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Dwight Ellis keuchte und schwitzte. Er peitschte seinen Rappen über den schmalen staubigen Pfad, schaute mehrmals gehetzt über seine Schulter, nur um sich zu vergewissern, dass sein Verfolger ihm immer noch an den Fersen klebte.
Das Herz pochte Ellis bis zum Hals. Er wusste, dass er seinen Jäger nicht abschütteln konnte. Hundert Meilen war der Fremde von Santa Fé aus seiner Fährte gefolgt und der Abstand hatte sich zunehmend verringert. Jetzt würde er ihn bald eingeholt haben - und einer von ihnen würde diese Begegnung mit dem Leben bezahlen!
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2015
Cover
Impressum
Der Killer ohne Gesicht
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-1542-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Killer ohne Gesicht
Dwight Ellis keuchte und schwitzte. Er peitschte seinen Rappen über den schmalen staubigen Pfad, schaute mehrmals gehetzt über seine Schulter, nur um sich zu vergewissern, dass sein Verfolger ihm immer noch an den Fersen klebte.
Das Herz pochte Ellis bis zum Hals. Er wusste, dass er seinen Jäger nicht abschütteln konnte. Hundert Meilen war der Fremde von Santa Fé aus seiner Fährte gefolgt und der Abstand hatte sich zunehmend verringert. Jetzt würde er ihn bald eingeholt haben – und einer von ihnen würde diese Begegnung mit dem Leben bezahlen!
Lassiter war die Ruhe selbst. Er hatte Hunderte von Ellis’ Sorte zur Strecke gebracht. Dennoch durfte er den Mann nicht unterschätzen. Laut Steckbrief war er ein unberechenbarer Killer, der einen Richter und einen US-Marshal getötet hatte. Gute Voraussetzungen, um auf die Liste der Brigade Sieben zu kommen.
In Santa Fé hatte Lassiter neue Anweisungen erhalten und sich unverzüglich auf Ellis’ Spur gesetzt. Der Flüchtige hatte ihn gleich am ersten Tag bemerkt und versucht, seine Fährte zu verwischen. Lassiter musste zugeben, dass Ellis ihn tatsächlich ein paar Mal in die Irre geführt hatte, aber auf Dauer gab es für den Mörder kein Entrinnen.
Aus der Ferne beobachtete Lassiter, dass Ellis sein Pferd vom Trail zwischen die Felsen führte. Der Kerl wollte sich dort verschanzen und auf eine Gelegenheit warten, Lassiter aus dem Hinterhalt zu erschießen.
Der Mann der Brigade Sieben zügelte seinen Grauschimmel und blieb hinter einem Felsvorsprung stehen. Mit der Rechten beschattete er seine Augen und betrachtete das Gelände.
Keine tausend Fuß entfernt hatte Ellis den Pfad verlassen. Zu Pferd würde er nicht weit kommen, ohne dass das Tier sich auf dem steinigen, zerklüfteten Untergrund die Beine brach. Lassiter konnte sich also Zeit lassen und genau planen, wie er den Kerl am besten überwältigte.
Er versetzte den Grauschimmel in leichten Trab und zog instinktiv den Kopf ein, als das Donnern eines Schusses ertönte. Geschmeidig glitt er aus dem Sattel, ging in die Hocke und drängte sein Pferd in den Schutz des Felsvorsprungs zurück.
»Ich jag dir ’ne Kugel in den Kopf!«, rief Dwight Ellis. Seine Stimme war weithin hörbar und brach sich als Echo an den Felswänden. »Bleib mir vom Leib, Kopfgeldjäger, oder du wirst es bitter bereuen!«
Lassiters Handfläche legte sich auf den Griff seines Remington. Kurz blickte er zum Scabbard mit der Winchester, verwarf den Gedanken aber wieder, zum Gewehr zu greifen. Auf diese Distanz hatte es zwar eine bedeutend höhere Treffsicherheit, doch wenn Ellis nicht aus seinem Versteck herauskam, würde er lediglich wertvolle Munition vergeuden. Außerdem hatte Lassiter keineswegs vor, den Mann aus der Ferne zu erledigen. Er wollte ihn lebend haben und vor ein ordentliches Gericht stellen lassen.
»Gib gefälligst Antwort, wenn ich mit dir rede!«, krakeelte Ellis.
Unbeeindruckt richtete sich Lassiter auf und trat ins Freie. Die Stelle, an der Dwight Ellis untergetaucht war, hatte er sich genau gemerkt.
Der Killer stieß ein abgehacktes Lachen aus, als er seinen Colt auf Lassiter abfeuerte. Unter lautem Donnerhall peitschten vier Schüsse durch die Luft.
Lassiter zeigte keine Regung und stand wie ein steinernes Monument in der sengenden Mittagshitze. Bereits beim ersten Schuss hatte er herausgehört, dass sein Gegner einen Peacemaker mit kurzem Lauf verwendete. Auf eine Entfernung von dreißig bis vierzig Yards sicher eine gute Waffe, bei der sechsfachen Distanz aber nahezu unbrauchbar.
Demonstrativ zog Lassiter seinen Remington aus dem Holster und drehte unter leisem metallischen Klicken die Trommel.
»Ich komme dich jetzt holen!«, rief er rau.
Zwei Sekunden später war er ebenfalls zwischen den Felsen untergetaucht.
Katzengleich bewegte sich Lassiter über das unwegsame Gelände. Fast geräuschlos pirschte er sich vor, achtete auf jeden Laut und hielt nach allen Seiten Ausschau. Dwight Ellis würde kaum untätig abwarten, bis sein Häscher ihn in seine Gewalt bekam, und seinerseits versuchen, ihm eine Falle zu stellen.
Unter Lassiters Stiefeln bröckelte Gestein. Bevor er stürzen konnte, warf er sich zur Seite und fand an einem Felsblock Halt. Die Finger seiner linken Hand krallten sich in die Gesteinsfurchen, konnten jedoch nicht verhindern, dass er daran abglitt. Ein Stück weit rutschte er in die Tiefe, riss loses Geröll mit sich und kämpfte um seine Balance. Als er wieder festen Grund unter den Füßen hatte, lauschte er dem Hall des losgetretenen Schotters nach.
Irgendetwas stimmte nicht.
Instinktiv warf er sich zu Boden, hörte eine Kugel dicht an seinem Kopf vorbeipfeifen und feuerte noch im selben Augenblick auf die schattenhafte Gestalt, die sich im gleißenden Gegenlicht der Sonnenscheibe abzeichnete.
Sofort rollte sich Lassiter zur Seite, gab einen weiteren ungezielten Schuss ab und brachte sich hinter einem Felsen in Sicherheit.
Das war knapp! Lassiter verwünschte sein Malheur. Durch den kleinen Erdrutsch war das Überraschungsmoment dahin. Der Killer wusste nun genau, wo er steckte. Und offenbar hatte er seine Taktik geändert, denn statt Lassiter zu verhöhnen und ihn herauszufordern, verhielt sich Dwight Ellis still.
Vier Patronen hatte Lassiter noch in der Trommel, vermied es aber, durch das Nachladen verräterische Geräusche zu erzeugen. Stumm und reglos wartete er, bereit, jeder Finte des Gejagten reaktionsschnell zu begegnen.
Die Nervenprobe begann. Und es zeigte sich rasch, dass Dwight Ellis ihr nicht gewachsen war.
Statt seinen Feind lautlos zu umkreisen, wollte er mit Gewalt eine Entscheidung erzwingen. Lassiter hörte, wie er hektisch eine Anhöhe hinaufkletterte, die sich gegenüber seines Unterschlupfes befand. War Ellis erst dort oben, würde er keine Deckung mehr haben, sodass sein Gegner ein fröhliches Tontaubenschießen veranstalten konnte.
Ohne zu zögern sprang Lassiter auf und riss den Remington in die Höhe.
Keinen Augenblick zu früh.
Schon hatte Dwight Ellis die Spitze der Anhöhe erreicht, den Colt vorgestreckt und den Finger am Abzug.
Beide Revolver krachten im selben Sekundenbruchteil.
Mit einem erstickten Aufschrei wurde Ellis zurückgeworfen und verschwand hinter der Felskuppe. Polternd stürzte er den kleinen Abhang hinab und prallte hart zu Boden.
Lassiter machte mehrere ausgreifende Schritte und kleine Sprünge, umrundete den Felsen und richtete seinen Revolver auf Ellis’ Brust. Röchelnd lag der Mann auf dem steinigen Untergrund. Das Hemd über seiner rechten Schulter war blutdurchtränkt, und seinem Arm fehlte die Kraft, den Peacemaker anzuheben und auf Lassiter zu schießen. Zitternd wollten seine Finger den Colt weiterhin umklammern, doch er konnte nicht verhindern, dass die Waffe ihnen entglitt.
»Was jetzt, Kopfgeldjäger?«, presste Ellis hervor und stemmte sich in eine halb sitzende Haltung.
»Du wirst tot oder lebendig gesucht«, erwiderte Lassiter kalt. »Mir ist es lieber, dich lebend abzuliefern. Die Entscheidung liegt aber ganz bei dir.«
Dwight Ellis gab ein meckerndes Lachen von sich. »Du bist ’n ganz harter Kerl, ja?«, sagte er höhnisch, hustete und sprach weiter. »Bedrohst einen Wehrlosen mit deinem Schießeisen. Hast du immer noch Angst vor mir?«
»Steh auf und hol dein Pferd.« Lassiter wedelte mit dem Pistolenlauf. »Ist noch ein weiter Ritt bis Las Cruces.«
»Las Cruces. Aha.« Wieder lachte Ellis. »Von da ist es nur ’n Katzensprung bis zum nächsten mexikanischen Bordell.« Ächzend kam er auf die Beine und wankte auf Lassiter zu. »Willst wohl meine Galgenprämie bei Tequila und billigen Huren auf den Kopf hauen.«
»Dafür sind Aufwandsentschädigungen doch da«, sagte Lassiter und ließ seinen Gefangenen keinen Lidschlag aus den Augen.
Plötzlich krümmte sich Ellis wie unter Krämpfen. Die Sonne, die er mit seinem Körper verdeckt hatte, stach Lassiter in die Augen und blendete ihn für eine Sekunde.
Mehr Zeit aber benötigte der Killer nicht.
Wie einen Dreschflegel ließ Ellis seinen verletzten Arm auf Lassiter niedersausen, während er blitzschnell mit der linken Hand in seinen Hosenbund griff, um einen Knuckleduster hervorzuziehen.
Im selben Moment ertönte ein Schuss und Ellis brach mit einem erstickten Aufschrei zusammen.
Unbeabsichtigt hatte Lassiter seinen Revolver durch den Schlag ausgelöst und die Kugel Dwight Ellis aus unmittelbarer Nähe durchs Herz gejagt.
Schweigend steckte Lassiter den Remington ins Holster zurück, holte den Rappen des Toten und hievte die Leiche über den Sattel.
Neunzig Meilen trennten ihn noch von Las Cruces. Mehr als einen Tag würde er nicht benötigen, die Stadt zu erreichen.
Der einsame Reiter, der die Geschehnisse von weitem beobachtet hatte, entging seiner Aufmerksamkeit.
***
Las Cruces war eine kleine friedliche Stadt etwa dreißig Meilen von der mexikanischen Grenze entfernt. Seit ein paar Tagen jedoch war es mit der Ruhe vorbei, denn außerhalb der Stadtgrenze gab es eine Menagerie zu bestaunen, die mit allerlei Akrobatik und Kuriositäten aufwartete.
Neben einer Wanderbühne, auf der Schauspiele und Tänze vorgeführt wurden, sah man ein kleines Zelt, in dem gegen Eintritt »absonderliche Menschen« zur Schau gestellt wurden. Von der Schlangenfrau, die sich verbiegen konnte, als hätte sie nicht einen einzigen Knochen im Leib, bis zu »Monstroso«, der sechs Finger an jeder Hand und abschreckende Gesichtsverformungen besaß, wurde eine Menge geboten.
David »Bullwhip« Brannon interessierten diese Darbietungen nicht sonderlich. Er war selbst Schausteller und musste um jeden Dollar kämpfen. Sein ganzer Stolz waren seine beiden Söhne Gary und Jack, die er von klein auf in Peitschenkünsten trainiert hatte. Mittlerweile waren sie so gut wie »Bullwhip« Brannon zu seinen besten Zeiten.
Aber das Geschäft lief nicht sonderlich gut, seit es die Menschen in die großen Städte drängte, in denen seit geraumer Zeit riesige Zeltkuppeln die Massen beherbergten und exotische Tiere sowie Akrobaten aus aller Herren Länder dem zahlenden Publikum vorgeführt wurden. Dort hatte er keine Chance, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und war gezwungen, durch die Kleinstädte zu tingeln. Gerne hätte er seinen Söhnen ein besseres Leben geboten, doch ihm fehlte der rechte Schwung, sich höheren Zielen zu widmen. Seit seine Frau vor einigen Jahren an einer Lungenentzündung gestorben war, hatte Brannon einen Teil seines Lebensmutes eingebüßt und seinem ältesten Sohn Jack das Geschäft überlassen. Er selbst kümmerte sich nur noch um die Finanzen und sorgte dafür, dass stets ausreichend Whiskey vorrätig war.
Tosender Applaus und laute Jubelrufe rissen ihn aus seinen Gedanken. Sein Jüngster Gary hatte als Höhepunkt seiner Vorführung dem älteren Bruder nacheinander drei brennende Zigaretten aus dem Mund geschlagen, und das mit einer mehr als vier Meter langen Peitsche. Das Kunststück war nicht ungefährlich und Gary musste sich enorm konzentrieren, um Jack keine Verletzungen zuzufügen. Die Bullenpeitsche war aufgrund ihres starren Knaufs schwer zu handhaben; der Lederriemen konnte bei kraftvoller Führung tiefe Fleischwunden verursachen.
»Hey, Dad!«, rief Gary. »Hast du’s gesehen?«
Brannon nickte. »Gut gemacht, Junge!«, rief er zurück.
Das Publikum zerstreute sich. Gary winkte seinem Vater zu und umarmte danach seinen Bruder.
»Wir sehen uns morgen, Großer«, raunte er Jack zu. »Ich habe noch eine Verabredung.«
»Viel Spaß!« Jack klopfte Gary auf die Schulter und blinzelte hinüber zu ihrem Fuhrwerk. Kathleen Hershey, ein junges Ding, das als Verkäuferin in der Town arbeitete, lehnte an der Deichsel und zeigte ein begeistertes Lächeln. Gary sah nun ebenfalls zu ihr hinüber, und Kathleen klatschte noch einmal sehr leise und nur für ihn in die Hände, um ihm im Anschluss einen Kussmund zuzuwerfen.
»Die Kleine ist ja ganz verrückt nach dir«, meinte Jack grinsend. »Wie hast du sie in der kurzen Zeit, die wir hier sind, bloß rumgekriegt?«
Jetzt war es Gary, der ein breites Grinsen zeigte. »Noch habe ich sie nicht ins Bett bekommen«, meinte er, »aber heute ist die Nacht der Nächte.«
»Viel Erfolg!«, rief Jack seinem Bruder hinterher, der bereits zum Wagen hinüberlief.
»Du warst große Klasse!«, empfing Kathleen ihren Freund und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
»Habe ich nicht ein bisschen mehr verdient?« Gary blickte sie auffordernd an.
»Alles zu seiner Zeit«, wies ihn das Mädchen zurück und legte ihm abwehrend die Fingerkuppen auf die gespitzten Lippen. »Wir kennen uns gerade mal zwei Tage.«
»Und ich kenne eine Menge Küken, die schon nach zwei Stunden wesentlich dankbarer gewesen sind.«
Kathleens Miene verdunkelte sich ein wenig.
»Mir ist klar, dass du viel herumkommst«, sagte sie kühl, »aber das ist für mich kein Grund, gewisse Dinge zu überstürzen.«
Gary spürte die Blicke seines Bruders förmlich im Nacken und konnte keinesfalls den Schwanz einziehen, nachdem er so große Töne gespuckt hatte. Wenn Kathleen sich vor aller Augen zickig zeigte, würde sie ihn vor Jack lächerlich machen.
»Machen wir die Stadt unsicher, Süße«, wagte Gary einen erneuten Vorstoß. »Ich habe ein paar Dollar, die unters Volk gebracht werden wollen.« Beherzt legte er einen Arm um Kathleens Schultern, und das Mädchen ließ es geschehen.
Kurz darauf sattelte der junge Mann eines der Zugpferde, schwang sich hinauf und zog seine Freundin hoch, sodass sie hinter ihm Platz nehmen konnte.
»Auf geht’s, Babe!« Gary gab dem Braunfalben die Sporen und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass Kathleen ihre Arme um seine Hüften schlang.
Sie ritten in die heraufziehende Dämmerung.
***
Gemächlich trottete Lassiters Grauschimmel über die Mainstreet von Las Cruces. Der Mann der Brigade Sieben störte sich nicht an den erschreckten Ausrufen der Passanten, die auf den angeleinten Rappen mit der Leiche starrten und unverzüglich schnellen Schrittes weitergingen. Er war erschöpft, wollte den Toten rasch beim Sheriff abliefern und in irgendeinem Hotel ausschlafen.
Lassiter brauchte nicht lange nach dem Office des County Sheriffs zu suchen. In der Town gab es nur wenige öffentliche Gebäude. Und nur vor einem einzigen saß ein Mann gemütlich in einem Lehnstuhl, eine Rifle über den Knien und einen Stern an der Brust.
Noch bevor Lassiter aus dem Sattel steigen konnte, wurde der Mann auf ihn aufmerksam, musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen, erhob sich schwerfällig und schlenderte über den Boardwalk zur Straße. Dort blieb er stumm stehen, jede Bewegung Lassiters argwöhnisch verfolgend. Das Gewehr hielt er fest in beiden Händen.
Ohne Eile leinte Lassiter sein Pferd an.
»Ich bringe Ihnen einen Kerl, auf dessen Kopf dreitausend Dollar ausgesetzt sind«, sagte er und zog den Steckbrief aus seiner Westentasche hervor.
»Ein Prämienjäger also«, erwiderte der Sheriff mit sonorer Stimme und setzte seine Musterung fort. Als er geendet hatte, meinte er: »Leute wie Sie ziehen Ärger an. Und Ärger kann ich auf den Tod nicht ausstehen.«
Der Mann war um die fünfzig, schätzte Lassiter. Allerdings konnte der Eindruck täuschen. Das wettergegerbte Gesicht des Sheriffs mochte ihn älter erscheinen lassen, als er in Wirklichkeit war.
»Ich halte mich nicht länger als nötig in Las Cruces auf. Höchstens zwei oder drei Tage.«
»Haben Sie auch einen Namen?«
Lassiter nannte ihn.
»Steve Wakeland«, stellte sich der Sheriff vor. »Und das sage ich Ihnen nur, damit Sie wissen, wer Ihnen in den Hintern tritt, falls Sie auf Streit aus sind.«
»Ich suche keinen Streit. Nur ein Bett.«
»Sie haben die Dollars vergessen«, versetzte Wakeland missmutig. »Die wollen Sie doch sicher auch einstreichen, oder?«
»Vergessen Sie das Geld. Ich arbeite wie Sie für eine Bundesbehörde.« Mehr konnte und wollte Lassiter zu diesem Thema nicht sagen.
»Wie ein Marshal sehen Sie nicht aus«, blieb Wakeland hartnäckig. »Können Sie sich ausweisen?«
»Ist das denn nötig?«, konterte Lassiter. »Ich bringe Ihnen einen gesuchten Mörder und verlange nichts als Gegenleistung. Das sollte Ihnen genügen.«
»Immer langsam, Sohn! Ich habe nicht zum ersten Mal mit schrägen Gestalten zu tun. Aber ich habe immer dafür gesorgt, dass die Bürger dieser Stadt ruhig schlafen können, ganz gleich, wie viele betrunkene Raufbolde und Pistoleros über die Grenze schleichen. Da ich ein Mann offener Worte bin, sage ich Ihnen: Sie gefallen mir nicht!«
»Sie werden mich schnell wieder los.« Allmählich ging der Sheriff Lassiter gehörig auf die Nerven. »Wo kann ich ein einfaches Zimmer zum Übernachten finden?«
»Southern Pride«, antwortete Wakeland knapp und deutete die Straße hinunter.
Das genügte Lassiter. Er leinte den Rappen des Toten ab und hielt dem Sheriff die Zügel hin. »Der ist für Sie.«
Wakeland blickte eisig, machte jedoch keine Anstalten zuzugreifen. »Schlafen Sie tief und lange, Mister Lassiter. Vor allem lange. Denn ich habe das Gefühl, dass Sie sämtliche Schmeißfliegen im weiten Umkreis anziehen, sobald Sie Ihre Visage auf der Straße zeigen.«
***
An diesem Abend war Gary Brannon ausgelassen wie selten. Bereits während des Ritts hatte er sich übermütig gezeigt und alles daran gesetzt, Kathleen mit seinen Peitschenkunststücken zu beeindrucken. In vollem Galopp hatte er einzelne Blätter und Blütenrispen von Yucca-Bäumen abgeschlagen, sodass die Vierundzwanzigjährige sich bald darauf den Spaß erlaubt hatte, ihrem Freund Ziele vorzugeben. Einmal wollte sie vor Begeisterung in die Hände klatschen und wäre dabei fast vom Pferd gefallen. Daher beschränkte sie ihre Beifallsäußerungen auf laute Jubelrufe.