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"Was hast du denn, Billy?" Das junge Mädchen streichelte den Hals ihres Ponys und sah sich ängstlich um. Billy schnaubte und blähte die Nüstern. Es war offensichtlich, dass das Tier etwas gewittert hatte, aber Georgina hörte nur den Wind in den Bäumen. "Na gut", flüsterte sie und spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. "Dann reiten wir schnell zurück nach Hause."
Sie zog die Zügel an, und Billy war nur zu bereit, ihrem Befehl Folge zu leisten. Das Pony drehte sich so schnell um seine eigene Achse, dass Georgina fast aus dem Sattel gerutscht wäre. "Ruhig, mein Guter!", rief sie, doch das sonst so gehorsame Pferd ließ sich nur mühsam im Zaum halten. Knackende Äste links von ihr im Unterholz ließen sie herumfahren.
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Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
Die Bestie von Natrona
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2491-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Bestie von Natrona
»Was hast du denn, Billy?« Das junge Mädchen streichelte den Hals ihres Ponys und sah sich ängstlich um. Billy schnaubte und blähte die Nüstern. Es war offensichtlich, dass das Tier etwas gewittert hatte, aber Georgina hörte nur den Wind in den Bäumen. »Na gut«, flüsterte sie und spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. »Dann reiten wir schnell zurück nach Hause.«
Sie zog die Zügel an, und Billy war nur zu bereit, ihrem Befehl Folge zu leisten. Das Pony drehte sich so schnell um seine eigene Achse, dass Georgina fast aus dem Sattel gerutscht wäre. »Ruhig, mein Guter!«, rief sie, doch das sonst so gehorsame Pferd ließ sich nur mühsam im Zaum halten.
Knackende Äste links von ihr im Unterholz ließen sie herumfahren.
Georgina blinzelte, weil das Dämmerlicht die dichten Sträucher am Rand der Straße in diffuse Schatten verwandelte. Sie kniff die Augen zusammen, und plötzlich sah das Mädchen direkt in ein rot glühendes Augenpaar inmitten der Schwärze. Verzweifelt stieß sie die Hacken in Billys Schenkel, doch es war bereits zu spät. Ein schwarzer, haariger Schatten schoss mit kräftigen Sprüngen aus den Büschen heraus auf sie zu. Starr vor Entsetzen sah sie die Bestie auf sich zufliegen, sah die spitzen Hörner und die langen scharfen Zähne im geöffneten Maul, ehe sich das Monster in Billys Hals verbiss.
Das Pony ging unter dem Aufprall des riesigen Tieres zu Boden, und Georginas spitzer Schrei verhallte ungehört über den Feldern von Natrona County.
***
»Verdammt, du hättest sie nicht losreiten lassen dürfen!« Senator Wilford Jameson war kurz davor, seine Frau zu schlagen, und sie wich instinktiv vor ihm zurück, weil es nicht das erste Mal gewesen wäre. Sein hochroter Kopf und der erstickte Ton seiner Stimme waren die üblichen Alarmzeichen dafür, dass er nur einen Herzschlag davon entfernt war, die Kontrolle über seinen Jähzorn zu verlieren.
Dorothy Jameson sank auf den Sessel und schlug sich die Hände vor das Gesicht. »Ich habe es ihr verboten, Wilford«, wimmerte sie. »Aber du weißt doch, wie deine Tochter ist!«
»Herrgott, ja. Wenn man diesen Wildfang nicht festbindet …«, seufzte er und raufte sich die silbergraue, schulterlange Mähne, während er im Salon des Farmhauses umherwanderte wie ein gefangener Berglöwe. Fieberhaft überlegte der Senator von Wyoming, was nun zu tun war. Es blieb keine Zeit zu verlieren.
»Wilbur!« Der gebrüllte Befehl ließ eine Tür aufgehen; ein livrierter Diener erschien.
»Sir?«, fragte Wilbur mit einer distinguierten Gelassenheit, die Jameson fast dazu brachte, seinem Butler an die Gurgel zu gehen. Doch er beherrschte sich noch rechtzeitig und zwang sich stattdessen dazu, einen ruhigeren Ton anzuschlagen. »Holen sie Red aus den Federn, er soll in fünf Minuten mit allen verfügbaren Männern bereitstehen. Meine Tochter ist verschwunden!«
Wilburs Augen weiteten sich vor Entsetzen. »O Gott, Georgina? Glauben Sie, sie ist …?«
»Beeilung, Wilbur!«
Der Butler war in Sekunden verschwunden, doch seine Ausbildung in einem der nobelsten Landsitze Schottlands zeigte sich darin, dass er selbst in dieser Situation die Tür schloss, ohne das geringste Geräusch zu verursachen. Nun wurde der Salon nur noch durch das Wimmern der Frau von Senator Jameson erfüllt, das allmählich in ein haltloses Schluchzen überging. »Die Bestie hat sie gekriegt«, heulte Dorothy Jameson. »Sie hat unsere Georgina …«
»Jetzt beruhige dich, Weib«, knurrte Jameson und sah verächtlich auf seine Frau hinab. »Diese Hirngespinste vom Chukamachoo sind nichts als Ammenmärchen ungebildeter Hinterwäldler! Das weißt du genauso gut wie ich!« Er rollte theatralisch mit den Augen und stemmte seine Fäuste in die breiten Hüften. »Der Chukamachoo! Klingt wie ein karibisches Bohnengericht, mein Gott! Indianischer Schwachsinn, aber wir leben hier schließlich unter den dümmsten Spatzenhirnen von Amerika! Und ausgerechnet du lässt dir von diesen Leuten solche Flausen in den Kopf setzen.«
Seine Frau senkte die Hände und sah ihn aus tränenverschleierten Augen an. Ihre Lippen zuckten vor Angst und Verzweiflung. »Es sind zwölf Mädchen verschwunden, Wilford! Zwölf Mädchen in sechs Wochen! Und du hast keinen Finger gerührt!«
Jameson wich ihrem vorwurfsvollen Blick aus und wandte sich um. »Sheriff Donnister hat mir in die Hand versprochen, dass er auch in der Nacht seine Deputies ausschickt, um die Augen offen zu halten«, brummte er, während er mit leeren Augen in das ersterbende Kaminfeuer starrte. »Aber ich wusste doch nicht …«
»Dass er irgendwann unsere Georgina erwischt?« Dorothy Jamesons Stimme klang bitter. »Solange es nur um arme Farmermädchen geht, interessiert es dich nicht. Du siehst einfach zu, wie die jungen Dinger von dieser Bestie verschleppt werden.«
Die Frau hob einen Finger und richtete ihn auf ihren Mann, als wollte sie ihn anklagen. »Du hast Gerald Ford, der uns das Saatgut liefert, immer als einen deiner besten Freunde bezeichnet. Seine kleine Tochter Kathy ist letzte Woche verschwunden, und was hast du getan?«
Die Tür sprang auf und der Senator war erleichtert darüber. Sein Vormann Red nickte Dorothy respektvoll zu, ehe er sich seinem Boss zuwandte. »Wir sind soweit, Sir!«
Jameson ballte die Fäuste. »Reiten wir los, Red!« Er beeilte sich, den Raum und sein schlechtes Gewissen hinter sich zu lassen.
Die Reiter schwärmten aus, konzentrierten sich aber auf die Gegend nördlich des Landhauses, weil Jameson wusste, dass die malerischen Wiesen und kleinen Wäldchen, die sich dort über mehrere Meilen bis zum Gerondike River erstreckten, das bevorzugte Ziel seiner Tochter waren, wenn sie mit Billy einen Ausritt unternahm.
Die Sonne war bereits fast hinter dem Horizont verschwunden und in wenigen Minuten würde die Dunkelheit der Nacht hereinbrechen, deshalb hatten sie Pechfackeln dabei.
Doch sie hatten gerade ein paar Meilen auf der Straße zurückgelegt, die zu Jamesons Anwesen führte, als Red sein Pferd zügelte und auf einen dunklen Schatten deutete, der nur zwanzig Yards vor ihnen mitten auf dem Weg lag. »Sir, sehen Sie? Da vorn!«
Das Pony lag inmitten einer riesigen Blutlache, die bereits zu großen Teilen im Staub der Straße versickert war. Dennoch konnte es noch nicht lange her sein, dass Billy hier zu Tode gekommen war. Die Augen des Pferdes waren im Todeskampf aus den Höhlen getreten, und sein Hals war von der Kehle bis fast hinunter zum Halsansatz aufgeschlitzt. Aus der klaffenden Wunde tropfte immer noch Blut auf die Erde. Als die Männer aus den Sätteln stiegen und um das Pony herumgingen, fuhr Red entsetzt mit der Hand zum Mund, und ein paar andere bekreuzigten sich.
Der Bauch des Pferdes war von messerscharfen Zähnen und Klauen aufgerissen worden, und die Eingeweide hatten sich auf die Straße ergossen wie glitschige graue Aale aus einem übervollen Fischerkorb. Blutiggrau glänzten sie im letzten Schein des Sonnenuntergangs.
Wilford Jameson sah sich um und lief mit schweren Schritten die Straße hinauf. »Georgina!«, brüllte er. »Georgina!« In hilfloser Verzweiflung riss er die Hände zum Himmel empor.
»GEORGIIINAA!«
Niemand außer dem Rauschen der Blätter in den Bäumen und dem sanften Summen des Windes, der über die Wiesen strich, antwortete ihm.
***
»Lassiter! Du böser Junge, du!« Das zierliche Mädchen lachte leise und schlug dem Mann der Brigade Sieben auf die Finger. Lassiter grinste und küsste sie, während er mit geschickten Bewegungen die Schnüre an ihrer Corsage löste.
Lydia warf einen unruhigen Blick die Stiege hinunter. »Hier kann jederzeit jemand hochkommen«, flüsterte sie, während ihre Finger zärtlich durch sein dichtes dunkelblondes Haar glitten.
»Das macht es ja gerade so spannend, Honey«, sagte er leise, schob den Stoff beiseite und streichelte ihren nun freiliegenden Busen.
Als sie seine Härte an ihrem Schenkel spürte, hielt Lydia den Atem an. Seit der große Fremde gestern Abend die Eingangshalle des Hotels betreten hatte, konnte sie nur noch an ihn denken. Doch nun, als er so nahe war, schlug ihr das Herz bis zum Hals und sie bekam ein wenig Angst vor ihrer eigenen Courage.
»Ich weiß nicht, ob das …«, hauchte sie, doch Lassiter verschloss ihren Mund mit seinen Lippen. Seine Hände streichelten Lydias Körper auf eine Art und Weise, die sie schnell alle Bedenken vergessen ließ. »O Lassiter«, stöhnte sie, als seine tastenden Finger an ihren Hüften hinunterfuhren, den Rock nach oben schoben und sie bald darauf an ihrer empfindlichsten Stelle liebkosten. Ihre Schenkel öffneten sich, um es dem großen Mann leichter zu machen.
Lassiter knöpfte seine Hose auf und ließ sie herunter. Sanft glitten seine kräftigen Hände hinter Lydia und packten ihre Pobacken. Er hob ihr Becken ein wenig an, bevor er langsam in sie eindrang. Lydia schloss die Augen und seufzte, dabei glühten ihre Wangen vor Erregung.
Die schmale steile Treppe, die zum Dachboden des Hotels führte, war nicht der bequemste Ort für einen Liebesakt, doch Lydia hatte es offenbar gern, ein wenig gejagt zu werden, bevor sie sich einem Mann hingab. Nachdem sie Lassiter vor einer halben Stunde frische Handtücher und Bettwäsche auf sein Zimmer gebracht und ihn nur leicht bekleidet vorgefunden hatte, ließen ihre Blicke keinen Zweifel darüber aufkommen, dass sie ihn wollte.
Lassiter war nach dem langen Ritt nur zu bereit, sich auf das süße Dienstmädchen einzulassen, und schnell waren sich die beiden näher gekommen. Doch nach ein paar leidenschaftlichen Küssen schob sie den großen Mann mit kokettem Kichern immer wieder halbherzig von sich, was schließlich in einer kleinen Verfolgungsjagd endete, die sie bis zu dieser Treppe am Ende des Hotelflurs geführt hatte.
Lydia krallte ihre Finger in Lassiters Schulterblätter und hob ihm ihr Becken entgegen, während er sich langsam in ihr bewegte. Ihr Puls beschleunigte sich, und ihr schneller Atem ging in ein Keuchen über.
Die Lust ließ ihren Körper erbeben wie eine Fieberwelle, und die Diele unter ihrem Hintern knirschte und quietschte, als Lassiter sie mit tiefen Stößen dem Höhepunkt entgegenbrachte. Niemals zuvor hatte ein Mann sie Derartiges spüren lassen! »Ooooh, oooh, ooh, oh …« Lydias Stöhnen wurde lauter und ihre Arme umklammerten ihn, rissen ihn förmlich an sich.
»Mr. Lassiter?« Die Stimme kam aus dem Flur hinter ihnen. Lydia riss entsetzt die Augen auf. »Hallo? Sir?«
Das war George, der Zimmerdiener!
Lassiter bemühte sich, seine Stimme normal klingen zu lassen – keine leichte Aufgabe. »Herrgott, was ist denn?«, stieß er mit gepresster Stimme hervor, ohne in seinen Bewegungen nachzulassen.
»Ähm, man verlangt nach Ihnen, Sir«, ließ sich George vernehmen. »Mr. Caleb Huntington, der Notar, bittet Sie, ihn so bald wie möglich in seinem Büro aufzusuchen.«
»Ich … ich komme gleich«, rief Lassiter in den Flur hinunter, was Lydia zu einem glucksenden Kichern verleitete. Rasch hielt Lassiter ihr den Mund zu. »Warten Sie unten auf mich!«, fügte er hinzu und warf Lydia ein schiefes Grinsen zu. »Ich brauche noch ein paar Minuten!«
***
»Auf gar keinen Fall!« Lassiter schüttelte entschieden den Kopf. »Das können Sie nicht von mir verlangen, Caleb.«
Sein Gegenüber breitete die Arme aus und drehte die Handflächen nach vorn – eine Geste der Beschwichtigung, die aber auch klarmachen sollte, dass er über das Thema nicht verhandeln wollte.
Caleb Huntington erhob sich aus seinem Lehnsessel und ging zu der kleinen Bar, die sich neben dem Schreibtisch befand. Er füllte zwei kostbare Cognacschwenker mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit und stellte eines davon behutsam vor Lassiter auf dem Tisch ab, bevor er betont gelassen wieder Platz nahm. Der kleine Mann beobachtete Lassiter mit einem spitzbübischen Lächeln und strich sich über den sorgfältig gestutzten grauen Bart.
Lassiter ergriff das Glas, ließ die Flüssigkeit ein wenig im Glas kreisen und roch daran, bevor er einen kleinen Schluck zu sich nahm. Seine Lippen kräuselten sich wohlwollend, und Huntington lächelte zufrieden.
»Ein exzellenter Scotch, Caleb«, brummte Lassiter.
»Natürlich! Ein 65er, der beste Jahrgang, achtzehn Jahre gereift. Ich habe die Flasche extra gestern zum Anlass Ihres Besuches noch besorgen lassen«, sagte Huntington und grinste treuherzig.
»Das ist wirklich sehr aufmerksam von Ihnen«, knurrte Lassiter, nahm noch einen Schluck und ließ sich den weichen Geschmack auf der Zunge zergehen. »Aber glauben Sie bloß nicht, Sie könnten meine Entscheidung damit beeinflussen.«
Der Notar, der meistens dafür zuständig war, die Aufträge der Brigade Sieben an Lassiter zu übermitteln, wenn sie diesen Teil der Vereinigten Staaten betrafen, zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Diese Entscheidung ist bereits für Sie getroffen worden, Lassiter. Jennifer Ferguson wird Sie auf Ihrer Mission begleiten, und das ist leider auch nicht verhandelbar.«
Er beugte sich vor und zwinkerte Lassiter vertraulich zu. »Glauben Sie mir, ich habe es versucht, weil ich weiß, wie Sie darüber denken. Journalisten im Allgemeinen, und reiche Töchter, die sich für kommende Star-Reporterinnen halten, im Besonderen.«
Lassiter warf Caleb Huntington einen grimmigen Blick zu. »Allerdings, und das nicht ohne Grund. Die vornehme Dame wird mir ein Klotz am Bein sein, sobald wir die Stadt verlassen. Ich werde ständig damit beschäftigt sein, darauf zu achten, dass sie sich nicht eines ihrer zarten Füßchen bricht oder von irgendeinem ausgehungerten Wegelagerer durch die Hecke gezogen wird. Und dazwischen löchert sie mich mit Fragen über den »wahren wilden Westen« oder plärrt mir die Ohren voll, weil es zu heiß ist oder der Sattel zu hart und Gott weiß was ich noch. Wann bitte soll ich mich dann um meinen Auftrag kümmern?«
Caleb Huntington hob die Achseln, faltete die Hände und legte sein Kinn darauf. Mit einem schmalen Lächeln sah er Lassiter offen ins Gesicht, ohne zu antworten.
Die Männer starrten sich einige Sekunden lang mit unbewegten Pokerfaces an, bevor Lassiter schließlich die Augen verdrehte und ergeben den Kopf schüttelte. Er hielt Huntington das Glas entgegen, der ergriff es lachend und stand auf. »Wie wäre es mit einem Doppelten?«
»Machen Sie einen Dreifachen daraus«, brummte Lassiter.
***
Als Lassiter am nächsten Morgen im Esszimmer des besten Hotels von Buffalo vor einem kräftigen Frühstück aus Eiern, Speck und Bohnen saß und das Dossier der Brigade Sieben studierte, hatte sich seine Laune nicht gebessert. Selbst die strahlend lächelnde Lydia hatte ihm nur ein kurzes Lächeln abringen können, nachdem sie die Teller mit geröteten Wangen auf den Tisch gestellt hatte.
Es ging ihm gehörig gegen den Strich, dass man ihm mit Jennifer Ferguson das reiche Töchterchen des Innenministers ans Bein gebunden hatte, nur weil die Dame glaubte, als Reporterin arbeiten zu müssen. Er hielt es für unprofessionell, wenn nicht gar gefährlich, jemanden dabei zu haben, der sich nur dafür interessierte, alle Geschehnisse möglichst spektakulär auszuschlachten für einen reißerischen Artikel in einer billigen Gazette.
Wenn es sich um einen Kerl handeln würde, hätte er keine Skrupel, den Möchtegern-Reporter bei der ersten sich bietenden Gelegenheit sich selbst zu überlassen. Aber bei einer Frau war er natürlich in der Beschützerpflicht, und das würde ihn stetig davon abhalten, seine Aufgabe zu erfüllen. Außerdem würde man ihm von höchster Stelle die Hölle heißmachen, wenn der Prinzessin auch nur das Geringste zustöße.
Die wenigen Blätter, die das Dossier der Brigade Sieben umfasste, hatte er in ein paar Minuten durchgelesen. Die Geschichte klang denkbar abenteuerlich. Ein Tier, das bisher noch niemand zu Gesicht bekommen hatte, riss Rinder und Pferde in Stücke, um dann junge Mädchen zu entführen?
Natürlich passte das perfekt zur alten Legende der Schoschonen, der Geschichte vom Chukamachoo. Etwas zu perfekt in Lassiters Augen.
Er erinnerte sich daran, wie ihm ein alter Indianer vor vielen Jahren von dem Mythos erzählt hatte …
Zwei junge Häuptlingssöhne gingen auf die Jagd, und alle vom Stamm der Schoschonen wussten, dass sie sich hassten bis aufs Blut, obwohl sie Brüder waren. Die beiden wollten einen Grizzly erlegen, der in den Wochen zuvor immer wieder die Tipis ihres Stammes heimgesucht und dabei zahlreiche Kinder geraubt hatte. Jeder der beiden wollte das Tier alleine töten, weil sie wussten, wer siegreich mit dem Kopf des Bären zurückkehrte, wäre der neue Häuptling des Stammes.
Sie stellten den Grizzly, doch da keiner dem anderen den Sieg gönnte, fielen sie übereinander her und töteten sich schließlich gegenseitig. Der Bär war voller Verachtung über den Eigensinn der beiden Krieger, trollte sich und verließ das Tal des Stammes.
Doch die Brüder, beseelt von ihrem Hass aufeinander, konnten keinen Frieden finden. Ihre Totems – der Bison und der Berglöwe – vereinten sich zu einem ruhelosen Wesen, das nun seinerseits dazu verdammt war, in der Dämmerung die jungen Mädchen zu rauben, die sie eigentlich hatten beschützen wollen.
Der Chukamachoo scheut das Tageslicht, weil die Seelen der beiden Brüder sich immer noch schämen für ihren Egoismus, doch sobald der Tag der Nacht weicht, ist er gezwungen dazu, zu fressen und nach Jungfrauen Ausschau zu halten.
Lassiter nahm einen kräftigen Schluck aus dem Kaffeebecher und schüttelte den Kopf. Diese Leute konnten doch nicht ernsthaft daran glauben, dass der Chukamachoo ihre Kinder entführt hatte!
Aber das war zunächst einmal auch nicht entscheidend. Zwölf junge Mädchen waren spurlos verschwunden, darunter die Tochter eines Senators. Und nun war es seine Aufgabe, die Kinder wiederzufinden – hoffentlich lebendig.
»Sie müssen Lassiter sein!«
Der Mann der Brigade Sieben stellte den Kaffeebecher ab und starrte auf eine schmale Frauenhand, die sich ihm entgegenstreckte. Er hob den Kopf und seine Augen weiteten sich ein wenig, als er Jennifer Ferguson erblickte. Langsam ergriff er ihre Hand und schüttelte sie. »Miss Ferguson?«
»Einfach Jennifer!« Sie grinste verschmitzt und deutete auf ihre Brust, die Lassiter ohnehin bereits in Augenschein genommen hatte. »Jennifer!« Dann zeigte sie auf ihn. »Lassiter. Kein Nachname, oder? Das macht es natürlich einfacher.«