Kommissar Aiwanger - Martin Ehrensberger - E-Book

Kommissar Aiwanger E-Book

Martin Ehrensberger

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Beschreibung

Ein Mord zwischen Maßkrug und Blasmusik. Und mittendrin: Aiwanger. Als auf einem Volksfest im Altmühltal ein Mann tot zusammenbricht, geht man schnell von einer natürlichen Ursache aus. Doch Kriminalhauptkommissar Hubert Aiwanger - schwer, schrullig, scharfsinnig - hat ein verdächtiges Jucken hinter dem Ohr. Und das bedeutet nichts Gutes. Zusammen mit der ehrgeizigen Frida Karlsson-Konrad, frisch importiert aus dem hohen Norden, stößt Aiwanger auf eine Reihe mysteriöser Todesfälle - alle auf Volksfesten, alle ältere Männer, alle „unauffällig“. Zwischen Saukopf-Drohungen, zünftigen Wirtshausszenen und eigenwilligen Dorfbewohnern beginnt ein aberwitziger Kriminalfall. Doch eines ist sicher: In der Oberpfalz stirbt man nicht einfach so. Nicht ohne Grund. Nicht ohne Aiwanger. Ein Krimi mit Herz, Humor - und Hopfen.

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Seitenzahl: 234

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

PROLOG 

Teil 1 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

16 

17 

Teil 2 

18 

19 

20 

21 

22 

23 

24 

25 

26 

27 

28 

29 

30 

31 

32 

33 

34 

35 

36 

Teil 3 

37 

38 

39

40 

41 

42 

43 

44 

45 

46 

47 

48 

49 

50 

51 

52 

53 

54 

 

 

 

 

Originalausgabe: Kommissar Aiwanger - Prost, du Sack! 

 

© WOLFSTEIN 2025 

ein Imprint der Spielberg Verlagsgruppe, Neumarkt 

Spielberg Verlag GmbH, Am Schlosserhügel 4a1 

92318 Neumarkt, [email protected] 

Lektorat: Kati Auerswald 

Coverdesign: © Ria Raven www.riaraven.de 

Illustrationen: © shutterstock.com 

Alle Rechte vorbehalten. 

Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden 

 

ISBN: 978-3-95452-135-7 

 

www.spielberg-verlag.de 

 

 

 

 

Martin Ehrensberger wurde in Regensburg geboren. Heute lebt der Realschullehrer mit seiner Frau und den zwei Töchtern in einem kleinen, beschaulichen Ort auf dem Lande. Dort verwirklicht er gerne als Autor und Musiker kreative Projekte und betreibt einen YouTube-Kanal. Inzwischen sind vier Sachbücher erschienen. Nach seinem Debüt »Ottilie Finkenmeier«, folgte mit »Marianne Birkenhuber« sein zweiter Roman.

»Kommissar Hubert Aiwanger - Prost du Sack« ist der Auftakt einer neuen bayrisch-bissigen Krimireihe. 

 

 

 

Geschichte und Personen sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen wären rein zufällig. 

 

 

 

 

Ich danke meiner Familie Tessa, Sara und Sandra, sowie meinen Eltern für die Unterstützung. Ebenso bedanke ich mich herzlich bei meinem Verleger Herrn Windmeißer für das erneute Vertrauen und die unkomplizierte Zusammenarbeit. 

PROLOG 

 

22. August 2022 

 

 

Das Summen der Generatoren verklang, und der süße Geruch von Zuckerwatte hing schwer in der stillen Nachtluft. Während auf dem Festplatz hinter ihm die farbenfrohe Beleuchtung des Riesenrads erlosch, erstarb in ihm das Licht des Lebens. Die Luft war feucht und roch nach Erde und Laub. Keiner der Festgäste, die sich oftmals eher schwankend als souverän gehend auf den Heimweg machten, nahm von ihm Notiz. Niemand bemerkte die unheimliche Stille, die von dem Gebüsch ausging. Für ihn wäre ohnehin jegliche Hilfe zu spät gekommen. Das Finale grandioso dieses Mannes war bereits vorher ohne sein bewusstes Zutun eingeleitet worden. Eine Körperfunktion nach der anderen hatte innerhalb weniger Minuten planmäßig ihren Dienst quittiert. Am Ende hatte er schließlich die komplette Kontrolle über sich und sein Bewusstsein verloren. Eine Stunde zuvor war die Welt für ihn noch vollkommen in Ordnung.

»Zicke zacke, zicke zacke, hoi, hoi, hoi. Prost! Ihr Säcke!« Der überdrehte Sänger Jürgen Bader brüllte den bekannten Spruch zum wiederholten Male der unüberschaubaren Masse an überwiegend Jugendlichen und jung gebliebenen Erwachsenen entgegen.

»Prost! Du Sack!«, schallte es reflexartig wie ein Echo aus etwa 2000 aufgekratzten Kehlen zurück zur Bühne. Sie hatten nur auf das traditionelle Kommando gewartet, ihre trockenen Stimmbänder mit einem Schluck des Getränks aus dem gläsernen Maßkrug befeuchten zu können.

Die nach eigener Aussage »beste Dorfkapelle der Welt« läutete gegen 22:30 Uhr die letzte Runde an diesem denkwürdigen Abend ein.

Eine der beliebtesten Partybands Bayerns hatte ihr Heimspiel. Die Musiker stammten alle aus dem Landkreis Neumarkt. Es war der letzte Abend des Juravolksfestes und die Festhalle war seit dem frühen Abend bis auf den letzten Platz gefüllt gewesen. Mit den ersten Zeilen schaffte es der charismatische Frontman der Band, die Menschenmassen nach seinen Kommandos zu dirigieren.

Der Gast konnte sich sehr für dieses wundersame Schauspiel begeistern. Zum einen war es für ihn schwer nachvollziehbar und zum anderen unglaublich faszinierend zugleich. Denn bei dieser Kapelle funktionierte es jedes Mal. Er saß in einer der hinteren Reihen, um sich dieses nicht entgehen zu lassen. Ein Abend wie dieser auf dem Volksfest war für ihn ein komprimiertes Spiegelbild der Gesellschaft.

Er wollte nichts verpassen. Darum hatte er sich, leicht angeheitert, zu einer vierten Maß Festbier überreden lassen. Ein kurzes »A geh, oane geht scho no, oder?«, von der feschen, vollbusigen Bedienung war bereits ausreichend gewesen, um ihn zu überzeugen.

»Ihr machts mich fertig. Der Wahnsinn. Könnts ihr no? Dann gebm ma nomal Vollgas.« Höchst professionell stachelte der Sänger die längst nicht mehr nüchternen Gäste an mit ihnen die großartige Party bis zum Ende zu feiern.

Wie versprochen machten die Zipfelklatscher bis zum Ausklang der letzten Zugabe mit ungebremstem Enthusiasmus weiter. Es folgten uralte, generationenüberdauernde Evergreens wie ›Griechischer Wein‹, ›Ich war noch niemals in New York‹ oder ›Über den Wolken‹. Bei diesen Gassenhauern war es unerheblich, wie viel man bereits getrunken hatte. Diese Texte konnte man selbst im Vollrausch einigermaßen verständlich von sich geben.

Der Gast aus der hinteren Reihe stand auf, als die Band gerade mit ihren Zugaben begann. Bis zum Ausgang musste er einmal die Halle durchqueren. Dieses Unterfangen stellte sich für ihn schwieriger dar, als es ihm in diesem Augenblick selbst bewusst war. Stellenweise drohte er die Kontrolle zu verlieren. Er suchte nach Möglichkeiten, um sich nach Kräften festzuhalten, um nicht zu stürzen. Mental fühlte er sich bestens und wie die hartgesotteneren Festgäste in ausgelassener Stimmung. Sein beinahe hilfloses Unterfangen, möglichst sicher und unfallfrei die Halle zu verlassen, wurde aus sicherer Distanz genau beobachtet. Die Konsequenzen für den Gast waren klar und eindeutig gewesen. An diesem Abend hätte es jeden treffen können. Dieser hatte das große Los gezogen und würde in Kürze in den Glückshafen der Ewigkeit einlaufen.

Teil 1 

 

 

 

 

1982 

 

 

Hass begleitete sie wie ein alter Schatten. Ihr Stiefvater war der Ursprung dieses nagenden Gefühls. Nie zuvor hatte sie etwas so sicher gewusst. Die letzten Jahre waren für ihre Mutter in diesen schäbigen vier Wänden die Hölle auf Erden gewesen. Wie hatte sie sich in eine so fürchterliche Person verlieben können? Wenn jemand absolutes Pech mit Männern hatte, dann war es ihre Mutter. Neun Jahre zuvor hatte sie als Betriebsunfall das Licht der Welt erblickt. Ihre Mutter war mit gerade mal 16 Jahren selbst noch ein Teenager gewesen. Eine Woche vor der Geburt hatte sie ihrem damaligen Freund die frohe Botschaft offenbart, er würde in Kürze Vater werden. Er war sogar ein Jahr jünger als sie gewesen und aus allen Wolken gefallen. Sie hatte immer weite Sweatshirts getragen und es geschafft, ihre Schwangerschaft sowohl vor ihm als auch ihren Eltern geheim zu halten. Der junge Mann zeigte seinen wahren Charakter, indem er kurzerhand das Weite suchte und ihre Mutter mit dem ungeborenen Baby sitzen ließ. Er wollte sich nicht seine Jugend und seine besten Jahre für zwei Minuten Spaß ruinieren.

Konnte man eine abgrundtiefe Abneigung gegen eine Person hegen, die man niemals kennengelernt hatte? Durchaus! Wer war der Feigling, den sie Vater nennen könnte? Sie wusste nicht einmal seinen Namen. Ihre Großeltern waren genauso wenig begeistert gewesen. Offensichtlich hatten sie mit ihrer Tochter ein Abkommen geschlossen, ihrer Enkelin niemals den Namen ihres Erzeugers zu verraten. Opa Hans und Oma Gisela waren einfache und liebevolle Menschen, die auf Kosten des Staates lebten. Dennoch versuchten sie, im Rahmen ihrer äußerst begrenzten finanziellen Mittel, ihrer einzigen Enkelin ein vernünftiges Zuhause zu bieten. Ebenso ließen sie das kleine Wesen zu keinem Zeitpunkt spüren, dass es sie niemals hätte geben dürfen. Das Baby konnte nichts dafür. Ihre Mutter schon. Deshalb erwarteten sie, dass ihre Tochter mit ihrem Nachwuchs so rasch wie möglich in eine eigene Wohnung zog.

So geschah es nach einigen Monaten. Ihre Eltern waren zwar arm, aber konsequent gewesen. Sie hatten durch ihre eigene harte Schule des Lebens gelernt, wie wichtig es war, auf sich und seine Habseligkeiten wie ein Pinguin auf sein einziges Ei aufzupassen, wenn man in dieser kalten und gnadenlosen Welt überleben wollte. Diesen Lernprozess sollte ihre Mutter durchlaufen. Innerhalb kürzester Zeit fand sie mithilfe des Staates eine Sozialwohnung, nur wenige Straßen von ihren Eltern entfernt. Sie befand sich in der Platensiedlung in Ginnheim, nahe Frankfurt am Main. Die gleichförmigen, grauen Häuserzeilen aus Beton wirkten kalt und abweisend, als hätten sie jegliches Leben aus ihren Mauern gesogen. Die Luft war durchzogen von einem stechenden Geruch nach feuchtem Putz und Moder.

Es handelte sich um eine ehemalige Housing-Area des US-Militärs, die heute den Ruf eines typischen Frankfurter Ghettos mit entsprechendem Personal genoss. Bereits als Kind hatte sie sich ein Ziel gesetzt. Sie wollte nur noch weg. So schnell wie möglich. Raus aus diesem heruntergekommenen, abgewohnten Apartment und der tristen Gegend. Weg von den Junkies und alkoholisierten Schlägern. Jeder Ort war besser als dieser. Außerdem wollte sie niemals so enden wie ihre Mutter oder Oma und Opa. Sie hatten etwas Besseres verdient. Die Frage war nur, wie?

02. August 2023 

 

 

»Hast du es schon gelesen, Wammerl?«, fragte Karl Gatzmeister, der hagere Bürgermeister von Lupburg seinen Freund, den Kriminalhauptkommissar Hubert Aiwanger.

»Na, was?«, sagte dieser nur halb interessiert. Seine eigentliche Aufmerksamkeit galt dem heißen Kesselfleisch, welches dampfend in einer Schüssel vor ihm auf dem Wirtshaustisch stand.

Der stets neugierige Ortsvorsteher fuhr mit seinen Neuigkeiten fort: »Am Volksfest in Dietfurt hat es letzten Freitag einen Toten gegeben.«

»Ja, mei, der wird halt zu viel gesoffen haben«, sagte der Kommissar wenig interessiert. Er konnte es absolut nicht leiden, wenn man ihm beim Essen störte, noch dazu, wenn es sich um seine Leibspeise handelte. Er liebte diese Abende, an denen er mit seinen beiden langjährigen Freunden ihrem gemeinsamen Hobby nachgehen konnte: dem Zuführen von kulinarischen, cholesterinfördernden Köstlichkeiten und ausreichend original bayerischem Gerstensaft.

Doch seine Natur als Kriminalpolizist ließ ihn nicht los. Der Todesfall setzte seine Gedanken in Bewegung. Der Duft von geschmortem Fleisch und frisch gezapftem Bier lag in der Luft, während das leise Klappern von Geschirr den Raum füllte.

»Das ist nicht schön, aber zum Glück nicht bei uns, Amen«. Der dritte im Bunde, der katholische Pfarrer des Ortes Nepomuk Waldmann, kommentierte auf seine trockene Art das Gespräch.

»Du Depp, wir haben ja auch kein Volksfest. Weiß man wer‘s ist, Kare?« Aiwanger war nun doch interessiert. Das ›Ermittler-Gen‹ des Kriminologen schlug immer wieder durch.

»Ich weiß es nicht, aber ich hab gehört, es war a Mann, der auf dem Weg zum Parkplatz hingefallen und nicht mehr aufgestanden ist.«

»Dann lasst uns unsere Gläser heben, anstoßen und auf den Verstorbenen gemeinsam ein ›Vater Unser‹ sprechen.« Pfarrer Waldmann versuchte das Gesprächsthema zu beenden.

Der Geistliche hatte naturgemäß etwas Ausgleichendes und Friedenstiftendes an sich. Zudem war er weder dem Messwein abgeneigt noch verwehrte er sich anderen irdischen Genüssen. Mit der Enthaltsamkeit hielt er es generell nicht so genau, denn vor Gott ist jeder sein eigener Mensch. Mensch bleibt Mensch, egal ob mit oder ohne Stehkragen. Da durfte man nicht päpstlicher sein als der Papst.

Im Dorf und auf der Dienststelle wusste jeder, wer mit Wammerl, aufgrund seiner Leibspeise dem mageren Schweinebauch, gemeint war. Als Kind wurde er auch gerne Hubsi genannt, aber diese Bezeichnung hatte sich nicht durchgesetzt. Dieser Name passte zufälligerweise ideal zu seinem äußeren Erscheinungsbild: 1,69 Meter klein und eher kugelförmig. Dies resultierte aus seinem langjährigen kulinarischen Investment in sich selbst. Diese knuffige Optik wurde verstärkt durch seinen rundlichen, kahl rasierten Schädel, seinen flauschigen, mausgrauen Vollbart und der dicken, schwarzen Hornbrille auf seiner breiten Nase. Neben der Personenwaage war die Bewegung sein größter Feind. Notgedrungen musste er bereits seit fünf Wochen Krankengymnastik über sich ergehen lassen. Vor einigen Monaten hatten seine alten Hüften, sie waren immerhin bereits 62 Jahre alt, ihren Dienst vorerst quittiert. Die Folge war das operative Einsetzen zweier Ersatzgelenke, drei Wochen Reha in Bad Füssing und der eindringliche Rat der Ärzte, er möge dringend seine Ernährungsgewohnheiten ändern.

Dies war nun die letzte Woche, die er krankgeschrieben war. An diesem Abend verlegten die drei Kumpanen ihren wöchentlichen Mittwoch-Stammtisch ausnahmsweise zum Gasthaus ›Sau-Fritz‹ in Neuniederhausen. Der Wirt Fritz Gschwandner hatte Stammgäste zum Schlachtschüsselessen eingeladen. Ansonsten öffnete er sein altes Dorfwirtshaus nur noch zu besonderen Anlässen wie zu einem politischen Frühschoppen oder einem Leichenschmaus. Für die drei Herren aus dem Nachbarort war dies stets ein Pflichttermin.

»Was ist denn los mit dir, Wammerl? Du siehst aus als ob du mit deinen Gedanken ganz woanders wärst«, sagte Karl Gatzmeister einige Minuten später. Hubert Aiwanger war ungewohnt ruhig.

»Ah nix. Passt schon, mich juckts nur hinterm rechten Ohrlapperl. Immer wenn des der Fall ist, stimmt etwas nicht.« Der Kommissar hatte bemerkt, dass die an sich belanglose Frage seines Freundes etwas in seinem Kopf in Gang gesetzt hatte.

»Denken wir nicht an das Schlechte. Genießen wir das Essen – Prost auf das Schwein, das für uns starb.« Das saftige Fleisch dampfte auf den Tellern, begleitet von dem erdigen Aroma frisch gerührter Soße. Allen Anwesenden lief das Wasser im Mund zusammen. Den weisen Worten des Geistlichen war nichts hinzuzufügen. Insgeheim ahnte Kriminalhauptkommissar Hubert Aiwanger jedoch, dass ihn diese Nachricht länger beschäftigen würde.

 

 

»Des war guad«, dachte sich der Kommissar, als er um Viertel nach zehn die hölzerne Wohnungstür aufsperrte. Aiwanger lebte allein in einem sanierungsbedürftigen Altbau in der Marktstraße in Lupburg. Nur seine treue, halbseitig blinde Katze Brunhilde erwartete ihn dort. In den letzten Monaten hatte er weder die Zeit noch den inneren Antrieb verspürt sich den notwendigen Arbeiten am Haus zu widmen. Der modrige Geruch alter Tapeten durchzog die Wohnung, während Brunhilde ihm mit halb geschlossenen Augen entgegenblinzelte.

Auf dem Namensschild stand neben Hubert noch der Name seiner Ex-Frau, Christine. Mittlerweile waren sie seit einem Jahr geschieden. Nach zahlreichen Jahren Ehe hatte sie es am Ende satt einen fetten, bequemen Fleischklops als Ehemann zu haben. Hubert Aiwanger war mit Leib und Seele Kriminalpolizist. Seinen Mangel an Agilität und Schnelligkeit hatte er in all den Dienstjahren durch ein herausragendes Bauchgefühl ausgeglichen. Auf das Jucken hinter seinem Ohr konnte er sich immer verlassen. Viel zu oft hatte er sich Hals über Kopf auf Kosten der gemeinsamen Zeit mit seiner Frau in einen spannenden Fall gestürzt. Die Konsequenzen seiner schlechten Ernährung und des Mangels an Sport waren für sie immer sichtbarer und zudem untragbarer geworden. Trotz ihrer gut gemeinten Ratschläge und eindringlichen Bitten hatte er sich jahrelang gehen lassen. Dazu passte seine Lebenseinstellung: »Bevor ich mich aufreg‘, ist‘s mir lieber wurscht.«

Einen gemeinsamen Weg als Paar hatte es für sie seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gegeben, denn jeder lebte sein Leben neben-, aber nicht miteinander. Diese alte Bauruine, sein Elternhaus, hatte ihr nie ein heimisches Gefühl vermittelt, da es oft kalt und modrig war. Das Fass zum Überlaufen hatte dann tatsächlich der zwölfte Hochzeitstag vor einem Jahr gebracht. Sie hatte der Sache eine letzte Chance gegeben und als Überraschung einen Tisch für sie beide reserviert – bei Willi Hinreiner in seinem Gasthaus ›Zur Historischen Linde‹. Für sie wäre es ein letzter Strohhalm gewesen, um mit ihm in Ruhe bei herrlichem Essen reden zu können. Dazu war es nicht gekommen. Kriminalhauptkommissar Hubert Aiwanger war so in einen Fall vertieft gewesen, dass er den Termin mit seiner Frau schlicht und ergreifend vergessen hatte. Der Gipfel der Unverschämtheit war gewesen, dass er an diesem für sie wichtigen Abend überhaupt nicht nach Hause gekommen war. Am nächsten Tag fand er auf dem Küchentisch die handgeschriebenen Abschiedsworte von Christine.

Das nächste und zugleich letzte Mal traf er auf seine Frau vor dem Scheidungsrichter. Nichts war ihm ferner gewesen, als der Vergangenheit nachzutrauern oder einen Groll gegen seine Ex-Frau zu hegen. Wahrscheinlich hätte er an ihrer Stelle genauso gehandelt. An Selbstbewusstsein hatte es ihm nie gemangelt. Er lebte nach dem Glaubenssatz: »So, wie‘s gerade ist, so ist‘s gut, weil sonst wäre es anders.« Bisher hatte er keine Anstalten unternommen eine neue Partnerin zu finden, denn eine Frau, die er für tageslichtfähig halten und die ihn so nehmen würde wie er eben war, würde es hier in der Gegend nicht geben.

Nächste Woche würde er sich wieder in den Dienst der Gräueltaten und menschlichen Abgründe stellen. Als er behäbig die Treppen hochstieg, wurmte es ihn noch immer, dass ihn die Nachricht von dem Toten auf dem Volksfest derart beschäftigte.

An Schlaf war an diesem heißen Abend im August aus mehreren Gründen nicht zu denken. Erstens schlug ihm das deftige Abendessen sehr auf den Magen, zweitens war es viel zu warm um diese Uhrzeit.

»Am Montag muss ich mal schauen, was da in Dietfurt los war«, nahm er sich vor, während er sich ein kühles Helles aus dem Kühlschrank genehmigte. Das vertraute Jucken hinter seinem Ohr blieb. Sein Geigerzähler für Gefahr hatte ihn selten getäuscht. Das Flackern der altmodischen Glühbirne verstärkte die Unruhe, die ihn seit dem Abendessen nicht losließ.

Warum hatte sich nach Wochen dieses beinahe verloren geglaubte Gefühl gerade in dem Moment bemerkbar gemacht, als er auf den Toten vom Volksfest angesprochen wurde? Etwas hatte sich verändert. Wie ein Phantomschmerz arbeitete es in ihm. Obwohl er ansonsten eher grobschlächtig und empathielos war registrierte er, wie sich seine im Dämmerzustand des Dahinsiechens verschütteten Lebensgeister zu regen begannen. Dann fiel sein Blick auf den Anrufbeantworter, der unaufhörlich blinkte und eine neue Nachricht signalisierte.

»Sie haben 37 neue Nachrichten.«

Die Prospekte und Werbeanzeigeblätter hatten sich im Laufe der letzten Wochen wie ein Algenteppich über dem altmodischen Gerät ausgebreitet. »Na sauber, des kann ja wos werd‘n«, dachte sich Kriminalhauptkommissar Aiwanger mit der Begeisterung eines Vaters, dessen Sprössling gerade die letzte Fahrkarte vom Kinderkarussell aufgebraucht hatte. Der Drang zu erfahren, ob etwas Wichtiges geschehen war, war in diesem Moment zu groß. Vielleicht würde dann das Jucken wieder aufhören. Also drückte Hubert Aiwanger den Abspielknopf für die erste Nachricht. Bereits nach dieser wusste er instinktiv alles, was notwendig war, um zu tun, was getan werden musste.

 

 

Konnte sie tatsächlich auf eine Mordserie gestoßen sein? Frida Karlsson-Konrad starrte fassungslos auf den Stapel Akten auf ihrem Schreibtisch. Ihre Aufregung wuchs mit jedem neuen Fund. Da sich das Büro im Keller der Polizeiinspektion Parsberg befand, war außer dem leisen Surren der Neonröhre nichts weiter zu hören.

Ihr Chef, Kriminalhauptkommissar Hubert Aiwanger, befand sich in der Endphase seiner Reha. Inzwischen musste er wieder zu Hause sein, denn nächste Woche würde er frisch erholt wieder seinen Dienst antreten. In den vergangenen Wochen war sie hauptsächlich auf sich allein gestellt gewesen. Zeitweise hatte sie die Kollegen auf Streife unterstützt, doch die meisten Arbeitsstunden hatte sie allein mit dem Aufräumen und Sichten von Akten verbracht. Das Alleinsein hatte ihr keine Probleme bereitet, sie war gut damit zurechtgekommen. Der Start in Parsberg war jedoch alles andere als einfach verlaufen. Ihr Chef war ein ganz besonderer Kauz, und hier waren kulturelle sowie sprachliche Welten aufeinandergeprallt. Außerdem trennte die beiden ein Altersunterschied von mehr als dreißig Jahren – er hätte gut und gerne ihr Vater sein können. Sie war froh, dass er es nicht war. Es hatte eine Weile gedauert, bis sich die beiden Polizisten aneinander gewöhnt und akklimatisiert hatten. Frida musste sich eingestehen, dass sie in den ersten Tagen seiner Abwesenheit ein Gefühl von Entspannung und Erleichterung verspürt hatte.

Inzwischen freute sie sich jedoch wieder auf seine Gesellschaft und den beruflichen Austausch. Sie konnte es kaum erwarten, ihm ihre Erkenntnisse mitzuteilen. Ebenso wusste er nichts von dem mysteriösen Fund in ihrem Briefkasten, der sich perfekt in das Bild fügte. Zum ersten Mal hatte sie vielleicht einen Fall entdeckt, den sie und Aiwanger gemeinsam lösen konnten. Die Stille im Raum wurde von ihrem schnellen Atem durchbrochen, während ihre Finger nervös die betreffenden Aktenseiten umblätterten und ihre Augen über die Notizen glitten.

Sie hatte das starke Gefühl, dass es etwas Großes sein würde. Es war einfach unglaublich, auch wenn sie die Sache noch nicht vollständig überblicken oder einordnen konnte. Gerade deshalb musste sie die Angelegenheit teilen – sie konnte es nicht länger für sich behalten. Den ganzen Tag über hatte sie überlegt, ob sie ihren Chef während seiner Erholung stören durfte. Doch es half nichts: Er musste es erfahren. Die Stille ihres Büros war drückend, nur das leise Summen des Computermonitors durchbrach die bedrückende Ruhe. Ihre Hände zitterten leicht, während sie das Telefon anstarrte. Sie wusste, dass sie seinen Tag ruinieren würde.

»Der Anrufer ist zurzeit nicht erreichbar. Sie können jedoch eine Nachricht hinterlassen.« Die mechanische Stimme des Anrufbeantworters klang kalt und distanziert. Frida spürte ein Prickeln im Nacken, während ihre Finger nervös über den Hörer glitten.

»Ich hätte es mir denken können. Wahrscheinlich liegt sein Diensthandy seit Wochen saftlos in einer Ecke«, ging es ihr reflexartig durch den Kopf. Glücklicherweise war ihr Vorgesetzter ein Mann einer anderen Generation und besaß noch einen Festnetzanschluss. Sie und ihr Mann sparten sich das Geld und kommunizierten ausschließlich über ihre mobilen Endgeräte.

»Typisch. Das hätte mich jetzt wirklich gewundert.« Die Polizeiwachtmeisterin war leicht genervt von ihrem Chef, obwohl sie ihn inzwischen recht gut einschätzen konnte. Der alte Herr ging nicht ans Telefon. Wahrscheinlich war es Absicht, damit niemand es wagte ihn in seiner wohlverdienten Ruhe zu stören. Es wäre zu schön gewesen, wenn alles glatt gelaufen wäre, er sofort beim ersten Klingeln abgehoben hätte und zwanzig Minuten später gut erholt und bester Laune auf der Dienststelle erschienen wäre. Träumen durfte man ja noch. Sie musste sich in Geduld üben, auch wenn es ihr schwerfiel. Schließlich hinterließ sie eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Dabei bemühte sie sich weder zu euphorisch noch zu aufgeregt zu klingen, sondern freundlich und sachlich. Immerhin war der Aufnahmespeicher seines Geräts nicht vollends ausgereizt. Besser als nichts.

Ihr Bauchgefühl ließ sie nicht los. Es war wie ein dumpfes Pochen, das sich in ihrem Hinterkopf festgesetzt hatte. Irgendetwas würde passieren, dessen war sie sich sicher. Der Anfang eines neuen Spiels, dessen Irrungen und Wirrungen sie noch nicht absehen konnte. Noch nicht. Den ersten Zug hatte sie soeben gemacht, der Rest würde sich bald zeigen.

»Beep – Nachricht eins, heute um 21:24 Uhr« 

 

 

»Moin Chef.«

Die kratzige Aufnahme des Anrufbeantworters vermischte sich mit dem entfernten Brummen des Kühlschranks. Aiwanger verspürte eine leichte Beklemmung, als Fridas Stimme die Stille durchbrach. Sofort erkannte er die etwas schrille Stimme seiner jungen Kollegin Frida Karlsson-Konrad. Eigentlich hätte diese Begrüßung ausgereicht, um den »Nachricht-löschen«-Knopf des Anrufbeantworters zu drücken. Doch dieses untrügliche Bauchgefühl hielt ihn davon ab.

FKK, wie er sie scherzhaft nannte, hatte vor einem Jahr ihren Freund Leon Konrad, einen Realschullehrer, geheiratet. Warum sie sich für einen Doppelnamen entschieden hatte, wusste nur sie selbst. Aiwanger fand solche Dinge schlicht »unnötig wie einen Kropf«. Da war er viel zu altmodisch. Obwohl Frida wusste, dass er diese Woche krankgeschrieben war, kontaktierte sie ihn ausgerechnet jetzt und auch noch über seine Privatnummer. Etwas musste ihr wirklich unter den Nägeln brennen. Wahrscheinlich blieb ihr keine andere Wahl. Das alte Diensthandy lag unter einem Stapel vergilbter Papiere und kostenlosen Werbeblättern, die seit Wochen niemand mehr angesehen hatte. Krümel vergessener Snacks hatten sich zwischen den Dokumenten eingenistet.

Obwohl Frida seit etwa elf Monaten seine einzige Kollegin in der eigens für ihn eingerichteten Abteilung war, stieg sein Blutdruck noch immer merklich, wenn er ihren norddeutschen »Fischkopf-Dialekt« vernahm. Statt Servus, Pfiad di oder Habe die Ehre sagte sie tschüss. Im Vergleich zu früher hatte er sich jedoch daran gewöhnt. Die anfängliche Ablehnung war einer Art vertrauensvoller Hassliebe gewichen. Mit ihrer aufgeschlossenen Art und ihrem messerscharfen Mundwerk hatte sie es geschafft, ihn immer wieder aus seiner Komfortzone zu locken.

Von einem Tag auf den anderen war sie als seine neue Partnerin da gewesen. Warum ausgerechnet er, Kriminalhauptkommissar Hubert Aiwanger, eine jugendliche Kollegin aus Bremerhaven zur Seite gestellt bekommen hatte, war ihm bis heute ein Rätsel. In den ersten Wochen hatte ihm das gar nicht gepasst – und er hatte es Frida deutlich spüren lassen. Aiwanger war ein eingefleischter Eigenbrötler, der sich ungern auf andere einließ. Vielleicht war es die viel zitierte Altersmilde, vielleicht auch ihre sympathische Art und ihr Talent. Mittlerweile war ihm der Grund »wurscht«.

Nach seiner Versetzung von Regensburg nach Parsberg war er zum Chef der neu gegründeten Abteilung SFA geworden. Die Abkürzung stand für: Spezielle Fälle Aiwanger. Anfangs hatte er nicht gewusst welches Aufgabengebiet diese Abteilung abdecken sollte. Schnell stellte sich heraus, dass er sich um Fälle kümmern sollte, die für die regulären Kripo-Einheiten zu unbedeutend waren, aber dennoch nicht ignoriert werden konnten. Im Grunde war die Abteilung eine Art Wühltisch für übersehene oder ungelöste Vorfälle. Wenn die Kollegen in Regensburg oder Nürnberg nicht weiterwussten, schoben sie die Fälle nach Parsberg ab.

Für Aiwanger war das eine ideale Lösung. Seine alte Dienststelle in Regensburg hatte ohnehin nicht viel von ihm gehalten. Seine Versetzung war eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Wichtig war ihm nur, dass er endlich tun konnte, was er wollte. Abgesehen von Frida natürlich. Sie hatte sich anfangs einen jüngeren, weniger verknöcherten Partner gewünscht, doch inzwischen hatte sich auch ihre Perspektive gewandelt.

Nach einigen Wochen und einem ersten gemeinsam gelösten Fall hatten sie als Team zusammengefunden. Frida hatte sogar ihr gemeinsames Büro im Keller der PI Parsberg wohnlich eingerichtet, sodass man Besuch empfangen konnte, ohne sich schämen zu müssen. Widerwillig hatte Aiwanger ihr freie Hand gelassen. Christine und er hatten sich bewusst gegen Kinder entschieden, doch insgeheim weckte Frida bei ihm väterliche Gefühle. Das knappe Budget für Dekoration hatte sie mit zwei nichts sagenden Landschaftsbildern aus dem Möbelhaus bestmöglich genutzt. Ihm war das egal. Sein Fokus lag stets auf der Arbeit, und genau das verband die beiden trotz ihrer Unterschiede.

»Ich hoffe du bist am Leben alter Mann, und achtest auf deine Gesundheit. Das ist heute der letzte von fünf Versuchen, dich zu erreichen. Es wäre sehr vorteilhaft, wenn du deine frisch restaurierte Karosserie morgen zu mir auf die Dienststelle wuchten könntest. Ich weiß, du hast diese Woche frei, aber vielleicht sehnst du dich nach etwas Arbeit oder wenigstens nach mir. Ich habe etwas entdeckt, das dich mit Sicherheit interessieren dürfte, in Bezug auf das Volksfest in Dietfurt. Bestimmt hast du schon von dem Todesfall gehört. Also, bis morgen, Wammerl. Ich freue mich.«

»Beep – Ende der Nachricht«

03. August 2023 

 

 

»Ja, guten Morgen FKK, schön, dass du dich auch einmal hier blicken lässt«, raunzte Kriminalhauptkommissar Hubert Aiwanger mit einem ironischen Unterton seiner jungen Kollegin Frida Karlsson-Konrad entgegen, als sie um kurz nach sieben Uhr das Büro betrat. Vor seiner Zwangspause hatte er ihr versprochen, sich mit seinem Dialekt zu mäßigen und zu versuchen, sich an der abendländischen Hochsprache nach seinen begrenzten Mitteln anzupassen. Er hatte es nicht vergessen, wenngleich er es nie schaffen würde, seine sprachlichen Wurzeln zu verleugnen. Das würde er auch nicht wollen.

 

Er hatte es zu Hause nicht mehr ausgehalten und war bereits vor zwei Stunden mit Kopfschmerzen aufgewacht. Nachdem er Fridas Nachricht gehört hatte, hatte sich das Jucken hinter seinem rechten Ohrläppchen erst recht verstärkt. Das war das Signal gewesen, sein Hallo-wach-Moment. Es war an der Zeit, sich wieder der Arbeit zu widmen. Er war sich sicher: Etwas stimmte mit dem Toten des Volksfests nicht. Er konnte es kaum erwarten, zu erfahren, was Frida herausgefunden hatte.

Reflexartig wie bei einem alten Ehepaar schallte ihm sofort ein »Moin, moin, mein Wammerl!« entgegen. Ihre Worte durchbrachen die morgendliche Stille des Büros, begleitet vom Rascheln ihrer Handtasche, die sie auf seinem Schreibtisch abstellte. Es sprudelte, wie er es gewohnt war, aus ihr heraus. Sofort kroch ihm der bekannte Duft ihres Parfums in die Nase. Er mochte den frischen Geruch von Orangen und anderen Zitrusfrüchten. Er neutralisierte den modernden Gestank seiner Hütte, der sich in seine Nasenschleimhaut regelrecht eingefressen hatte.

»Ich wusste, du würdest deine alten, aber hoffentlich fitten Knochen ins Büro schleppen. Wenn ich mir deine prächtige Figur ansehe, dann hätten dir ein paar Bananenchips und Tofu-Bällchen nicht geschadet. Sicherlich brennst du darauf zu wissen, weshalb vermutlich dein rechtes Ohr zu kribbeln angefangen hat.«

»Ja, leck, kennt die mich guad.« Hubert Aiwanger dachte sich diese Worte und war aufs Neue überrascht, wie gut ihn seine norddeutsche Partnerin zu lesen wusste. In manchen Situationen hatte er den Eindruck gewonnen, dass seine junge Kollegin ihn nach wenigen Monaten bereits besser kannte als seine Ex-Frau in den vergangenen Jahren ihres aneinander vorbeigelebten Alltags. In seiner unnachahmlich liebenswerten, charmanten Art, welche ihr zeigte, dass sie mit ihrem Kommentar voll ins Schwarze getroffen hatte, erwiderte er: »Ist schon recht, jetzt hock dich endlich her und erzähl mir, warum du mich aus meinem Krankenstand hergesprengt hast. Und wie schaut‘s denn hier überhaupt aus?«

In seiner Abwesenheit hatte die Polizeiwachtmeisterin nicht untätig herumgesessen, sondern in den Phasen, in denen sie nicht im normalen Streifenbetrieb aushelfen musste, hier unten in ihrem Kellerverlies für Ordnung gesorgt. Zu ihrem aufgeräumten Wesen passte zudem, dass sie es liebte, im Dienst in einer makellosen Uniform zu erscheinen, während ihr Chef täglich aussah, als ob er sich seine Klamotten aus dem Altkleidercontainer zusammengesammelt hätte.