Knockemstiff - Donald Ray Pollock - E-Book
SONDERANGEBOT

Knockemstiff E-Book

Donald Ray Pollock

4,9
8,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wenn die Hölle in dir steckt, gibt es kein Entkommen! Knockemstiff, Ohio, ist ein tristes Kaff in der weiten Leere des Mittleren Westens. Hier trifft man auf Außenseiter, die hin- und hergerissen sind zwischen Sehnsucht und verlorener Hoffnung, zwischen Aufbegehren und sinnloser Gewalt. Da gibt es den jungen Jake, der zum Militär eingezogen werden soll und in die Wälder des Hinterlandes flieht, nur mit einem Messer in der Tasche. Und doch kehren die beiden Soldaten, die ihn verfolgen, nicht lebend zurück ... Da ist Daniel, der von zu Hause abhaut und in die Fänge eines psychopathischen Truckers gerät. Oder Duane, der so lange vor seinen Freunden mit einer erfundenen Freundin prahlt, bis er selbst an sie glaubt. Wie in den großen Gesellschaftstableaus von William Faulkner und Sherwood Anderson greifen die Schicksale in Knockemstiff unheilvoll ineinander und verweben sich zu einem Netz falscher Lebenswege, in dem sich die Figuren so ausweglos verfangen, dass als letzte Wahrheit nur die eigenen Illusionen bleiben.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 297

Bewertungen
4,9 (28 Bewertungen)
25
3
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Donald Ray Pollock

Knockemstiff

Aus dem Englischen vonPeter Torberg

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel Knockemstiff bei Doubleday, New York.

© Donald Ray Pollock 2008

© der dt. Ausgabe Verlagsbuchhandlung Liebeskind 2013

Umschlaggestaltung: Marc Müller-Bremer, München

Umschlagmotiv: The Inge Morath Foundation /

Magnum Photos / Agentur Focus

Herstellung: Sieveking · Verlagsservice, München

Typografie und Satz: Frese Werkstatt, München

Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

ISBN 978-3-95438-018-3

Für Patsy

Alle Amerikaner stammen ursprünglich aus Ohio,

wenn auch nur kurz.

DAWN POWELL

Das wahre Leben

Dynamite Hole

Knockemstiff

Mit Haut und Haar

Pillen

Gigantomachie

Schott’s Bridge

Fettsack

Fischstäbchen

Bactine

Disziplin

Angreifer

Verregneter Sonntag

Senke

Von vorn anfangen

Gesegnet

Honolulu

Die Kämpfe

DAS WAHRE LEBEN

Als ich sieben war, zeigte mir mein Vater in einer Augustnacht beim Torch-Drive-in, wie man einem Mann so richtig wehtut. Das war das Einzige, was er wirklich beherrschte. Ist schon Jahre her, damals war Freiluftkino noch eine Riesensache im Süden Ohios. Es lief Godzilla und dazu noch irgendein jämmerlicher Film mit fliegenden Untertassen, in dem Pastetenbleche die Welt eroberten.

An dem Abend war es heißer als im Schlitz einer dicken Frau, und schon als die Cartoons auf der großen Sperrholzleinwand liefen, war mein alter Herr kreuzunglücklich. Er schimpfte ununterbrochen über das Wetter und wischte sich den Schweiß mit einer braunen Papiertüte vom Kopf. Seit zwei Monaten hatte es in Ross County nicht geregnet. Jeden Morgen stellte meine Mutter KB98 im Radio ein und hörte zu, wie Miss Sally Flowers für ein Gewitter betete. Dann ging sie nach draußen und starrte in den leeren weißen Himmel hinauf, der über der Senke hing wie ein Laken. Manchmal sehe ich sie noch vor mir, wie sie da im trockenen, braunen Gras steht und sich fast den Hals verrenkt in der Hoffnung, auch nur eine einzige lausige dunkle Wolke zu entdecken.

»He, Vernon, schau mal«, sagte sie an jenem Abend. Seit wir geparkt hatten, wollte sie ihm zeigen, dass sie sich einen ganzen Hotdog in den Schlund stecken konnte, ohne sich den glänzenden Lippenstift zu verschmieren. Meine Mutter war den ganzen Sommer über nicht aus Knockemstiff herausgekommen, müssen Sie wissen. Sie bekam schon Gänsehaut, wenn sie nur ein paar rote Lichter sah. Doch jedes Mal, wenn sie an der Wurst würgte, verspannten sich die drahtigen Muskeln im Nacken meines Vaters noch mehr, und es sah so aus, als könnte sein Kopf jede Sekunde vom Hals springen. Meine ältere Schwester Jeanette war schlau gewesen und hatte den ganzen Tag auf krank gemacht, dann hatte sie die beiden überredet, sie bei den Nachbarn zu lassen. Und nun hockte ich da allein auf dem Rücksitz, knabberte mir die Haut von den Fingern und hoffte, dass Mom den alten Herrn nicht allzu sehr in Rage brachte, bevor Godzilla Tokio in Grund und Boden gestampft hatte.

Aber eigentlich war es dafür bereits zu spät. Mom hatte vergessen, seine Spezialtasse einzupacken, deshalb war eh schon alles für’n Arsch, was ihn betraf. Er konnte noch nicht mal über Popeye kichern, geschweige denn Begeisterung dafür aufbringen, welche Tricks seine Frau mit einem verschrumpelten Oscar-Meyer-Würstchen beherrschte. Außerdem hasste mein alter Herr Kino. »Diese ganze Bande mit ihrer Augenwischerei kann mich mal«, sagte er, wann immer jemand erwähnte, er habe den neuesten Film mit John Wayne oder Robert Mitchum gesehen. »Was ist denn am wahren Leben so falsch?« Er hatte nur deswegen eingewilligt, ins Drive-in zu fahren, weil sich Mom so fürchterlich über seinen neuen Wagen aufgeregt hatte, einen 65er Chevrolet Impala, den er am Abend zuvor mit nach Hause gebracht hatte.

Es war das dritte Auto in einem Jahr. Wir lebten von Suppenbohnen und gebratenem Brot, kutschierten aber wie Krösusse durch Knockemstiff. Am Vormittag noch hatte ich Mom schimpfen hören, als sie mit ihrer Schwester telefonierte, die in der Stadt lebte. »Dieser Mistkerl ist verrückt, Margie«, sagte sie. »Letzten Monat konnten wir nicht mal die Stromrechnung bezahlen.« Ich hockte vor dem toten Fernseher und schaute zu, wie wässriges Blut ihr die blassen Waden herunterlief. Sie hatte versucht, sich mit dem Rasiermesser meines Vaters zu rasieren, aber ihre Beine waren wie Butterstangen. Eine schwarze Fliege summte um ihre dürren Knöchel und wich ihrem wilden Herumgefuchtel aus. »Ich meine es ernst, Margie«, sagte sie in das schwarze Mundstück des Telefons, »wenn die Kinder nicht wären, ich würde in null Komma nichts aus diesem Höllenloch verschwinden.«

Kaum fing Godzilla an, zog der alte Herr den Aschenbecher aus der Halterung und goss Whiskey hinein. »Himmel, Vernon«, sagte Mom. Sie hielt gerade den Hotdog in die Höhe und wollte ein weiteres Mal versuchen, ihn runterzukriegen.

»He, ich hab dir gesagt, ich trinke nicht aus der Flasche. Wenn du einmal mit dem Scheiß anfängst, endest du als verdammter Säufer.« Er nahm einen Schluck aus dem Aschenbecher, würgte und spuckte eine durchgeweichte Kippe aus dem Fenster. Er trank bereits seit dem Mittag, als er vor seinen Kumpeln mit dem neuen Wagen angegeben hatte. In der Seitenverkleidung war schon eine Delle.

Ein paar Schlucke aus dem Aschenbecher, dann stieß er die Fahrertür auf und schwang seine dünnen Beine hinaus. Das Erbrochene lief ihm aus dem Mund und durchweichte die Aufschläge seiner blauen Arbeitshose. Der Kombi neben uns warf den Motor an und suchte sich einen anderen Stellplatz. Mein Dad hielt seinen Kopf ein paar Minuten zwischen den Beinen, dann richtete er sich auf und wischte sich mit dem Handrücken das Kinn ab. »Bobby«, sagte er zu mir, »noch eine von Mas fettigen Kartoffeln, und du kannst deinen alten Daddy begraben.« Er aß nicht mal genug, um eine Ratte damit durchzufüttern, aber jedes Mal, wenn er seinen Whiskey von sich gab, schob er die Schuld auf Mas Kochkünste.

Sie gab auf, wickelte das Würstchen in eine Serviette und reichte sie mir. »Denk dran, Vernon«, mahnte sie, »du musst uns noch nach Hause fahren.«

»Scheiß drauf«, entgegnete er und zündete sich eine Zigarette an, »dieser Wagen fährt von allein.« Dann leerte er den Aschenbecher bis auf den letzten Tropfen. Ein paar Minuten starrte er die Leinwand an und versank in den Polstersitzen wie eine untergehende Sonne. Meine Mom streckte die Hand aus und drehte den Lautsprecher, der im Fenster hing, ein wenig leiser. Unsere einzige Hoffnung bestand darin, dass der alte Herr einpennte, bevor der ganze Abend im Eimer war. Doch kaum war Raymond Burr auf dem Flughafen von Tokio gelandet, schoss mein Dad in seinem Sitz hoch, drehte sich um und starrte mich aus blutunterlaufenen Augen an. »Verdammt noch mal, Junge«, sagte er, »wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst keine Nägel kauen? Du hörst dich an wie ’ne Maus, die sich durch einen verdammten Sack Mais knabbert.«

»Lass ihn in Ruhe, Vernon«, sagte meine Mutter. »Er knabbert doch gar nicht.«

»Himmel, das ist doch dasselbe!« sagte er und kratzte sich die Stoppeln im Nacken. »Ich will nicht wissen, wo er die Griffel sonst noch stecken hatte.«

Ich nahm die Finger aus dem Mund und setzte mich auf die Hände. Das war die einzige Möglichkeit, wie ich mich von ihnen fernhalten konnte, wenn mein Vater dabei war. Den ganzen Sommer über hatte er mir angedroht, mich bis an die Ellbogen mit Hühnerdreck einzuschmieren, um mir das Fingerkauen abzugewöhnen. Er goss noch mehr Whiskey in seinen Aschenbecher und stürzte ihn mit einem Schauder runter. Gerade als ich langsam hinter meine Mutter rutschen wollte, ging die Innenbeleuchtung an. »Na komm schon, Bobby«, sagte er, »wir gehen mal pinkeln.«

»Aber der Film hat doch gerade erst angefangen«, protestierte Mom. »Er hat den ganzen Sommer darauf gewartet.«

»Ach, du weißt doch, wie er ist«, sagte mein alter Herr so laut, dass es die Leute in der nächsten Reihe hören konnten. »Ich will nicht, dass er meine neuen Sitze einpisst, wenn er dieses Godzillaviech sieht.« Er rutschte aus dem Wagen, lehnte sich an den Lautsprecherpfosten und stopfte sich das T-Shirt in die ausgebeulte Hose.

Ich stieg unwillig aus und folgte ihm. Er wankte über den Schotter. Ein paar Mädchen in Hosenröcken stolzierten vorbei, ihre Beine wurden vom Schimmerlicht der Leinwand angestrahlt. Als Dad stehen blieb und sie anstarrte, stolperte ich ihm von hinten in die Beine und fiel hin. »Himmel, Junge«, sagte er und riss mich am Arm hoch wie eine Lumpenpuppe, »krieg doch mal deinen Kopf aus’m Arsch. Jeden Tag benimmst du dich mehr und mehr wie deine bescheuerte Mutter.«

Das aus Hohlbetonsteinen errichtete Gebäude in der Mitte des Platzes war regelrecht belagert von Menschen. Vorn stand der laut ratternde Projektor, in der Mitte war der Imbissstand, dahinter lagen die Toiletten. Der Geruch von Pisse und Popcorn hing wie Insektenspray in der heißen, toten Luft. Auf dem Klo beugte sich eine ganze Reihe von Männern und jungen Burschen mit baumelnden Schwänzen über einen langen, grünen Metalltrog. Alle starrten nach vorn auf die in Schlammfarben gestrichene Wand. Hinter ihnen standen weitere Männer auf dem feuchten, klebrigen Boden, wippten auf ihren Zehenspitzen und warteten ungeduldig, bis sie an die Reihe kamen. Ein fetter Kerl in Latzhose und mit einem zerfledderten Strohhut kam aus einer hölzernen Kabine gestolpert, biss in einen Zero-Riegel, und mein Alter schubste mich hinein. Die Tür knallte er hinter mir zu.

Ich spülte, stand da, hielt die Luft an und tat so, als würde ich pinkeln. Von draußen wehten Stücke des Filmdialogs herein, und ich versuchte mir gerade den Teil vorzustellen, den ich verpasste, als mein Dad gegen die Tür hämmerte. »Verdammt, Junge, was brauchst du so lange?« brüllte er. »Holst du dir einen runter?« Wieder schlug er gegen die Tür, und ich hörte jemanden lachen. Dann sagte er: »Ich sag euch, diese verdammten Blagen machen einen noch irre.«

Ich zog den Reißverschluss zu und kam aus der Kabine. Mein alter Herr reichte gerade einem dicken Kerl, der sich Sägemehl in die fettigen schwarzen Haare gekämmt hatte, eine Zigarette. Auf dem dreckigen Hemd des Mannes war ein roter Fleck, der die Form eines Tortenstücks hatte. »Ich verarsch dich nicht, Cappy«, sagte mein Vater zu dem Kerl, »dieser Junge hat Angst vor seinem eigenen Schatten. Ein verdammter Mistkäfer hat mehr Mumm.«

»Ja, ich weiß, was du meinst«, sagte Cappy. Er biss den Filter von der Zigarette und spuckte ihn auf den Betonboden. »Meine Schwester hat auch so einen. Armer kleiner Kerl, kriegt nicht mal ’nen Köder auf den Angelhaken.«

»Bobby wär besser ein Mädchen geworden«, erklärte mein Vater. »Verdammt, als ich so alt war, hab ich schon Holz gehackt.«

Cappy zündete sich die Zigarette mit einem langen Streichholz an, das er aus seiner Hemdtasche gezogen hatte, und sagte schulterzuckend: »Das waren damals andere Zeiten, Vern.« Dann steckte er sich das Streichholz ins Ohr und quirlte damit in seinem Kopf herum.

»Ich weiß, ich weiß«, sagte mein alter Herr, »da fragt man sich doch, was zum Henker mal aus diesem verdammten Land werden soll.«

Plötzlich trat ein Mann mit einem schwarzen Brillengestell von seinem Platz an der Pissrinne zurück und klopfte meinem Vater auf die Schulter. Er war der größte Mistkerl, den ich je gesehen hatte; sein fetter Schädel stieß fast an die Decke. Seine Arme waren so dick wie Zaunpfosten. Hinter ihm stand ein Junge meiner Größe in bunten Bermudas und einem T-Shirt mit einem ausgeblichenen Davy Crockett drauf. Er hatte einen frisch gewachsten Bürstenschnitt und orangefarbene Limoflecken am Kinn. Jedes Mal, wenn er ausatmete, wuchs eine Bazooka-Blase aus seinem Mund wie eine runde, rosige Blüte. Er sah glücklich aus, und ich hasste ihn sofort.

»Hüten Sie Ihre Zunge«, sagte der Mann. Seine laute Stimme dröhnte durch den Raum, alle drehten sich um und starrten uns an.

Mein alter Herr wirbelte herum und rammte seine Nase in die Brust des großen Kerls. Er setzte zurück und sah zu dem Riesen hinauf, der sich über ihm auftürmte. »Verdammt noch mal«, sagte mein Vater.

Das schweißige Gesicht des Mannes wurde rot. »Haben Sie mich nicht verstanden?« fragte er meinen Vater. »Ich habe Sie gebeten, die Flucherei sein zu lassen. Ich will nicht, dass mein Sohn so etwas zu hören bekommt.« Dann fügte er so langsam hinzu, als redete er mit einem Trottel: »Ich … bitte … Sie … nicht … noch einmal.«

»Du hast mich schon beim ersten Mal nicht drum gebeten«, erwiderte mein Vater. Damals war er zäh wie Leder, aber spindeldürr, und er wusste nie, wann er den Mund halten sollte. Er sah sich in der Meute um, die sich langsam um sie bildete, drehte sich dann zu Cappy und zwinkerte.

»Ach, halten Sie das vielleicht für witzig?« sagte der Mann. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, und er tat einen Schritt auf meinen Vater zu. Jemand rief aus dem Hintergrund: »Tritt ihm in den Arsch!«

Mein Vater machte zwei Schritte zurück, ließ die Zigarette fallen und hob die Handflächen. »Immer langsam, Kumpel. Himmel, ich hab’s nicht so gemeint.« Dann senkte er den Blick und starrte ein paar Sekunden lang die glänzenden schwarzen Schuhe des großen Kerls an. Ich sah, wie er an der Wange nagte. Seine Hände schlossen und öffneten sich wie die Scheren eines Flusskrebses. »He«, sagte er schließlich, »wir brauchen hier heute Abend keinen Ärger.«

Der große Kerl sah zu den Leuten, die ihn angafften. Alle warteten auf den nächsten Schritt. Seine Brille rutschte ihm die breite Nase herunter, und er schob sie wieder hoch. Er holte tief Luft, schluckte und bohrte dann einen seiner fetten Finger in die knochige Brust meines Vaters. »Hören Sie, ich meine, was ich sage«, erklärte er, und Spucke flog ihm aus dem Mund. »Das hier ist eine Familienveranstaltung. Ist mir egal, ob Sie ein verdammter Säufer sind. Haben Sie verstanden?« Ich warf seinem Sohn einen Blick zu, und der streckte mir die Zunge raus.

»Ja, das verstehe ich gut«, hörte ich meinen Vater leise sagen. Ein selbstgefälliger Zug legte sich über das Gesicht des großen Arschlochs. Seine Brust blähte sich auf wie bei einem Truthahn und zerrte an den braunen Knöpfen seines sauberen weißen Hemds. Er sah sich in der Gruppe der Männer um, die auf einen Kampf gehofft hatten, seufzte tief und zuckte mit den breiten Schultern. »Das war’s wohl, Jungs«, sagte er. Dann legte er sanft eine Hand auf den Kopf seines Sohnes und drehte sich um.

Ich beobachtete ängstlich, wie die anderen enttäuscht die Köpfe schüttelten und sich zu verziehen begannen. Ich weiß noch, ich wäre am liebsten mit ihnen zur Tür hinausgeschlichen. Ich fürchtete, mein alter Herr würde mir die Schuld für die ganze Situation geben. Doch genau in dem Augenblick, als Godzillas kreischender Schrei durch den Toilettenraum schoss wie eine laut quietschende Tür, sprang er vor und donnerte die Faust gegen den Schädel des großen Mannes. Die Leute glauben mir das nie, aber ich habe einmal gesehen, wie er mit derselben Faust ein Pferd umgehauen hat. Ein ekelerregendes Knirschen hallte durch den betonierten Raum. Der Mann stolperte seitwärts, alle Luft entwich seinem Körper wie ein Furz. Seine Hände fuchtelten wild in der Luft herum, so als wollte er nach einem Rettungsseil greifen, dann fiel er mit einem dumpfen Schlag zu Boden.

Der Raum war für eine Sekunde ganz still, doch als der Sohn des Kerls zu kreischen begann, explodierte mein Vater. Er umkreiste den Mann, trat ihm mit seinen Arbeitsschuhen in die Rippen und stampfte so lange auf seine linke Hand, bis der Goldring sich bis auf den Knochen durchgeschnitten hatte. Mein Vater ging auf die Knie, schnappte sich die Brille des Mannes, brach sie auseinander und schlug ihm so lange ins Gesicht, bis sich ein Zahn durch die fleischige Wange bohrte. Dann packten Cappy und drei weitere Männer meinen Vater von hinten und zerrten ihn weg. Seine Fäuste glänzten vor Blut. Ein dünner Faden weißer schaumiger Spucke baumelte ihm vom Kinn. Ich hörte, wie jemand nach den Bullen rief. Cappy hielt meinen Vater noch immer umklammert und sagte: »Großer Gott, Vern, den hast du übel zugerichtet.«

Als ich von dem Körper am Boden zu den wilden Augen meines Vaters aufblickte, drehte sich der Sohn des Mannes um und verpasste mir eine satte Ohrfeige. Dann fing er an, auf mich einzudreschen, ich schützte meinen Kopf mit den Armen und kauerte mich hin. »Verdammt!« hörte ich meinen Vater mit rauer Stimme brüllen. »Wenn du nachgibst, prügel ich dich windelweich!« Die Hotdogs, die ich gegessen hatte, kamen mir hoch, ich schluckte den Schwall wieder herunter. Ich wollte mich nicht prügeln, aber der Junge war kein Vergleich zu meinem Alten. Ich stand auf und stellte mich ihm entgegen. Er donnerte mir einen Schlag auf den Mund. Ich wich zurück und schlug wild um mich. Irgendwie schaffte ich es, sein Gesicht zu treffen. Ich hörte meinen Vater erneut brüllen, also schlug ich weiter zu. Nach drei, vier Treffern ließ der Junge die Hände fallen, flennte und würgte. Ich sah meinen Vater an, er schrie: »Mach ihn fertig!« Ich verpasste dem Jungen noch eine, und Blut spritzte ihm aus der Nase.

Mein Vater riss sich los, nahm mich am Arm und zerrte mich zur Tür hinaus. Er rannte über den Parkplatz, schleifte mich hinter sich her, suchte in der Dunkelheit nach unserem Wagen. Plötzlich blieb er stehen und kniete sich vor mich hin. Er schnappte nach Luft. »Das hast du gut gemacht, Bobby«, sagte er und wischte sich den Schweiß aus den Augen. Er packte mich an den Schultern und drückte fest zu. »Das hast du richtig gut gemacht.«

Als wir den Wagen gefunden hatten, schubste er mich auf die Rückbank und hob den Lautsprecher aus dem Fenster. Er ließ ihn krachend zu Boden fallen, sprang in den Wagen und warf den Motor an. Meine Mutter schreckte auf. »Ist der Film aus?« fragte sie schläfrig. Eine Stimme knarzte aus dem Lautsprecher und sagte flehentlich, Ärzte oder Krankenschwestern sollten sich umgehend beim Imbissstand einfinden. »Herrje, was ist passiert?« fragte Mom, setzte sich auf und rieb sich das Gesicht.

»Irgend so ein fettes Arschloch hat versucht, uns vorzuschreiben, wie wir zu reden haben, das ist passiert«, antwortete mein alter Herr. »Aber wir haben es denen gezeigt, oder, Bobby?« Er ließ den Motor aufheulen. Wir sahen alle zur Leinwand hoch, wo Godzilla gerade in einen Hochspannungsmast biss. »Ach, du heilige Scheiße, Junge, das Viech hat aber lange Zähne«, sagte mein Vater lachend und breitete die Arme aus. Dann beugte er sich vor und sagte leise zu meiner Mutter: »Die werden die Bullen holen.« Er griff nach unten und legte einen Gang ein.

Mein Alter trat aufs Gas, schoss von dem kleinen Hügel, auf dem wir geparkt hatten, und kurvte schlingernd durch die Reihen. Schotter flog gegen die anderen Wagen. Ein alter Mann und eine alte Frau stolperten übereinander, als sie versuchten, uns aus dem Weg zu laufen. Hupen dröhnten, Abblendlichter sprangen an. Wir donnerten die Ausfahrt hinaus, rutschten auf den Highway und fuhren heimwärts, Richtung Westen. Ein Rettungswagen raste mit jaulenden Sirenen an uns vorbei. Ich sah zum Kino zurück, wo gerade das Bild auf der Leinwand flackerte und dann verschwand.

»Agnes, du hättest ihn sehen sollen«, sagte mein Alter und schlug mit der blutigen Hand aufs Lenkrad. »Er hat der verdammten Brut voll eine verpasst.« Er zog die Flasche unter dem Sitz hervor und nahm einen langen Schluck. »Das ist die beste Nacht meines verdammten Lebens!« brüllte er zum Fenster hinaus.

»Du hast Bobby in einen Kampf verwickelt?«

»Worauf du einen lassen kannst«, erwiderte er.

Meine Mutter beugte sich über den Vordersitz, befühlte meinen Kopf mit ihren Händen und sah mir im Dunkeln ins Gesicht. »Bist du verletzt, Bobby?« fragte sie.

»Ich hab Blut an mir«, sagte ich.

»Mein Gott, Vernon«, schimpfte sie. »Was hast du gemacht, du kranker Idiot?«

Ich blickte auf, da schlug er meine Mutter mit dem Ellbogen. Ihr Kopf knallte gegen die Seitenscheibe. »Du Dreckskerl!« schrie sie und hielt sich das Gesicht.

»Hör auf, ihn so zu bemuttern«, sagte mein Vater. »Und nenn mich nicht Idiot.«

Ich rutschte über den Sitz und setzte mich hinter meinen Vater, während wir nach Hause rasten. Jedes Mal, wenn er einen Wagen überholte, nahm er einen Schluck aus der Flasche. Der Wind strömte durchs offene Fenster herein und trocknete mir den Schweiß. Es fühlte sich an, als würde der Impala über der Straße schweben. Das hast du gut gemacht, sagte ich bei mir, immer und immer wieder. Das war verflucht noch mal das Einzige, was mein Vater je zu mir gesagt hatte, das ich nicht vergessen wollte.

Später weckte mich der Lärm eines aufziehenden Gewitters. Ich lag angezogen im Bett. Durch mein Fenster sah ich die Blitze über den Mitchell Flats zucken. Eine rumpelnde Donnerwand rollte durch die Senke, direkt gefolgt von einem hohen, entsetzlichen Klagen; ich dachte an Godzilla und den Film, den ich verpasst hatte. Erst als das Donnern in der Ferne verhallte, ging mir auf, dass das Klagen von meinem alten Herrn stammte, der sich im Bad übergeben musste.

Meine Schlafzimmertür wurde geöffnet, und meine Mutter kam mit einer brennenden Kerze in der Hand herein. »Bobby?« fragte sie. Ich stellte mich schlafend. Sie beugte sich über mich und strich mir mit ihrer weichen Hand über die blau geschlagene Wange. Dann streckte sie die Hand aus und schloss das Fenster. Im Kerzenschein erhaschte ich einen Blick auf den blauen Fleck, der sich auf ihrem Gesicht ausbreitete wie verschmiertes Traubengelee.

Sie schlich auf Zehenspitzen hinaus, ließ die Tür offen und ging den Flur entlang. »Hier«, hörte ich sie zu meinem Vater sagen, »besser?«

»Ich glaub, ich hab’s versaut«, sagte mein Vater. »Der Kopf von diesem Scheißkerl war hart wie Stein.«

»Du solltest nicht trinken, Vernon«, sagte meine Mom.

»Schläft er?«

»Er ist völlig erledigt.«

»Ich wette meinen Lohnscheck, dass er dem Kind die Nase gebrochen hat, so wie da das Blut geflossen ist«, sagte mein Vater.

»Wir sollten besser schlafen gehen.«

»Ich konnte es einfach nicht fassen, Agnes. Der Bursche war doppelt so groß wie Bobby, ich schwöre es bei Gott.«

»Er ist nur ein Junge, Vernon.«

Sie kamen langsam an meiner Tür vorbei, stützten sich gegenseitig und gingen in ihr Schlafzimmer. Ich hörte meine Mutter sagen: »Auf gar keinen Fall«, aber nach ein paar Minuten quietschte ihr Bett wie eine rostige Wippe. Draußen legte endlich das Gewitter los, fette Regentropfen trommelten auf das Blechdach des Hauses. Ich hörte meine Mutter stöhnen und meinen Vater nach Jesus rufen. Ein Blitz schoss über den schwarzen Himmel, und lange Schatten wanderten über die kahlen, verputzten Wände meines Zimmers. Ich zog mir die dünne Decke über den Kopf und steckte mir die Finger in den Mund. Ein süßer, salziger Geschmack biss mir in die aufgeplatzte Lippe und zog über meine Zunge. Es war das Blut des Jungen, das noch an meinen Händen klebte.

Während das Bett meiner Eltern im Nebenzimmer laut gegen die Dielen stampfte, leckte ich mir das Blut von den Knöcheln. Die geronnenen Stückchen lösten sich im Mund auf und verwandelten meine Spucke in Sirup. Nachdem ich alles Blut heruntergeschluckt hatte, leckte ich weiter an meinen Händen. Ich riss mit den Zähnen an der Haut. Ich wollte mehr. Ich wollte immer mehr.

DYNAMITE HOLE

Ich kam gerade mit drei Pfeilspitzen in der Tasche und einer toten Kupferkopfschlange, die ich mir wie den Schal einer alten Frau um den Hals gelegt hatte, von den Mitchell Flats herunter, als ich einen Jungen namens Truman Mackey dabei erwischte, wie er im Dynamite Hole seine eigene kleine Schwester vögelte.

Ich hatte den ganzen Vormittag über rings um die alten indianischen Schmelzöfen nach Feuersteinen gesucht und wollte nun zum Laden unten in Knockemstiff, um sie gegen Schmalzfleisch und Cracker einzutauschen. Maude Speakman schrieb mir für jede Pfeilspitze, die ich ihr brachte, vierzig Cent gut, dann verkaufte sie sie an den Typen aus Meade weiter, der ihr jeden Dienstag Benzin lieferte.

Es war heiß an jenem Tag, und als ich den Black Run überquerte, knietief im Wasser stand und die grünen Fliegen verscheuchte, die um den zermatschten Schlangenkopf schwirrten, hörte ich hinter der Biegung etwas plätschern. Ich blieb stehen und lauschte eine Minute, dann ging ich weiter und schlich mich bis an die Kante des großen Lochs, das ein Straßenbautrupp vor Jahren auf der Suche nach Schotter in die Schlucht gesprengt hatte. Ich dachte, falls es sich um die verdammte Bande von Jungs handelte, die meinen alten Schulbus mit Steinen beworfen hatte, könnte ich sie vielleicht mit der toten Schlange erschrecken. Henry Skiver hatte mir erlaubt, in dem Bus zu wohnen, der hinter seinem Grundstück stand. Henrys Daddy hatte ihn früher als Hühnerstall benutzt, aber ich hatte ihn ordentlich sauber gemacht, und dann war es nicht mehr so schlimm. In letzter Zeit hatten diese Jungs aber so viele Löcher in das Dach geschlagen, dass ich jedes Mal, wenn es regnete, auch genauso gut in einer Badewanne hätte wohnen können.

Ich hätte mich beinahe verschluckt, als ich an die Kante kam und den Mackey-Jungen entdeckte; er hatte seine eigene Schwester am Wasserrand niederknien lassen und stand nackt hinter ihr. Ich schlich abseits des Pfades ein paar Schritte näher, legte mich vorsichtig auf den Boden und kroch hinter ein paar Traubenkirschbüsche, um zuzuschauen. Mein Herz pochte so sehr, dass ich dachte, sie würden es hören, aber Truman und seine Schwester machten einfach weiter, als wären sie die einzigen Menschen auf diesem kleinen Flecken von Gottes sündiger Welt.

Heutzutage würden die meisten Menschen wohl verhungern, wenn sie so lebten wie ich, schätze ich, aber ich habe schon vor Jahren gelernt, dass ein Mann in dieser Welt überleben kann, ohne der Nigger eines anderen zu sein, wenn es ihm egal ist, was er isst. Damals, ich war neunzehn, hatten sie angefangen, die jungen Kerle zum großen Krieg gegen Deutschland einzuziehen, und ich versteckte mich mit nichts anderem als einem Taschenmesser und einem Bindfadenball, den ich aus Floyd Bowmans Scheune geklaut hatte, fast drei Jahre lang auf den Mitchell Flats. Mein Alter bekam einen Anfall, als ich ihm sagte, ich würde der Einberufung nicht Folge leisten, und spuckte mir alle möglichen Schimpfwörter ins Gesicht, so als sei ich nur ein Haufen Dreck. »Jake, du verdammtes Stück Hühnerschiss, wenn du wegläufst, kann ich hier niemandem mehr in die Augen schauen«, sagte er; ich ging in dieser Nacht trotzdem weg. Ich war mein ganzes Leben lang nie weiter als zwei Meilen von Knockemstiff entfernt gewesen. Seitdem ist so mancher Tag vergangen, an dem ich bedauert habe, ihm an jenem Abend nicht klargemacht zu haben, wie ich die Sache sah. Aber verdammt, wie hätte ich meinem Alten denn sagen sollen, dass ich nicht so sehr Angst vor dem Kämpfen hatte, davor, wie die anderen Jungs eingezogen zu werden und mich abknallen zu lassen, sondern davor, die Senke zu verlassen?

Die kleine Mackey war kaum älter als vielleicht zwölf, aber sie drückte sich gegen ihren Bruder, als hätte sie schon einige Erfahrung vorzuweisen. Truman war fünfzehn oder sechzehn, lang und dürr wie eine Bohnenstange, genau wie sein vorlauter alter Herr. Er presste sich ein paarmal in sie rein, bis sie sich wand, dann sprangen beide auf, reckten die Arme in die schwüle Luft und schrien: »Jesus, erlöse mich!« Und jedes Mal, wenn sie das riefen, ließen sie sich lachend rücklings ins Loch fallen. Dann trat Truman wieder hinter sie, das schlickige braune Wasser tropfte von ihm auf sie herab, und sie fingen von vorn an. Gott im Himmel, meine Familie hatte es nicht so mit der Religion, aber als ich diese Worte aus ihren Mündern kommen hörte, trafen sie mich so sehr wie die, die mein Alter mir in der Nacht an den Kopf geworfen hatte, als ich abhaute. Ich wollte schon aufstehen, dachte, wenn sie wissen, dass ich hier bin, rennen sie nach Hause und überlegen sich noch mal, was sie da eigentlich machen. Aber dann ließ ich es, und je länger ich dort lag und sie beobachtete, desto mehr redete ich mir ein, dass sie wohl nur ihre eigene Art zu beten gefunden hätten, dass sie vielleicht wirklich den Erlöser anriefen oder auch nur jemanden, der auftauchte und die Sünden von ihnen nahm.

Als ich damals verschwand und mich auf der Hochebene vor dem Militär versteckte, erlaubte mir mein alter Herr nicht, irgendetwas mitzunehmen außer der Latzhose, die ich anhatte, meinem schweren Regenmantel und dem Taschenmesser. In den drei Jahren litt ich entsetzlich Hunger, aber ich gewöhnte mich an dieses leere Gefühl, das an meinen Eingeweiden nagte, denn ich wusste, das war noch lange nicht so schlimm wie manche der Gefühle, die andere Menschen mit sich herumschleppen. Ich ernährte mich meist von Futtermais, ein paar Eichhörnchen und Kaninchen, die ich fangen konnte, und den Sonnenbarschen und Flusskrebsen, die ich aus dem Black Run fischte. Im Winter blieb ich in dem Tipi, das ich mir aus Maisgarben errichtete, und bei gutem Wetter schlief ich unter einem Dornenstrauch oder in dem hohlen Baumstamm, der hinter Harry Freys Obstgarten lag. Ab und zu schlich ich mich mitten in der Nacht in die Senke und ging zu unserem Haus. Meine Mutter hielt immer Ausschau nach mir und legte mir ein paar Kekse in einem Beutel hinter das Räucherhaus, manchmal auch ein Stück Fleisch, wenn es welches gab.

Ich kann mich überhaupt nur an ein einziges Mal erinnern, dass ich einen wirklich vollen Bauch hatte, und das war vor ein paar Jahren, als Maude mir eine ganze Mortadella gab, von der sie befürchtete, sie könnte bald schlecht werden. Sie meinte, vielleicht könnte ich sie an den streunenden Beagle verfüttern, der mir damals hinterherlief, aber ich kaufte mir einen Laib Brot, brachte beides zum Schulbus und aß das ganze verdammte Ding allein auf, bis mir schlecht wurde. Es dauerte einen ganzen Monat, bis ich das überstanden hatte, und seitdem kann ich nie mehr als ein paar Bissen auf einmal zu mir nehmen.

Ich kroch näher ans Ufer, und schon bald war ich nahe genug, um ein paar Tropfen abzubekommen, wann immer die beiden ihren kleinen Tanz aufführten. Es war ein wunderschöner Anblick, wie die Sonne durch die Platanen auf dieses junge Mädchen fiel und alles, was es tat, in etwas Schönes, Goldenes verwandelte. Ich spürte, wie ich hart wurde und durch meinen Overall gegen den Boden drückte, und ich schätze, mir wurde ganz schwindlig vom Zuschauen, wie sie da vor ihrem Bruder vor- und zurückfuhr. Ich erinnere mich noch daran, wie ich den toten Schlangenkopf an meine Lippen nahm und ihn so küsste, wie ich Männer ihre Frauen bei Nacht in den Schlafzimmern hatte küssen sehen. Vielleicht war es die Hitze, vielleicht war es der Anblick, aber ganz plötzlich war mir, als würde alles in mir herumwirbeln wie in einer Gewitterwolke.

Ich hatte mich etwa ein Jahr lang auf den Flats versteckt gehalten, als ich eines Nachts in der Hoffnung auf ein paar Kekse in die Senke kam und meine Familie fort war. Das alte Haus war leer, jemand hatte alle Fenster ausgebaut und die Türen aus den Angeln gehoben. Im Räucherhaus lag ein Brief, in dem stand, dass mein kleiner Bruder Bill auf irgendeiner Insel draußen im Meer ums Leben gekommen sei und sie nach Kentucky zurück ziehen würden. Von dort stammte mein alter Herr. Bis zu diesem Brief hatte ich nicht mal gewusst, dass mein Bruder in der Armee gewesen war, dabei konnte er kaum älter als Truman Mackey gewesen sein, als er ums Leben kam. Ich stand da, erkannte die Handschrift meiner Schwester und wünschte mir, sie hätten mich mitgenommen, aber mein Alter hatte Billy sowieso immer allen anderen vorgezogen, und ich schätze, es machte ihn traurig, dass er den Jüngsten verloren hatte und nicht mich. Ich habe sie nicht wiedergesehen, und ich bin nie das Gefühl losgeworden, dass ich nirgendwo auf der Welt sonderlich willkommen bin.

Später in jenem Sommer schickte das Militär zwei Jungs in grünen Uniformen los, um mich einzufangen, und ich habe mich immer wieder gefragt, ob mein Alter ihnen vielleicht einen Tipp gegeben hatte, wo sie suchen sollten. Man konnte die beiden schon aus einer Meile Entfernung durch den Wald trampeln hören; als ich merkte, dass sie nur zu zweit waren, kam ich heraus und ließ mich sehen. Den ganzen Tag über führte ich sie an der Nase herum, bergauf, bergab, gerade weit genug vor ihnen, dass sie nicht auf mich schießen konnten. Am Abend waren sie völlig erledigt; ich hörte, wie sie die Hinterwäldler und die Dornen verfluchten, und der Dickere von den beiden sagte zum anderen, in der Nacht würden doch die Pumas rauskommen und dass sie besser vor Einbruch der Dunkelheit vom Hügel runter sollten. Ich wollte sie allerdings noch nicht ziehen lassen, also brach ich direkt hinter ihnen einen Ast von einem Baum, sodass die beiden hochschreckten und weiter hinter mir herjagten. Diesmal führte ich sie in die kleine Senke, die ich mir für den Fall gesucht hatte, dass ich einmal in Schwierigkeiten geriet.

Irgendwie landete die kleine Mackey in meinen Armen. Ich rechne nicht damit, dass mir das irgendjemand glaubt, aber es war so, als würde plötzlich die dunkle Wolke in meinem Schädel aufbrechen; ich schlug die Augen auf und sah einen Engel. Ich fuhr mit den Fingern durch ihr nasses Haar und versuchte sie zu beruhigen, doch sie heulte und sagte etwas über ihren Bruder. Ich sah hinüber und entdeckte Truman, der mit blutüberströmtem Kopf dalag, sein Ding war noch immer steif und ragte aus dem Wasser wie ein geschnitztes Stück Holz. Dann bemerkte das Mädchen die Schlange, die ich um den Hals trug, und schrie so laut, dass ich befürchtete, man könnte es bis auf die Straße hören. Also hielt ich ihr den Schlangenkopf vors Gesicht und sagte, ich würde sie auf sie loslassen, wenn sie nicht leise sei. Doch davon schrie sie nur noch mehr, und schließlich musste ich ihr meine Hände um den Hals legen und ein wenig zudrücken, gerade genug, dass sie sich beruhigte und mir langsam aufging, was mit dem Jungen passiert war. Ihr Gesicht wurde so rot wie eine Himbeere, ihre Augen verdrehten sich im Schädel, bis nur noch das Weiße zu sehen war, und ich ließ sie los und drückte ihr die Nase in den Schotter. Ich erinnere mich noch, dass etwas Matsch neben ihrem Ohr landete und ich ihn mit der Hand auf ihrem Kopf verrieb. Danach beruhigte sie sich, ich zog meine Latzhose herunter und schob ihn ihr rein, so wie ich es bei ihrem Bruder gesehen hatte. Ich versuchte sie dazu zu bringen, solche Sachen zu sagen, wie ich sie bei manchen Frauen gehört hatte, wenn sie es mit ihren Männern machten, aber die Kleine hier, die konnte nur wimmern und weinen.

Ich führte die beiden Soldaten an jenem Abend zu einer kleinen ausgewaschenen Furche mit Schiefersteinen und Totholz am Grund; den ganzen Sommer über hatte ich dort Kupferköpfe gefangen. Bis die beiden Kerle an der Kante angekommen waren, war ich schon auf der anderen Seite wieder nach oben geklettert und sah zu ihnen zurück. Wie ich bereits sagte, es war nur noch wenig Licht, sie standen am unteren Ende der Furche, blickten hinein und wussten nicht, was sie tun sollten. Ich sah, wie einer von ihnen sich eine Zigarette anzündete, und ich war nah genug, um zu riechen, dass es gekaufte Zigaretten waren. Dann warf ich einen Stein vor die beiden hin, und der Dürre sagte: »Bei Gott, Jesse, ich glaub, jetzt haben wir den Scheißkerl.« Sie kletterten über die Baumstämme, mit denen ich das untere Ende blockiert hatte, und eilten in die Furche, als ich sah, wie eine riesige Schlange aus der Flanke geschossen kam und den einen Kerl so kräftig mitten ins Gesicht traf, dass er rücklings hinfiel. Er versuchte noch immer, sich die Schlange von der Wange zu reißen, als der andere schon kehrtgemacht hatte, weglief und wild durch die Gegend ballerte.