1,99 €
Grasland, Himmel und hin und wieder eine Büffelherde - so sah es seit zwei Tagen jenseits der Kutschenfenster aus. Manchmal zuckten Blitze am Horizont, manchmal kreuzten Gabelböcke den Weg nach Westen. Sonst gab es kaum Abwechslung, und Sarah Madison guckte sich die Augen müde. Onkel Ted schnarchte ihr ins Ohr, der Hintern tat ihr weh vom langen Sitzen. "Wie weit noch bis nach Pueblo?", quengelte die Frau des Colonels wohl zum hundertsten Mal an diesem Tag.
"Vierhundert Meilen?" Ihr uniformierter Gatte zuckte mit den Schultern. "Zwanzig Stunden, höchstens vierundzwanzig." Wie jedes Mal verdrehte seine Frau die Augen und bekreuzigte sich. Sarah schmunzelte und fuhr fort, das immer gleiche Grasland und den immer gleichen Himmel jenseits des Kutschfensters zu betrachten. Irgendwann schlief sie ein - bis Geschrei sie aufweckte.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 129
Veröffentlichungsjahr: 2014
Cover
Impressum
Der Kampf der Bisonlady
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-8387-5829-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Kampf der Bisonlady
Grasland, Himmel und hin und wieder eine Büffelherde – so sah es seit zwei Tagen jenseits der Kutschenfenster aus. Manchmal zuckten Blitze am Horizont, manchmal kreuzten Gabelböcke den Weg nach Westen. Sonst gab es kaum Abwechslung, und Sarah Madison guckte sich die Augen müde. Onkel Ted schnarchte ihr ins Ohr, der Hintern tat ihr weh vom langen Sitzen. »Wie weit noch bis nach Pueblo?«, quengelte die Frau des Colonels wohl zum hundertsten Mal an diesem Tag.
»Vierhundert Meilen?« Ihr uniformierter Gatte zuckte mit den Schultern. »Zwanzig Stunden, höchstens vierundzwanzig.« Wie jedes Mal verdrehte seine Frau die Augen und bekreuzigte sich. Sarah schmunzelte und fuhr fort, das immer gleiche Grasland und den immer gleichen Himmel jenseits des Kutschfensters zu betrachten. Irgendwann schlief sie ein – bis Geschrei sie aufweckte.
Als sie die Augen aufriss, zielte der Colonel mit seinem Gewehr aus dem Kutschenfenster und die anderen sechs Männer in der schaukelnden Fahrgastzelle fummelten Patronen in die Trommeln ihrer Revolver. Kugeln heulten an der Kutsche vorbei.
Es war die Frau des Colonels, die das Geschrei veranstaltete. Mund und Augen weit aufgerissen, hockte sie Sarah gegenüber, presste die Fäuste gegen die Schläfen und schrie, als hätten hundert Kugeln sie weiß Gott wo getroffen.
Draußen fluchten Kutscher und Conductor und krachten Schüsse. Immer neue Kugeln heulten von irgendwoher heran, eine durchschlug die linke Seitenwand knapp neben Sarah und zersplitterte das rechte Fenster.
Von einem Augenblick auf den anderen hörte die Frau des Colonels auf zu schreien und sackte in ihrem Sitz zusammen. Der Mann neben ihr stöhnte plötzlich auf und griff sich an die Brust.
Der Colonel fuhr herum, starrte seine Gattin an und begann nun seinerseits zu brüllen, denn ein schwarzrotes Loch klaffte in der Stirn seiner Frau. Sarah konnte ihren Blick nicht von diesem Loch abwenden, unfähig, sich zu rühren. »Jesus Christus«, stöhnte die dritte Frau in der Concord.
Eiserne Griffe packten Sarah am Oberarm. »Runter mit dem Kopf!« Jemand riss sie vom Sitz und stieß sie in den Fußraum zwischen den Bänken. Sie fiel auf den massigen Körper ihres Onkels. Er war tot! Eisiger Schrecken durchzuckte Sarah Madison und sie begriff, dass auch ihr Leben auf Messers Schneide stand.
Draußen brüllte der Kutscher eine Warnung – im nächsten Moment sackte die Concord plötzlich ab, ratterte durch ein Erdloch oder ein Bachbett, stieg wieder hoch und schwankte bedrohlich.
Grashalme streiften den oberen Fensterrand, die Tür sprang auf, Sarah klammerte sich an Onkel Ted fest. Seine Leiche kam ins Rutschen, stürzte aus der Türöffnung und riss Sarah mit sich, die nicht loslassen wollte.
Onkel Teds massiger Körper dämpfte ihren eigenen Aufschlag. Gemeinsam mit dem Toten schlidderte sie durchs Gras. Sie überschlugen sich und Sarah kam auf ihm zu liegen.
Als sie den Kopf hob, sah sie, wie die Concord sich wieder aufrichtete und wie das Leder ihres Gepäckschrankes mit der schwankenden Wand aus gelblichem Gras verschwamm. Sarah starrte auf die Stelle, wo die Kutsche verschwunden war. Das hohe Gras dort richtete sich schon wieder auf.
Hufschlag näherte sich, Kugeln heulten hinter der Kutsche her. Pferde preschten dicht neben ihr vorbei; die meisten hörte Sarah nur, eines sah sie aus knapp zehn Schritten Entfernung vorüberjagen. Ein Mann in dunkelbraunem Wildledermantel und mit schwarzem Langhaar und schwarzem Stoppelbart beugte sich über die Mähne seines Pferdes, hielt den Zügel zwischen die Zähne geklemmt und zielte aus einem Gewehr in Fahrtrichtung der Kutsche.
Starr vor Schreck und wie tot hing Sarah über Onkel Ted. Für einen entsetzlichen Moment begegnete ihr Blick dem des Banditen. Zu spät, sich hinter Onkel Ted zu verstecken, zu spät sogar, die Augen zu schließen und zu tun, als wäre sie tot.
Sarah schloss mit dem Leben ab. Doch der Bandit ritt vorbei, jagte der Concord hinterher.
Hufschlag und Schusslärm entfernten sich. Sarah lag auf ihrem toten Onkel und zitterte. Ein splitterndes Krachen tönte plötzlich von fern. Und schrie da nicht auch eine Frau? Sarah hob den Kopf und hielt den Atem an. Sie machte sich nichts vor: Die Kutsche war jetzt doch umgestürzt, hatte sich womöglich überschlagen!
Kurz darauf verstummte der Schusslärm. Männer riefen, Pferde wieherten. Dann noch ein einzelner Schuss, anschließend nichts mehr.
Eine Zeitlang verharrte Sarah völlig reglos. Doch als sie wenige Minuten später wieder Männerstimmen hörte, machte sie sich klar, dass die Banditen die Gepäckstücke sondieren, Fahrgäste vermissen und zurückkommen könnten. Der Stoppelbärtige hatte sie doch gesehen!
Mit bebenden Händen schälte sie ihren Onkel aus seinem Frack und schnallte ihm den Waffengurt ab. Sie schlüpfte in das viel zu große Kleidungsstück, legte den Gurt an und spannte den Hahn des alten Colt Navy, den ihr Onkel seit Bürgerkriegstagen trug. Dann drückte sie dem Toten die Augen zu und küsste ihn auf die Stirn.
Sarah huschte ins schulterhohe Gras. Einer unbestimmten Eingebung folgend schlich sie ein Stück nach Süden. Doch nur ein paar Minuten lang, denn dann hörte sie schon wieder Hufschlag und Männerstimmen. Sie kauerte sich am Boden zusammen und rührte sich nicht.
»Einen hab ich!«, rief ein Mann irgendwann. »Tot. Und Lippenstift an der Stirn!« Ein Eiszapfen bohrte sich in Sarahs Hirn.
»Und die Frau?«, rief eine andere, heisere Stimme aus einer anderen Richtung.
»Nichts. Nur Lippenstift.«
»Sie muss in der Nähe sein.« Wieder die rauchige Stimme. »Ich bin sicher, dass sie noch gelebt hat! Sie hat mein Gesicht gesehen.«
Danach rief niemand mehr, doch Sarah hörte, wie die Männer sich mit gedämpften Stimmen verständigten. Sie spürte genau, dass die Banditen jetzt nach ihr suchten. Und tatsächlich hörte sie bald das Gras in ihrer Nähe rascheln.
Sarah wagte kaum zu atmen. So leise, wie es ihr möglich war, zog sie den Colt Navy und packte ihn mit beiden Händen. Ganz still liegen, sagte sie sich. Wenn du dich bewegst, bewegen sich auch die Grasspitzen über dir.
Also lag sie reglos auf dem Rücken, starrte an den Grashalmen hinauf in den Nachmittagshimmel, hielt den Revolver fest und wartete auf ihre Jäger.
Der Boden bebte plötzlich, zuerst sanft, dann kräftiger, schließlich so heftig wie die Fußtritte einer ganzen Armee. Ein Erdbeben, dachte Sarah. Gott schickt ein Erdbeben, um die Kerle zu verschlingen und mich zu retten …
Jemand fluchte auf einmal ganz in ihrer Nähe. Aus einer anderen Richtung schrie es: »Sie kommen direkt auf uns zu!«
»Weg hier!«, brüllte eine heisere Männerstimme. »Die Beute auf die Pferde und nichts wie weg!« Hohl und rau klang die Stimme, und sie fuhr Sarah in alle Glieder.
Das war er! Das war der Kerl, dessen Gesicht sie gesehen hatte!
Die Männerstimmen gingen im Dröhnen und Beben tausendfachen Hufschlags unter. Sarah trommelte das Herz von innen gegen das Brustbein. Prärieindianer?
Sie richtete sich auf den Knien auf, hob den Colt mit beiden Händen, zielt in die Richtung, aus der das Dröhnen kam. Es rückte näher und näher. Sie stand auf, starrte in eine Staubwolke und in eine schwarzbraune Fellmasse darunter.
Hunderte, ja tausende Bisons galoppierten auf sie zu!
***
Lassiter klopfte an der Tür zum Office des Townmarshals von Kansas City. Weil der Mann, den er durch das Türfenster am Waffenschrank erkennen konnte, keine Anstalten machte, »Herein!« zu sagen, trat er unaufgefordert ein.
Ein junger Sternträger stand am Schreibtisch und putzte Gewehre, ein frischgebackener Assistent, wie Lassiter auf den ersten Blick erfasste. »Ich suche den Townmarshal oder den Staatsrichter, der morgen den Prozess gegen Spencer eröffnen wird.«
»Tut mir leid, Sir.« Der junge Bursche blickte kaum auf, zuckte nur mit den Schultern. »Beide nicht hier.« Sein Chef habe außerhalb der Stadt zu tun, erklärte er, und der Richter sei nicht wie angekündigt mit dem Fünfuhrzug gekommen.
»Dann verschiebt sich der Prozess also?«, fragte der Mann von der Brigade Sieben.
»Um einen Tag«, bestätigte der Milchbart. »Und wenn der Richter auch morgen nicht kommt, sogar um zwei.«
»Na gut.« Lassiter hob die Schultern. Es konnte immer mal passieren, dass jemand sich um ein paar Tage verspätete; nichts Ungewöhnliches westlich des Mississippi. »Dann will ich wenigstens Spencer sehen. Führen Sie mich in den Zellentrakt.«
Herb Spencer war einer von zwei Köpfen einer gefährlichen Bande, die Lassiter erst vor wenigen Monaten zur Strecke gebracht hatte. Zugraub und Banküberfälle mit zahlreichen Toten gingen auf ihr Konto. In Ellsworth hatte der Mann von der Brigade Sieben die Banditen gestellt. Die hatten sich mit Klauen und Zähnen gewehrt, und nur Spencer überlebte die Schießerei.
Lassiter war nach Kansas City gekommen, um gegen ihn auszusagen. Morgen früh sollte der Prozess beginnen. Nun ging es eben erst übermorgen los.
»Sind Sie verwandt mit ihm?« Der Jungspund von Sternträger unterbrach nicht einmal seine Putzarbeit, während er mit Lassiter sprach. »Haben Sie eine Genehmigung?«
Lassiter neigte den Kopf zur Schulter und betrachtete den jungen Marshalassistenten von den Stiefelspitzen bis zum Scheitel. »Wie ist Ihr Name?«
»Kirk Randolph. Haben Sie eine Genehmigung oder haben Sie keine?«
»Reden Sie keinen Unsinn, Randolph. Mein Name ist Lassiter und ich will den Angeklagten sehen, gegen den ich aussagen werde.«
»So einfach ist das aber nicht, Sir.« Endlich unterbrach der Milchbart, dem irgendjemand wohl versehentlich einen Stern an die Weste gehängt hatte, seine Arbeit und sah Lassiter ins Gesicht. Allerdings nur, um ihm zu erklären, dass er ohne Erlaubnis seines Chefs, des Townmarshals, niemanden in den Zellentrakt lassen könne.
Lassiter gab es auf. Sich mit einem Erbsenzähler herum zu streiten, war das Letzte, wonach ihm der Sinn stand. Er erkundigte sich, wann der Townmarshal zurückkehren würde, und machte sich dann auf den Rückweg in das Missouri Hotel, wo er ein Zimmer gemietet hatte.
Es war später Nachmittag, der Saloon des Hotels füllte sich allmählich. Eisenbahner und Cowboys belagerten bereits die Theke, an den Tischen hockten Flussschiffer und Passagiere des Dampfers, der erst vor kurzem aus Saint Louis gekommen war.
Lassiters Blicke wanderten zum Spielzimmer – erst vier Männer hockten am Spieltisch beim Pokern. Er steuerte bereits das Spielzimmer an, da spürte er, dass jemand ihn beobachtete.
Er wandte den Kopf und sein Blick traf sich mit dem einer schwarzhaarigen Frau. Sie saß allein am Tisch neben der Treppe, und noch viel wichtiger: Sie lächelte ihn an.
Lassiter machte kehrt und ging zu ihrem Tisch. »Darf ich, Ma’am?« Sie nickte, schien erfreut. Der Mann von der Brigade Sieben nahm ihr gegenüber Platz und tippte sich an die Hutkrempe. »Lassiter, einfach nur Lassiter.«
»Rosalyn Tindal«, sagte sie, »nennen Sie mich ›Rosie‹.«
»Ich hoffe, Sie müssen sich nicht allein amüsieren, Rosie.« Lassiter blickte sich im Saloon um, als würde er nach Rosies Begleiter Ausschau halten.
»Jetzt nicht mehr«, sagte Rosie. »Und Sie? Waren Sie nicht im Spielzimmer verabredet?«
»Jetzt nicht mehr. Was trinken wir?« Sie wollte Wein und Lassiter orderte eine Flasche und zwei Gläser. Ihre dunklen Augen verfolgten jede seiner Bewegungen. »Sie sehen nicht aus, als würden Sie hier leben, Rosie.«
»Ich sehe nicht nur nicht so aus, ich bin tatsächlich auf der Durchreise.« Lassiter erfuhr, dass sie aus Washington stammte, dort vor zwei Wochen abgereist war und wegen einer Familienangelegenheit nach Denver wollte.
»Und Sie, Lassiter?« Ihr weiches Lächeln und ihre großen Pupillen verrieten ihm, dass seine Chancen bestens standen. »Wenn ich alles zusammenzähle, was ich je über die Männer des Westens gelesen habe, dann würde ich schätzen, dass Sie Ihr halbes Leben im Sattel verbringen.«
»Volltreffer! Doch wie kommen Sie darauf, Rosie?« Sie hatte blauschwarzes Haar und sehr weiße Haut. Ihr Kleid war bis unter ihr Kinn geschlossen, doch die weiblichen Formen darunter konnte ein Mann wie Lassiter gar nicht übersehen.
»Ihre von der Sonne gegerbte Haut«, sagte sie mit heiserer Stimme, »Ihre staubigen Stiefel, Ihr aufmerksamer Blick …«
Lassiter lächelte und nickte. Er war mit dem Zug aus Cheyenne gekommen und hatte noch nicht einmal ein Pferd dabei, aber was ging das die schöne Lady an?
Sie aßen zusammen, plauderten, und als am Abend ein Pianist den Deckel vom Klavier hochklappte und in die Tasten griff, mischten sie sich unter die Paare auf der Tanzfläche.
Rosie fühlte sich gut an in seinen Armen, und als sie sich während des Tanzes an ihn schmiegte, spürte er ihre Schenkel an seinen Beinen und die Rundungen ihres Busens an seiner Brust. Ihr Körper beantwortete die Frage, die ihm auf der Zunge lag.
»Ich habe einen Wunsch, Rosie«, flüsterte er ihr ins Ohr, während sie sich im Rhythmus der Musik drehten. »Und ich frage mich, ob Sie ihn mir erfüllen werden.«
»Um das zu beantworten, müsste ich Ihren Wunsch kennen, Lassiter.«
»Ich würde Sie gern küssen.«
Es war, als ginge ein Beben durch ihren Körper und sie drängte sich noch näher an ihn heran. »Dann tun Sie es doch«, flüsterte sie mit vibrierender Stimme.
»Ich wüsste uns beide gern unbeobachtet dabei«, flüsterte er. »Würden Sie mir Ihre Zimmernummer anvertrauen?«
»Die Nummer zwölf«, flüsterte Rosie. »Ich warte auf dich …«
Nach Ende des Tanzes löste sie sich aus seinen Armen und stieg die Treppe hinauf. Lassiter sah ihr hinterher. Sie schien es ziemlich eilig zu haben.
***
Sarah Madison warf sich auf den Boden, zog die Beine an und verschränkte die Arme über dem Kopf. Von allen Seiten umgab sie das Stampfen und Dröhnen bereits. »Jesus Christus«, flüsterte sie, »Jesus Christus, hilf mir …«
Ganz hart machte sie ihren Körper, spannte jeden Muskel an. So lag sie, betete und erwartete die alles zerstampfenden Hufe der Büffelherde. »Ich komme zu dir, Onkel Ted, ich komme zu dir …«
Als sie ihren toten Onkel so ansprach, fragte Sarah sich, ob seine arme Seele wohl in den Himmel zu Gott gekommen oder hinunter in die Hölle gefahren sein mochte. Dabei musste sie daran denken, dass ihr Onkel dem Whisky und den Frauen zugetan und auch sonst alles andere als ein vorbildlicher Christenmensch gewesen war. Sarah biss sich also auf die Zunge und beschränkte sich auf Stoßgebete um Rettung.
Plötzlich merkte sie, dass etwas sich verändert hatte: Der Boden bebte nicht mehr, es stampften kaum noch Hufe, und überall um sie herum raschelte das Gras.
Sarah lauschte atemlos. Was war geschehen? Sie nahm die Arme vom Kopf, richtete sich auf, spähte nach allen Seiten – die Büffelherde stand still!
Sarah erhob sich, blickte über die Spitzen der Grashalme hinweg, und tatsächlich: Ein Meer von braunen Rücken umgab sie. Überall um sie herum weideten Bisons. »Jesus Christus …«
Als sie es endlich fassen konnte, sank sie an Ort und Stelle wieder ins Gras und weinte vor Erleichterung. Und als die Anspannung endgültig von ihr gewichen war, dachte sie an den toten Onkel und begann gleich noch einmal zu weinen, diesmal aus Trauer um ihn.
Sie schluchzte und heulte und rang um Atem. Irgendwann teilte sich das Gras neben ihr und ein breiter gehörnter Schädel tauchte keine zwei Schritte entfernt auf. Instinktiv fuhr Sarahs Rechte zum Colt an ihrer Hüfte, doch sofort ließ sie den Revolverkolben wieder los. »Tu mir nichts«, schluchzte sie, »ich tue dir auch nichts.«
Das massige Wildtier wandte sich ab und fuhr fort zu weiden, als hätte es gar keine Notiz von der jungen rothaarigen Frau genommen.
Noch gegen Abend lag Sarah im Gras und lauschte dem Schmatzen, Blöken, Zupfen und Reißen um sich herum. Wenn sie irgendwo sicher vor den Banditen war, dann hier, so viel schien ihr sicher zu sein. Als es dann jedoch kühler wurde, machte sie sich klar, dass die Bisonherde irgendwann weiterziehen würde.
Um nach der glücklichen Rettung nicht doch noch unter die Hufe zu geraten, stand sie endlich auf, blickte über die Büffelrücken und -schädel hinweg und machte sich auf den Weg nach Westen. In dieser Richtung erschien ihr die Herde nur halb so breit wie auf den anderen Seiten.