Lassiter 2281 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2281 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Rose Flanagan war aufgeregt. Sie konnte nicht mehr stillsitzen, rutschte auf dem Sitzpolster hin und her wie ein zappeliges kleines Mädchen. Zum Glück musste sie sich nicht zusammennehmen, denn sie war allein in dem Zugabteil - ebenso mutterseelenallein wie in diesem gewaltigen fremden Land, von dem sie nicht wusste, mit welchem Schicksalsschlag es auf sie wartete.

Die Fahrt ging nach Norden. Eine mäßige, aber lang anhaltende Steigung ließ den Zug langsamer werden. Durch die Fenster linker Hand konnte Rose Wälder und Berge sehen: die Ozark Mountains, wie sie inzwischen wusste. Die Gipfel ragten hoch in den Himmel, einige schneebedeckt. Über die Hügel, die man in ihrer Heimat Irland als Berge bezeichnete, würden die Leute hier wohl nur müde lächeln. Rose wandte sich nach rechts. Und erschrak zu Tode.

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EPUB
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Seitenzahl: 125

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Cover

Impressum

Wild Irish Rose

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Boada/Norma

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-2791-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Wild Irish Rose

Rose Flanagan war aufgeregt. Sie konnte nicht mehr stillsitzen, rutschte auf dem Sitzpolster hin und her wie ein zappeliges kleines Mädchen. Zum Glück musste sie sich nicht zusammennehmen, denn sie war allein in dem Zugabteil – ebenso mutterseelenallein wie in diesem gewaltigen fremden Land, von dem sie nicht wusste, mit welchem Schicksalsschlag es auf sie wartete.

Die Fahrt ging nach Norden. Eine mäßige, aber lang anhaltende Steigung ließ den Zug langsamer werden. Durch die Fenster linker Hand konnte Rose Wälder und Berge sehen: die Ozark Mountains, wie sie inzwischen wusste. Die Gipfel ragten hoch in den Himmel, einige schneebedeckt. Über die Hügel, die man in ihrer Heimat Irland als Berge bezeichnete, würden die Leute hier wohl nur müde lächeln. Rose wandte sich nach rechts.

Und erschrak zu Tode.

Denn ein Mann blickte herein. Sein grinsendes Gesicht tanzte vor dem Fenster auf und ab, vom Pelzkragen seiner Winterjacke eingerahmt. Rose saß schlagartig wie erstarrt, hielt sich mit beiden Händen an der Polsterkante der Sitzbank fest.

Der Mann da draußen sah wild aus. Wild und verwegen. Aber der Vollbart stand ihm gut, das musste man ihm lassen. Sein Haar, das unter dem Hutrand hervorlugte, war so schwarz wie der Stetson selbst.

Noch in Irland hatte sie erfahren, dass in den Vereinigten Staaten fast alle Hüte Stetson hießen. Solche Sachen hörte man von Verwandten und Freunden, die schon in die USA ausgewandert waren und fleißig Briefe schrieben.

Zuhause konnten sich nur die wohlhabenderen Gentlemen einen Hut leisten. Der normale Paddy, wie Roses männliche Landsleute vor allem von den Briten geringschätzig genannt wurden, musste sich mit einer Schiebermütze begnügen.

Hier jedoch, im Yankee-Land, lief praktisch jeder mit so einem verschwenderisch großen und breitkrempigen Stetson herum; außer den Frauen natürlich. Der Yank da draußen saß auf einem Pferd. Und weil von ihm nur der Kopf und die Schultern zu sehen waren, entstand der Eindruck, dass er tanzte, oder besser: hüpfte.

Sein Grinsen und das Blitzen seiner Augen übertrafen indessen alles. Beides zusammen war einfach unverschämt. Wahrscheinlich machte er sich öfter diesen Spaß, neben einem langsamer werdenden Zug herzureiten und in das Abteil einer Lady zu lugen.

Womöglich leistete er sich diese Unverfrorenheit auch noch in der Hoffnung, Ladys zu beobachten, wie sie sich umzogen. Oder er spekulierte sogar darauf, dass sie sich vollständig entblätterten.

Aber was interessierte ihn ausgerechnet an ihr? Das lange rote Haar? Doch er konnte es nur erahnen, denn sie hatte es zu einem Knoten zurückgebunden. Ihr Gesicht? Nun, vielleicht mochte man sie als durchschnittlich hübsch bezeichnen, aber eine betörende Schönheit war sie ganz gewiss nicht.

Vielleicht war es ihr Körper, den er sich vorstellte. Andererseits – in ihrem einfachen grauen Tweed-Kostüm, der schlichten Leinenbluse und den plumpen irischen Schnürstiefeln war sie so vollkommen verhüllt, dass ihre körperlichen Vorzüge nicht einmal andeutungsweise zur Geltung kamen.

Aber waren Männer nicht in der Lage, eine Frau mit Blicken auszuziehen? Jedenfalls hatte sie gelesen, dass es Männer mit solchen Fähigkeiten geben sollte. Die Betreffenden mussten ein Vorstellungsvermögen haben, das es ihnen ermöglichte, eine vollständig angezogene Frau splitternackt vor sich zu sehen – vor ihrem geistigen Auge.

Was hinderte sie eigentlich daran, ein wenig nachzuhelfen?

Rose kicherte – wohl wissend, dass der Kerl dort draußen sie nicht hören konnte. Sie amüsierte sich über ihre frivolen Gedanken, die sich für eine anständige und noch dazu verheiratete junge Lady ganz und gar nicht geziemten.

***

Die Reiter hatten sich auf einer ausgedehnten Anhöhe im Schutz eines Waldstücks versammelt. Durch das dürre Unterholz waren sie bis an den südöstlichen Waldrand vorgedrungen.

Auf die Weise schlugen sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen schützte der Wald sie einigermaßen vor dem Wind, der von Norden her über die Hügel des Bergvorlands strich. Zum anderen bot ihnen ihre Position einen hervorragenden Überblick, ohne dass sie selbst gesehen wurden.

Der Hang verlief mit überaus geringem Gefälle nach Süden. Wie ein riesiger grüner Fächer dehnte sich das freie, grasbewachsene Gelände nach Südosten und nach Südwesten. Unten, in der Ebene begann dichtes Waldgebiet.

Die Eisenbahnbauer hatten eine Schneise hineingeschlagen, aus der der Schienenstrang in die Mitte des fächerförmigen Graslandes stach, zu der langgestreckten Hügelkuppe heraufführte und sie an deren Ostseite überquerte.

Die Männer trugen Lederjacken mit Pelzfutter oder dicken Pullovern darunter. Die hochgeschlagenen Jackenkragen reichten ihnen im Nacken bis unter die Hutkrempe. Vor den Gesichtern der Reiter und vor den Nüstern der Pferde bildeten sich kleine Atemwolken. Der Wind trug sie rasch davon.

Die Temperaturen lagen knapp unter dem Gefrierpunkt. Der trübgraue Himmel ließ keine Konturen einzelner Wolken erkennen. Es war eine geschlossene, pelzig-dichte Decke, die tief über dem Hügelland hing und nichts Gutes verhieß.

Die Einheimischen unter den Männern wussten, dass es geradezu nach Schnee roch. Die jetzige Jahreszeit, Ende November, hatte das Bergvorland im Newton County, Arkansas, schon häufig weiß überzogen gesehen.

Es waren vierzehn Männer, die den herannahenden Personenzug der Missouri, Kansas & Texas Railroad von der Anhöhe aus beobachteten. Das Gleis führte linker Hand an ihrer Position vorbei, etwa dreihundert Yard entfernt, nach Osten hin und schnurgerade weiter in nördlicher Richtung.

Der einzelne Reiter war aus dem Waldgebiet in der Ebene aufgetaucht. Während der Zug auf der beginnenden Steigung allmählich langsamer wurde, erreichte der Reiter dessen letzten Wagen. Er blieb an der Ostseite der Schienen und holte zügig auf.

Augenblicke später nahm der Zug die Hälfte des Blickfelds ein.

Die Beobachter vermochten von dem Reiter über die Wagendächer hinweg nur noch den schwarzen Hut, die untere Hälfte seines bärtigen Gesichts und die braune Pelzkragenjacke auszumachen.

Er schloss bis zu dem Salonwagen auf, der an zweiter Stelle hinter Lokomotive und Tender fuhr. Dort passte er sich der Geschwindigkeit des Zugs an und blieb auf gleicher Höhe.

Mehr geschah nicht.

Nichts von dem, was die Männer auf der Anhöhe erwarteten, trat ein. Ein Hindernis aus Baumstämmen hatten sie nirgendwo entdecken können. Dabei war der flache, langgezogene Hang der denkbar geeignetste Ort für einen Überfall.

Das galt auch für die zweite mögliche Taktik, aus dem Sattel auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Aber wenn sie sich für diese Möglichkeit entschieden hatten, waren sie reichlich spät dran.

Dennoch zogen die Männer auf der Anhöhe ihre Winchestergewehre aus den Scabbards. Der Zug hatte sich bereits eine halbe Meile vom Waldrand dort unten entfernt. Und noch immer deutete nichts auf den Überfall hin, mit dem die Beobachter rechneten.

Ahnten die Banditen, dass ihnen eine Falle gestellt wurde?

»Was, zum Teufel, soll das?«, fragte County Sheriff Nelson Edelman, ohne den Blick von dem bärtigen Reiter zu wenden. »Was hat der Kerl vor?« Edelmans zwei Deputies hatten beiderseits neben ihm Stellung bezogen.

Der Sheriff war ein breitschultriger, untersetzter Mann mit mittelblondem Haar. Wie es aussah, verspürte er wenig Lust, sich regelmäßig zu rasieren; zuletzt musste er sich die Stoppeln vor drei Tagen aus dem Gesicht geschabt haben.

»Die Bastarde könnten Lunte gerochen haben«, sagte Pinkerton Inspector Oscar Benedetto. »Und jetzt will dieser Hurensohn uns auf den Arm nehmen.«

Benedetto gehörte zu einer zehnköpfigen Truppe von Pinkerton Detectives, deren Einsatz er leitete. Eigentlich war auch er nur ein normaler Detective der Agency in Chicago. Den Dienstgrad Inspector gab es dort offiziell gar nicht. Doch geltungssüchtig, wie er war, hatte er sich selbst zum Inspector ernannt und entsprechende Visitenkarten drucken lassen.

Benedetto war schlank und hochgewachsen. Ein grauer Bowlerhat verbarg seinen Mittelscheitel und das mit Pomade platt auf den Kopf frisierte dunkle Haar, das knapp über den Ohren endete. Ein strichförmig dünnes Bärtchen zierte seine Oberlippe.

Lassiter legte die Winchester quer hinter das Sattelhorn und hob sein mit grauen Lappen umwickeltes Spektiv ans Auge. Er justierte die Schärfe und brauchte nicht lange hinzusehen.

»Es ist Saul Motley«, stellte er fest und ließ das Fernrohr sinken.

»Das habe ich bereits mit bloßem Auge erkannt«, behauptete Benedetto.

Lassiter und Sheriff Edelman wechselten einen Blick und grinsten. Den bärtigen Reiter zu identifizieren war alles andere als eine Glanzleistung.

Motley war der Anführer der Eisenbahnräuber, und er war bekannt wie ein bunter Hund. Zumindest im nördlichen Arkansas. Es hieß, Motley wolle so berühmt werden wie Jesse James, ein Volksheld, ein amerikanischer Robin Hood.

»Nichts muss so sein, wie es aussieht«, erklärte der Mann der Brigade Sieben und verstaute das Spektiv in der Satteltasche. »Vielleicht hat Motley einen Doppelgänger vorgeschickt.«

Auf mehr konnte Lassiter nicht eingehen, am allerwenigsten auf die Möglichkeit, dass es einen Verräter in den eigenen Reihen gab. Mit diesem Verdacht im Hinterkopf behielt der große Mann es für sich, dass die Eisenbahnräuber eine böse Überraschung erleben würden. Obwohl er Sheriff Edelman und seine Deputies für absolut vertrauenswürdig hielt, hatte er auch sie in den Geheimplan nicht eingeweiht.

Lassiter hatte die Satteltasche kaum geschlossen, als die Banditenmeute unten aus dem Wald hervorbrach.

***

Es lag wohl an der Eintönigkeit der Bahnfahrt, so überlegte Rose, dass es sie reizte, etwas Verruchtes zu tun. Was, wenn sie den frechen Kerl herausforderte – und seine Erwartungen erfüllte? Indem sie die Knöpfe ihrer Bluse öffnete und ihn ein bisschen von ihrem Busen sehen ließ, beispielsweise?

Ja, warum eigentlich nicht? Immerhin hatte sie etwas vorzuzeigen. Einmal, bei einem Tanzvergnügen, hatte sie mitbekommen, wie die Farmboys etwas zu laut über sie tuschelten. Sie hatte herausgehört, wie sie ihr »mächtig Holz vor der Hütte« bescheinigten.

Damals mochte sie gerade sechzehn gewesen sein – und so naiv, wie ein irisches Countrygirl es nur sein konnte. Deshalb hatte sie ihre Freundinnen fragen müssen, was der Spruch mit dem Holz und der Hütte bedeutete.

Dann aber war sie auf das derbe Kompliment richtig stolz gewesen.

Die Erinnerung daran ging über in eine nie gekannte Erregung, die von ihr Besitz ergriff. Der dreiste Fremde dort draußen vor dem Zugfenster schien die Verkörperung des wilden Amerikas zu sein, über das sie so viel gelesen hatte.

Mehr noch, ihre Erregung steigerte sich in ein Verlangen nach diesem Mann, der eine nie erlebte Art von Verwegenheit und Abenteuerlust ausstrahlte. Du lieber Himmel, sie war bereit, sich von diesem Unbekannten mit Haut und Haaren verzehren zu lassen.

Wie hatte sie die romantischen Romane aus Amerika verschlungen, in denen solche Szenen zuhauf vorkamen! Da wurden zarte, wehrlose Frauen von groben Raureitern oder Banditen entführt – nur, um dann von edlen und heldenhaften Männern des Westens gerettet zu werden.

Die Liebesabenteuer, die die Romanheldinnen in solchen dramatischen Situationen erlebten, waren geradezu atemberaubend. Und warum sollte sie, Rose Flanagan, die Gelegenheit nicht nutzen, sich etwas derart Überwältigendem hinzugeben?

Ein solcher wahr werdender Traum bot sich einer Frau wohl nur einmal im Leben.

Verschämt, wie es sich für eine tugendhafte irische Lady gehörte, hielt sie den Kopf gesenkt. Gleichzeitig aber ließ sie sich vom Teufel reiten und tastete mit den Fingern beider Hände nach den oberen Knöpfen ihrer Bluse. Auf einmal fühlte sie sich gut dabei, etwas so Frivoles zu tun.

Dieser Mann, der sich so unverhohlen für sie interessierte, strahlte überragende Selbstsicherheit und Verwegenheit aus. Dagegen wirkten die blasierten britischen Gentleman-Reiter in Irland einfach nur lächerlich.

Was für ein harter Bursche musste es sein, dort draußen, dass er ihr mit dieser beinahe spöttischen Überlegenheit begegnete? Ja, sie war bereit, sich ihm zu unterwerfen. Bedingungslos. Allein seine Ausstrahlung bewirkte jedenfalls, dass sie sich hilflos und schwach fühlte.

Schwach – all right, aber stark genug, um zu wissen, wie sie ihre weiblichen Waffen einsetzte. Das galt auch und gerade dann, wenn sie es mit einer solchen Übermacht in Gestalt eines einzelnen Mannes zu tun hatte.

Deshalb hatte sie das Gefühl, sich mit dem Aufknöpfen gar nicht genug beeilen zu können. Himmel, sie war bereit für ihr erstes erotische Abenteuer in der neuen Welt. Hier würde sie keinem gottverdammten britischen Herrenreiter begegnen.

Hier würde sie so einer nicht mit der Reitgerte, von oben herab, ins nächste Gebüsch drängen und sie zwingen, sich auszuziehen. Hier würde ihr kein einziger dieser sogenannten Gentlemen über den Weg laufen, die immer aussahen, als ob sie einen Besenstiel verschluckt hatten.

Mit dem Gleichtakt ihres kerzengeraden Auf und Abs im Sattel erweckten sie den Eindruck, als ob sie sich von dem Tier unter ihnen zu distanzieren versuchten. Im amerikanischen Westen dagegen diente das Reiten der Fortbewegung und der Arbeit mit Rindern, nicht dem selbstgefälligen Posieren als Angehöriger des Landadels.

Hier gehörten Ross und Reiter zusammen, bildeten sogar eine Schicksalsgemeinschaft, wenn sie sich feindlicher Angriffe erwehren mussten oder den Naturgewalten ausgeliefert waren. All das hatte Rose in ihren Büchern gelesen. Auch, dass die Liebe zwischen Mann und Frau bisweilen dem Ausbruch einer Naturgewalt gleichen konnte.

Sie hatte Derartiges noch nicht erlebt, und sie fühlte sich schon lange nicht mehr als die verheiratete Frau, die sie eigentlich war. Mehr als fünf Jahre war es nun her, dass sie im Hafen von Cork am Kai gestanden und gewinkt hatte.

Jim, ihr Jim, hatte einen Platz an der Reling des Dampfers ergattert, obwohl er eigentlich ins Unterdeck gehörte. Aber in ihm hatte schon immer etwas von einem irischen Rebellen geschlummert, und daher hatte er sein erwachendes Freiheitsgefühl sogleich in die Tat umgesetzt, kaum dass das Schiff abgelegt hatte.

Er war auf das Außendeck vorgedrungen, obwohl sein Geld nur für ein Unterdecks-Ticket gereicht hatte

Doch niemand an Bord hatte gewagt, ihn von dem Platz an der Achterdecksreling zu verscheuchen. Rose war stolz auf ihren Jim gewesen – auf sein Durchsetzungsvermögen. Es ging von ihm aus wie eine Botschaft, die auf seiner Stirn geschrieben stand.

Geballte Energie hatte ihm mal einer seiner Freunde bescheinigt. Jeder, der ihm gegenübertrat, spürte es, und deshalb riskierte es auch kaum einer, sich mit ihm anzulegen. Folglich hatte sie ihm endlos lange nachwinken können, als das Schiff in der Bucht von Cork kleiner und kleiner geworden war.

Unvermittelt fanden ihre Gedanken in die Gegenwart zurück. Du lieber Himmel, sie musste ihre Wirkung auf den reitenden Beobachter überprüfen. Womöglich bekam er gar nichts mit; dann konnte sie sich die ganze Mühe mit dem Öffnen des Dekolletees gleich schenken.

Deshalb hob sie den Kopf.

Und atmete auf. Gott sein Dank, er war noch da. Er lachte jetzt. Und er hob die freie Hand, was ihm keine Mühe bereitete, weil man im amerikanischen Westen die Zügel mit nur einer Hand hielt.

Sein Lachen wirkte jungenhaft ungezwungen, auch dann noch, als er Zeigefinger und Mittelfinger emporstreckte und dann krümmte und den Daumen damit umschloss. Die anzügliche Geste schien für ihn die natürlichste Sache der Welt zu sein.

Rose spürte, wie ihr Schamröte ins Gesicht stieg. Sie senkte den Kopf und musste sich überwinden, wieder aufzublicken. Verdutzt kniff sie die Augen zu und öffnete sie wieder.

Der Reiter war verschwunden.

Das freie Fensterquadrat zeigte nichts als Wälder und Hügel, die sich auf dieser Seite des Schienenstrangs fortsetzten. Auch am westlichen Horizont ragten Berge auf. Bei den Ozarks handelte es sich um ausgedehnte Bergformationen, die sich von Arkansas bis in den Südosten von Kansas erstreckten.

Rose horchte auf die Rollgeräusche des Zuges. War er schneller geworden? Konnte der Reiter nicht mehr mithalten? Nein, sie irrte sich. Und im nächsten Moment waren ihre Gedanken wie ausgelöscht.

Die Hölle brach los.

So hörte es sich an.