein lautes Knurren verschlechterte seine Laune. Sollte er den Portier fragen, ob er ihm etwas zu essen bringen konnte? Wie aufs Stichwort tauchte der am Ende des Flures auf. Jacobsen winkte ihn zu sich.
»Entschuldigung. Aber hätten Sie eventuell etwas zu trinken für mich? Und ein Stück Brot?«
Okay, der strenge Blick des Portiers sagte deutlich Nein.
»Ich war ursprünglich nicht für diese Schicht eingeplant, sonst hätte ich mir selbstverständlich etwas mitgebracht«, erklärte er.
Ohne ein Wort drehte der Portier um und ging.
»Ein Kissen vielleicht?« Jacobsen verschränkte die Arme vor der Brust. »War ja nur ne Frage.« Er zog sein Mobiltelefon aus der Tasche. Eine Nachricht von seiner Frau Anja blinkte auf.
Sei tapfer, ich warte auf dich! ;o)
Jacobsen schielte erneut zur Uhr. Noch vierzig Minuten. Er schloss die Augen.
Ein Rütteln an der Schulter ließ ihn hochschrecken. Ein wütender Daniel Hinterthür stand vor ihm und klopfte mit dem Finger auf seine Armbanduhr; die Herrenhandtasche hatte er über die Schulter gehängt.
»Sie sind mir ja ein feiner Bodyguard!«, schimpfte er. »So passen Sie auf Ihre Klienten auf?«
Jacobsen stand auf und streckte sich. »Sie sind nicht mein Klient. Sie sind mein Job. Wo soll’s hingehen?«
Daniel Hinterthür schnappte nach Luft. »Einmal um den Hafen.«
Jacobsen trottete los. Durch die Hotellobby, über die Straße und auf der anderen Seite ein paar Stufen hinunter zur Uferpromenade. Dort setzte Daniel Hinterthür trotz Dunkelheit die Sonnenbrille auf und bestand darauf, dass Jacobsen immer einen Meter hinter ihm blieb. Eine Konversation war nicht gewünscht. Jacobsen hatte auch keine Lust, mit dem eingebildeten Schnösel zu reden.
Kaum ein Mensch war unterwegs, nur zwei Hundebesitzer drehten eine späte Runde. Die Lichter der Laternen und der Schiffe wurden von den Wellen reflektiert. Die Luft war klar und frisch. Hm, vielleicht sollte ich mit Anja auch einmal einen Nachtspaziergang machen. Leer bei Nacht hat schon was.
Es war fast elf, als sie endlich wieder am Hotel ankamen. »Wann soll ich Sie morgen abholen?« Jacobsen gähnte.
»Sie wollen jetzt nicht ernsthaft gehen, oder?« Hinterthür schob seine Sonnenbrille in die Haare.
»Nicht?«
Hinterthür verdrehte die Augen. »Hat man Sie denn nicht vernünftig eingewiesen? Wenn man nicht alles selbst macht. Mitkommen!«
Er lief in die Lobby, Jacobsen schlurfte hinterher. Der Kollege der Nachtschicht saß schon auf dem Stuhl vor dem Zimmer. Mit Kissen und Thermoskanne, wie Jacobsen neidisch feststellte.
Daniel Hinterthür ignorierte den Beamten und schloss seine Zimmertür auf. Er stockte, blieb stehen.
Jacobsen war klar, was er tun sollte, hob aber fragend die Hände. »Gute Nacht?«
»Würden Sie bitte überprüfen, ob jemand drinnen ist?« Hinterthür deutete auf sein Zimmer.
»Moin, Kollege. Du, ist in der letzten Stunde jemand ins Zimmer gegangen?«, fragte Jacobsen den Streifenbeamten.
Der schüttelte den Kopf. »Nö.«
»Gut, dann ist auch keiner im Zimmer. Gute Nacht?« Langsam macht mirdas Spaß.
»Bin ich hier denn nur von Vollpfosten umgeben? Sie sollen in meinem Zimmer nachschauen. Und vergessen Sie nicht den Schrank und das Bett.«
Jacobsen zwinkerte seinem Kollegen zu und betrat das Zimmer. Er hob im Badezimmer den Klodeckel an, öffnete die Schreibtischschublade und sah sogar unter die Bettdecke. »Wie Sie sehen, keiner da. Auch kein Monster unter dem Bett.« Jacobsen wandte sich zur Tür. »Warum mieten Sie sich eigentlich ein Zimmer im Erdgeschoss, wenn Sie so eine Angst haben?«
»Weil kein anderes mehr frei war. Und jetzt raus! Ich erwarte Sie morgen pünktlich um neun Uhr.« Mit rotem Gesicht zeigte Hinterthür in Richtung Flur.
Jacobsen knallte die Tür hinter sich zu und ballte die Hände zu Fäusten. »Arschloch!«, entfuhr es ihm.
»So schlimm?«
»Kollege, sei froh, dass du nur die Tür bewachen musst.« Jacobsen schlug mit ihm ein. »Ich lös dich um neun ab.«
Statt nach Hause zog es Jacobsen in die Kneipe von Joke. Sie lag in der Altstadt von Leer und hatte einen ganz besonderen Charme. Der Tresen stand rund wie ein Ausguck in der Mitte des Raumes; die Nischen mit den Tischen waren Kojen nachempfunden. Normalerweise traf sich Jacobsen hier sonntags mit seinen Kumpels, aber heute brauchte er dringend einen Schnaps. Unter der Woche war um diese Zeit nicht mehr viel los. Ein paar Touristen saßen in einer Ecknische. Jacobsen steuerte direkt auf den Tresen zu.
»Joke! Kein Bier, dafür doppelt Schnaps!«, rief er dem Wirt zu und zog sich auf einen Barhocker.
»Schlimmen Tag gehabt?« Joke schenkte ihm einen doppelten Klaren ein.
Jacobsen kippte ihn auf ex runter und hielt ihm das Glas erneut hin. »Frag nicht. Dieser Typ treibt mich in den Wahnsinn!«
»Meinst du den Hinterthür?«, erklang eine Stimme direkt neben ihm.
Jacobsen verschluckte sich und musste husten. »Kai«, krächzte er. »Was machst du noch hier?«
Kai war ein alter Schulfreund von ihm und Reporter der hiesigen Lokalzeitung.
»Immer auf der Suche nach einer guten Story, weißt du doch.« Er schlug Jacobsen auf den Rücken, bis der ausgehustet hatte. »Wie ist unser Star denn so drauf?«
»Vergiss es.« Er würde den Teufel tun und sich Ärger mit dem Bürgermeister einhandeln. Kai würde aus jeder noch so kleinen Information einen großen Artikel machen.
»Ach, komm schon. Eine Info für einen alten Schulfreund.« Kai setzte sich auf den Hocker neben Jacobsen.
»Der Herr Star schläft und möchte nicht belästigt werden.« Jacobsen warf Geld auf den Tresen. »Bis die Tage!«
»Ey, Klaas, bitte!«
»Gute Nacht, Kai!«
Kurz vor neun stand Jacobsen vor dem Hotelzimmer von Daniel Hinterthür. Sein Kollege erhob sich gähnend und tippte sich zum Gruß kurz an die Stirn, bevor er wortlos in Richtung Lobby schlurfte.
Jacobsen wollte gerade an der Zimmertür klopfen, als sein Telefon klingelte. »Herr Bürgermeister, was verschafft mir die Ehre am frühen Morgen?«
»Herr Jacobsen, wenn mir noch einmal zu Ohren kommt, dass Sie die Belange und Sorgen von Herrn Hinterthür nicht ernst nehmen, dann kriegen Sie richtig Ärger mit mir!«, brüllte er aus dem Telefon.
»Wie bitte?«
»Herr Hinterthür hat mir berichtet, wie Sie ihn gestern ins Lächerliche gezogen haben. Mein Gott, Jacobsen, der Mann kann doch nichts für seine Angst. Seien Sie mal ein wenig einfühlsamer.«
»Ähm …«
»Ja, ich weiß, es ist nicht einfach, mit einer so bekannten Persönlichkeit umzugehen. Deshalb lasse ich Ihnen auch etwas liefern, damit Sie sich besser vorbereiten können.«
»Ähm …«