Kurfürstenklinik 8 – Arztroman - Nina Kayser-Darius - E-Book

Kurfürstenklinik 8 – Arztroman E-Book

Nina Kayser-Darius

0,0

Beschreibung

Mit den spannenden Arztromanen um die "Kurfürstenklinik" präsentiert sich eine neue Serie der Extraklasse! Diese Romane sind erfrischend modern geschrieben, abwechslungsreich gehalten und dabei warmherzig und ergreifend erzählt. Die "Kurfürstenklinik" ist eine Arztromanserie, die das gewisse Etwas hat und medizinisch in jeder Hinsicht seriös recherchiert ist. "Mein letzter Tag bei Ihnen, Herr Dr. Winter!" sagte Miriam Fechner und sah den jungen Notaufnahmechef der Kurfürsten-Klinik in Berlin-Charlottenburg betrübt an. "Ich wäre gern noch länger geblieben, das wissen Sie ja – aber als nächstes werde ich in Ihrer Neurochirurgie eingesetzt. Ich soll das ganze Haus kennenlernen." "Sie waren uns eine große Hilfe, Schwester Miriam", erwiderte Dr. Adrian Winter lächelnd. "Wir sind froh, daß Sie wenigstens eine Zeitlang unser Team verstärkt haben."

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 114

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die Kurfürstenklinik –8–

Die Nacht, in der Bettina kam

Was verschweigt Dr. Winters neue Patientin?

Roman von Nina Kayser-Darius

»Jetzt fahr doch nicht so schnell, Jens!« sagte Bettina Wördemann ängstlich.

Ihr Freund Jens Banter lachte nur. »Warum nicht? Es macht mir Spaß, und die Straße ist völlig frei, das siehst du doch. Niemand ist unterwegs außer uns.«

Jens Banter war ein großer, gutaussehender Mann mit ziemlich langen braunen Locken und einem klassischen Profil. Aber hinter seinem männlichen Äußeren verbarg sich ein Junge, der es nicht schaffte, erwachsen zu werden. Vielleicht wollte er das auch gar nicht. Das hatte Bettina leider erst im Laufe der letzten Zeit begriffen. Seine Leidenschaft für schnelles Fahren kannte sie, und sie hatte nichts dagegen, wenn er auf einer freien Autobahn so fuhr, aber doch nicht in einer Nacht wie dieser!

»Das mag sein, aber es ist dunkel, es regnet in Strömen, es ist sehr windig, die Sicht ist nicht besonders gut, und…«

Er unterbrach sie ungeduldig. »Die Sicht ist gut genug. Was ist denn bloß los mit dir? Du bist doch sonst nicht so ängstlich.«

»Das hat mit ängstlich sein überhaupt nichts zu tun, und das weißt du auch. Ich hasse sinnlose Raserei, die außerdem noch gefährlich ist. Bei diesem Wetter fährt jeder vernünftige Mensch langsamer.«

Er nahm den Fuß ein wenig vom Gas. »Besser so?« fragte er.

»Besser, aber nicht gut. Kannst du nicht noch ein bißchen runtergehen mit der Geschwindigkeit? Mir zuliebe?«

Er schien zu überlegen. Dann fing er an zu lachen. Es war kein angenehmes Lachen, und unwillkürlich zog sie die Schultern hoch, als fröstelte sie.

»Ihr Frauen seid doch alle gleich«, sagte er, während er das Gaspedal erneut ganz durchdrückte, so daß der Wagen wie eine Rakete nach vorn schoß. »Immer Druck machen, erpressen, nörgeln. Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich das hasse. Und damit du es weißt: Nur dir zuliebe fahre ich überhaupt mit zu deiner langweiligen Freundin mit ihrem noch langweiligeren Bruder. Nur dir zuliebe! Hast du das verstanden, Bettina?«

Seine Stimme war immer lauter geworden, und sie ahnte, daß er doch etwas getrunken hatte, obwohl er auf ihre Frage hin behauptet hatte, keinen Tropfen angerührt zu haben. Aber das stimmte ganz sicher nicht. Es kam gelegentlich vor, daß Jens zuviel trank – zum Glück nicht allzu häufig.

Sie überlegte, was sie tun sollte. Aber sie brauchte gar nicht zu sagen, daß sie selbst fahren wollte. Es würde ihn nur noch mehr aufregen, und er würde noch unvernünftiger fahren als jetzt schon, falls das überhaupt möglich war.

»Schon gut«, sagte sie. »Es ist lieb von dir, daß du mitgefahren bist. Und du wirst sehen, es wird ein schönes Wochenende. Mona freut sich sehr, daß wir kommen, jetzt, wo Wolf auch gerade da ist.«

Wieder ließ er dieses unangenehme Lachen hören, aber er verringerte zumindest die Geschwindigkeit ein wenig. Sie atmete auf. Von jetzt an würde sie nichts mehr sagen, was ihn aufregen konnte. Es war ja auch nicht mehr weit. Sie würden den kleinen Ort etwas außerhalb von Berlin, in dem ihre Freundin wohnte, bald erreicht haben.

Sie lehnte sich zurück und sah auf die regennasse Straße. Schreckliches Wetter war das. Wenn sie nicht schon lange für dieses Wochenende mit Mona verabredet gewesen wäre, hätte sie vielleicht abgesagt. Aber Wolf war gerade bei Mona angekommen. Monas Bruder Wolf, der lange im Ausland gearbeitet hatte. Und er wollte Bettina unbedingt sofort wiedersehen und sie ihn auch – immerhin waren sie zusammen aufgewachsen.

»Du mußt unbedingt kommen, Tina!« hatte Mona gesagt – und nach einer Weile halb schuldbewußt, halb lachend hinzugefügt: »Zur Not bringst du Jens eben mit.«

Bettina seufzte. Mona und Jens mochten einander nicht besonders, obwohl sie ihr zuliebe zumindest höflich miteinander umgingen. Sie war fast ein wenig verwundert gewesen, als Jens eingewilligt hatte, sie zu begleiten. Vielleicht lag es auch daran, daß er wußte…

»Schläfst du?« fragte Jens.

»Nein, ich döse nur ein bißchen vor mich hin. Wir sind bald da, nicht?«

»Ja«, sagte er und raste mit Vollgas in die Kurve, so daß sie an die Beifahrertür gedrückt wurde.

Sie biß sich auf die Lippen, sagte aber nichts. Nicht mehr lange, und sie hatte es überstanden. Auf der Rückfahrt jedenfalls, das stand fest, würde sie fahren.

*

»Ein richtiges Sauwetter ist das!« schimpfte Dr. Bernd Schäfer, als er die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik in Berlin betrat und seinen riesigen Schirm so ausschüttelte, daß die Regentropfen nach allen Seiten flogen.

»Paß mal ein bißchen auf, Bernd!« Dr. Adrian Winter, der gleich nach dem gewichtigen Assistenzarzt hereingekommen war, sprang in letzter Sekunde zur Seite. »Ich bin halbwegs trocken hier hereingekommen, nun will ich nicht ausgerechnet in der Notaufnahme naß werden!«

»Entschuldige, Adrian. Ich hab’ dich nicht gesehen.«

»Das wäre ja auch noch schöner, wenn du es absichtlich getan hättest!« Adrian Winter eilte an seinem Kollegen vorbei, denn das Wartezimmer war voll, wie er sofort gesehen hatte. Das hatte bestimmt etwas mit dem Wetter zu tun – da häuften sich natürlich die Unfälle. Oft war es zu Beginn eines Nachtdienstes eher ruhig, aber heute würde es wohl anders sein.

Dr. Adrian Winter war Unfallchirurg, und seit einiger Zeit leitete er die Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik. Er tat es voller Engagement, wie er überhaupt alles, was mit seinem Beruf zusammenhing, mit Leib und Seele tat. Er war ein großer, gutaussehender Mann von fünfunddreißig Jahren. Seine dunkelblonden Haare waren ziemlich kurz geschnitten, die braunen Augen bildeten einen interessanten Kontrast dazu. Er ließ sich nur selten aus der Ruhe bringen und war zu den Patientinnen und Patienten gleichbleibend freundlich. Außerdem genoß er als Mediziner einen ausgezeichneten Ruf. Es war also kein Wunder, daß er einer der beliebtesten Ärzte der Klinik war.

»Adrian, gut, daß du da bist!« begrüßte ihn Oberschwester Walli erleichtert. »Das wird eine heiße Nacht, glaube ich.«

»Ja, den Eindruck habe ich auch. Laß mich mal sehen, was haben wir denn da?«

Sie reichte ihm die Liste, und er überflog sie rasch. »Was ist mit den Herzrhythmusstörungen?«

»Ein alter Mann, sechsundachtzig. Er ist jetzt stabil und wird gerade nach oben gebracht, da können sie sich besser um ihn kümmern. Aber komm bitte mit und sieh dir ein junges Mädchen an, das man bewußtlos am Bahnhof gefunden hat.«

Er warf ihr einen schnellen Blick zu. »Drogen oder Alkohol?«

»Eher Drogen, würde ich sagen«, antwortete die mollige Oberschwester mit dem braunen Pagenkopf. Ihr hübsches Gesicht wirkte bekümmert. »Sie ist höchstens fünfzehn, Adrian, und ich weiß nicht, ob wir ihr helfen können. Sie sieht entsetzlich aus.«

»Ich schau sie mir gleich an«, sagte er und folgte ihr. Drogenkranke gehörten seit langem zum Alltag einer Notaufnahme, aber man hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt.

*

»Aufgeregt?« fragte Mona Mickwitz ihren Bruder Wolf, der am Fenster ihres Wohnzimmers stand und auf die Straße sah.

Er drehte sich um und machte ein ausdrucksloses Gesicht. »Aufgeregt?« fragte er betont gleichmütig. »Warum sollte ich aufgeregt sein?«

»Nur so«, antwortete sie und unterdrückte ein Lächeln. Ihr konnte er nichts vormachen, so sehr er sich auch bemühte. Sie wußte schließlich, daß ihr Bruder zumindest früher unsterblich in ihre beste Freundin Bettina verliebt gewesen war – aber Bettina hatte seine Gefühle nicht erwidert, und irgendwann war Wolf dann als Ingenieur ins Ausland gegangen.

Sie hatte keine Ahnung, ob er dort eine Freundin hatte, aber sie nahm an, daß er es ihr erzählt hätte, wenn es so gewesen wäre. Jedenfalls glaubte sie ihm keine Sekunde, daß das bevorstehende Wiedersehen mit Bettina ihn völlig kalt ließ – so lange war es schließlich noch nicht her, daß er fast krank gewesen war vor lauter Liebeskummer.

Aber Bettina hatte damals zu ihr gesagt: »Ich kenne ihn einfach zu gut, Mona. Er ist wie ein älterer Bruder für mich – ich kann mich nicht in ihn verlieben, so gern ich das auch möchte. Schließlich weiß ich, was für ein toller Mann er ist, aber es geht wirklich nicht. Ich glaube, wir haben schon zuviel zusammen erlebt.«

Ja, das hatten sie in der Tat. Wolf war jetzt vierunddreißig, fünf Jahre älter als Bettina und Mona, die in dieselbe Klasse gegangen war, und er war derjenige gewesen, der sie gegen die anderen Jungen beschützt hatte. Er hatte ihnen das Schwimmen beigebracht, ihre aufgeschlagenen Knie verpflastert und ihnen manchmal sogar Geschichten vorgelesen. Er hatte seinem Vater geholfen, ein Baumhaus für sie zu bauen, und…

Ach, er war einfach immer da gewesen, wenn sie ihn gebraucht hatten. Ein richtiger großer Bruder eben, nicht nur für Mona, sondern auch für Bettina. Und dann war er irgendwann, wie Bettina richtig bemerkt hatte, ›ein toller Mann‹ geworden – aber der große Bruder war für sie stärker gewesen.

Wolf hatte sich wieder der Straße zugewandt, und Mona dachte, wie schade es war, daß Bettina nicht ihre Schwägerin werden würde. Sie verstand beim besten Willen nicht, wie man jemanden wie Jens Banter ihrem Bruder vorziehen konnte, aber so war es nun einmal.

Wolf war beruflich jetzt sehr erfolgreich, und er hatte sich in den letzten Jahren verändert, auch äußerlich. Groß, schlank und braungebrannt war er, mit vielen hellen Fältchen in den Augenwinkeln. Seine dunklen Haare waren schon immer widerspenstig gewesen und hatten sich nicht ordentlich frisieren lassen wollen – das war noch immer so.

Das Gesicht war kantiger geworden, und um den Mund hatte er einen Zug, der neu war. Was war das? fragte sie sich. Heimlicher Kummer? Oder seine anstrengende Arbeit? Aber auch das trug dazu bei, ihn interessant wirken zu lassen. Er sah einfach nicht länger wie ein unbedarfter junger Mann aus, sondern wie jemand, der schon einiges erlebt hatte.

Plötzlich war Mona sehr stolz auf ihren Bruder, und sie stellte sich neben ihn ans Fenster. »Allmählich könnten sie kommen«, meinte sie. »Sie sind ja nun schon eine ganze Weile unterwegs.«

»Bei dem Wetter brauchen sie länger«, erwiderte er. »Die Sicht ist schlecht, und die Straßen sind rutschig.«

»Ich hoffe nur«, murmelte sie, »Bettina fährt selbst.«

»Wieso?« fragte er. »Fährt ihr Freund nicht gut Auto?«

»Das schon, aber in der Regel zu schnell. Viel zu schnell.«

*

Bettina verlor die Beherrschung. »Willst du uns umbringen?« rief sie, als Jens eine weitere Kurve in viel zu hohem Tempo genommen hatte. »Ich möchte gern heil bei Mona ankommen, Jens.«

»Keine Sorge, das wirst du auch«, sagte er. »Bei Mona und bei Wolf – wolltest du wohl sagen. Denn eigentlich geht’s dir doch hauptsächlich um ein Wiedersehen mit deinem alten Verehrer, oder etwa nicht?«

Das war’s also! Er war wieder einmal eifersüchtig, deshalb hatte er sich vor der Fahrt Mut angetrunken. Wieso hatte sie das nicht gleich gewußt? Und wieso hatte sie nicht darauf bestanden, selbst zu fahren? Es war schließlich ihr Auto. Aber es war sinnlos, sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen.

»Rede keinen Blödsinn«, sagte sie unwillig. »Ich habe Wolf seit Jahren nicht gesehen, und das weißt du auch. Er hat bestimmt eine Freundin, die er bald heiratet, und kann sich kaum noch an mich erinnern. Und für mich wird er immer wie ein großer Bruder sein.«

Sie war nicht sicher, ob das wirklich stimmte, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Jens gegenüber würde sie so etwas ohnehin nicht erwähnen. Er war ja sogar auf die Fliege an der Wand eifersüchtig.

»Ja, ja«, höhnte er. »Wie ein großer Bruder. Aber er war doch wahnsinnig verknallt in dich – oder hat er dir etwa keine seitenlangen Briefe geschrieben, die du immer noch aufbewahrst?«

»Ja, und?« fragte sie. »Was ist schon dabei? Hebst du keine Erinnerungen an Freundinnen von früher auf?« Manchmal ging er ihr wirklich schrecklich auf die Nerven. Wenn sie ehrlich war, sogar ziemlich oft. Er konnte auch sehr charmant sein, und dann war es schwer, ihm zu widerstehen, aber in letzter Zeit kam es ihr so vor, als sei er öfter schlecht als gut gelaunt. Und trank er nicht auch mehr als früher?

»Klar hebe ich ein paar Sachen auf«, antwortete er. »Aber nicht einen ganzen Packen von einer einzigen Freundin – so wie du das mit seinen Briefen machst. Und lesen darf ich sie auch nicht, du hast sie ja sogar eingeschlossen.«

»Es sind Briefe an mich, die gehen dich nichts an«, sagte sie abweisend.

Er trat das Gaspedal durch. »Ach ja? Sie gehen mich nichts an? Ich dachte immer, wenn man sich liebt, dann hat man keine Geheimnisse voreinander.«

»Das kann man wohl kaum als Geheimnis bezeichnen«, widersprach sie, während sie sich krampfhaft abstützte, um nicht ständig von einer Seite auf die andere zu rutschen. Die Straße war extrem kurvenreich. »Du weißt schließlich, daß es die Briefe gibt.« Aber ich weiß nicht mehr, ob ich dich wirklich liebe, dachte sie und erschrak sofort über diesen Gedanken. Dabei kam er ihr heute abend nicht zum ersten Mal.

Er antwortete nicht, denn er hatte alle Mühe, das Auto unter Kontrolle zu halten. Die letzte Kurve war schärfer gewesen, als er gedacht hatte, und der Wagen fing an zu schlingern. Bettina biß sich fest auf die Lippen, um nicht zu schreien, während Jens verzweifelt versuchte, den Wagen auf der Straße zu halten.

Und dann kam ihnen auf einmal ein Auto entgegen. Dessen Licht blendete sie, es schien direkt vor ihnen zu sein. Bettina wurde auf einmal klar, daß sie auf der falschen Seite der Fahrbahn gelandet waren. Die Hupe des anderen Wagens gellte durch die Nacht, dann riß Jens das Steuer bis zum Anschlag herum, und auf einmal rutschte das Auto völlig weg. Es schlidderte in rasendem Tempo von der Straße auf eine Böschung zu.