Krawall und Kekse - Shirley Jackson - E-Book

Krawall und Kekse E-Book

Shirley Jackson

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Beschreibung

Neben ihrem Talent für das Schaurige war die große amerikanische Autorin Shirley Jackson bekannt für die absurd-komische Betrachtung ihres Lebens als Ehefrau und Mutter von vier Kindern in einem baufälligen Herrenhaus in Vermont. In ›Krawall und Kekse‹, das erstmals 1953 erschien, hadert sie mit liegenbleibenden Autos, Haushaltshilfen, die nicht wiederkommen, und einem selbstvergessenen Ehemann, der mit seinen Nachkommen erst etwas zu tun haben will, wenn sie lesen und schreiben können. Auch die altklugen Kinder tanzen ihr auf der Nase herum: Sohn Laurie erfindet einen aufmüpfigen Klassenkameraden, dem er seine eigenen Streiche anhängt. Tochter Jannie geht nirgends ohne ihre Puppen-Entourage hin, Baby Sally isst eine Spinne und grinst triumphierend. Dieses Buch ist ein zeitloses Lesevergnügen, das unterschwellig damalige wie gegenwärtige Rollenverhältnisse aufs Korn nimmt. So berührt es alle, die in Mehrfachrollen stecken und die Herausforderungen der sogenannten Work-Life-Balance kennen.

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Seitenzahl: 292

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Shirley Jackson

Krawall und Kekse

Roman

Für die Großeltern meiner Kinder

Eins

Unser Haus ist alt und laut und voll. Als wir einzogen, hatten wir zwei Kinder und rund fünftausend Bücher; ich schätze, wenn wir irgendwann aus allen Nähten platzen und ausziehen, werden wir zwanzig Kinder und locker eine halbe Million Bücher haben; außerdem haben wir ein Sortiment an Betten und Tischen und Stühlen und Schaukelpferden und Lampen und Puppenkleidern und Schiffsmodellen und Pinseln und buchstäblich Tausende Socken. So leben wir jetzt, mein Mann und ich, unfreiwillig, als wären wir in einen Brunnen gefallen und hätten, da wir sowieso nicht mehr herauskommen, beschlossen, dass wir genauso gut bleiben und einen Stuhl und einen Tisch und irgendeine Lampe aufstellen können. Aber obwohl das jetzt unser Leben ist und wir es nicht anders kennen, ist es gelegentlich verblüffend, vielleicht sogar unerklärlich für Menschen, die nicht die absolute Gewissheit kennen, gleich im Dunkeln auf eine kaputte Zelluloidpuppe zu treten. Ich wüsste nicht, wie ich lieber leben würde, außer ohne Kinder und ohne Bücher, geräuschlos in einem Apartmenthotel, in dem für einen sauber gemacht und das Essen hochgeschickt wird und man nichts tun muss, außer auf dem Sofa liegen und – wie gesagt, ich wüsste nicht, wie ich lieber leben würde, ich musste aber, alles in allem, auch ziemlich viele Kompromisse machen.

Manchmal sehe ich mir all das Zubehör unseres Lebens an – Brottüten, Schreibmaschinen, kleine Teile, die irgendwo zugehören – und staune über die Komplexität der Kultur, mit der wir uns umgeben. Ich frage mich, ob wir froh wären, wenn all das abgeschafft würde und wir nur auf das Notwendige zurückgeworfen wären (Kaffeebecher, Schreibmaschinen, die wirklich nötigen kleinen Teile, die irgendwo zugehören), und dann – das passiert normalerweise im Frühling – fange ich an, Sachen wegzuwerfen, und es stellt sich heraus, dass wir zwar aufs Angenehmste ohne die kleinen Teile, die irgendwo zugehören, leben können, dass aber praktisch sofort neue kleine Teile auftauchen. So funktioniert vermutlich Fortschritt. Es können neue kleine Teile hergestellt werden, wenn nicht schneller, als sie von Sachen abfallen, dann jedenfalls schneller, als ich sie wegwerfen kann.

Ich erinnere mich an den Vormittag vor langer Zeit, als unser Vermieter anrief. Unser Sohn Laurie war dreieinhalb, unsere Tochter Jannie war sechs Monate alt, ich hatte das Mittagessen fast fertig und die Windeln gewaschen, zusammen mit den Hemdchen und den Nachthemden und den Lätzchen und den Baumwolldecken, und alles hing zum Trocknen auf der Leine (und egal, was andere sagen, das ist die Arbeit eines Vormittags, wenn man bedenkt, dass ich außerdem Brownies gebacken und den Müll rausgebracht hatte), und dann rief der Vermieter an. Er war ein netter Mann, väterlich, deshalb erkundigte er sich erst mal nach meiner Gesundheit und nach der Gesundheit meines Mannes, und dann fragte er, wie es unserem Jungen ginge. Und dem Baby? Und als ich sagte, es gehe uns allen gut, sagte er, gut, uns sei sicher bewusst, dass unser Mietvertrag auslaufe? Ich sagte, nein, wir hätten eigentlich nicht gewusst, dass unser Mietvertrag auslaufe. Und da sagte er, nun, er hätte angenommen, wir hätten in letzter Zeit mal in den Vertrag geguckt, und ich fragte mich, ob das vielleicht das Blatt Papier gewesen war, das Laurie zerrissen und aufgegessen hatte, und sagte, es sei tatsächlich eine Weile her, seit wir zusammengesessen und unseren Vertrag durchgelesen hätten. Das sei ja schlecht, sagte er. Ist es das, sagte ich. Denn, sagte er mit sanfter Stimme, die Wohnung sei an jemand anders vermietet worden. Nach einer Pause sagte ich, vermietet? An jemand anders? Dann lachte ich und sagte, und was sollen wir machen – umziehen? Er sagte, ja, genau das sollten wir tun.

»Natürlich«, fuhr er fort, »könnten wir auch zwangsräumen, wenn wir wollten.«

»Wirklich?« Ich dachte an Briefe an den Präsidenten, in denen wir uns auf das Wohlergehen unserer zwei kleinen Kinder beriefen. »Uns wäre aber lieber, Sie zögen einfach aus«, sagte er.

»Aber wohin denn?«

Er lachte herzlich. »Fragen Sie mich was anderes«, sagte er. »Wohnungen sind heutzutage ganz schön schwer zu finden.«

»Wir können uns ja mal umhören«, sagte ich zweifelnd. Briefe, dachte ich, ihn verklagen für das Stück Putz, das meinem Mann auf den Kopf gefallen ist, während er sich rasierte: Anwälte.

»Wir planen die Übergabe um den ersten Mai rum«, sagte er.

»Heute ist der fünfundzwanzigste März«, sagte ich.

»Richtig«, sagte er. »Die Miete ist bald fällig.« Wieder lachte er.

Am nächsten Tag bekamen wir ein Schreiben, über dem »Kündigung und Aufforderung zur Räumung« stand. Ich zog in Erwägung, siedendes Öl aus dem Fenster zu schütten und die Türen mit dem Esstisch zu verbarrikadieren. Was uns beide noch wütender machte, war, dass wir überhaupt nicht die Absicht gehabt hatten, den Mietvertrag zu verlängern, wir hatten vage ins Auge gefasst, umzuziehen, sobald wir etwas anderes gefunden hätten. »Allein die Vorstellung«, sagte ich entrüstet zu meinem Mann, »diese Wohnung an jemand anders zu vermieten, ohne die kaputte Stufe zu reparieren. Die auf der Treppe.«

»Hinterlass den Neuen eine Nachricht wegen der Kakerlaken«, riet mein Mann. Er riet außerdem energisch davon ab, aus irgendeinem unklaren Grund Klage zu erheben (das Stück Putz? Das Radio der Nachbarn?), und sagte, meine Schulter tätschelnd, er wüsste, wie wichtig es mir schon die ganze Zeit gewesen sei, eine neue Wohnung zu finden.

Wir träumten davon, nach Vermont zu ziehen, in eine Stadt, in der sich ein befreundetes Paar niedergelassen hatte, das uns begeisterte Berichte schickte von den Bergen und den im eigenen Garten spielenden Kindern und sauberem Schnee und selbst gezogenen Mohrrüben, und jetzt sah es plötzlich extrem danach aus, als würden wir entweder nach Vermont ziehen oder in ein Zelt im Park. Ich rief ein halbes Dutzend Makler an, und alle lachten so herzlich, wie unser Vermieter gelacht hatte. »Haben Sie nicht irgendwelche Verwandte, zu denen Sie ziehen können?«, fragte einer von ihnen.

Am Ende machten wir, zwei kühne Abenteurer, uns auf in unerforschtes Gebiet, ließen die Kinder bei ihren Großeltern und stiegen am Bahnhof mit unseren Koffern und unseren Überschuhen in einen Zug, ein Spähtrupp auf dem Weg in die Kleinstadt, wo unsere Freunde lebten, wo die Berge so hoch waren und der Schnee so sauber. Das mit dem Schnee war, wie wir feststellten, zweifellos richtig. Unsere Stadtüberschuhe verschwanden beim Aussteigen bis zum Anschlag, und während der drei Tage, die wir dort waren, hatten wir beide permanent feuchte Füße und kleine schmelzende Eisstückchen an den Strümpfen hängen.

Gut war, dass es viele, viele freie Häuser gab. Das hörten wir von einer Dame namens Mrs. Black, einer mütterlichen alten Person, die in einer benachbarten großen Stadt lebte, aber, wie sie selbst betonte, jedes Haus und jede Familie im ganzen Staat kannte. Sie zeigte uns ein Haus, das sie das Bassington-Haus nannte und das perfekt für uns und unsere Bücher und unsere Kinder gewesen wäre, hätte es über irgendeine Art von Wasserrohren verfügt.

»Rohre kann man ja leicht verlegen«, erklärte uns Mrs. Black. »Bauen Sie welche ein, und Sie haben ein richtig schönes Haus.«

Mein Mann trat im Schnee nervös von einem Fuß auf den anderen. »Na ja«, sagte er, »damit kommen wir zum … na ja … Thema Geld.«

Mrs. Black zuckte mit den Schultern. »Wie viel werden Rohre schon kosten? Sie stecken tausendzweihundert, vielleicht tausendfünfhundert Dollar rein und haben ein richtig schönes Haus.«

»Also, wissen Sie, wenn wir tausendfünfhundert Dollar hätten, könnten wir auch eine Hausverwaltung –«, fing mein Mann an, und ich fiel ihm schnell ins Wort. »Vergessen Sie nicht, Mrs. Black, dass wir mieten wollen.«

»Mieten, wirklich?«, sagte Mrs. Black, als beweise das endgültig, dass wir zweifelhafte Gestalten waren, die sich aus reinem Vergnügen Häuser ansahen. »Also, ich an Ihrer Stelle, mit kleinen Kindern und allem, ich würde kaufen.«

»Aber das Geld –«, sagte mein Mann.

»Geld?«, sagte Mrs. Black verächtlich. »Zwei-, dreitausend Dollar.« Sie überlegte. »Andererseits«, sagte sie fröhlich, »wenn man es selbst macht – Rohre einbauen, ein bisschen malern, vielleicht das ein oder andere reparieren –, ließen sich die Kosten bestimmt deutlich senken.«

Sie sah bei diesen Worten direkt meinen Mann an, und er lächelte vage und nickte, für diesen kurzen Moment offenbar angetan von der Vorstellung, die Rohre selbst zu verlegen. »Überschlagen Sie mal«, fuhr Mrs. Black fort, »Sie stecken zwei-, dreitausend Dollar rein, Sie kriegen von Henry Andrews eine Ersthypothek, damit Sie das ein oder andere ausbessern können – dafür brauchen Sie nur den Nachweis, dass es Ihnen gehört, und vielleicht ein bisschen Eigenkapital, Henry Andrews kann Ihnen das genauer sagen. Steuern natürlich. Versicherung werden Sie haben wollen, und dann noch Heizung und Elektrik, vielleicht kriegen Sie ja Bill Adams dazu, die Klempnerarbeiten für weniger zu machen, weil das Haus der Schwester seiner Frau gehört, und das war’s schon. Zehn, fünfzehn Jahre, und Sie haben ein richtig schönes Haus, und es gehört Ihnen. Andersrum würden Sie immer noch Miete zahlen.«

»Aber das Geld –«, sagte mein Mann.

Mrs. Black fuhr nahtlos fort. »Andererseits gefällt Ihnen vielleicht auch das Haus von den McCafferys. Das hat schon Rohre.«

Das Haus von den McCafferys mochte Rohre haben, wir kamen aber nie dort an, weil die Schotterstraße, die auf einen Hügel und zu dem Haus führte, wegen Schnee unpassierbar war. »Es muss allerdings entrümpelt werden«, sagte Mrs. Black, als wir alle am Fuß des Hügels standen und zu dem Haus hochsahen.

Ein Mr. Miller, der eine Lederjacke und eine Mütze mit Ohrenschützern trug, fuhr uns zum Haus der Donalds. Es war ein hübsches Haus, das auf einem Hektar Marschland stand, aber unangemessenerweise verlangten wir einen Ofen, den wir, wie Mr. Miller überschlug, für Zwei-, vielleicht Dreitausend einbauen könnten. »Heizen Sie mit dem Backrohr«, sagte er, »das würd ich machen. Geht nicht so ins Geld wie ein Ofen.«

»Geld –«, sagte mein Mann.

»Sind Sie denn …«, Mr. Miller sah meinen Mann abschätzig an, »… handwerklich begabt?«

Mr. Faber, der eine karierte Jagdhose trug und seine Zigaretten selbst drehte, zeigte uns das Haus der Grants, das nur drei Zimmer und einen hübschen Garten hatte, und das Haus der Exeters, das groß und verwinkelt und geheizt war und sogar über Rohre verfügte. »Wirklich schönes Haus«, sagte Mr. Faber, als wir staunend in dem vertäfelten Esszimmer standen. »Ist für Fünfzigtausend ausgeschrieben, aber da wird er noch Abstriche machen müssen.«

»Fünf—«, sagte mein Mann.

»Ja, ich dachte mir schon, dass Sie so viel nicht ausgeben möchten«, sagte Mr. Faber traurig, »aber ich dachte, Sie würden es trotzdem gern sehen.«

Mrs. Black, die uns am nächsten Morgen um neun wieder abholte, zeigte uns das Haus der Hubbards, ein umgebautes Bauernhaus mit wunderbaren Böden und hohen Decken und Kaminen und sauberen farbigen Wänden und sogar einer Garage, das aber keine Schlafzimmer hatte. »Das Wohnzimmer allein hat siebzig Fuß«, sagte Mrs. Black. »Eine Art Einzimmerhaus, könnte man sagen.« Sie zögerte. »Für Drei-, Viertausend könnte man einen Seitenflügel anbauen«, schlug sie hoffnungsvoll vor.

»Aber wir möchten mieten«, sagte ich klagend. »Wir wollen nichts einbauen und nichts anbauen und nichts rausreißen, wir wollen ein Haus mieten, das fertig ist, bevor wir einziehen.«

Mrs. Black seufzte. »Das Haus von den Exeters ist schön«, sagte sie schließlich. »Richtig groß, würde gut zu Ihnen passen. Kostet –«

Am Ende des zweiten Tages hatten wir sogar eine Scheune besichtigt, von der jemand dachte, er könnte sie ja mal vermieten. Darin befanden sich allerdings zwei Kühe und ein Traktor, und nicht mal Mrs. Blacks optimistischer Vorschlag, dass wir aus den Stallboxen leicht Kinderzimmer machen könnten, ermunterte uns einzuschlagen.

»Tja«, sagte Mrs. Black, als sie sich vor dem Haus unserer Freunde von uns verabschiedete, »ich würde sagen, Sie können sich glücklich schätzen, eine Wohnung in der Stadt zu haben.«

Erschöpft saßen wir an jenem Abend in dem gemütlichen Wohnzimmer unserer Freunde, mit einem Dach über dem Kopf, sicher untergebracht, wenn auch nur auf Zeit, und versuchten verzweifelt, Pläne zu machen. Es war der zweite April, wir hatten die offizielle Räumungsklage bekommen, und unsere Gedanken rotierten; wir könnten einen Wohnwagen mieten oder die Kinder bei ihren Großeltern leben lassen oder ein Zelt und ein Kanu leihen und die Großen Seen erforschen.

»Exeter«, sagte mein Mann kläglich. »Exeter, McCaffery, Grant. Bassington, Hubbard, Donald. McCaffery, Bassington, Donald, Grant. Exeter, Hubbard –«

»Wir können nicht in einem Haus ohne fließend Wasser leben«, sagte ich.

»Auch nicht ohne Ofen«, sagte mein Mann. »McCaffery, Hubbard –«

»Vielleicht bekommen wir von unserem Vermieter ja doch noch eine Verlängerung«, sagte ich ohne jede Hoffnung. »Wenn er wüsste, wie sehr wir es versuchen, würde er uns vielleicht noch ein paar Wochen geben.«

Unsere Freunde saßen da und schüttelten mitfühlend den Kopf, obwohl ihr eigenes Haus abbezahlt war und fest auf seinen Grundmauern stand, mit einem Ofen, der lief wie geschmiert, und gut erhaltenen Rohren.

»Wenn wir bloß Geld hätten«, sagte mein Mann, und alle seufzten.

Am nächsten Tag mussten wir den Zug nach Hause nehmen, und auf dem Weg zum Bahnhof hielt ich beim einzigen Lebensmittelladen im Ort und kaufte Zigaretten. Nachdem ich bezahlt hatte, sagte der Ladenbesitzer: »Wohl nichts gefunden?«

»Nein«, sagte ich überrascht, erfuhr aber später, dass er nicht nur über unsere Wohnsituation informiert war, sondern auch über die Namen und das Alter unserer Kinder, über das Fleisch, das wir am Vorabend serviert bekommen hatten, und über das Einkommen meines Mannes.

»Zu schade, dass Sie das Haus von den Fieldings nicht interessiert«, sagte der Ladenbesitzer.

»Von dem wissen wir gar nichts«, sagte ich.

»Ich hätt’ mich ja gemeldet«, sagte der Ladenbesitzer, »aber Mae Black hat gesagt, Sie wollten auf jeden Fall kaufen. Das Fielding-Haus ist aber nicht zu verkaufen.«

»Und wie ist das so?«

Der Ladenbesitzer machte eine unklare Handbewegung. »Alt«, sagte er. »Hat lange die Familie drin gewohnt.« Er nahm von einem kleinen Jungen einen Fünfer entgegen und half ihm, die Verpackung von seinem Eis zu entfernen, dann sagte er: »Warum melden Sie sich nicht mal beim alten Sam Fielding? Ich wette, es wär ihm eine echte Freude, es Ihnen zu zeigen.«

Es fuhr pro Tag nur ein Zug aus der Stadt. Wenn wir noch blieben, um uns das Fielding-Haus anzusehen, konnten wir erst am nächsten Tag fahren; ich zögerte, und der Ladenbesitzer sagte: »Schadet ja nicht, mal zu gucken.«

Ich ging raus und steckte meinen Kopf in den Wagen, in dem mein Mann mit unseren Gastgebern wartete. »Schon mal vom Fielding-Haus gehört?«, fragte ich.

»Das Fielding-Haus?«, fragte unsere Gastgeberin und unser Gastgeber sagte: »Was wollt Ihr denn mit dem?«

»Was ist denn damit?«, fragte ich.

»Na ja«, sagte unsere Gastgeberin, »es ist ungefähr tausend Jahre alt.«

»Eher eine Million Jahre«, sagte unser Gastgeber. »Es ist …« Er machte eine hilflose Geste. »Es hat so riesige weiße Säulen vor der Fassade«, sagte er.

»Und ist hinter den Säulen ein Haus?«, fragte mein Mann. »Denn wenn ja und wenn es Rohre hat und einen Ofen und Schlafzimmer, und die vermieten uns das, dann ziehen wir da ein.«

Das Fielding-Haus war ein sehr altes Haus ungefähr eine Meile außerhalb der Stadt. Es war das älteste im Viertel und das drittälteste im ganzen Stadtgebiet; wir waren, wie wir schockiert begriffen, mehrere Male daran vorbeigefahren, als wir mit Mrs. Black und Mr. Miller und Mr. Faber unterwegs gewesen waren, um uns andere Häuser anzusehen. Es war – das schlug ich kurz nach unserem Einzug im Stadtarchiv nach, als ich vergeblich versuchte, mich damit zu arrangieren – um achtzehnhundertzwanzig als Gutshaus inmitten eines großen Anwesens erbaut worden, von einem Arzt namens Ogilvie. Damals hatte man im County die Klassik neu entdeckt, und Doktor Ogilvie entwarf sein Haus vermutlich nach einem kleinen griechischen Tempel; er ließ an der Vorderseite vier massive weiße Säulen errichten, baute zwei Seitenflügel an und ließ dem Haus mit der Sparsamkeit des wahren Neuengländers hinter der Fassade dann gerade einmal die Tiefe eines einzigen Zimmers. Nachdem die Familie Ogilvie ausgestorben oder weggezogen war, was kurz nach dem Hausbau der Fall gewesen war, ging es in die Hände einer Familie namens Cortland über, die den Großteil des Grundbesitzes verkaufte und aus Doktor Ogilvies Holzschuppen eine Sommerküche machte. Die Cortlands verkauften das Haus irgendwann an eine Familie namens Fielding, die das umgebende Land, auf dem inzwischen zahlreiche Häuser standen, sofort zurückkaufte, die Häuser vermietete, eine Sägemühle an den Fluss baute, der durch Doktor Ogilvies Land floss, und die Mieter als Arbeiter einstellte. Dem Stadtarchiv zufolge war der Stammvater der Fieldings bei Doktor Ogilvie Knecht gewesen, und die Familie hatte zweifellos damals schon ein Auge auf das Haus geworfen. Als die Stadt wuchs, wurden die Fieldings wohlhabender, und irgendwann starb die letzte Generation echter Fieldings und das Haus und der gesamte Landbesitz gingen an drei Cousins, die alle in benachbarten Städten in hochmodernen Häusern lebten und mit ihrer Beteiligung an dem Sägewerk ein gutes Geschäft machten.

Als das Gutshaus zur Miete ausgeschrieben wurde, war es, als wäre ein entscheidender Teil der Stadt unmerklich in den Fluss gerutscht, und es entstand eine große Kälte zwischen den Fielding-Erben und den Bartletts, denen das zweitälteste Haus der Stadt gehörte. Während der größten Wohnungsnot, als das Sägewerk Tag und Nacht auf voller Kraft lief, blieb das alte Gutshaus auf dem Hügel leer, die weißen Säulen versackten im Boden, und die Auffahrt war entweder voll toter Blätter oder von unberührtem Schnee bedeckt. Als wir es zum ersten Mal sahen, wirkte es etwas lächerlich, sogar die Zäune zu beiden Seiten und vor der Front schienen sich von ihm wegzubeugen, ohne sich vollends zu distanzieren, als würden sie es insgeheim missbilligen, der Welt jedoch mit ihm gemeinsam die Stirn bieten. Sam Fielding war der einzige der Fielding-Cousins, der noch den Familiennamen trug, weshalb man es offenbar logisch fand, dass er uns das Haus zeigen sollte; er war ein kleiner, stiller, alter Mann und sprach in der langsamen Art der nachdenklichen Vermonter. Zusammen mit meinem Mann und mir stand er am Fuß der Wiese, und wir alle starrten still die riesigen Säulen an, die Seitenflügel, die eiserne Wetterfahne, die stumm zurückstarrte.

»Das ist es«, sagte Mr. Fielding unumwunden. »Irgendeinen Nutzen würd ich gern draus ziehen.« Er sah schnell weg, als wollte er einem vorwurfsvollen Blick des Hauses ausweichen. »Gutes Haus«, fügte er hinzu.

»Es wirkt so …« Ich zögerte. »… beeindruckend«, sagte ich schließlich.

»Beeindruckend«, stimmte Mr. Fielding zu. Er lehnte eine Zigarette ab, die mein Mann ihm anbot, und zog eine eigene hervor; es war dieselbe Marke, aber es war seine. »Muss bisschen aufgemöbelt werden«, sagte er und deutete mit dem Kinn in Richtung des Hauses.

»Dürfen wir reingehen?«, fragte ich. »Falls wir uns dafür interessieren, würde ich es gern von innen sehen.«

»Tür ist offen«, sagte Mr. Fielding.

Mein Mann und ich zögerten. Mr. Fielding machte es sich auf einem Baumstumpf gemütlich und schlug ein Bein über das andere. »Tür ist offen«, sagte er noch einmal.

Gemeinsam gingen mein Mann und ich auf die Haustür zu, gerade rechtzeitig die kaputte Stufe meidend, die auf die Veranda führte. Zwischen den Säulen angekommen, war die Ausstrahlung des Hauses überwältigend; dies war ein Haus, verglichen mit den Notunterkünften der McCafferys und Exeters. Mein Mann berührte vorsichtig die Haustür, und sie öffnete sich. Umsichtig, auf der Hut vor kaputten Bodendielen, betraten wir einen breiten Flur, der im Schatten der Säulen lag und in eine schöne gerade Treppe im Kolonialstil mündete; irgendwo rechts von uns waren ein mit roten Kohlrosen übersäter Teppich und ein Harmonium unter dunklen alten Gemälden, die sich überrascht etwas vorzubeugen schienen, um uns sehen zu können; wir gingen in die Küche, wo ein monumentaler schmiedeeiserner Ofen uns unter sich zu begraben drohte, und in der Küche war ein dick mit Staub bedeckter Tisch, auf dem eine staubige Tasse stand und ein Teller mit zwei harten, uralten Donuts. Ein Stuhl stand etwas vom Tisch abgerückt.

»Tut mir leid, dass wir geblieben sind«, sagte ich ernst zu meinem Mann, und meine Hände zitterten beim Anblick der schrecklichen Donuts. »Wir stören sie beim Mittagessen, lass uns direkt wieder gehen.«

»Wenn es nicht das einzige Haus in der Stadt wäre …«, sagte er, folgte mir aber schnell nach draußen.

Mr. Fielding erhob sich, als wir wieder zwischen den Säulen erschienen, und als wir uns näherten, sagte er: »Es zieht sich zu. Wird schneien, noch vor morgen früh.« Er begleitete uns ernst zum Bahnhof und erörterte das Wetter, und als unser Zug einfuhr, sagte er: »Bisschen was müsste noch gemacht werden, eh Sie im Frühling einziehen.«

»Wie lange«, fragte ich, »ist es eigentlich her, dass jemand in dem Haus war?«

»Nicht, seit der Alte gestorben ist«, sagte er. »Vier Jahre müssten das jetzt sein.«

»Nicht mal, um aufzuräumen?«, fragte ich nach. »Um seine Sachen durchzusehen oder so?«

»Dachte nie, dass wir’s vermietet kriegen«, sagte er nachdenklich. »War kein Grund zur Eile.«

Als wir in den Zug stiegen, winkte er uns freundlich nach. Den Großteil der nächsten zwei Wochen über hielt ich an der unpraktischen Überzeugung fest, dass mir egal war, ob es das letzte Haus in der Stadt war, meinetwegen auch auf der Welt, mir war auch egal, ob das bedeutete, dass wir im Park leben mussten, ich würde nicht in einem Haus mit zwei versteinerten Donuts wohnen. In der Woche darauf erhielten wir jedoch einen Brief von Mr. Fielding, in dem stand, das Haus würde in Ordnung gebracht und ob uns eine Miete von fünfzig Dollar pro Monat zu hoch wäre?

»Du scheinst das Haus genommen zu haben«, sagte ich ungerechterweise zu meinem Mann.

»Wahrscheinlich, weil wir reingegangen sind«, sagte er. »Niemand ist je reingegangen, damit haben wir praktisch den Mietvertrag abgeschlossen.«

Eine Woche darauf erhielten wir einen weiteren Brief von Mr. Fielding, in dem stand, das Haus sei bereit für uns, abgesehen von der Fassade, die gestrichen werde, sobald das Wetter freundlicher sei. Da wir seinen letzten Brief nicht beantwortet hätten, nehme er an, die Miete sei zu hoch, ob wir aber glaubten, vierzig zahlen zu können?

Ein starkes Schuldgefühl trieb meinen Mann, umgehend zurückzuschreiben, dass fünfzig Dollar pro Monat vollkommen in Ordnung wären; »bevor er es uns noch schenkt«, sagte er zu mir.

»Aber ich bin überhaupt nicht –«, sagte ich, um dann zu merken, dass ich es natürlich doch war.

Ich fuhr einen Tag nach meinem Mann mit dem Zug hoch. Bei mir hatte ich einen hellauf begeisterten Laurie und Jannie in ihrem Körbchen und die ganze Zugfahrt über fragte ich mich, eingequetscht zwischen Laurie und dem Babykörbchen, den Koffern und den Sandwiches, ob irgendjemand daran gedacht hatte, den Küchentisch und die Donuts wegzuräumen; mein Mann hatte versprochen, dass wir noch einmal versuchen könnten, etwas in der Stadt zu finden, falls wir es wirklich nicht aushielten. Er wartete zusammen mit Mr. Fielding am Bahnhof auf uns, und als ich Mr. Fielding wiedersah, überkam mich das Gefühl, in dem Haus zu sein, so klar und umfassend, dass ich drauf und dran war, direkt wieder kehrtzumachen. Er lächelte mich fröhlich an, sagte zu Laurie »Tag, mein Freund« und starrte das Baby eine Weile lang ernst an; es starrte zurück, und dann nickte er mir zu und sagte beruhigend: »Haben’s bisschen aufgemöbelt.«

Als ich das Haus sah, wusste ich, was er meinte. Es war buchstäblich abgeschabt worden bis auf die Holzwände. Mr. Fielding hatte neu tapeziert, prachtvolle große Muster, die Fenster waren geputzt, die Säulen gerichtet, die kaputte Stufe repariert worden, und in der Küche verpasste ein gut gelaunter Mann dem neuen Regal mit leuchtend weißer Farbe den letzten Schliff; es gab einen brandneuen elektrischen Herd und einen neuen Kühlschrank, die Böden waren ausgebessert und lackiert worden, von der Säule ganz rechts hatte man ein Hornissennest entfernt. Der Rasen zeigte das erste Grün, und Laurie lief zwischen den Säulen hin und her und berührte jede einzelne, bevor er johlend die Treppe rauf- und runterhüpfte. Jannie lächelte in ihrem Körbchen und blickte durch die Bäume in den Himmel.

»Es ist wunderschön«, sagte ich, den Tränen nah, zu Mr. Fielding. »Ich dachte, es würde noch aussehen wie vorher.«

»Musste einiges gemacht werden«, bestätigte Mr. Fielding. Dann nickte er in Richtung des neuen Herds und sagte: »Hat dem alten Haus gutgetan.«

In dem Augenblick fuhr unser Umzugswagen vor, und die drei muskulösen, unverschämten Typen, die beim Heraustragen der Möbel aus der Wohnung so natürlich gewirkt hatten, wirkten plötzlich ganz unpassend, als sie unsere kleinen Stühle und Tische zwischen den Säulen hineintrugen.

»Wir haben auch neue Rohre verlegt«, sagte Mr. Fielding und ging davon.

In den ersten paar Wochen ging alles durcheinander. Unsere Möbel, die für eine Stadtwohnung mehr als angemessen gewesen waren, verteilten sich allzu weitläufig auf die hallenden Zimmer des Hauses, und wir mussten es mit seltsamen Tischen und Stühlen auffüllen, die wir Mr. Fielding abkauften oder bei Trödlern in der Nähe erstanden. Das Haus war seit Doktor Ogilvies Zeiten, wie ich später erfuhr, enorm gewachsen. Die Cortlands hatten die Sommerküche angebaut, aber die Fieldings hatten noch viel mehr angebaut, sodass der Raum, der ursprünglich die Sommerküche gewesen und an der Rückseite des Hauses hochgezogen worden war, jetzt zum Beispiel in der Mitte zwischen größeren, robusteren Räumen klemmte und auch keine Küche mehr war, sondern ein dunkles kleines Zimmer, das manchmal schwer zu finden war. Wir hatten nur drei Betten, aber sechs Schlafzimmer, weshalb Mr. Fielding uns für fünfzig Cents ein Bett verkaufte, das erst kürzlich aus dem Haus in eine der geräumigen Scheunen gebracht worden war. Wir versuchten vergeblich, das Harmonium zu erwerben, das die Fieldings an einen Antiquitätenhändler verhökert hatten; aber wir kauften den Teppich mit den Kohlrosen, weil es der einzige war, der in die weite Wüste des Wohnzimmers passte; wie aus einem Munde lehnten wir den alten Küchentisch ab. Alle Dinge, die früher schon im Haus gewesen waren, und alle, die aus ähnlichen alten Häusern kamen und sich auskannten, fanden wie von selbst die richtige Stelle im Zimmer, als würden sie sich schnell den besten Platz sichern, bevor die Stadtmöbel kamen. Sosehr wir unsere dick gepolsterten Sessel vor den Kamin im Wohnzimmer stellen wollten, ein alter Schaukelstuhl aus Holz, den Mr. Fielding uns geschenkt hatte, bestand auf seinem Vorrecht, die Mitte des Kaminvorlegers zu besetzen, und konnte schon allein des Anstands wegen nicht woandershin geschoben werden. Ein altes Vertiko, eine Zeitgenossin des Schaukelstuhls, auch wenn sie aus einer Scheune am anderen Ende der Stadt stammte, besetzte die Ecke des Wohnzimmers in der Nähe des Schaukelstuhls, sodass die beiden dort in stiller Zweisamkeit zusammenlebten.

Nach ein paar vergeblichen Versuchen, den Dingen unsere eigene eckige Ordnung aufzuzwingen, worauf alles aus den Fugen geriet und uns eine durch Mark und Bein gehende Unstimmigkeit entgegenschrie, ließen wir den alten Möbeln ihren Willen und den Ort, den sie sich ausgesucht hatten. Irritierend blieb eine bestimmte Stelle im Esszimmer, eine Stelle, die weder Tisch noch Büfett aufnehmen wollte und an der sich der Boden alarmierend senkte, als ich versuchte, dort ein Radio unterzubringen, bis ich durch reinen Zufall herausfand, dass diese Stelle an einen Schreibtisch gewöhnt war und nicht zufrieden sein würde, bevor ich nicht einen dünnbeinigen alten Schreibtisch gesucht und ein Tintenfass aus Messing daraufgestellt hätte.

Es gab eine Tür zu einem Dachboden, die gern zublieb und einklinkte, egal, wer gerade drinnen war; es gab eine weitere Tür, die für gewöhnlich etwas offen stand, auch wenn sie sich gutwillig für einige Zeit schließen ließ, vorausgesetzt, es lag ein besonderer Grund vor. Wir hatten fünf Dachböden, wie wir feststellten, in- und auf- und nebeneinander gebaut; einer von ihnen beherbergte Fledermäuse, den verschlossen wir komplett; ein anderer war trotz seines einzigen kleinen Fensters hell und fröhlich und hatte gern Besuch, sodass er ohne unser Zutun zu einem Ort wurde, an dem vorübergehend Dinge verstaut wurden, Dinge, die regelmäßig hin und her geräumt wurden wie Schlitten und Schneeschaufeln und Harken und Hängematten. Im Keller hing eine alte Wäscheleine, und nachdem die Leine, die ich im Garten aufgehängt hatte, zum dritten Mal heruntergefallen war, gab ich es auf und hängte im Keller eine neue Leine auf, wo die Kleidung schnell und frisch trocknete. Weil wir vier Kamine hatten, stockten wir den Holzschuppen auf, und mein Mann fand ein seltsames Vergnügen am Holzhacken, sodass in der Küche angenehmerweise das Echo der Axtschläge im Holzschuppen zu hören war. Ein Schlafzimmer entschied sich für die Kinder, weil es groß und hell war, an einer Wand unverkennbare Wachstumsmarkierungen aufwies und nichts dagegen zu haben schien, wenn auf der Tapete Stiftspuren auftauchten oder Farbe auf dem Boden verschüttet wurde. In das kleine dunkle Zimmer im Erdgeschoss stellten wir Bücherregale, und ab der dritten Woche fand mein Mann es auch bei neun von zehn Versuchen.

Es war tatsächlich ein gutes altes Haus. Unsere Katzen schliefen auf dem Schaukelstuhl, unsere Freunde kamen zu Besuch. Wir gewöhnten uns daran, in bestimmten Läden zu handeln, und wir kauften unseren Käse vor Ort und hatten bald einen Arzt und einen Hund; Laurie kam in den Gemeindekindergarten und lernte wie ich bald zu sagen »im alten Fielding-Haus – dem mit den Säulen«. Gegen Ende unseres ersten Jahres dort kam der Maler, um die Fassade zu streichen, und er strich sie weiß mit einem grünen Rand, in den Farben, in denen sie immer gestrichen worden war; tatsächlich bezweifelte ich, dass er überhaupt andere Farben hatte. »Solche Häuser gibt’s ja heutzutage kaum noch«, sagte er, von seiner Leiter freundlich auf mich herablächelnd, »findet man überhaupt nicht mehr, Häuser, die so gebaut sind.«

Ich sah von der Veranda durch das Fenster in der Haustür nach drinnen, sah die schmale Silhouette der Treppe und die hellen Vorhänge im Esszimmer. »Ist ein gutes altes Haus«, sagte ich.

»Man merkt’s immer an den Katzen«, sagte der Maler geheimnisvoll.

Ich stellte fest, dass ich in der Stadt immer zu beschäftigt gewesen war, um überhaupt irgendetwas zu machen, jetzt aber seltsame Dinge produzierte wie Lebkuchen und Krautsalat. Laurie legte hinter dem Haus etwas Gartenartiges an, und Jannie machte im Esszimmer ihre ersten Schritte. Einmal ließ ich die beiden bei unserer Nachbarin und fuhr für eine wilde zweitägige Einkaufstour in die Stadt. Als ich in unser altes Viertel kam und vor unserem alten Mietshaus stand, konnte ich an nichts anderes denken als daran, wie klein und schmutzig es aussah. »Es hat ja nicht mal Säulen«, sagte ich mir voller Genugtuung, und am liebsten hätte ich unserem alten Vermieter geschrieben und ihm das gesagt.

Das Haus war also alt, als wir es fanden, laut, als wir es bezogen, und es dauerte nicht lange und es war voll bis oben hin. Unsere Kinder brachten Freunde und Schaukelpferde und Farbpinsel mit, wir steuerten Freunde und Bücher bei und kleine Teile, die irgendwo zugehören. Ich lernte, wie man den Teig für Pies zubereitet – obwohl ich, fürchte ich, alles andere als die geborene Pie-Bäckerin bin. Bei schönem Wetter kamen an den Wochenenden jetzt Leute aus der Stadt angefahren.

Jannie sprach über längere Zeit von einer weit entfernten Stimme im Haus, die ihr nachts vorsang, und wir stellten den Weihnachtsbaum in die Ecke des Wohnzimmers, wo die Lichter nachts durch die Säulen zu sehen waren; wir harkten die Blätter auf der Wiese vorm Haus zusammen und fuhren mit dem Schlitten den Hang runter. Wir fingen an, abfällig über Leute aus der Stadt zu reden.

Ich kann mir, wie gesagt, kein besseres Leben vorstellen; sein einziger Makel – abgesehen von der zermürbenden Arbeit und den bösartigen Pies, die sich weigern, braun zu werden – ist, dass es immer weitergeht, scheinbar ganz ohne irgendwelche größeren Veränderungen. Ich beobachtete meine Nachbarn, und es wirkte auf mich, als wären sie zufrieden damit, einfach so vor sich hin zu leben, jeden Tag zur Kenntnis zu nehmen und abzuarbeiten, ohne jedoch im Geringsten zwischen den Tagen zu unterscheiden, und auch wenn das offenbar die beste Art und Weise ist, sich die Zeit zu vertreiben, bringt es für mein Empfinden doch wenig bis gar nichts Aufregendes mit sich. Sogar ein Großereignis (wie unser Orkan oder die Überschwemmung oder dieser furchtbar heftige Schneefall, als der Strom für drei Tage ausfiel) ist am nächsten Tag schon nur noch Orientierungshilfe – »ich erinnere mich, das war zwei Tage vor dem Orkan, da haben wir die Himbeeren hochgebunden …« –, und nicht mal die Fanfaren des Jüngsten Gerichts werden unsere Nachbarn beeindrucken (»… ach so, ja, gegen drei Uhr nachmittags war das Signalhorn zu hören, ich weiß noch den Tag, weil ich die Bretter an die Pforte hämmern sollte, das ist jetzt vielleicht sechs Wochen her und guck dir die Pforte jetzt an …«). Wenn ich so darüber nachdenke, erinnere ich mich an das Jahr, in dem Laurie geboren wurde, nur deshalb, weil ich mir einen neuen Wintermantel zulegen wollte.

Zu den erschütterndsten, unoriginellsten Dingen, die ich an meinen Kindern feststellte, während die Jahre vergingen und Weihnachten unvermeidlich auf den Unabhängigkeitstag folgte und der Unabhängigkeitstag unvermeidlich auf Weihnachten, zählte, dass sie dazu neigen, älter zu werden. Zum Beispiel hatte Laurie jeden Oktober einen Geburtstag. Jeden November hatte Jannie einen Geburtstag, so unglaublich es scheinen mag; die Tatsache, dass ich wiederum jeden Dezember Geburtstag habe, ist leider vollkommen glaubhaft, irgendwie aber weniger herzerwärmend. Als wir das Haus auf dem Land bezogen, war Laurie etwas mehr als dreieinhalb Jahre alt und Jannie sechs Monate, und dann plötzlich – obwohl ich in der Zwischenzeit ein Jahr älter geworden war und mein Mann auch, wozu wir uns sehr manierlich gratuliert hatten – war Jannie fast zwei und zu einem rechtmäßigen Familienmitglied namens Jannie geworden (statt Baby oder das Baby), und Laurie wurde bald fünf und forderte für sich das Recht ein, bei familienpolitischen Fragen einbezogen zu werden.

Ab dem Tag, an dem Laurie in die Vorschule kam, weigerte er sich, Kordlatzhosen anzuziehen, und fing an, Jeans mit Gürtel zu tragen; ich sah ihn morgens mit dem älteren Nachbarsmädchen losziehen und erkannte deutlich, dass eine Ära meines Lebens zu Ende und mein kleiner Knirps mit der süßen Stimme durch ein langhosig daherstolzierendes Wesen ersetzt worden war, das vergaß, sich an der Ecke noch mal umzudrehen und mir zu winken.

Nach Hause kam er genauso, die Tür flog auf, die Mütze auf den Boden, und er brüllte mit plötzlich rauer Stimme: »Ist etwa keiner zu Hause?«

Beim Mittagessen sprach er unverschämt mit seinem Vater, verschüttete Jannies Milch und merkte an, seine Lehrerin hätte gesagt, wir sollten den Namen des Herrn nicht unnütz führen.

»Wie war es denn heute in der Vorschule?«, fragte ich bemüht lässig.

»Ganz okay«, sagte er.

»Hast du was gelernt?«, fragte sein Vater.

Laurie sah seinen Vater kühl an und sagte: »Ich hab gar nix gelernt.«

»Nichts«, sagte ich. »Ich habe nichts gelernt.«

»Aber die Lehrerin hat einen Jungen gehauen«, sagte Laurie zu seinem Butterbrot. »Weil er frech war«, fügte er mit vollem Mund hinzu.

»Was hat er denn gemacht?«, fragte ich. »Wer war das?«

Laurie überlegte. »Das war Charles«, sagte er. »Er war frech. Die Lehrerin hat ihn gehauen und gesagt, er soll sich in die Ecke stellen. Er war furchtbar frech.«

»Was hat er denn gemacht?«, fragte ich noch mal, aber Laurie rutschte von seinem Stuhl, nahm einen Keks und ging, noch während sein Vater sagte: »Hiergeblieben, junger Mann.«

Beim Mittagessen am nächsten Tag sagte Laurie, kaum dass er saß: »Heute war Charles schon wieder böse.« Er grinste breit und sagte: »Heute hat Charles die Lehrerin gehauen.«

»Du meine Güte«, sagte ich, darauf bedacht, den Namen des Herrn nicht unnütz zu führen. »Dann ist er bestimmt zurückgehauen worden?«

»Aber hallo«, sagte Laurie. »Guck mal da oben«, sagte er zu seinem Vater.

»Wieso?«, fragte sein Vater und sah nach oben.

»Guck nach unten«, sagte Laurie. »Guck zum Südpol. Mann, bist du hohl.« Er fing wie verrückt an zu lachen.

»Warum hat Charles die Lehrerin denn gehauen?«, fragte ich schnell.

»Weil sie gesagt hat, er soll den roten Stift zum Ausmalen nehmen«, sagte Laurie. »Charles wollte aber den grünen Stift nehmen, also hat er die Lehrerin gehauen, und sie hat ihn gehauen und gesagt, niemand darf mit Charles spielen, haben aber alle trotzdem gemacht.«