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Kriminalhauptkommissar Roland Schäfer wird kurz vor der Rente ins beschauliche thüringische Steinbach versetzt, gegen seinen Willen. Statt Ruhe und Fachwerkidylle erwarten ihn eine herrische Sekretärin, ein unorganisiertes Revier und ein altes Haus, das eher Albtraum als Schmuckstück ist. Als seine Sekretärin Petra tot im nahen Wald aufgefunden wird, ist es vorbei mit der ersehnten Ruhe. Schäfer zweifelt schnell an einem Unfall und stößt bei seinen Ermittlungen auf skrupellose Geschäftsleute, politische Machenschaften und alte Ressentiments zwischen Ost und West. Doch erst mit dem Auftauchen der neuen Kollegin Anika beginnt für ihn eine unerwartete neue Zeitrechnung. Ein scharf beobachteter, atmosphärischer Regionalkrimi mit trockenem Humor, starken Figuren, und einem Kommissar, der mehr sieht, als andere hören wollen.
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Seitenzahl: 355
Veröffentlichungsjahr: 2025
Kommissar Schäfer und die Tote im Felsentheater
Heike Gehlhaar
© 2025 Heike Gehlhaar
Heike Gehlhaar c/o COCENTER Koppoldstr. 1 86551 Aichach
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung:
© Cover-und Umschlaggestaltung: Florin Sayer-Gabor – www.100covers4you.com
Unter Verwendung von Grafiken von Adobe Stock: Jürgen Wiesler, U.J. Alexander, Dmitry Ruhlenko
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin: tredition GmbH,
Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: Heike Gehlhaar c/o COCENTER, Koppoldstraße 1, 86551 Aichach, Germany.
Autorin
Durch einen Schicksalsschlag entdeckte Heike Gehlhaar die Lust am Schreiben. Um sich zu beschäftigen, schrieb sie ihren ersten Roman. Inzwischen entführt sie ihre LeserInnen in die faszinierenden Welten ihrer Geschichten. Geboren und aufgewachsen im grünen Herzen Deutschlands, hat sie seit frühester Kindheit eine Leidenschaft für Literatur entwickelt.
In ihren Büchern verschmelzen Realität und Fantasie auf einzigartige Weise. Sie sind gespickt mit Sinnlichkeit, die Heike als prickelnde Spielwiese der Worte betrachtet. Diese bietet den LeserInnen einen willkommenen Ausgleich. Mit jeder Seite erlebt ihre Leserschaft neue Abenteuer, in denen Träume Wirklichkeit werden und Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen.
Heute ist Schreiben für Heike eine Leidenschaft, die sich nicht aufhalten lässt.
Zitat einer ihrer Leserinnen:
„Die Autorin schreibt wunderschöne Romane, die neben der Geschichte in der Nebenhandlung eine spannende Story bieten. Der ruhige erzählerische Ton, mit dem sich die Handlungen entfalten sowie die nostalgische Art lassen manchmal vergessen, dass sie in der Gegenwart spielen. Wer eine Alltagsflucht sucht, findet sie mit Heikes Romanen auf jeden Fall.“
Besuchen Sie die Autorin und entdecken Sie ihre Welt.
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Personen und Schauplätze sind zum Teil real. Einige jedoch sind reine Fiktion, somit zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.
Bereits erschienen
Heike Gehlhaar
Belletristik
Warum ein Hase aus der Trabant-Tür schaute
Thriller
Niemand hört dich schreien
Liebesromane
Florentina - Liebe fragt nicht
Darkromanze
The Black Rose – Verlangen - Teil 1 - Trilogie Rosensaga
The Black Rose – Sehnsucht - Teil 2 - Trilogie Rosensaga
The Black Rose – Liebe - Teil 3 - Trilogie Rosensaga
Mafia - Romanze
Deal der Versuchung - Just for me
Pseudonym: Zoe Violett
Spice-Novellen - Reihe - Fire and Night
Fire and Night - Pia
Fire and Night - Lisa-Marie
Fire and Night - Anna
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Autorin
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Danksagung
Weitere Bücher
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Prolog
Zügig schritt Sonderermittler Carsten Melzer in den Konferenzraum. »Und Sie sind sich sicher?«, fragte er angespannt in die Runde. Sein Gesicht verdunkelte sich wie die Wolke vor dem Fenster, die den nächsten Regenguss ankündigte.
»Herr Maybaum wird in wenigen Minuten da sein«, versuchte der Kommissar zu schlichten. Seit gut einem halben Jahr existierte die Ermittlungsgruppe China-Time. Es war ihnen gelungen einen V-Mann einzuschleusen, ungewöhnlich genug, was bei jedem erfahrenen Ermittler Misstrauen geradezu heraufbeschwor.
Melzer setzte sich schwerfällig und starrte in die angespannten Gesichter am Tisch. Bevor noch jemand reagieren konnte, knarrte die Tür. »Aha, perfekt, Manfred, kommen Sie!«
»Ich hoffe, dass wir nicht zu lange brauchen. Ich …«
Melzer unterbrach ihn sofort. »Mir gefällt die Entwicklung ebenso wenig wie Ihnen, das dürfen Sie mir glauben.« Manfred Maybaum fixierte den ernsten Blick des Sonderermittlers. »Gut, dann lassen Sie hören.«
»Ich möchte Ihren Erfolg keinesfalls schmälern.« Maybaum stöhnte, was Melzer ignorierte. »Dennoch bin ich der Überzeugung, dass es nur zwei Gründe für den schnellen Erfolg geben kann. Entweder gibt es innerhalb der Organisation interne Machtkämpfe, die für die anvisierte Lücke im System sorgten. Oder wir sind sehenden Auges in eine Falle getappt.«
»Haben wir mit einer Falle, wovon ich ganz und gar nicht überzeugt bin, ein Problem?« Maybaum legte es auf eine offene Konfrontation mit dem Hessischen Sonderermittler an.
Immerhin waren sie zum ersten Mal seit Gründung der Gruppe der Mafia-Familie sehr nah. Ob es darüber hinaus zur Zerschlagung des Händlerrings kommen würde, schloss er inzwischen ebenfalls aus. Allenfalls verzichtbarer Hintermännern habhaft werden, mehr erlaubte ihm seine Spürnase ebenso wenig.
Im Augenblick war er jedoch weit davon entfernt, seine Zweifel mit einem der Männer im Raum zu teilen. Schließlich war er derjenige, der in der Schusslinie stand.
Die kurze Stille nutzte Melzer um nachzudenken. »Wenn uns die jetzige Lage dabei hilft, die Fährte in Richtung Europa zu behalten, dann vermutlich nicht. Wir müssen trotzdem eines bedenken: Sollte etwas schiefgehen, sind wir möglicherweise nicht schnell genug. Da stellt sich die Frage: Ist das Abtragen der Eisbergspitze das Risiko wert?«
Herausfordernd schickte er seinen Blick von einem zum anderen. Manfred Maybaum platzte fast vor Wut.
»Dass es einzig der nahen Verbindung zu den Entführern zu verdanken ist, dass wir die fünf Mädchen aus dem Sumpf holen konnten, zählt dabei natürlich nicht.« Es bereitete ihm inzwischen Mühe, dem Chef den nötigen Respekt entgegenzubringen. Sein hochrotes Gesicht leuchtete förmlich.
Melzer hob beschwichtigend die Hände. »Darum geht es im Augenblick nicht und das wissen Sie auch. Fakt ist, seit Mellinger gestellt ist, fehlt ihnen ein Mann mit entsprechenden Verbindungen. Es wird wohl nicht lange dauern, bis sie den ersetzt haben.«
Jeder Blick hing erstarrt an seinen Lippen. Er beugte sich zum Tisch, um ein paar Bögen Papier in die Hand zu nehmen. »Für mich sieht es so aus, als verlagerten sie ihre Aktivitäten in Richtung Osten.«
»In die Provinz?« Der Beamte gegenüber starrte ihn fassungslos an. Wie ferngesteuert hing Sekunden später jeder Blick an Maybaum. Melzer reichte ihm die Papiere. Maybaum vertiefte sich darin und blickte dann auf. Seine Augen verfingen sich an den Zweigen der sich im Wind biegenden Pappel. Völlig abwesend konnte jeder den Informanten denken hören. »Leider geht hieraus nicht hervor, wohin.
Soweit ich weiß, kommen da einige neue Bundesländer infrage.«
Melzer nickte. »Vielleicht gelingt es Ihnen, sich an die Fersen der nach Abgeschiedenheit suchenden Mitglieder unserer Bande zu hängen.«
»Die Möglichkeit, dass sie sich zunächst still verhalten und ihre Wunden lecken, schließen Sie aus?«
»Nein, natürlich nicht. Es gibt vieles, was dafür spricht. Mellinger ist ein Mann mit weitreichenden Verbindungen zur Frankfurter Bankenszene. Ohne den werden die Geschäfte vermutlich etwas schwerfälliger werden. Ein Grund, warum ich glaube, ganz gleich wo sie neue Jagdgründe beziehen, braucht es einen wie Mellinger, den sie hervorragend manipulieren können und im Notfall einfach fallen lassen. In jedem Fall verzichtbar, oder?«
Maybaum strich sich über sein unrasiertes Kinn. »Gut, dann geht die Party also weiter. Da bin ich Ihrer Meinung. Die Geschäfte brach liegen lassen, ist auch für die keine Option. In Ordnung, ich werde mich für den Osttrip an richtiger Stelle empfehlen.«
»Bleiben Sie wachsam, Kollege. Das ist kein Haufen von harmlosen Dealern oder Kleinkriminellen.« Erneut verfärbte sich Maybaum, worauf Melzer einlenkte. »Dann sind wir uns einig.«
Manfred nickte kurz in die Runde und erhob sich. Melzers Blick hing noch einen Moment an der stämmigen Figur des Kollegen, der gerade den Raum verließ. Stühle scharrten. Melzer drehte sich zum Fenster. Nur Sekunden später sah er Maybaum, wie er mit eingezogenem Hals ein Taxi bestieg.
»Deinen Optimismus möchte ich haben, lieber Kollege«, brummte er und folgte seinem Team hinaus.
Kapitel 1
Mit rasselndem Geräusch erstarb der Motor. Ein letztes Mal quietschte der Scheibenwischer über die angetrocknete Windschutzscheibe. Abwesend drehte Roland Schäfer den Wagenschlüssel in der Hand. Sein Blick hing ungläubig an einem Fachwerkhäuschen. Stöhnend öffnete er die Tür und quälte sich behäbig aus seinem Sportsitz.
»Nehmen Sie die tiefergelegte Ausführung. Die passt zu Ihnen und gibt Ihnen Klasse.«
Jedes Mal, wenn er aus seinem Mercedes CLA kletterte, hätte er den Verkäufer ohrfeigen können. Der hatte es verstanden, seinem glattgebügelten Ego zu schmeicheln. Ein kurzes Blinzeln auf die sich öffnende alte Holztür genügte, um in der Absurdität dieses Bildes zu verharren.
»Sie müssen der Kommissar sein!«, holte ihn eine weibliche Stimme aus seiner Lethargie.
Was soll denn das?, dachte er, noch ehe er sich in seine gewohnte Erhabenheit zurückziehen konnte.
Eine kleine, ziemlich robuste Frau kam auf ihn zu. Dabei wippte ihr mächtiger Busen unter einer bunten Schürze. Er kam nicht umhin, sie anzustarren. Mit rosigem Gesicht baute sie sich vor ihm auf.
»Haben Sie sich verfahren? Ich warte bereits eine geschlagene Stunde!«
Er öffnete seinen Mund. Seine Empörung loszuwerden, gelang ihm nicht. Ihr Kopf bewegte sich in seine Richtung, sodass er abrupt einen Schritt nach hinten trat. Die gewaltige Pfütze hinter ihm verschlang seinen wuchtigen Fuß. Sofort schwappte kaltes schlammiges Wasser in das edle Leder und durchnässte seine Luxussocke. Die Wut, die sich ähnlich einer aufsteigenden Magmasäule in ihm aufbaute, herauszubrüllen, musste warten.
»Ich bin Marianne Gruber, ihre Hauswirtin!« Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, drehte sie sich um.
Ihr Watschelgang, der vermutlich ihren strammen Oberschenkeln zuzuschreiben war, machte ihn sprachlos. Wie ein begossener Pudel trottete er hinter den grünen Blättern auf ihrer wehenden Kittelschürze her. Kaum an der Tür angekommen, fuhr sie ihn an.
»Ziehen Sie um Gottes willen Ihre schmutzigen Treter aus! Ich dulde keinen Schmutz in meinem Schmuckstück!«
»Schmuckstück?«
»Haben Sie etwas gesagt?« In ihren blauen Augen standen giftige Blicke, während sie aufbrausend die Arme in ihre breiten Hüften stemmte.
Beschwichtigend hob Roland die Hände. »Keine Aufregung, Frau Gruber.« Dabei versuchte er, sich möglichst ohne nach vorn überzukippen, seinen Schuhen zu nähern. An ihrer strafenden Miene erkannte er, was sie dachte.
Na, die muss sich gerade beschweren, maulte er tonlos und presste seinen großen Zeh gegen die Hacke des linken Schuhs.
Mit hochrotem Kopf folgte er ihrer zeigenden Hand, die seinem teuren Schuhwerk den Platz zuwies. In Strümpfen, wobei selbst die nicht mehr sauber waren, nachdem er seinen Fuß derart traktiert hatte, ging er den Flur entlang. Jeder Schritt verursachte ein schmatzendes Geräusch. Das ist doch alles nicht wahr, dachte er. Sein Ego erinnerte ihn empört daran, wer er war und wem er gegenüberstand. Sein Anstand verlangte, sich zunächst abwartend zurückzuhalten.
Angesichts des Zorns in seiner Brust entwickelte sich die irrwitzige Situation allmählich zu einem unrealistischen Traum.
Kein Traum, ein absurder Alptraum! Weitere Gedanken fand er nicht.
Trotzdem versuchte er es erneut. »Also, darf ich mich vorstellen?« Er richtete sich in voller Größe auf.
Seine ein Meter achtzig überragten Marianne bei Weitem. Doch was ihrem Körper an Länge fehlte, glich ihr Umfang wieder aus. Und der wirkte durchaus bedrohlich, was ihn verblüffte. In seiner mehr als vierzigjährigen Ermittlerkarriere hatte er es mit einigen seltsamen Typen zu tun gehabt. Da sollte er zumindest auf solche Situationen vorbereitet sein. Dabei war zu berücksichtigen, dass ihn bereits am Ortseingang von Steinbach ein ungutes Gefühl überfallen hatte. Das fand seinen Höhepunkt, als er in die Webergasse eingebogen war. Das Einzige, was der Name hergab, war das neue Straßenschild. Beide Häuser zur Rechten, sowie die gegenüber, hatte man erst kürzlich abgerissen.
Zufall?, hatte er sich gefragt, als er sich mit seinem Luxusgefährt in Zeitlupe den Schotter entlangtastete. Einige Meter weiter stand ein Bagger neben heruntergekommenen Gehöften. In der Schaufel stapelte sich Geröll. Dahinter lugte ein winziges Fachwerkhaus hervor.
»Sie haben Ihr Ziel erreicht«, hatte die autoritäre Dame des Navis behauptet, als er zweifelnd die Adresse verglich. Webergasse 10. Kein Irrtum möglich.
»Ich weiß, wer Sie sind. Schließlich haben wir miteinander telefoniert, Herr Kommissar.«
»Kriminalhauptkommissar.« Er schaute irritiert auf, als er urplötzlich seine Stimme wiederfand.
»Macht das einen Unterschied?« Ihre seicht daher gesäuselte Frage strafte ihr abwertender Blick Lügen. Frau Gruber war sich seiner Stellung durchaus bewusst, was ihn maßlos ärgerte.
»Also, hören Sie. Ich habe jetzt nicht die Zeit, mit Ihnen zu diskutieren. Schließlich habe ich das Essen auf dem Herd. Unsereins hat im Gegensatz zu anderen Verpflichtungen, die sich nicht aufschieben lassen.«
»Was bitte wollen Sie damit andeuten?« Roland war kurz davor zu explodieren.
Unbeeindruckt plapperte sie weiter.»Pünktlichkeit, Herr Schäfer, ist eine Zier. Wir hier im Osten hatten eine gute Kinderstube. Sie täten gut daran nicht zu vergessen, dass man hier auf solche Details einen großen Wert legt.«
Jetzt stieß er die Luft deutlich hörbar aus seiner Lunge, was sie nur noch mehr anstachelte.
»Ich rate Ihnen, wenn Sie hier mit den Einheimischen klarkommen wollen, und das setze ich mal voraus, dann müssen Sie sich dementsprechend benehmen. Dazu gehört, sich an Absprachen zu halten. So, jetzt muss ich los. Hier sind die Schlüssel.« Als er sie entgeistert ansah, schossen ihre wild gezupften Augenbrauen in die Höhe. »Sie sind doch Kriminalbeamter. Da werden Sie es wohl schaffen, das Haus eigenständig in Augenschein zu nehmen«, legte sie fest, schüttelte dabei ihre weiße Lockenwicklerfrisur und zog das morsche Holz hinter sich ins Schloss.
Verdattert hing sein Blick an dem nach beiden Seiten pendelnden Plastikblumenkranz über der milchigen Glasscheibe.
»Was für ein Drachen!«, entfuhr es ihm. Plötzlich fühlte er sich unendlich erschöpft. Taumelnd trat er zwei Schritte rückwärts, bis er den schmalen und einer Hühnerleiter ähnelnden Treppenaufgang spürte. Ohne dem Knarren der Stufe Beachtung zu schenken, sank er auf ihr nieder.
Wie lange er so dasaß und Löcher in die gegenüberliegende Wand starrte, wusste er nicht. Irgendwann tat ihm der Hintern weh. Die enge Stufe, die niemals einem heute genormten Schrittmaß entsprach, war für ihn einfach nicht gemacht. Der Kontakt mit der nächsten Treppenkante bohrte sich schmerzhaft in seine Lenden.
Kopfschüttelnd betrachtete er seine Socken. Dann zog er sich an dem massiven Geländer nach oben. Während er mühsam in seine Schuhe kroch, sah er sich endlich um. Bisher schien er sich in einem anderen Universum zu bewegen. Anders konnte sein Ermittlergehirn das, was er eben erlebt hatte, nicht begreifen. Die ländliche Gegend hatte man ihm durchaus als beschaulich beschrieben.
»Aber wohnen wollen Sie dort nicht«, hatte ihn seine neue Sekretärin angeblafft. »Sie bleiben besser in der Großstadt. Ein verwöhnter Wess …, ähm … Mann wie Sie, wird es hier schwer haben. Einem, der das Stuttgarter Pflaster gewohnt ist, könnte hier ein Kulturschock bevorstehen. Also, werde ich mich mal in der Lokalpresse von Salzungen umsehen.«
»Frau Grimm, das ist nicht nötig. Bemühen Sie sich nicht. Außerdem verbitte ich mir diesen Ton«, hatte Roland versucht, die aufbrausende Frau zu stoppen. Sekunden später war die zum Angriff übergegangen. »Mein Ton ist völlig in Ordnung!«, keifte sie. »Im Übrigen sollten Sie sich schnellstens an unsere Gepflogenheiten gewöhnen. Wir kennen uns nämlich, im Gegensatz zu Ihnen, in dieser Gegend aus.«
»Meine Entscheidung, von Stuttgart nach Bad Liebenstein zu gehen, werde ich vor Ihnen nicht rechtfertigen und geht Sie nichts an.«
»Wie Sie meinen.« Ohne mit der Wimper zu zucken, hatte sie seinem wütenden Blick standgehalten, sich zu ihrem Schreibtisch gedreht und ihn anschließend ignoriert.
Es hatte nur ein Antrittsbesuch werden sollen. Mit einigem hatte er durchaus gerechnet, aber mit einem derartigen Empfang sicher nicht. Nach diesem hitzigen Gespräch ahnte er, dass ihre baldige Zusammenarbeit auf eine harte Probe gestellt werden könnte. Dennoch hatte sie zähneknirschend nachgegeben. Anschließend war die übergeordnete Polizeibehörde in Bad Salzungen sehr bemüht gewesen, möglichst in naher Umgebung des Liebensteiner Reviers etwas Geeignetes zu finden. So war er letztendlich hier gelandet.
Hätte ich auf Petra Grimm hören sollen?, fragte er sich seufzend. »Auf keinen Fall«, knurrte er und trat hinaus auf den ungepflasterten Hof.
Kapitel 2
Noch im Wagen zweifelte Roland Schäfer an seinem Vorhaben. Sein offizieller Amtsantritt war für Montagmorgen geplant. An einem Freitag, unangemeldet und gänzlich unerwartet seinen Schreibtisch beziehen zu wollen, konnte komplett nach hinten losgehen. Dabei stand er nur aus einem Grund vor dem Polizeirevier. Ein anderer Ort war ihm, nach seiner sprichwörtlichen Flucht, auf die Schnelle nicht eingefallen. Um ehrlich zu bleiben, war es das einzige Haus, das er bisher kannte. Er atmete tief durch, verriegelte den Mercedes und bewegte sich zielsicher auf den Eingang zu. Mit einem prüfenden Blick in das spiegelnde Türlicht rückte er Jackett und Binder zurecht. Missbilligend verzog sich sein Mund. Dann schob sich seine große Pranke über die Klinke.
Den kleinen Raum, den er betrat, als Großraumbüro zu bezeichnen, war die Übertreibung des Jahres. Nicht gerade üppig, hatte er damals irritiert gedacht. Jeder Zentimeter der vier Wände war effektiv ausgenutzt. Jetzt mussten die drei Kollegen wegen seiner ungewöhnlichen Entscheidung, stets vor Ort zu ermitteln, den knappen Platz mit ihm teilen. Das hatte verständlicherweise für wenig Begeisterung gesorgt.
»Sind Sie nicht etwas früh dran?«, riss ihn eine quietschige Stimme aus seinen Erinnerungen.
Oh, Gott, dachte er und zog instinktiv den Kopf ein. Wie hatte ich die vergessen können?
Langsam drehte er sich in ihre Richtung. Nur mit Mühe zwang er sein Gesicht zu einem mäßigen Lächeln. Petra Grimm stand kaum fünfzig Zentimeter hinter ihm und mit einer Miene, die Steine zum Schmelzen bringen konnte.
»Guten Morgen, Frau Grimm.« Sein gereizter Ton ließ jeden Kopf nach der Ursache suchen.
»Offensichtlich ist es jetzt mit dem guten Morgen vorbei«, nörgelte die Frau und drehte sich um.
Peter Förster, der ansässige Kriminalbeamte, erwiderte ebenfalls nur knapp die Begrüßung des Neuen. Eilig drängte er sich an Schäfer vorbei und verschwand aus dem Büro. Augenscheinlich hatte er es plötzlich sehr eilig, seinen Schreibtisch zu verlassen. Roland Schäfer holte tief Luft.
»Guten Morgen, Herr Kriminalhauptkommissar. Es freut mich, dass Sie es heute schon möglich machen konnten. Ich habe geglaubt, Sie stecken noch mitten im Einzugsstress.«
Überrumpelt und mindestens ebenso erstaunt drehte er sich um die eigene Achse und sah in ein freundliches Gesicht. Das war ihm bei seinem letzten Besuch noch nicht begegnet. Der einen Meter neunzig große Mann überragte den Hauptkommissar um gut zehn Zentimeter. Schäfer blickte zu ihm auf und begutachtete ihn neugierig.
»Ich bin Hans Lichtholz – Kriminalmeister und Ihr direkter Partner.« In seiner kräftigen Stimme schwang Stolz.
Seine Ausstrahlung gefiel Schäfer. Endlich einmal ein aufgeschlossenes Gesicht, stellte er erleichtert fest. Was er sah, ließ ihn zufrieden nicken. Ein perfekt sitzender Anzug, dazu ein blütenweißes Hemd und geputzte Schuhe, der Mann entsprach seinen Vorstellungen von einem Kriminalbeamten im Dienst. Die locker sitzende Jeans und ausgetretenen Sandalen des Kollegen auf der Flucht hingegen würde er umgehend ändern.
Ganz egal, wieviel Unmut ich damit heraufbeschwöre. Von einem Polizisten vor Ort erwarte ich das Tragen der Uniform. Das ist das Mindeste und wohl kaum zu viel verlangt. Gut, dass niemand seine Gedanken hören konnte.
Kurz wechselte sein Blick auf den blonden Zopf, der Lichtholz lässig über dem Rücken baumelte.
»Vielen Dank für den Empfang. Offenbar ist über meine Anwesenheit nicht jeder begeistert«, maulte er.
Lichtholz schmunzelte. »Da könnten Sie recht haben. Das kann ich durchaus verstehen. Es kommt schließlich nicht jeden Tag vor, dass wir mit einem neuen Vorgesetzten aus dem …« Plötzlich unterbrach er sich. Binnen Sekunden zog eine tiefe Röte über sein gepflegtes Gesicht.
»Westen, wollten Sie doch sagen. Nun, daran werden wir uns alle gewöhnen müssen, oder?« Lichtholz nickte und räusperte sich verlegen.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Büro.« Er stiefelte mit forschem Schritt in den hinteren Bereich des Raumes. Hinter einem Plastikaufsteller versteckt, war ihm der Zugang zunächst entgangen. Außerdem war es damals einfach unmöglich gewesen, am Grimmschen Bollwerk vorbeizukommen.
»Es ist nicht groß«, versuchte Lichtholz dem Kommissar zuvorzukommen. Dessen abschätzige Miene sprach Bände. »Immerhin gibt es eine Tür«, bemerkte der steif. »Fürs Erste muss es dann wohl genügen.«
Bei dieser Aussage runzelte sein Kompagnon unverständlich die Stirn. Man hatte vermutlich einiges an Innenstruktur verändern müssen, um ihm wenigstens dieses Büro zur Verfügung stellen zu können. Dass er nicht vor Dankbarkeit sprühte, würde ihm vermutlich über kurz oder lang Ärger einbringen. Ganz sicher. Ein Stöhnen zu unterdrücken, gelang ihm zum Glück. Ohne weiteren Kommentar schob er sich hinter den Schreibtisch. Um genügend Platz für seine massige Figur zu finden, musste er kurzzeitig die Luft anhalten.
Geliebte Gewohnheiten, wie sich per Bürostuhl durch den Raum zu bewegen, konnte er sich getrost abschminken. Als er endlich saß, schaute er auf und schickte seinen verärgerten Blick über die kahlen Wände. Dass man erst kürzlich den Pinsel geschwungen hatte, war unübersehbar. Es überraschte ihn allerdings kaum. Bis zuletzt hegte man wohl die Hoffnung, der Neue würde es sich anders überlegen. Die vergangenen vierundzwanzig Stunden in Frau Grubers Schmuckstück waren ihm Warnung genug gewesen. Klar, war das Häuschen für die nächste Zeit sein Zuhause. Vielleicht hätte er sich irgendwann arrangiert. Doch als er heute Morgen den Schlüssel vor der Haustür klappern hörte und den derben Schritt seiner Hauswirtin vernahm, hatte es ihn schier aus dem Haus getrieben.
Angeblich wollte die besorgte Frau nach dem Rechten sehen. Hat man da Töne! Was soll denn bei einem Kriminalhauptkommissar nicht in Ordnung sein?
Erneut spürte er die Wut hinter seiner kräftigen Brust.
Das wird das Nächste sein, was sich ändern muss. Es geht einfach nicht, dass die unmögliche Person im Haus steht, wann immer es ihr beliebt. Schließlich bin ich der Mieter. Da habe ich Rechte. Aus seinen Gedanken gerissen, hörte er Lichtholz Stimme.
»Gibt es etwas, was wir besprechen müssen?« Ihm war der mürrische Gesichtsausdruck nicht entgangen.
»Dass ich hier einen anderen Umgang vorfinden werde als zunächst angenommen, war mir seit dem Januar bereits klar. Aber im eigenen Heim nicht davor sicher zu sein, das geht mir eindeutig zu weit. Vollkommen inakzeptabel!«
»Ach, Marianne Gruber.« Lichtholz verstand plötzlich. Schäfer sah ihn irritiert an.
»Wir haben uns schon gewundert, dass sie überhaupt ihr Haus zur Vermietung anbietet. Zugegeben, die Frau ist ein bisschen eigen.«
»Ein bisschen?« Erneut stand Schäfer der Ärger im Gesicht.
»Eine Eigenart, die in unseren Tälern weit verbreitet ist. Wenn Sie die Leute erst kennenlernen, werden Sie sich schon daran gewöhnen. Am Wochenende sollten Sie sich unters Volk mischen. Das hilft.«
»Unters Volk, wo denn? Die Straßen sind doch meistens menschenleer.«
Lichtholz schüttelte den Kopf. »Um die zu finden, müssen Sie dort hingehen, wo sich die Leute treffen. In der Mausefalle beispielsweise.«
Jetzt war es am Hauptkommissar, ungläubig den Kopf zu schütteln. »Was soll das sein?«
»Eine urige Kneipe. Dort bekommen Sie eine gutbürgerliche Küche und was viel wichtiger ist, den notwendigen Kontakt. Auf den können Sie hier unmöglich verzichten.«
Die Art der Kontaktaufnahme war Schäfer nicht unbekannt. Der Schwabe an sich tat sich für gewöhnlich im Umgang mit Fremden von Natur aus schwer. Bei dem Gedanken an ein gutes Essen war ihm jeder Ort willkommen.
»Wo finde ich denn die, wie sagten Sie?«
»Mausefalle!« Lichtholz lachte. »Wenn Sie wollen, begleite ich Sie. Die perfekte Gelegenheit, meinen Chef vorzustellen.«
»Wegen mir«, nuschelte Schäfer. »Solange Marianne Gruber mich nicht auch noch dort heimsucht, ist mir alles recht.«
Das Grinsen auf dem Gesicht seines Partners wurde noch ein Stück breiter. »Das dürfen Sie nicht so eng sehen. Marianne ist hier geboren, kennt praktisch jeden und kümmert sich um ihre Nachbarn. Im Übrigen, stets ein Quell sprudelnder Informationen.«
»Seltsame Methoden«, warf Schäfer ein. Dabei wusste er genau, wie wichtig einheimisches Wissen sein konnte. Das vor seinem Mitarbeiter zuzugeben, hätte jedoch bedeutet, nicht als allwissend zu gelten.
»In den kleinen Ortschaften, wo sich Neuigkeiten schneller verbreiten, als es eine WhatsApp kann, unabdingbar. Aber zurück zu Marianne. Die hat das Herz auf dem rechten Fleck. Davon bin ich überzeugt.«
»Zumindest in diesem Punkt darf ich doch wohl widersprechen. Ich frage mich, wenn sie ihr Schmuckstück nicht einmal einem erfahrenen Kriminalbeamten überlassen kann, wieso rückt sie es überhaupt heraus?«
Aus dem Lächeln des Kriminalmeisters wurde ein angenehmes Lachen. »Sie traut eben niemandem, der nicht hier geboren wurde.«
»Und einem aus dem Westen schon gar nicht«, ergänzte Schäfer spitz.
»Richtig. Das liegt daran, dass die Leutchen damals in den Neunzigern schlechte Erfahrungen gemacht haben. Solche Dinge brennen sich unwillkürlich in das Gedächtnis einer gewachsenen Gemeinschaft ein. Und die zu löschen, braucht einfach Geduld.«
Schäfer stöhnte. Bisher hegte er noch die Hoffnung, die Ablehnung beträfe allein seine Person. »Soweit ich weiß …«, setzte Lichtholz fort, »… ist sie vor einer Weile ins Haus ihres Sohnes gezogen. Dem ist die Frau gestorben. Sie kümmert sich um ihre Enkel. So steht das Haus zurzeit leer.«
»Aha«, bemerkte Schäfer erschöpft.
»Ich schlage vor, Sie richten sich erst einmal ein. Wenn Sie noch etwas benötigen, ich bin um die Ecke. Ich glaube, es wird genügen, wenn wir am Montagmorgen die Truppe auf den Stand der Dinge bringen, einverstanden?«
Wüsste er es nicht besser, wirkte sein neuer Partner allmählich ungeduldig. Aber vielleicht irrte er da auch. Immerhin hatte er angeboten, mit ihm in die Kneipe zu gehen. Ungewöhnlich fand er, war aber dennoch nicht abgeneigt. Schäfer nickte kurz und dann war er allein.
Gewohnheitsgemäß versuchte er, sich mit dem Stuhl zu drehen, und blieb prompt am Schrank hängen. Fluchend zog er sich am Tisch zurück. Mit fahrigem Griff inspizierte er Schubladen, Ablagen und diverse Ordner. Alles, was der Beamte benötigte, war vorhanden.
In Griffweite, wenn auch noch jungfräulich, konnte er somit sofort beginnen. Wenigstens erlaubte ihm eine solide Ausstattung auf dem Schreibtisch und im Büro einen reibungslosen Start.
Nach einer Stunde, in der er weder von einem Telefonat, noch irgendeiner Kommunikation der Beamten im Revier Zeuge wurde, erschien die graublaue Fönfrisur seiner Sekretärin in der Tür.
»Ich besorge jetzt etwas zu essen. Soll ich dem Herrn Kriminalhauptkommissar etwas mitbringen?«
»Nein, danke!« Am liebsten hätte er gebrüllt: Sie möge sich sofort aus seinem Sichtfeld verziehen. Wenn er auch am Verhungern war, die Blöße, sich ausgerechnet von Petra Grimm versorgen zu lassen, die kam nicht in einhundert Jahren infrage.
»Das habe ich mir schon gedacht«, erklärte sie frech. Noch ehe es ihm bewusst wurde, hatte sich deren Mimik schlagartig geändert.
»Wie Sie wollen. In Zukunft müssen Sie sich selbst kümmern. Ich werde Sie bestimmt nicht noch einmal fragen und betteln werde ich schon gar nicht. Soweit kommt es noch. Oder sind Sie am Ende auf Diät?«
»Was bitte geht Sie das an?« Mehr brachte er vor lauter Empörung nicht über die Lippen.
»Nichts. Es sei denn, Sie sind Veganer.«
»Was?«
»Dann, Herr Kommissar, könnten Sie Gefahr laufen, hier zu verhungern.«
Unwillkürlich zogen sich seine Augenbrauen nach oben.
»Ach so, Herr Kriminalhauptkommissar Schäfer.« Mit einem gehässigen Grinsen verdrehte sie die Augen und stolzierte davon.
Schäfer schloss die Augen und lehnte sich frustriert zurück. Dabei berührte sein Kopf unweigerlich den Aktenschrank hinter ihm.
»Das ist ein einziger Alptraum«, flüsterte er, griff nach seinem Jackett und eilte aus dem Büro. Zielgerichtet, dem Ausgang entgegen, schritt er an den nun wieder besetzten Schreibtischen vorbei.
»Auf Wiedersehen und schönes Wochenende!«, hörte er Petra in seinem Rücken. Bevor er die Tür hinter sich ins Schloss zog, vernahm er: »Typisch Wessi, keinerlei Manieren. Na, den werde ich schon erziehen.«
Mit geballter Faust stürmte er ins Freie. Als er in den Wagen stieg, näherte sich Lichtholz und winkte. »Gegen sechs hole ich Sie ab.« Dann verschwand er im Haus. Langsam fuhr Schäfer an. Dabei sah er im Rückspiegel, wie sich die Gardine hinter dem Revierfenster bewegte.
»Geben Sie einen Zielort ein«, forderte die Stimme vom Navi.
»Stuttgart!«, plärrte er und schlug aufs Armaturenbrett.
Kapitel 3
»Wir hätten auch meinen Wagen nehmen können«, bemerkte Schäfer, als er ungeschickt seine üppige Figur in die Enge des Polos zwängte.
Davon unbeeindruckt wartete Lichtholz, bis sich sein Boss einigermaßen sortiert hatte. Dann fuhr er los. Gekonnt und ohne die Schlammpfützen auch nur zu touchieren, wendete er und bog auf die Hauptstraße ein. Er musterte den Mann neben sich. Der schaute pikiert an seiner Anzugjacke hinunter.
»Vielleicht etwas unpassend.«
»Hm, für eine Dorfkneipe, meinen Sie? Na, sagen wir mal so: Eine schlichte Ausgehuniform ist durchaus hilfreich, um anzukommen.«
»Klar«, sinnierte Schäfer, dem sein Aufzug inzwischen peinlich war. Er hatte während der letzten Monate kaum auf die geschäftliche Kleidung verzichtet. Für Privates gab es keinerlei Anlass. Viel zu sehr erinnerten Jeans, Schlapphut und Holzpantinen an die Sonne der beschaulichen Region Burgunds. Wie bestellt, strich um seine Nase ein Duft von Wein, zarten Rosen und Lavendel.
»Verstehe, der CLA käme da vermutlich weniger gut an.«
Lichtholz fiel es schwer, ein zufriedenes Grinsen zu verbergen. Er beließ es beim leichten Kopfschütteln. »Sie sind hier neu. Da übt man sicher Nachsicht.«
Die eigenartige Äußerung klang in Schäfers Ohren wie eine Warnung. Am liebsten würde er verlangen, umzukehren. Kaum zwanzig Sekunden später ließen sie das Ortsausgangsschild von Steinbach hinter sich. Im Grunde brauchte es das nicht. Seit Langem gehörte die Gemeinde zur nahegelegenen Kleinstadt. Inzwischen waren sich die Orte so nah, dass sie praktisch ineinander aufgingen.
Die Worte: »Außerdem wollen wir nur ein ordentliches Abendbrot genießen«, wirkten sogar für einen schrulligen Kommissar reichlich übertrieben.
Erstaunlicherweise beruhigte er sich spürbar. Besagte Mausefalle befand sich nur wenige Meter hinter Bad Liebensteins erster Häuserzeile. Neugierig blieb Schäfers Blick am Tennisplatz hängen.
Eigentlich hätten die Männer laufen können. Der gerade neu entstehende Rad- und Fußweg, der in wenigen Jahren beide Ortsteile bequem verbinden sollte, war aus diesem Grund gesperrt. Ob Roland Schäfer zu Fuß über einen unwegsamen Forstweg gehen wollte, wusste Lichtholz nicht. Er parkte direkt vor dem Haus.
Der Kommissar hatte erneut sein gewaltiges Haupt zwischen die Schultern gezogen. Dass er sich dessen bewusst war, bezweifelte Hans. Dem Namen Mausefalle wurde das massive Gebäude nicht gerecht. Auf den ersten Blick sah Roland ein normales Restaurant mit weiträumiger Terrasse. Einen Schritt auf den Eingang zu, ließ allerdings seinen Fuß auf der zweiten Stufe verharren. Der Lärmpegel, der trotz geschlossener Fenster nach draußen drang, zeugte von einer gut gefüllten Dorfkneipe. Das war an einem Freitagabend wohl auch nicht anders zu erwarten. Die Tür einen Spalt breit geöffnet, schien sich der Radau spontan zu verdoppeln.
Er trat hinter Lichtholz ein und stand in Dunkelheit. Mit schwarzem Holz verkleidete Decke, beengtem Gastraum, einer erhöhten Bühne aus hellen Dielen gezimmert und rustikalem Holzgeländer um eine riesige Bar, machte jedes Detail dieses Ortes zum Inbegriff einer Stammkneipe. Während sie sich am runden Stammtisch zu einem der hinteren Tische vorbeischoben, schwor Andrea Berg: »… ich würde es wieder tun, heute Nacht …«
Auch das noch, stöhnte Schäfer innerlich. Der, sowie faktisch jeden Song der Sängerin, konnte er heute noch mitsingen. In den achtzehn Monaten, die er mit Ingrid verbrachte, hatten sie ihn Tag und Nacht begleitet.
Sex, während die schrille Stimme der Dame trällerte: »Du hast mich tausendmal belogen …«, hatte er anfangs noch belächelt. Ein lautes Klopfen auf rustikalem Holz holte ihn zurück in die schummrige Umgebung.
»… Amd …«, brummte der Hüne am Fenster des Nachbartisches. Für wenige Sekunden drehten sich die Köpfe am Stammtisch nach den Neuankömmlingen um. Offenbar genügte ein kurzer abschätzender Blick und man setzte die gerade unterbrochene Diskussion über die lokalen Aufreger der Woche fort.
Erleichtert lehnte sich Schäfer zurück. Er schickte seinen erfahrenen Blick über Tische und Gastwirtin. Durchaus positiv überrascht, hatte ihn der Lärm zunächst zu einer anderen Erwartung verleitet. Außer, dass sich hier die Einheimischen auf ein Feierabendbier trafen, gab es keinen sichtbaren Unterschied zu Gaststätten anderer kleiner Gemeinden.
Urplötzlich stand eine kleine, schlanke Frau mit kurzem grauen Haar und einem aufgeweckten Lächeln neben ihm. Wie sie so unbemerkt erscheinen konnte, irritierte ihn. Sofort fixierten kluge graue Augen sein erstauntes Gesicht. Für einen Augenblick kräuselte sich ihre Stirn. Dann fand das aufgeschlossene Lächeln den Weg zurück auf die rosigen Wangen. Mit einem Nicken begrüßte sie Lichtholz und legte in Leder gebundene Speisekarten auf den Tisch.
»Neu bei uns oder auf der Durchreise?«, fragte sie und schickte ein freches Grinsen an seinen Kollegen. Der erwiderte augenblicklich das Grienen.
»Das ist unser neuer Kriminalhauptkommissar Roland Schäfer.«
»Aha, also ein Neuer. Na, dann herzlich willkommen!«
Wohl, um sich ein lautes Lachen zu verkneifen, drehte sie sich flugs um und verschwand hinter der Theke.
»Das hat sie nicht ernst gemeint, oder?«, murmelte Schäfer unverständlich.
Lichtholz musste ihn nicht verstehen. Das Rot seiner Wangen leuchtete mit der Deckenlampe um die Wette.
»Nur keine Aufregung. Nicht jeder ist gleich auf Krawall aus. Am Ende ist sie eine Geschäftsfrau. Im Übrigen, eine sehr Erfolgreiche. Es dauert sicher nicht lange und Sie haben sich an den Umgangston gewöhnt.«
»Wir wollten doch nur essen«, raunte der Kommissar frustriert.
»Was möchten die Herren trinken?« Wo diese Person immer so schnell herkam, war Schäfer ein Rätsel.
»Eine Vita«, hörte er seinen Partner.
»Eine was?« Unwillkürlich drehte er sein Gesicht.
»Cola«, antwortete Lichtholz und vertiefte sich in die Speisekarte.
»Cola?«
»Erst probieren, dann meckern«, ermahnte ihn die Stimme der Wirtin.
Erneut errötete der Mann. »Gut, dann werde ich es probieren.« Seinen scharfen Unterton ignorierte sie. Stattdessen zeigte sich auf ihrem Gesicht etwas Verschmitztes. Zufrieden notierte sie die Bestellung.
Während die Männer aufs Essen warteten, versuchte Lichtholz ein wenig die angespannte Lage zu entschärfen. Die Stimmen rund um sie herum waren indes ruhiger geworden. Der Stammtisch war fast leer, am Nachbartisch hatte sich ein Pärchen mit Dackel niedergelassen und drei junge Frauen plapperten vergnügt an der Bar.
»Darf ich Sie etwas fragen?«, begann er.
»Natürlich, warum nicht«, erwiderte Schäfer und sah ihn an.
»Weshalb haben Sie sich ausgerechnet hierher versetzen lassen?«
»Die Stelle war frei.« Lichtholz zog die Augenbrauen hoch. »Doch, das war so.« Dann folgte eine Pause. »In Ordnung, so ganz freiwillig habe ich mich nicht ins Hinterland zurückgezogen. Eine lange und unerfreuliche Geschichte. Aber …« Erneut unterbrach er sich. Abwesend verfolgte sein Blick den Versuch des Dackels, seinen Schwanz einzufangen. »… es gab eine Angelegenheit in meiner Vergangenheit, die den Tapetenwechsel nötig machte.« Ehe eine Nachfrage kommen konnte, ergänzte er: »Liebe und geplatzte Träume.«
»Verstehe«, sagte Lichtholz. Es klang, als verstand er tatsächlich.
»So, wie ich das sehe, stammen Sie ebenfalls nicht von hier.«
»Gut kombiniert.« Der Kriminalmeister grinste und schüttelte bestätigend seinen Kopf. »Vor fünf Jahren gehörte ich noch zur Kripo Erfurt.«
Erstaunt sah ihn Roland an.
»Ein hässlicher Unfall und die Liebe haben mich an das verträumte Örtchen gebunden. Allerdings, so unbekannt ist das Städtchen gar nicht. Vor Jahrhunderten gaben sich hier Kaiser und englisches Königshaus die Ehre.«
»Tatsächlich?«
»Hm, drüben in Altenstein. Im Park hat kein Geringerer als Fürst Pückler seine Spuren hinterlassen. Das Renaissanceschloss ist weltbekannt. Und wenn in vier Jahren die Bundesgartenschau hier Einzug hält, wird es erneut in aller Munde sein.«
»Schloss Altenstein …«, überlegte Schäfer, »… ich glaube, darüber habe ich gelesen.«
»Sie fahren einfach die Hauptstraße weiter. Dann kommen Sie direkt zum Parkplatz. Ein Besuch lohnt sich. In wenigen Wochen öffnet auf dem Gelände ein modernes Café. Sie können auch einfach die Gasse hinter Ihrem Haus nach oben laufen. Da sind Sie schneller.«
Langsam legte sich Schäfers Nervosität. Die Tatsache, dass er nicht wie angenommen, in der unzivilisiertesten Gegend Deutschlands gestrandet war, ließ ihn hoffen.
»Sie hatten einen Unfall, dienstlich?«
Ein dunkler Schatten zog über das jugendliche Gesicht seines Partners. Beinahe bereute Schäfer seine direkte Frage. Das Braun der sehr aufmerksamen Augen verlor sich über der Metallleuchte des Tisches. Dann richtete er seinen Blick wieder auf Schäfer.
»Eine banale Verkehrskontrolle. A4, Ausfahrt Erfurt-Ost. Völlig unerwartet zog vor uns ein polnischer LKW auf unsere Spur …« Stille. Den wenigen abgebrochenen Sätzen folgte die schlichte Beschreibung des Unglückes auf dem vielbefahrenen Autobahnabschnitt.
»Leider oft genug ein Schauplatz furchtbarer Unfälle«, erklärte Hans.
»Als ich wieder zu mir kam, hatte man mich schon in den Aufwachraum des OPs geschoben.«
»Dann haben Sie das Revier gewechselt?«
»Nein, da noch nicht. Zunächst brauchte ich fast sechs Monate, um halbwegs auf die Beine zu kommen. Becken, beide Sprunggelenke, das benötigt Zeit.« Weil Schäfer noch immer seltsam dreinschaute, fuhr er fort: »Dann kam ich hierher. Unten in die M und I.«
»Die beste Rehaklinik am Platze. BG-Klinik, eine für die besseren Leute.« Die Grauhaarige lachte und stellte einen Teller mit Besteck auf den Tisch.
»Na, soweit würde ich nicht gehen. Wahr ist aber, dass man in dem Haus wieder fit wird.«
»Und sein Herz verliert«, mischte sich die Wirtin erneut ein. Ohne Schäfer, der allmählich genervt war, zu beachten, richtete sie ihr fröhliches Gesicht auf den Mann neben ihm. »Wie geht es Nicole? Ich habe sie lange nicht gesehen.«
Mit stolz geschwellter Brust und einem breiten Grienen erklärte Lichtholz, dass es für deren Abwesenheit einen triftigen Grund gab. Noch ehe Schäfer überhaupt registrierte, was hier geschah, trat sie an den Tisch und fiel Lichtholz um den Hals. »Das freut mich ganz besonders. Wann ist es denn soweit?«
Als verfolgte Roland ein Tennismatch, pendelte sein Blick zwischen beiden hin und her. Davon ließen sie sich nicht beeindrucken. Die Wirtin beugte sich über ihn als wäre er Luft.
»Ein paar Monate Geduld müssen wir schon noch haben. Bis dahin wird es Nicole auf jeden Fall besser gehen. Im Augenblick kann sie Gerüche überhaupt nicht vertragen.« Er zwinkerte ihr zu und sie zog sich beseelt zurück. Wenig später verschwand sie in der Küche.
»Dann darf ich wohl gratulieren?«, fragte Schäfer, dem der Grund der freudigen Neuigkeit schwante.
»Wie gesagt, ein halbes Jahr haben wir noch Zeit. Sie erfahren es als Erster. Ich beabsichtige, meine Elternzeit zu genießen.«
»Elternzeit?« Augenblicklich bedauerte Schäfer seine Frage. Die strafende Mimik der Wirtin, die mit dem Essen vor ihm stand, zeugte davon, wie laut er gesprochen hatte. Wenigstens sein Steak au four versöhnte ihn mit diesem Abend. Die Küche war hervorragend.
»Keine Käsespätzle?«, witzelte Lichtholz neugierig.
»Die mag ich nicht«, platzte der Schwabe heraus.
»Stattdessen Würzfleisch mit Worcestersauce. Respekt.« Lichtholz konnte sich das Lachen nicht verkneifen.
»Wieso Würzfleisch?«, fragte der Schwabe, zog die Speisekarte heran und blätterte. »Kein Wort steht hier von Würzfleisch.«
Das Grinsen seines Begleiters wurde noch breiter. Um des lieben Friedens Willen beließ er es jedoch dabei. Dennoch fragte er: »Ein Schwabe, der keine Spätzle mag?«
»Klingt seltsam, ist aber so. Ich weiß gar nicht weshalb. Meine Eltern waren Vertriebene aus dem Böhmischen. Die schwäbische Küche blieb meiner Mutter immer suspekt. Ich esse sie schon, aber dass ich darauf bestehe, so weit gehe ich nicht.«
»Aus dem Böhmischen, da könnten Sie direkt einen Abstecher in die alte Heimat machen. Hier sind Sie bereits auf halbem Weg.«
»Stimmt. Doch ich kann mich kaum erinnern. Als Kind habe ich zwar mit ihnen meine Großeltern besucht. Aber das ist eine Ewigkeit her.«
»Sie haben also hier Ihre Frau kennengelernt?«
»Hm«, murmelte Lichtholz mit vollem Mund. »In der Rehaklinik. Sie ist Therapeutin. Ich sagte schon, sechs Monate. Und dann bin ich geblieben.«
»Vermutlich war es für Sie eine weniger gewaltige Umstellung.«
»Oh, doch, das war sie. Es ging mir da ähnlich wie Ihnen. Einer aus Erfurt mit Nähe zur Landesregierung, Großstädter, Sie verstehen?«
»Nicht im Tal geboren.«
»Genau so.« Lichtholz lachte.
»Wollen Sie trotzdem bleiben?«
»Darüber haben wir noch nicht endgültig entschieden. Diskutiert wurde heftig. Bis unser Kind in die Schule kommt, haben wir das Thema vertagt. Dann müssen wir noch einmal reden.«
Tief atmend lehnte sich Schäfer zurück. Die Portion war mehr als reichlich. Anders als in Frankreich. Während seiner Zeit mit Ingrid hatte er sich völlig ihren Gewohnheiten angepasst.
»Woran denken Sie?«, fragte Lichtholz, der die Stille unterbrach.
»Frankreich«, erklärte Schäfer. Lichtholz wartete, dass er freiwillig erzählte.
»Ich bin vor zwei Jahren mit meiner Freundin nach Frankreich gegangen. Burgund, wunderschön. Ich habe einfach den Dienst quittiert, die Koffer gepackt …« Lauernd auf eine Reaktion schaute er seinem Kriminalmeister in die Augen. Doch der hielt sich instinktiv zurück. Mit leiser werdendem Ton fuhr er fort. »Ich hatte dort ein Haus gekauft. Es lag eine ziemlich schlimme Zeit hinter uns.«
Sein verträumter Blick verriet dem Erfurter, wie sehr die Sehnsucht an dem brummigen Kommissar nagte. Noch immer verhielt er sich still.