Lassiter 2279 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2279 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Die Ebene des Salzsees lag vor den Männern wie ein schneeweißer Ozean. Die Berittenen hatten sich Halstücher vor das Gesicht gebunden, um sich vor dem Nordwestwind zu schützen. Sie trugen Gewehre und Revolver bei sich, deren Trommeln und Läufe in der Sonne blitzten.

"Absatteln!", befahl Rick Brooks mit scharfer Stimme. Er war ein klein gewachsener Mann mit buschigen Augenbrauen, der keinen Widerspruch duldete. "Wer die Hosen voll hat, soll zurückreiten. Der Rest baut das Lager auf, wie wir's besprochen haben."

Die Männer stiegen von den Pferden und machten sich an die Arbeit. Als die ersten Zelte aufgerichtet waren, rieb sich Brooks zufrieden die Hände. Er kniff die Augen zusammen und starrte auf den flimmernden Horizont.

Die Hochzeit für Samuel Ellis war ausgerichtet.

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Inhalt

Cover

Impressum

Galgenvögel singen nicht

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Boada/Norma

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2789-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Galgenvögel singen nicht

Die Ebene des Salzsees lag vor den Männern wie ein schneeweißer Ozean. Die Berittenen hatten sich Halstücher vor das Gesicht gebunden, um sich vor dem Nordwestwind zu schützen. Sie trugen Gewehre und Revolver bei sich, deren Trommeln und Läufe in der Sonne blitzten.

»Absatteln!«, befahl Rick Brooks mit scharfer Stimme. Er war ein klein gewachsener Mann mit buschigen Augenbrauen, der keinen Widerspruch duldete. »Wer die Hosen voll hat, soll zurückreiten. Der Rest baut das Lager auf, wie wir’s besprochen haben.«

Die Männer stiegen von den Pferden und machten sich an die Arbeit. Als die ersten Zelte aufgerichtet waren, rieb sich Brooks zufrieden die Hände. Er kniff die Augen zusammen und starrte auf den flimmernden Horizont.

Die Hochzeit für Samuel Ellis war ausgerichtet.

An keinem anderen Tag hätte Samuel Ellis weniger mit einem solch schicksalsträchtigen Lauf der Dinge gerechnet wie an diesem fünften Oktober des Jahres 1885. Er saß auf dem Kutschbock eines stolzen Vierspänners, der ihn in weniger als zwei Stunden hinauf nach Provo bringen würde, schwang die Peitsche und war in Gedanken bei seiner Hochzeit mit Roxy Myers. Die junge Schwarze trug zu diesem Zeitpunkt gewiss längst das Hochzeitskleid und erwartete gespannt die Ankunft ihres Bräutigams. Sie würde so hinreißend und verführerisch aussehen wie vor einigen Monaten, als Samuel ihr auf dem Wochenmarkt von Salt Lake City begegnet war.

»Vorwärts!«, rief Samuel und ließ die Peitsche auf die Rücken des hinteren Pferdepaares knallen. Er beugte sich vom Kutschbock herunter und schlug mit der Faust gegen die Seitenwand. »Vater, wie geht’s dir dort unten? Noch zwei Stunden, und du wirst Roxy endlich gegenüberstehen!«

Das mächtige Haupt eines älteren Schwarzen erschien im Kutschfenster und war binnen kürzester Zeit grau vor Salzstaub. Der Alte hustete und fächerte sich mit der Hand Luft zu. »Roxy, Roxy! Was kümmert mich Roxy? Mein Junge heiratet! Ich werd’ platzen vor Glück!«

Die Kutschräder ratterten durch lockeres Geröll und waren einen Augenblick später wieder auf festem Terrain. Die schwingende Kabine des Gespanns kam allmählich zur Ruhe.

»Du musst deine Kräfte schonen, Paps!«, erwiderte Samuel und drehte sich wieder nach vorn. Seine Gedanken kreisten um Matthew Hughitt und Richard Hair, die ihm die Kutsche versorgt hatten, und um Henry Dunford, der ihm und Roxy mit Schuhen, Hüten und anderer Hochzeitskleidung ausgeholfen hatte. Für einen Schwarzen hatte Sam es im Land der Mormonen weit gebracht. »Hey-ah! Lauft schon! In zwei Stunden wird’s dämmern!«

Ging man vom schlechten Ruf der Mormonen im Utah-Territorium aus, war es durchaus ungewöhnlich, dass ein Schwarzer in ihrer Mitte zu Erfolg und Ansehen kam. Das Gros der mormonischen Siedler war weiß, tief gläubig und hatte sich im Bürgerkrieg für die Sache der Yankees eingesetzt. Von manchem Kirchenoberen war zu hören gewesen, dass Gott die Schwarzen mit dem Kainsmal der dunklen Haut und der flachen Nase geschlagen hatte.

Von alledem hatte Samuel jedoch nichts gespürt.

Als er im Alter von fünfzehn Jahren nach Salt Lake City gekommen war, standen seinem Vater Louis Ellis und ihm sämtliche Türen offen. Er durfte eine öffentliche Schule besuchen und im Anschluss eine Anstellung in der Schmiede von Charles Donelson annehmen. Nicht eine einzige Siedlerfamilie hatte die beiden Schwarzen in ihrer Mitte scheel beäugt, was indes auch damit zu tun haben mochte, dass sein Vater hart und ehrlich arbeitete.

»Meinetwegen, dann mach’ ich’s mir gemütlich!«, erwiderte Louis und zog sich umständlich in die Kutsche zurück. Er trug seinen besten Sonntagsstaat. »Aber fahr nicht, als wär’ der Sensenmann hinter uns her!«

Über Samuels schmal geschnittene Züge ging ein Lächeln. Er hatte seinen Vater selten solch guter Dinge erlebt, sah man von dem Abend ab, an dem er in Missouri den Jackpot am Tisch von Pat Buckle geknackt hatte. Die siebenhundert Dollar waren der Grundstock für ihre Fahrt ins Utah-Territorium gewesen.

»Verdammt, Sam, siehst du das?«

Vom Kutschfenster her tönte erneut die Stimme von Samuels Vater herauf. Der Alte deutete mit ausgestrecktem Arm auf eine Hügelkette im Westen. Er schirmte mit der anderen Hand die Augen gegen die Sonne ab.

»Sieht mir nach ’nem Lager der Utah Central aus«, sagte Samuel und blickte in die gleiche Richtung. Der Atlantic Express und der Juab Express der Utah Central Railroad fuhren jeden Morgen von Salt Lake City aus. Die Eisenbahngesellschaft hatte jüngst angekündigt, im Norden und Westen Utahs Land aufzukaufen. »Ein paar Zelte und ein Haufen Gleisarbeiter sind keine gute Gesellschaft für die Nacht.«

»Mich bringen keine zehn Pferde zu ’ner Horde Weißer«, ereiferte sich Louis und runzelte die Stirn. »Aber wenn mich meine müden Augen nicht täuschen, schicken sie Reiter nach uns. Glaub’ jedenfalls, dass ich etwas in dem Geflimmer sehe!«

Über der glitzernden Salzwüste hing ein Hitzeschleier, der jeden toten Baum und jeden Felsenbrocken in eine zuckende Fata Morgana verwandelte. Erst vor einer Stunde hatte Samuel geglaubt, dass ihnen aus Salt Lake City einige Männer gefolgt waren, doch die vermeintlichen Fremden hatten sich als Salbeisträucher entpuppt, die am Ufer des Salzsees sprossen. »Lass dich nicht ins Bockshorn jagen, Paps! Zum Schluss ist’s wieder bloß Gestrüpp, das uns zum Narren hält.«

Im gleichen Augenblick peitschte ein Gewehrschuss über die Salzebene. Der Schuss hallte von den Hügeln wider und verlor sich in der Weite.

»Heilige Mutter Gottes!«, flüsterte Louis Ellis und stützte sich auf die Kutschtür. Er starrte mit versteinerter Miene zu seinem Sohn hinauf. »Fahr zu, mein Junge, fahr zu!«

Ehe Samuel einen vernünftigen Gedanken fassen konnte, donnerten weitere Schüsse. Aus der schimmernden Hitze lösten sich die Silhouetten von einem halben Dutzend Berittener, die in geschwindem Galopp auf die Postkutsche zuhielten. Unter den Hufen ihrer Pferde stiegen kreideweiße Staubwolken empor.

»Fahr zu!«, schrie Louis Ellis und riss seine alte Sharps-Büchse von den Sitzpolstern. Er legte auf die Reiter in der Ferne an. »Ich werd’ sie uns vom Leib halten!«

Die Kutschpferde warfen sich in die Zuggeschirre und brachten das Gespann binnen kürzester Zeit auf Geschwindigkeit. Hinter Samuel krachte das Sharps-Gewehr seines Vaters und sandte den Verfolgern einen bleiernen Gruß nach dem anderen entgegen. Die Reiter gaben ihre Formation auf und jagten seitlich zur Kutsche durch den Salzdunst.

»Sie wollen uns mürbemachen!«, schrie der alte Ellis und stopfte hastig Patronen nach. Er stemmte sich mit den Schultern gegen die Kutschtür und legte auf den vordersten Mann im Sattel an. »Von mir kriegen sie genug Blei für ’ne ganze Woche!«

»Deckung!«, schrie Samuel im gleichen Moment.

Doch die Warnung des Schwarzen kam zu spät.

***

Die Deseret National Bank befand sich in einem zweistöckigen Steinbau an der Kreuzung von 100 South und Mainstreet und strahlte wie die meisten Gebäude von Salt Lake City vornehme Eleganz aus. Vor dem Bankhaus hielten fortwährend Einspänner und größere Kutschen, aus denen Geschäftsleute und Farmer mit ihren Familien stiegen. Der Kutscher der Droschke, die aus der 100 South kam, schlug mit der Peitsche und wandte sich zu seinem einzigen Passagier um.

»Um diese Stunde bricht die Hölle los«, erklärte der Droschkenlenker und lachte kehlig. »Die Leute tragen ihre Ersparnisse zur Bank, als gäbe es kein Morgen. Manch einer leiht sich von den Bankiers mehr, als er jemals zurückzahlen kann.« Er griff die Zügel nach. »Ist ’ne verrückte Welt, Sir. Ist ’ne verrückte Welt.«

Der Droschkenpassagier hinter dem Kutscher sprach kein Wort und lächelte lediglich. Er war groß gewachsen, hatte sandblondes Haar und trug eine zerschlissene Ledertasche bei sich. Unter dem Gehrock blitzte der Griff eines Remington-Revolvers hervor.

»Hat’s Ihnen schon die Sprache verschlagen, Sir?«, erkundigte sich der Kutscher und wendete die Droschke in einem weiten Bogen. Er brachte das Gespann vor der Deseret National Bank zum Stehen und reckte sich. »Hab’ selten ’nen Passagier, der so wenig redet wie Sie. Ich könnte glatt glauben, Sie führen etwas im Schilde.«

Obgleich der Droschkenkutscher mit seiner Vermutung nicht völlig danebenlag, beschloss Lassiter für sich, dass er in Salt Lake City nicht mehr preisgeben würde als nötig. Er war weder Mormone noch ein Handelsreisender, wodurch er sich in der Hauptstadt des Mormonentums gleich in zweifacher Weise verdächtig machte.

»Halten Sie vor dem Hauptportal«, erwiderte Lassiter. »Ich werde erwartet.«

»Man erwartet Sie, Sir?«, ereiferte sich der Kutscher. »In der Deseret National? Sie müssen ein hohes Tier oder ein reicher Pinkel oder beides sein, damit Ihnen eine solche Ehre zuteilwird. Die Herren Direktoren sind keine Freunde des einfachen Mannes.«

Die Droschke rollte zwischen die übrigen Gespanne und blieb unter der Fassade des Bankhauses stehen. Mit raschen Handgriffen zählte Lassiter zehn Dollar ab und reichte sie dem Kutscher über dessen Lehne. Er stieg aus und verabschiedete sich mit einem Kopfnicken. »Fünf Dollar für Ihre Diskretion. Ich habe delikate Geschäfte zu erledigen.«

Verdutzt schob sich der Kutscher den Hut aus der Stirn. »Ganz wie Sie wünschen, Sir. Ich werde keiner Menschenseele etwas über diese Fahrt erzählen. Sie können ganz unbesorgt sein.«

Der Mann der Brigade Sieben verschwand zwischen den anderen Kutschen und steuerte auf die Einlasstüren des Bankhauses zu. Er entsann sich des Telegramms, in dem von einem William Jennings die Rede gewesen war. Jennings war Vize-Direktor der Deseret National Bank und ein langjähriger Mittelsmann für Washington.

»Mr. Lassiter?«

Eine junge Angestellte der Bank wartete an der Tür und blickte den Ankömmling erwartungsvoll an. Sie hatte kastanienbraunes Haar und trug ein schmal geschnittenes Kleid mit einem Spitzensaum am unteren Ende. Als Lassiter nickte, hielt sie ihm die Tür auf.

»Mr. Jennings erwartet mich«, sagte Lassiter und betrat den Schalterraum des Bankhauses, in dem lediglich das gedämpfte Klappern der Rechenmaschinen zu vernehmen war. Er folgte der jungen Angestellten und behielt deren wohlgeformte Rückpartie im Auge.

»Mr. Jennings ist bereits in seinem Büro«, verkündete die Brünette und wandte sich zu Lassiter um. Sie wies mit einer höflichen Armbewegung auf eine gläserne Zwischenwand. »Er wird eine Stunde Zeit für Sie haben.«

»In dem Fall habe ich in einer Stunde Zeit für Sie«, konterte Lassiter mit einem Lächeln. »Sie würden mir doch keinen Drink abschlagen?«

Die Schalterangestellte kicherte und beugte sich so weit zu dem breitschultrigen Fremden hinüber, dass die übrigen Bediensteten in der Halle sie nicht hören konnten. »Nicht vor Dienstschluss, Mr. Lassiter. Ich würde mich ausgesprochen gern auf einen Drink einladen lassen.«

Über das scharf geschnittene Gesicht des Mannes der Brigade Sieben ging abermals ein Lächeln. »Um acht Uhr im Flying Barclay’s. Ich bevorzuge blanken Whiskey.«

»Wie ich blanke Tatsachen bevorzuge.« Die Angestellte bedachte Lassiter mit einem vielsagenden Blick und klopfte an die Glaswand. »Mr. Jennings? Mr. Lassiter für Sie!«

Hinter dem halbblinden Glas setzte sich ein Schatten in Bewegung, der im nächsten Augenblick zu einem untersetzten Mann mit feistem Gesicht und dürrem Haarkranz wurde. Er schickte die Brünette davon und blieb eine Weile stumm vor Lassiter stehen.

»Mr. Jennings?«

Der Vizedirektor wippte auf den Fußballen und verschränkte die Arme hinter dem Körper. Er starrte seinen Gast an und schob die Lippen gegeneinander. »Ich habe bereits eine Menge über Sie gehört, Mr. Lassiter. Eine Menge äußerst erfreulicher Dinge, die mich hoffnungsfroh stimmen, dass der in Frage stehende Auftrag zu unser aller Zufriedenheit abgeschlossen wird.«

»Ich erfülle lediglich meine Pflicht«, gab Lassiter bescheiden zurück. »Um welchen Auftrag handelt es sich?«

Ohne eine Regung im Gesicht bat Jennings Lassiter hinter die Glaswand. Er schob einige Akten zur Seite und griff nach dem lehmfarbenen Kuvert darunter. Der Umschlag trug das Siegel des Justizministeriums und enthielt neben einigen Schreiben eine belichtete Fotoplatte. Sie zeigte das Gesicht eines jungen Schwarzen, der mit verkniffenem Blick in die Kamera sah.

»Samuel Ellis«, erklärte Jennings und reichte Lassiter die Glasplatte mit dem Konterfei darauf. »Ellis wurde vor zwei Tagen von einer Gruppe Bewaffneter am Großen Salzsee angehalten und festgesetzt. Er wird bezichtigt, im Haus seiner Dienstherrin eine Angestellte geschwängert zu haben.«

Der Mann der Brigade Sieben nahm die Fotoplatte und betrachtete sie eingehend. Er gab sie Jennings zurück und griff nach den übrigen Papieren. »Hat man ihn bereits einem Richter vorgeführt?«

»Der Gouverneur hat die Angelegenheit auf Eis legen lassen«, teilte Jennings mit ernster Miene mit. Er nahm an seinem Schreibtisch Platz und starrte auf das Kuvert in Lassiters Händen. »Die Mormonen unterhalten nicht die besten Beziehungen zu Washington. Man hat uns bekämpft und gescholten. Eine Menge Menschen im Utah-Territorium hegen Groll gegen die Regierung.«

»Sie ebenfalls?«, fragte Lassiter und blickte vom Kuvert auf. Er hatte bislang kaum Aufträge im Territorium der Mormonenkirche angenommen. »Die Brigade Sieben untersteht dem Justizministerium und damit der Regierung der Vereinigten Staaten.«

»Ich habe keine Abneigung gegen unsere Regierung«, bekannte Jennings und hob die Brauen. »Die Heimat meiner Glaubensbrüder soll und muss das vereinigte Amerika sein. Ich stehe Ihnen als loyaler Anhänger unseres Präsidenten gegenüber.«

Inzwischen hatte Lassiter die Dokumente unter der Glasplatte hervorgezogen. Er blätterte die Seiten durch und nickte langsam. »Sie werden mich damit beauftragen, die Schuld von Samuel Ellis zu klären. Die mormonische Kirche kann sich keinen Rückfall in die Zeit der Sklaverei erlauben.«

»Vollkommen richtig«, pflichtete Jennings seinem Gesprächspartner bei. Er richtete sich sprunghaft auf und kam um den Schreibtisch herum. »Sie müssen herausfinden, ob Ellis tatsächlich für diesen unglücklichen Vorfall verantwortlich ist. Das Utah-Territorium würde erneut in Verruf geraten, falls sich die öffentliche Empörung gegen einen Schwarzen richtet. Man würde uns beschuldigen, wie zu Bürgerkriegszeiten für die Sache der Sklaverei einzustehen.«

Mit einem kurzen Blick überflog Lassiter die Papiere, zu denen Gerichtsakten, Zeugenaussagen und Abschriften aus einem Archiv in Washington gehörten. Er faltete die Schreiben zusammen und schob sie mit der Glasplatte in das Kuvert zurück. »Ich werde bei Mrs. Culmer vorsprechen und mich als Freund von Samuel Ellis ausgeben. Sie müssen dafür sorgen, dass ich in Salt Lake City kein Aufsehen errege.«

»Seien Sie unbesorgt!«, meinte Jennings und kehrte hinter den Schreibtisch zurück. »Die Zeitungen sind von der Deseret National angewiesen worden, vorerst keinerlei Ankünfte aus anderen Städten mehr zu melden. Wir haben einen Goldtransport vorgeschoben, der in den nächsten Tagen eintreffen soll. In solchen Zeiten ist es üblich, weder über Fremde noch Gäste in der Stadt zu schreiben.«

»Ausgezeichnet«, antwortete Lassiter. »Sie hören in zwei Wochen von mir.«

***

Nach einer Stunde quälender Kakophonie erschien es Emma Culmer völlig unverständlich, wie ein Mädchen von zwölf Jahren an einer Pianoklaviatur solcherart verzweifeln konnte. Die Gattin des Handelsmagnaten John D. Culmer stand mit durchgedrückten Rücken am Fenster, wog den Rohrstock federnd in der Hand und sann allen Ernstes über eine Tracht Prügel für ihre Schülerin Anna Wyckoff nach. Das Mädchen klimperte derart stümperhaft auf dem Instrument herum, dass es einen Hund jammerte.

»Genug Anna!«, rief Emma nach dem Ende des Stücks aus. Sie verbarg den Rohstock hinter dem Körper und nahm alle Kraft zusammen. »Du wirst deinem Vater sagen müssen, dass du in den letzten Wochen nicht allzu viel Fortschritte gemacht. Ich hatte mehr von einem eifrigen Mädchen wie dir erwartet.«

Die Augen ihrer Schülerin füllten sich mit Tränen. »Verzeihen Sie vielmals, Mrs. Culmer! Ich … habe nicht üben dürfen! Ich musste meinem Vater helfen!«

»Nichts als Ausreden!«, versetzte Emma, die gleichwohl wusste, dass der alte Albert Wyckoff seine Tochter des Öfteren mit Botengängen und Besorgungen beauftragte. »Das Wunder der Musik erschließt sich nur dem Tüchtigen. Ich verlange von dir, dass du dir das Strawinsky-Stück vornimmst, das ich dir in der letzten Woche gab.«

Sie wurden von einer Bediensteten unterbrochen, die aufgeregt durch die Tür stürmte. Das Dienstmädchen blieb auf der Schwelle stehen und atmete heftig.

»Was gibt es, Martha?«, fragte Emma ungehalten. Sie tippte Anna mit dem Rohrstock an, um ihr zu vermitteln, dass die heutige Stunde endgültig vorüber war. »Ich bat darum, dass ich nicht gestört werde.«

»Es … ist jemand an der Tür!«, brachte die Bedienstete japsend hervor. Sie sammelte sich einen Augenblick lang und steckte sich das schwarze Haar hinter das Ohr. »Ein Mann mit kräftigem Bart und kantigem Gesicht. Er möchte mit Ihnen sprechen, Ma’am! Er behauptet, dass er ein Freund von Samuel Ellis sei.«