Kuddel Knuddelbär - Evelyn Barth - E-Book

Kuddel Knuddelbär E-Book

Evelyn Barth

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Beschreibung

Kuddel ist der kleinste und jüngste Bär in seinem Dorf auf der Bäreninsel. Eine Bande junger Bären treibt dort oft Unfug, doch Kuddel kann sich auf seine Freunde Bruno, Rupert, Oskar und Rasmus verlassen, die immer für ihn da sind. Diese kleine, heile Welt wird jedoch plötzlich bedroht, als Menschen auf der Insel auftauchen und Bären entführen, um sie in der Menschenwelt als Teddys zu verkaufen. Und auch die Bärenbäume erkranken. Da auf diesen Bäumen die kleinen Bären heranwachsen bis sie groß genug sind und herunterfallen, um in die Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden, bleibt der Bärennachwuchs schon bald aus. Niemand weiß, was zu tun ist und die Verzweiflung ist groß. Kuddel hat jedoch eine Idee – und obwohl diese Lösung nicht ungefährlich ist, brechen er und seine Freunde bald darauf auf zu einem großen Abenteuer …

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2015

© 2015 by riva (powered by 100 FANS), ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Melanie Melzer

Satz: inpunkt[w]o

Illustrationen: Melanie Melzer, Karten: Kristina Spörl

ISBN Print 978-3-95705-011-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95708-014-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95708-015-8

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.100FANS.de

Inhalt

1 Der Mondbär

2 Das Hosenfest

3 Tapsi

4 Menschenschiffe

5 Frühlingsanfang

6 Fünf kleine Fischer

7 Das Frühlingsfest

8 Das Dorf

9 Die Insel

10 Der Biberwald

11 Kuddels großer Tag

12 Der Vertrag mit den Bienen

13 Der Baumfreund

14 Baumblüte

15 Die Dorfversammlung

16 Das Moor

17 Das Sommerfest

18 Der Wanderer

19 Der Überfall

20 Schlimme Folgen

21 Murin

22 Gute Neuigkeiten

23 Der Plan

24 Vorbereitungen

25 Der kleine Bär, der zu den Sternen flog

26 Aufbruch

1 Der Mondbär

Kuddel wachte erschrocken auf und rieb sich verstört die Augen. Es war noch nicht ganz hell. Unter dem Bärenbaum, auf dem er schlief, stand der Mondbär und lächelte ihn freundlich an. »Hast du ein Lied für mich gesungen?«, fragte Kuddel. »Ja«, antwortete der Mondbär, »ich glaube, du hast schlecht geträumt.« Der Mondbär strich Kuddel über den Kopf, aber Kuddel hatte seinen Traum schon längst vergessen.

Der Mondbär stand oft unter Kuddels Bärenbaum, wenn Kuddel aufwachte. Denn Kuddel hatte oft unruhige Träume. Der Mondbär kam dann, sang mit seiner glockenhellen Stimme ein beruhigendes Lied für ihn und der Traum war vorbei. Das war die Aufgabe des Mondbären: Lieder zu singen für Bären, die unruhig schliefen und schlecht träumten. Wo immer er einen solchen Bären in der Nacht fand, kuschelte er diesen an seine seidenweiche Brust, sang sein Lied und der Bär konnte in Ruhe weiterschlafen. Seine dunkle, raue Bärenstimme wurde dabei hell und sanft. Am anderen Morgen wussten diese Bären nichts mehr von ihren Träumen. Sie wachten fröhlich auf, als sei nichts gewesen.

Der Mondbär mit seinem silbrigen, seidenweichen Fell war der einzige Bär, der keine Hose trug. Alle anderen Bären trugen Hosen aus grobem Stoff, der einiges aushalten konnte. Aber der Mondbär wollte keine raue Hose tragen. Wenn er einen Bären in seine Arme nahm, sollte sich das für diesen weich anfühlen. Man sah den Mondbären selten, denn tagsüber schlief er meistens im Honigwald. Nur nachts kam er zur Bärenwiese, um den Schlaf der Bären zu bewachen.

Diese schliefen für gewöhnlich auf der Bärenwiese vor dem Bärendorf. In diesem Sommer trafen sich jedoch viele auf der Baumwiese, auf der die Bärenbäume wuchsen. In diesen Bärenbäumen wuchsen die neuen, kleinen Bären heran. Sobald sie fünfzig Zentimeter groß waren, fielen die Bären herab und wurden in die Bärengemeinde aufgenommen. Und dort hing Kuddel als Einziger noch in einer Baumblüte und wollte nicht herunterfallen. »Siebenundvierzig Zentimeter, hatte der Waldbär gesagt, als er ihn zuletzt gemessen hatte. Damit war Kuddel viel kleiner als alle anderen Bärenkinder, die in den letzten Tagen schon von den Bäumen heruntergefallen waren. Das machte ihm Sorgen. Denn wenn er nicht bald herabfiel, würde man das jährliche Hosenfest ohne ihn feiern. Diese Vorstellung bereitete ihm Sorgen und er schlief schlecht und träumte unruhig, und deshalb stand der Mondbär fast jeden Morgen unter seinem Baum, bis er aufwachte.

»Schau«, sagte der Mondbär jetzt. »Dort kommt der Waldbär mit Bruno. Sie werden dir jetzt Gesellschaft leisten und ich werde schlafen gehen. Es wird bestimmt ein schöner Tag.«

Ein schöner Tag? Kuddel schaute sich um. Die Sonne erschien im Osten über den sanften Hügeln der Baumwiese. Wie konnte es ein schöner Tag werden, wenn er noch hier oben hing? Bruno und der Waldbär waren nun bei Kuddel angekommen und schauten ihn an. »Na?«, fragte der Waldbär. »Lass mal sehen. Wie sieht es denn heute aus?« Brummend schaute er Kuddel und die Blüte genau an. »Ich glaube, das wird heute auch noch nichts«, seufzte er. »Leider hat der Bärenrat beschlossen, morgen das Hosenfest zu feiern. Die Bären brauchen neue Hosen und die Kleinen können wir nicht länger ohne Hose herumlaufen lassen. Das ist zu peinlich, verstehst du?«

Ein Bär ohne Hose ist im Bärendorf eine Schande. Denn in den Hosentaschen haben die Bären alles, was sie tagsüber brauchen: Werkzeug, Andenken, Angelschnur und ein Taschenmesser. Ohne all diese Dinge ist man zur Langeweile verdammt. Die älteren Bären müssen ihre Hosen nur selten abgeben. Aber die Jungbären haben nur Streiche und Unsinn im Kopf. Daher passiert es bei ihnen immer wieder, dass sie ohne Hose herumlaufen müssen. Kuddel stiegen die Tränen in die Augen. Er hatte es befürchtet. Er würde beim Hosenfest als Einziger noch im Baum hängen und zugucken müssen, wie alle ihre Hosen bekamen. Kuddel müsste dann irgendeine übrig gebliebene Hose nehmen. »Kannst du mich nicht einfach aus meiner Blüte lösen?«, fragte er darum voller Hoffnung. Ernst schüttelte der Waldbär den Kopf. »Nein, das geht nicht. Man sagt, davon würden die Bäume krank. Das kann ich nicht riskieren.« Kuddel wischte sich mit seinen dicken Pfoten die Tränen aus den Augen. »Sei nicht traurig, mein Winzling«, tröstete ihn der Waldbär. »Der Bärenrat hat beschlossen, das Hosenfest diesmal nicht im Dorf, sondern hier bei dir auf der Baumwiese zu feiern. Du wirst also nicht alleine sein, während wir feiern.« Zärtlich strich er ihm über den Kopf. Kuddel war der Ansicht, dass sein Leben ganz schön traurig begann.

2 Das Hosenfest

Der nächste Tag brachte Unruhe ins Bärendorf. Alle Bären waren auf den Beinen. Jeder wollte bei den Vorbereitungen für das Hosenfest helfen.

Im Biberwald lief der Waldbär herum und zeigte einigen Jungbären, welches Holz sie für das große Lagerfeuer sammeln sollten. Andere suchten Stöcke, auf die sie Fische und Kartoffeln aufspießen wollten, um sie am Lagerfeuer zu braten.

Im Dorf war Bruno mit dem Gartenbären auf dem Kartoffelacker, um die Kartoffeln auszugraben, die sie abends zum Hosenfest mitnehmen wollten.

Der Schreinerbär reparierte die letzten Bollerwagen, mit denen sie die Vorräte zur Wiese transportieren wollten. Oskar, Rupert und Rasmus, drei Jungbären, hatten damit ein Bollerwagenrennen veranstaltet und dabei Deichseln und Räder der Wagen zerbrochen. Sie mussten nun bei den Reparaturen helfen. Ohne Hosen schrubbten sie die verschmutzten Wagen sauber und lachten dabei über den Spaß, den sie gehabt hatten. »Wer hat eigentlich gewonnen?«, fragte Rasmus. »Ich«, rief Rupert. »Mein Wagen ist als einziger ins Ziel gekommen.« – »Nein, ich!«, rief Oskar. »Mein Bollerwagen war als erster kaputt.« Alle drei prusteten vor Lachen. Als der Schreinerbär das Gelächter hörte und nachsehen kam, machten sie sich schnell wieder an die Arbeit und schämten sich, dass er sie ohne Hosen sah.

Der Schneiderbär war ein nervöser, hagerer Bär mit langen Armen, langen Beinen und einer spitzen Nase. Er konnte nie ruhig sitzen, es sei denn, er nähte. Dabei konnte er alles um sich herum vergessen. Er liebte Kinder und das Verteilen der Hosen machte ihm jedes Jahr aufs Neue Spaß. Wenn sie dann stolz darin herumliefen, wusste er, dass er den schönsten Beruf der Welt hatte. Er nähte die Hosen in allen Farben und Formen. Für jeden so, wie er sich seine Hose wünschte: mit oder ohne Latz, mit oder ohne Träger, so viele Taschen, wie gebraucht wurden. Er war eine angesehene Bärsönlichkeit. Für sich selbst hatte er zu seinem beigefarbenen Fell eine beigefarbene Hose gemacht. Das ließ ihn langweilig aussehen, aber er fand das nicht wichtig. Heute war er sehr unruhig, weil er noch nicht mit allen Hosen fertig war. Es war schon Nachmittag und er hatte nur noch wenig Zeit. Außerdem wusste er, dass die Bollerwagen immer noch nicht heil und sauber waren. Niemals würde er seine Hosen in einen schmutzigen Bollerwagen legen. Das alles machte ihm große Sorgen.

Der Seebär kam mit seinem Bollerwagen, der mit Fisch beladen war, ins Dorf. Er wurde laut und fröhlich begrüßt. Rasmus und Oskar wohnten bei ihm in der Biberbucht. Als er hörte, was seine Schützlinge mit den Bollerwagen gemacht hatten, lachte er laut. Er erinnerte sich gut an seine eigene Jugendzeit und die Streiche, die er gespielt hatte. Oft war er ohne Hose nach Hause gegangen und kannte das schändliche Gefühl, ohne Hose zu sein. Aber er wusste, dass eine gerechte Strafe manchmal sein musste. So machte er sich auf den Weg zum Dorfbären. Er wollte ihn bitten, ihm die Hosen für die drei Übeltäter herauszugeben.

Endlich war es Abend.

Der Schneiderbär konnte aufatmen. Die Bollerwagen waren repariert und blitzsauber. Seine wunderschönen neuen Hosen würden darin nicht schmutzig werden.

Das ganze Bärendorf befand sich auf dem Weg zur Baumwiese. Große und kleine, alte und junge Bären liefen durcheinander, zogen Bollerwagen oder machten Musik. Gut gelaunt kamen sie auf der Baumwiese an und verteilten sich zwischen den Bärenbäumen. Der Waldbär nahm sein Feuerzeug und zündete den Scheiterhaufen an. Als es dunkel wurde, begannen sie Musik zu machen und tanzten im Schein des großen Feuers.

Der Seebär spielte Akkordeon, Oskar musizierte auf seiner Mundharmonika und der Maurerbär auf dem Dudelsack. Der Schreinerbär blies auf dem Kamm, der Schneiderbär hatte seine Fidel dabei und der Dorfbär seine Klarinette. Ein paar Jungbären trommelten mit Stöcken auf Eimern herum. Wer kein Instrument spielen konnte, sang oder pfiff die Melodie mit. Bären können hervorragend pfeifen.

Kuddel saß aufrecht in seiner Blüte und staunte. Unter seinem Baum saßen seine Freunde Bruno, Rupert, Oskar und Rasmus. Sie versuchten, ihm das Pfeifen beizubringen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Er blies durch die Lippen, aber es funktionierte nicht. Gerade als er zornig werden wollte, brachte er einen Pfeifton zustande. Eine Melodie wollte ihm aber noch nicht gelingen.

Als das Feuer heruntergebrannt war, stand der Dorfbär auf und bat alle um Ruhe. Er war der oberste Bär im Dorf und eine respektvolle Erscheinung. Sein dunkelbraunes Fell war langhaarig und wuschelig, aber immer sehr gepflegt. Er hatte eine hellbraune Nase, hellbraune Innenohren und hellbraune Pfoten. Kartoffeln und Kartoffelwasser liebte er über alles. Darum war er etwas pummelig, gemütlich und träge. Als Richter las er viel in Gesetzen und in anderen Büchern, die ihm der Seeräubär mitbrachte. Seine Hose reichte ihm bis zur Taille und hatte hellbraune, lederne Hosenträger. Um seinen Hals schlang sich eine farblich passende Krawatte und auf seinem Kopf saß eine runde Brille. Diese benötigte er jedoch nur zum Lesen. Wenn er nicht las, schob er sie einfach hinauf zu seinen Ohren. Das Ungewöhnlichste an ihm war aber seine große Freundschaft zur Bienenkönigin. Die Bienen waren bei jedem Fest der Bären anwesend. Und wie immer bei solchen Festen saß die Bienenkönigin auch heute auf seiner Schulter.

»Liebe Freunde«, begann nun der Dorfbär seine Rede. »Wie jedes Jahr feiern wir auch heute unser Hosenfest. Wir wollen unsere neuen Kinder in unserer Mitte begrüßen. Es war ein gutes Jahr und wir zählen siebzehn Kinder, die alle gesund und munter sind. Leider hängt ein Bärenkind immer noch in seiner Blüte. Wir können uns vorstellen, wie schrecklich es sein muss, allein dort oben zu hängen und nicht mit uns tanzen und feiern zu können. Darum hat der Bärenrat beschlossen, dass er sein eigenes Hosenfest bekommen soll, wenn er fünfzig Zentimeter groß ist. Trotzdem freuen wir uns, dass er bei uns ist, wenn auch nicht hier unten auf der Wiese, sondern oben im Baum.«

Hier wurde der Dorfbär in seiner Rede von lautem Beifall unterbrochen. Alle freuten sich über diese Entscheidung und das neu angekündigte Fest. Dann fuhr der Dorfbär fort: »Für alle anderen ist es nun an der Zeit, ihre ersten Hosen in Empfang zu nehmen. Mit diesem Fest werden sie zu Mitgliedern unserer Dorfgemeinschaft. Gleichzeitig sind sie nun aber auch verantwortlich für ihre Taten. Wenn sie Dummheiten begehen, werde ich ihnen zur Strafe die Hose für ein paar Stunden wieder wegnehmen. Der Schneiderbär möge nun als Erstes die Hosen an die neuen Kinder in unserem Kreis verteilen.«

Während alle applaudierten, erhob sich der Schneiderbär und ging hinüber zu seinem mit Hosen beladenen Bollerwagen. Alle kleinen Bären ohne Hosen liefen hinter ihm her. Es wurde anprobiert und umgetauscht. Als sich alle neuen Kinder ihre Hosen ausgesucht hatten, kamen die Jungbären und die Erwachsenen an die Reihe. Viele von ihnen hatten eine neue Hose bestellt, weil ihre alten Hosen zu klein geworden oder kaputt gegangen waren.

Am Feuer wurden bereits Kartoffeln und Fische gebraten und ein köstlicher Duft zog über die Baumwiese in Kuddels Nase. Aber er durfte noch nichts von all dem essen. Das war ein weiteres Ärgernis. Solange ein Bär in der Blüte sitzt, darf er nur mit Honig gefüttert werden. Aber Kuddel hätte lieber von den lecker duftenden Sachen gegessen. Er konnte keinen Honig mehr sehen. Obwohl seine Freunde und der Waldbär sich alle Mühe gaben, ihn zu trösten, war Kuddel traurig und bedauerte sein Schicksal.

»Pfoooten waschen!«, erklang eine laute, tiefe Stimme. Alle horchten auf und erblickten am Rand der Wiese den Honigbären. Schnell liefen die Bären zum Bach, schrubbten ihre Pfoten mit Sand und spülten sie gründlich ab, sodass kein Sandkrümel im Fell hängen blieb. Dann eilten sie zurück. Sie hatten großen Respekt vor dem Honigbären. Er war fast drei Meter groß und sein Fell war kurz und hatte die Farbe von hellem Honig. Der Honigbär trug eine Latzhose, die etwas dunkler war als sein Fell und die rundherum mit Bienen gemustert war. Dieser große Bär war der Liebling aller Bienen. Ständig summten sie um ihn herum. Rupert begann allerdings, ihm den Rang abzulaufen. Er war zwar noch klein, aber wo Rupert war, waren auch die Bienen.

Der Honigbär hatte sich mit dem großen Honigtopf aus Bienenwachs unter Kuddels Bärenbaum gestellt. Die Bären kamen vom Bach zurück und stellten sich bei ihm der Reihe nach auf: die kleinsten zuerst, die größten zum Schluss. Am Ende stand der Waldbär, denn er war der größte Bär im Dorf. Der Honigbär sagte: »Wie immer: Der Kleinste zuerst.« Dann griff er mit einem Augenzwinkern selbst in den Topf und fütterte Kuddel als Erstes. »Du bist der Kleinste«, sagte er, und alle anderen lachten. Dann ging es weiter. Ein kleiner Bär nach dem anderen wurde vom Honigbären hochgehoben, damit sie alle selbst ihre Pfoten in den Honig tauchen konnten. Danach setzte er sie wieder auf den Boden. Nur die Bären vom Bärenrat waren groß genug, um ohne Hilfe in den Topf zu langen. Der Honigbär selbst nahm sich als Letzter eine Pfote Honig. Am Ende saßen alle auf dem Boden und schleckten behaglich brummend ihre Pfoten ab.

Die kleinen Bären, die gerade erst vom Baum gefallen waren, wussten noch nicht, dass es immer nur eine Pfote Honig gab. Sie quengelten und bettelten um eine zweite Pfote Honig. Aber der Honigbär ließ sich nicht erweichen. Als sie keine Ruhe gaben, sagte er ungeduldig: »Schluss jetzt! Es gibt immer nur eine Pfote Honig. Noch nie hat ein Bär zwei Pfoten Honig bekommen. Es gab allerdings einmal einen Bären, der versucht hat, den alten Honigbären zu überlisten. Wenn ihr aufhört zu betteln, erzähle ich euch die Geschichte.« – »Au ja, eine Geschichte. Erzähl uns eine Geschichte, Honigbär.« Die Kleinen scharten sich um den großen Bären und schauten ihn mit großen Augen erwartungsvoll an. Auch Kuddel hörte gespannt zu.

3 Tapsi

Dieser kleine Bär, er war damals ein Jahr alt und ungefähr zweiundfünfzig Zentimeter groß, hieß Tapsi. Er hatte ein ganz krauses, dunkelbraunes Fell, hellbraune Pfoten und eine hellbraune Nase. Seine ebenfalls hellbraunen Augen, die immer nach etwas Neuem suchten, ließen ihn neugierig aussehen. Und seine großen runden Ohren, die innen hellbraun waren, sahen lustig aus. Wenn er im Dunkeln angelaufen kam, sah man als Erstes Nase, Ohren und Pfoten aufblitzen, bis dann auch der dunkelbraune Rest zu erkennen war.

Eines schönen Tages hatte der damalige Honigbär zum Abschluss des Winterfestes seinen Honig spendiert. Tapsi war der Kleinste und deshalb als Erster drangekommen. So war er längst mit dem Abschlecken seiner Pfote fertig, als die zehn größten Bären vom Bärenrat ihre Portionen bekamen. Er hatte viel Zeit gehabt, einen Plan auszubrüten.

Noch bevor der Honigbär den Deckel auf den Honigtopf legte und sich auf den Rückweg machen konnte, lief Tapsi zum Bach und schmierte seine Nase und die hellen Pfoten mit schwarzem Schlamm ein. Dann rannte er zu den Bäumen, unter denen der Honigbär immer verschwand, und wartete.

Es dauerte nicht lange, da sah er den Honigbären von Weitem kommen. Den schweren Honigtopf auf den Schultern, näherte er sich der Stelle, an der Tapsi sich versteckt hatte. Niemals würde der Honigbär heimlich seine Pfote in den Topf stecken, um Honig zu naschen. Das wussten alle und vertrauten ihm vollkommen. Aber Tapsi liebte Honig. Manchmal träumte er von Honigbächen, in denen er badete. Er wollte später auf jeden Fall mal Honigbär werden. Aber jetzt musste er aufpassen, dass ihn dieser Honigbär nicht erwischte.

Er wartete, bis der Honigbär ein paar Schritte im Wald verschwunden war. Dann trat er aus seinem Versteck und schlich vorsichtig hinter ihm her. Es war inzwischen dunkel geworden. Dicke Wolken hatten sich am Himmel aufgetürmt. Die Umstände waren sehr günstig für Tapsi. Er musste nur aufpassen, dass er nicht auf trockene Äste trat. Aber schleichen ist kein Problem für einen echten Bären.

Unterwegs trocknete der Schlamm an seinen Pfoten und auf seiner Nase und begann, ihn zu kitzeln. »Jetzt bloß nicht niesen!«, dachte Tapsi. Je weiter es in den Wald hineinging, desto mulmiger fühlte sich Tapsi. Niemand kannte den Honigwald. Wenn er den Honigbären verlieren würde, würde er nicht mehr zurückfinden. Er müsste bis ans Ende seines Lebens im Honigwald umherirren und niemand dürfte ihn dort suchen, da es den Bären verboten war, den Honigwald zu betreten. Und der Honigbär würde ihn zur Strafe dort sicher verhungern lassen. Solche und andere schreckliche Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Aber das half jetzt alles nichts mehr. Er war bereits tief im Honigwald und musste höllisch aufpassen, wohin der Honigbär ging. Er durfte ihn auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Zum Glück war der Honigbär nicht so schwarz wie Tapsi und man konnte ihn trotz der Dunkelheit immer noch ein bisschen sehen.

Plötzlich waren da Bienen! Jede Menge Bienen! Tapsi mochte keine Bienen. Sie brachten ihn ganz durcheinander mit ihrem Gesumme. Warum waren hier so viele davon? Es war doch Dezember und viel zu kalt für Bienen! Plötzlich fiel Tapsi auf, dass es hier im Wald viel wärmer war als draußen. Es roch sogar nach Rosen. Hätte er doch mehr sehen können! Hier lag auch kein Schnee mehr. Deshalb war alles noch viel dunkler als außerhalb des Waldes. Hier waren tatsächlich Blätter an den Bäumen. Im Dezember! Tapsi war ganz verwirrt und hätte beinah den Honigbären verloren, weil er sich zu viel umsah. Er beeilte sich, den Honigbären wieder einzuholen.

Nach einer Wanderung von ungefähr einer Stunde standen sie am Rand des Waldes. In diesem Moment lugte eine Ecke des Mondes durch die Wolken und Tapsi sah, dass vor ihnen eine blühende Wiese lag. In der Mitte der Wiese bildeten zahlreiche kleine Bienenhäuser einen Kreis um ein großes Bienenhaus. Rechts neben dem Bienendorf stand auf einem großen, flachen Stein ein Honigtopf, der genau so aussah wie der, den der Honigbär auf seiner Schulter trug. Links lag ein zweiter großer, flacher Stein, auf den der Honigbär nun zuging, um seinen Topf dort abzusetzen. Alles war ruhig. Tapsi blieb im Schatten der Bäume stehen. Die Wolken schoben sich wieder vor den Mond. Tapsi sah den Honigbären weggehen.

Nun überlegte er. Er nahm an, dass der Honigbär sich schlafen legen würde. Darum könnte er jetzt zum Honigtopf gehen, hinaufklettern und hineinlangen. Aber halt! Er hatte doch Schlamm an den Pfoten. Unmöglich konnte er schmutzige Pfoten in den Honig stecken. Er schlug die Pfoten aneinander und der Schlamm bröckelte ab. Aber sauber waren die Pfoten jetzt noch immer nicht. Im nassen Gras versuchte er, den Schlamm abzuwischen. Aber eigentlich rieb er alles nur noch tiefer ins Fell. Er musste Wasser finden. »Aber wenn ich jetzt Wasser suche, verlaufe ich mich«, dachte er. Dann beschloss er, sich den Baum zu merken, an dem er stand. Es war eine Eiche mit einem Brombeergestrüpp an ihrem Fuß. Von hier wollte er einfach nach links, immer am Rand der Wiese entlanggehen. Irgendwo musste hier auch ein Bach sein. »Der Honigbär muss schließlich auch trinken, wenn er tagelang hier ist«, dachte Tapsi. »Und nach links fällt die Wiese etwas ab. Wenn Wasser hier ist, wird es wohl da hinfließen.« Tapsi war nicht dumm.

Also ging er den linken Wiesenrand entlang. Leise und vorsichtig. Er war schon fast auf der anderen Seite, als er plötzlich stolperte und ins Wasser klatschte. Ein verschreckter Kauz schrie und ein anderer antwortete. Tapsi war in einen Tümpel mit warmem Wasser gefallen! Hier gab es tatsächlich warmes Wasser! Tapsi konnte es nicht glauben. Einen Moment träumte er davon, in diesem Wasser zu planschen. Aber der Wunsch nach Honig überwiegte. Schnell wusch er sich die Pfoten. Als er aus dem warmen Wasser stieg, war er am ganzen Körper nass, und nun fror er. Plötzlich hatte er wieder Angst, erwischt zu werden. Er musste ja noch den ganzen Weg bis zur Eiche zurückgehen. Den Gedanken, einfach quer über die Wiese zu laufen, schob er wieder weg. Wer weiß, was die Wiese noch alles an Geheimnissen barg. Nein, lieber den gleichen Weg zurück, den kannte er jetzt.

Bei der Eiche angekommen, war ihm etwas wärmer geworden. Nun kam es drauf an. Er musste aus dem Schutz der Bäume hinaus auf die Wiese. Er schlich vorsichtig auf den rechten Honigtopf zu. Der sah so aus, als ob der Deckel nicht richtig draufläge. Als er auf die Steinplatte kletterte, schrie wieder ein Kauz. Tapsi erschreckte sich fast zu Tode. Ein anderer Kauz antwortete. Sonst war alles ganz still. Nun stand Tapsi auf der Platte, sah an dem Topf hoch, und der Mut verließ ihn. Wie sollte er jemals da hochkommen? Der Topf war riesig. Er hatte zwar Rillen und Fugen in seinem Wachs, aber würde er es wohl aushalten, wenn jemand an ihm hochkletterte? Was, wenn der Topf kaputtging? Nicht auszudenken, was der Honigbär mit ihm machen würde, wenn der Topf zerbrach. Plötzlich rissen die Wolken auf und der Mond strahlte in voller Pracht auf ihn herunter. Tapsi fühlte sich wie unter einer Lampe. Er fasste den Topf an ...

»Was machst du da?«, dröhnte eine zornige, dunkle Stimme hinter ihm. Eine Faust packte ihn und hob ihn hoch in den Himmel. Er wurde geschüttelt, dass ihm schwindlig wurde. »Ni-hichts«, schrie er aus Leibeskräften und strampelte wild mit Armen und Beinen. »Gar nichts!« Armer Tapsi! Er dachte, sein letztes Stündchen hätte geschlagen. Ihm war übel vor Angst.

Der Honigbär hielt ihn sich vors Gesicht und sah ihn böse an. Mit tiefen, zornigen Falten zwischen den Augen fragte er laut: »Willst du meine Bienen wecken?« – »Nein!«, schrie Tapsi hilflos. – »Was dann?«, brüllte der Honigbär. Tapsi blieb vor Schreck fast das Herz stehen. Noch nie hatte jemand einen zornigen Honigbären gesehen. Niemand ahnt, welche Furcht dieser riesige Bär verbreiten konnte, wenn jemand an seinen Honig wollte. Vor lauter Angst schlug Tapsi die Pfoten vor die Augen und begann bitterlich zu weinen. Das konnte nun wiederum der Honigbär nicht ertragen und setzte ihn ab. Da stand Tapsi nun mit zitternden Beinen vor diesem großen Bär und weinte. Der Honigbär kniete sich vor ihn hin und fragte ihn: »Was hast du dir dabei bloß gedacht?« – »Ich … ich …«, schluchzte Tapsi, »… ich wollte doch nur so gerne noch eine Pfote Honig.« – »Soosoo«, sagte der Honigbär, nun wieder ganz ruhig, »Nur noch eine Pfote Honig. Aber du weißt doch, dass niemand eine zweite Pfote Honig bekommt.« – »Ja«, sagte Tapsi kleinlaut und kam sich ganz schlecht vor. »Weißt du, wozu wir den Honig brauchen?«, fragte der Honigbär. »Nein«, antwortete Tapsi und ein dicker Schluchzer kam aus seiner Kehle. »Nun, dann wird es Zeit, dass du es lernst und nie wieder vergisst«, meinte der Honigbär. »Und jetzt komm zur Bienenkönigin. Sie muss sagen, was ich jetzt mit dir tun soll.« – »Wie hast du mich bemerkt?«, wollte Tapsi wissen. Denn bei aller Angst konnte er sich nicht erklären, warum der Honigbär ihn erwischt hatte. »Was meinst du, du dummer kleiner Bär? Dass niemand auf meine Bienen aufpasst, wenn ich schlafe? Die Käuze haben mich geweckt.« – »So ein Mist«, dachte Tapsi.

Als sie sich dem Bienendorf näherten, kamen aus allen Löchern die Bienen. Alle versammelten sich vor dem großen Bienenhaus. Der Honigbär bat eine Arbeiterbiene darum, die Bienenkönigin herauszuschicken. Es dauerte eine Weile, dann kam die Bienenkönigin aus dem größten Loch des Hauses hervor. Sie war die größte Biene des Dorfes. Ihre Streifen glänzten wie Gold und die stattlichen Flügel schimmerten silbern im Mondlicht.

»Sieh da«, sagte sie leise, »ein kleiner Honigdieb. Hat er schon genascht oder wollte er das erst noch?«, fragte sie, zum Honigbären aufblickend. Tapsi schämte sich und sah verlegen an seiner Hose runter. »Hihi, hihi, hihi«, lachten alle Bienen. »Der ist ja noch viel zu klein, um Honig zu stehlen. Er kommt ja nicht an den Deckel ran. Viel zu klein, viel zu klein. Hihi, hihi, hihi.” Tapsi fühlte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Er war hundertmal größer als die größte Biene. Und nun flogen sie um ihn herum und lachten, er sei viel zu klein. »Hihi.« – »Das Kerlchen muss noch lange wachsen, bis er in den Topf fassen kann.« – »Oder er muss fliegen lernen.« – »Hihi, hihi, hihi.« Tapsi wollte vor Scham in den Boden sinken. »Ruhe!«, gebot die Königin, und die Bienen verstummten.

»Honigbär, was sollen wir mit ihm machen?« – »Das musst du bestimmen, Bienenkönigin. Es ist dein Honig.« – »Nun, ich denke, wenn er Honig stehlen will, weiß er nicht, wozu er gebraucht wird. Das soll er bei dir lernen, bis er doppelt so groß ist wie jetzt. Er soll erfahren, dass ein Vertrag zwischen Bienen und Bären besteht, den beide einhalten müssen. Da er meinen guten Honig aber zu schätzen weiß, soll er weiterhin bei den üblichen Anlässen seine Pfote Honig bekommen. Aber er muss lernen, sich zu beherrschen. Deshalb soll ihn meine Stellvertreterin zukünftig bei jedem Vollmond in die Backe stechen. Er wird davon nichts merken, aber er wird bärige Zahnschmerzen bekommen, sobald er gestohlenen Honig schleckt. Ist das Urteil gerecht, Honigbär?« – »Ja, Bienenkönigin, dein Urteil ist weise und gerecht. Es soll so sein, wie du sagst.« – »Ich sehe nur ein Problem darin. Wie sollen wir verhindern, dass er den Weg durch den Honigwald, der zu uns führt, ausplaudert?« – »Verehrte Bienenkönigin«, sprach der Honigbär mit tiefer, ehrfurchtsvoller Stimme. »Es ist auch meine Schuld, dass es ihm gelungen ist, hierherzukommen. Ich habe mich nicht genug vorgesehen. Ich gelobe daher: Wann immer er etwas ausplaudert, werde ich mein Amt als Honigbär niederlegen und mit ihm und allen, denen er den Weg verraten hat, die Insel für immer verlassen.« – »Das ist eine harte Strafe und ein großes Gelöbnis.« – »Ja«, sagte der Honigbär. »Aber ich hoffe, dass du und dein Volk weiterhin Vertrauen zu mir haben werdet.« – »Es ist gut, Honigbär, wir vertrauen dir und danken dir für den großen Respekt, den du uns entgegenbringst. Nimm den kleinen Honigdieb bis morgen mit zu dir nach Hause und bringe ihn bei Tagesanbruch zurück.«