Lassiter 2244 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2244 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Der mysteriöse Tod des Minenbesitzers John Corbett führt Lassiter nach Aspen, Colorado, wo man dem Fremden mit Misstrauen und Argwohn begegnet. Rasch erfährt er, dass sich in Corbetts einstiger Mine ein Stück der legendären Great Garrison Flag befinden soll - jenes gewaltigen Sternenbanners, das einst über Fort McHenry wehte und die Briten vor einem Angriff auf Baltimore warnte. Doch die berühmte Flagge lockt auch zwielichtige Gestalten an, allen voran den skrupellosen Minenboss Douglas Lloyd und dessen schöne Gespielin Samantha Herrick.

Als auch der totgeglaubte Corbett wieder auftaucht und sein Recht auf das Sternenbanner geltend macht, gerät Lassiter in ein Duell, das eine blutige Spur durch Aspen zieht. Zur seiner einzigen Verbündeten wird ausgerechnet Samantha, die Lassiter mit ihrer Verführungskunst zu ihrer Trophäe machen will ...

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EPUB
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Seitenzahl: 128

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Inhalt

Cover

Impressum

Asche zu Asche

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Boada/Norma

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-1544-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Asche zu Asche

Der stählerne Revolverlauf auf John Corbetts Schläfe wog schwer wie ein Eichgewicht. Die Männer hatten den Minenbesitzer die Böschung heruntergeschleift und ihm einen britischen Bull-Dog-Revolver in die Hand gedrückt. Nun standen sie Corbett grinsend gegenüber.

»Die Sache liegt bei dir, Johnny«, knurrte der Ältere von ihnen und schwenkte das Jagdmesser. »Entweder du drückst ab, oder wir schneiden dir die Kehle auf!«

»Worauf du einen lassen kannst!«, sekundierte der Jüngere und hieb seinem Gefährten auf die Schulter. »Kann’s kaum erwarten, ihm mit der Klinge die Rippen zu kitzeln!«

Corbetts Blick wanderte zu dem Revolver in seiner Hand. Er konnte ehrenvoll sterben oder sein Schicksal jenen Ausgeburten der Hölle überlassen. »Lasst … lasst mir ’nen Augenblick Zeit!«, flehte er tonlos. »Nur ’ne verdammte Sekunde …«

Über der Schlucht des Frying Pan Creek lag drückende Mittagshitze, als Walther Sumner und Anthony Wells den Felsenpfad zum Old Fellow Peak hinaufstiegen. Die zitternde Luft verbarg den Talgrund vor ihnen, den sie im Morgengrauen verlassen hatten und in dem ein Teil ihrer Ausrüstung lagerte, den sie in den kommenden Tagen nachholen würden. Die beiden Erzgräber waren seit gut fünf Jahren befreundet, obgleich Walther Sumner der Ansicht war, dass sich Anthony Wells nur deshalb an seine Fersen geheftet hatte, weil Sumner das glücklichere Händchen für aussichtsreiche Claims hatte.

Sie waren unterhalb des French Summit fündig geworden, in den Nadelwäldern nördlich der Graven Hills und in Sichtweite des Städtchens Aspen, das einen Tagesritt weiter südlich lag. Das Geschäft mit den Erzminen hatte an Fahrt aufgenommen, seit in Aspen namhafte Agenten wie G. W. Triplett und Landanwälte wie A. B Jones und sein Bruder Joseph ansässig geworden waren. Diese Männer sorgten dafür, dass man als Minensucher nicht um seine Pfründe fürchten musste und dass man seinem Beruf nachgehen konnte, wie es sich gehörte. Auf den Straßen von Aspen gab es genug missgünstige Subjekte, die ihre eigenen Mütter verschachern würden, gäbe es ihnen den Profit, nach dem ihre gierigen Herzen lechzten. Die Welt war ein Sündenpfuhl und gehörte dem Teufel, so hatte es Sumner bei Reverend Rightlaw gehört, der jeden Sonntag in Leadville predigte.

»Möchte gern mal wissen, wie’s der alte Evans anstellt!«, hörte Sumner seinen Freund Wells hinter sich schnaufen. »Der Kerl zählt achtundsiebzig Lenze und wagt sich noch in die Berge hinauf! Ich wär’n gesegneter Mann, hätt’ ich nur halb so viele Leibeskräfte wie er!«

Es sah Anthony Wells durchaus ähnlich, sich in Zeiten höchster Anstrengung über seine körperliche Verfassung zu beklagen. Wells war ein weinerlicher Städter, so hatte es Sumner für sich resümiert, der fortwährend die Bestätigung suchte, dass er genauso hartgesotten wie sein Gefährte war. Die zwei Freunde hatten so oft über diese Frage gestritten, dass es Sumner leid war, Wells seinen Irrtum stets wieder auszureden. »Noch zwei Stunden bis zum Gipfel, Ant! Ich würde mich an deiner Stelle schonen, wenn du oben noch ’nen Atemzug herausbringen willst!«

»Und ob ich da oben noch atme!«, rief Wells entrüstet. Er war stehen geblieben und sah auf das Tal hinunter. »Haben mindestens fünfhundert Fuß in der letzten Stunde gemacht! Ich werd’ wie ’n Bulle keuchen, aber ich hab’ die verdammten Berge im Blut!«

Sie stiegen auf den Felsvorsprung, der sich seitlich vor ihnen befand, und sahen in das stille Tal hinunter. Als Sumner den Kompass aus der Tasche zog, runzelte Wells die Stirn. Er heftete den Blick auf den Felshang nördlich von ihnen. »Brat’ mir einer ’nen Storch! Ich werd’ verrückt! Da drüben liegt einer!«

Sumner hielt inne und starrte gleichfalls zu dem Felshang hinüber. Er klappte den Kompass in der Hand zusammen und zuckte mit den Schultern. »Könnte auch ein verdammter Jutesack sein. Im Frying Pan Creek treibt sich ein gerüttelt Maß an Glücksrittern herum.«

»Papperlapapp!«, knurrte Wells und strich sich die schulterlangen Haare zurück. Er hatte vor Jahren in der Fremdenlegion gedient, wo man ihm eine waschechte Franzosenfrisur verpasst hatte. »Ich werd’ wohl ’nen toten Kerl von ’nem Jutesack unterscheiden können! Wenn ich’s dir sage, da liegt einer, dann liegt da einer!«

Nach kurzem Grübeln kam Sumner zu dem Schluss, dass sie nach dem Rechten sehen mussten. Man würde ihnen in Leadville üble Absichten unterstellen, wenn sie den Toten zurückließen. Die Berge waren voller Männer, die nichts lieber taten, als einem der ihren grausame Streiche zu spielen. Vor zwei Wochen erst waren zwei Erzsucher miteinander in Streit geraten und hatte sich buchstäblich gegenseitig die Kehle aufgeschnitten.

»Verdammt und zugenäht!«, stieß Wells hervor und stemmte die Arme in die Seiten. Er starrte auf den Getöteten am Hang. »Ich glaub’ fast, er hat sich die Kugel selbst beigebracht!«

Sie näherten sich dem Toten mit achtsamen Schritten und gingen oberhalb von ihm in die Knie. Wells deutete mit einer Hand auf die Waffe in der Hand des Fremden. »Scheint mir ’ne klare Angelegenheit zu sein. Der arme Kerl hat sich hier oben ’ne Kugel durch die Stirn gejagt. Die ganze Schläfe ist blutig, sieh nur! Ist mir noch nicht untergekommen!«

»Mir auch nicht«, entgegnete Sumner und ließ sich im Geröll ein Stück tiefer rutschen. Er fischte den Revolver aus den Fingern des Toten und betrachtete ihn. »Ist ein britischer Bull Dog. Ich kenne keinen diesseits von Louisiana, der solche Schießeisen noch benutzt. Wäre nicht verwunderlich, dass er ’n Brite ist.«

»Ein verdammter Teesäufer?«, stieß Wells hervor. Er verbarg seine zitternde rechte Hand in der Hosentasche und grinste gezwungen. »Was stellen wir jetzt mit ihm an? Wir wollten vor der Dämmerung am Old Fellow Peak sein! Und in zwei Tagen wieder in Leadville!«

Sumner begutachtete die wächserne Haut des Toten. Der fahle Teint erinnerte ihn an die Verstorbenen, die er vor Jahren in der Leichenhalle von St. Louis gesehen hatte. Er hatte die Toten derart abstoßend gefunden, dass er es keine halbe Stunde mit ihnen ausgehalten hatte. »Wir müssen ihn ins Tal bringen, Ant. Alles andere wäre Barbarei. Die wilden Tiere würden den Kerl fressen.«

»Der Abstieg kostet uns mindestens ’nen halben Tag«, versetzte Wells. »Mit dem armen Teufel im Schlepptau gar noch länger. Ich würd’ ihn am Berg verscharren und einen Boten hinunter nach Aspen schicken.«

Der andere Erzsucher schüttelte den Kopf und nahm dem Toten den Bull-Dog-Revolver aus der Hand. Er starrte vor sich hin und dachte nach. »Und wenn einer nach ihm sucht? Mir würde es nicht gefallen, wenn mich einer unter die Erde bringt, obwohl meine Lieben auf der Suche nach mir sind.«

Wells seufzte und ließ sich neben dem Toten ins Geröll sinken. Er fegte dem Leichnam den Staub von der Kleidung. »Meinetwegen packen wir’s an. Ich kann dich doch nicht umstimmen.« Er sah zum Old Fellow Peak hinauf. »Adé, Rochert Claim! Adé, ihr Dollars!«

Die beiden Freunde griffen den Toten unter den Achseln und schleiften ihn zum Pfad hinauf. Sie legten ihn in den Schatten einer Pinie und verschnauften.

Nach einer Viertelstunde machten sie sich an den Abstieg.

***

Die üppigen Kurven von Gracie Moore hatten Lassiters Blut so in Wallung gebracht, dass der Mann der Brigade Sieben die Stätte ihres Rendezvous völlig vergaß. Er drückte die schöne Bäckerinnentochter auf den mehlbestäubten Tisch, riss ihr voller Leidenschaft das Kleid von den Brüsten und drängte sich zwischen ihre Schenkel. Gracie stöhnte vor Wollust auf und krallte sich mit beiden Händen an Lassiters Nacken fest.

»Fester, Liebster!«, seufzte die Bäckerin und schloss die von pechschwarzen Wimpern gesäumten Augen. Sie zog Lassiter an sich heran und tastete nach seinem Hosenbund. »Wenn du’s erst einmal mit mir treibst, wird dir Hören und Sehen vergehen!«

»Du bist eine Frau ganz nach meinem Geschmack«, keuchte Lassiter und ließ sich bereitwillig den Gürtel öffnen. Er spreizte die Beine der jungen Bäckerin, setzte seinen Pint in Position und drang langsam in sie ein. »Ich hätte keine halbe Nacht darauf warten sollen.«

»Geduld ist eine Tugend«, raunte Gracie und umschlang Lassiters muskulösen Oberkörper. Sie drängte sich an ihn und drückte den Rücken durch. »Ich kann nichts dafür, dass Vater nicht mitbekommen darf. Er ist ein ziemlich strenger Mann, weißt du?«

Was seine erste Begegnung mit J. H. Moore anging, hätte Lassiter den Worten seiner Geliebten nicht viel hinzufügen können. Er hatte Moore als beinharten Patriarchen kennen gelernt, der seine Tochter mit Argusaugen bewachte und jedes freundliche Wort an Gracie als Affront gegen die Familienehre betrachtete. Hätte er geahnt, zu welch spitzen Lustschreien seiner Tochter imstande war, er wäre vor Scham im Erdboden versunken.

»Du hättest mir nicht aufschließen müssen, Gracie«, meinte Lassiter und stieß erneut in sie hinein. »Ich hätte nie -«

»Halt die Klappe!«, stöhnte die blonde Bäckerin und warf den Kopf zurück. Sie klammerte sich mit den Händen am Backtisch fest und blies sich eine mehlweiße Haarsträhne aus dem Gesicht. »Nimm mich, so fest du nur kannst! In Aspen gibt’s nicht viele Männer, die wissen, wie man mit einer Frau umgeht!«

Die blonde Bäckerstochter warf sich lasziv von einer Seite auf die andere und strahlte Lassiter an. Sie hatte nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie den Fremden aus Leadville anziehend fand, doch dass er letztlich solch leichtes Spiel hatte, war selbst für Lassiter verblüffend gewesen. Er hatte um die Tochter von J. H. Moore nicht geworben, sondern sie im Gegenteil von jenem gewagten Vorhaben abzuhalten versucht, das sie nun mitten in der Nacht zusammengeführt hatte. Seiner Freude oder gar seiner Begierde taten Lassiters Zweifel indes keinen Abbruch.

»Sie still!«, flüsterte der große Mann aus Washington, der auf ein Telegramm hin in die Bergarbeiterstadt gekommen war. »Ich will nicht, dass uns jemand hört! Schon gar nicht dein Vater!«

Im selben Moment jedoch vernahm Lassiter aus der Bäckerei eine tiefe Männerstimme. Sie rief einige Male nach Moore, der allerdings – wie Gracie Lassiter versichert hatte – in dieser Nacht seinen Pokerabend hatte. Als keine Antwort kam, erschütterten zwei Faustschläge die Tür zur Ofenkammer.

»Verdammt!«, wisperte Gracie und rutschte unter Lassiter hervor. Sie warf sich hastig ihr Kleid über und bedeutete ihrem Geliebten stumm, sich ebenfalls anzukleiden. Ehe ihr voller Busen jedoch unter dem Kleid verschwand, lächelte Gracie zärtlich. »Wir müssen unser Schäferstündchen verschieben, Lassiter. Ich hoffe, du bleibst noch ein Weilchen in der Stadt.«

Erneut ließen Faustschläge die Tür zur Ofenkammer erbeben.

»Herrgott noch eins!«, rief Gracie. »Ich werd’ schon aufschließen! Wer ist da?«

»Richter William A. Root«, lautete die Antwort von der anderen Türseite. »Ich möchte zu Mr. Lassiter. Hab’ sein Pferd draußen auf der Straße gesehen.«

Der Mann der Brigade Sieben kleidete sich ebenfalls an und sann für einen Augenblick darüber nach, ob er Gracie die Wahrheit sagen sollte. Der Friedensrichter war Washingtons Mittelsmann in Aspen und hatte sich schon am Vortag mit dem Gast aus Leadville getroffen. Doch als Gracie ihn fragend anblickte, entschied sich Lassiter zugunsten seiner Tarnung. »Mach ihm auf. Der Kerl schuldet mir noch einen Haufen Dollars.«

Die Bäckerinnentochter sprang zur Tür und schloss dem Friedensrichter auf. Root trat über die Schwelle und bedachte Gracie mit einem vernichtenden Blick. »Von Ihnen hätte ich mehr gehalten, Miss! Wie können Sie Ihren Vater nur derart hintergehen!«

Gracie errötete und senkte betroffen den Blick. Sie raffte ihre restlichen Kleider zusammen und verschwand in der angrenzenden Schlafkammer. Root schüttelte das Haupt und trat auf Lassiter zu.

»Von Ihnen hätte ich gleichfalls mehr Beherrschung erwartet!«, knurrte der Friedensrichter. Er strich sich zwei verschwitzte Strähnen seines silbergrauen Haarschopfes aus dem Gesicht. »Sie sind ein Vertreter der Brigade Sieben. Die Regierung hält große Stücke auf Sie.« Er wies mit dem Kinn zur Schlafkammer. »Und Sie steigen irgendwelchen Röcken nach! Werden Sie anständig!«

»Ich habe diesem Mädchen kein Leid zugefügt, Richter Root«, versetzte Lassiter in kühlem Ton. »Sie selbst hat mich um das Rendezvous gebeten.«

Der Justizbedienstete machte eine unwillige Armbewegung und sah Lassiter an. »Wie auch immer, ich bin nicht gekommen, um Ihnen die Leviten zu lesen. Man hat mir aus Washington einen heiklen Auftrag übermittelt, in den ich Sie einweihen soll. Es geht um einen toten Minenarbeiter, der vor einigen Tagen von zwei Erzsuchern oben in den Bergen gefunden worden ist.«

»John Corbett«, sagte Lassiter. »Ich habe im Wochenblatt darüber gelesen.«

»Corbett gehörte die Dodge Lode oberhalb der alten Simpson-Minen«, fuhr der Richter in einem Atemzug fort. »Er war der alleinige Eigentümer. Man vermutet, dass ihn jemand auf dem Gewissen hat, der ihm nicht wohlgesonnen war.«

»Womit es eine Angelegenheit für den Sheriff wäre«, bemerkte Lassiter und klopfte sich das Mehl vom Hemd. »Die Brigade Sieben dürfte sich kaum für einen toten Minenbesitzer interessieren.«

»In der Tat«, pflichtete Root bei und schritt durch die Backkammer. Er blieb vor der Ofenklappe stehen und atmete tief durch. »In Aspen geht das Gerücht um, dass sich in der Dodge Lode ein Stück der Old Garrison Flag befinden soll. Der Vorbesitzer soll den Flaggenrest dort versteckt haben.«

»Die Old Garrison Flag?«, wiederholte Lassiter ehrfurchtsvoll. »Die gleiche Flagge, die einst über Fort Henry wehte?«

»Ebendiese«, versicherte Root und nickte mechanisch. »Die Flagge … Oder sollte ich sagen, dieses Monument …?« Er hielt andächtig inne. »Dieses stolze Zeugnis der amerikanischen Unbeugsamkeit wurde am Morgen des 14. September 1814 über Fort Henry gehisst, um den Briten zu zeigen, dass unsere Nation einen Sieg errungen hat. Dreißig Fuß hoch und dreiundvierzig Fuß lang war sie. Sie ist ein verdammtes Vermögen wert.«

»Meines Wissens befindet sich die Flagge im Besitz der Familie Armistead«, sagte Lassiter. »Wer hat sie nach Colorado gebracht?«

»Zumindest keiner aus dem Armistead-Clan!«, entgegnete Root. »Von der Flagge fehlen ein paar Stücke. Das Justizministerium ist der Ansicht, dass der frühere Besitzer der Dodge Lode ein Veteran aus der Schlacht von Baltimore war. Er wollte den Flaggenrest vielleicht an einem sicheren Ort verstecken.«

Die tief eingesunkenen Augen des Friedensrichters blitzten auf. Der patriotische Glanz darin wich einer Art pragmatischer Zuversicht. »Mit Ihrer Hilfe wollen wir dieses Geheimnis lüften, Lassiter. Sie haben den Auftrag, die Dodge Lode bis in den letzten Winkel zu erkunden und Amerika den Rest der Flagge zurückzugeben. Das Justizministerium und die Brigade Sieben zählen auf Ihre Diskretion in dieser Angelegenheit. Die Flagge darf nicht in die Hände des Feindes geraten.« Root legte eine kurze Pause ein. »Schon gar nicht in die jener, die unsere stolze Nation am liebsten in Trümmern sehen würden.«

»Wie finde ich zur Dodge Lode?«, fragte Lassiter ruhig. »Falls sich Reste der Old Garrison Flag darin befinden, werde ich sie nach Baltimore zurückbringen.«

Über Roots breites Gesicht ging ein zufriedenes Lächeln. Er klopfte Lassiter auf die Stirn und zog einen Umschlag aus dem Mantel. Das Kuvert war mit dem Siegel des Justizministers versehen.

»Offenbar hat man mir tatsächlich den besten Mann gesandt«, sagte Root. »Ich werde Ihnen alles Wissenswerte mitteilen.«

***

Die schneebedeckte Flanke des Aspen Mountain leuchtete im Sonnenlicht, als wäre sie eine Spur Diamanten, die irgendwo in den Kiefern am Fuße des Massivs begann und zum Gipfel hin mit den Schneefeldern der übrigen Felsgrate verschmolz. Die majestätische Stille der Berge nahm Emerald C. Morse bei jedem Ritt aufs Neue gefangen, obgleich der Totengräber die Strecke nahezu jede Woche absolvierte.

Manchmal war es Morse, als würden die Berge ihn und die Toten rufen, was ihm bisweilen ulkig vorkam, weil die Verstorbenen zumeist bettelarme Minenarbeiter waren, die ihr Leben in den Silberstollen rings um die Stadt gelassen hatten. Der Silberboom von 1879 hatte dem Fünfzigjährigen ein gutes Geschäft beschert, waren doch binnen weniger Monate Tausende nach Leadville und Aspen geströmt, um mit ihren Steinpickeln den harten Fels aufzubrechen und glitzernde Hoffnungsschimmer herauszuklauben.