Lassiter 2311 - Jack Slade - E-Book

Lassiter 2311 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Sie hatte es nicht glauben wollen, hatte selbst den Zeitungsartikel als reißerische Posse angesehen, bis ihr ein Brief aus Fort Worth überreicht worden war. Die Kompanieführung bestätigte die Pressemeldung - und für Yancy Haygood brach eine Welt zusammen. Lieutenant Clarence Eaton, ihr Verlobter, war tot! Stationiert in dem kleinen Fort McIntosh, waren er und seine wenigen Kameraden bei einem feigen Überfall kaltblütig erschossen worden. Die "Turnbull-Bande" hatte Waffen, Munition und Sprengstoff erbeutet, keinen Stein auf dem anderen gelassen und die Kasernengebäude bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Sergeant Forsyth, der einzige Überlebende, war wenige Stunden nach seiner Einlieferung ins Lazarett verstorben.

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Seitenzahl: 141

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhalt

Cover

Impressum

Sheridans Gesetz

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Txus/Norma

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-3860-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Sheridans Gesetz

Sie hatte es nicht glauben wollen, hatte selbst den Zeitungsartikel als reißerische Posse angesehen, bis ihr ein Brief aus Fort Worth überreicht worden war. Die Kompanieführung bestätigte die Pressemeldung – und für Yancy Haygood brach eine Welt zusammen.

Lieutenant Clarence Eaton, ihr Verlobter, war tot! Stationiert in dem kleinen Fort McIntosh, waren er und seine wenigen Kameraden bei einem feigen Überfall kaltblütig erschossen worden. Die »Turnbull-Bande« hatte Waffen, Munition und Sprengstoff erbeutet, keinen Stein auf dem anderen gelassen und die Kasernengebäude bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Sergeant Forsyth, der einzige Überlebende, war wenige Stunden nach seiner Einlieferung ins Lazarett verstorben.

Den Brief trug Yancy Haygood immer noch bei sich. Sie hatte ihn in der Innentasche ihrer Langjacke verstaut, und immer, wenn sie danach griff, weil ihr die schreckliche Wahrheit wie ein Traum erschien, schossen ihr Tränen in die Augen.

Ihre gemeinsame Zukunft mit Clarence war zerstört. Der Mann, den sie liebte wie nichts auf der Welt, würde sie nie mehr in seinen Armen halten, ihr Kraft und Zuversicht geben oder ihr zärtliche Worte ins Ohr flüstern.

So oft er es hatte einrichten können, hatte Eaton sie in Round Rock besucht. Sie waren ausgeritten, hatten manche Nachmittage am Lake Travis verbracht und über ihre Hochzeitspläne gesprochen. Eaton war stets Kavalier und Gentleman gewesen, und nicht selten hatte sich Yancy gewünscht, er hätte nur für kurze Zeit sein vorbildliches Betragen abgelegt, um ihr die körperliche Nähe zu schenken, die sie so sehr herbeigesehnt hatte und immer noch herbeisehnte.

Die Gedanken versetzten ihr einen schmerzhaften Stich. Sie musste ihren toten Verlobten tief in ihrem Herzen vergraben, um ihr Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Nichts durfte sie davon abhalten, die hinterhältigen Mörder zur Strecke zu bringen. Nur deshalb hatte sie ihre Eltern in Round Rock verlassen und die Strapazen eines Ritts von über hundert Meilen auf sich genommen.

Die »Turnbull-Bande« musste sich noch im Umland von San Antonio aufhalten, vielleicht sogar in einem der Nester in der Nähe von Fort McIntosh. Auf Unterstützung vonseiten der Armee brauchte sie nicht zu hoffen. Man hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass die Kavallerie-Einheiten an anderer Stelle dringend benötigt wurden, sei es zur Sicherung der texanischen Grenze oder zur Abwehr aufständischer Indianerstämme. Blieben nur noch die Gesetzeshüter vor Ort. Doch wenn sie alle so waren wie die Sternträger in Cedar Park oder Georgetown, deren einzige Aufgabe es zu sein schien, sich mit ihren blitzenden Abzeichen in der Öffentlichkeit zu zeigen, würden die Banditen auch weiterhin ungestraft ihr Unwesen treiben.

Von Weitem schon sah Yancy Haygood die Ruinen von Fort McIntosh. In der flirrenden Mittagssonne ragten die verkohlten Palisaden der Einfriedung wie knöcherne Finger aus dem Boden. Rußgeschwärzt waren die Lehmziegel der Unterkunft des Fortkommandanten. Von den Baracken und Ställen war nichts geblieben außer schwarzer Schlacke. Mehrere Pferdekadaver lagen mit aufgeblähten Bäuchen im Staub und wurden von dunklen Ungezieferwolken umschwirrt.

Je näher Yancy kam, desto stärker wurde der Verwesungsgestank. Sie nahm ihr Halstuch ab und band es sich vor Mund und Nase. Unwillkürlich zuckte ihre Rechte zur Hüfte und tastete über den Griff ihres Fünfundvierzigers. Der Colt gab ihr Zutrauen und Sicherheit, denn es war nicht ausgeschlossen, dass die Banditen an den Ort ihrer schändlichen Tat zurückkehrten. Da seit dem Überfall vier Tage vergangen waren und der Aufruhr sich gelegt hatte, mochte es ihnen einfallen, in den Trümmern nach Wertgegenständen zu suchen. In all dem Schutt und verbrannten Mobiliar war es durchaus möglich, persönlichen Schmuck, Silberdollars oder andere Dinge zu finden, aus denen sich Kapital schlagen ließ.

Yancy Haygood nämlich war aus einem ähnlichen Grund hier. Sie hatte mit Clarence Eaton kleine Amulette zum Beweis ihrer Liebe getauscht. Nichts Wertvolles, aber von großer emotionaler Bedeutsamkeit. Die junge Frau mit dem langen dunklen Haar konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass der zierliche Anhänger, das einzige Erinnerungsstück an ihren Verlobten, in die Hände eines Gauners geriet. Da Eaton ihn während seines Dienstes nicht hatte tragen dürfen, bestanden gute Aussichten, dass er sich noch auf dem Fortgelände befand. Und wenn es so sein sollte, würde Yancy ihn finden.

Ihr Vorhaben hörte sich einfach und vielversprechend an, doch je mehr Zeit verging, desto größer wurden ihre Zweifel an einem Erfolg. Anderthalb Handbreit hatte sich die Sonne gesenkt, als Yancy das Amulett unter einer Ascheschicht hervorholte. Ihre Überraschung, aber auch ihre Freude ließen ihr Herz gleich doppelt schnell schlagen. Sie säuberte den silberfarbenen Anhänger und das schmale Kettchen und steckte das Schmuckstück zu ihrem Brief.

Der Pappelhain einen Steinwurf entfernt schien ihr richtig, sich von den Anstrengungen der vergangenen Stunden zu erholen, Atem zu schöpfen und dem allgegenwärtigen Gestank zu entgehen. Nach einer kurzen Ruhepause würde sie sich auf den Weg nach San Antonio machen und hoffte, noch vor Einbruch der Dunkelheit einzutreffen.

Zwei Zigarettenlängen nahm sich Yancy Haygood Zeit, um im Schatten der Bäume zu verweilen, stemmte sich schließlich auf und erschauerte. Starr war ihr Blick auf den Horizont gerichtet.

Sofort suchte sie Schutz hinter einem Baumstamm, presste sich mit dem Rücken dagegen und versuchte, ihre beschleunigte Atmung unter Kontrolle zu bringen. Vorsichtig drehte sie sich zur Seite und wagte erneut einen Blick ins Freie.

Nein, sie hatte sich nicht getäuscht. Die verwaschene Silhouette des Reiters war immer noch da. Eine Meile vielleicht mochte er entfernt sein, doch er kam rasch herangeritten.

Yancys Verdacht schien sich zu bestätigen. Zumindest einer der Banditen war zurückgekehrt. An sich ein Glücksfall, denn mit einem einzigen Gegner konnte es die junge Frau ohne Weiteres aufnehmen. Sobald sie ihn kampfunfähig gemacht hatte, würde sie schon aus ihm herauspressen, wo sich der Rest der heimtückischen Mörder befand.

Bedächtig zog sie ihren Revolver aus dem Holster und legte den Lauf auf dem Rücken ihrer linken Hand ab. Yancy Haygood war keine geübte Schützin und würde abwarten müssen, bis der Fremde nahe genug herangekommen war. Das hieß aber auch, dass sie sich keinen Fehlschuss erlauben durfte. War der Bandit erst einmal gewarnt, gingen ihre Chancen, ihn zu überwältigen, gegen null.

Angespannt verharrte sie hinter dem Baum. Als ihr auffiel, dass ihr Pferd, das vor Blicken ungeschützt zwischen den Bäumen stand, sie verraten könnte, führte Yancy es einige Meter in dichteres Gehölz hinein. Kaum war sie an ihren Aussichtspunkt zurückgekehrt, war der Unbekannte auch schon aus dem Sattel gestiegen und führte sein Reittier an der Leine auf das Kasernengelände.

Irgendwie, so wirkte es auf Yancy, benahm sich der große Mann nicht wie ein Ganove. Seine Erscheinung war stattlich, und auf seinen Zügen spiegelte sich keine Verschlagenheit. Außerdem machte er nicht den Eindruck, auf Beutezug zu sein.

All diese Überlegungen wirbelten Yancy Haygood durch den Kopf und ließen sie zögern. Ihre Hand zitterte plötzlich. Einen gezielten Schuss hätte sie nicht mehr abgeben können.

Reiß dich zusammen!, zwang sie sich zur Räson. Der Kerl ist ein verfluchter Schlächter! Sie rief sich den Brief ins Gedächtnis, das Amulett und Clarence. Ihr Abzugsfinger zog den Stecher der Waffe zurück, die Trommel wanderte eine halbe Kammer weiter. Noch wenige Millimeter, und der Schlagbolzen würde auf die Patrone hämmern.

Schweißperlen bildeten sich auf Yancys Stirn. Mit einem Mal fühlte sie sich schwach und hilflos. Was war nur los mit ihr? Immer und immer wieder stellte sie sich diese Frage, bis sich ihr Zeigefinger entspannte und der Abzugsbügel in seiner ursprünglichen Position einrastete.

Keuchend wandte sich die Brünette ab und steckte ihren Colt ein. Sie hatte es sich leichter vorgestellt, auf einen Menschen zu schießen. Anscheinend gehörten mehr als ein Schießeisen und eine Überzeugung dazu, um abzudrücken.

Langsam sank sie an dem Baumstamm herab in die Hocke. Sie würde warten, bis der Fremde gegangen war und ihren Ritt nach San Antonio fortsetzen. Beim dort ansässigen Sheriff oder Marshal würde sie sich über den Stand der Ermittlungen erkundigen. Im Moment hatte es keinen Sinn, auf eigene Faust vorzugehen, dafür fehlte ihr einfach die nötige Abgebrühtheit. Doch Yancy nahm sich vor, an diesem Manko zu arbeiten.

Einmal noch warf sie dem Fremden einen Blick zu.

Wenn wir uns das nächste Mal begegnen, dachte sie grimmig, werden die Karten neu gemischt …

***

Ike Turnbull war bekannt bis über die Staatsgrenzen hinaus, was ihm das zweifelhafte Vergnügen beschert hatte, vor nicht ganz zwei Jahren in einen Hinterhalt der Texas Rangers geraten zu sein. Kein Mann in der verbrieften Geschichte des Westens war von derart vielen Kugeln durchlöchert worden, wie es Turnbull an jenem verhängnisvollen Tag widerfahren war, als eine mutige Truppe eisenharter Gesetzeshüter seinen Weg gekreuzt hatte. Die nach ihm benannte Bande jedoch war nicht zerschlagen worden. Ein Kerl namens Keith Barrett hatte sich an ihre Spitze gestellt und das brutale Vorgehen in der Tradition von Turnbull fortgeführt.

Das waren im Großen und Ganzen die Informationen, die Lassiter von der Brigade Sieben erhalten hatte. Hinzu kam in jüngster Vergangenheit die Auslöschung eines unbedeutenden Grenzpostens, bei der Barrett allerdings jede Menge Waffen und Munition erbeutet hatte. In Washington hatte man sich besorgt gezeigt, da die US-Army alle Hände voll zu tun hatte, sich der Übergriffe durch Mexikaner und Indianer zu erwehren. Um marodierende Banditen konnte sich niemand kümmern, zumal diese ständig ihren Standort wechselten und bei gezielter Verfolgung lediglich die Eingreifreserven von Kavallerie und Infanterie zerstreut hätten.

Das Massaker von Fort McIntosh war noch frisch, sodass es für Lassiter unabdingbar war, dort mit der Spurensuche zu beginnen. Gleich im Anschluss wollte er nach San Antonio reiten, sich mit den Behörden verständigen und sein Möglichstes tun, die Kräfte der Ordnungshüter zu bündeln.

Stumm betrachtete der Mann der Brigade Sieben den Ort der Verwüstung. Aus seinen Unterlagen wusste er, dass das Fort nur ein kleiner, kaum befestigter Außenposten gewesen war und höchstens ein Dutzend Soldaten beherbergt hatte. Da die Garnison hauptsächlich als Waffen- und Munitionsdepot gedient hatte, war anzunehmen, dass die Kavalleristen ihren Verpflichtungen nicht mit sonderlichem Eifer nachgegangen waren. Keith Barretts Angriff musste sie kalt erwischt haben.

Er ging an den verkohlten Überresten der Palisadenzäune vorüber, ignorierte den bestialischen Verwesungsgeruch und stellte fest, dass es keine brauchbaren Spuren gab, um sich auf die Fährte der Banditen zu setzen. Die Hilfstruppen aus Fort Worth waren kreuz und quer über das Gelände geritten und gelaufen, hatten Karrenwagen vor sich hergeschoben und in den Trümmern gewühlt. Nicht einmal ein Indianerscout würde geeignete Hinweise finden.

Lassiter ging ein Stück weit in die Prärie hinaus, doch überall zeigte sich ihm das gleiche Bild. Selbst dort, wo die Einsatzkräfte nicht tätig gewesen waren, hatte der Wind jede Spur verwischt.

Mit gemischten Gefühlen ging er zurück zu seinem Grauschimmel und wurde mit einem Mal stutzig. In dem Gewirr aus Huf- und Stiefelabdrücken gab es frische Fußstapfen. Lassiter erkannte sie daran, dass sie scharf konturiert und weder mit Asche noch mit Flugsand bedeckt waren. Vor nicht allzu langer Zeit musste sich ein Unbekannter genauestens in den Ruinen umgesehen haben. Je länger Lassiter nach den Spuren Ausschau hielt, desto mehr fand er. Dabei schien es sich um eine einzelne Person zu handeln, und angesichts der relativ kleinen Abdrücke mochte es sogar eine Frau gewesen sein.

Sofort schwenkte Lassiters Blick hinüber zu den Pappelbäumen. Er verengte die Lider, konnte aber niemanden entdecken. Dafür aber sah er deutlich die Fährte, die vom Hauptgebäude der Garnison zu dem Hain führte.

Lassiter glaubte nicht daran, dass Barrett oder einer seiner Leute sich in der Nähe herumtrieb; vermutlich war ein Satteltramp vorbeigezogen und hatte nach Wertgegenständen Ausschau gehalten. Der Agent hatte in seiner langen Zeit bei der Brigade und auch davor genug Aasgeier kennengelernt, die sich an Toten bereichert hatten. Vom Kopf bis zu den Füßen hatten sie die Leichname ausgeplündert und ihnen nicht einmal die Unterwäsche gelassen. In den traurigen Überbleibseln von Fort McIntosh gab es zwar keine Leichen mehr, aber immer noch genügend halbwegs brauchbares Rüstzeug wie Sättel, Steigbügel und Pferdegeschirr.

Es hatte keinen Sinn. Lassiter wandte sich ab und stieg auf seinen Grauschimmel. Für einen kurzen Moment schlug sein Instinkt Alarm, als würde er sich in akuter Gefahr befinden. Doch ebenso schnell, wie das Gefühl aufgekommen war, verschwand es wieder.

Einmal noch schaute er hinüber zu dem Pappelhain, dann gab er seinem Hengst die Sporen. In San Antonio, so hoffte er, würden seine Ermittlungen ergiebiger sein.

***

Schüsse donnern! Der Mann in dem Nadelstreifenanzug, der sich schützend vor den kleinen Jungen wirft, wird in Brust und Kopf getroffen und knallt leblos in den Staub der Mainstreet. Das Kind stößt einen schrillen Schrei aus und stirbt noch im selben Augenblick in den Armen seiner Mutter. Das blütenweiße Kleid der entsetzten Frau ist blutbesprenkelt, und noch während sie sich zu ihrem toten Sohn hinabbeugt und tränenüberströmt ihr Leid hinausbrüllt, durchschlagen mehrere Kugeln ihren Körper.

Die johlende Horde, die wild um sich feuert, kennt keine Gnade. Passanten auf dem Boardwalk fallen um wie die Fliegen. Beherzte Bürger, die sich gegen die Bankräuber zur Wehr setzen, liegen bald darauf kalt und starr auf den Brettern.

Schützend legt die sterbende Mutter sich über ihr Kind, doch sie kann nichts mehr tun. Weder für ihren Sohn noch für sich selbst.

Ihr Blick bricht. Ihre Augen gleichen Glasmurmeln, die die Mörder noch im Tode verfolgen …

Keuchend fuhr Sheriff Matt W. Sheridan auf. Verstört wischte er sich über das Gesicht und blinzelte sich den Schlaf aus den Augen.

Er war eingenickt. Für wie lange wusste er nicht. Dieses endlose Warten hatte ihn schläfrig gemacht, und er hoffte inständig, dass er seine Chance nicht verpasst hatte.

Kalt spürte Sheridan den Stahl seines Revolvers in der Faust und richtete seinen Blick auf das Bordell am Ende der Straße. Er wusste, dass Dillon »Icy Clay« Hicks dort verkehrte, nicht gerade zimperlich mit den Huren umsprang und auch schon mal eine von ihnen halb totgeschlagen hatte.

Aber das war es nicht, weshalb Sheridan hinter ihm her war.

Der Sheriff erhob sich aus seinem Lehnstuhl neben dem Grocery Store, wanderte einige Schritte über den Boardwalk und war drauf und dran, auf gut Glück in das Hurenhaus zu stürmen und jedes Zimmer nach Hicks zu durchsuchen.

Der gellende Schrei einer Frau versetzte Sheridan einen Stich. Fast war es, als hätte Hicks ihm ein Zeichen gegeben, dass er sich im »Red Apple Inn« befand.

Eisige Kälte durchströmte den Sheriff; jede Menschlichkeit in ihm erstarb. Mechanisch griff er nach dem Fläschchen in seiner Brusttasche, schraubte den Verschluss ab und leerte es in einem Zug. Dann ging er mit ausgreifenden Schritten dem Bordell entgegen.

Beseelt von dem Gedanken auf Rache und erfüllt von verzehrendem Hass stieß er die Türen auf, hörte erneut die gequälten Schreie aus dem Obergeschoss und hetzte die Treppe hinauf.

Dumpf war eine wutentbrannte Männerstimme zu hören, die Flüche und Beschimpfungen ausstieß. Das Klatschen schallender Ohrfeigen wurde laut, danach ein Poltern, mit dem ein Körper zu Boden fiel.

Matt Sheridan rannte los, warf sich wie ein lebendes Geschoss gegen die Zimmertür, hinter der die Schreie aufgeklungen waren, und stürzte in den Raum. Auf der Schulter rollte er sich ab, riss seinen Colt hoch und feuerte.

Mit einem erstickten Aufschrei stürzte der Getroffene zur Seite, griff noch im Fallen nach seiner Waffe und fing sich Sheridans zweite Kugel ein.

»Ist nicht mehr so spaßig, wenn sich der Gegner wehrt, nicht wahr, Hicks?«, raunte der Sheriff frostig.

»Was willst du?«, keuchte »Icy Clay«. »Legst du mich um, bloß weil ich diesem Miststück eine verpasst habe?« Der Angeschossene blutete an Hüfte und Oberarm. Sheridan hätte ihn bereits mit dem ersten Schuss töten können, doch er wollte sich Zeit lassen.

»Dieses Miststück hat wohl nicht getan, was du dir vorgestellt hast.« Sheridans Blick streifte über Hicks’ offene Hose, aus der ein verkümmertes Schwänzchen hervorlugte. »Oder sie hat sich einen kleinen Scherz erlaubt …« Kurz drehte er sich der jungen Frau zu, die wimmernd neben dem Bett lag. Ihre Oberlippe war aufgeplatzt, die rechte Gesichtshälfte knallrot. Ihre nackten Brüste hoben und senkten sich unter schweren Atemzügen.

»Dann buchte mich doch ein!«, platzte es aus Hicks heraus. »Ich bin sowieso schneller wieder draußen, als du gucken kannst! Du hast nichts in der Hand! Einer Hure weint niemand eine Träne nach!«

Aus dem Stand setzte Sheridan nach vorn und trat wuchtig gegen die Hüfte des Verletzten. Der schrie gequält auf, tastete nach seiner Waffe und ließ einen zweiten Schrei folgen, als sich der Stiefelabsatz des Sheriffs in seinen Handrücken bohrte.

»Wahrscheinlich ist das so«, meinte Sheridan finster, spannte den Abzug seines Revolvers und richtete die Mündung auf Dillon Hicks’ Stirn. »Frauen und Kinder scheren dich einen Dreck, ist es nicht so? Du schießt sie über den Haufen, wie sie dir gerade vor den Lauf kommen.«

»Icy Clay« schnappte nach Luft. »Wovon, zum Teufel, redest du?«

»Du kannst dich nicht mehr erinnern?«, versetzte Sheridan tonlos. »Bedauerlich, denn das solltest du, wenn du zur Hölle fährst.«