Lassiter 2227 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2227 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Zwei Fremde traten in den Saloon. Morlock, der Wirt, hatte kein gutes Gefühl, als er sie sah. Die Männer zogen finstere Mienen und trugen die Colts griffbereit in ihren gewachsten Schnellzieh-Holstern. Sie stellten sich vor die Theke. Der Kleinere hatte ein Glasauge. Darin spiegelte sich das Licht der Petroleumlampe, die am Querbalken über dem Tresen hing. Der andere Mann legte seine behandschuhte Rechte auf die Theke. "Was wollen Sie trinken?", fragte Morlock. Der große Mann sah auf den kleinen. "Sag, was du haben willst, Japp." Der Kleine rieb sein gesundes Auge. "Das Gleiche wie du, Porky. Hauptsache, es ist Alkohol drin." Japp und Porky, dachte der Salooner. Ich fress 'nen Besen, wenn das nicht die Bankräuber aus Phoenix sind...

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Seitenzahl: 130

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhalt

Cover

Impressum

Brix, der Totengräber

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Boada/Norma

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-0996-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Brix, der Totengräber

Zwei Fremde traten in den Saloon. Morlock, der Wirt, hatte kein gutes Gefühl, als er sie sah. Die Männer zogen finstere Mienen und trugen die Colts griffbereit in ihren gewachsten Schnellzieh-Holstern. Sie stellten sich vor die Theke. Der Kleinere hatte ein Glasauge. Darin spiegelte sich das Licht der Petroleumlampe, die am Querbalken über dem Tresen hing. Der andere Mann legte seine behandschuhte Rechte auf die Theke.

»Was wollen Sie trinken?«, fragte Morlock.

Der große Mann sah auf den kleinen. »Sag, was du haben willst, Japp.«

Der Kleine rieb sein gesundes Auge. »Das Gleiche wie du, Porky. Hauptsache, es ist Alkohol drin.«

Japp und Porky, dachte der Salooner. Ich fress ’nen Besen, wenn das nicht die Bankräuber aus Phoenix sind.

Eine Gruppe Cowboys ritt auf der Straße vor dem Saloon entlang. Dicht hinten ihnen kam ein Leiterwagen in Sicht, sechs Fuß hoch mit Strohballen beladen. Wuchtig stemmten sich die mit Schlamm bespritzten Ochsen ins Geschirr. Ein schmächtiger Mann mit Bullpeitsche ging neben dem Fuhrwerk her. Er spähte durch die offenen Schwingtüren in den Saloon, erkannte den Wirt hinterm Schanktisch und hob grüßend den Hut.

Morlock winkte ihm zaghaft. Der Mann mit der Peitsche war Lefty, sein Schwager. Am liebsten hätte Morlock ihn hereingerufen. Wer war schon gern mit zwei Desperados allein?

»Gib uns Whiskey, aber keinen gepanschten«, sagte der Mann, der Porky genannt wurde.

»Bei mir gibt es keinen gepanschten Schnaps«, erklärte Morlock mit Nachdruck. Er nahm eine Flasche Bourbon aus dem Regal.

Die Männer auf der anderen Seite der Theke sahen sich an. »Denkst du, was ich denke, Porky?«, fragte Japp, der Einäugige.

Sein Kumpan nickte. »Er glaubt, wir ziehen uns die Hosen mit der Kneifzange an.«

»Genau das habe ich auch gedacht.« Japp richtete sein unversehrtes Auge auf den Wirt. »In jedem Saloon gibt es gepanschten Schnaps. Egal, ob man in Tombstone, Wichita oder El Paso ist. Die Salooner sind alle gleich, einer wie der andere: Geschäftemacher, nur auf ihren Profit bedacht. Wir kennen uns aus, Burrito.«

»Ich heiße nicht Burrito, ich heiße Morlock. John Morlock.«

»Erzähl keine Opern«, sagte Porky. »Schenk uns ein, aber ein bisschen flott. Oder willst du, dass wir verdursten?«

John Morlock war ein großer starker Mann mit harten Muskeln und sonnengebräuntem Teint. Er war schon in Esperanza gewesen, als der Ort noch ein winziges Dorf in den Hügeln des südlichen Arizona-Territoriums war. Alle Bewohner behandelten ihn mit Respekt. Burrito, also Esel, hatte noch nie jemand zu ihm gesagt.

In der Gegend gab es Hitzköpfe, die diese Beleidigung mit ihrem Sechsschüsser beantwortet hätten. Doch Morlock war ein ruhiger Geselle. In seiner Zeit als Gastwirt hatte er sich ein dickes Fell zugelegt. Dazu kam, dass er wusste, wen er vor sich hatte. Porky und Japp waren Gesetzlose, denen das Leben eines Menschen nichts bedeutete. Sie hatten in Phoenix eine Bank überfallen und einen Mann erschossen, um an Pferd und Wagen zu kommen. Morlock hatte von den Verbrechen in der Zeitung gelesen. Er war gewarnt. Bloß keine schlafenden Hunde wecken! Eine Auseinandersetzung mit den Banditen konnte böse Folgen haben.

»Er will, dass wir verdursten«, sagte Japp. »Wie findest du das, Porky?«

»Nicht sehr clever.«

»Ich mach ja schon.« Morlock zog den Korken aus der Flasche und schob sie über die blank polierte Tischplatte. Als er zwei Gläser danebenstellte, schnalzte Porky laut mit der Zunge.

»Straight Bourbon, Japp!«, rief er aus. »Echter Kentucky! Den trink ich am liebsten.«

Japp zog eine Grimasse und schenkte ein.

Morlock beobachtete die Männer. Japp beschnüffelte den Schnaps, als befürchtete er, vergiftet zu werden. Wenn sie jetzt sagen, ich hätte den Whiskey gepanscht, kann es brenzlig werden, dachte Morlock.

Für einen kurzen Moment verspürte er einen Druck im Magen. Wenn es hart auf hart kam, würde er den kürzeren ziehen. Zwar hatte er für alle Fälle einen Colt unter der Theke, aber Porky und Japp waren geübte Revolvermänner, und sie waren zu zweit.

Morlock seufzte. Es sah nicht gerade gut für ihn aus. Doch seine Bedenken verrauchten, als die Männer ihr Glas geleert hatten. Wie aus einem Mund atmeten sie entspannt und geräuschvoll aus.

Er wedelte eine lästige Fliege zur Seite. »Gut?«

»Gut«, bestätigte Japp und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.

»Gut«, echote Porky. Zum ersten Mal grinste er, aber nur ganz kurz. Dann zog er die Brauen zusammen. Er lehnte sich an die Theke und fasste Morlock fest ins Auge. »Wir sind auf der Suche nach einer Postkutsche«, sagte er. »Eine Abbott Downing, so ein Modell, wie es bei der Butterfield Company seinerzeit genutzt wurde, als Sechsspänner. Aber die Kutsche, hinter der wir her sind, ist nie für Butterfield gefahren, sondern gehörte zur C.O.L. – Condor Overland Line.«

Japp goss schon wieder ein. »Die Kalesche ist rot wie die Abendsonne«, sagte er. »Alle Wagen der C.O.L. sind rot wie die Abendsonne. Sie sind so auffällig wie Gürteltiere, die auf Stelzen laufen. Wenn so ein Vehikel mal in der Gegend war, muss es jemand gesehen haben.«

Morlock überlegte. »Die Strecke der Condor Overland führt nicht durch Esperanza«, fiel ihm ein.

»Das wissen wir.« Japp stellte die Flasche hin. »Wir wissen, dass die Haltestation drüben im alten Fort Sinclair ist.«

»Ja, das stimmt«, pflichtete Porky bei. »Japp und ich sind nicht auf den Kopf gefallen. Natürlich wissen wir, dass die Kutschen nicht durch Esperanza gondeln. Und überhaupt: Die Condor Overland ist längst pleite. Die Strecke wird nicht mehr bedient. Alle Kutschen wurden verkauft oder abgewrackt.« Er wartete einen Moment, ehe er fortfuhr. »Vielleicht ist irgendjemand aus Esperanza gerade drüben im Fort gewesen, als die rote Kalesche vorbeikam.«

Morlock zuckte mit den Schultern. »Das ist möglich. Warum nicht? Aber ich hab von keinem gehört, der drüben auf der Kutschenstation ’ne rote Gondel der Condor gesichtet hat.«

Japp sah in die Runde. Sein Auge glitt über die verwaisten Tische und Stühle. Eine Fliege landete auf seiner Nase und wurde mit einer raschen Handbewegung von ihm fortgewischt. »Kein Wunder, dass Sie von nichts ’ne Ahnung haben, Burrito«, sagte er zu Morlock. »In Ihrer Kneipe ist verdammt wenig los. Gibt es in Esperanza ein Etablissement, wo mehr Betrieb ist?«

»Ja, kann schon sein.«

»Reden Sie nicht drum herum«, knurrte Porky. »Wo finden wir den Laden?«

Morlock wies mit dem Daumen nach rechts. »Ein paar Häuser weiter, zwischen dem Telegrafenbüro und dem Eisenwarenhändler. Es ist ein Liquor Shop, der einem alten Lustmolch gehört: Randy Malone.«

Vor dem Saloon trabten Berittene vorüber. Ein lauter Peitschenschlag zerriss die Luft. Ein Pferd stieg auf die Hinterhand und wieherte. Der Reiter zwang es auf den Sidewalk. Die harten Aufschläge von Hufeisen dröhnten auf den Planken. Kurz darauf verklang der Lärm.

Japp sah seinen Spannmann an. »Vielleicht hat der Typ aus dem Liquor Shop die Kutsche gesehen? Wie hieß er doch gleich?«

»Malone«, antwortete Morlock. »Randy Malone.«

»Ich kannte mal einen Mick Malone, der konnte Home SweetHome auf dem Kamm blasen«, meinte Porky. »Das hörte sich gar nicht übel an. Besonders den Refrain kriegte er gut hin.« Er summte die Melodie leise an.

»Ja, Home Sweet Home ist ein schönes Lied«, bemerkte Morlock.

Japp blickte von einem zum anderen. »He, was soll das Gelabere?«

Porky wischte den Einwand beiseite. »Ich traf Mick Malone in Albuquerque, auf dem Pferdemarkt, vor ungefähr drei Jahren. Kann doch sein, dass er mit Randy Malone verwandt sein.«

»Ja«, sagte Morlock, »gut möglich. Warum sollten die Beiden nicht verwandt sein?«

»Sag ich doch.« Porky nickte zufrieden.

Japp drängte zur Eile. »Also los, statten wir diesem Malone einen Besuch ab. Vielleicht wissen seine Leute was von der roten Kutsche.« Er wühlte in seinen Taschen.

Porky trank sein Glas leer und setzte es hart ab. Dann zwängte er den Korken in die Flasche, nahm sie vom Tisch und schob sie in seine Tasche. Mit einem Ruck wandte er sich zum Gehen.

Japp warf eine Münze auf die Theke und folgte Porky auf die Straße.

Morlock trat an die Schwingtür. Aus schmalen Augen sah er zu, wie das ungleiche Paar zwei Pferde vom Zügelholm losbanden.

»Geht zum Henker«, murmelte er, als er sicher war, dass sie ihn nicht mehr hören konnten.

***

Brix glitt lautlos von der Pritsche, schlüpfte in die Kleider und huschte aus der Holzhütte ins Freie.

Der Friedhof vor Esperanza lag im Zwielicht der ersten Sonnenstrahlen. In der nahe gelegenen Stadt krähten hier und da die Hähne auf den Höfen. Auf dem Glockenturm der Friedhofskapelle hüpften Krähen herum.

Brix kniff schläfrig die Augen zusammen und reckte seine Glieder. Ihn fröstelte. Am liebsten wäre er in sein warmes Bett zurückgekehrt. Doch bei dem Gedanken an den aufgebahrten Toten in der Kapelle schüttelte er die letzte Müdigkeit von sich ab.

Jetzt oder nie!

Er blickte sich nach allen Seiten um. Dann pirschte er vorsichtig über den festgestampften Kiespfad zur Kapelle hinüber.

Die Tür war versperrt.

Für Brix kein Problem. Er verfügte über einen Schlüssel für das Haus, denn als Totengräber war er eine Vertrauensperson.

Er schloss auf und trat in den großen, muffigen Raum mit den hölzernen Sitzbänken, dem Taufbecken aus Granitstein und dem aufgebahrten Leichnam. Der Tote war Derek Frost, den vorgestern mitten auf der Plaza der Schlag getroffen hatte.

Durch ein schmales, hohes Fenster fiel ein Lichtstreifen auf die Bahre mit dem Toten. Die Leiche war bis über den Kopf mit einem weißen Tuch aus Leinen abgedeckt.

Brix hatte danebengestanden, als die Bestatter dem Toten die Hände auf der Brust gefaltet hatten. Dabei hatte er den Ring auffunkeln sehen. Der Goldreif befand sich am Mittelfinger von Frosts linker Hand. Ein grünlich schimmernder Edelstein, wahrscheinlich ein Smaragd, schillerte daran.

Diesen Ring wollte Brix stehlen.

Wenn ihm der Coup gelang, wäre er mit einem Schlag all seine Geldsorgen los. Mit den paar Bucks, die er als Friedhofsarbeiter verdiente, kam er nur mühsam über die Runden. Max Goddard, der Gambler, hatte ein Auge auf das Kleinod geworfen. Er war bereit, eine Stange Geld für den Ring zu berappen. Warum, das wusste Brix nicht, aber im Grunde war ihm das auch egal, denn das Einzige, was für ihn zählte, war die Belohnung.

Er tappte an den akkurat ausgerichteten Sitzreihen vorbei bis zu dem Taufbecken. Von der letzten Namensweihe war noch ein wenig Wasser darin übrig geblieben. Im Schein der durchs Fenster eindringenden Sonne glitzerte es wie flüssiges Silber.

Im Vorbeigehen spritzte sich Brix eine Handvoll Wasser ins Gesicht. Die kalte Nässe erfrischte ihn. Sein Herz schlug ein paar Takte schneller.

Er war an der halbhohen Trennwand, hinter der die Bahre mit dem Toten stand, angekommen.

Ein unangenehmer Geruch stieg ihm in die Nase.

Brix ignorierte ihn. Als Totengräber war er schon mit ganz anderen Gerüchen konfrontiert worden. Er umrundete den Raumteiler und stellte sich ans Kopfende der Bahre. Irgendwo vom Dach erklang das Krächzen der Krähen. Brix hob den Blick und starrte sekundenlang auf das mannshohe Kruzifix über dem Altar.

Schließlich senkte sich sein Blick auf die Bahre.

Durch das Tuch zeichnete sich schemenhaft das Profil des Verblichenen ab. Derek Frost war ein adlernasiger Mann mit energischem Kinn und hohen Wangenknochen gewesen. Die Leute hatten ihn gemieden wie das Feuer. Viele fürchteten sich vor ihm, weil er brutal, gnadenlos und selbstsüchtig sein konnte. Ein Wort von ihm und man war weg vom Fenster. Ein Schmiedegeselle, den sie Noodles nannten, hatte sich einmal mit Frosts Tochter Joana geküsst. Jemand hatte die Liebelei beobachtet und an die große Glocke gehängt. Kurz darauf war der arme Noodles von Unbekannten halbtot geschlagen worden. Tagelang musste er im Lazarett von Fort Sinclair das Bett hüten. Als er wieder laufen konnte, verschwand er aus Esperanza, ohne Abschied.

Brix verharrte eine Weile, ohne sich zu rühren. Obwohl er wusste, dass von Frost nichts mehr zu befürchten war, war ihm ganz flau in der Magengegend.

Ein Tagtraum überkam ihn: Er sah den lebendigen Derek Frost, wie er in seinem besten Anzug über die Plaza von Esperanza stolzierte. Die Männer, denen er begegnete, lüfteten ehrerbietig die Hüte. Ein kleines Mädchen mit blonden Zöpfen machte einen Knicks, der wie ein Kratzfuß aussah. Frost hob seine Hand, als wäre er ein römischer Feldherr, der seine Legionen inspizierte. Giftgrün blinkte der Smaragd an seinem Finger.

Ganz in der Nähe piepsten Mäuse.

Brix kam zu sich. Die Vision verblasste. Er warf einen Blick über die Sitzreihen zur Seitentür. Niemand zeigte sich. Doch in Bodennähe nahm er eine Bewegung wahr. Zwei Mäuse tippelten in höchster Eile an der Wandleiste entlang und verschwanden in einem Mauerschlitz.

Brix griff nach dem Tuch, das das Gesicht des verstorbenen Geschäftsmannes verhüllte. Ganz langsam schob er es tiefer. Stück für Stück kam der Kopf des Toten zum Vorschein. Das Haar, die Stirn, die geschlossenen Augen, die gekrümmte Nase, die zusammengepressten Lippen, das vorspringende Kinn.

»Howdy, Derek«, raunte Brix.

Eine Fliege summte herbei und setzte sich auf die Stirn des Leichnams. Brix sah zu, wie das Insekt dem Toten über das Gesicht lief. Sein Herz pochte vor Aufregung. Als die Fliege die Spitze der Nase erklommen hatte, scheuchte er sie weg. Er fasste das Tuch mit beiden Händen und schlug es um.

Die gefalteten Hände des Toten wurden sichtbar.

Derek Frosts Finger waren unberingt.

Alle.

Brix prallte zurück. Er stieß einen erstickten Schrei aus, als er die Bescherung sah.

Der Ring war fort!

Jemand war ihm zuvorgekommen.

Er merkte, wie er in Panik geriet. Sein Atem ging stoßweise, als hätte er einen Sprint hinter sich. Mit zittrigen Händen warf er das Tuch über den Leichnam und zog es glatt. Dann wandte er sich ab. Mit Füßen, die schwer wie Steine schienen, taumelte er dem Ausgang entgegen.

Tod und Teufel! In seinem ganzen Leben war er noch nie so enttäuscht gewesen.

Damit war der Deal mit Max Goddard geplatzt.

Verdammt! Brix war verzweifelt. Ohne die erhoffte Finanzspritze des Berufsspielers würde er sich diese Woche nicht mal mehr etwas zu essen kaufen können. Er hatte nur noch ein paar lausige Cent in den Taschen.

Mehr tot als lebendig tappte Brix zu seiner Hütte zurück. Früher war das kleine Holzhaus ein Schuppen für die Arbeitsgeräte der Friedhofsarbeiter gewesen. Spaten, Handwagen, Spitzhacke, Eimer und vieles mehr. Brix hatte seinen ersten Lohn für einen Anbau und die Renovierung des Schuppens ausgegeben. Nach einigem Hin und Her hatte er vom Town Mayor die Erlaubnis erhalten, die Hütte dauerhaft zu bewohnen.

An der Vordertür angelangt, blieb Brix stehen. Nachdenklich legte er die Hand auf den Knauf. Er fragte sich, wer ihm da wohl zuvorgekommen war. Gestern Abend war der Ring noch am Finger des Toten gewesen. Darauf hätte er jeden Eid geschworen. Also musste nachts jemand in der Kapelle gewesen sein. Spuren eines Einbruchs waren nicht vorhanden. Also war’s jemand mit Schlüssel.

Brix dachte scharf nach. Wer besaß einen Schlüssel? Da kamen außer ihm nur noch zwei Menschen in Frage: Chad Forrester, der Bürgermeister, und Reverend Giles, der Pfarrer der Gemeinde.

Einer von beiden musste der freche Dieb sein.

Bei der Vorstellung daran kam Brix ins Grübeln. Giles, Forrester – Langfinger? Bei Lichte besehen, traute er weder dem einen noch dem anderen einen solch frechen Diebstahl zu.

Mit einem Ruck schob er die Tür auf und trat über die Schwelle. Mitten in der Bewegung verharrte er. »Halt! Stopp!« Er atmete tief durch.

Da gab es noch eine dritte Möglichkeit: Sie hieß Joana Frost und war die Tochter des Verstorbenen. Möglich, dass das Mädchen vom Reverend den Schlüssel erbeten hatte, um sich am Abend von ihrem Vater zu verabschieden. Bei der Gelegenheit hatte sie ihm das Schmuckstück vom Finger gezupft.