Kreative Sprachförderung nach Maria Montessori - Katrin Zboralski - E-Book

Kreative Sprachförderung nach Maria Montessori E-Book

Katrin Zboralski

0,0

Beschreibung

Diese in der Montessori-Praxis entwickelten und bewährten Spiele und Übungen regen den kreativen Umgang mit Sprache an. Die erfahrene Autorin zeigt unterschiedlichste Möglichkeiten auf, wie Kinder für Sprache sensibilisiert und zum freien Schreiben anregt werden. Eine Ideenfundgrube für die Weiterentwicklung der mündlichen und schriftlichen Ausdrucksfähigkeit.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 188

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Katrin Zboralski

Kreative Sprachförderung nach Maria Montessori

Impressum

Titel der Originalausgabe: Kreative Sprachförderung

nach Maria Montessori

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2014

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagkonzeption und -gestaltung: Berres & Stenzel, Freiburg

Umschlagfoto: © Sönke Held

E-Book-Konvertierung: epublius GmbH, Berlin

ISBN (E-Book): 978-3-451-80468-7

ISBN (Buch): 978-3-451-32675-2

Inhalt

Einleitende Worte

1. Sprache lernt man durch Sprechen

Erzählrunde im Morgenkreis

Durch Sprechen Sprache lernen

Freiarbeit: freie Wahl der Arbeit

Das Prinzip der Freien Wahl in der Montessori-Pädagogik

2. Sprechen lernen, Schreiben lernen – wer lernt was, wann und wie?

Sprechspiele im Morgenkreis

Sensible Phasen in der Sprachentwicklung

Freiarbeit: Zeit und Raum für Kommunikation und Entwicklungsmöglichkeiten

Die Vorbereitete Umgebung für den Bereich Sprache in der Montessori-Pädagogik

3. Sprachvielfalt erleben

Gespräche über fremde Sprachen im Morgenkreis

Freiarbeit: Spracherfahrungen durch konzentriertes Tätigsein

Exkurs – Warum denn Grammatik?

Entwicklungsmaterial aus dem Bereich Sprache in der Montessori-Pädagogik

4. Vom Vorlesen und Zuhören

Vorlesen im Morgenkreis?!

Hörverstehen als Vorbereitung der Lesekompetenz

Freiarbeit: Austausch von Wissen und Erfahrung

Sprachvielfalt durch Jahrgangsmischung in der Montessori-Pädagogik

5. Unterwegs zum Schreiben

Post und Vortrag im Morgenkreis

Freiarbeit: Spracherfahrung durch Hören und Lesen

Die Bedeutung des Erwachsenen für den kindlichen Sprachaufbau

Welche Rolle spielt der Erwachsene in der Spracherziehung?

6. Praxis Sprache

Mundsport

Sprechspiele

Sprachspiele

Geschichten erzählen

Geschichten schreiben

Literatur

Einleitende Worte

Bücher und Ratgeber zur Sprachförderung könnten inzwischen eine ganze Bibliothek füllen. Sie alle antworten auf ein Defizit, über das die Tagespresse vielfach berichtet hat: die mangelnde Sprachkompetenz der Kinder.

Vielfältige Maßnahmen wurden ergriffen, um Kinder aus »ganz normalen« und aus »nicht-ganz-so-normalen« Familien zu fördern. Doch gelöst ist das in der Tat bestehende Problem nicht. Es bleibt die Frage: Was können wir tun?

Maria Montessori lag die Spracherziehung der Kinder besonders am Herzen. Sie sah Sprache als »Basis des sozialen Lebens« und die Schrift als »eine Sprachform, die für die Kultur unserer Zeit notwendig ist, in der die wechselseitige Kommunikation weltweit geworden ist« (Montessori 1998:158). Aus diesem Grund gibt es in Montessori-Kinderhäusern und -Schulen zahlreiche Entwicklungsmaterialien zu Schrifterwerb und Sprachlehre.

Ich werde Ihnen im Folgenden nicht den Einsatz dieser Materialien näher erläutern, da ihre Vermittlung in den Ausbildungslehrgängen stattfindet und es bereits etliche Vorschläge zu weiterführenden Aufgaben gibt. Ich möchte Ihnen vielmehr näherbringen, wie Sprachförderung auf den Grundlagen der Pädagogik Maria Montessoris den Alltag durchdringen und bereichern kann. Sprechen und Schreiben fördern – das ist eigentlich ganz einfach: wenn wir Erwachsenen an die natürlichen Interessen der Kinder anknüpfen, diese wahrnehmen, begleiten und unterstützen.

Wie das funktionieren kann, schildere ich zunächst ausgehend von der Praxis: Ich habe in den ersten fünf Kapiteln Beispiele aus meinem Alltag in der Montessori-Schule Greifswald zusammengestellt. Von Montag bis Freitag, von Kapitel 1 bis Kapitel 5, stehen jeweils unterschiedliche Aspekte der Sprachförderung im Fokus – die natürlich mit vielen anderen Bereichen verknüpft sind. Die Basis dieser Beobachtungen sind die jahrgangsgemischten Lerngruppen. Dort trafen und treffen sich Kinder mit unterschiedlichen Sozial- und Lernerfahrungen, die gemeinsam den Weg ihrer Lernentwicklung beschreiten. Die hier beschriebenen Personen und Situationen habe ich so oder so ähnlich in den letzten 14Jahren erlebt und das zusammengefasst dargestellt, was mir als besonders beeindruckend im Bereich der Spracherziehung in Erinnerung geblieben ist. Die Namen der Kinder sind natürlich frei erfunden. Gesprächsrunden und Arbeitssituationen hingegen nicht, die haben so tatsächlich stattgefunden und zeigen, was in Kindern steckt.

Die Einblicke in meine Praxis können Ihnen vielfältige Anregungen für die eigene Arbeit geben: Eine Fülle von Sprech- und Sprachspielen, Schreibideen und Projekten werden angeführt, deren ausführliche Beschreibung im sechsten Kapitel »Praxis Sprache« zu finden sind. Diese können Sie auf die eigene Situation in der Familie oder in der Lerngruppe angepasst anwenden. Da sich Kinder in ihren Entwicklungswegen und -zeiten unterscheiden, habe ich in diesem Kapitel auf Altersangaben verzichtet.

Greifswald, im Januar 2013

Katrin Zboralski

1

Sprache lernt man durch Sprechen

»Wenn die Kinder frei sind zu wählen, so wählen sie etwas, das bedeutsam für ihre Entwicklung ist.«

Maria Montessori

Die Kinder im Kinderhaus und in der Schule entscheiden sich selbst für eine Arbeit, sie wählen den Arbeitsort, eventuell einen Arbeitspartner und den Zeitumfang. Die Freiheit des Kindes, selbstständig über seine Tätigkeiten zu entscheiden, bedeutet nicht, dass es sich überlassen bleibt. Wir Erwachsenen können wahrnehmen und erkennen, ob sich ein Kind für eine Aufgabe interessiert und diese auch bewältigt oder ob es Unterstützung bei der Auswahl und Handhabung benötigt.

Erzählrunde im Morgenkreis

Es ist Montag. Kinder und Erwachsene sitzen auf dem Boden um einen runden Teppich. In der Mitte des Teppichs liegen ein Buch über Störche und eine Hexenfigur.

Viele Jahre wanderte ein Erzählstein im Kreis von Hand zu Hand. Da die Kinder häufig sehr leise sprechen, haben wir uns ein »Mikrofon« gebastelt. Dieses hat dieselbe Aufgabe wie der Erzählstein, allerdings mit dem Zusatz, dass ein »Lautstärkeregler« aufgemalt worden ist. Spricht ein Kind leise, wird es gebeten, diesen zu drücken – und tatsächlich: das Kind spricht lauter und meist deutlicher!

Mira beginnt den Erzählkreis. Sie möchte nichts vom Wochenende erzählen, aber verkünden, was es heute Mittag zu essen gibt. Da sie undeutlich nuschelt, verstehen einige Kinder sie nicht oder glauben, sich verhört zu haben: »Was, es gibt heute Spinnenbrei?« Mira wird gebeten, in der »Nachrichtensprechersprache«, also laut und sehr deutlich, zu sprechen. Aha, es gibt Spinat und Ei. Sie gibt das Mikrofon weiter. Wer nicht erzählen mag, reicht das Mikrofon einfach seinem Nachbarn.

Jens aus der ersten Klasse lässt sich von der vorausgegangenen Irritation nicht beirren und erzählt mit viel Gestik und dramatischer Mimik von dem Autounfall, den der Nachbar seines Opas erlebt hat. Vor lauter Aufregung bringt er die Reihenfolge durcheinander und muss viele Nachfragen beantworten. Er gibt das Mikrofon weiter.

Esther zeigt allen die Hexenfigur und erzählt, dass ihre Schwester im Harz im Urlaub war und ihr diese Hexe mitgebracht hat. Sie hat so viel über Hexen zu erzählen, dass ein Mitschüler ihr vorschlägt, ein Plakat zu gestalten oder einen Vortrag über Hexen zu halten.

Dann ist Moritz an der Reihe. Er erzählt, dass seine Familie zwei Schweine besitzt namens »Kotelett« und »Schnitzel«, die vier Ferkel bekommen haben. Für diese Ferkel will sich Moritz Zauberformeln als Namen ausdenken und plant mit dem »Silbenspiel« aus dem Rechtschreibregal zu arbeiten. Sofort schließen sich Helfer an – Zauberformeln können nie schaden.

Das Mikrofon geht von Kinderhand zu Kinderhand. Peter wartet, bis alle ganz still sind. »Ich habe ein Buch über Störche mitgebracht, weil wir am Wochenende drei Störche gesehen haben. Ich möchte mehr über Störche erfahren, weil ich einen wissenschaftlichen Bericht über Störche schreiben will und natürlich nur wahre Fakten nennen will.«

Durch Sprechen Sprache lernen

Frei sprechen?

Einigen Kindern fällt es gar nicht schwer, vor einer Gruppe von Zuhörern zusammenhängend und mit begleitender Mimik und Gestik ausführlich zu erzählen. Für andere Kinder hingegen bedeutet es eine große Überwindung, und es ist eine kleine Mutprobe, die sie erst zu einem späteren Zeitpunkt bewältigen. Und natürlich gibt es auch Kinder, die zwar im kleinen, vertrauten Kreise erzählen, aber niemals vor der großen Gruppe.

Das freie Sprechen im Erzählkreis sollte nicht nur »frei«, sondern auch freiwillig sein. Kinder reden gern und viel. Sie erzählen von ihren Erlebnissen, sie erzählen Witze, erklären sich gegenseitig Spiele oder wie eine Rakete funktioniert. Im Rahmen der Sprachentwicklung sollte jedes Kind täglich Gelegenheit und Zeit erhalten, von sich und seinen Erlebnissen zu erzählen, denn »unser erzieherisches Ziel sollte darin bestehen, der Entwicklung behilflich zu sein und nicht inhaltliche Bildung zu vermitteln«(Montessori 2010:202).

Ich spreche, also denke ich. Ich denke und so spreche ich

Beim freien Sprechen übt der Sprechende das Sprechen. Banal? Das kann doch jeder? Ein Erzählvortrag ist aber nicht nur ein stockendes »Äh-so-dahin-Reden«, sondern eine gezielte Mitteilung, die beim Zuhörenden ankommen soll.

»Zwischen der Fähigkeit, Wörter zu lesen und den Sinn eines Buches zu erfassen, kann derselbe Unterschied bestehen wie zwischen dem Vermögen, ein Wort auszusprechen und eine Rede zu halten« (Montessori 2010:278). 

Ganze Sätze verwenden, eventuell mit Nebensätzen, erläuternde Einschübe einfügen oder Ereignisse in indirekter Rede wiedergeben, das können Erzähl-Profis. Aber auch ein geübter Erzähler hat als Anfänger begonnen. Wann immer ein Kind Gelegenheit und Zeit erhält, zu erzählen, übt es, in Sätzen zu sprechen, Überleitungen zu finden und treffende Wörter zu benutzen. Wann immer wir einem Kind die Gelegenheit zum Erzählen geben, fördern wir seine Sprachkompetenz und seine Persönlichkeitsentwicklung.

»Das Kind muss seinen Wortschatz nutzen, um die Kraft seines Denkens zu erweitern und um Selbstvertrauen zu gewinnen, indem es seine Gedanken laut äußert« (Stephenson 2008:101). 

Damit die Zuhörer interessiert und gebannt zuhören, spricht der Erzählende laut und deutlich und betont eventuell dramatische Aspekte mit der entsprechenden Mimik und Gestik. Das Sprechen in der vertrauten Erzählrunde bietet eine nicht zu unterschätzende Übungsmöglichkeit. Der Sprecher hat Gelegenheit, in seinen eigenen Worten den anderen seine Erlebnisse und Gedanken mitzuteilen und übt sich darin, diese zunächst ungeordneten Gedanken und Erlebnisse in Worte zu fassen, in einer erzählenden Abfolge zu ordnen. Dabei ist die Wortwahl und der Ausdruck von großer Bedeutung, denn die »gesprochene Sprache kann Musik sein, die begeistert, fesselt und inspiriert oder sie kann eine erbärmliche Dissonanz sein, die nichts zu bieten hat« (Stephenson 2008:103).

Sprache ist vor allem ein soziales Phänomen. Sie ist von Menschen für Menschen »geschaffen«, und sie »vereinigt Gruppen von Menschen« (Montessori 1969:101). Der Austausch von Gedanken, Wünschen und Gefühlen festigt den Kontakt der Gesprächspartner untereinander. Gemeinsam dem Bericht über ein Geschehen zu lauschen, das jemand aus unserer Mitte erlebt hat und jetzt preisgibt, verbindet alle Anwesenden. Das gilt für das Gespräch in der Familie genauso wie für die Erzählkreise im Kindergarten und in der Grundschule. Der soziale Aspekt der »Palaver-Runden« beruht darin, dem Redner Aufmerksamkeit zu schenken und Anteil zu nehmen an einer Begebenheit, die ihn emotional bewegt hat (sonst würde er sie nicht erzählen). Der Erzähler nimmt ebenfalls direkt sozialen Kontakt zu den Zuhörern auf, die er an seinem Er-Leb(e)nis teilhaben lässt.

Somit ist der Erzählkreis am Montagmorgen eine ideale Möglichkeit der Gruppenbildung und Spracherziehung.

Freies Sprechen vor der Gruppe

ist ein idealer Übungsraum für

das Überwinden der Hemmschwelle, frei zu sprechen,

lautes und deutliches Sprechen (»Nachrichtensprechersprache«),

den Sinn betonendes Sprechen (Unterstützung durch Gestik und Mimik),

das Einüben und Verwenden neuer Wörter (Wortschatzerweiterung),

das Sprechen in vollständigen Sätzen,

strukturiertes Sprechen.

Freiarbeit: freie Wahl der Arbeit

Die Kinder begeben sich nach dem Morgenkreis mit ihren unterschiedlichen Vorhaben an ihre Aufgaben. Einige aktuelle persönliche Erlebnisse, die im Morgenkreis erzählt worden sind, werden als Schreibanlässe genutzt. Damit Kinder ihre Ideen und Vorhaben in die Tat umsetzen können, finden sie in den offenen Regalen der Vorbereiteten Umgebung entsprechende Materialien.

Wie verhext! – Sprechspiele und Hexenwörter

Sprechspiele ergeben sich auch von selbst

Esther bereitet ihren Arbeitstisch vor. Sie stellt die Hexe auf den Tisch und malt auf einem großen DIN-A3-Blatt einen Kochtopf und eine Hexe. Während sie malt, überlegt sie, wie die Hexe heißen könnte und fragt ihre Mitschülerinnen um Rat. Der Name soll »hexisch« klingen. Immer mehr Kinder beteiligen sich an der Namensuche und sprechen »hexisch« miteinander. Es entwickeln sich aus der Situation heraus Wort- und Lautspielereien: Mehrere Kinder spielen die Rollen verschiedener Hexen und sprechen mit hoher Stimme und in unterschiedlichen »Sprachen« miteinander. Eine Hexe verwendet viele langgezogene ih-s, die andere betont alle Vokale und zischelt die sch-Laute, und wieder eine andere hängt an viele Wörter die Endung -ixie.

Kreativität und Sprachspiel

Die Kinder haben enormen Spaß am Ausdenken und Ausprobieren – und fördern so »ganz nebenbei« ihr phonetisches Bewusstsein für kurze und lange Laute.

Nach einer Weile wird es Esther (und uns) zu viel. Neben das Bild der Hexe und des Suppentopfs schreibt und malt sie die Zutaten. Als sie fertig ist, hängt sie das Plakat an die Tafel. »Schreiben mag ich nicht, aber Sachen aufschreiben mag ich.« Esther hat das Mitbringsel und die Erzählungen ihrer Schwester als Schreibanlass genommen und heute ein Plakat gestaltet, Lautierungsübungen in »Hexensprache« durchgeführt und Wörter geschrieben.

Hexenbild mit Hexenwörtern

© Katrin Zboralski

TIPP

Malen und erzählen

Die meisten Kinder malen gerne, und in ihren Bildern stecken tolle Geschichten. Lassen Sie den Künstler eines Bildes die Geschichte zum Bild erzählen! Auf einer Staffelei (oder einem anderen wirkungsvollen Platz) wird das Bild dargeboten, und der Erschaffer des Werkes kann sich nun danebenstellen und die Geschichte des Bildes Ihnen oder einer Zuhörergruppe erzählen. Ganz so, wie die Geschichtenerzähler im Mittelalter von Markt zu Markt zogen und ihre Geschichten unterstützt mit bunten Bildern vortrugen.

Wie es geschah – Ein Unfallbericht in Buchform

Konzentration durch eine passende Umgebung

Jens hat sich vorgenommen, den Autounfall mit Bild und Text zu dokumentieren. Er könnte ein Bild-Wörter-Plakat wie Esther gestalten, aber er entscheidet sich für ein »Buch«. Er faltet am Basteltisch ein DIN-A3-Blatt zu einem Heft. Mit seiner Federtasche und dem Faltbuch in den Händen begibt er sich auf die Suche nach einem anderen Arbeitsplatz. Er legt sich bäuchlings auf den »Morgenkreis-Teppich«, öffnet seine Federtasche, blickt sich noch einmal um und beginnt seine Arbeit. Auf die Vorderseite des Buches malt er ein Auto, schreibt seinen Namen (Autor!) und den Titel des Buches. Bevor er mit dem weiteren Malen und Schreiben beginnt, nummeriert er die Seiten des Buches.

Jens erzählt mir den Ablauf des Unfalls noch einmal so genau wie möglich. So macht er sich die Reihenfolge des Geschehens bewusst, denn jetzt im Buch muss die Abfolge stimmen. Er malt ein Auto. Auf die Fragen, welche Farbe das Auto habe und wem es gehört, antwortet er: »rot, Herrn Müller«. Ich schlage ihm vor, so genau wie möglich zu schreiben, damit sich die Leser alles genau vorstellen können. Jens schreibt: »DAS ROT AUTO FON MÜLLER«. Jens schreibt auch auf den folgenden Seiten Wortgruppen und nicht nur einzelne Wörter.

Nach Abschluss seiner Arbeit packt er das Buch ein, da er es dem Nachbarn seines Opas schenken möchte. Jens ist mit sich und seiner Arbeit zufrieden und benötigt weder eine »Kontrolle« noch ein Lob.

TIPP

Ein ganzes Buch schreiben?!

Ein ganzes Buch von vorn bis hinten selbst gestaltet zu haben, ist ein tolles Gefühl! Auch Noch-nicht-Schreiber können eine Geschichte in einem eigenen Buch festhalten, indem sie die einzelnen Phasen der Geschichte in der richtigen Reihenfolge nacheinander aufmalen. Ein selbst gebasteltes Buch hat den Vorteil, dass die Seitenanzahl begrenzt ist, denn für einen beginnenden Schriftsteller sollte der (Arbeits)berg nicht zu hoch, sondern überschaubar sein.

Auf die Vorderseite gehört natürlich der Name des Verfassers und, wenn der Verfasser bereits Ziffern schreiben kann, gehören die Seitenzahlen ebenfalls auf die Buchseiten. Nach Abschluss der Arbeit möchte der Autor die Geschichte zu seinem Buch sicherlich einem aufmerksamen Zuhörer erzählen und seine Sprachkompetenz im Erzählen üben.

Malen, sprechen, schreiben – Schritt für Schritt eine Geschichte erfinden

Mira und Elske (1.Schuljahr) möchten Pferdebilder malen. Da mir das Schreiben wichtig ist, schließen wir einen Kompromiss: Es soll eine »Ein-Bild-ein-Satz-Geschichte« entstehen. Malen und Schreiben sind zwei Prozesse, die sich gut ergänzen. Die Mädchen setzen sich nebeneinander an einen Fenstertisch und legen die notwendigen Materialien bereit.

Nach und nach entstehen die Bilder – und auch eine Geschichte entwickelt sich allmählich. Beim Malen, während die Vorstellungsbilder konkret Gestalt annehmen, bilden sich beschreibende oder erläuternde Sätze in den Köpfen der Mädchen. Manchmal müssen die Worte gleich »raus«, und während des Malprozesses erzählen sich Mira und Elske bereits die Geschichte.

Als ihre Bilder fertig sind, besprechen sie kurz, wie und was sie aufschreiben könnten. Malen, Sprechen und Schreiben verbinden und ergänzen sich zu einem kreativen und sozialen Geschehen. Mira schreibt in Schreibschrift drei Sätze. Elske schreibt (fast) lautgetreu einen Satz: DA FEAT RÄNT AUF DEA KOPL (Das Pferd rennt auf der Koppel).

Bild-Satz-Geschichte von Elske

© Katrin Zboralski

Die ausführliche Geschichte, die zu diesem Bild gehört, passt leider nicht mehr auf den Streifen und wurde auch schon während des Malens erzählt. »Da braucht man sie ja nicht auch noch aufzuschreiben«, findet Elske.

Eine »wissenschaftliche« Arbeit aus Buchbetrachtung und eigenem Erleben

Peter hat das Glück, dass seine Eltern Ausflüge mit ihm unternehmen, die ihn auf seine Umwelt aufmerksam machen. Sie nehmen sein Interesse ernst und unterstützen durch Gespräche und Lektüre die Erweiterung seines Wissens, seines Wortschatzes und dadurch seiner Sprachkompetenz.

Einstimmung auf eine große Arbeit

Peter stimmt sich auf seine Storchgeschichte ein, indem er sich aufs Lesesofa zurückzieht und sich zunächst das Buch ansieht. Bildunterschriften und kurze Texte kann er bereits lesen.

Nachdem er seine Lektüre beendet hat, bereitet er seine Schreibarbeit vor. Peter arbeitet gern allein für sich und wählt einen Einzelplatz mit Fensterblick. Er stellt das Schild »Bitte nicht stören« auf den Tisch und öffnet sein Geschichtenheft.

Zu Beginn des Schuljahres haben sich die Kinder ein Heft für alle Arbeiten aus dem Bereich des Freien Schreibens gebastelt. Damit die oft langen und ausführlichen Fortsetzungsgeschichten (der älteren Schüler) nicht durch Übungen zur Rechtschreibung unterbrochen werden, wurden für die beiden Bereiche zwei Hefte gekauft.

TIPP

Ein wertvolles Geschichtenheft

Auf die Vorder- und auf die Rückseite des Schreibheftes kleben die Kinder feste Pappe. Danach umkleben sie mit einem großen Stück Stoff, Geschenkpapier oder einem selbst gestalteten Blatt in DIN-A3-Größe die Außenseiten des Heftes. Die überstehenden Ränder werden nach innen gefaltet und festgeklebt. So erhalten sie ein stabiles, persönliches und wertvolles Geschichtenheft, das dem besonderen Wert eigener Geschichten entspricht.

Neben seinem Arbeitstisch rollt sich Peter einen kleinen Teppich aus. Darauf legt er den »Geschichtenfluss« (ein blaues Halstuch) aus und ordnet die Karten »Einleitung«, »Hauptteil« und »Schluss« an den Anfang, die Mitte und an das Ende des Tuches.

Aus dem Regal »Geschichten schreiben« holt er sich den Korb mit den Tieren und den Korb mit Bildkarten. Den Storch stellt er an den Anfang der Geschichte und legt das Bild einer Wiese im Sonnenschein dazu. Er grübelt und nimmt verschiedene Tiere aus dem Korb. Einige der Tiere stellt er in die Mitte (Hauptteil) auf das Halstuch, andere räumt er zurück in den Korb. Auf ein kleines Blatt malt er ein Haus, auf dessen Dach sich ein Gestell mit einem Storchennest befindet. Dieses Bild legt er an den Schluss. Er betrachtet seine Aufstellung eine Weile, setzt sich dann an seinen Tisch und beginnt, seinen Bericht zu schreiben.

Wie soll ich nur beginnen? Eine Geschichte spannend erzählen/​schreiben

Ist das erste Wort eines Satzes erst einmal gesprochen oder geschrieben, purzeln die weiteren Wörter automatisch hinterher. Es wird allerdings für Zuhörer und Leser langweilig, wenn jeder Satz mit dem gleichen Wort beginnt. Dann bleibt die Spannung aus. Dann hört keiner mehr zu. Dann ist der Geschichtenhörer bzw. -leser enttäuscht. Dann sollte sich der Erzähler auf die Suche nach anderen Begriffen machen, die ebenfalls geeignet sind, Sätze einzuleiten. So wird die Geschichte wieder lebendiger und auch gern wahrgenommen.

Julia ist noch etwas traurig über die Kritik an ihrem Bericht im Morgenkreis. Sie kann sich für keine Arbeit entscheiden und sucht den Kontakt zur Lehrerin als emotional-sozialen Anker. Gemeinsam mit ihren Freundinnen holen wir die Karten »Satzanfänge«. Andere Kinder schließen sich an, und so setzt sich eine Gruppe von sechs Kindern an einen Gruppentisch.

In der Mitte des Tisches liegen zwei Kartenstapel, deren Karten jeweils mit der Rückseite nach oben liegen, sodass die Begriffe und Bilder nicht zu sehen sind. Auf den Karten des einen Stapels stehen verschiedene Satzanfänge (z.B. Plötzlich…, Danach…, Im Garten…). Sie haben einen grünen Rahmen, denn »bei Grün geht es los!« Der andere Stapel besteht aus Bildkarten.

Wort- und Bildkarten zum Satzanfang

© Katrin Zboralski

Julia beginnt und nimmt sich eine Wort- und eine Bildkarte. Falls auf ihrer Wortkarte kein zum Beginn einer Geschichte passendes Einleitungswort steht, darf sie noch einmal ziehen. Ihr Einleitungssatz der Geschichte muss mit dem Wort, das sie gezogen hat, beginnen, und sie muss benennen, was auf der Bildkarte zu sehen ist. Sie legt die beiden Karten für jeden sichtbar auf den Tisch. Nun nimmt sich ihre Nachbarin von jedem Stapel eine Karte. Ihr Satz muss mit dem »Satzanfangswort« beginnen, sich auf den Satz ihrer Vorgängerin und auf das neue Bild beziehen. Der letzte Mitspieler beendet die Geschichte mit einem Schlusssatz. Falls die Satzanfangskarte keinen sinnvollen Schlusssatz zulässt, sagt er eben zwei Sätze und denkt sich den letzten aus.

Das Spiel ist eine große Herausforderung an die Sprachkompetenz, erfordert es doch ein spontanes Formulieren von Sätzen und ein genaues Zuhören, um auf bereits Gesagtes Bezug nehmen zu können.

Mit der Silbenkiste auf Klangreise – zauberhafte Ferkelnamen finden

Sprachkompetenz durch Jahrgangsmischung

Moritz’ Bericht von der Geburt der vier Ferkel war spannend und lenkte das Interesse auf die Namenwahl. Bereits im Morgenkreis hatte er Mitschüler gefunden, die mit ihm zusammen auf Namensuche gehen wollten. Die Gruppe besteht aus Jungen des 1. bis 3.Schuljahres, die über sehr unterschiedliche Schreibkompetenzen verfügen. Gemeinsam ist ihnen aber die Freude an der Gruppenarbeit, und sie alle haben Spaß am Formulieren von Zauberformeln. Das Entwickeln von Zauberformeln und die Namensuche für Ferkel gehörten nicht zu den Themen, die ich für Moritz’ Lernentwicklung geplant hatte, aber seine Kreativität und seine ansteckende Motivation zeigen, was für ihn derzeit wichtig(er) ist.

Moritz holt die Silbenkiste 3, in der sich Silben in verschiedenen Schrifttypen und -größen befinden, die aus Zeitschriften und Werbebroschüren stammen. Er setzt sich mit einigen Freunden auf den Boden, und sie legen verschiedene Silben nebeneinander und murmeln den Lautklang leise vor sich hin. Hin und wieder tauschen sie Silben aus. Moritz liest die Fantasiewörter laut, fügt an, liest erneut und probiert so verschiedene Lautmalereien aus. Nach der Wortmelodie von »Abrakadabra« stellt er Wörter aus fünf Silben zusammen.

Nachdem Moritz und seine Freunde die »Zauberformel-Ferkelnamen-Suche« erfolgreich beendet haben und er mit der »Erfindung« der neuen Namen zufrieden ist, klebt er sie auf. Wer hätte sie sich auch merken können? Die Ferkel-Jungen erhalten die Namen Kleko Molojo, Waplonasona und Nalextu Vawa. Das Ferkel-Mädchen soll Krimiblibi Hini heißen. Moritz’ Eltern werden sich freuen!

Material zur Arbeit mit Silben und ein Silbengedicht

© Katrin Zboralski

Sich gelassen auf Sprachspiele einlassen

Seine jüngeren Mitschüler haben mehr Spaß am Zufall. Sie greifen wahllos in die Kiste, reihen die Silben aneinander und lesen sie sich gegenseitig lachend vor. Ein Schüler erinnert sich an ein Gedicht, das wir gemeinsam gelesen hatten und das auch so lustig klang. Er meint das Gedicht von Christian Morgenstern »Das große Lalula«. Sie beschließen, ein ähnliches Quatsch-Gedicht aus den Silben zu legen. Aus dem gelösten Lachen ist ein ernsthaftes (und leiseres) Arbeiten geworden. Konzentriert probieren die Jungen aus, wie viele Silben ein Wort haben darf, damit der »Singsang« (O-Ton) erhalten bleibt. Eigenschöpfungen zeigen, dass Kinder kreativ mit Sprache umgehen und aus der mündlichen Sprache Einheiten wie Silben und Wortbausteine heraushören und diese neu zusammensetzen können.

Moritz hat seine Arbeit beendet und möchte sich weiterhin mit Silbenmaterial beschäftigen