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Ein nebliger Dunst lag über der Farm. Bis in die frühen Morgenstunden hatte sich ein Unwetter mit solcher Gewalt über dem kargen Land entladen, als würde Gott für das Armageddon proben. Die Erde war jedoch durch die monatelange Dürre hart wie Schieferstein und konnte die Sturzfluten nicht aufnehmen, sodass das Regenwasser knietiefe Teiche bildete. Aber der Regen war nicht die einzige Flüssigkeit, die in der Sonne verdunstete.
Der Wallach blähte die Nüstern und hob nervös den Kopf. Er witterte das Blut.
"Ruhig, Brauner", murmelte sein Reiter und tätschelte dem Tier beruhigend den Hals. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als er seinen Blick über das Massaker schweifen ließ.
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Seitenzahl: 145
Veröffentlichungsjahr: 2015
Cover
Impressum
Lassiter und die Schakale
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-1543-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Lassiter und die Schakale
Ein nebliger Dunst lag über der Farm. Bis in die frühen Morgenstunden hatte sich ein Unwetter mit solcher Gewalt über dem kargen Land entladen, als würde Gott für das Armageddon proben. Aber die Erde war durch die monatelange Dürre hart wie Schieferstein und konnte die Sturzfluten nicht aufnehmen, sodass das Regenwasser knietiefe Teiche bildete. Doch der Regen war nicht die einzige Flüssigkeit, die in der Sonne verdunstete.
Der Wallach blähte die Nüstern und hob nervös den Kopf. Er witterte das Blut.
»Ruhig, Brauner«, murmelte sein Reiter und tätschelte dem Tier beruhigend den Hals. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als er seinen Blick über das Massaker schweifen ließ.
Durch sanften Druck seiner Schenkel nötigte er das widerstrebende Pferd, sich durch das halb verfallene Tor der Farm zum Wohnhaus zu bewegen. Der Wallach schritt vorsichtig an zwei Leichen vorbei, die mit grotesk verrenkten Gliedern links und rechts hinter dem Tor an ausgemusterten Wagenrädern lehnten wie betrunkene Wächter.
Weitere Tote säumten den Weg. Der Reiter zählte ein halbes Dutzend mexikanische Landarbeiter, die hier erst vor kurzem den Tod gefunden hatten. Und selbst ein schneller Blick genügte, um festzustellen, dass sie nicht schmerzlos gestorben waren.
Der Mann nahm jedes Detail in sich auf, ohne dabei die sanft ansteigenden Hügel im Westen aus den Augen zu lassen, obwohl er nicht glaubte, dass die Mörder noch in der Nähe waren.
Es war offensichtlich, dass er zu spät gekommen war.
Viel zu spät.
Er glitt aus dem Sattel und band die Zügel an einen mit Blut bespritzten Pfeiler, der windschief vor der Terrasse des Farmhauses in den Boden gerammt worden war. Sein Blick fiel auf die Geier, die am Himmel über den Hügeln bereits ihre Kreise zogen. Missbilligend verzog er das Gesicht und griff unter den zerschlissenen Poncho. Der Wallach zuckte nur ein wenig, als er das Zündholz an der Satteltasche anriss und sich einen Zigarillo ansteckte, um den Geruch des Todes zu überdecken. Ein weiteres Mal ließ er einen aufmerksamen Blick in die Runde schweifen. Doch hier war niemand mehr, der ihm gefährlich werden konnte. Trotzdem zog er den Remington aus dem Holster und wappnete sich, bevor er das Farmhaus betrat.
Das Licht der Morgensonne tauchte den Raum, der gleichermaßen als Wohnzimmer und Küche gedient hatte, in ein diffuses Licht. Tanzende Staubpartikel stritten mit Schmeißfliegen um die Lufthoheit. Die Einrichtung war bescheiden, ihre Bewohner hatten dem Farmland keinen großen Wohlstand entlocken können. Aber die liebevoll bestickten Kissen, der Strauß aus Trockenblumen auf dem Fensterbrett und die blank geputzten Töpfe verrieten, dass hier eine glückliche Familie das Beste aus ihrem Leben gemacht hatte.
Jennifer war die Erste, die er entdeckte. Was nicht schwierig war, da sie mitten auf dem Küchentisch lag. Ihr hübsches Kleid mit den blauen Spitzen hatten die Mörder grob zerrissen und bis zur Taille hochgeschoben. Doch das Schlimmste an ihrem Anblick war, dass man sie skalpiert hatte.
Mit einer resignierten Geste schob der Mann den Revolver in das Holster zurück. »Mein Gott, Jennifer«, murmelte er.
Behutsam hob er ihren Leichnam empor und registrierte dabei, dass die Totenstarre noch nicht eingesetzt hatte. Offenbar war es vorbei gewesen, bevor die Sonne hinter dem Horizont erschienen war.
Er trug sie zu dem kleinen Sofa in der Ecke und legte sie sanft ab, bevor er ihr die Augen schloss.
Ein paar Augenblicke verstrichen, bevor er so weit war, die anderen Räume zu untersuchen.
Ihren Mann – Alan – fand er im angrenzenden Schlafzimmer. Sie hatten ihm die Kehle durchgeschnitten, und auch er war skalpiert worden.
Die Leichen der Zwillinge lagen in inniger Umarmung hinter dem Haus.
Welche Tiere in Menschengestalt waren zu so etwas fähig?
Gerade wollte der Mann sich den Stallungen zuwenden, als er hörte, wie direkt hinter ihm der Hahn einer Schrotflinte zurückgezogen wurde und klickend einrastete.
»Keine Bewegung, Mister! Oder Sie sind tot!«
Betont langsam hob er die Hände. Die zitternde Stimme hinter ihm verriet, dass sein Gegner noch Jahre davon entfernt war, erwachsen zu sein. »Okay, Junge. Ganz ruhig. Ich bin ein Freund …«
»Den Revolver! Nehmen Sie ihn raus und auf den Boden damit.« Die Stimme schwankte immer noch, aber sie klang auch entschlossen. Der Mann zuckte die Achseln und griff nach seiner Waffe.
»Nein! Mit der linken Hand. Und dann ganz langsam umdrehen!«
Er gehorchte. Der Remington fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den staubigen Boden. Als er sich umwandte, erblickte er einen vielleicht zwölfjährigen Indio-Jungen, der eine doppelläufige Parker Gun auf ihn richtete. Der magere Bursche hatte Mühe, die schwere Waffe in der Waagerechten zu halten.
Der Mann richtete seine Handflächen in einer beruhigenden Geste nach vorn. »Hör zu, Kleiner. Ich bin ein alter Freund von Jennifer Bowie. Sie hat mich um Hilfe gebeten. Ich habe mit den Verbrechern nichts zu tun.«
Der Blick des Jungen flackerte ein wenig. Vielleicht war es der Sohn von einem der Landarbeiter oder einfach nur ein Streuner, der zur falschen Zeit am falschen Ort Zuflucht gesucht und Glück im Unglück gehabt hatte, weil er der Mörderbande entgangen war.
»Sie sind … sind Sie Lassiter?«
Überrascht hob der Mann der Brigade Sieben die Augenbrauen. »In voller Größe, mein Junge«, antwortete er. »Und wenn wir schon dabei sind, wüsste ich ganz gern, wer du bist.«
***
»Verdammt noch mal, wo bleibt mein Kaffee?« Sheriff Sheldon Baxter rieb sich wütend über den Stern auf seiner ausladenden Brust; eine Geste, die ebenso unbewusst wie charakteristisch war für den fülligen Mann. Der Fünfzigjährige war stolz auf das Abzeichen und die Bedeutung, die damit einherging. Er hätte es sich bis vor kurzem nicht träumen lassen, einmal zu einer derart wichtigen Person zu werden. Doch als die Farm der Johnsons, auf der er nicht mehr als ein Laufbursche gewesen war, von den Schakalen überfallen worden war, hatte sich das Blatt gewendet.
»Kommt gleich, Onkel Sheldon!«, ertönte es aus dem Office hinter ihm. Es war die Stimme seines Neffen Billy.
»Und vergiss den Zucker nicht«, brummte Baxter. Nur er und sein Neffe wussten, dass mit »Zucker« ein kräftiger Schuss Gin gemeint war.
»Klar, Onkel Sheldon.«
Baxter lehnte sich in seinem Schaukelstuhl zurück und hob mit einem Seufzer schwerfällig seine Füße auf das Geländer. Diese gottverdammte Hitze! Nach dem Tod seiner Frau Harriet – Gott hab sie selig – im letzten Winter hatte er eigentlich seine Klamotten packen und zu seinem Cousin nach Norden ziehen wollen. Nun ja. Jetzt hatte er einen gutbezahlten Job, bei dem er nur darauf achten musste, dass alles im Sinne von McAllister lief. Und das war im Großen und Ganzen eine ziemliche entspannte Tätigkeit.
»So, hier ist dein Kaffee.« Der junge Mann, der die Veranda betrat, war hochgewachsen und schlank. Seine Gesichtszüge waren kantig, dabei aber attraktiv, und aus seinen hellblauen Augen blitzte schalkhafte Intelligenz. Lässig schob er den weißen Stetson in den Nacken, während er seinem Onkel den Kaffeebecher reichte. »Mit viel Zucker, so wie du es magst.«
»Nur nicht frech werden, Junge.«
Hufschlag ertönte und der Westwind trieb eine Staubwolke die Straße hinauf.
Eine Gruppe von Reitern zügelte die Pferde und ritt dann gemächlich am Sheriff’s Office vorbei. Es war ein gutes Dutzend wild und brutal aussehender Galgenvögel, die dem Sheriff allesamt nicht unbekannt waren. Der Anführer, ein bleicher Kerl mit eisblauen Augen und schulterlangen blonden Haaren, ganz in schwarzes Leder gekleidet und mit zwei Colts an den Hüften, hob mit einem höhnischen Grinsen zwei Finger salutierend an die Hutkrempe, während er vorbeiritt.
Billy verzog missbilligend das Gesicht.
»Arschloch«, murmelte sein Onkel, ohne dabei die Lippen zu bewegen.
Die Truppe trabte die Mainstreet hinunter und zügelte schließlich die Pferde vor dem Dollar’s Inn, dem größten Saloon der Stadt.
Billy sah ihnen zu, während sie die Pferde anbanden und dann johlend den Saloon betraten. »Das sind McAllisters Arschlöcher, Onkel Sheldon«, sagte er. »Und das weißt du ganz genau.«
»Halt die Fresse, Sohn«, sagte Baxter gleichgültig und nahm einen Schluck aus dem Kaffeebecher.
»Ich bin nicht dein Sohn.« Billys Blick war voller Verachtung, aber sein Onkel bemerkte ihn nicht.
Sie schwiegen eine Weile, bevor Billy fragte: »Was ist, wenn sie wieder Ärger machen?«
In einer zornigen Geste wandte sich der neue Sheriff um und starrte seinen Neffen an. »Was glaubst du wohl? Wenn sie Ärger machen wollen, dann ist das ihr gutes Recht! Sie haben einen harten Job hinter sich, schätze ich. Dann müssen sich Männer auch mal ein bisschen austoben dürfen!« Er spuckte auf die Veranda. »Also, du hältst deine Klappe und verziehst dich nach hinten. Wenn ich dich brauche, werde ich’s dir schon sagen. Hast du das jetzt endlich kapiert?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, ließ er sich in den Stuhl zurückfallen und würdigte seinen Neffen keines Blickes mehr. Womit hatte er diesen widerspenstigen Burschen bloß verdient?
»Verpiss dich, Billy.«
Billy schaute noch ein paar Sekunden hinüber zu dem Saloon, bevor er kopfschüttelnd die Veranda verließ.
***
Sein Name war Julio. Alan Bowie hatte ihn vor ein paar Monaten halb verhungert in einem Canyon nur wenigen Meilen südlich gefunden und zu sich genommen. Julio war mit seiner Familie aus Mexiko über den Rio Grande gekommen, um der bitteren Armut seines Landes zu entfliehen. Marodeure hatten im Grenzgebiet seine Eltern getötet und ihn monatelang als Sklaven gehalten, ehe ihm schließlich die Flucht gelang. Das Einzige, was der Junge bei sich gehabt hatte, als Alan Bowie ihn fand, waren die zerschlissenen Kleider an seinem Leib gewesen.
Nachdem der Junge ihm erzählt hatte, wie er auf die Farm der Familie Bowie gelangt war, berichtete er Lassiter mit stockender Stimme, aber ohne dabei eine Träne zu vergießen, von den Ereignissen der vergangenen Stunden.
Julio hatte die Nacht im Stall verbracht, um über ein junges Fohlen zu wachen, das am Abend zuvor geboren worden war, als eine Horde wilder Reiter über die Farm herfiel. Als er die Schreie der Landarbeiter vernahm, hatte er sich auf dem Heuboden unter dem Dach des Stalls versteckt. Voller Panik hatte er sich in die hinterste Ecke tief unter das trockene Stroh verkrochen.
»Konntest du die Männer sehen?«, fragte Lassiter, doch der Junge schüttelte den Kopf.
»Ich hab mich doch versteckt, unter dem Stroh! Ich konnte gar nichts sehen, und ich hatte auch solche Angst!«
Lassiter strich Julio über den dichten schwarzen Haarschopf. »Natürlich, das hast du ganz richtig gemacht. Was ist dann passiert?«
»Dann kam Paco, das ist der dicke Vorarbeiter, der immer so viel lacht, der kam in den Stall, unten. Paco hat rumgebrüllt, das wären die Schakale, diese Bande, von der jetzt immer alle erzählen. Er wollte dann, glaube ich, eins der Pferde unten aus der Box holen, weil er … weil er damit abhauen wollte. Und dann kamen zwei von den bösen Reitern in den Stall. Die haben laut gelacht, und das hörte sich so an, als wenn sie richtig Spaß hätten dabei, und dann hab ich noch gehört, wie sie geschossen haben und …« Julio hob den Kopf und sah Lassiter in einer Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung an. »Tante Jennifer … sie … sie ist tot, oder?«
Lassiter sagte nichts, doch der Ausdruck in seinen Augen war für den Jungen Antwort genug. Nun flossen doch einzelne Tränen aus seinen Augen.
Als Lassiter vor zwei Tagen in Santa Fé eingetroffen war, hatte ihm der örtliche Marshal neben einem Dossier der Brigade Sieben, das seinen neuen Auftrag betraf, auch ein privates Telegramm überreicht. In kurzen Worten hatte ihm Jennifer Bowie einen verzweifelten Hilferuf zukommen lassen:
»Lassiter, bitte hilf uns! Sie wollen uns töten! Das Land … es ist das Land. Bitte hilf uns.«
Jetzt wünschte er sich, dass seine alte Freundin aus Jugendjahren ihm mehr Informationen hätte zukommen lassen. Und dass er sofort losgeritten wäre wie der Teufel, denn nur ein paar Stunden hatten das Rad des Schicksals in Richtung Verderben ausschlagen lassen.
Er dachte über den Auftrag nach, der ihn in diese unwirtliche Gegend geführt hatte. Eine Horde marodierender Komantschen überfiel harmlose Farmer und massakrierte gnadenlos alle, die sie antrafen, auf grausamste Art und Weise. Sie vergewaltigten die Frauen, quälten und meuchelten die Männer und raubten die Tiere.
Obwohl der Stamm der Komantschen dafür berüchtigt war, dass er in den vergangenen Jahren immer wieder auf solche Art Rache geübt hatte an den Einwanderern, die in den Augen der Indianer nichts anderes als Landräuber waren, hatte die Brigade Sieben Zweifel daran, dass es sich in diesen Fällen tatsächlich um Mordtaten der Indianer handelte.
Da sich die Bundesregierung außerdem in Verhandlungen mit den hiesigen Stämmen befand, die gute Aussicht auf Erfolg hatten, war dieser Auftrag von besonderer Brisanz: Es bestand ein großes Interesse von höchster Stelle daran, dass die Mordfälle geklärt wurden, bevor man zu einem Friedensabkommen mit den Komantschen kommen konnte.
Sollte auch Jennifer Opfer der Killerbande geworden sein, wegen der er nach New Mexico geschickt worden war?
Nun, hier am Schauplatz des Verbrechens sah es nicht gut aus für die Indianer. Lassiter hatte Hufspuren unbeschlagener Pferde vor der Farm gesehen, und die Opfer waren skalpiert worden. Lassiters erfahrener Blick hatte erkannt, dass die Wunden, die den Opfern beigebracht worden waren, durchaus von Komantschen stammen konnten. Doch es musste Gründe geben dafür, dass seine Auftraggeber sich nicht sicher waren darüber, ob das Offensichtliche nicht nur aus falschen Indizien bestand.
Lassiter und Julio begruben die Toten auf einem Hügel jenseits der Farmgebäude. Sie arbeiteten schweigend, und als sie fertig waren, standen neben den zwei Kreuzen von Alan Bowies Eltern zehn weitere unter dem schmalen Schatten der abgestorbenen Pinie.
»Was soll ich denn jetzt tun, Sir?«, fragte Julio und schaute Lassiter schüchtern durch die tief ins Gesicht fallenden Haarsträhnen hindurch an.
Lassiters Züge verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. »Lass das mal meine Sorge sein, junger Mann«, sagte er.
***
Der Bienenkorb lag in einem kargen Wäldchen zwei Meilen vor der Stadt Desperation und war eine Oase der Entspannung für einsame Reiter wie Lassiter. Deshalb war er ein häufiger und gern gesehener Gast bei Ma Baker und ihren Damen.
Als der Mann der Brigade Sieben seinen Wallach an den Mesquite-Sträuchern vorbei lenkte, erweckten laute Stimmen hinter dem Hügel sein Misstrauen. Das hörte sich nach Ärger an. »Spring, ab, Julio!«, stieß Lassiter hervor. Der Junge gehorchte sofort.
»Halt das Pferd zurück«, befahl Lassiter, glitt aus dem Sattel und packte die Winchester. Geduckt schlich er sich an den Hügelkamm heran und schaute hinunter auf den Vorhof des kleinen, von Bäumen umstandenen Anwesens.
Er sah, wie Ma Baker, die Herrin des Hauses, mit zwei offensichtlich aufgebrachten Kunden stritt. Einer der beiden Männer hatte bereits die Hand an den Revolver gelegt, während die unglaublich dicke Frau in der Mitte des Vorplatzes ihr ganzes Körpervolumen einsetzte, um die beiden Kerle zurück und damit von einer offensichtlich verletzten jungen Frau wegzudrängen, die weinend auf den Stufen vor dem Eingang lag. Die tiefe Stimme von Ma Baker war bis auf hundert Yards hinauf deutlich zu verstehen: »Ihr lasst Euch hier nicht mehr blicken! Gebt eure dreckigen Dollars woanders aus! Disparu, tres rapide!«
Die beiden Männer stellten sich in Position. Offensichtlich waren sie nicht bereit, ohne weiteres von dannen zu ziehen.
»Wir haben ordentlich Dollars bei dir abgedrückt, Ma! Sind bestimmt nicht deine schlechtesten Kunden!«
Der Dickere der beiden umschloss in einer drohenden Geste seinen Revolver, bereit, ihn hervorzuziehen.
Sein Kumpan, der weder eine Waffe noch eine Hose trug, war ein buckliger Hänfling, unter dessen speckigem Hut lange aschblonde Haare auf die Schultern fielen. Er hob scheinbar bedauernd die Arme, lachte dann aber meckernd. »Ma, komm schon. Das meinst du doch nicht ernst! Wir haben doch gar nichts Schlimmes getan! Die Kleine wird schon wieder. Ich werde doch wohl wenigstens noch meine Sachen holen dürfen …«
Aus einem Fenster des ersten Stocks flog ein Bündel heraus, das in einer Staubwolke vor den Füßen des Buckligen landete. In einer ironischen Geste hob der Mann die Hand in Richtung des Fensters. »Herzlichen Dank!«
Dem anderen, den Lassiter nur von hinten sehen konnte, schien nicht daran gelegen, die Situation zu entspannen. Jetzt zog er den Revolver, hielt ihn aber vorerst nur locker in der Hand.
Eine zierliche Frau betrat vorsichtig die Veranda und Ma Baker deutete auf das verletzte Mädchen. »Dorothy! Kümmere dich um die Kleine, mach schon.«
Dann visierte sie den Mann mit dem Revolver an. Ihr Blick aus tiefbraunen Augen war entschlossen. Das Mädchen, das herausgekommen war, zog die Verletzte auf die Veranda. Die Frau stöhnte dabei vor Schmerzen und stützte sich auf die Schulter von Dorothy. Während die beiden Mädchen mühsam Schritt für Schritt ins Innere des Hauses zurückgingen, verzog Ma Baker keine Miene. Die beiden Männer taten es ihr gleich. Ihre Blicke fixierten die Frau wie Raubvögel ein verletztes Kaninchen.
»Willst du uns umbringen, Walter?«, fragte Ma Baker tonlos. Dabei sah sie den Mann mit dem Revolver an. »Dann musst du alle hier umlegen, das dürfte sogar einem Spatzenhirn wie dir klar sein.«
Lassiter legte den Lauf der Winchester auf einen günstig geformten Felsbrocken und visierte sein Ziel an. Er machte sich bereit dafür, dem Ganzen ein Ende zu bereiten, wenn es weiter eskalierte. Aber er wollte seine Mission nur dann gefährden, wenn es sich nicht vermeiden ließ.
»Du weißt doch wohl, mit wem du es zu tun hast, du fette Kuh!!«, rief der Mann, den Ma Baker Walter genannt hatte. Er hob den Revolver.
Lassiters Lider verengten sich.