Kreaturen des Todes, 2. Band - Walter Brendel - E-Book

Kreaturen des Todes, 2. Band E-Book

Walter Brendel

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Mord, Totschlag und Sekten gehören leider zum Alltag. In Deutschland ebenso, wie auch in der Schweiz und Japan. Die mehrteilige Dokumentation gewährt einen Einblick in aufsehenerregende wahre Kriminalfälle. Wo liegt der Unterschied zwischen Totschlag und Mord. Viele abnorme Personen werden wir bei den einzelnen Fällen begegnen und finden Einblicke in deren Motivationen und Beweggründen oder auch nur an deren bloßer Lust am Töten, Gewalt, Erniedrigung und Gehirnwäsche ihrer Opfer. Wir lesen im 2. Band: 1936 soll die ehemalige Geisha Abe Sada ihren Liebhaber durch erotische Strangulation erdrosselt haben, trennt ihm anschließend die Genitalien ab und ritzt ihren Namen in seine Haut. 1957 findet die Polizei in Frankfurt/Main die Leiche der 24-jährigen Edelhure Rosemarie Nitribitt in ihrer Wohnung. Sie wusste zuviel und musste deshalb sterben. Mit der Verhaftung von Werner Ferrari endete 1989 eine unheimliche Serie von Kindermorden. Wieviel Kinder hat er umgebracht? Auf der Nordseeinsel Juist wird am 25. Juli 2013 eine junge Frau tot aufgefunden. War es Mord oder Totschlag? Am 27. März 2003 um kurz nach 6.00 Uhr morgens kommt auf der Bundesstraße 455 nahe Wiesbaden ein britischer Student ums Leben. Überfahren von zwei Autos. War es ein Unfall, Selbstmord oder Mord? Juli 1990. Ein Mann wird in seiner Wohnung brutal ermordet. Das Opfer: der bayerische Volksschauspieler Walter Sedlmayr. Sein größtes Geheimnis kommt nun ans Licht. Die Geschichte beginnt Ende der 1970er-Jahre in der Umgebung von Genf. Auf einem Landgut versammelt der gebürtige Franzose Joseph Di Mambro Menschen um sich, mit denen er die Sonnentempler-Sekte gründet.

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Seitenzahl: 261

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Walter Brendel

Kreaturen des Todes

2. Band

Kreaturen des Todes

Walter Brendel

2. Band

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag:© Copyright by Walter Brendel

Verlag:Das historische Buch, 2021

Mail: [email protected]

Druck:epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

Von Liebe und Tod

Starb sie, weil sie zu viel wusste?

Der Kindermörder aus der Schweiz

War es Mord?

Kampf um die Wahrheit

Der Tod des Vorzeige Bayers

Die Sonnentempler-Sekte

Von Liebe und Tod

Tokio 1936. Im autoritär regierten Kaiserreich in Japan schockiert ein ungewöhnlicher Fall die Öffentlichkeit. Am 18. Mai soll die ehemalige Geisha Abe Sada ihren Liebhaber durch erotische Strangulation erdrosselt haben, trennt ihm anschließend die Genitalien ab und ritzt ihren Namen in seine Haut. Bei ihrer Verhaftung empfängt die junge Frau die Polizei lächelnd und ohne Reue und erklärt, sie habe aus Liebe getötet, damit ihm keine andere Frau jemals haben kann. Der Fall, der so manchen Moralkodex ins Wanken bringt, wurde schnell zur Ikone der verrufenen Seite Japans stilisiert und von der Presse gierig aufgegriffen. Denn der erotisch motivierte Mord ereignet sich zu einer Zeit extremer gesellschaftlicher Spannungen: Die instabile Regierung unter Kaiser Hirohito muss mit einem wachsenden Nationalismus kämpfen, seit Beginn der Dreißigerjahre erlebt das Land eine schwere Wirtschaftskrise und innerhalb des autoritären Militärs wird eine Expansionspolitik gefordert. Dieser wachsende Militarismus ging zudem mit einer puritanischen Repression einher, wobei Erotik, sexuelle Abweichung und Morbidität aufs Engste miteinander verknüpft wurden. Sadas Tat und deren öffentlicher Prozess wurden so zu einem bis heute vielfach zitierten und medial verarbeiteten Klassiker der japanischen Kultur. Und auch in den Augen des Westens steht der Fall Abe Sada für die Fantasievorstellung einer zügellosen japanischen Erotik quasi als Kontrastfolie zur restriktiven Sexualmoral der europäischen Zwischenkriegszeit.

Abe Sadas Mord an ihrem Liebhaber und ihr öffentlicher Prozess wurden zu einem bis heute vielfach zitierten und medial verarbeiteten Klassiker der japanischen Kultur

Der Fall offenbart das komplexe Verhältnis einer Gesellschaft und ihrer Sexualität. Am Morgen des 19. Mai 1936 lesen die Japaner in ihrer Morgenzeitung eine erstaunliche Geschichte. Im Rotlichtviertel von Tokio wurde die Leiche eines erdrosselten und entmannten Mannes gefunden.

Die mutmaßliche Mörderin heißt Abe Sada, die am 28. Mai 1905 in Kanda, Stadt Tokio als das siebte von acht Kindern von Abe Shigeyoshi und Katsu, einer Familie von Tatami-Mattenherstellern der mittleren Oberschicht im Tokioter Stadtteil Kanda, geboren wurde.

Von den vier Kindern, die das Erwachsenenalter erreichten, war Sada die jüngste. Ihr Vater stammt ursprünglich aus der Präfektur Chiba und wurde von der Abe-Familie adoptiert, um bei ihrem Geschäft zu helfen und dieses zu übernehmen. Ihre Mutter ermutigte Sada, Gesangs- und Shamisen-Stunden zu nehmen, beides Aktivitäten, die zur damaligen Zeit eher mit Geishas und Prostituierten verbunden wurden statt als künstlerische Bemühungen. Geishas wurden gefeiert und Sada vernachlässigte die Schule für die Stunden und trug entsprechendes Make-up.

hr Bruder Shintarō war ein Frauenheld und lief nach seiner Heirat mit dem Geld seiner Eltern davon. Sadas Schwester Teruko hatte mehrere Geliebte, weswegen ihr Vater sie zur Arbeit in ein Bordell schickte – eine damals nicht unübliche Strafe für promiske Frauen – er holte sie jedoch bald wieder zurück. Als die Familienprobleme um beide immer stärker wurden, wurde sie oft allein aus dem Haus geschickt, wo sie sich mit gleichermaßen unabhängigen Jugendlichen umgab.

Mit 15 wurde sie dabei von einem ihrer Bekannten vergewaltigt. Als sie immer unkontrollierbarer wurde, verkauften ihre Eltern sie 1922 an ein Geisha-Haus in Yokohama, in der Hoffnung, ihr einen Platz in der Gesellschaft zu geben, der ihr eine Richtung gab. Abe Toku, Sadas älteste Schwester, bezeugte, dass Sada selbst wünschte, eine Geisha zu werden, während Sada angab, ihr Vater habe sie zur Strafe für ihre Promiskuität dazu gemacht.

Abes Zusammentreffen mit der Welt der Geisha war frustrierend und enttäuschend. Eine Star-Geisha zu werden, verlangte von Kindesbeinen an eine jahrelange Ausbildung in Kunst und Musik. Abe wurde jedoch eine niedrige Geisha, deren Hauptaufgabe Sex war. Sie arbeitete fünf Jahre in diesem Metier, bis sie sich mit Syphilis ansteckte. Da dies bedeutete, sich von nun ebenso wie eine lizenzierte Prostituierte regelmäßig untersuchen lassen zu müssen, entschied sie sich, in diesen besser bezahlten Beruf zu wechseln.

Abe fing an, als Prostituierte in Ōsakas bekanntem Tobita-Rotlichtbezirk zu arbeiten, wo sie für Ärger sorgte: Sie stahl Geld von ihren Klienten und versuchte mehrmals, das Bordell zu verlassen, wurde aber stets von dem gut organisierten legalen Prostitutionssystem aufgespürt. Nach zwei Jahren gelang ihr dann die Flucht und sie fing an, als Kellnerin zu arbeiten. Unzufrieden mit ihrer Entlohnung wurde sie 1932 wieder Prostituierte, diesmal jedoch unlizenziert. Als ihre Mutter im Januar 1933 starb, reiste sie zum Grabbesuch nach Tokio und ging dort der Prostitution nach. Ein Jahr später, im Januar 1934, wurde auch ihr Vater sterbenskrank, und sie pflegte ihn bis zu seinem Tode.

Im Oktober 1934 wurde Abe während einer Polizeidurchsuchung eines unlizenzierten Bordells verhaftet. Kasahara Kinnosuke, ein guter Freund des Bordellbesitzers und einflussreicher Lobbyist der Partei Seiyūkai, sorgte für die Freilassung der Frauen. Da er sich zu Abe hingezogen fühlte und sie keine Schulden hatte, wurde sie seine Geliebte. Kasahara versorgte sie am 20. Dezember 1934 mit einem Haus und Geld. Später sagte er unter Eid: „Sie war eine wirklich starke Frau. Obwohl ich ziemlich abgestumpft bin, erstaunte sie mich. Sie war nicht zufrieden bis wir es zwei-, drei- oder viermal die Nacht taten. Für sie war es inakzeptabel, wenn ich nicht die ganze Nacht lang ihren Intimbereich berührte. Anfangs war es großartig, aber nach ein paar Wochen war ich etwas erschöpft.“ Als Abe wollte, dass er seine Frau verlassen solle, um sie zu heiraten, weigerte er sich. Dann bat sie ihn, sich einen Geliebten suchen zu dürfen, was er ebenfalls ablehnte. Daraufhin endete ihre Beziehung und Abe floh 1935 nach Nagoya.

Abe Sada, ca. 1935

Dort versuchte sie wieder, durch Kellnerei der Prostitution zu entkommen. Sie begann eine Beziehung mit einem Kunden des Restaurants, Ōmiya Gorō, einem Professor und Bankier mit Ambitionen auf einen Sitz im Kokkai. Da ihr Arbeitgeber eine Beziehung mit einem Kunden nicht erlauben würde und gelangweilt von Nagoya, zog sie im Juni nach Tokio zurück. Ōmiya traf dort wieder auf Abe und als er von ihrer Syphiliserkrankung erfuhr, bezahlte er ihr eine Kur in Kusatsu von November bis Januar 1936. Ōmiya schlug ihr vor, mit einem Restaurant finanziell unabhängig zu werden und empfahl, vorher in die Lehre zu gehen.

Am 1. Februar 1936 begann sie ihre Lehre im Yoshida-ya, das in den 20ern von Ishida Kichizō im Tokioter Bezirk Nakano gegründet wurde. Ishida war ein Schürzenjäger, so dass das Restaurant hauptsächlich von seiner Frau geführt wurde. Er machte ihr Avancen, und da Ōmiya sie nicht sexuell befriedigte, gab sie nach. Am 23. April 1936 trafen sie sich zu einem „kurzen Liebesabenteuer“ in einem Machiai, dem damaligen Gegenstück der heutigen Love Hotels, in Shibuya, verbrachten aber dann dort vier Tage im Bett. In der Nacht des 27. Aprils 1936 zogen sie in ein anderes Machiai zum Sex, teilweise in Anwesenheit einer singenden Geisha oder des Personals, das ihre Getränke nachfüllte. Danach ging ihr Liebesmarathon im Viertel Ogu weiter. Ishida kehrte erst am Morgen des 8. Mai 1936 in sein Restaurant zurück. Abe sagte später über ihn: „Es ist schwer zu sagen, was ich an ihm gut fand. Aber ich kann nichts Schlechtes sagen über sein Aussehen, sein Verhalten, seine Fähigkeit als Liebhaber, die Art, wie er seine Gefühle ausdrückte. Ich hatte noch nie so einen sexy Mann getroffen.“

Nachdem sie sich trennten, wurde Abe eifersüchtig und begann zu trinken. Eine Woche vor dem Mord, dachte sie über diese Tat nach. Am 9. Mai 1936 besuchte sie ein Theaterstück, in dem eine Geisha ihren Geliebten mit einem Messer angreift. Zwei Tage später verpfändete sie einen Teil ihrer Sachen, um Sushi und ein Küchenmesser zu kaufen. Abe beschrieb später ihr nächstes Treffen mit Ishida wie folgt: „Ich zog das Messer aus meiner Tasche, bedrohte ihn, wie ich es in dem Stück gesehen hatte, und sagte ‚Kichi, du hast diesen Kimono getragen, nur um einen Lieblingskunden zu erfreuen. Ich werde dich Bastard dafür umbringen.‘ Ishida erschrak und machte einen Schritt zurück, aber er schien vergnügt zu sein.“

Das Opfer

Ishida und Abe kehrten nach Ogu zurück, wo sie bis zu seinem Tod blieben. Während ihres Liebesaktes legte Abe das Messer an seinen Penis an und sagte, sie werde sicherstellen, dass er ihr nie untreu werde, was Ishida mit Lachen erwiderte. Nach zwei Tagen des Geschlechtsverkehrs begann Abe ihn zu würgen, Ishida animierte sie, weiterzumachen und würgte sie auch. Am Abend des 16. Mai benutzte sie dafür ihren Obi, und nachdem sie dies zwei Stunden lang wiederholten, verzerrte sich Ishidas Gesicht, ohne wieder normal zu werden. Abe benutzte ein Sedativum namens Calmotin, um seine Schmerzen zu stillen. Als Ishida langsam ohnmächtig wurde, sagte er: „Du wirst den Gürtel wieder um meinen Hals legen und abschnüren, wenn ich schlafe, oder…? Wenn du anfängst, höre nicht auf, weil das danach schmerzhaft ist.“

Um 2 Uhr am Morgen des 18. Mai strangulierte sie ihn während seines Schlafes zu Tode. Nachdem sie mehrere Stunden lang neben seinem Körper gelegen hatte, trennte sie seine Genitalien mit dem Küchenmesser ab, packte sie in einer Zeitschrift ein und trug sie bis zu ihrer Verhaftung drei Tage später mit sich. Mit dem Blut schrieb sie auf Ishidas linken Schenkel und das Laken „Sada, Ishida Kichi zusammen“ und ritzte ihren Namen in seinen linken Arm. Danach zog sie sich seine Unterwäsche an, verließ den Ort um 8 Uhr morgens und bat das Personal, Ishida nicht zu stören. Auf die Frage, warum sie seine Genitalien abgetrennt habe, antwortete sie: „Weil ich nicht seinen Kopf oder Körper mit mir nehmen konnte. Ich wollte den Teil mit mir nehmen, der mir die lebhaftesten Erinnerungen brachte.“

Danach traf sie sich mit Ōmiya Gorō, bat mehrmals um Entschuldigung, wobei er annahm, es gehe darum, dass sie ihn betrogen habe, wobei sie tatsächlich um Verzeihung dafür bat, seine politische Karriere zerstört zu haben, wie es mit der Berichterstattung der Zeitungen ab dem 19. Mai geschehen sollte.

Die Geschichte wurde zur nationalen Sensation und die resultierende Hysterie wurde „Abe-Sada-Panik“ genannt. Die Polizei erhielt Meldungen von Abe-Sichtungen aus verschiedenen Städten, wobei fast eine Massenpanik in Ginza ausgelöst wurde und zu einem großen Verkehrsstau führte. In Bezugnahme auf den Zwischenfall vom 26. Februar wurde das Verbrechen scherzhaft als „Zwischenfall vom 18. Mai“ bezeichnet.

Den 19. Mai verbrachte sie wie einen gewöhnlichen Tag. Am 20. schrieb sie in einem Gasthaus in Shinagawa Abschiedsbriefe an Ōmiya, einen Freund und Ishida. Sie praktizierte Nekrophilie und plante für die folgende Woche ihren Selbstmord am Berg Ikoma.

Um vier Uhr nachmittags erhielt sie Besuch von der Polizei, der ihr Pseudonym, mit dem sie sich im Gasthaus registriert hatte, verdächtig vorkam. Abe stellte sich vor und überzeugte die zweifelnden Polizisten, indem sie ihnen die Genitalien als Beweis zeigte.

Was diesen Fall von Dutzenden ähnlichen Fällen in Japan unterscheidet, sah William Johnston darin, dass sie nicht aus Eifersucht, sondern aus Liebe tötete. Mark Schreiber bemerkt, dass der Zwischenfall zu einer Zeit geschah, als die japanischen Medien ständig über extreme politische und militärische Probleme berichteten, wie den Zwischenfall vom 26. Februar oder den anstehenden Krieg gegen China. Ein derartig sensationalistischer Sexskandal diente als willkommene Abwechslung von den verstörenden Ereignissen dieser Zeit. Der Zwischenfall passte auch zur damals beliebten Stilrichtung des erotisch-grotesken Nonsense und der Vorfall um Abe Sada sollte dieses Genre auf Jahre dominieren.

Sada Abe bei ihrer Verhaftung am 20. Mai 1936

Als die Details des Verbrechens öffentlich gemacht wurden, begannen Gerüchte um die außergewöhnliche Größe des Gliedes die Runde zu machen, was jedoch von einem Polizisten und Abe dementiert wurde. Sein Penis und Hoden wurden in das pathologische Museum der medizinischen Fakultät der Universität Tokio verbracht, wo sie bis nach Ende des Zweiten Weltkriegs ausgestellt wurden, danach aber verschwanden.

Ihr Gerichtsverfahren begann am 25. November 1936 und schon um fünf Uhr morgens bildeten sich Schlangen vor dem Gebäude. Der Richter gab an, von einigen Details sexuell erregt worden zu sein, sorgte aber für die seriöse Durchführung des Verfahrens. Abes Plädoyer vor dem Urteilsspruch begann mit: „Was ich am meisten an diesem Vorfall bedauere, ist, dass ich als eine Art sexuelle Perverse missverstanden werde … Es gab in meinem Leben keinen Mann wie Ishida. Es gab Männer, die ich mochte und mit denen ich, ohne Geld zu verlangen, schlief, aber für keinen fühlte ich wie gegenüber ihm.“

Am 21. Dezember wurde Abe wegen Mordes mit bedingtem Vorsatz und der Leichenschändung zu 6 Jahren Freiheitsentzug verurteilt, obwohl die Staatsanwaltschaft 10 Jahre forderte und Abe selbst die Todesstrafe wünschte. Sie kam in die Frauenstrafanstalt Tochigi als Insassin Nummer 11. Am 10. November 1940 erhielt sie anlässlich des 2600-jährigen Jubiläums der Reichsgründung durch den mythologischen Kaiser Jimmu eine Strafminderung und wurde genau fünf Jahre nach dem Mord am 17. Mai 1941 freigelassen.

Die Polizeiaufzeichnungen von Abes Verhör und ihr Geständnis wurden 1936 ein nationaler Bestseller. Christine L. Marran setzt die Faszination für Abes Geschichte in den Kontext des dokufu-Stereotyps („Giftfrau“), ein transgressiver weiblicher Charaktertypus, der in den 1870ern in Japan in Fortsetzungsromanen und Bühnenstücken aufkam. In dessen Verlauf erschienen in den späten 1890ern beichtende Autobiographien verurteilter Frauen. In den frühen 1910ern erhielten derartige Autobiographien zunehmend einen unapologetischen Ton und kritisierten Japan und die Gesellschaft. So schrieb Kanno Suga, die 1911 wegen des Hochverratszwischenfalls, einer Verschwörung zur Ermordung Kaiser Meijis, gehängt wurde, offen rebellische Essays im Gefängnis. Kaneko Fumiko, die wegen ihres Plans eines Bombenattentats gegen die kaiserliche Familie die Todesstrafe erhielt, benutzte ihr Berüchtigtsein, um sich gegen das kaiserliche System und den Rassismus und Paternalismus, den es erzeugte, auszusprechen. Abes Geständnis wurde zur meistverbreiteten Erzählung einer verurteilten Verbrecherin in Japan. Marran weist darauf hin, dass Abe, im Gegensatz zu den vorangegangenen ähnlichen Autobiographen, ihre Sexualität und Liebe zu ihrem Opfer betonte.

Schauplatz des „Abe-Sada-Zwischenfalls“

Nach ihrer Freilassung nahm Abe ein Pseudonym an. Als Geliebte eines „ernsthaften Mannes“, den sie in ihren Memoiren als Y bezeichnete, zog sie zuerst in die Präfektur Ibaraki und dann in die Präfektur Saitama. Als Y und dessen Umfeld ihre wahre Identität erfuhren, zerbrach ihre Beziehung.

Um die öffentliche Aufmerksamkeit von der Politik und der Kritik an den Besatzungsbehörden abzulenken, ermunterte die Regierung Yoshida offen eine Politik der 3 „S“ – „Sport, Screen, Sex“. Dies stellte eine Abkehr von der strengen Vorkriegszensur von obszönem oder unmoralischem Material dar und führte zu einer Änderung der Literatur über Abe. Vorkriegsschriften wie Abe Sada no seishin bunseki teki shindan („psychoanalytische Diagnose von Abe Sada“) von 1937 stellten Abe als Beispiel der ungezügelten weiblichen Sexualität und deren Gefahr für das patriarchale System dar. In der Nachkriegszeit behandelte man sie als Kritikerin des Totalitarismus und Symbol der Freiheit von unterdrückenden politischen Ideologien. Abe wurde zum beliebten Sujet von Hoch- und Populärliteratur. Der buraiha-Schriftsteller Oda Sakunosuke schrieb zwei Geschichten basierend auf Abe, und ein Artikel aus dem Juni 1949 merkte an, dass Abe versucht habe, ihren Namen zu säubern, nachdem Berge von erotischen Büchern über sie erschienen.

1946 interviewte der Schriftsteller Sakaguchi Ango Abe und behandelte sie als Autorität bezüglich Sexualität und Freiheit. Sakaguchi bezeichnete Abe als „sanfte, warme Figur der Erlösung zukünftiger Generationen“. 1947 wurde „Sadas erotisches Geständnis“ ein nationaler Bestseller mit über 100.000 verkauften Exemplaren. Das Buch war in Interviewform geschrieben, basierte aber auf den Verhörprotokollen. Daraufhin verklagte Abe den Autor Kimura Ichirō wegen übler Nachrede und Verleumdung, was vermutlich vor dem Gericht mit einem Vergleich endete. Als Antwort schrieb sie ihre Autobiographie „Aufzeichnungen von Abe Sada“, in der sie, im Gegensatz zu Kimuras Darstellung ihrer Person als Perverse, ihre Liebe zu Ishida betonte. Die erste Ausgabe des Magazins Jitsuwa vom Januar 1948 enthielt vorher unveröffentlichte Fotos des Vorfalls mit der Überschrift „Ero-guro des Jahrhunderts! Erstveröffentlichung. Illustration des Abe-Sada-Zwischenfalls.“

„Abe-Sada-Panik“ in der Tōkyō Asahi Shimbun vom 21. Mai 1936

Zurückblickend auf die unterschiedliche Darstellung von Abe Sada, bezeichnete die Ausgabe vom Juni 1949 des Monthly Reader sie als „Heldin jener Zeit“, weil sie ihren eigenen Begierden in einer Zeit der „falschen Moral“ und Unterdrückung folgte.

Abe schlug Kapital aus ihrer Bekanntheit, indem sie sich von einem populären Magazin interviewen ließ und mehrere Jahre lang in einer Wanderbühnenproduktion namens Shōwa Ichidai Onna („eine Frau der Shōwa-Generation“) auftrat. 1952 fing sie an, in der Arbeiterkneipe Hoshikikusui in Inarichō, Shitaya im Zentrum Tokios 20 Jahre lang zu kellnern, wobei sie von der örtlichen Restaurantvereinigung auch als Modellangestellte ausgezeichnet wurde. Der Filmkritiker Donald Richie besuchte in den 60ern mehrfach das Hoshikikusui und beschrieb in seinem Buch Japanese Portraits, wie Abe dramatisch auf eine lautstarke Gruppe von Trinkern zulief: Sie stieg eine lange Treppe hinab und fixierte einzelne Personen. Die Männer in der Kneipe bedeckten dann ihren Schritt mit ihren Händen und schrien Dinge wie „Versteckt die Messer!“ und „Mir ist bange auf’s Klo zu gehen.“, woraufhin sie auf das Geländer schlug, die Gruppe anstarrte bis eine unangenehme Stille herrschte, und dann mit dem Ausschank begann. Richie kommentiert: „… sie hatte immerhin einen Mann zu Tode gewürgt und dann sein Glied abgeschnitten. Es schauderte dich jedes Mal wenn Abe Sada dir mit ihrer Hand einen Klaps auf den Rücken gab.“

1969 hatte Abe einen Gastauftritt im Abschnitt Abe Sada Jiken des dramatisierenden Dokumentarfilms Meiji, Taishō, Shōwa: Ryōki Onna Hanzaishi von Regisseur Ishii Teruo, und die letzte bekannte Photographie von ihr stammt ebenfalls von August dieses Jahres. 1970 verschwand sie aus der Öffentlichkeit. Als der Film Im Reich der Sinne Mitte der 1970er geplant wurde, fand Regisseur Oshima Nagisa sie nach erfolgreicher Suche mit geschorenem Haar in einem Nonnenkloster in Kansai.

1975 erschien der Erotikfilm „die wahre Geschichte der Abe Sada“ der japanischen Filmgesellschaft Nikkatsu. Regie führte Noboru Tanaka. Das Werk ist ein Vertreter des Pink Eiga, wenngleich viel kunstvoller und vergleichsweise romantischer produziert. Das Nikkatsu-Studio wählte daher den Begriff des Roman Porno für die hauseigenen Produktionen. Der Originaltitel lautete: „Jitsuroku Abe Sada“.

Jahrzehnte nach dem Vorfall und ihrem Rückzug zog sie weiterhin das öffentliche Interesse auf sich. Neben dem Dokumentarfilm, in dem sie vor ihrem Rückzug aus der Öffentlichkeit auftrat, erschienen drei erfolgreiche Verfilmungen der Geschichte. Daneben verwendete der 1983 erschienene Nikkatsu-Roman-Porno Sexy Doll: „Sexy Doll: Abe Sada III.“ ihren Namen im Titel. Eine Biografie mit 438 Seiten erschien 1998 in Japan und William Johnston schrieb das erste englischsprachige Buch über sie unter dem Titel Geisha, Harlot, Strangler, Star. A Woman, Sex, and Morality in Modern Japan, welches 2005 veröffentlicht wurde.

Starb sie, weil sie zu viel wusste?

Am 1. November 1957 findet die Polizei in Frankfurt/Main die Leiche der 24-jährigen Edelhure Rosemarie Nitribitt in ihrer Wohnung. Es ist der spektakulärste Kriminalfall der Nachkriegsära der Bundesrepublik Deutschland.

Die Presse stürzt sich auf den Mordfall. Sehr prominente Freier waren Kunden der Edelhure. Die Polizei gerät immer mehr unter Druck, den verzwickten Fall zu lösen. Doch eine Ermittlungspanne jagt die nächste. Am Ende bleibt der Fall ungeklärt - bis heute.

Ihr Tod schlägt mitten im Wirtschaftswunder der 1950er-Jahre ein wie eine Bombe. Die Nitribitt ist nicht irgendwer. Sie ist Sensation und Provokation zugleich. Mit schwarzem Mercedes-Cabrio und weißem Pudel geht die stets elegant gekleidete Rosemarie Nitribitt öffentlich auf Kundenfang. Nicht dort, wo andere Prostituierte auf Freier warten. Auch in Edelhotels lockt sie männliche Gesellschaft an. Beim Geldadel wird sie unter der Hand als eine Art Trophäe gehandelt.

Frauen, die in den prüden 1950er-Jahren abends allein ausgingen, waren verschrien. Jene, die wie Rosemarie Nitribitt für Geld mit Männern schliefen, galten als Abschaum. Zeitzeugen berichten noch heute, dass sie aber fasziniert waren von der eleganten Dame im Luxusauto - heimlich natürlich.

Die Geschichte aus dem Frankfurter Rotlichtmilieu mutiert im piefigen Deutschland der 1950er-Jahre jedoch schnell zu einem ausgewachsenen Sittenskandal. Und die Polizei macht einen Fehler nach dem anderen. Der Hauptverdächtige wird von einem Gericht freigesprochen, die Ermittlungen werden eingestellt, der Mörder wird nie gefunden. Doch verbergen sich in den Ermittlungsakten nicht doch noch neue Hinweise?

In den fünfziger Jahren, als Westdeutschlands Wirtschaft wieder Fahrt aufnahm, symbolisierte vor allem das Auto den Wiederaufstieg des Landes. Der Mercedes-Stern war die Krönung dieses Symbols. Schnittige Karosserien der Oberklasse prägten das Marken- und Straßenbild.

Rosemarie Nitribitt mit ihren Pudel

1952 entwickelte Mercedes-Benz den SL - sportliche Leichtigkeit, blank poliert. Inoffiziell stand der SL für Luxus und Noblesse. Im Februar 1954 präsentierte der Konzern auf der Auto-Show in New York seinen eleganten Tourenwagen 190 SL. Ringo Starr, Alfred Hitchcock und Frank Sinatra fuhren ihn, aber vor allem bei Frauen war er wegen seiner grazilen Details beliebt. Berühmteste weibliche Fahrerin des 190 SL war aber nicht Grace Kelly, Gina Lollobrigida oder Zsa Zsa Gabor, sondern eine Frankfurter Hure. Einen «Nitribitt» nannte der Volksmund das 190er Cabrio.

Bis heute ist der Name von Rosemarie Nitribitt mit dem Modell von Mercedes verknüpft. In die Geschichte ging die Edelprostituierte aber weniger wegen ihres rasanten Untersatzes ein, sondern wegen der feinen Herren, die sie damit abschleppte. Unvergessen machen sie ihr mysteriöser gewaltsamer Tod im Jahr 1957 und der große Lärm, der ihm folgte. Es war, als hätte ihre Ermordung der Ära Adenauer jäh die Maske von ihrem zweiten Gesicht gerissen.

Mordsache Nr. 68331/57 war nicht der «ganz normale Prostituiertenmord», als den ihn die Polizei verzeichnete. Die Fallakte Nitribitt legte Seite für Seite, Aussage für Aussage den ersten handfesten gesellschaftspolitischen Skandal der Nachkriegszeit frei. Es ging um Sex, Macht, Geld. Der Wirbel zog weite Kreise, Nitribitts Kundenkartei sich hoch bis in die höchsten Kreise der neu- und «noch immer» reichen Frankfurter Wirtschaftsbosse und sonstigen sogenannten besseren Gesellschaft hinein.

Auch die Justiz des neuen Rechtsstaats bekleckerte sich nicht mit Ruhm: 22 Akten, zwei Tonbänder, Bildmaterial, Nitribitts Wohnungsschlüssel, eines ihrer Schamhaare und ihr sagenumwobenes Notizbuch mit angeblich über hundert bekannten Kundennamen verschwanden spurlos und tauchten erst fünfzig Jahre später teilweise wieder auf.

Die Ermittler waren fahrig und fahrlässig; der namhaften Verdächtigen nahmen sie sich fast fürsorglich an - interessierten sich bei Industriellenerbe Gunter Sachs mehr für die Direkteinspritzung seines 300-SL-Flügeltürers als für sein Alibi und fanden das Alibi «Golfunterricht» von Krupp-Erbe Harald von Bohlen und Halbach überzeugender als dessen Fingerabdrücke auf einer angebrochene Flasche Beaujolais in Nitribitts Wohnung. Am Ende verhaftete man einen, der nicht mehr oder weniger verdächtig war, aber wesentlich weniger wichtig und wohlhabend.

Als «keineswegs besonders attraktiv» wurde sie beschrieben. Rosemarie Nitribitt im Jahr 1955.

***

Am 01.11.1957 meldete der Hessische Rundfunk, dass am Nachmittag gegen 17 Uhr das 24jährige Mannequin Rosemarie Nitribitt in ihrer Wohnung in Frankfurt (Main) tot aufgefunden wurde und vermutlich ermordet wurde.

Die Tote brach mir allen Regeln ihrer Zeit und ihre Geschichte sollte den beschaulichen Deutschland der Nachkriegszeit den Atem verschlagen. Maria Rosalia Auguste „Rosemarie“ Nitribitt, wurde am 1. Februar 1933 in Düsseldorf geboren und starb vermutlich am 29. Oktober 1957 in Frankfurt am Main. Sie war eine Prostituierte, die ermordet wurde. Bei den polizeilichen Ermittlungen stellte sich heraus, dass sie Kontakt zu bedeutenden Persönlichkeiten hatte. Da der Mordfall nicht aufgeklärt werden konnte, kam es zu Vermutungen, dass einflussreiche Kreise aus Wirtschaft und Politik die Aufklärung zu verhindern suchten.

Die zu Lebzeiten als Frankfurter Edelprostituierte bekannte Nitribitt erlangte nach ihrem Tod landesweite Berühmtheit. Rosemarie Nitribitt war vor allem in Frankfurt am Main schon zu Lebzeiten bekannt und nach ihrem Tode erschienen zahlreiche Medienberichte über sie. Dennoch gibt es nur wenige gesicherte Erkenntnisse über ihr Leben.

Als Rosemarie Nitribitt am 1. Februar 1933 in Ratingen bei Düsseldorf kurz nach Hitlers Machtergreifung zur Welt kam, war ihr Vater vor ihrer Geburt abgehauen und ihre 18-jährige Mutter Maria immer noch Putzfrau. Die Behörden des Dritten Reichs stuften Maria als «schwachsinnig» ein.

Rosemarie, wie sie sich später nannte, kam also als nichteheliches Kind zur Welt. Ihren Vater, einen Arbeiter aus Düsseldorf, der später Unterhaltszahlungen ablehnte, lernte Rosemarie vermutlich nie kennen. Sie wuchs, wie ihre beiden Halbschwestern, in ärmlichen Verhältnissen bei ihrer Mutter in Ratingen und Düsseldorf auf.

Rosemaries jüngere Halbschwestern Irmgard und Lieselotte hatten jeweils einen anderen Vater; vernachlässigt wurden alle drei gleichermaßen. So war es gut und richtig, dass das Jugendheim die fünfjährige Rosemarie 1937 «wegen Verwahrlosung» ins Heim steckte. Die Mutter musste mehrere Freiheitsstrafen verbüßen. Rosemarie wurde mehrmals in ein Kinderheim eingewiesen, wo sie als schwer erziehbar galt und mehrfach ausriss.

Im Nachhinein war es ein Glück: Im Frühjahr 1939 kam das Kind zu Pflegeeltern nach Niedermending in der Eifel. Bei dem 69-jährigen Pflegevater Nikolaus Elsen und seiner zwanzig Jahre jüngeren Frau Anna Maria erlebte Rosemarie zum ersten und letzten Mal in ihrem Leben Liebe und Geborgenheit. Während 1942 die leibliche Mutter mal wieder eine Haftstrafe verbüsste, feierte Rosemarie ihre Erstkommunion. Zeugen dieser kurzen Zeit sagen, Rosemarie sei fröhlich, aufgeweckt und lebhaft gewesen.

1944 vergewaltige ein 18-jähriger Nachbarsjunge die elfjährige Rosemarie. Der Vorfall blieb nicht unbemerkt, aber in dem kleinen Eifeldorf, auch bei den Elsens, schwieg man das Verbrechen tot. Die Tat wurde den Behörden nie bekanntgegeben und der Täter nie zur Rechenschaft gezogen, obwohl man im Dorf wusste, wer es war. Der Junge ging zur Wehrmacht. Rosemarie blieb zwei Wochen der Schule fern und geriet dann auf die schiefe Bahn.

Nichts prägt uns mehr als unsere Kindheit, die Zeit, in der wir arglos und verletzlich sind. Vier behütete Jahre vermochten nicht den Schmerz einer jungen Seele zu heilen, die immer wieder im Stich gelassen wurde. Je härter es das Leben mit Rosemarie meinte, desto härter wurde sie selbst. Sie wurde zur Einzelkämpferin und ab ihrem 12. Lebensjahr verhaltensauffällig.

Kurz nach Kriegsende befreundete Nitribitt sich mit zwei Prostituierten. Mit knapp 13 Jahren bot sie sich zum ersten Mal französischen Besatzungssoldaten an. Mit 14 Jahren hatte sie eine Abtreibung, die fast tödlich endete. Es war Anfang 1947, die Pflegeeltern waren längst überfordert und ließen Rosemarie einmal mehr in ihrem Leben im Stich.

Eine Odyssee durch Erziehungsheime und Verwahranstalten begann, immer wieder schaffte Rosemarie es, abzuhauen. Nachdem die 18-Jährige im Sommer 1951 wegen «Landstreicherei» drei Wochen Jugendstrafanstalt Frankfurt-Preungesheim verbüßt hatte, wollte kein Heim mehr den hoffnungslos renitenten Fall bei sich aufnehmen. Im April 1952 sperrte man die junge Prostituierte für ein Jahr in die berüchtigte Nazi-Arbeitsanstalt Brauweiler und ließ sie Tüten kleben. Das saß Rosemarie Nitribitt also in der Ära Adenauer am selben Ort, an dem in der Ära Hitler Konrad Adenauer eingesessen hatte.

Schon als Heranwachsende verdiente sie ihr erstes Geld mit Prostitution. Später zog sie nach Koblenz, anschließend nach Frankfurt am Main, wo sie – immer noch minderjährig – als Kellnerin und Mannequin arbeitete, bald aber wieder als Prostituierte. Sie wurde aufgegriffen und erneut in ein Erziehungsheim eingewiesen, aus dem sie bald wieder ausriss. Von April 1952 bis April 1953 saß Rosemarie Nitribitt in der „Rheinischen Landes-Arbeitsanstalt Brauweiler“ in der Abtei Brauweiler bei Pulheim ein. Da sie als schwerer Fall galt, wurde sie vorzeitig (d. h. vor dem 21. Lebensjahr) für volljährig erklärt, damit sie entlassen werden konnte.

Sie gab sich große Mühe, ihre einfache Herkunft zu verbergen. Um in Gesellschaft nicht durch mangelnde Bildung und fehlende Weltbürgerlichkeit aufzufallen, lernte sie Englisch, Französisch und belegte Kurse für „gutes Benehmen“. Ein Freier schenkte ihr 1954 einen Opel Kapitän, damals ein außergewöhnlicher Besitz für eine Frau Anfang 20. Andere Freier luden sie in den Urlaub ans Mittelmeer ein.

Hinterlassenen persönlichen Aufzeichnungen zufolge und nach Recherchen der Frankfurter Kriminalpolizei erwirtschaftete Nitribitt in ihrem letzten Lebensjahr ein unversteuertes Einkommen von etwa 90.000 DM. Bereits Mitte 1956 erwarb sie den berühmten schwarzen Mercedes-Benz 190 SL mit roten Ledersitzen, mit dem sie in Frankfurt sehr viel Aufsehen erregte und der ihr Markenzeichen wurde. Der Verbleib des Mercedes ist unklar.

Am 1. November 1957 wurde Nitribitt mit einer Platzwunde am Kopf und Würgemalen am Hals tot in ihrer Wohnung in Frankfurt am Main in der Stiftstraße 36 am Eschenheimer Turm aufgefunden. Laut Obduktion war ihr Tod zwanzig bis dreißig Stunden vorher eingetreten.

Nitribitt wurde auf dem Nordfriedhof in Düsseldorf beigesetzt. Ihr Kopf wurde zuvor abgetrennt und von der Frankfurter Staatsanwaltschaft als mögliches Beweismittel zurückgehalten. Er wurde später der Frankfurter Polizei als Lehrmittel für die Kommissarsausbildung übergeben und im Kriminalmuseum Frankfurt ausgestellt. Nach 50 Jahren, im Dezember 2007, gab die Staatsanwaltschaft den Schädel Nitribitts frei. Er wurde am 10. Februar 2008 in ihrem Grab auf dem Nordfriedhof beigesetzt; Spender finanzierten eine Verlängerung der Nutzungsdauer.

Die Beamten ermittelten gegen einige, zum Teil prominente Verdächtige, darunter waren Angehörige der Familie Krupp (Harald von Bohlen und Halbach), Harald Quandt, Ernst Wilhelm Sachs sowie sein jüngerer Bruder Gunter Sachs. Hingegen lassen sich in Film und Fernsehen immer wieder kolportierte Gerüchte über hochrangige Kunden Nitribitts aus dem Bonner Politikbetrieb, wonach neben dem damaligen Bundesverkehrsminister Hans-Christoph Seebohm auch der spätere Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger auf der Besucherliste der Prostituierten gestanden hätte, anhand der einschlägigen Zeugenaussagen und Vernehmungsprotokolle nicht belegen.

Der mit dem Fall befasste Kriminalkommissar Alfred Kalk sagte über das Notizbuch, in dem Nitribitt ihre Kontakte festhielt: „In dem Buch standen Namen, aber die waren nicht aus der großen Welt der Mächtigen und Reichen, sondern ganz normale Bürger. Das Höchste war ein Bankdirektor aus Bad Homburg.“

Nitribitt hatte in ihrem Taschenkalender von 1957 insgesamt 60 Namen aufgeschrieben. Der Besitzer eines Lebensmittelgeschäfts in München wurde beschattet und im Dezember 1958 mehrmals verhört, weil Nitribitt seinen Namen zusammen mit den Stichworten „Düsseldorf“ und „München“ in dem Taschenkalender notiert hatte. Im Januar 1959 wurde dem Verdächtigen mitgeteilt, dass die Ermittlungen gegen ihn eingestellt wurden. Zwölf Stunden später erlitt er einen tödlichen Herzinfarkt.

Kaum erklärbare Ermittlungspannen der Frankfurter Kripo nährten den Verdacht einer planmäßigen Vertuschung. Einige Akten verschwanden spurlos, die Beamten machten zahlreiche Fehler. Über Jahre und Jahrzehnte wurde spekuliert, dass brisante Akten und Verhörprotokolle vorsätzlich beiseitegeschafft worden seien, um prominente Freier und Verdächtige aus Politik und Wirtschaft zu schützen.

2013 stießen jedoch Archivare der Frankfurter Polizei in ihren Archiven auf die verschollen geglaubten Dokumente. Das Spurenbuch und einige ausgewählte Dokumente waren bis 1972 von den Frankfurter Ermittlern aktiv weitergeführt und dann nach Schließung des Falls schlicht im Archiv vergessen worden. Mit dem Auffinden der Akten können viele der Verschwörungstheorien, die sich um den Fall ranken, als widerlegt betrachtet werden. Lange Zeit verloren geglaubte Teile der 24-bändigen Ermittlungsakten lagern im Polizeiarchiv Frankfurt. Darunter befinden sich vier Bände mit Vernehmungen, das Notizbuch von Rosemarie Nitribitt, weitere erkennungsdienstliche Bilder von Tatverdächtigen, 19 Liebesbriefe, Postkarten und Gedichte von Harald von Bohlen und Halbach.

Die vielfache Behauptung, in der Wohnung Nitribitts sei ein laufendes Tonbandgerät gefunden worden, das die Ankunft des letzten Besuchers aufgezeichnet habe, kann mittlerweile als widerlegt gelten. In der Wohnung wurde zwar ein Grundig-Tonbandgerät sichergestellt, mit dem aber zuletzt Schallplatten aufgenommen worden waren. Die Aufnahme von Sprachaufzeichnungen wäre schon aus technischen Gründen nicht ohne weiteres möglich gewesen. Am Ende des eingelegten Tonbands befand sich tatsächlich eine Sprachsequenz, die offensichtlich zu einem früheren Zeitpunkt aufgenommen worden war, und zwar gegen die Laufrichtung der übrigen auf dem Band befindlichen Musikaufnahmen. Die schlechte Qualität der Sprachaufzeichnung erklärt sich durch den Bandlauf beim ersten Abspielen des Bandes durch die Frankfurter Kripo. Spielt man die Sprachsequenz gegen den Bandlauf der Musikaufnahmen ab, hört man, wie Nitribitt ihren Hund zu sich ruft.

Der Hauptverdächtige war ein Freund Nitribitts, der damals 34-jährige Handelsvertreter Heinz Christian Pohlmann, welcher 1990 in München verstarb. Er wurde angeklagt, aber im Juli 1960 mangels Beweisen freigesprochen. Man habe trotz erheblicher Zweifel an der Herkunft des vielen Geldes, das sich unmittelbar nach der Tat in seinem Besitz befand und wahrscheinlich aus der Wohnung Nitribitts entwendet worden war, nicht mit letzter Sicherheit die Täterschaft Pohlmanns in der Mordsache erkennen können, hieß es in der Urteilsbegründung des Frankfurter Schwurgerichts.