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Er wird mich umbringen, dachte Ada Brice. Auch wenn ich ihm sage, was ich weiß - er wird mich töten.
Der Mann stand vor ihr, den großen Navy Colt auf ihren Kopf gerichtet. "Sag mir, wer den Schnüffler geschickt hat", raunte er dumpf. "Dann hast du nichts zu befürchten."
Ada Brice glaubte ihm kein Wort. Sie saß im Nachthemd auf dem Stuhl in ihrem Zimmer, eine Zeitschrift auf dem Schoß, und blickte starr in die Öffnung des Revolverlaufs. Eine Faust aus Eisen wühlte in ihren Gedärmen.
"Du willst es mir nicht sagen?"
"Ich ... ich weiß nicht, von was Sie sprechen. Sie müssen mich verwechseln, Mister."
Er presste ihr den Lauf gegen die Stirn, wartete einen Moment, dann trat er zurück und sagte: "Steh auf und mach dich fertig. Du kommst mit mir ..."
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Seitenzahl: 130
Veröffentlichungsjahr: 2016
Cover
Impressum
In den Bergen verschollen
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Boada/Norma
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-4141-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
In den Bergen verschollen
Er wird mich umbringen, dachte Ada Brice. Auch wenn ich ihm sage, was ich weiß – er wird mich töten.
Der Mann stand vor ihr, den großen Navy Colt auf ihren Kopf gerichtet. »Sag mir, wer den Schnüffler geschickt hat«, raunte er dumpf. »Dann hast du nichts zu befürchten.«
Ada Brice glaubte ihm kein Wort. Sie saß im Nachthemd auf dem Stuhl in ihrem Zimmer, eine Zeitschrift auf dem Schoß, und blickte starr in die Öffnung des Revolverlaufs. Eine Faust aus Eisen wühlte in ihren Gedärmen.
»Du willst es mir nicht sagen?«
»Ich … ich weiß nicht, von was Sie sprechen. Sie müssen mich verwechseln, Mister.«
Er presste ihr den Lauf gegen die Stirn, wartete einen Moment, dann trat er zurück und sagte: »Steh auf und mach dich fertig. Du kommst mit mir …«
Die Frau zögerte, dann stemmte sie sich hoch.
Duke Allman hob die Lampe. Der gelbe Lichtschein erhellte eine schlanke Blondine von knapp fünfundzwanzig Jahren. Sie trug ein langes blassrosa Nachthemd, das bis zu ihren Knöcheln reichte. Aus ängstlichen Augen blinzelte sie in das Funzellicht.
»Ich gebe dir zwei Minuten«, sagte er. »Beeil dich! In zwei Minuten bist du abmarschbereit. Hast du das verstanden, Ada?«
»Woher wissen Sie, wie ich heiße?«, hauchte sie.
»Ich weiß noch viel mehr über dich.« Er stieß mit dem Fuß gegen die Truhe unter dem Wandbrett. »Los jetzt! Mach dich fertig!«
Sie tappte zu dem Stuhl, über dessen Lehne ihre Kleider hingen.
Allman beobachtete sie interessiert. Hat eine tolle Figur, die Kleine, dachte er.
Von der Straße drang Hufgetrappel an seine Ohren.
Ada war gerade dabei, das Nachthemd über den Kopf zu ziehen. Als sie den Lärm draußen hörte, verharrte sie mitten in der Bewegung. Ihre Finger krallten sich in das Hemd. Als die Hufschläge verebbten, streifte sie es ab und warf es auf das Laken.
Sie kehrte Allman den Rücken zu.
»Du bist sehr hübsch«, sagte er. »Dein Freund ist ein Glückspilz.«
Das nackte Mädchen raffte ihre Sachen vom Stuhl und zog sie hastig an. »Wo gehen wir hin?«, fragte sie.
»Zu mir«, erwiderte er.
»Wo wohnen Sie?«
»Ganz in der Nähe.«
»Was haben Sie mit mir vor?«
»Ich werde dir ein paar Fragen stellen.«
Sie atmete schwer. »Was für Fragen?«
»Stell dich nicht dümmer, als du bist. Du weißt genau, was ich von dir wissen will.« Er ging zur Tür, legte ein Ohr an das Holz und hielt den Atem an.
Es war ungefähr drei Uhr morgens. Im Haus herrschte Totenstille. Die Leute lagen in den Betten und schliefen. Nur hin und wieder erklang ein leises Knacken im Gebälk.
Ada öffnete den Deckel der Truhe.
Er hob den Revolver. »He, was soll das?«
»Ich muss ein paar Sachen einpacken«, erklärte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, musst du nicht. Komm jetzt mit!«
»Aber ohne Handtasche …«
»Kein Widerwort. Okay?« Lautlos öffnete er die Tür.
Auf dem Gang roch es nach Seifenlauge, Sägemehl und Brennöl. Allman hielt die Lampe hoch. Es war niemand zu sehen. Er schob das Mädchen vor sich her. Bis zur Vordertür waren es nur knapp ein Dutzend Schritte.
»Los! Geh!« Er stach ihr den Colt in den Rücken.
Sie trippelte in das kleine Foyer. Der Schein der Funzel huschte über das Empfangspult. Die reglose Gestalt eines Mannes hing über dem Tisch: Wolfson, der Portier. Er blutete aus einer Wunde am Kopf.
Das Mädchen erschrak. »Ist er tot?«
»Nein, er macht nur ein Nickerchen.«
Sie kamen an die Haustür. In Augenhöhe gab es eine runde Glasscheibe. Durch das Guckloch spähte Allman auf die Straße. Die Gehsteige lagen verwaist.
Er drückte Ada Brice über die Schwelle auf den Vorplatz. »Wir gehen nach links«, sagte er.
Sie gehorchte aufs Wort. Offenbar hatte sie große Angst. Allman spürte den Anflug von Mitleid. Er dachte daran, was nachher passieren würde. Wenn Ada nicht verriet, was sie über den Kontaktmann wusste, würde der Chef in Wut geraten. Das Mädchen würde die Hölle auf Erden erleben. Der Chef war gewalttätig. Wahrscheinlich würde er die Kleine mit dem Messer kitzeln, um sie zum Sprechen zu zwingen.
Bei der Vorstellung daran lief Allman eine Gänsehaut über den Rücken.
Sie eilten über den Sidewalk und erreichten rasch das Ende des Häuserblocks. Irgendwo hinter den Dächern erklang beschwingte Musik. Frauen lachten, Männer grölten. Dumpf tönte der hypnotische Bass einer Pauke. Das Nachtleben in Tombstone dehnte sich bis hin zum frühen Morgen.
Da passierte es: Als sie um die Ecke gingen, schoss ein dunkler Schatten hinter einem Zaun hervor. Es war ein großer wolfsähnlicher Hund, der angriffslustig die Zähne fletschte.
Allman brachte seinen Colt in Anschlag.
Der Hund schnappte nach ihm und erwischte sein linkes Hosenbein.
Allman geriet ins Straucheln. Er gab einen Schuss ab, verfehlte das Tier jedoch. Mit der zweiten Kugel gelang ihm ein Volltreffer. Kopfschuss. Der Hund kippte auf die Seite und starb auf der Stelle.
Allman wandte den Kopf zur Seite. Der Platz, an dem Ada Brice eben noch vor Angst gezittert hatte, lag verwaist.
Das Mädchen war geflohen.
»Verdammt«, knurrte er.
***
Ada Brice rannte um ihr Leben.
Während hinter ihr Schüsse krachten, sprang sie über ein niedriges Gebüsch, schlüpfte durch eine Holzpforte und hetzte quer über den OK-Corral in Richtung Stadtrand.
Als sie an der Hahnenkampf-Arena vorbeikam, warf sie einen Blick zurück. Der Mann, der in ihr Zimmer eingedrungen war, war nicht zu sehen.
Dennoch war Ada auf der Hut. Sie rannte an einem Zeltcamp vorbei, direkt auf die San Pedro-Hügel zu. Seit einigen Jahren wurde auf dem baumlosen Gelände um Tombstone Silbererz abgebaut. Überall häuften sich Massen von Sand und Schlacke. Riesige Murphywagen zum Abtransport der Erze standen mit hochgestellter Deichsel an der Straße. Wo man auch hinsah, gab es Eingänge in dunkle Tunnel, aus denen es nach brandigem Gestein und Petroleum stank.
Vor einer brusthohen Felsöffnung blieb Ada stehen. Vom Laufen war sie völlig ausgepumpt. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Atemlos spähte sie den Weg zurück, den sie eben gekommen war.
Neben einem Steinhaufen schälte sich eine Gestalt aus der Dunkelheit.
Ada spürte einen Kloß im Hals.
Der Mann, der sie bedrohte, war auf ihrer Fährte geblieben. Er hatte sie entdeckt und lief schneller.
Gehetzt sah Ada sich um. Vor dem Hintergrund des düsteren Hügels kam sie sich in ihrer hellen Bluse wie ein Kugelfang auf dem Schießplatz vor.
Der Mann rief sie an. »Bleib, wo du bist, Ada! Ich kriege dich sowieso!«
Das wollen wir erst mal sehen! So schnell sie konnte, huschte sie in die dunkle Röhre. Nach wenigen Yards wurde der Stollen so niedrig, dass sie sich bücken musste. Wenig später kroch sie auf Knie und Ellbogen.
Innerhalb kürzester Zeit hatte sie sich auf dem steinigen Untergrund die Hände aufgeschürft. Das tat höllisch weh. Am liebsten wäre sie auf der Stelle umgekehrt. Doch dann wäre sie ihrem Peiniger in die Arme gelaufen.
Ada tastete sich immer tiefer in den Stollen hinein. Ein Schwall kalter Luft wehte ihr ins Gesicht. Sie biss die Zähne zusammen und kroch weiter.
»Ada!«, hallte es durch den Tunnel. »Mach keinen Unsinn, Mädchen! Komm raus und alles wird gut!«
Ada glaubte ihm nicht. Sie lehnte sich gegen die Wand und starrte aus geschmälten Augen zu dem kleinen hellen Loch am Ende der Röhre.
Der Mann gab ihr ein Versprechen nach dem anderen. Immer wieder fand er neue Worte, um sie zur Umkehr zu bewegen. Er schwor, dass er ihr kein Haar krümmen würde.
»Elender Lügner«, murmelte sie.
Nach einiger Zeit gab der Mann seine Bekehrungsversuche auf.
Das helle Loch am Ende des Tunnels verschwand.
Ada spähte in die Dunkelheit. Nichts zu erkennen. Doch an den Atemgeräuschen ihres Verfolgers erkannte sie, dass er zügig näherkam.
Sie ließ sich zu Boden sinken und rutschte auf dem Bauch in die entgegengesetzte Richtung. Die Röhre führte schräg nach unten. Nach kurzer Zeit geriet ihr ein Holzbalken zwischen die Finger, offenbar eine Stütze des Stollens. Sie setzte sich auf, um im Watschelgang zu laufen. Dabei stieß sie sich den Kopf an der niedrigen Decke.
Ada sank wieder auf alle Viere.
Eine laute Stimme hallte durch den Tunnel: »Mädchen, mach es uns doch nicht so schwer. Ich tue dir nichts. Ganz ehrlich. Wir kriechen hier raus, und dann reden wir wie zwei vernünftige Leute.«
Ada war ein Stück weitergekrochen. Zu ihrem Erstaunen sah sie einen Fetzen Licht. Vermutlich war sie auf einen der vielen Seitengänge gestoßen, durch die man ins Freie gelangte. Ada wartete, bis ihr Herz ruhiger schlug. Dann zwängte sie sich in den Schacht.
»Es tut mir leid, Ada«, tönte ihr Verfolger. »Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen. Gib mir eine Chance. Wir fangen noch einmal von vorne an.«
Ada unterdrückte ein Lachen. Der Kerl konnte es nicht lassen. Er glaubte tatsächlich, sie fiele auf seine Tour herein.
Das Licht vor Augen, bewegte sie sich schneller. Bald war es so hell, dass sie ihr Umfeld einigermaßen erkennen konnte. Sie steckte in einem Kriechgang, dessen Decke etwa alle zehn Yards mit einem Stempel abgestützt wurde.
Ein mulmiges Gefühl überkam sie. Was, wenn sie sich in diesem düsteren, unterirdischen Labyrinth verirrte?
Sie schob alle Bedenken beiseite. Irgendwie würde sie schon wieder nach draußen kommen.
Vorsichtig stemmte sie sich auf. Endlich konnte sie auf zwei Beinen laufen.
Über eine Querrinne gelangte sie auf einen abgeplatteten Felsen. Dahinter gähnte ein bodenloses schwarzes Loch. Bis auf die andere Seite des Schlunds waren es etwa sechs Fuß.
Ada kämpfte mit den Tränen. Wie sollte sie das Hindernis überwinden? Das schwarze Loch, das sich vor ihr auftat, kam ihr vor wie das Tor zur Hölle.
Irgendwo im Dunkeln wurde die Stimme ihres Verfolgers laut.
Sie trat ganz nahe an die Felskante. Loses Gestein bröckelte und kollerte in den Abgrund. Schon nach kurzer Zeit prallte das Geröll auf. Also war der Schacht nicht sehr tief.
Ein ohrenbetäubender Knall erschütterte den Stollen.
Ada hielt sich die Ohren zu. Ihr Verfolger hatte seinen Revolver abgefeuert. Das Echo des Schusses hallte mehrfach von den Wänden wider.
»Verdammte Hure! Ich mach dich kalt!«
Ada spähte über das Loch hinweg. Ich könnte es schaffen, dachte sie. Wenn ich genügend Anlauf nehme, könnte ich die Lücke überspringen.
Sie ging drei Schritte rückwärts. Unter ihren Sohlen knirschte grobkörniger Sand. Weit vorn, am Ende des Ganges, lockte das helle Licht. Sie holte tief Luft und versuchte, ihre Angst niederzuringen.
Wieder krachte ein Schuss.
Das Echo wurde von einem hohlen Lachen übertönt. »Wart’s nur ab! Gleich hab ich dich!«
Ada wandte sich um. Von ihrem Verfolger war nichts zu sehen, doch sie spürte seine Nähe. Er würde sie kriegen, wenn sie nichts unternahm.
Wild entschlossen fuhr Ada herum. Vor ihr tat sich der scheinbar bodenlose Abgrund auf. Sie hob den Blick und sah zu dem Tunnelende hinüber. Der Lichtpunkt zog sie auf wundersame Weise an.
Sie winkelte die Arme an, holte tief Luft, atmete wieder aus und rannte los. Ihre Füße lösten sich vom Boden. Sie flog wie ein Sektkorken durch die Luft.
Leider war ihr Absprung nicht kraftvoll genug gewesen. Die andere Seite lag weiter entfernt als gedacht.
Schreiend fiel sie ins Dunkle.
Zum Glück war es nicht sehr tief. Schon spürte Ada wieder Boden unter den Füßen.
Sie rappelte sich auf und blickte sich um. Sie befand sich in einer grabähnlichen Kammer, ungefähr acht Fuß unterhalb des Stollens, in den sie geflohen war. Über ihrem Kopf zeichnete sich das bleigraue Viereck der Bodenöffnung ab.
Ada stand auf, wippte auf die Zehenspitzen und tastete die Wände ab. Sie suchte nach Ritzen und Spalten, die sie als Kletterhilfen benutzen konnte.
Doch alle Versuche, eine der Wände zu erklimmen, schlugen fehl. Immer wieder glitten ihre Finger ab, und sie rutschte auf den Boden zurück.
Ada war den Tränen nahe.
Sie saß in der Falle. Wie in aller Welt sollte sie je wieder aus diesem Loch herauskommen?
***
Lassiter blieb vor dem Schaufenster von Maud’s Liquorshop stehen und betrachtete sich in der Scheibe. Beeindruckend! Ein großer, feierlich dreinblickender Mann in einem schwarzen Gehrock schaute ihn an.
Die Jungs von der Zentrale in Washington hatten ihm ans Herz gelegt, in Tombstone in die Rolle eines Geistlichen zu schlüpfen. Am Anfang hatte er sich gegen den Verschlag gewehrt. Aber zu guter Letzt fand er Gefallen an der Sache.
Er rückte seinen altmodischen, schwarzen Hut zurecht und ging weiter. Dabei dachte er an Ada Brice, die ihm als Kontaktperson zugeteilt war. Es war geplant, dass sie ihn gleich nach seiner Ankunft in Empfang nahm. Sie sollte ihn mit den Einzelheiten seiner Mission vertraut machen. Ada besaß einen versiegelten Brief, in dem alle Informationen notiert waren.
Leider hatte es eine Panne gegeben: Die Kontaktfrau war noch nicht erschienen.
Ada Brices Verschwinden machte ihn stutzig. Er musste sie unbedingt finden.
Zuerst begab er sich zum Sheriff’s Office in der Allen Street. An der Tür der Amtsstube hing ein Schild mit der Aufschrift SHERIFF WALLIS. Die Tür stand weit offen. Der Geruch von Tinte und Waffenöl wehte auf die Veranda.
Hinter einem klobigen Schreibtisch saß ein stämmiger Rotschopf und stempelte Dokumente. Er trug ein blau kariertes Cowboyhemd, eine Lederweste und ein Halstuch mit einem grünen Schmuckstein auf dem Knoten. Er blickte auf, als der Mann in Schwarz eintrat.
»Ich hätte gern eine Auskunft, Sheriff«, sagte Lassiter. »Mein Name ist Pater Greene, und ich bin auf der Suche nach einem Fräulein Ada Brice.«
»Was wollen Sie von ihr, Pater?«
»Ihr Grüße bestellen, von ihrem Onkel, der Mitglied meiner Gemeinde ist.«
»Eine Gemeinde im Cochise County?«
»Nein, in Gentle Hand. Das liegt in der Nähe von Prescott.«
Der Sheriff runzelte die Stirn. »Wie, sagten Sie, heißt das Mädchen, das Sie suchen?«
»Ada Brice.«
Der Mann hinter dem Schreibtisch stand auf. »Eine gewisse Ada Brice wird seit gestern Abend vermisst«, erklärte er.
»Vermisst?«
Der Sheriff fuhr mit dem Handrücken über seinen Blechstern. »Wenn sie bis morgen nicht auftaucht, werde ich ein Aufgebot zusammenstellen und nach ihr suchen lassen.
»Ich hoffe sehr, dass Ihre Suche erfolgreich ist.« Lassiter lächelte schwach. »Haben Sie was dagegen, wenn ich in dieser Sache eigene Nachforschungen anstelle?«
Wallis schaute ihn an wie einen größenwahnsinnigen Zwerg. Dann räusperte er sich. »Nun ja, im Prinzip spricht nichts dagegen, wenn es denn von Nutzen ist.«
»Es dient der Sache«, sagte der falsche Kirchenmann. »Verraten Sie mir, wo Miss Brice wohnt?«
»Im Gallup House, Second Street.«
»Ist das eine Herberge oder ein Hotel?«
»Mehr Hotel würde ich sagen.« Der Sheriff kam um den Tisch herum. »Darf man fragen, aus welchem Grund Sie nach Tombstone gekommen sind, Pater Greene?«
»Natürlich«, sagte Lassiter. »Ist ja kein Geheimnis. Ich bin hier, um das eine oder andere verirrte Schäfchen wieder in die Herde zu führen. Es heißt, in Tombstone gäbe es in dieser Hinsicht eine Menge zu tun.«
»Wie wahr, wie wahr.« Der Mann mit dem Stern sah ihn mitleidig an. »Da haben Sie sich ganz schön was vorgenommen, guter Mann.«
»Ich weiß«, Lassiter mimte den Bedrückten, »es wird nicht leicht, aber ich bin nicht allein.«
»Haben Sie noch einen Gehilfen dabei?«
»Nein, Sheriff.« Lassiter richtete den Blick zur Decke. »Dass ich nicht allein bin, meine ich doch im übertragenen Sinne.«
»Verstehe.« Wallis trat ans Fenster und zeigte hinaus. »Sehen Sie das große Gebäude auf der anderen Straßenseite? Das ist der Oriental Saloon. Darin finden Sie verirrte Schäfchen in Hülle und Fülle. Schauen Sie mal rein.« Er rieb sein unrasiertes Kinn. »Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen einen Deputy mit, für alle Fälle.«