Lassiter 2110 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2110 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Es war lange nach Mitternacht und im Hotel war es still wie auf einem Friedhof. Die Gäste schliefen. Nur im Foyer brannte Licht. Benson, der Nachtportier, blätterte in einem Katalog mit vielen Abbildungen. Er mochte Bilder von schönen Frauen in Unterwäsche. Plötzlich hörte Benson ein Geräusch im Haus. Er lauschte angespannt. Oben auf der Galerie tappten Schritte. "Hallo? Ist dort jemand?", rief er. Als keine Antwort kam, nahm er einen Kerzenständer und stieg die Treppe hinauf. Er betrat den Flur, von dem die Zimmer abgingen. Benson erschrak, als eine Gestalt in den Lichtschein der Kerze trat: der blinde Buck Lewis von Zimmer neun. Der Mann hatte offenbar die Orientierung verloren. "Kann ich Ihnen helfen, Sir?", fragte Benson. "Wage es nicht, mich anzufassen!", knurrte der Blinde.

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Töchter des blinden Buck

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Timo Wuerz

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-XXXX-X

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Die Töchter des blinden Buck

Es war lange nach Mitternacht und im Hotel war es still wie auf einem Friedhof. Die Gäste schliefen. Nur im Foyer brannte Licht. Benson, der Nachtportier, blätterte in einem Katalog mit vielen Abbildungen. Er mochte Bilder von schönen Frauen in Unterwäsche.

Plötzlich hörte Benson ein Geräusch im Haus. Er lauschte angespannt. Oben auf der Galerie tappten Schritte.

»Hallo? Ist dort jemand?«, rief er. Als keine Antwort kam, nahm er einen Kerzenständer und stieg die Treppe hinauf. Er betrat den Flur, von dem die Zimmer abgingen.

Benson erschrak, als eine Gestalt in den Lichtschein der Kerze trat: der blinde Buck Lewis von Zimmer neun. Der Mann hatte offenbar die Orientierung verloren.

»Kann ich Ihnen helfen, Sir?«, fragte Benson.

»Wage es nicht, mich anzufassen!«, knurrte der Blinde.

»Und? Hast du ihn angefasst?«, fragte Lassiter.

»Gott bewahre!« Benson seufzte. »Was hättest du an meiner Stelle getan?«

Lassiter überlegte kurz. »Ich hätte ihn in seine Stube expediert. Zur Not auch gegen seinen Willen. So ein alter Starrkopf! Was wäre, wenn er auf der Treppe gestürzt wäre?«

Sie saßen in Danny’s Saloon und tranken – Lassiter Bier, Benson kalten Kaffee mit Whiskey. Draußen dämmerte es. Der Wind hatte am Nachmittag die Richtung geändert und wehte nun längs der Main Street entlang. Hank Benson war Lassiters Kontaktmann in Belleville, Kansas. Benson war ein kleiner, dünner Mann mit Knopfaugen und schütterem Haar. Im nächsten Jahr wollte die Zentrale ihn durch einen jüngeren ersetzen. Benson war Mitte sechzig. Als Nachtportier half er nur noch aus, wenn an der Rezeption Not am Mann war. Das Hotel gehörte seinem Bruder John.

»Ich weiß, dass es Quatsch ist, aber Buck Lewis jagt mir irgendwie Angst ein.« Benson betrachtete sein Glas. »Du hättest ihn sehen sollen, mit seinen toten Augen, der spitzen Nase und dem grausig verzerrten Mund. Ein Bild des Schreckens.«

Lassiter trank einen Schluck Bier. »Wie ich hörte, ist er mit seinen beiden Töchtern hier. Will hoffen, die Süßen haben nicht allzu viel von ihrem Daddy geerbt.«

»Nein, zum Glück nicht. Sie sind nach der Mutter geraten, zumindest äußerlich. Gail und Allie sind ganz nett anzuschauen. Kaum zu glauben, dass Buck Lewis ihr Erzeuger ist.«

»Ich werde sie mir bei Gelegenheit mal aus der Nähe anschauen«, meinte Lassiter.

Benson lachte freudlos. »Wäre ich du, würde ich die Finger von ihnen lassen.«

»Und warum, wenn man fragen darf?«

»Die Beiden sind giftig wie Nattern.«

Lassiter winkte ab. »Na, und? Als Schlangenbeschwörer hatte ich bisher schon große Erfolge.«

»Du bist unverbesserlich.« Benson leerte kopfschüttelnd seinen Kaffeebecher.

Da sprang die Vordertür auf. Fünf, sechs junge Burschen in Weidekleidung polterten herein. Zwei von ihnen trugen ihre Revolver in tief sitzenden Schnellziehholstern. Rogers, der Wirt, ermahnte sie, sich gesittet zu benehmen, andernfalls würde er jeden Zweiten von ihnen erschießen.

Die Cowboys grölten und johlten. Danny Rogers war ein Spaßvogel. Er kannte jede Menge Witze, einer verrückter als der andere. Lautstark forderten die Cowboys, dass er einen zum Besten gab.

Rogers ließ sich nicht lange bitten. »Kennt ihr den mit der Rodeostellung, Amigos?«

»Nein, nie gehört!«

»Erzähl ihn uns, Danny!«

»Gut, dann passt mal auf, ihr Greenhorns! Von mir könnt ihr euch nämlich eine Menge Tricks ablauschen.« Rogers warf sein Putztuch über die Schulter und sah einem baumlangen Rothaarigen fest in die Augen. »Also: Für die Rodeostellung musst du dafür sorgen, dass dein Mädchen auf allen Vieren vor dir hockt, kapiert?«

»Das kriege ich hin«, sagte der Lange trocken.

»Gut. Jetzt besteigst du die Kleine, wobei du mit beiden Händen ihre Brüste packst. Soweit alles klar?«

Die Burschen plapperten alle durcheinander.

»Das habe ich schon gemacht. Was zum Henker hat das mit Rodeo zu tun?«, übertönte der Rotblonde die anderen.

Mit einer Handbewegung brachte Rogers sie zum Schweigen. Wieder sah er den Rotblonden an. »Leise sagst du deiner Liebsten ins Ohr: ›Deine Brüste liegen genauso gut in der Hand wie die deiner Schwester!‹ – Und jetzt, Amigo, versuch mal, länger als acht Sekunden oben zu bleiben.«

Es dauerte einen Moment, bis die Cowboys die Pointe begriffen hatten. Der Saloon bebte vor Gelächter. Rogers teilte Bier aus. Als alle ein Glas in der Hand hielten, ließ der Rotblonde einen markigen Trinkspruch vom Stapel. Die Cowboys tranken und lärmten.

Lassiter ging mit Benson hinaus auf die Straße.

Bei dem Krawall im Saloon konnte man sein eigenes Wort nicht verstehen. Sie schlenderten den Sidewalk entlang, bis sie zur nächsten Einmündung kamen.

An einem Zügelholm blieb Benson stehen. »Ich frage mich, was den alten Buck Lewis dazu treibt, nach so vielen Jahren wieder hierher zu kommen.«

»Vielleicht will er alte Freundschaften auffrischen?«

Benson wackelte mit dem Kopf. »Lewis hat keine Freunde, nicht in dieser Stadt und auch in keiner anderen. Seit er nicht mehr sehen kann, ist er ein verbitterter alter Mann geworden.«

»Stimmt es, dass er früher einmal Deputy des County Sheriffs gewesen ist?«

»Ja, das war er. Bei einer Knallerei am South Corral hat er einen Kopfschuss abgekriegt. Er ist mit einer Bande Pferdedieben zusammengerasselt. Als die Verstärkung anrückte, hing er schon in den Seilen. Das ist jetzt zwanzig Jahre her. Bucks Töchter lagen noch in den Windeln.«

»Wer war Sheriff damals?«, fragte Lassiter.

»Big Joe McTell. Er ist letztes Jahr gestorben.«

»Hat McTell damals etwas abbekommen?«

»Nur einen Kratzer. Ein Streifschuss an der Schulter, wenn ich mich recht entsinne.«

»Und die anderen?«

»Alle wohlauf.«

»Auch die Banditen?«

Benson nickte. »Die sind für ein paar Jahre in den Knast gewandert. Wer Bucky ins Gesicht geschossen hat, konnte nicht ermittelt werden. Inzwischen sind die Bastarde allesamt wieder auf freiem Fuß.«

Lassiter dachte sich seinen Teil. Buck Lewis hatte einen rabenschwarzen Tag erwischt, als er diesen Pferdedieben nachjagte. Alle Beteiligten waren heil aus der Sache herausgekommen. Ihn dagegen hatte es voll erwischt. Von einer Sekunde zur anderen hatte sich sein Leben grundlegend verändert. Als Blinder spielte er keine Rolle mehr im gesellschaftlichen Leben. Kein Wunder, dass er mit Frau und Kindern abgetaucht war und jahrelang von der Bildfläche verschwand.

Und auf einmal war er wieder da. Seltsam.

»Ich hab zwar keine Beweise, aber ich bilde mir ein, dass Lewis nicht zum Spaß hier ist«, sinnierte Lassiter laut.

Benson machte die Augen schmal. »Du glaubst, er will Ärger machen?«

»Es ist nur eine Ahnung. Vielleicht sehe ich auch Gespenster.«

»Ja, das denke ich auch.« Benson schob seinen Hut höher. »Du siehst Gespenster, mein Junge. Und überhaupt: Old Buck hat sein Augenlicht verloren. Ein Blinder ist keine allzu große Bedrohung für seine Gegner. Ich gebe zu, sein Anblick ist zum Fürchten, aber wer den alten Zausel nicht anschauen mag, der kann ja woandershin gucken.«

»So weit, so gut. Doch eine Frage bleibt offen: Was will Buck Lewis hier? Warum kehrt er zurück an diesen Ort? Zwanzig Jahre nach der Schießerei am South Corral. Die Beteiligten von damals haben sich doch inzwischen in alle Winde verstreut.«

Ein mit Heuballen beladener Leiterwagen rumpelte an ihnen vorbei. Der Fahrer knallte mit der Peitsche. Der Geruch von frischen Kräutern breitete sich aus. Irgendwo zwischen den Ballen kläffte ein Hund.

»Nicht alle«, sagte Benson plötzlich.

»Nicht alle?«

»Der Anführer der Pferdediebe von damals lebt hier in Belleville.«

Das war Lassiter neu. Er horchte auf.

»Der Mann heißt Bill Rector. Er hat lange Jahre hinter Gittern verbracht. In Leavenworth, später in Kansas City. Nach seiner Entlassung ist er eine Weile unter die Glücksritter gegangen. Als er nach Belleville kam, war er verdammt gut bei Kasse. Es heißt, er hätte ein paar Wochen einen Spieltisch betrieben, in Dodge City. Nun ja, beim Zocken muss er eine Menge Zaster eingeheimst haben. Jedenfalls hat es gereicht, um in der Stadt ein nettes, kleines Theater zu eröffnen.«

»Rector’s Fun House?«

»Du sagst es, mein Freund.« Benson gähnte herzhaft. »Wenn du heute nichts weiter vorhast, schau es dir mal an. Es lohnt sich.«

Es war Abend geworden. Der Wind fegte kugelige Steppenhexen über die Straße. Es wurde zunehmend kühler.

Benson schlug seinen Kragen hoch und ging nach Hause. Seit ein paar Monaten wohnte er im Haus seines Bruders. Das Gehöft lag im Norden der Stadt, ziemlich weit weg vom Zentrum mit der Main Street, den Hotels und dem Marktplatz.

Lassiter steuerte den Vergnügungsbezirk an. Bevor er sich das Theater anschaute, musste er noch etwas anderes erledigen.

Es gab da eine entzückende Brünette mit Grübchen auf den Wangen, auf die er ein Auge geworfen hatte. Sie arbeitete im Coco Loco, einem zwielichtigen Etablissement, wo man Girls antraf, die ohne was an auf dem Tisch tanzten.

Lassiters Favoritin gehörte nicht zu ihnen.

Sie ging auch nicht mit Männern des Geldes wegen ins Bett. Sie mixte Drinks und unterhielt sich mit den Gästen, die an ihrem Tresen standen. Ihre Unterwäsche behielt sie an. Dabei mangelte es nicht an Angeboten. Ganz im Gegenteil.

Das standhafte Barmädchen hieß Susan Pearce.

***

Susan sah, wie der große Mann mit dem sandfarbenen Haar die Schwingtür aufschob.

Lassiter! Prompt schlug ihr Herz schneller. Jedes Mal, wenn sie diesem Bild von einem Mann begegnete, war ihr ganz mulmig zumute. Einmal hatte Susan sogar schon von Lassiter geträumt.

Es war ein sehr erregender Traum gewesen.

Lassiter war fast nackt, und sie selbst trug nur einen Fummel aus einem netzartigen Gewebe, das mehr zeigte als verbarg. Er kam über die Straße, steuerte direkt auf sie zu, aber es sah aus, als balancierte er auf einer Kugel, die sich um die eigene Achse drehte. Er kam ihr keinen Schritt näher. Sie wollte auf ihn zu rennen, war aber nicht in der Lage, die Beine zu bewegen. Ihre Füße schienen mit dem Boden verwachsen zu sein.

Susan verscheuchte das Trugbild. Mit gespreizten Fingern strich sie eine widerspenstige Haarsträhne zurück und gab sich so gelassen, wie sie konnte. Lassiter war schon ganz nahe.

»Hallo, Susan.« Er lächelte, als er an die Theke trat.

»He, Mr. Lassiter. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich nehme Mint Julep.«

»Schon in Arbeit.«

Während sie Whiskey und Sirup in einem Zinnbecher mischte, gab sie sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen. In dieser von Männern dominierten Welt musste man als Frau sehr vorsichtig sein. Besonders dann, wenn man in einem Amüsierschuppen wie dem Coco Loco arbeitete. Zu viel Freundlichkeit konnte von den Männern falsch verstanden werden. Spröde Frauen lebten sicherer.

Der Barraum war nur spärlich erhellt. An den rot gestrichenen Wänden hingen Glaskugeln, in denen Kerzen brannten. Die Theke mit den Flaschen- und Gläserregalen befand sich im vorderen Teil des Lokals. Die Gästetische und die Bühne, auf dem ein Klavier stand, waren im hinteren Bereich zu finden.

Im Moment hatten die Tanzmädchen Pause. Der Pianist, ein fülliger Graukopf im schwarzen Frack, spielte eine zu Herzen gehende Melodie aus der Goldgräberzeit am Sacramento.

Susan garnierte den Drink mit einem Minzezweig und stellte ihn mit einem Lächeln auf Lassiters Platz.

Er bedankte sich artig. Als er danach das Wort an sie richten wollte, wandte sie sich schnell ab. Sie lief zum anderen Ende der Bar, wo eben neue Gäste Platz nahmen – zwei Männer, die schon ordentlich einen in der Krone hatten.

Sie bestellten Whiskey, gleich eine ganze Flasche.

Sofort wusste Susan, dass es Ärger geben würde.

Am liebsten hätte sie den Typen überhaupt nichts ausgeschenkt, aber damit hätte sie sich selbst einen Bärendienst erwiesen. Maureen, ihre Vorgängerin, war fristlos entlassen worden, als sie sich geweigert hatte, einem betrunkenen Gast Schnaps zu verkaufen. Die arme Maureen stand quasi über Nacht auf der Straße, ohne ein Dach über dem Kopf. Sie wusste nicht, wohin. In ihrer Verzweiflung heuerte sie als Freudenmädchen in einem stadtbekannten Bordell an. Schon am nächsten Tag gab sie den Job auf. Das horizontale Gewerbe war nichts für sie. Es machte sie krank. Sie verließ Belleville noch am selben Tag. Susan wusste nicht, was aus ihr geworden war. Es hieß, sie hätte irgendwo ein kleines Geschäft eröffnet.

Susan zögerte noch immer.

Die beiden Männer starrten sie aus blutunterlaufenen Augen an. Der eine war ein pockennarbiger Jüngling in einem abgetragenen Gehrock, kaum zwanzig Jahre alt. Der andere Mann, vermutlich sein Vater, ähnelte dem jungen auf frappierende Weise. Beide hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Einer stützte den anderen.

Der Vater rülpste laut. »Mach schnell, Darling! Jacky und ich sind am Verdursten!«

Susan kämpfte mit aufsteigendem Ekel. Obwohl sie schon seit Jahren im Gastgewerbe arbeitete, waren ihr Typen wie diesen zwei immer wieder ein Gräuel. Wie schön könnte das Leben sein, gäbe es nur so höfliche Leute wie diesen Lassiter, der sich immer so nett für seinen Drink bedankte und sie dabei so stillvergnügt anschaute, ohne anzüglich zu werden.

Leider schien der liebe Gott von Harmonie nicht viel zu halten, denn unablässig ließ er ein Ekelpaket nach dem anderen auf die Menschen los, die in Frieden leben wollten.

Susan ging zu dem Regal, in dem die Spirituosen einsortiert waren. Sie spürte, dass Lassiter ihr mit seinen sanft dreinschauenden Augen folgte. Ein leichter Schauder durchströmte sie.

»Wo bleibt unser Whiskey?«, schnaubte Jackys Vater.

Sauft euch doch zu Tode, ihr Narren! Susan nahm eine volle Flasche Straight Bourbon, entfernte den Pfropfen und brachte sie zu den Bestellern. Als sie die Gläser dazustellte, lachten die Beiden höhnisch.

»Solchen Firlefanz brauchen wir nicht!« Jacky setzte die Flasche an und schloss beglückt die Augen.

Susan sah, wie sein Kehlkopf auf- und abhüpfte. Der Schnaps lief ihm die Mundwinkel hinunter. Einfach widerlich! Ihr lag eine spitze Bemerkung auf der Zunge. Gerade noch zur rechten Zeit fiel ihr der unrühmliche Abgang von Maureen ein. Sie presste die Lippen zusammen und schwieg.

Jackys Vater riss seinem missratenen Sprössling die Flasche weg und trank selbst.

Susan ging zu dem Spülbecken zurück.

»Sie sollten die Gents abkassieren, bevor es zu spät ist«, bemerkte Lassiter.

Susan blickte auf.

Er wies ans andere Ende der Bar. »Sehen Sie nur! Die zwei können sich kaum noch auf den Beinen halten. Ich gebe ihnen eine halbe Stunde, dann fallen sie um wie die Fliegen.«

»Sollen sie«, antwortete Susan und schob eine Haarsträhne zurück. »Sie sind erwachsen, jeder muss die Suppe auslöffeln, die er sich eingebrockt hat.«

»Schön wär’s, wenn sich alle daran hielten.« Lassiter grinste dünn. »Aber Gottes Erde ist ja bekannt dafür, dass sie nicht gerade der gerechteste Ort ist. Holen Sie sich Ihr Geld, Miss. Holen Sie es sich, bevor es zu spät ist.«

Jetzt begriff Susan, was er meinte. Lassiter rechnete damit, dass die zwei Betrunkenen nicht mehr fähig waren, ihre Rechnung zu bezahlen, wenn sie die Flasche geleert hatten.

In diesem Augenblick begann der Pianist, eine flotte Polka zu spielen. Unter dem Jubel der Anwesenden sprangen zwei Mädchen in kurzen Röcken herbei. Die Größere kletterte auf den Billardtisch, strich mit beiden Händen lasziv über ihre Taille, wackelte mit den Hüften und schubste mit der Fußspitze Kugeln gegen die Bande. Das andere Girl trat neben den Klavierspieler und sang mit rauchiger Stimme das Lied von der traurigen Braut des texanischen Cowboys.

Vater und Sohn taumelten, einander stützend und laut grölend, auf den Billardtisch zu. Auf halber Strecke stolperte der Ältere über den Ständer mit den Billardstöcken.

Jacky war nicht in der Lage, ihm Halt zu geben. Er hatte mit sich selbst zu tun.

Beide stürzten zu Boden.

Die Leute wichen zurück und verspotteten die Säufer.

Susan kaute auf ihrer Lippe. Ihr wurde klar, dass sie langsam in die Gänge kommen musste, wenn sie ihren Whiskey bezahlt haben wollte. Auf keinen Fall würde sie auf das Geld verzichten. Mr. Watkins, der Chef, war sehr misstrauisch, sobald es ums Finanzielle ging. Alle drei Tage machte er große Inventur.

Susan huschte hinter dem Tresen hervor.

Plötzlich passierte es. Eine junge, schwarz gekleidete Frau, die Susan zum ersten Mal in der Bar sah, schlug Jackys Vater die Faust ins Gesicht. Anscheinend hatte er sie unsittlich berührt, als er sich vom Boden aufrappeln wollte.

Obwohl von einer Frau, war der Schlag gut gezielt und sehr hart gewesen.