Küstennächte - Gaby Kaden - E-Book

Küstennächte E-Book

Gaby Kaden

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Beschreibung

Im Sielhafenmuseum "Groot Hus" in Carolinensiel wird die Leiche eines Mannes gefunden. Doch die Kommissare Tomke Evers und Hajo Mertens stehen vor einem Rätsel. Sie finden mysteriöse Blutspuren, die nicht zu dem Toten gehören. Außerdem ist eine wertvolle Bibel verschwunden. Zwei junge Ausreißer, die sich in der Tatnacht im Museum versteckt haben, gelangen in den Fokus der Ermittlungen. Was haben sie beobachtet? Sind sie selbst in den Fall verwickelt? Als später eine Frau vergiftet wird und geheimnisvolle Dinge aus der Vergangenheit zutage treten, wird der ganze Fall immer undurchsichtiger. Das LKA schaltet sich ein. Erst allmählich kristallisiert sich heraus, dass die historische Heilige Schrift der Ursprung des Verbrechens sein muss.

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Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhalt

Titelseite

Impressum

Über die Autorin

Was mir wichtig ist!

Ärger im Paradies

Nachts im Museum

Zu Hause bei Benny

Zurück im Museum

Am nächsten Morgen

Auf dem Kommissariat in Wittmund

Nachts zuvor in der Kajüte

Die Ermittlungen im Museum

Dirk und Benny – Am Morgen danach

In der Nacht zuvor beim Schlachter

Die Ermittlungen gehen weiter, gleicher Tag

Marie ist weg

Carsten landet in Harle

Beim Schlachter

Die Nachricht

Jan Becker sucht die Jungs

Benny auf dem Weg zurück zu Dirk

Jan Becker auf dem Weg nach Hause

Benny und Dirk auf dem Weg nach Hause

Die Forderung

Kommt Marie zurück?

Am nächsten Morgen

Marie

Der Koffer

Morgens, auf dem Kommissariat in Wittmund

Michaela und Marie auf dem Heimweg

Unter dem schwimmenden Weihnachtsbaum

Auf dem Polizeipräsidium in Wittmund

Michaela und Marie

Vor und nach der Schule

Auf dem Kommissariat

Auf dem Hof von Jan Becker

Hof Becker

Knippkuchen und Cola

Wat mut, dat mut!

Die Patientin

Die Verfolger

Brumm, der Bär, und Quak, die Ente

Auf nach Spiekeroog

Auf der Fähre zurück nach Carolinensiel

Auf dem Revier in Wittmund

In der Wohnung von Rieke Gärtner

Wo sind die Jungs?

Teambesprechung

Benny und Dirk in ihrem Versteck

Die Teambesprechung geht weiter

Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder ...

Nachts in ihrem Versteck auf dem Schiff

Feierabend, Tacos und ein unangenehmes Telefongespräch

Am nächsten Morgen

Morgens auf dem Schiff

Nach dem Frühstück

Weiteres Verhör Becker

Zu Hause bei Benny

Auf dem Revier in Wittmund war die Aufregung groß

Am nächsten Morgen

Benny sucht die Lösung

Es kam noch schlimmer!

Michaela kommt heim

Im Büro

Mit den Frankfurtern und dem LKA

Geständnisse?

Weihnachten

Und nun?

Rezept: Carstens mörderisch guter „Handkäs mit Musik“

Rezept: Oma Jettchens ostfriesische Knippkuchen

Marie’s geliebte

Gaby Kaden

Küstennächte

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im

Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de

© 2015 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln

www.niemeyer-buch.de

Alle Rechte vorbehalten

Der Umschlag verwendet Motive von shutterstock.com.

Underwater ... Ase 2015, Old Bible Sorin Popa 2015

Druck und Bindung: Nørhaven

eISBN 978-3-8271-9886-0

EPub Produktion durch ANSENSO Publishing www.ansensopublishing.de

Die Geschehnisse, sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.

 

 

Über die Autorin:

Gaby Kaden lebte über 50 Jahre in Hessen, hat einen erwachsenen Sohn und zog 2011 mit ihrem Mann an die Nordsee, nach Carolinensiel. „Veränderungen sind wichtig, nur sie bringen mich weiter, machen mich offen. Stillstand ist Rückschritt“, sagt sie. In der alten Heimat arbeitete sie im kaufmännischen Bereich, war Betriebsrätin, Schiedsfrau und folgte zusätzlich ihrer Berufung, der spirituellen Arbeit mit Menschen. Nach Kurzgeschichten und Meditationen veröffentlichte sie 2010 ihr erstes Buch „Schluss mit Angst und Panik“.

Obwohl schriftstellerische „Spätzünderin“, hat sie mit ihren beiden Küstenkrimis „Die Tote im Siel“ und „Küsten Haie“ schnell auf sich aufmerksam gemacht. Sie sammelt wahre, dem Volk vom Munde abgeschaute Geschichten, die mit Erfundenem, Humor und ein wenig „Lokalkolorit“ verschmelzen.

Gaby Kaden ist ehrenamtlich im „Deutschen Sielhafenmuseum“ in Carolinensiel tätig und seit 2015 Mitglied im „SYNDIKAT“. Mehr über Gaby Kaden unter: www.gaby-kaden.de

Bleib du selbst, stehe zu dir, lass dich nicht verbiegen.

Was mir wichtig ist!

Auch wenn ich Kriminalromane schreibe, die Sehnsucht nach Liebe, Frieden und Harmonie überwiegt!

Dass ich einen dritten Kriminalroman schreiben durfte, habe ich Ihnen/Euch, meinen Leserinnen und Lesern, zu verdanken. Dafür vorab ein dickes Dankeschön. Danke für ganz viel Feedback, auf welchem Weg auch immer.

Und es gilt noch mehr „Danke“ zu sagen.

Danke, dass ich in diesem Kriminalroman das „Deutsche Sielhafenmuseum in Carolinensiel“ als Ort der Tat nehmen und erwähnen durfte.

Danke auch denjenigen, die mir erlaubt haben, sie mit ihrem wirklichen Namen zu nennen:

Jürgen Wolff mit zwei „ff“, dem Seewolf,

Gesche und Thomas von der Insel Spiekeroog,

Achim, dem Skipper der „Hoop op Zegen“,

Ilka und Enrique.

Danke an:

Werner, Sascha und Sandra dafür, dass es euch gibt, Tomke Janssen für die Hilfe bei den plattdeutschen Sätzen, Wolfgang Straub für die Fotos, Irina, die immer wieder unerbittlich darauf achtet, dass ich ermittlungs- und kriminaltechnisch korrekt arbeite sowie Kerstin für kritische Einwände.

Danke auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des CW Niemeyer Verlages für ihre Hilfe und Unterstützung, besonderen Dank an Carsten Holzendorff für sein Vertrauen, Carsten Riethmüller für die Covergestaltung, Brigitte Pacholeck für das Lektorat und ihre Geduld und Rebecca Frankowitz für die Herstellungsbetreuung.

Ohne EUCH wäre alles NICHTS!

Danke aber auch für die Steine, die mir ab und an in den Weg gelegt werden, sie zu überwinden macht mich stark.

Danke Ostfriesland, dass ich hier leben darf!

Und natürlich möchte ich erwähnen, dass alles in diesem Buch frei erfunden und ausschließlich meiner Fantasie entsprungen ist. Alles andere wäre Zufall!

Ärger im Paradies

„Oma, so geht das nicht! Ihr müsst mit euren Aktionen aufhören, sonst bekommt ihr riesigen Ärger. Was heißt bekommt, ihr habt ihn ja schon. Das ist kein Spaß mehr. Wenn es euch egal ist, dann denkt wenigstens an mich. Ich sitze auf dem Kommissariat in Wittmund und bekomme alles ab.“

Tomke Evers saß mit ihren beiden einzigen Verwandten, Oma Jettchen und Tant’ Fienchen am Küchentisch. Der alte Küchenofen bollerte, auf dem Tisch stand eine Kanne mit schwarzem Tee.

Oma und Tant‘ Fienchen hatten hochrote Köpfe; Tomke war der Verzweiflung nahe. Sie wusste einfach nicht mehr, wie sie den beiden störrischen alten Frauen beibringen sollte, dass ihre Aktionen so einfach nicht gingen.

Ihre letzten Aktivitäten hatten den beiden zwei Anzeigen beschert, die vor Gericht endeten.

„Ach, du schnackst von Spaß, Tomke? Nee, is dat moi. Soll ich der Frau Kommissarin einmal erzählen, was uns keinen Spaß macht?“

„Hauptkommissarin, wenn schon.“

„Schnack nich! Zum Beispiel, wenn hier die Autos durchrasen, die Lkws sich gegenseitig überholen und überbreite Traktoren, groß wie Hochhäuser und so breit, dass sie fast beide Straßenseiten benötigen, zur Erntezeit bis nachts um zwei Uhr Wettrennen veranstalten. Und nicht nur dann!

Dat mokt ken Spaß, mien Deern!

An manchen Tagen ist es so schlimm, dass uns in der Stube die Gläser in den Schränken tanzen.

Dat mokt ken Spaß!

Und wenn man dann denkt, jetzt ist langsam Ruhe, dann geht es auch schon wieder los. Morgens um vier Uhr nämlich.

Dat mokt ken Spaß!

Wenn man Angst haben muss, dass Kinder durch vorbeirasende Traktoren von ihren Fahrrädern geweht werden, oder sie nur mit viel Mühe die Straße überqueren können, auch das macht keinen Spaß!“

Oma hatte sich in Rage geredet.

Ihr Kopf war rot wie der alte Leuchtturm von Wangerooge und so langsam ging ihr die Luft aus. Darum fuhr Tant’ Fienchen fort: „Am allerschlimmsten ist, dass sich keiner darum schert. Keiner auf den Ämtern, kein Bürgermeister interessiert sich dafür und ihr von der Polizei auch nicht. Die scheinheiligste Antwort, die wir bekommen haben, war: ‚Es ist ja noch nichts passiert‘.

Dat mokt ken Spaß!

Selbst unseren Landrat interessiert es nicht. Der reagiert ja noch nicht einmal auf unsere Briefe.

Dat mokt ken Spaß!

Soll ich noch mehr erzählen? Weißt du eigentlich, wie gefährlich der Schulweg für die kleine Marie und auch andere Kinder hier entlang der Bahnhofstraße ist? Und wenn man als mündiger Bürger etwas dagegen tut, wird man auch noch bestraft. Und noch eines! Wenn es ganz schlecht läuft, müssen wir die Reparatur unserer Straßen, die eindeutig von diesen Riesen beschädigt werden, auch noch bezahlen.“

Auch Tant’ Fienchen musste absetzen, um Luft zu holen.

Tomke nutzte die Gelegenheit und ging dazwischen.

„Eure Demo in der Bahnhofstraße vor knapp zwei Jahren oder die Blumenkübel, die ihr letztes Jahr über Nacht aufgestellt habt, waren gelinde gesagt noch harmlos und die Behörden haben alle vorhandenen Augen zugedrückt! Aber eure letzten beiden Aktionen waren der Hammer; die eine war Freiheitsberaubung und die andere Eingriff in den Straßenverkehr und das geht gar nicht!“

Die letzten Worte sprach sie betont langsam aus.

„Über die Strafen, die man euch aufgebrummt hat, dürft ihr euch nun wirklich nicht beschweren.“

„Ach wat!“ Oma winkte ab.

„Dass ihr im September die beiden Traktorfahrer unter einem fadenscheinigen Vorwand aus der Fahrerkabine gelockt und ihnen die Schlüssel geklaut habt, hat dem Ganzen dann doch die Krone aufgesetzt. Ich frage mich übrigens heute noch, wer von euch beiden es geschafft hat, in die Fahrerkabinen dieser riesigen Gefährte zu klettern“, wollte Tomke wissen.

Oma kicherte nur und ging auf die Frage nicht ein.

„Und dafür müssen wir jetzt bezahlen“, fuhr sie lautstark auf, „das muss man sich mal vorstellen! Da tut man als Einziger etwas für die Sicherheit auf unseren Straßen und muss dafür sein Sparbuch plündern. Na ja, wat mut, dat mut, hilft ja nix. Das geht übrigens alles von deinem Erbe ab“, feixte sie. „Selbst schuld, kann ich da nur sagen, wenn du uns auch nicht hilfst!“

Oma konnte sich kaum beruhigen, sie war sich keiner Schuld bewusst.

„Nun mal sachte, Oma. Das hätte auch ganz anders ausgehen können. Der Richter hat die gute Absicht hinter eurer bösen Tat gesehen und war in der Strafbemessung mehr als human. 2.000 Euro Geldstrafe, zahlbar an einen guten Zweck, nun, es hätte auch schlimmer kommen können.“

Tomke schaute die beiden erwartungsvoll an.

Plötzlich funkelten Omas Augen schelmisch und sie stieß ihre Schwester von der Seite an.

„Wenn es auch kein Spaß ist, Fienchen, Spaß gemacht hat es trotzdem, oder? Weißt du noch, wie knatterig die beiden Traktorfahrer geschaut haben, als die Zündschlüssel weg waren? Und die Demo in der Bahnhofstraße von damals, geht als ,Ostfriesendemo‘ in die Geschichte ein. Das soll uns alten Tanten mal einer nachmachen“, kicherte sie.

Tomke schüttelte den Kopf und stand auf.

„Ich muss zurück nach Wittmund, in einer Stunde beginnt mein Spätdienst.“

„Schon wieder? Wann kommt denn endlich Carsten zurück, das kann doch nicht sein ...“

„Du brauchst jetzt gar nicht abzulenken, die Sache ist noch nicht ausgestanden. Und übrigens, wenn ich das nächste Mal komme, möchte ich, dass die Warnbaken, die noch immer draußen im Schuppen stehen, verschwunden sind. Eine weitere Straßensperrung habt ihr doch sicher nicht vor, oder?“ Sie schaute die beiden streng an.

Oma winkte ab, streckte beleidigt das Kinn vor und griff nach ihrer Teetasse.

Tomke küsste ihre beiden Lieben auf die Stirn, seufzte: „Was mache ich nur mit euch“, und verließ die Küche. Als sie die Haustür ins Schloss zog, meinte sie, leises Gelächter zu hören und musste schmunzeln. Wie sie diese beiden guten Wesen liebte ...

Tomke fuhr zurück nach Wittmund, gleich begann ihr Spätdienst.

Der Nachmittag bei ihren Verwandten endete, wie so oft in den letzten Monaten, mit großen Diskussionen um die Eskapaden der beiden alten Ostfriesinnen. Allerdings auch wie das wohlbekannte „Hornberger Schießen“. Großes Getöse und Diskussionen ohne Ergebnis. Die Aktionen von Oma und Tant‘ Fienchen beeindruckten sie zwar irgendwie, aber das konnte sie nicht zugeben, dann würden die beiden Oberwasser bekommen. Die „Ostfriesendemo“ vor zwei Jahren, bei der sie für eine Stunde die komplette Straße blockiert und für viel Aufsehen gesorgt hatten, sowie die „Blumenkübelblockade“ danach, waren schon heftig. Aber die Straßensperrung zwischen „Goldener Linie“ und dem Kreisel bei „Scheidemann“ sowie die Sache mit den gestohlenen Traktorschlüsseln war einfach zu viel. Das durfte sie den beiden nicht durchgehen lassen.

Nun fuhr Tomke zum Nachtdienst und dachte an die letzten, aufregenden Monate. Carsten, Hajo und sie hatten sich auf ihrem neuen Kommissariat in Wittmund gut eingelebt. Die Umstrukturierung, ob nötig oder nicht, war abgeschlossen und sie hatten ein neues Einzugsgebiet.

In Wittmund gab es nun ein neues Kommissariat mit Abteilung für Delikte am Menschen sowie die Kriminaltechnik. Sie waren jetzt für einen Teil der ostfriesischen Küste zuständig, ab der goldene Linie, mit den Inseln Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog und dem dazugehörenden Hinterland. Aurich behielt den westlichen Teil und die restlichen Inseln. Es gab einen fließenden, kollegialen Übergang.

Tomke konnte diese Aufteilung anfangs zwar nicht nachvollziehen, aber man begründete sie damit, dass der Verlauf, wenn auch nicht geradlinig, doch sinnvoll sei, da Aurich auch Emden, Leer und den ganzen Grenzstreifen mit seinen Drogenproblemen übernahm. Die Gerichtsmedizin blieb in Wilhelmshaven. Christof Gerdes blieb ihr Chef und hatte sein Büro weiterhin in Wilhelmshaven. Nach einigen Wochen hatten sie sich daran gewöhnt.

Nachts im Museum

„Das Museum schließt in fünfzehn Minuten, wir bitten Sie, Ihren Besuch zu beenden. Morgen ab zehn Uhr sind wir wieder für Sie da und freuen uns, Sie bei uns begrüßen zu dürfen“, kam es zwar undeutlich, aber doch verständlich, durch den Lautsprecher des „Groot Hus“ im Museumshafen von Carolinensiel.

Das anschließende „Klack, Pieps, Quietsch ...“ zeigte, dass die Lautsprecheranlage des Deutschen Sielhafenmuseums auch schon bessere Tage gesehen hatte.

Benny und Dirk verhielten sich absolut ruhig in ihrem Versteck. Gegen 17 Uhr waren sie ganz offiziell als Besucher in das „Groot Hus“ gekommen, um sich dann heimlich in der alten Kapitänskajüte auf der dritten Etage zu verstecken. Die Tür hatten sie von innen verriegelt und hofften, dass man sie nicht entdecken würde. Nun saßen sie hier schon eine Stunde und warteten darauf, dass das Museum endlich geschlossen wurde.

Dirk war auf die Idee gekommen, sich hier zu verstecken. Einen Plan hatten sie nicht, aber er kannte das Museum recht gut. Vor einigen Monaten hatte er hier ein vierwöchiges Berufspraktikum absolviert. Benny hatte damals zwar versucht ihn zu überreden, das Praktikum mit ihm gemeinsam auf dem Flugplatz von Harlesiel zu machen, aber er zog das Museum vor. Bennys Fliegerleidenschaft teilte er nicht wirklich.

Nun waren sie hier, ein anderer Ort war ihnen erst einmal nicht eingefallen.

Beide trugen einen Rucksack mit sich, der, wie sie fanden, die wichtigsten Sachen enthielt. Außer ein paar Kleidungsstücken und ihren Ausweisen gab es da Wasser, Cola, ein paar Brote; zudem hatte Benny eine Tüte der leckeren, vorweihnachtlichen Knippkuchenfn1 aus Großmutters Vorrat eingepackt. Sie hatten ihre Handys dabei und Benny außerdem noch sein heiß umkämpftes Tablet.

Als er sich gerade wieder einen der leckeren Kekse in den Mund schob, erlosch die dustere Funzel in dem kleinen, engen Raum.

„Kein Problem“, meinte er, „ich habe eine Taschenlampe dabei. LED, siehst du“, und schaltete sie ein.

Plötzlich schlug sich Dirk gegen die Stirn: „Mir fällt gerade ein, hier gibt es eine Alarmanlage.“

„Was? Und damit kommst du jetzt erst um die Ecke?“

Benny verschluckte sich an einem Kekskrümel und musste husten.

„Ja, hab’ einfach nicht mehr daran gedacht, Mensch.“

Benny winkte mit seiner Taschenlampe: „Was soll’s, wir bleiben hier, bis morgen wieder aufgeschlossen wird, dann hauen wir ab und keiner merkt etwas.“

„Okay!“, antwortete Dirk kleinlaut, „nur, wenn ...“

„Was wenn?“

„Hoffentlich müssen wir nicht aufs Klo, weil ... dann bekommen wir ein Problem!“

„Warum?“ Benny schaute seinen Freund fragend an und knabberte weiter an seinem Keks.

„Weil ... na ja, jetzt fällt mir das wieder ein, nach Feierabend wird hier der Bewegungsmelder eingeschaltet. Wir mussten damals immer alle Fenster über Nacht gut verschließen, da der kleinste Windzug den Bewegungsmelder und somit die Alarmanlage auslöst. Mensch, dass ich das vergessen habe ... und jetzt?“

„Weil, weil ..., vergessen ... und jetzt ..., Mensch was bist du denn für eine Pfeife?“

Nun saßen sie in der Patsche. Benny war entsetzt und fragte sich, wie es weitergehen sollte. Sie waren in dieser Kapitänskajüte gefangen und er wollte gar nicht darüber nachdenken, was passierte, wenn sie mal zur Toilette mussten. Konnte es sein, dass seine Blase schon drückte? Oder bildete er sich das nur ein?

Er lehnte sich auf der harten Holzbank zurück und murmelte: „Ich muss nachdenken.“ Benny war sauer.

Knappe zwei Stunden saßen beide fast schweigend und in ihre Gedanken versunken da. Ihnen war langweilig. Ihr Abenteuer hatten sie sich etwas anders vorgestellt. Wenn es schon mit solch einer Panne begann, wie sollte es weitergehen? Sie tranken Cola, knabberten Knippkuchen, keiner sprach ein Wort.

Benny stellte fest, dass er dringend pinkeln musste. Dirk offensichtlich auch, denn er rutschte unruhig auf der harten Bank hin und her. Aus purer Langeweile hatten sie ständig getrunken. Und nun?

Auf einmal zuckte Benny zusammen. Was war das für ein Geräusch?

Er spitzte die Ohren und schaute zu Dirk. Der hatte es offensichtlich auch gehört und saß plötzlich kerzengerade.

„Wer ist da draußen?“, flüsterte Benny.

Dirk zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung, vielleicht die Putzfrauen. Licht aus“, kommandierte er zu Benny hinüber, öffnete behutsam die Kajütentür einen kleinen Spalt und blinzelte hindurch. Sekunden später schob er sie schnell wieder zu.

„Zwei Männer, mach doch die Taschenlampe aus“, raunte er Benny zu, „da schleichen zwei Typen herum“, und wagte noch einen weiteren, vorsichtigen Blick durch den Türspalt.

„Ich denke, die haben eine Alarmanlage hier“, flüsterte Benny zurück, „das sind bestimmt Mitarbeiter vom Museum, die etwas reparieren müssen oder so.“

„Mit Taschenlampen und Sturmhauben?“, fragte Dirk und schob die Tür vorsichtig wieder zu. „Die haben beide solche Strickmützen mit Sehschlitzen auf, das sind keine Museumsmitarbeiter.“

Sie schauten sich entsetzt an. Die Idee abzuhauen und sich erst einmal hier im Museum zu verstecken, war wohl doch nicht so berauschend, wie Benny nun feststellen musste. Aber nach dem Ärger zu Hause wollten sie einfach nur weg.

fn1 Ostfriesische Spezialität zur Weihnachtszeit.

Zu Hause bei Benny

Hinnerk Frerichs tobte.

„... und ich sage dir, solange du deine Füße unter meinen Tisch streckst, wird das gemacht, was ich sage. Ist das klar? Dat unnütze Ding kommt weg.“

Der Vater schlug mit seiner kräftigen, ledergegerbten Pranke auf den Tisch, dass es nur so knallte. Er griff mit der anderen nach Bennys Tablet, das Objekt seines Wutausbruches. Dann zog er die Schublade des schweren Küchentisches auf, schob den kleinen Computer hinein und schloss die Lade ab. „Dat Ding blieft hier! Und jetzt hilfst du mir das Dach zu reparieren, das ist wichtiger, sonst mache ich dir Beine.“ Hinnerk Frerichs drohte mit der Faust. Die Worte seines Vaters wirkten auf Benny wie Peitschenschläge und ließen ihn zusammenzucken. Vater, von wegen, eigentlich war er sein Stiefvater und das ließ er ihn auch immer wieder spüren. Vor allem, dass er unehelich war, rieb er Benny immer wieder unter die Nase.

Er war streng, sehr streng und böse. Er duldete keinen Widerspruch. Aber nun war es genug, Benny wollte nicht mehr. Das Tablet, dessen Anwendung er sich selbst beigebracht hatte, war von seinem ersparten Geld gekauft und sein ganzer Stolz. Sein karges Taschengeld hatte er eisern gespart und den Rest durch Hilfsarbeiten bei diversen Bauern verdient. Lange konnte er es vor seinem Stiefvater verstecken, aber heute hatte er ihn erwischt. Nun war es weg. Dass er inzwischen schon sechzehn Jahre alt und fast erwachsen war, interessierte ihn nicht. Er führte ein strenges Regiment, war der Herr im Hause und selbst Bennys Mutter und auch die Großmutter, die hier mit ihnen in dem alten Haus lebte, mussten unter ihm leiden. Die beiden Frauen hatten Angst vor dem groben Kerl, der immer wieder zu Gewalt und Wutausbrüchen neigte. Benny auch, „aber irgendwann kommt meine Zeit“, sprach er sich oft Mut zu.

Seit Frerichs in seinem Job bei der Müllabfuhr nicht mehr den großen Wagen fahren durfte, sondern zu Sortierarbeiten abgestellt war, konnte man ihn gar nicht mehr ertragen. Ständig ließ er seinen Zorn an der Familie aus. All den „modernen Kram“ verfluchte er, mit Computer und Technik kannte er sich nicht aus. Wenn ich Pech habe, verkauft er das Teil und steckt das Geld in seine eigene Tasche, befürchtete Benny. Er hatte nun genug, wollte weg, einfach nur weg. Wohin wusste er nicht, noch nicht. Aber vielleicht hatte sein Freund Dirk eine Idee, denn ihm erging es nicht viel anders. Oft hatten sie schon darüber gesprochen. Für seine Mum tat es ihm leid, aber er ertrug das alles einfach nicht mehr.

Dirks Mutter war ähnlich unerträglich wie der Stiefvater.

Anders unerträglich. Sie trank und während ihrer Saufphasen musste Dirk abtauchen, denn dann war sie unberechenbar, verprügelte ihn und für Essen war kein Geld da. Manchmal musste Dirk auch das Haus verlassen, weil sie sich Männer in ihr Bett holte.

Benny schüttelte sich. Oft schon hatte man Dirk beim Klauen von Lebensmitteln erwischt, aber was sollte er tun? Selbst sein Zeitungsgeld, das er sich früh morgens schon vor der Schule durch Austragen des Harlinger Anzeigers verdiente, nahm sie ihm oft ab.

Benny und Dirk hatten sich immer wieder überlegt, dass man gemeinsam abhauen müsste, einfach weg und niemals zurück. Sie wollten auf ein Schiff, am besten auf ein Containerschiff, dort könnte man sich wunderbar verstecken, blieb sicher unentdeckt. Man müsste sich nur ein Schiff aussuchen, das nach Amerika führe, so träumten sie oft vor sich hin. Das allerdings musste gut geplant sein ...

Benny wollte Pilot werden, das könnte man in Amerika doch sicher auch. Und Dirk?

Zurück im Museum

Der Anfang war getan, sie waren von zu Hause weg, aber nun saßen sie hier im Museum fest und draußen schlichen finstere Typen herum. Was waren die doofen Alten gegen diesen Albtraum, den sie hier erleben sollten?

Es war eine Scheißidee, sich hier in diesem alten Kasten zu verstecken. Und es sollte noch viel schlimmer kommen.

Was wollten diese vermummten Männer da draußen mit ihren Taschenlampen? Eines war klar, zum Museum gehörten sie nicht.

„Wir müssen uns ruhig verhalten“, flüsterte Benny seinem Freund zu, „ganz ruhig. Die führen nichts Gutes im Schilde.“

Er deutete nach draußen und fragte nochmals: „Ich denke, die haben hier eine Alarmanlage?“

Einige Stunden zuvor, am späten Nachmittag.

Es war ein Leichtes, die Alarmanlage so zu manipulieren, dass sie beim Abschließen nach Feierabend nur das Signal des „Scharfschließens“ gab, ohne dass sie wirklich eingeschaltet war. Niemand hatte etwas bemerkt. In Monteurkleidung waren die beiden Männer am Nachmittag in das „Groot Hus“ gekommen und hatten sich, ostfriesisch wortkarg, als Techniker ausgegeben. Da der Mitarbeiter an der Kasse, wie fast alle im Museum, ehrenamtlich tätig und für solche Angelegenheiten die Verwaltung zuständig war, fragte er nicht weiter nach.

„Wird schon seine Richtigkeit haben“, und „Hier is dat oll Ding“, hatte er gemurmelt, auf den Nebenraum gedeutet und sich wieder seiner Zeitung zugewandt. So konnten sich die beiden ohne Probleme an der Anlage zu schaffen machen. Nach weniger als fünf Minuten war alles erledigt, die nötigen Kabel überbrückt.

Ein kurzes „Moin“ und „Hol di“ und die beiden waren verschwunden. „Moin“, grüßte der Mann an der Kasse zurück, ohne nochmals aufzublicken.

Vier Stunden später, kurz nach 20 Uhr, hatten sie die Hintertür des Museums geknackt und machten sich auf den Weg, ihren Auftrag zu erfüllen. Ein Kinderspiel, wie sie dachten, hatten sie doch das ganze Museum für sich. Keiner konnte sie stören. Oder?

Benny musste pinkeln, dringend. Dirk auch.

„Was sollen wir tun, wir können doch nicht hier in die Ecke ...“, flüsterte er im Schein der Taschenlampe.

„Leise, warte mal, vielleicht geht das.“ Benny hielt ihm die leere Colaflasche hin.

„Spinnst du?“

„Nee, besser als in die Ecke, oder?“ Dirk verdrehte die Augen und nahm die Flasche.

Benny wandte sich wieder zur Tür.

Was die da draußen wohl machen?, überlegte er. Die klauen doch sicher irgendwas. Er nahm all seinen Mut zusammen und öffnete ganz vorsichtig und so leise es ging, die Tür der Kajüte. Die beiden Männer standen weiter hinten im Raum und waren damit beschäftigt, etwas in einen Koffer zu packen, wie er im Schein ihrer Taschenlampe erkennen konnte. Die Taschenlampe war fast überflüssig, denn durch die hohen, alten Fenster fiel das grelle Licht der Straßenbeleuchtung. Außerdem warf die wandernde Weihnachtsbeleuchtung weiteres Licht gegen das „Groot Hus“ und in den großen Raum.

Als er wenige Minuten später die Tür wieder schloss, war er kalkweiß und zitterte am ganzen Körper.

Benny hatte beobachtet, dass, einige Meter von ihrem Versteck entfernt, die beiden Männer an einer Vitrine beschäftigt waren. Sie waren in dunkle Jacken gekleidet, hatten Sturmhauben über den Kopf gezogen und darüber noch Basecaps. Ein Mann war groß und sehr stämmig, der andere ebenfalls groß, aber eher dünn und schlaksig. Einer trug Turnschuhe, der andere ganz stabile, halbhohe Stiefel mit Leuchtstreifen an der Seite.

Benny konnte alles genau sehen.

Der Dünne leuchtete mit seiner Taschenlampe auf ein Foto in seiner Hand und dann auf eine große, gläserne Vitrine mitten im Raum, betrachtete die Aufnahme genauer und deutete wieder zum Schaukasten. „Stopp, hier muss es sein, genau, das ist das gute Stück.“ Er grinste. „Unser Auftraggeber wird sich freuen. Hätte nicht gedacht, dass es so einfach ist.“

Sie hatten es auf eine alte Bibel, deren Wert als unschätzbar eingestuft wurde, abgesehen. Die Bibel lag auf einem samtbezogenen Holzkasten. Die Vitrine war nicht durch ein Schloss gesichert, sondern mit einer Silikonmasse rundum verschlossen, dadurch luftdicht und die Bibel vor Umwelteinflüssen verschont. Der kräftigere der beiden zog ein Cuttermesser aus der Tasche, ließ die Klinge ausfahren und schob sie vorsichtig in das Silikon. Mit sicherem Schnitt trennte er drei Seiten auf, um dann den Glasdeckel nach hinten anzuheben. Sie hatten einen Aluminiumkoffer dabei, in dem sich ein Behälter befand, der ebenfalls luftdicht zu verschließen war. So konnten sie die wertvolle Bibel direkt wieder sicher verpacken. Ihr Auftraggeber verlangte es so, er war Sammler und für ihn war das ein wertvolles Liebhaberstück, das er unbedingt besitzen wollte.

Behutsam nahm der schlaksige Einbrecher, der hier offensichtlich das Sagen hatte, mit seinen behandschuhten Händen das wertvolle Stück hoch und ließ es sanft in den Behälter gleiten. Er schloss den Deckel, ließ leise zischend die Luft heraus und verschloss den Aluminiumkoffer.

„Erledigt und nun raus hier“, flüsterte er.

Sein Komplize hielt ihn an der Schulter fest. „Warte mal, hier gibt es doch bestimmt noch weitere wertvolle Schätzchen. Lass uns ein kleines Nebengeschäft mitnehmen“, und deutete mit dem Cuttermesser in den Raum.

„Nix, es war ausgemacht, nur die Bibel. Schließlich werden wir dafür gut bezahlt.“

„Das heißt aber nicht, dass wir nicht auch noch auf eigene Rechnung ...“

„Nein, habe ich gesagt, raus hier. Dieser Auftrag ist sicher, wir liefern die Bibel ab und bekommen unser Geld. Keiner wird das mit uns in Verbindung bringen. Wenn wir andere Sachen abgreifen, müssen wir sie auch verticken. Das Risiko ist mir zu groß. Nein, es bleibt bei diesem feinen, sauberen Job und nun komm.“

Der Dicke ließ nicht locker.

„Dir vielleicht, mir nicht. Ich habe genug Hehler an der Hand, die mir mit Kusshand das eine oder andere Schätzchen von hier abkaufen. Also warte!“

„Ich habe nein gesagt, hörst du? Der Job ist erledigt. Mein Auftrag, mein Kunde, mein Risiko. Raus hier!“

„Spiel dich bloß nicht auf, was bildest du dir überhaupt ein? Du hast mir gar nichts zu sagen ...“, schnaufte der Dicke und schob seinen Komplizen unsanft zur Seite. Dieser blieb am unebenen Dielenboden hängen, stolperte im Dunkeln rückwärts und fiel der Länge nach hin.

Als er sich wieder aufgerappelt hatte, fauchte er den Dicken an: „Hast du sie noch alle? Alleine bist du doch gar nicht in der Lage, so ein Ding durchzuziehen. Dazu fehlen dir die Beziehungen und der Grips und das ist jetzt wieder deutlich zu spüren.“ Er zog ihn am linken Arm in Richtung Treppenhaus, doch der Dicke holte mit der Rechten aus und stieß ihm die Klinge des Cuttermessers in den Bauch.

Es war nur ein ersticktes Murmeln zu hören, als der schlaksige Kerl zusammensackte und mit dem Kopf hart auf dem Boden aufschlug.

„Ich kann nicht in die Flasche pinkeln“, stöhnte Dirk leise, als Benny die Tür zuschob.

„Das ist jetzt auch egal, wir sind sowieso gleich tot“, flüsterte Benny zurück.

„Hä? Wieso?“ Dirk drehte sich um und leuchtete Benny mit der Taschenlampe ins Gesicht, der nun wie versteinert in dem kleinen, engen Raum stand.

„Pst, leise, halt die Klappe und mach das Licht aus“, raunte Benny und hielt Dirk die Hand vor den Mund, „halt bloß die Klappe, Mensch.“ Ihm schossen Tränen in die Augen.

„Was’n los? Was starrst du mich so an? Hast du einen Geist gesehen?“ Er schob Bennys Hand zur Seite, stellte die leere Flasche weg und zischte: „Jetzt mach dir mal nicht in die Hose. Wenn wir uns weiterhin ruhig verhalten, finden diese Typen da draußen uns nicht. Wie sollen sie dahinten etwas von uns hier in der Kajüte mitbekommen und was soll schon passieren, die haben sicher auch was zu verbergen. Also bleib cool. Aber ich muss pinkeln, das ist viel schlimmer und hier“, sagte er mit einem Anflug von Galgenhumor und zeigte auf die Flasche, „geht das nicht.“

Dirk war automatisch in Bennys Flüsterton verfallen. Er deutete auf die Kajütentür und fragte leise: „Was machen die denn? Wenn sie weg sind, können wir endlich ...“

Benny schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab und meinte stockend: „Nicht die, das ist jetzt nur noch einer. Der hat gerade seinen Kumpel abgestochen, ich hab’s gesehen, ich hab’s ganz genau gesehen.“ Er fing leise an zu schluchzen.

Dirk starrte entsetzt zur Tür und wurde plötzlich panisch. Seine bisherige Ruhe war verflogen. „Sei still, sei jetzt still, sonst hört er uns, dann sind wir auch dran. Was machen wir denn nur, wir müssen uns verstecken, aber wo?“ Er schaute sich in der engen Kajüte um. Sein Blick blieb an der hölzernen Truhenbank hängen.

„Benny, pass du auf, was draußen passiert, ich habe vielleicht die Lösung. Aber wir müssen ganz leise sein.“

„Glaubst du etwa, dass ich noch mal diese Tür aufmache? Nie im Leben, ich rühre mich hier nicht mehr von der Stelle, bis, bis ... bis der weg ist.“

„Und wie wissen wir, ob er weg ist?“, flüsterte Dirk und wurde zornig, „behalte du den Typen im Auge, ich habe eine Idee. Nun mach schon.“

Widerwillig und so lautlos wie möglich, öffnete Benny die Tür. Was er sah, nahm ihm den Atem. Der stämmige Typ war wohl gerade dabei, seinen toten Komplizen zu verstecken. Wie Benny erkennen konnte, hatte dieser die Leiche an beiden Händen gepackt und zog sie quer über den Holzboden, nur einige Meter an ihm vorbei, in die linke, hintere Ecke des Raumes. Nach ein paar Metern war er allerdings aus Bennys Blickfeld verschwunden. Ein Turnschuh hatte sich vom Fuß der Leiche gelöst und blieb mitten im Raum liegen. Der Junge wagte es nicht, die Tür weiter zu öffnen, um ihn zu beobachten, zu groß war das Risiko entdeckt zu werden. So kauerte er hinter dem schmalen Türspalt und hoffte, dass der Spuk bald vorüber sein und der Typ das Museum endlich verlassen würde. Den einzelnen Turnschuh hatte er fest im Blick.

Doch der Mann ließ sich Zeit. Die alten Holzdielen knarrten unter seinen Schritten, während er die Leiche durch den Raum zog. Benny nahm nun all seinen Mut zusammen, kroch auf allen vieren leise ein paar Zentimeter aus der Tür und blinzelte vorsichtig nach links. Ganz hinten, in der Ecke mit den Seemannsknoten, versteckte der Dicke seinen toten Komplizen unter alten Jutesäcken. Benny hatte genug gesehen. Behutsam kroch er rückwärts zurück in die Kajüte, schloss die Tür und drehte sich zu Dirk um. Jetzt, da die Tür zu war, konnten sie auch wieder die Lampe einschalten. Dass der Schein der Taschenlampe durch den schmalen Schlitz zwischen Tür und Wand zu sehen war, bemerkten sie nicht, wie auch?

Benny blickte fragend zu seinem Freund.

„Was machst du?“, wollte er wissen.

Dirk war fast euphorisch. Verdrängte er die gefährliche Situation? Er hatte entdeckt, dass sich der Sitz der harten Holzbank hochklappen ließ. Der Platz darunter wurde vom Kapitän des Schiffes sicher als Stauraum genutzt. Hier gab es mehr Platz, als von außen zu vermuten war. Er klappte den Deckel ganz hoch und legte sich hinein.

„Das geht“, flüsterte er aufgeregt, „wenn es sein muss, können wir beide in der Kiste verschwinden, das ist zwar eng, aber machbar.“ Vorsorglich und so geräuschlos wie möglich, verstaute er ihre beiden Rucksäcke unter dem niedrigen Kajütentisch. Benny schaute ihm wortlos zu.

„So, alles vorbereitet, wenn er kommt, dann ...“

„Spinnst du?“ Benny griff sich an den Kopf. „Wenn der uns entdeckt hat, brauchen wir diese Kiste“, er deutete auf die Holzbank, „nicht mehr, höchstens als Sarg! So schnell und leise können wir darin doch gar nicht verschwinden. Nein, wir müssen uns ruhig verhalten und warten, bis der Typ verschwunden ist und dann nichts wie raus hier. Musst du eigentlich noch pinkeln? Ich nicht.“

Dirk schüttelte den Kopf.

Die beiden Jungs setzten sich auf die Kapitänsbank und ließen die Köpfe hängen. Benny hatte ja recht, überlegte Dirk. Das war eine Schnapsidee. Sie mussten ruhig bleiben und hoffen, dass der Kerl da draußen sie nicht entdeckte.

Beide hatten inzwischen jegliches Zeitgefühl verloren. Hunger, Durst und andere Bedürfnisse waren wie weggeblasen. Sie hatte nur noch Angst. Ab und zu war ein leises Schluchzen zu hören, ansonsten herrschte absolute Stille in der Kajüte.

Benny hatte ganz andere Gedanken und sie rasten durch seinen Kopf. Er war sich sicher, dass ihr Todesurteil schon unterschrieben war. Der Mörder hatte, als er die Leiche an Benny vorbeizog, seine Sturmhaube abgezogen und sich den Schweiß gewischt. So hatte Benny sein Gesicht gesehen und selbst in dem düsteren Licht den Mann erkannt. Wenn es vorher noch einen Hauch an Hoffnung gegeben hatte, dass der Kerl sie eventuell laufen lassen würde, jetzt hatten sie keine Chance mehr, da war er sich sicher. Der würde sie nicht gehen lassen, der nicht.

Und Benny hatte einen schlimmen Verdacht, wer der Tote da hinten unter den Jutesäcken war. Dass er die Stimmen nicht erkannt hatte, lag wohl daran, dass diese durch die Sturmhauben verzerrt waren, aber jetzt wurde ihm so einiges klar.

Plötzlich war ganz dicht vor der Tür das Knarren des Holzbodens zu hören. Ganz nah. Direkt vor ihrem Versteck. Beide blickten auf und starrten angstvoll, wie das Kaninchen vor der Schlange, zur Kajütentür. Durch den schmalen Schlitz zwischen Wand und Holztür fiel der Schein einer Taschenlampe. Das Licht ... Benny wurde es ganz heiß, denn ihm wurde klar, dass man auch ihre Taschenlampe hätte sehen können.

„Jetzt kommt er“, flüsterte Dirk heiser. An der Tür wurde gerüttelt, der Einbrecher versuchte sie zu öffnen. Hatte er die beiden Jungs entdeckt? Die Anspannung in der Kabine war förmlich zu greifen, sie hielten die Luft an. Ob der alte Holzriegel wohl hielt, den sie von innen vorgelegt hatten? An der Tür war ein Kratzen zu hören, versuchte er die Tür mit einem Werkzeug aufzubrechen? Benny und Dirk wagten nicht zu atmen ... Jetzt war es so weit!

Am nächsten Morgen

Als Jürgen Wolff am Mittwoch gegen 10 Uhr das Museum aufschloss, fiel ihm auf, dass die Putzfrauen wohl noch drüben im „Kapitänshaus“ zugange waren, denn es war ein kurzes Signal zu hören, das anzeigte, dass die Alarmanlage noch scharf geschlossen und durch sein Schließen nun abgeschaltet war. Nur unbewusst nahm er das Geräusch wahr, denn es war ihm schon in Fleisch und Blut übergegangen.

Wie selbstverständlich führte ihn sein Weg zum Sicherungskasten in der Eingangshalle und er schaltete, wie jeden Tag, die einzelnen Knöpfe mit einem leisen Klicken an. Nach und nach ging in allen fünf Etagen des „Groot Hus“ das Licht an. Fluchend kramte er noch einmal in seiner Hosentasche nach dem Schlüsselbund, die Vordertür musste auch noch aufgeschlossen werden. Als er die alte Holztür zum Museumsladen aufschob, war er in seinem Reich. Der Laden, der sich rechts neben der vorderen Eingangstür befand, war sein „Kind“. Vor Jahren hatte er die Idee dazu und diese dann auch Stück für Stück umgesetzt. Inzwischen war der Museumsladen im „Groot Hus“ eine Institution und gute Einnahmequelle des Museums, beziehungsweise des Fördervereines, geworden. Hier fand man die nicht alltäglichen Mitbringsel von der Nordseeküste sowie Bücher, Bildbände, maritime Spielsachen wie auch ganz besondere maritime Bekleidung.

Wer einmal in seinem Urlaub in Carolinensiel den Museumsladen besucht hatte, tat es immer wieder.

Wolff und viele andere Freunde des Museums waren hier ehrenamtlich tätig. Gerade als er die Computerkasse eingeschaltet hatte, ging die Vordertür auf. Die beiden Putzfrauen Marta und Greete riefen ihm ein: „Moin Jürgen“, zu und verschwanden in Richtung der Putzkammer. Jürgen brummte ebenfalls „Moin“, nahm hinter dem Verkaufstresen Platz und fuhr die Computerkasse hoch. Er hatte heute einige neue Artikel einzupflegen, hierfürwar direkt nach dem Öffnen des Ladens die beste Zeit.

Einige Minuten später fuhr er verschreckt hoch. Aus der Tiefe des Museums war ein markerschütternder Schrei zu hören.

Es war eine der Putzfrauen und kurz darauf hörte er die andere ebenfalls.

„Jürgen, Jüüürgen, hier liegt einer, komm schnell“, brüllten sie durch das Museum.

Er stürmte aus dem Laden in Richtung Treppenhaus, woher er den Lärm vermutete.

„Was ist denn los, wer soll denn da liegen?“, maulte er vor sich hin, „hab doch gerade erst aufgeschlossen. Die spinnen wohl, die Weiber.“

Als er bei den Frauen im Treppenhaus ankam und den bulligen Toten auf der Treppe liegen sah, traute er seinen Augen nicht.

„Dat gift woll nich“, murmelte er entsetzt und griff zu seinem Handy.

Auf dem Kommissariat in Wittmund

Es war zehn Uhr und sieben Minuten, als das Telefon auf Tomkes Schreibtisch klingelte. Sie war schon seit kurz nach sieben auf dem Revier und in alte Akten vertieft. Ein Fall aus dem Herbst des vergangenen Jahres ließ ihr keine Ruhe. Immer wenn es auf dem Revier etwas ruhiger war, nahm sie ihn sich vor. Carsten und Hajo, ihre beiden Kollegen, waren zwar der Ansicht, sie solle endlich aufhören, in der Sache weiter herumzuwühlen, aber das konnte sie nicht. „Mord bleibt Mord, egal aus welchen Motiven“, sagte sie sich immer wieder.

Widerwillig legte sie die Akte „Küstenhaie“ weg, nahm den Hörer ab und meldete sich mit dem üblichen „Tomke hier, was gibt’s?“

„Einen Toten im Museum“, meinte der Kollege von der Zentrale in stoisch, ostfriesischer Ruhe.

„Was nichts wirklich Ungewöhnliches ist“, war die flapsige Antwort von Tomke, die mit ihren Gedanken noch immer bei dem alten Fall war.

„Nee, keine Mumie, eine frische Leiche, männlich“, ging er auf ihren Tonfall ein.

Seit knapp einem Jahr hatte die Hauptkommissarin Tomke Evers nun die Leitung der Kriminalpolizei hier in Wittmund übernommen. Sie war für ihre unkonventionelle Art bekannt und bei den meisten auch beliebt.

Wie vom Blitz getroffen, zuckte sie zusammen und war voll bei der Sache.

„Wo?“

„In Clinsiel.“

„Nee, ne? Wie kommt der denn da hin, ich meine, wo, in welchem der drei Museen denn?“

„Im Groot Hus, die Streife ist schon unterwegs. Spusi und Rechtsmedizin?“, fragte er knapp.

„Weiß ich noch nicht, vielleicht ist es ja ein Unfall, wir schauen uns das erst einmal an.“

Von draußen war das Signal der losbrausenden Kollegen zu hören.

„Okay, wir fahren auch los. Hajo komm, es gibt was zu tun“, rief sie kurz über den Schreibtisch ihrem Kollegen Hajo Mertens zu.

Hajo klappte sein Laptop zu und fragte: „Hühnerdieb, Ladendiebstahl oder hat sich wieder einer aufgehängt? Oder haben wir wieder eine Parkplatzschlägerei aus Eifersucht? Wir sind hier ja inzwischen für alles zuständig.“

„Nein, richtige Arbeit, männliche Leiche, nun komm schon.“

Sie griff nach ihrer Jacke und warf sich den Schal um.

Hajo zog seine Jacke von der Lehne des Schreibtischstuhles. „Echt? Wo?“

„Na, wo wohl? Heißes Pflaster Clinsiel“, spottete Tomke im Laufschritt. Kurz vor der Ausgangsschleuse warf sie dem Diensthabenden am Empfang einen kurzen Gruß zu. Ungeduldig wartete sie, bis die automatische Tür sich öffnete und spurtete zum Wagen.

Hajo kam kaum nach und schaffte es gerade noch, die Autotür zuzuschlagen, als sie auch schon mit quietschenden Reifen vom Hof fuhr.

„Nun übertreib’s mal nicht, ich denke, der ist schon tot?“

„Was soll denn das?“, fragte er dann erstaunt, als Tomke während der Fahrt das Blaulicht auf das Wagendach setzte. „Wozu brauchen wir das Signal? Oder verfolgen wir den Mörder schon?“

„Nein, aber ich will schnell dort sein. Dat mut nu!“

Tomke konnte sich nur schwer zurückhalten, nicht mit Vollgas durch Wittmund zu rasen. Am Ortsausgang, beim Gelände des alten, verlassenen Autohauses, gab sie Gas. Die Ampel am unbeschränkten Bahnübergang sprang gerade auf Rot, doch Tomke fuhr durch.

„Geht’s noch?“, rief Hajo erschrocken, „hast du nicht gesehen, dass die Ampel ...“

„... ja, aber die ist doch gerade erst rot geworden. Dat geit all.“

„Du spinnst, ehrlich.“

Als sie den äußeren Kreisel von Wittmund passiert hatten, trat Tomke das Gaspedal durch.

Hajo lehnte sich zurück: „Na, dann fange ich jetzt mal an zu beten, bei deinem Fahrstil bleibt mir nichts anderes übrig. Bist du so heiß auf die Leiche oder eher lebensmüde?“

„Ich freue mich, wäre übertrieben, aber vielleicht haben wir endlich mal wieder einen richtigen Fall. Seit dem Herbst des letzten Jahres, als wir die Morde an diesen Immobilienbankern aufzuklären hatten, war doch nicht wirklich was los. Suizide, fliegende Kühlschränke, viel Kleinkram und die Messerstecherei an Fasching, aber sonst? Ach so ja, entlaufene Senioren dürfen wir ab und an auch noch suchen.“

„Mit anderen Worten, du freust dich über einen Mord“, warf Hajo lakonisch ein.

„Nein, so ist das auch wieder nicht, aber irgendwie schon. Ach, Hajo, hör auf, lass uns erst einmal ankommen.“

„Ja, wenn wir ankommen“, grunzte er, „du machst unsere ungeborenen Kinder jetzt schon zu Waisen.“

Sie gab ihm einen Klaps und sagte nur: „Blödmann!“

„Hände ans Lenkrad!“, rief er und gab sich geschlagen.

Jetzt, Anfang Dezember, waren kaum Touristen in der Gegend und die Straßen relativ frei, Autos nur wenige unterwegs. Ein paar Lkws und Güllefahrzeuge überholte Tomke leicht. Trotz ihres rasanten Fahrstiles fühlte sich Hajo sicher. Er wusste, dass sie eine begnadete Fahrerin war.